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Die Steuerumgehung i. S. d. § 42 AO

Eine Untersuchung im Grenzbereich von Gewerbebetrieb und privater Vermögensverwaltung

von Chiu Chen (Autor:in)
©2015 Dissertation XVI, 218 Seiten

Zusammenfassung

Die Studie analysiert die allgemeine Vorschrift zur Bekämpfung der Steuerumgehung laut § 42 AO. Diese Generalklausel der Missbrauchsabwehr ist in die Methoden der Rechtsanwendung im Steuerrecht einzuordnen und leitet daraus Erkenntnisse zur Auslegung und Bedeutung der Vorschrift ab. Sodann wird in einem zweiten Schritt untersucht, wie sich diese Grundlegung auf die Beurteilung typischer Umgehungsgestaltungen im Grenzbereich von gewerblichen Einkünften und solchen aus privater Vermögensverwaltung bewährt und inwieweit sich Abweichungen zur derzeitigen Rechtspraxis in den jeweiligen Konstellationen ergeben. Die Studie überprüft die Grundlagen der Umgehungsdogmatik im Steuerrecht und gelangt zu einer systematischen und in sich schlüssigen Anwendung des § 42 AO auf einem praktisch bedeutsamen Gebiet des Steuerrechts.

Inhaltsverzeichnis

  • Cover
  • Titel
  • Copyright
  • Autorenangaben
  • Über das Buch
  • Zitierfähigkeit des eBooks
  • Vorwort
  • Inhaltsverzeichnis
  • Abkürzungsverzeichnis
  • Einleitung und Problemstellung
  • I Die Rechtsfrage der Verhinderung von Steuerumgehung
  • 1. Rechtsgrundlagen
  • a) Methodische Einordnung der Verhinderung von Steuerumgehung
  • aa) Gesetzesauslegung
  • (1) Vorverfahren der Gesetzesauslegung – die Bildung und die rechtliche Beurteilung des Sachverhalts
  • (2) Teleologische Auslegung
  • (a) Das Auslegungsziel
  • (b) Die Kriterien der teleologischen Auslegung
  • (aa) Subjektiv-teleologische Kriterien
  • (bb) Objektiv-teleologische Kriterien
  • (cc) Vermittelnde Theorie
  • (c) Die Kriterien der teleologischen Auslegung im Steuerrecht
  • (aa) Übernahme der vermittelnden Theorie
  • (bb) Zweck der Steuergesetze i. S. d. teleologischen Auslegung
  • (3) Wirtschaftliche Betrachtungsweise
  • (a) Allgemeines
  • (b) Normauslegung
  • (c) Sachverhaltsbeurteilung
  • (4) Grenze der Auslegung
  • bb) Lückenausfüllung
  • (1) Begriff und Arten der Gesetzeslücken
  • (2) Maßstäbe und Mittel der Lückenfeststellung
  • (a) Anordnungen des positiven Rechts i. V. m. dem Rechtsverweigerungsverbot
  • (b) Wertungen des positiven Rechts i. V. m. dem Gleichheitssatz
  • (c) Allgemeine Rechtsprinzipien und Rechtswerte
  • (d) Schlussfolgerung – Lückenfeststellung im Steuerrecht
  • (3) Mittel der Lückenausfüllung
  • (a) Die Ausfüllung „offener“ Lücken durch Analogie
  • (aa) Allgemein
  • (bb) Grundsätzliche Zulässigkeit der Analogie im Steuerrecht
  • (b) Die Ausfüllung „verdeckter“ Lücken durch teleologische Reduktion
  • (c) Andere Fälle einer teleologisch begründeten Korrektur des Gesetzes, insbesondere durch telelogische Extension
  • cc) Stellungnahme
  • b) Verfassungsmäßigkeit der Verhinderung von Steuerumgehung
  • aa) Zulässigkeit der Bekämpfung von Steuerumgehung im Allgemeinen
  • bb) Zulässigkeit der Rechtsfortbildung durch die steuerverschärfende Analogie
  • (1) Einführung
  • (2) Rechtsprechung des BVerfG
  • (3) Standpunkte in der Literatur
  • (4) Eigene Auffassung
  • c) Die besondere Lückenausfüllungstechnik des § 42 AO
  • d) Die Rechtsanwendungsfiktion des § 42 AO ist verfassungsgemäß
  • 2. Bedeutung und Anwendung des § 42 AO
  • a) Die sog. Innentheorie
  • aa) Umgehungsverhinderung durch Auslegung
  • bb) Umgehungsverhinderung durch Auslegung und Analogie
  • b) Die sog. Außentheorie
  • c) Bewertung in der Rechtsprechung
  • aa) Umgehungsverhinderung durch die wirtschaftliche Betrachtungsweise
  • bb) Umgehungsverhinderung durch Analogie oder teleologische Reduktion
  • cc) Umgehungsverhinderung durch die Subsumtion unter § 42 AO
  • dd) Umgehungsverhinderung durch Rechtsprechungstypisierungen
  • d) Eigene Auffassung
  • e) Zur praktischen Bedeutung des Streits zwischen Innen- und Außentheorie
  • f) Schlussfolgerung und Überlegung zu § 42 AO i. d. F. des JStG
  • 3. Missbrauchstatbestand des § 42 AO
  • a) Tatbestandsmerkmale des § 42 Abs. 2 S. 1 AO
  • aa) Gestaltungsmöglichkeit des Rechts
  • bb) Umgehung des Steuergesetzes
  • cc) Legaldefinition des Missbrauchs (§ 42 Abs. 2 S. 1 AO)
