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Acta Germanica

German Studies In Africa

von Carlotta von Maltzan (Band-Herausgeber:in)
©2015 Dissertation 214 Seiten

Zusammenfassung

Die ersten drei Beiträge setzen sich mit Reiseberichten über Afrika aus dem 18. und 19. Jahrhundert auseinander, von den Reisen des österreichischen Afrikaforschers Oscar Baumann nach West- und Ostafrika bis zu den Reisen von Georg Forster und Adelbert von Chamisso ans Kap der Guten Hoffnung. Es folgen eine vergleichende Untersuchung der Romane Zeit der Nordwanderung von Tajjib Salich und Vergiss Ägypten von Barbara Frischmuth sowie eine Auseinandersetzung mit dem Rassismus- und Antisemitismusvorwurf gegenüber Christian Kracht, insbesondere nach der Veröffentlichung von Imperium. Weitere Aufsätze befassen sich mit Ilija Trojanows Roman Der Weltensammler, Jugendbüchern über Afrika – von Herbert Kaufmanns Der Teufel tanzt im Ju-Ju-Busch (1956) bis zu Thomas Fuchs Akwaaba, ein Sommer in Afrika (2006) und Katja Brandis Gepardensommer (2009) – sowie mit André Brinks Roman The Other Side of Silence und schließlich einer Untersuchung des Werkes des südafrikanischen Germanisten Trümpelmann (1903-1982). Mit den Auswirkungen des Ersten Weltkriegs, hundert Jahre nach dessen Ausbruch, befassen sich im zweiten Teil des Buches zwei Analysen: Einmal wird Stephan Wackwitz, bisher als Familienroman eingestuftes Buch, Ein unsichtbares Land von 2003 neu beleuchtet, zum anderen wird ein Überblick über die deutsche Übersetzungsliteratur während des Ersten Weltkriegs unter dem Aspekt des «militarisierten» Buchhandels vermittelt. Der letzte Beitrag setzt sich mit Büchners Briefen als intertextuelle Selbstzeugnisse auseinander und verortet diese in seinem Gesamtwerk neu.
The first three contributions survey eighteenth and nineteenth century travel writing on Africa: from the travelogues of the Austrian researcher Oscar Baumann, who travelled to West and East Africa, to the reports given by Georg Forster and Adelbert von Chamisso on their trips to the Cape of Good Hope. These opening articles are followed by comparative analyses of the novels Zeit der Nordwanderung by Tajjib Salich and Vergiss Ägypten by Barbara Frischmuth. A further essay deals with allegations of racism and anti-semitism levelled against Christian Kracht following the publication of his novel Imperium. The next few studies deal with Ilija Trojanov’s novel Der Weltensammler, with youth literature in African settings – including Herbert Kaufmann’s Der Teufel tanzt im Ju-Ju-Busch (1956), Thomas Fuchs’s Akwaaba, ein Sommer in Afrika (2006), and Katja Brandis’s Gepardensommer (2009) – as well as with André Brink’s novel The Other Side of Silence. The work of the South African German Studies scholar Trümpelmann (1903-1982) is the subject of another article. Two contributions in the second part of this volume examine – one hundred years after its declaration – the consequences of World War I: Stephan Wackwitz’s novel Ein unsichtbares Land (2003), hitherto categorised as «Familienroman» is being subjected to a new reading, and German literature in translation during World War I receives renewed attention, with a focus on the conditions of a militarised book trade. The final article makes a novel contribution in considering Büchner’s letters intertextually, showing their import for his work as a whole.

