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Die Lautgeschichte des mittelalterlichen Slavischen in Griechenland

von Elisabeth Skach (Autor:in)
©2015 Dissertation 286 Seiten

Zusammenfassung

Das vorliegende Buch befasst sich mit Entlehnungen aus dem mittelalterlichen Slavischen ins Griechische und betrachtet sie aus dem Blickwinkel des heutigen Kenntnisstandes. Hauptanliegen der Autorin ist es, das entlehnte Wortgut innerhalb der Lautgeschichte des Slavischen relativ-chronologisch zu positionieren, nach einheitlichen Kriterien zu beschreiben und etwaige Besonderheiten der Entwicklung des Slavischen in Griechenland festzustellen. Der Index aller untersuchten griechischen Entlehnungen sowie der diesen zugrunde liegenden urslavischen bzw. gemeinslavischen Wörter ermöglicht auch die Verwendung des Buches als Nachschlagewerk.

Inhaltsverzeichnis

  • Cover
  • Titel
  • Copyright
  • Autorenangaben
  • Über das Buch
  • Zitierfähigkeit des eBooks
  • Inhalt
  • Vorwort
  • 1. Einleitung
  • 2. Die Urheimat der Slaven, ihre Wanderung und ihre Anwesenheit in Griechenland
  • 3. Der Aussagewert von in griechischer Schrift fixierten Entlehnungen aus dem Slavischen
  • 3.1 Schrift und Phoneme des Griechischen
  • 3.2 Palatalisierte, assibilierte oder affrizierte Phoneme im Griechischen – Chronologie ihrer Entstehung und ihre Schreibung
  • 4. Slavische Lautgeschichte im Lichte slavischen Lehnguts im Griechischen
  • 4.1 Uridg. o zeigte sich im Urslavischen um 600 n. Chr. als kurzes a
  • 4.1.1 Frühe Entlehnungen mit bewahrtem urslavischen a
  • 4.1.2 Vorgezogene Rundung des urslavischen a vor Labial
  • 4.2 Uridg. r̥, l̥ > ursl. ur, ul bzw. ir, il, uridg. m̥, n̥ > ursl. im, in, uridg. ŭ, ĭ > ursl. u, i
  • 4.2.1 Beispiele für ur, ul aus silbischen Liquiden
  • 4.2.2 Beispiele für ir, il aus silbischen Liquiden
  • 4.2.3 Das Schicksal der urslavischen Nasaldiphthonge im, in.
  • 4.2.4 Beispiele für den Erhalt des urslavischen u
  • 4.2.5 Beispiele für den Erhalt des urslavischen i
  • 4.3 Der Wandel wr- > r-, wl- > l-
  • 4.4 Der Wandel sr > str
  • 4.5 Die Erste Palatalisation k, g, x > č, dž (> ž), š vor palatalen Vokalen und j
  • 4.5.1 Beispiele für Entlehnungen mit vollzogener Erster Palatalisation aus dem griechischen Raum
  • 4.5.2 Zur Reihung der Ersten Palatalisation vor den Liquidametathesen
  • 4.5.3 Zur Reihung der Ersten Palatalisation vor dem Wandel a > o
  • 4.5.4 Besondere Fälle der Ersten Palatalisation
  • 4.6 Die Progressive Palatalisation
  • 4.6.1 Kurzes ĭ vor velarem Konsonanten
  • 4.6.2 Langes ī vor velarem Konsonanten
  • 4.6.3 iN vor velarem Konsonanten
  • 4.6.4 Sonderformen
  • 4.6.5 Zur Reihung der Progressiven Palatalisation vor dem Wandel ū > ȳ
  • 4.6.6 Zur Reihung der Progressiven Palatalisation vor der Zweiten Liquidametathese
  • 4.6.7 Zur Reihung der Progressiven Palatalisation vor dem Wandel a > o
  • 4.6.8 Gibt es in Griechenland Fälle von noch nicht vollzogener Progressiver Palatalisation?
  • 4.7 Die Monophthongierung tautosyllabischer Diphthonge
  • 4.7.1 aw > ō
  • 4.7.2 aj > ē
  • 4.7.3 ej > ī
  • 4.8 Die Zweite Palatalisation
  • 4.9 Die l-Epenthese
  • 4.9.1 Entlehnungen ohne l-Epentheticum