  • (1) Unangemessenheit der rechtlichen Gestaltung
  • (2) Gesetzlich nicht vorgesehener Steuervorteil
  • (3) Fehlen beachtlicher außersteuerlicher Gründe
  • (4) Missbrauchsabsicht
  • b) Spezialgesetzliche Konkretisierung der Steuerumgehung des § 42 Abs. 1 S. 2 AO
  • c) Verhältnis der Generalklausel des § 42 Abs. 1 S. 2 und 3 AO zu Spezialgesetzen
  • d) Rechtsfolge des § 42 Abs. 1 S. 3 AO
  • 4. Zusammenfassung
  • II Allgemeine Abgrenzung der gewerblichen und privaten vermögensverwaltenden Tätigkeit
  • 1. Gewerbemerkmale des § 15 Abs. 2 EStG
  • a) Positive Merkmale
  • aa) eine Betätigung
  • bb) Selbständigkeit der Tätigkeit
  • cc) Nachhaltigkeit der Tätigkeit
  • dd) Beteiligung am allgemeinen wirtschaftlichen Verkehr
  • ee) Gewinnerzielungsabsicht
  • b) Negative Merkmale
  • 2. Das ungeschriebene Gewerbemerkmal: Keine private Vermögensverwaltung
  • a) Rechtsgrundlage
  • b) Begriff der privaten Vermögensverwaltung
  • 3. Der Besteuerungsdifferenz von Einkünfte aus gewerblicher und vermögensverwaltender Tätigkeit
  • a) Dualismus der Einkünfteermittlung
  • b) Einordnung der Einkunftsarten
  • c) Schlussfolgerung
  • III Umgehungsgestaltungen i. S. d. § 42 AO bei der Abgrenzung zwischen gewerblicher und vermögensverwaltender Tätigkeit
  • 1. Fallgruppen
  • a) Der Missbrauch von Gestaltungsmöglichkeiten bei der Abgrenzung zwischen gewerblichem und privatem Grundstückshandel
  • aa) Abgrenzung des gewerblichen vom privaten Grundstückshandel
  • (1) Allgemeines
  • (2) Speziell: Die Drei-Objekt-Grenze
  • (a) Indizielle Bedeutung der Drei-Objekt-Grenze
  • (b) Einzelne Merkmale der Drei-Objekt-Grenze
  • (aa) Definition des Objekts
  • (bb) Veräußerung eines Objekts
  • (cc) Enger zeitlicher Zusammenhang
  • (3) Beteiligung an Personengesellschaften
  • (a) Allgemeines
  • (b) Ebene der Gesellschaft
  • (c) Ebene des Gesellschafters
  • (4) Beteiligung an Kapitalgesellschaften
  • (5) Grundstücksveräußerung von Ehegatten und nahen Angehörigen
  • bb) Typische Gestaltung zur Ausnutzung von Besteuerungsdifferenz bei gewerblichem und privatem Grundstückshandel
  • (1) Einführung
  • (2) Grundstücksgeschäfte durch die Einschaltung eines sog. Zwischenerwerbers
  • (a) Veräußerung an nahen Angehörigen
  • (aa) Die Auffassung der Rechtsprechung
  • (bb) Stellungnahme
  • (b) Veräußerung an Personen- oder Kapitalgesellschaft
  • (aa) Die Auffassung der Rechtsprechung
  • (bb) Stellungnahme
  • (3) Grundstückshandel mit Veräußerung eines Erbbaurechts
  • (a) Allgemeines
  • (b) Bewertung in der Rechtsprechung und in der Literatur
  • (c) Stellungnahme
  • cc) Zusammenfassende Systematisierung
  • b) Der Missbrauch der Gestaltungsmöglichkeit bei der Abgrenzung von gewerblicher Veräußerung und privater Vermietung/Verpachtung
  • aa) Begriff der Vermietung und Verpachtung i. S. d. § 21 EStG
  • bb) Typische Gestaltung zur Ausnutzung einer Besteuerungsdifferenz bei gewerblicher Veräußerung und Vermietung/Verpachtung
  • (1) Vermietungsgestaltungen im Zusammenhang mit Immobilienübertragungen
  • (a) Allgemeines
  • (b) Typische Fallkonstellationen
  • (c) Bewertung in der Rechtsprechung und Literatur
  • (d) Stellungnahme
  • (2) Vermietung eines Gebäudes durch den Gesellschafter einer Personengesellschaft an einen Dritten zur betrieblichen Nutzung der Gesellschaft
  • (a) Allgemeines
  • (b) Die Auffassung der Rechtsprechung
  • (c) Stellungnahme
  • cc) Zusammenfassende Systematisierung
  • c) Der Missbrauch der Gestaltungsmöglichkeit bei der Unternehmensformwahl – die Betriebsaufspaltung
  • aa) Einleitung
  • bb) Voraussetzungen und Rechtsfolgen der Betriebsaufspaltung
  • cc) Die Kritik an der Betriebsaufspaltung
  • dd) Typische Gestaltung zur Ausnutzung von Besteuerungsdifferenz bei der Unternehmensformwahl – die Betriebsaufspaltung
  • (1) Nutzungsüberlassung bei der echten Betriebsaufspaltung
  • (a) Allgemeines
  • (b) Bewertung in der Rechtsprechung
  • (aa) Auffassung des Reichsfinanzhofs
  • (bb) Auffassung des Bundesfinanzhofs
  • (c) Stellungnahme
  • (2) Nutzungsüberlassung bei der unechten Betriebsaufspaltung
  • (a) Allgemeines
  • (b) Bewertung in der Rechtsprechung
  • (c) Stellungnahme
  • (3) Zusammenfassende Systematisierung
  • 2. Schlussfolgerung
  • IV Zusammenfassung
  • Literatur- und Quellenverzeichnis