Inhaltsverzeichnis

  • Cover
  • Titel
  • Copyright
  • Autorenangaben
  • Über das Buch
  • Zitierfähigkeit des eBooks
  • Inhalt
  • Teil 1: Afrika schreiben / Part 1: Writing Africa
  • Der wissenschaftliche Reisebericht und Kolonialismus: Die Forschungsreisen von Oscar Baumann nach West- und Ostafrika
  • Abstract
  • The scientific travelogue and colonialism. The expeditions of Oscar Baumann to West and East Africa
  • Einführung
  • Baumanns Reisen nach Afrika
  • Kritik an arabischem Sklavenhandel
  • Englische Mission
  • Zwangsarbeit: Die neue Form des Kolonialismus
  • Schluss
  • Anmerkungen
  • Literatur
  • Techne und Poiesis: Die Entdeckung wissenschaftlicher und poetischer Verfahren der Reisebeschreibung
  • Abstract
  • Techne and Poiesis. The discovery of scientific and poetological methods of travelogues
  • 1.
  • 2.
  • 3.
  • 4.
  • 5.
  • Anmerkungen
  • Literatur
  • Musterländle oder „Vorstadt der Heimat“?: Forster und Chamisso am Kap der Guten Hoffnung
  • Abstract
  • Ideal Society or „Suburb of my Home“? Forster’s and Chamisso’s Stay at the Cape of Good Hope
  • Anmerkungen
  • Literatur
  • Grenzgänger der Kulturen: Identitätsstiftende Fremdheitserfahrungen in Tajjib Salichs Zeit der Nordwanderung und Barbara Frischmuths Vergiss Ägypten
  • Abstract
  • Across cultures. Identity and the experience of cultural strangeness in Tajjib Salich’s Zeit der Nordwanderung and Barbara Frischmuth’s Vergiss Ägypten
  • Transkulturelle Identitäten in einer globalisierten Welt
  • Zeit der Nordwanderung und der postkoloniale Diskurs
  • Vergiss Ägypten und die Auflösung von Kulturgrenzen
  • Fazit
  • Anmerkungen
  • Literatur
  • Kracht, Coppola und Conrad: Intertextualität als Rassismuskritik in Imperium und Ich werde hier sein im Sonnenschein und im Schatten
  • Abstract
  • Kracht, Coppola und Conrad. Intertextuality as a critique of racism in Imperium and Ich werde hier sein im Sonnenschein und im Schatten
  • Was will Christian Kracht?
  • Im Herz der Finsternis
  • Schluss
  • Anmerkungen:
  • Literatur:
  • Wer spricht?: Zur Interaktion von Leser, Text und Kontext in Ilija Trojanows Roman Der Weltensammler
  • Abstract
  • Who speaks? The interaction of reader, text and context in Ilija Trojanow’s novel The Collector of Worlds
  • Postkolonialität und deutsche Literatur
  • Subalternes Sprechen?
  • Die Erzählperspektive im Weltensammler
  • Das Entweder-Oder und die Frage der Macht
  • Ambivalenzen und die Macht des Diskurses
  • Wahrheit und Identität
  • Anmerkungen
  • Literatur
  • Initiation im Jugendbuch über Afrika: Herbert Kaufmanns Der Teufel tanzt im Ju-Ju-Busch (1956) als Kontrapunkt zu exotischen Abenteuererzählungen
  • Abstract
  • Initiation in German youth literature set in Africa: Herbert Kaufmann’s Der Teufeltanzt im Ju-Ju-Busch (1956) as a counterpoint to exotic adventure stories
  • Afrika in der Kinder- und Jugendliteratur
  • Die Rezeption der Kinder- und Jugendliteratur über Afrika
  • Problemstellung
  • Herbert Kaufmanns Der Teufel tanzt im Ju-Ju-Busch (1956)
  • Die Bedeutung der Initiation in der Abenteuerliteratur
  • Der Teufel tanzt im Ju-Ju-Busch als Afrika-Initiationserzählung
  • Die Initiationserzählung als Dekonstruktion des ungleichen Machtverhältnisses zwischen Afrika und Europa
  • Die Afrika-Initiationserzählung als Kontrapunkt zur traditionellen Abenteuererzählung
  • Anmerkungen
  • Literatur
  • Ins Fremde reisen: Das Jugendbuch als kulturelle Brücke bei Thomas Fuchs und Katja Brandis
  • Abstract
  • Travels to foreign lands. German youth novels on Africa by Thomas Fuchs and Katja Brandis as a Cultural Bridge
  • Anmerkungen
  • Literatur
  • Der Aspekt der Einfühlungsästhetik in André Brinks The Other Side of Silence
  • Abstract
  • The aspect of aesthetic empathy in André Brink’s The Other Side of Silence
  • Einleitung
  • Stimmen der Erzählung
  • Faktion – Fakten und Fiktion
  • Sprache und Kommunikation – der Schlüssel zum Verstehen
  • Zusammenfassung
  • Anmerkungen
  • Literatur
  • „Die Vertreter deutscher Art und Kultur kämpfen hier in Südafrika einen harten Kampf …“: Georg Paul Johannes Trümpelmann und seine verschollene Dissertation an der Universität Leipzig – eine Spurensuche
  • Abstract
  • “The representatives of German character and culture fight a hard battle here in South Africa …”. Georg Paul Johannes Trümpelmann and his lost dissertation at Leipzig University – an investigation.
  • Anmerkungen
  • Literatur
  • Anhang I
  • 1 Anhang II: Bild- und Dokumententeil
  • Abb. 1: Studienbescheinigung vom 28. November 1928 (Quelle: priv., Fam. Trümpelmann)
  • Abb. 2: Urkunde anlässlich der Aufnahme in die akademische Bürgerschaft vom 20. April 1927 (Quelle: priv., Fam. Trümpelmann)
  • Abb. 3: Vorläufiges Promotionszeugnis vom 2. Januar 1930 (Quelle: priv., Fam. Trümpelmann)
  • Abb. 4: Abgangszeugnis vom 29. November 1928 (Quelle: priv., Fam. Trümpelmann)
  • Abb. 5: Promotionsurkunde der Universität Pretoria vom 13. April 1946 (Quelle: priv., Fam. Trümpelmann)
  • Abb. 6, 7, 8: G. P. J. Trümpelmann 1935 in Windhuk sowie 1963 und Mitte der 1970er Jahre in Stellenbosch (Quellen: priv., Fam. Trümpelmann bzw. Universität Stellenbosch, Universitätsarchiv, Edrich-Fotosammlung, Nr. 38937 bzw. 02170)
  • Abb. 9: G. P. J. Trümpelmann (Mitte), daneben MA-Absolvent Oskar Prozesky (rechts) während einer Graduierungsveranstaltung der Universität Stellenbosch, April/Mai 1972 (Quelle: Universität Stellenbosch, Universitätsarchiv, Edrich-Fotosammlung, Nr. 03436)
  • Abb. 10: Urkunde des Goethe-Instituts zur Verleihung der Goethe-Medaille in Silber vom 28. August 1957 (Quelle: priv., Fam. Trümpelmann
  • Teil 2: Allgemeine Beiträge / Part 2: Contributions to German Studies
  • Der sehr lange Schatten von 1914: Anmerkungen zu Stephan Wackwitz Ein unsichtbares Land
  • Abstract
  • The very long shadow of 1914. Remarks on Stephan Wackwitz’ An Invisible Land
  • Anmerkungen
  • Literatur
  • Der „militarisierte“ Buchhandel?: Die deutsche Übersetzungsliteratur im Ersten Weltkrieg
  • Abstract
  • „Militarised” book market? Foreign literature in German translation during the First World War
  • Einleitung
  • Statistische Erhebungen für das Jahr 1917
  • Literatur aus Belgien und die deutsche Flamenpolitik
  • Polnische Literatur im Weltkrieg: von der Peripherie ins Zentrum
  • Ausblick
  • Anmerkungen
  • Literatur
  • Büchners Briefe als intertextuelle Selbstzeugnisse
  • Abstract
  • Büchner’s letters as intertextual self-explications
  • Autobiographisches Schreiben als Selbstentwurf
  • Porträt des Schriftstellers als junger Mann
  • Autobiographie und Subjektivität
  • Briefe und/als Selbstzeugnisse
  • Probleme der Briefüberlieferung
  • Büchners Briefe als Selbstexperimentiergrund und poetologische Werkstatt Briefe an die Eltern
  • Briefe an Minna Jaeglé
  • Anmerkungen
  • Literatur
  • Buchbesprechungen / Book Reviews
  • Wahrheit und Erfindung. Grundzüge einer Allgemeinen Erzähltheorie.
  • Afrika – Raum – Literatur. Fiktionale Geographien. / Africa – Space – Literature. Fictional Geographies.
  • Die Fremde als Heimat. Heimatkunst, Kolonialismus, Expeditionen.
  • Literatur
  • Schwerpunkt der DaF-Studiengänge und Germanistik im östlichen Afrika.
  • Ilija Trojanow.
  • Notes on Contributors