  • 4.9.2 Entlehnungen mit l-Epentheticum
  • 4.10 Die Delabialisierung des urslavischen ū zu ȳ
  • 4.10.1 Beispiele für Entlehnungen mit bewahrtem ursl. ū
  • 4.10.2 Entlehnungen, die ein Zwischenstadium zwischen ursl. ū und nachursl. ȳ darstellen
  • 4.10.3 Entlehnungen mit vollzogenem Wandel ū > ȳ
  • 4.10.4 Entlehnungen mit schon vollzogenem Wandel ū > ȳ und noch nicht vollzogenem Wandel a > o
  • 4.11 Der Wandel ō > ū
  • 4.12 Die Liquidametathesen
  • 4.12.1 Die Erste Liquidametathese
  • 4.12.2 Die Zweite Liquidametathese im Anlaut
  • 4.12.3 Entlehnungen mit anlautendem Ἀρδ- oder Ῥαδ-
  • 4.12.4 Die Zweite Liquidametathese im Inlaut
  • 4.12.5 Entlehnungen nach der Zweiten Liquidametathese, aber vor dem Wandel a > o
  • 4.12.6 Entlehnungen nach der Zweiten Liquidametathese, aber vor dem Schwund der schwachen Jerlaute
  • 4.13 Der Wandel a > o
  • 4.13.1 Entlehnungen aus der Zeit nach dem Wandel a > o
  • 4.13.2. Eine Entlehnung aus der Zeit nach dem Wandel a > o, aber vor der Denasalierung
  • 4.13.3. Entlehnungen aus der Zeit nach dem Wandel a > o, aber vor dem Schwund der schwachen Jerlaute
  • 4.14 Entlehnungen aus dem Slavischen ins Griechische mit den Ausgängen -eni, -ena, -ani, -ane, -ana
  • 4.14.1 Namen mit dem Ausgang -eni
  • 4.14.2 Namen mit dem Ausgang -ena
  • 4.14.3 Namen mit dem Ausgang -ani, -ane, -ana
  • 4.15 Die Jotierung (tj, dj, sj, zj, nj, lj, rj > t´, d´, ś, ź, ń, l´, ŕ)
  • 4.15.1 Urslavisches tj
  • 4.15.2 Urslavisches dj
  • 4.15.3 Urslavisches sj
  • 4.15.4 Urslavisches zj
  • 4.15.5 Urslavisches nj
  • 4.15.6 Urslavisches lj
  • 4.15.7 Urslavisches rj
  • 4.16 Sporadischer Wandel ju > i
  • 4.17 Die Denasalierung
  • 4.17.1 Erhaltener Nasaldiphthong bzw. Nasalvokal
  • 4.17.2 Erhalt des Nasaldiphthongs bzw. des Nasalvokals fraglich
  • 4.17.3 Vollzogene Denasalierung
  • 4.17.4 Entlehnung nach der Denasalierung, aber vor dem Schwund eines schwachen Jerlauts?
  • 4.18 Der Schwund der schwachen Jerlaute
  • 4.19 Der Akzent
  • 4.20 Zu slav. (w >) β > v
  • 4.21 Varia
  • 5. Schlussbemerkungen und Ausblick
  • 6. Indizes
  • 6.1 Griechisch
  • 6.2 Urslavisch
  • 6.3 „Gemeinslavisch“ (rekonstruiertes Slavisch und Altkirchenslavisch)
  • 7. Literatur

← 8 | 9 → Vorwort

Die Slaven, die in der Zeit vom 6. bis zum 15. Jahrhundert auf griechischem Boden lebten und in Urkunden und Berichten genannt werden, haben eine Vielzahl von Toponymen und einiges an Appellativen hinterlassen. Diese Entlehnungen werden schon seit der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts untersucht und im Hinblick auf die Geschichte des Slavischen erforscht. Im vorliegenden Buch werden jene publizierten Entlehnungen aus dem mittelalterlichen Slavischen ins Griechische, die sprachwissenschaftlich aussagekräftig sind, aus dem Blickwinkel des heutigen Kenntnisstandes betrachtet und die verschiedenen derzeit bestehenden und manchmal unterschiedlichen Erklärungen und Herleitungen zusammengefasst. Die Hauptaufgabe der vorliegenden Arbeit ist es aber, das entlehnte Wortgut, soweit wie möglich, innerhalb der Lautgeschichte des Slavischen relativ-chronologisch zu positionieren und nach einheitlichen Kriterien zu beschreiben.