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Abkürzungsverzeichnis

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Einleitung und Problemstellung

Die Steuerumgehung ähnelt folgender Situation: Der Steuerpflichtige führt Regie in einem Film, alle Schauspieler spielen eine wichtige Rolle, sie unterwerfen sich dem Steuerpflichtigen, um ein gemeinsames Ziel, und zwar die Verhinderung der Steuerbelastung bzw. die Erteilung einer Steuerentlastung, zu verwirklichen. Der Schauspieler muss den körperlichen Ausdruck übertreiben, um die Aufmerksamkeit des Zuschauers auf sich zu ziehen. Ferner schließt der Steuerpflichtige häufig mehrere Rechtsgeschäfte ab, um den Gestaltungsmissbrauch zu verschleiern, wobei er den Blick des Finanzamts auch auf sich zieht. Jeder Film hat ein Thema, das wahrscheinlich vor einem bestimmten Hintergrund steht oder aus einem bestimmten Zeitabschnitt in der Vergangenheit stammt. Das gilt auch für die Steuerumgehung, d. h., dass es aufgrund des Wesens der Steuern oder der Unvollständigkeit oder einer Lücke in den Steuergesetzen dazu kommt, dass verschiedene Wege zur Steuerumgehung entstehen. Im Folgenden erläutere ich zunächst den Begriff der Steuern.