Der wissenschaftliche Reisebericht und Kolonialismus

Die Forschungsreisen von Oscar Baumann nach West- und Ostafrika

METIN TOPRAK

Universität Kocaeli

 

Abstract

The scientific travelogue and colonialism. The expeditions of Oscar Baumann to West and East Africa

Austrian researcher of African culture and history Dr Oscar Bauman undertook several journeys to African countries towards the end of the nineteenth century which he described in several books before he died in Zanzibar at the age of 35. Particularly, in his work entitled In Deutsch-Ostafrika während des Aufstandes published in 1890, he compares and contrasts the politics of colonialism put into practice by Arabs in East Africa with the colonial approach exercised by Europeans in West Africa; he criticizes the slave trade carried out by colonizers in the whole of Africa – especially by Arabs in Zanzibar - and the oppression of the local work force. Another considerable topic in Baumann’s travelogues is his discussion and criticism of the methods employed by English missionaries and their colonial approach, which according to him are idealistic but not practical. Thus Baumann attacks two significant practices employed by the colonizers in Africa and offers new understandings. Even if Baumann’s viewpoints and suggestions, on the surface, seem to be consistent with the norms of humanism, in fact when analysed more closely, it is obvious that they are also compatible with the goals of the new colonial understanding that appeared in the 19th century.