Richtungweisend und unerlässliche Voraussetzung für dieses Unterfangen waren die Arbeiten meines verehrten Lehrers, Herrn Professor Dr. Georg Holzers. Ihm und Herrn Professor Dr. Radoslav Katičić danke ich darüber hinaus für die zahlreichen Anregungen und Gespräche sowie die wohlwollende Unterstützung.

← 10 | 11 → 1. Einleitung

Thema dieser Arbeit ist jene mittelalterliche slavische Sprache, die zwischen dem 6. und dem 15. Jahrhundert von Slaven in Griechenland gesprochen wurde und „petrifiziert“ in geographischen Namen auf griechischem Boden sowie in Lehnwörtern im Griechischen zutage tritt. Im Vordergrund stehen sowohl der Entwicklungszustand dieser Sprache als auch die lautlichen Innovationen, die in der in Frage kommenden Zeit stattgefunden haben. Wichtig ist dabei die Frage, ob in Verlauf und Chronologie der slavischen Lautentwicklung in Griechenland Besonderheiten oder Abweichungen gegenüber den anderen Gebieten des ehemaligen slavischen Dialektkontinuums zu beobachten sind. In manchen Fällen wird die bisherige etymologische Deutung, die relativ-chronologische Einordnung oder die Rekonstruktion der Lautung einer Entlehnung einer Revision unterzogen. Besondere Berücksichtigung findet in dieser Untersuchung auch das Problem, welchen Phonembestand die griechischen Dialekte der in Frage kommenden Zeit aufwiesen und welche griechischen Grapheme zur schriftlichen Fixierung bestimmter Phoneme zur Verfügung standen. Denn nur nach hinlänglicher Klärung dieser Fragen können aus der griechischen Schreibung der aus dem Slavischen stammenden Toponyme und Appellative richtige Schlüsse auf ihre Lautung gezogen werden. Manche slavische Namen sind über Vermittlung anderer Sprachen (Albanisch, Aromunisch) ins Griechische gelangt, sodass bei ihrer Analyse auch die Besonderheiten dieser Sprachen zu berücksichtigen sind.

Orts-, Flur-, Berg- und Gewässernamen slavischer Herkunft gibt es auf griechischem Boden in großer Zahl. Nicht alle gehen auf direkte slavische Namengebung zurück. Viele Namen mit slavischer Etymologie wurden wahrscheinlich von Griechen aus bereits ins Griechische aufgenommenen slavischen Appellativen gebildet. Für die Thematik dieser Untersuchung macht dies jedoch wenig Unterschied, es kommt hier lediglich auf den im jeweiligen Namen fixierten Zustand des Slavischen an.

Die vorliegende Arbeit schöpft ihr Material vor allem aus Max Vasmers Werk „Die Slaven in Griechenland“ und aus Phaidon Malingoudis’ „Studien zu den slavischen Ortsnamen Griechenlands. 1. Slavische Flurnamen aus der Messenischen Mani“, aus Jordan Zaimovs zahlreichen Schriften (1967, 1968, 1971/72, 1972, 1975, 1980/1,2), aus Georgacas 1941, 1964, 1965, 1967, 1982 und Georgacas – McDonald 1967, aus François Brunets „Sur l’hellénisation des toponymes slaves en Macédoine byzantine“ und aus Petar Skoks „Etimologijski rječnik hrvatskoga ili srpskoga jezika“.

← 11 | 12 → Brunet wertete die unter der Leitung von Paul Lemerle sukzessiv publizierten Athos-Archive aus und untersuchte das Problem der Hellenisierung slavischer Toponyme am Material der veröffentlichten und unveröffentlichten Archivalien des Athos1, die die Verwaltung von Besitzungen der Klöster im östlichen Mazedonien2 südlich der Linie Thessalonikē – Serres – Kavala betreffen. Diese enthalten neben Familienlisten in fast allen Dokumenten auch Toponyme. Sie stammen aus der Zeit zwischen dem Ende des 9. (aus diesem nur wenige) und dem 15. Jahrhundert. Brunets Studie ist eine Liste slavischer Toponyme angeschlossen, die nur solche Namen enthält, die Vasmer nicht zugänglich waren oder sehr alt und interessant sind bzw. für die Brunet eine neue Interpretation vorgeschlagen hat.