Gemäß § 3 Abs. 1 AO sind Steuern Geldleistungen, die nicht eine Gegenleistung für eine besondere Leistung darstellen und von einem öffentlich-rechtlichen Gemeinwesen zur Erzielung von Einnahmen allen auferlegt werden, bei denen der Tatbestand zutrifft, an den das Gesetz die Leistungspflicht knüpft. Hauptsächlich ist auf drei Merkmale des Begriffs „Steuern“ hinzuweisen: Das erste ist das Wesen der Steuer, d. h., dass Steuern eine Geldleistung und keine Gegenleistung für eine besondere Leistung sind. Das zweite ist, dass Steuern von einem öffentlich-rechtlichen Gemeinwesen (etwa Bund, Land, Gemeinde, Kirche) allen Steuerpflichtigen auferlegt werden müssen. Das dritte ist die Voraussetzung der Besteuerung, d. h. die Erfüllung der Tatbestände der Steuergesetze, so dass der Fiskus in das private Vermögen eingreifen kann.

Zum ersten Merkmal sagte B. Then in ihrer Passauer Dissertation „Der Gestaltungsmissbrauch i.S. des § 42 AO im Rahmen von Vermietungseinkünften“: „Bei Steuern handelt es sich um Geldleistungen, denen keine konkrete Gegenleistung gegenübersteht. Gerade auch aus diesem Grund wurde und wird vielfach der Versuch unternommen, sich der Steuerzahlungspflicht durch ein geschicktes Vorgehen zu entziehen. Insoweit ist zu beachten, dass Steuerpflichtige grundsätzlich nicht gehindert sind, ihre rechtlichen Verhältnisse so zu gestalten, dass die Steuerbelastung möglichst gering bleibt. Dieses Recht besteht indes nicht unbeschränkt.“1 Hierbei muss jedoch das auch als „das vornehmste Prinzip“ im ← 1 | 2 → Steuerrecht bezeichnete Leistungsfähigkeitsprinzip berücksichtigt werden. Dieses Prinzip besagt, dass bei gleichen wirtschaftlichen Verhältnissen oder Vorgängen die Steuerlast nach der persönlichen Leistungsfähigkeit gleichmäßig und gerecht auf alle Steuerpflichtige, die diesen wirtschaftlichen Vorgang verwirklichen, verteilt wird. Allerdings verwendet der Gesetzgeber nicht entsprechend den wirtschaftlichen Vorgängen die wirtschaftlichen Rechtsbegriffe, sondern greift auf die zivilrechtlichen Gestaltungen zurück, die hinter den zu besteuernden wirtschaftlichen Vorgängen stehen. Daher wird die Frage kontrovers diskutiert, ob man ohne weiteres durch andere privatautonome Gestaltungen das von der Norm erfasste wirtschaftliche Verhältnis vermeiden kann, wenn sich der Gesetzgeber einer bestimmten zivilrechtlichen Gestaltung als Begründung der Besteuerung bedient2. Der typische Fall ist die „Kettenschenkung“, die sich beispielweise wie folgt darstellen kann. Der Gewerbetreibende A überträgt betriebsnotwendige Grundstücke unter Nießbrauchsvorbehalt zunächst zur Hälfte auf seine Ehefrau, und dann übertragen beide sofort anschließend je zur Hälfte an die gemeinsamen Kinder. Dadurch soll eine künftige höhere Erbschaftsteuer vermieden werden, indem Kinderfreibeträge doppelt genutzt werden3. Das würde dazu führen, dass die Steuergesetze wirkungslos bleiben und das Leistungsfähigkeitsprinzip ausgehöhlt wird.