Denn die Tropenwelt ist eine Circe, wer einmal in ihren Bann getreten, den verlässt die Sehnsucht nach ihr nicht mehr, er muss wieder in das Land der Sonne zurückkehren und sei es, wie der Engländer sagt, „um seine Knochen dort zu lassen“. (Baumann 1890:17)

Einführung

Das letzte Viertel des 19. Jahrhunderts bildet innerhalb der Kolonialgeschichte Afrikas eine Periode wichtiger Veränderungen und gilt als Zeit der Entdeckungen. Anfang der 80er Jahre des 19. Jahrhunderts war Afrika keine terra incognita mehr. Diese zeitliche Periode umfasst zugleich auch die erste Phase des mit dem Ausbruch des Ersten Weltkrieges zu Ende gegangenen „Hochimperialismus“. Auch die deutsche Kolonial ← 9 | 10 → bewegung hatte während dieser Zeit ihr Ziel erreicht, eigene Kolonien zu erwerben und in den Kreis der Kolonialmächte einzutreten (Zimmerer 2004:16). Diese Bestrebung des deutschen Kaiserreichs hatte zur Folge, dass Bismarck 1884 in Berlin die Kongo-Konferenz organisierte, die schließlich zur Aufteilung des Kontinents unter den europäischen Kolonialmächten führte. Deutschland erhielt insgesamt vier Gebiete, deren Verwaltung erst von dem deutschen Reich ab 1891 offiziell übernommen werden sollte. (Lindner 2011:103; Warnke 2009:16) Da über erworbene Kolonien kein ausreichendes Wissen vorhanden war, die man für wirtschaftlich-militärische Zwecke, für die Beherrschung und Verwaltung der erworbenen „Schutzgebiete“ benötigte, organisierte man Expeditionen und Forschungsreisen mit beauftragten Wissenschaftlern, deren Ziel es war, die dafür nötigen umfassenden Informationen zu beschaffen. Die seit Mitte des 19. Jahrhunderts entstandenen geographischen Gesellschaften spielten dabei eine entscheidende Rolle, die sich neben der wissenschaftlichen Forschung auch mit den „Problemen der Auswanderung und der Kolonisation beschäftigten.“ (Gründer 2005:39) Auch die Forschungsreisen des österreichischen Geographen Dr. Oscar Baumann nach Afrika und seine Reisebeschreibungen können in diesem Zusammenhang betrachtet werden, da sie einen diesem Ziel dienenden Inhalt haben. Unter den von Baumann publizierten Büchern befindet sich auch ein literarisches Werk mit dem Titel Afrikanische Skizzen1 (1900), in dem er, wie er selbst meint, „statt der üblichen Behandlung die leichtere Form der Erzählung gewählt“ hat (Baumann 1900:1). Für diese Arbeit wurden allerdings Reisebeschreibungen herangezogen, in denen er eine wissenschaftliche Form bevorzugt. Hierzu zählt insbesondere seine nach den ersten zwei Reisen erschienene Reisebeschreibung In Deutsch-Ostafrika während des Aufstandes (1890), da er darin die von Arabern in Ostafrika durchgeführte Kolonialpolitik mit der der Europäer in Westafrika vergleicht und zum Teil kritisiert sowie neue Methoden vorschlägt, die zur Verbesserung der Lage der indigenen Bevölkerung in den Kolonien dienen, aber auch dazu beitragen sollen, dass die neue koloniale Macht ihre Ziele bewerkstelligt.