Weiteres bisher unveröffentlichtes Ortsnamenmaterial, insbesondere von der Peloponnes, stand zum Zeitpunkt der Abfassung der vorliegenden Arbeit leider nicht zur Verfügung.

So reichhaltig im Griechischen die slavischen Spuren im Namenmaterial sind, so gering sind sie im appellativischen Lehnwortschatz. Für die Untersuchung des appellativischen Materials wurden in erster Linie Franz Miklosichs „Die slavischen Elemente im Neugriechischen“ (1870) und Gustav Meyers „Die slavischen Lehnwörter im Neugriechischen“ (1894) herangezogen. Miklosich und Meyer3 meinen, dass von einer tieferen Beeinflussung der griechischen Sprache durch das Slavische – wie sie Fallmerayer in seiner viel diskutierten und kritisierten „Geschichte der Halbinsel Morea während des Mittelalters“ (1830, 1836) behauptet4 – nicht die Rede sein kann. Nach Miklosich und Meyer hat das Slavische auch nicht den Anstoß zur Vereinfachung der Flexion und zum Verlust des Infinitivs im Griechischen gegeben, sehr wohl aber habe der griechische Wortschatz slavische Elemente aufgenommen. Dazu zählt Meyer nicht ← 12 | 13 → nur einzelne Appellative, sondern auch das Suffix -ίτσα. Diese Frage wird unter Punkt 3.2 näher behandelt.

Ausgehend von den Arbeiten Miklosichs und Matovs5 untersuchte Meyer die von diesen aufgefundenen lexikalischen Einheiten und fügte denen, deren slavische Herkunft ihm unzweifelhaft erschien, das von ihm selbst gesammelte Material hinzu. Meyers Verzeichnis umfasst 273 slavische Appellative und dazu noch von diesen abgeleitete Adjektive und Verben, die damals, am Ende des 19. Jahrhunderts, entweder allgemein oder nur gebietsweise in Gebrauch standen. Unter diesen Entlehnungen überwiegen naturbezogene Begriffe und solche aus dem Bereich des Hirten- und Bauernlebens. Infolge der zunehmenden Verstädterung der griechischen Bevölkerung und des mit ihr einhergehenden Versinkens dieser Sachwelt weist laut Bornträger die heutige griechische Standardsprache nur noch etwa 20 slavische Etyma auf.6 Bei deren Identifizierung stützte sich Bornträger einerseits auf das deskriptive etymologische Wörterbuch Andriotis’ (1983) und das normative Wörterbuch Katos’ (1978) und andererseits auf jene bei Meyer angeführten slavischen Lemmata, die von griechischen Muttersprachlern7 als noch im Gebrauch stehend oder wenigstens bekannt bezeichnet wurden. Allerdings ist schwer abzusehen, inwieweit bei der Auswahl der in die genannten Wörterbücher aufgenommen Lemmata Purismus im Spiel gewesen ist. Denn die Entrüstung, die Fallmerayers oben erwähnte sogenannte gräkoslavische These von der Ausrottung des Hellenentums bei dem kurz nach dem Befreiungskampf stehenden griechischen Volk ausgelöst hat, scheint noch bis heute nachzuwirken.

Für die vorliegende Untersuchung wurden auch jene von Malingoudis8 angeführten Lehnappellative, die von Miklosich und Meyer nicht erwähnt werden, sowie das Material aus Georgacas 1965 herangezogen und die Ausführungen Budziszewskas9 berücksichtigt. Einige der in diesem Zusammenhang interessanten Entlehnungen fanden sich bei Skok10.

Bei der Aufarbeitung des aus den oben genannten Quellen geschöpften Materials wurde in dieser Arbeit weitgehend von der Darstellung der slavischen Lautgeschichte ausgegangen, die Georg Holzer in seinem Artikel „Zur ← 13 | 14 → Lautgeschichte des baltisch-slavischen Areals“11 gegeben hat. Darüber hinaus fanden Georg Holzers Arbeiten „Zur relativen Datierung prosodischer Prozesse im Gemeinslavischen und frühen Kroatischen“,12 „Die Geschichte des Slavischen der Stadt Saloniki bis zum Jahr 863“13 und „Historische Grammatik des Kroatischen“14 Berücksichtigung.