Aus diesem Grund kann man davon ausgehen, dass einerseits die zivilrechtlichen Begriffe nicht sämtlich auf das Steuerrecht übertragen werden können und dass andererseits die Anwendung der Steuergesetze sich nicht auf ihren Wortlaut beschränkt. Vielmehr ist der Zweck des Gesetzes zu ermitteln, da zwar die konkrete Gestaltung nicht mit dem von der Norm erfassten rechtlichen Geschehen übereinstimmt, aber wirtschaftlich den Zweck der Norm erfüllt, so dass nach dem Zweck des Gesetzes dem Steuerpflichtigen eine zu besteuernde Leistungsfähigkeit zuzuordnen ist. Daher entscheiden die Rechtsprechung und die Literatur bestimmte Fälle der Steuerumgehung mit Hilfe der teleologischen Auslegung bzw. der wirtschaftlichen Betrachtungsweise.

Die Kodifizierung der Verhinderung der Steuerumgehung wirkt der Gestaltungsfreiheit des Steuerpflichtigen nicht entgegen. Die meisten Steuerpflichtigen streben nach einer Steuerersparnis und richten ihren Lebenszuschnitt oder ihre Verbrauchsgewohnheit darauf ein. Der Steuerpflichtige hat selbstverständlich ein solches Auswahlrecht, damit er eine Steuerplanung vornehmen kann, z. B. ← 2 | 3 → kein Einkommen erzielt, nichts verbraucht oder nichts aufwendet, um den entsprechenden, an die wirtschaftliche Leistungsfähigkeit anknüpfenden Steuertatbestand zu vermeiden4. Ob im Einzelfall eine legitime Steuerersparnis vorliegt oder ob das Verhalten schon eine Steuerumgehung ausmacht, muss primär durch Gesetzesauslegung entschieden werden. Im Gegensatz dazu steht die Steuerhinterziehung. Diese ist an sich eine Täuschung. Während der Steuerpflichtige den Tatbestand der Steuerschuld realisiert, macht er z. B. den Finanzbehörden über steuerlich erhebliche Tatsachen unrichtige oder unvollständige Angaben oder lässt sie pflichtwidrig über steuerlich erhebliche Tatsachen im Unkenntnis, um Steuern zu verkürzen oder um nicht gerechtfertigte Steuervorteile zu erlangen5. Die Steuerhinterziehung täuscht nicht nur den Fiskus, sondern widerspricht auch dem Geist des Leistungsfähigkeitsprinzips.

Die Norm des § 42 AO, die durch das Jahressteuergesetz 20086 neu gefasst wurde, bedient sich des Missbrauchs als eines Typs der Steuerumgehung. Es ist umstritten, ob § 42 AO neben der teleologischen Interpretation von Steuergesetzen überhaupt eine eigenständige Bedeutung entfalten kann. Dabei stehen sich insofern Innen- und Außentheorie gegenüber, als die Steuerumgehung von innen durch teleologische Interpretation der umgangenen Norm oder von außen durch die Anwendung des § 42 AO abgewehrt werden kann7.