Baumanns Reisen nach Afrika

Als Oscar Baumann 1899 in Wien an Folgen einer Krankheit starb, war er gerade erst 35 Jahre alt. Die tödliche Krankheit hatte er sich in Sansibar zugezogen, wo er seit 1896 als österreichischer Konsul tätig war. Er unternahm ab 1885 mehrere Forschungsreisen nach Afrika, deren Ergebnisse er in mehreren Büchern und Artikeln festgehalten hat, die ethnografische, naturkundliche und vor allem geografische Beschreibungen enthalten. Seine Reisen können im Bereich der seit der Aufklärung systematisch geplanten und durchgeführten wissenschaftlichen Forschungsreisen eingeordnet werden, deren Tradition „zurück bis in Zeitalter der Entdeckungen“ (Brenner 1990:243) reicht. Seit Ende des 18. Jahrhunderts hatte sich eine neue Form des Reiseberichtes entwickelt, der von Forschern verfasst wurde, die an diesen Reisen teilgenommen hatten, um bestimmte wissenschaftliche Projekte durchzuführen. Der Inhalt des wissenschaftlichen Reiseberichts wird hauptsächlich davon bestimmt, welche Ziele und Interessen die unternommene Reise verfolgt, von wem oder von welcher Institution der Forscher den Auftrag erhalten hat und zu welcher wissenschaftlichen Fachdisziplin er gehörte. Die Verwissenschaftlichung des Reiseberichts hatte zur Folge, dass die neue Form im ← 10 | 11 → Gegensatz zu den üblichen Reiseberichten von einem bestimmten Publikum wahrgenommen und gelesen wurde.2 Diese Feststellung gilt auch für Baumanns Reiseberichte, die in Buchform veröffentlicht worden sind, obwohl er im Gegensatz zu seinen in den wissenschaftlichen Zeitschriften erschienenen zahlreichen Artikeln auf eine fachspezifische Terminologie verzichtet und wie auch die folgenden Worte zeigen, mit denen er Sansibar dem Leser vorstellt, eine ausdrucksvolle Darstellung der Natur und der Menschen bevorzugt:

Die Stadt selbst mit ihrem unendlichen Labyrinth von Gassen und Gässchen, mit gemauerten, oft recht ansehnlichen Gebäuden und dem reizenden, in Palmen und Mangos eingebetteten Negerviertel von Ngambo, mit ihren Bazars und den zahlreichen, malerisch gekleideten orientalischen Typen der Suahilis, Araber, Indier und anderer Völker des Ostens bringt ein interessantes und farbenprächtiges Bild hervor, das man in Westafrika vergeblich suchen würde. (Baumann 1890:195)

Oscar Baumann, der bereits mit neunzehn Jahren seine erste Forschungsreise nach Montenegro unternahm, nahm insgesamt an vier Forschungsreisen nach Afrika teil. Seine erste Reise, an der er als Topograph und Assistent von Oskar Lenz teilnahm, der die österreichische Kongo-Expedition organisierte, führte ihn 1885 nach Westafrika, wo auch seine Dissertation über die Insel Fernando-Poo und deren Bewohner entstand.3 Die drei übrigen Reisen zwischen 1888 und 1893 unternahm er nach Deutsch-Ostafrika: 1888 begleitete er als Topograph und Partner den Leipziger Verleger Hans Meyer, der den Gipfel des Kilimanjaro besteigen wollte. 1890 nahm er an der im Auftrag der Deutsch-Ostafrikanischen Gesellschaft durchgeführten Forschungsreise teil, deren Ziel es war, die Region um die Usambara-Berge nach besseren Transportmöglichkeiten zu erforschen. Schließlich war er zwischen 1891 und 1893 auch Teil der vom deutschen Antisklaverei Komitee finanzierten „Massai Expedition“, die im Grunde ähnliche Ziele verfolgte. Es muss allerdings hinzugefügt werden, dass diese Reisen nach Afrika das vorgegebene Ziel nicht immer erreichten. Bereits seine erste Reise musste Baumann aufgrund einer Erkrankung frühzeitig abbrechen und für lange Zeit in Stanley Falls bleiben, wo er die Swahili-Sprache lernen sollte. Besonders erwähnenswert in diesem Zusammenhang ist seine zweite Reise, die er mit Hans Meyer nach Ostafrika unternahm. Auch diese Reise musste scheitern, weil sie kurz vor ihrem Ziel von den aufständischen Arabern gefangen genommen und erst nach Verhandlungen gegen Lösegeld freigelassen wurden. Dieser Vorfall sollte von Baumann in einem nach dieser Reise entstandenen Buch mit dem Titel In Deutsch-Ostafrika während des Aufstandes ausführlich beschrieben werden. Zu den Lösegeldverhandlungen mit Buschiri bin Salim heißt es darin:

Als wir Buschiri aufforderten, unsere Ketten zu lösen, antwortete er „Inschallah“ und verliess mit seiner Begleitung den Raum, uns mit dem alten Indier allein lassend. Dieser begann nun eine längere Rede zu halten, in welcher er seine Sorge um unser Wohl, seine Liebe zu uns u. s. w. ins rechte Licht setzen wollte. Wir unterbrachen ihn etwas ungeduldig, worauf er uns mittheilte, Buschiri sei entschlossen, uns umzubringen, „ku tschindscha, ku piga bunduki", abzuschlachten, mit dem Gewehr zu erschiessen. […] Zuletzt betonte er noch seine Uneigennützigkeit und nannte die Summe von 10.000 Rupies, welche er, wie er hinzufügte, Dr. Meyer gegen eine Anweisung creditiren und sofort an Buschiri auszahlen wollte. (Baumann 1890:136)