In die Betrachtungen aufgenommen und als Beispiele angeführt wurden jene griechischen Entlehnungen aus dem Slavischen, deren Lautung den Zustand aus der Zeit um 600 n. Chr. und danach widerspiegelt oder die einen späten vorurslavischen oder einen nachurslavischen Wandel reflektieren und einen Aussagewert für eben diesen Lautwandel haben.

Die Notation urslavischer Lautungen erfolgt in der von Georg Holzer 1998a, b, 1999b: 256, Fußnote 17, 2003, 2005 und 2007a vorgeschlagenen Weise, wie sie seiner Rekonstruktion der Aussprache des Urslavischen – das ist das Slavische um ca. 600 n. Chr., also unmittelbar nach der großen Expansion des Slaventums – entspricht. Zu seinen Rekonstruktionen urslavischer Wortlautungen kommt Holzer unter anderem durch Auswertung der ältesten nachexpansionszeitlichen slavischen Lehnwörter und Namen in nichtslavischen Sprachen. Auf die Angabe von Betonung und Intonation urslavischer Wörter wird in der vorliegenden Arbeit (außer in Punkt 4.19) weitgehend verzichtet.

In den Analysen zu den einzelnen Entlehnungen werden die Deutung und in den meisten Fällen auch die Notation frühmittelalterlicher slavischer Lautung zunächst aus dem jeweils zitierten Werk übernommen und erst danach die oben erwähnten von Holzer empfohlenen Grundsätze der Notation urslavischer Lautungen angewandt bzw. eine eigene Herleitung und Beschreibung angeführt. Zum Beispiel: Βάριανη (ON, Phokis), laut Vasmer aus slav. *borjane zu *borъ ‘Nadelbaum’15 < ursl. *barjāne ‘Nadelwaldbewohner’ zu ursl. *baru.

_______

1S. Archives de l’Athos 1946.

2Die Bezeichnung „Mazedonien“ für einen Teil Nordgriechenlands wird von Vasmer 1941 verwendet und hier aus Gründen der besseren Vergleichbarkeit mit seinen Arbeiten beibehalten. Politische Streitfragen über die Bezeichnung von Gebieten oder Staaten sollen damit nicht berührt werden.

3S. Meyer 1894: 2.

4Vgl. Fallmerayer 1830: I, 3 ff.: „Das Geschlecht der Hellenen ist in Europa ausgerottet […], da es sich zeigt, dass man auf dem offenen Land in Arkadien und Elis, in Messenien und Lakonien, in Böotien, Phocis und Akarnanien viele Menschenalter hindurch slawisch geredet habe, wie man es in Serbien und Dalmatien jetzt noch spricht, in Pommern und auf der Insel Rügen aber vor Jahrhunderten gesprochen hat.“

5S. Д. Матовъ, Гръцко-български студии. Сборникъ за народни умотворения, наука и книжница, Bd. IX, Sofia 1893, 21 ff., zitiert in Meyer 1894 II: 5.

6Vgl. Bornträger 1989: 8-25.

7Bornträger befragte einige griechische Philologen.

8S. Malingoudis 1981.

9S. Budziszewska 1990: 119-126.

10S. Skok 1971-1974.

11Vgl. Holzer 2001a.

12Vgl. Holzer 2005.

13Vgl. Holzer 2006a.

14Vgl. Holzer 2007a.

15S. Vasmer 1941: 114.