In Hinsicht auf die Besonderheit der Einkünfte aus Gewerbebetrieb, die nicht nur einkommensteuerrechtlich, sondern auch gewerbesteuerrechtlich bedeutsam sind, stellt der Gewerbetreibende sein Tun möglichst nicht als Beteiligung am allgemeinen wirtschaftlichen Verkehr dar, um eine Einordnung als gewerbliche Tätigkeit zu vermeiden. In vielen, häufig umstrittenen Fällen bedient sich der Steuerpflichtige der Methode, die gewerbliche Tätigkeit in eine private vermögensverwaltende Tätigkeit zu kleiden, um die Besteuerung als Einkünfte aus Gewerbebetrieb gemäß § 15 EStG zu verhindern. Der typische Fall ist die Veräußerung eines Grundstücks durch Einschaltung eines sog. Zwischenerwerbers8. Zum Beispiel erwirbt der Steuerpflichtige A fünf Grundstücke und tätigt erhebliche Investitionen zur Wertverbesserung der Grundstücke. Dann veräußert A die ← 3 | 4 → Grundstücke in etwa zum Verkehrswert in einem einzigen Kaufvertrag an den Zwischenerwerber B, der die Grundstücke an Dritte veräußert9. Bei diesem Fall kann man über folgende Fragen nachdenken: erstens, ob die Tätigkeit des A einen Gewerbebetrieb darstellt. Dazu müssen die Merkmale des Gewerbebetriebs nach § 15 Abs. 2 EStG überprüft werden. Die zweite Frage ist, wie man die Tätigkeit von A bewerten kann, wenn sie für sich genommen die Merkmale des Gewerbebetriebs zwar nicht erfüllt, seine gewerblichen Interessen aber bei wirtschaftlicher Betrachtung gleichwohl verwirklicht wurden. Es ist also durch Abgrenzung zwischen Gewerbebetrieb und privater Vermögensverwaltung zu entscheiden, ob seine Tätigkeit nur private Vermögensverwaltung oder einen Gestaltungsmissbrauch darstellt. In der Praxis veräußert der Steuerpflichtige die Grundstücke über den Zwischenerwerber, um die von der Rechtsprechung entwickelte „Drei-Objekt-Grenze“ zu vermeiden. Auch andere Tätigkeiten des Gewerbetreibenden müssen häufig von der privaten Vermögensverwaltung abgegrenzt werden. Ein Beispiel ist die Veranlassung der Vermietungstätigkeit durch eine übergeordnete betriebliche Tätigkeit, insbesondere bei der Betriebsverpachtung als „verdeckte“ Betriebsveräußerung. Ein anderes Beispiel ist die Betriebsaufspaltung, wo die Beteiligung an vermögensverwaltenden Kapitalgesellschaften von der gewerblichen Betätigung abgegrenzt werden muss10. Solche Fälle führen i. d. R. dazu, dass das Finanzamt bei Prüfung der Steuererklärung des Gewerbetreibenden sofort den Fragen nachgeht, welche Rolle der Gewerbetreibende eigentlich spielt und welche Sachverhalte er ggf. verschleiert.

Deshalb betrifft die vorliegende Arbeit vor dem Hintergrund des Gestaltungsmissbrauchs die Abgrenzungsfälle zwischen den Einkünften aus Gewerbebetrieb und privater Vermögensverwaltung. Diese Arbeit befasst sich neben der methodischen Einordnung der Steuerumgehung damit, den Gewerbebetrieb zu definieren, die gewerbliche von privater vermögensverwaltender Tätigkeit abzugrenzen sowie missbräuchliche Gestaltungsmöglichkeiten bei der Abgrenzung zwischen gewerblicher und privater vermögensverwaltender Tätigkeit zu erörtern. Der Schwerpunkt liegt darauf, die sich auf Steuerumgehung beziehende Methodenlehre auf diese Abgrenzungsfälle anzuwenden, um anhand dessen zu ermitteln, in welchen Abgrenzungsfällen eine Steuerumgehung vorliegt.

1 B. Then, Der Gestaltungsmissbrauch i.S. des § 42 AO, S. 1.

Details

Seiten
XVI, 218
Jahr
2015
ISBN (PDF)
9783653051391
ISBN (ePUB)
9783653975260
ISBN (MOBI)
9783653975253
ISBN (Paperback)
9783631657812
DOI
10.3726/978-3-653-05139-1
Sprache
Deutsch
Erscheinungsdatum
2014 (Oktober)
Schlagworte
Umgehungsgestaltungen Missbrauchsabwehr Rechtsanwendung Steuerrecht
Erschienen
Frankfurt am Main, Berlin, Bern, Bruxelles, New York, Oxford, Wien, 2015. XVI, 218 S.

Biographische Angaben

Chiu Chen (Autor:in)

Chen Chiu studierte Finanz-Rechtswissenschaft an der Chung Yuan Christian Universität in Chung-Li (Taiwan) sowie Rechtswissenschaft an der Universität Taiwan in Taipeh (Taiwan). Zuletzt war sie als Rechtsanwältin bei einer Kanzlei in Taipeh tätig.

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Titel: Die Steuerumgehung i. S. d. § 42 AO
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