Die wissenschaftlichen Darstellungen seiner Reiseergebnisse beschränken sich also nicht nur auf Messungen und Zeichnungen. Auch die Kultur der indigenen Bevölkerung ← 11 | 12 → verdient die Aufmerksamkeit des humanistisch gesinnten Wissenschaftlers, der, wie seine Bemerkungen über die einheimische Bevölkerung zeigen, in denen er die Treulosigkeit, Undankbarkeit und Verlogenheit zu deren Haupteigenschaften zählt, nicht von allen Vorurteilen frei ist (vgl. Baumann 1991:32; 123). Er klassifiziert und hierarchisiert die Volksstämme ausgehend vom Verhalten der Frauen einzelner Stämme. Dabei bildet das sexuelle Verhalten der Frau und ihre Nacktheit das Hauptkriterium dafür, ob ein Volkstamm als intelligent, sittlich, wild oder primitiv einzustufen ist und sogar zum Kannibalismus neigt oder nicht (Fuchs 2003:133). In seinen Beschreibungen sind von Sitte, Glaube, Moral, Struktur der Familie, Stellung der Frau, Erziehungssystem, Sprache, Musik bis hin zur Lage der Behinderten eine ganze Reihe von interessanten Beobachtungen über die afrikanische Kultur zu lesen. Baumanns folgende Bemerkung über die Lieder4 der ostafrikanischen Bevölkerung veranschaulicht sein großes Interesse für das kulturelle Leben in Afrika:

Alle Swahililieder, wie die Gesänge fast aller orientalischen Völker, haben einen etwas schwermüthigen Charakter. Ueber die der übrigen mir bekannten Bantustämme, worunter ich besonders die Bakongo und Bewohner des oberen Kongo und der westafrikanischen Küste, sowie des ostafrikanischen Hinterlandes nenne, erheben sich die Swahililieder weit durch das Vorhandensein einer wirklichen Melodie, während man bei den anderen Stämmen eigentlich nur von einem Rhythmus sprechen kann. (Baumann 1891:50)

Baumanns Interesse gilt nicht nur den Melodien, Sprachen, der Religion und den Sitten der einheimischen Bevölkerung, sondern auch der Kultur einiger anderer Volksgruppen, die ursprünglich keine Afrikaner sind. Neben der indigenen Bevölkerung werden von Baumann insgesamt drei Gruppen genannt, die von ihm nicht unter der Kategorie der „Eingeborenen“ erfasst werden, sondern als „Culturvölker“ bezeichnet werden. Es sind die Araber, die Inder und die zuletzt gekommenen Europäer, die von Baumann beobachtet und zum Teil ausführlich beschrieben werden. Dabei erlangen speziell die Araber und Engländer, die einen wesentlichen Einfluss auf das kulturelle, gesellschaftliche und wirtschaftliche Leben im östlichen Teil des Kontinents ausübten, Baumanns besondere Aufmerksamkeit. Für seine deutschen Auftraggeber, die in Afrika dauerhafte Kolonien gründen wollten, beobachtet Baumann die Schwächen und Stärken dieser beiden wichtigen Gruppen, deren koloniale Erfahrung in Afrika auf eine lange Tradition zurückblickt. Neben einer kritischen Haltung beiden Gruppen gegenüber ist insbesondere bei den Schilderungen über die Tätigkeiten der englischen Missionare ein ironischer Unterton nicht zu verkennen.

Kritik an arabischem Sklavenhandel

Aufgrund der europäischen Selbstkritik ist ausreichende Information über den von westlichen Kolonialmächten durchgeführten Sklavenhandel vorhanden. Obwohl dem von den Arabern mindestens seit dem 7. Jahrhundert praktizierten Sklavenhandel wahrscheinlich weit mehr Afrikaner zum Opfer fielen, kann mit Sicherheit gesagt werden, dass darüber keine ausreichende Information vorhanden ist. Da sich in der arabisch-islamischen Welt eine Tradition der Selbstkritik kaum entwickelt hat, fehlen kritische Auseinandersetzungen mit diesem großen Problem, das bis heute nicht völlig gelöst wurde. Die von Baumann bereiste afrikanische Ostküste ist der Ort, wo der Handel mit Sklaven erst 1917 eingestellt wurde, obwohl dort bereits 1845 durch den Hamerton ← 12 | 13 → Vertrag die Ausfuhr von Sklaven verboten wurde (vgl. Bückendorf 1997:372). Daher verdankt sie ihren von Baumann geschilderten Reichtum im 19. Jahrhundert neben dem Gewürz- und Elfenbeinhandel vor allem dem von Arabern seit Jahrhunderten betriebenen östlichen Sklavenhandel, dessen Zentrum die Insel Sansibar war (Obrecht 2006:107). Nachdem der Sklavenhandel in Westafrika ab Anfang des 19. Jahrhunderts schrittweise verboten wurde, entwickelte sich die Insel zu einem Zentrum des internationalen Sklavenhandels. Baumann meint, dass die Araber in Ostafrika ein „mächtiges Culturwerk“ errichtet haben und vergleicht es mit der Leistung der Europäer mit ihren zahlreichen Niederlassungen in Westafrika, die gegenüber den Eingeborenen im Grunde nichts erreicht haben (Baumann 1891:66). Die Araber bestimmten nicht nur das kulturelle Leben in Ostafrika, auch politisch waren sie sehr stark und bildeten eine koloniale Macht, die Baumanns Ansicht nach mit Waffen nicht zu überwinden, aber mit Geld und guten Worten verhältnismäßig leicht beizukommen sei (Baumann 1890:139f). Die politische und kulturelle Vorherrschaft der Araber ermöglicht es ihnen ein vornehmes Leben zu führen und „sich mit Stolz und Würde durch die Menge“ zu bewegen (ebd.:22). Die Eingeborenen gehorchen ihren Einflüssen und Befehlen willenlos. Sie gehören zu einer hohen Klasse, die „niemals etwas gearbeitet haben“ (Baumann 1891:65). Es könnte nun die Frage aufgeworfen werden, wie es den Arabern gelungen ist, ohne gearbeitet zu haben, die Grundlage für ein vornehmes Leben zu schaffen, wie es von Baumann beschrieben wird. Baumann beantwortet diese Frage folgendermaßen:

Es mag auffallend erscheinen, dass die Araber, die doch in Ostafrika die Macht in Händen halten und an Geschäftsklugheit den Indern wohl kaum nachstehen, sich von den Letzteren derart überflügeln lassen. Es gibt wirklich wenige Araber, die in Bezug auf ihr flüssiges Vermögen mehr als wohlhabend genannt werden können: an Grundbesitz und Sklaven sind wohl viele reich, nicht aber an Geldmitteln. Letztere besitzt nur ein Araber in Ostafrika in wirklich bedeutenden Mengen: der Sultan von Sansibar. (Baumann 1890:198)

Sie sind hauptsächlich Farmbesitzer, die mithilfe der Sklaven, von denen sie zahlreiche besitzen, das Land bebauen. Nebenbei treiben sie auch Handel, der wiederum in Ostafrika vorwiegend von Indern praktiziert wird, die erst Anfang des 19. Jahrhunderts an die ostafrikanische Küste gekommen waren. Ausgehend von dieser Darstellung von Baumann kann gesagt werden, dass die Araber dank der von ihnen betriebenen Sklaverei, ihre Macht in Ostafrika aufrechterhalten und ein hohes Ansehen genießen können. Baumann vergleicht die Stellung der Araber in Ostafrika mit der Stellung der Europäer in Westafrika und meint, dass man beobachten könne:

dass das Ansehen, welches die Europäer im Westen noch fast überall bei den Negern genießen, in Ostafrika auf ein sehr geringes Maß beschränkt ist. Die erste Stelle behauptet dort der Araber, der angestammte Herr des Landes, der allen Negern das Bewusstsein sklavischer Abhängigkeit beigebracht hat. (Baumann 1890:196)

Dass die indigene Bevölkerung gegen diese „sklavische Abhängigkeit“ keinen Widerstand leistet, wird von Baumann damit begründet, dass die als Arbeitskraft benutzten Sklaven von den arabischen Farmbesitzern sehr gut behandelt werden, zwei Ruhetage haben und viele von ihnen nach einem bestimmten Alter frei werden. Allerdings werden sie auch als freie Menschen von ihrem „Herrn“ verpflegt. Baumann schildert sogar Fälle, bei denen einige von diesen „Herren“ von ihren Sklaven misshandelt werden. Trotz dieser positiven Äußerungen von Baumann zur Lage der Sklaven in Ostafrika ← 13 | 14 → kann nicht behauptet werden, dass die Araber bei Sklavenjagd, -transport und -handel bessere Methoden entwickelt haben als die europäischen Kolonialmächte in Westafrika (vgl. Ki-Zerbo 1979:242f). Baumann glaubt aber insgesamt, dass die Lage der Sklaven in Ostafrika gegen Ende des 19. Jahrhunderts, die er mit der „Stellung eines Hausgenossen“ gleichsetzt, besser als die Lage der freien Arbeiter sei. Daher versucht er die Gründe für diese ungewöhnliche Art der Behandlung der Sklaven herauszufinden und gelangt zu der Schlussfolgerung, dass dafür das heilige Buch der Araber verantwortlich sei (Baumann 1890:211). Obwohl Baumann darauf verzichtet diese Feststellung zu begründen, kann gesagt werden, dass der als die Worte Gottes angesehene Koran einerseits die Sklaverei legitimiert, indem er die Sklaverei als eine selbstverständliche Einrichtung betrachtet, andererseits aber von Gläubigen verlangt, ihre Sklaven gut zu behandeln und sie unter bestimmten Umständen freizulassen (Bobzin 2010:Sure 4, Vers 92; Sure 16, Vers 71). Allerdings unterscheidet Baumann zwischen mehreren Gruppen von Sklaven und der oben beschriebene Zustand gilt nur für die sogenannten „Haussklaven“ und „Ackersklaven“, da man auf deren Arbeitskraft angewiesen war. Unerträglich dagegen scheint nach den ausführlichen Schilderungen von Baumann vor allem der Zustand der Frauen zu sein:

Von allen Sklaven jedoch haben nur die Kebsweiber, die Surias der Araber, ein schweres Los, das dem traurigen Bilde, das man sich in Europa von Sklaverei zu machen pflegt, wirklich nahe kommt. Vor allem ist schon der erwähnte Gebrauch hart, dass der Araber jede beliebige seiner Ackersklavinnen ohne weiteres zur Suria machen kann, auch wenn sie schon laengst mit einem Sklaven verheiratet ist. (Baumann 1991:61)

Obwohl er prinzipiell gegen die Sklaverei ist, und insbesondere wiederum den von Arabern mit Schiffen betriebenen Sklavenhandel als unmenschlich empfindet, ist er der Ansicht, dass diese auf einer langen Tradition beruhende Institution besonders in Ostafrika von heute auf morgen nicht aufgehoben werden kann, weil viele Küstenstädte wirtschaftlich davon leben. Ein totales Verbot könnte seiner Ansicht nach zu Unruhen führen und am Widerstand der in diesen Städten lebenden Bevölkerung scheitern (ebd.:73).

Englische Mission

Die Araber betreiben, wie Baumann bemerkt, nicht nur einen zweckvollen Sklaven–handel, sondern haben im Laufe der Jahre auch eine „erfolgreiche Missionstätigkeit“ geleistet, sodass viele Bevölkerungsgruppen der ostafrikanischen Küste ihre Religion übernommen hatten. Der Islam war allerdings nicht ganz in der Lage die frühen religiösen Ideen der indigenen Bevölkerung zu ändern:

Wie aus dem Gesagten hervorgeht, war der Islam keineswegs im Stande, die jedenfalls ursprünglichen, echt negerhaften religiösen Ideen der Swahili mit ihrer phantastischen Geisterwelt zu verdrängen. Ebenso wie der ostafrikanische Küstenmann trotz seiner arabischen Tracht doch ein Neger ist, der höchstens etwas arabische Blutmischung hat, wie seine Sprache trotz arabischer Fremdwörter in Geist und Bildung ein reines Bantuidiom geblieben ist, so ist auch der Glaube des Propheten für ihn nur eine Tünche, unter welcher der alte Geisterglaube mit seinem Ahnencult und seinen Amuletten, mit seinen Zauberern und Teufelsbeschwörungen um so fester sitzt. (Baumann 1991:61) ← 14 | 15 →

Details

Seiten
214
Jahr
2015
ISBN (PDF)
9783653051148
ISBN (ePUB)
9783653975468
ISBN (MOBI)
9783653975451
ISBN (Paperback)
9783631657683
DOI
10.3726/978-3-653-05114-8
Sprache
Deutsch
Erscheinungsdatum
2014 (November)
Schlagworte
Afrikabilder Reiseliteratur Reisebeschreibungen Kolonialismus Forschungsreisen
Erschienen
Frankfurt am Main, Berlin, Bern, Bruxelles, New York, Oxford, Wien, 2014. 214 S., 10 s/w Abb.

Biographische Angaben

Carlotta von Maltzan (Band-Herausgeber:in)

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