← 14 | 15 → 2. Die Urheimat der Slaven, ihre Wanderung und ihre Anwesenheit in Griechenland

Die Urheimat der Slaven lag nach der bisher von den meisten Gelehrten vertretenen Meinung nördlich der Karpaten, im Bassin des Pripet’ und des Dnepr. Manche ließen sie weiter in den Westen (Lehr-Spławiński 1946 bis zum Mittellauf der Elbe, Niederle 1901 bis zur Weichsel und zum Westlichen Bug) oder weiter in den Osten reichen (Arcichovskij 1954 bis zum rechten Dnepr-Ufer südlich des Ros’, Niederle bis zum Südlichen Bug und zum Dnestr).16 Nach Udolph 1979 umfasste sie ein kleineres Gebiet, das sich von außen an den Karpatenbogen anlehnte und flächenmäßig ungefähr Galizien entsprach. Von ihrer Urheimat aus begannen sich die Slaven im 5. und 6. Jahrhundert n. Chr. auszubreiten, im Süden zunächst bis zur unteren Donau, in die Walachei.17 Seit dem frühen 6. Jahrhundert unternahmen sie von ihren damaligen Wohngebieten nördlich der Donau aus jährliche Ausfälle in das Gebiet südlich der unteren Donau.18 Ungefähr um 600 n. Chr. hatten sie die westlichen und südlichen Grenzen ihres mittelalterlichen Siedlungsgebietes erreicht.

Das Slavische von ca. 600 n. Chr., der Zeit unmittelbar nach der Expansion, wurde auf dem ganzen damals slavisch besiedelten Gebiet weitgehend einheitlich gesprochen und ist als Urslavisch zu bezeichnen.19 Manche der nach 600 n. Chr. durchgeführten, also nachurslavischen Lautwandel erfassten das gesamte damalige slavische Gebiet, andere hingegen nur Teile von diesem. So entstand eine Vielfalt von slavischen Idiomen, die vor dem Aussterben des Slavischen in Ostdeutschland, Ostösterreich, Ungarn, Rumänien, Albanien und Griechenland ein Dialektkontinuum bildeten. Die Grenzen der heute gesprochenen slavischen Sprachen entsprechen jedoch nicht den Isoglossen im damaligen Dialektkontinuum.20

← 15 | 16 → Max Vasmer führt in seinem Werk „Die Slaven in Griechenland“ detailliert zahlreiche Dokumente an, die die Anwesenheit von Slaven in Griechenland vom 6. bis zum 15. Jahrhundert bezeugen, und zitiert die entsprechenden Textstellen. Ein Teil der Slaven wanderte bereits im 6. Jahrhundert nach Griechenland, und zwar nicht nur in den Norden, sondern auch auf die Peloponnes, die nicht in das justinianische Bauprogramm einbezogen und daher unzureichend geschützt war. Ob die Slaven auch Kreta besiedelten, ist umstritten.21 Die Berichte sprechen nur von einem Angriff auf Kreta und andere griechische Inseln im 7. Jahrhundert.22 Vasmer führt zwar einige auf Kreta vorkommende slavische Namen an, lässt aber offen, ob sie von slavischen Seeräubern, die Kreta im Jahre 623 n. Chr. angriffen, oder von später vom Festland kommenden slavischen Siedlern herrühren. Als gewichtiges Argument für die Anwesenheit von Slaven auf Kreta nennt Vasmer das nur auf dieser Insel vorkommende Lehnappellativ βέρα ‘Waffenstillstand’23 < ursl. *wērā ‘πίστις’24.

Die Slaven belagerten Städte und bevölkerten ganze Landstriche, die nach einer Pestepidemie menschenleer geworden waren. Konstantin Porphyrogennetos (De thematibus)25 schreibt: „ἐσθλαβώθη δὲ πᾶσα ἡ χώρα καὶ γέγονε βάρβαρος, ὅτε ὁ λοιμικὸς θάνατος πᾶσαν ἐβόσκετο τὴν oἰκουμένην“26, ‘es wurde das ganze Gebiet slavisch und barbarisch, da der Pesttod die ganze Bevölkerung hinwegraffte’. Die slavische Durchmischung der Bevölkerung beleuchtet ein anderer Bericht des Konstantin Porphyrogennetos (De thematibus)27, nach dem ein sich seiner vornehmen Herkunft rühmender Bewohner der Peloponnes als γαρασδοειδὴς28 ὄψις ἐσθλαβωμένη, also als ‘verschmitzt aussehendes Slavengesicht’ bezeichnet wird. Zu einer politischen Eroberung Griechenlands durch die Slaven ist es jedoch nicht gekommen.29 Wiederholt wird aber von Aufständen gegen die byzantinische Herrschaft (z. B. im Jahre 799) und von Feldzügen byzantinischer Herrscher gegen die Slaven berichtet.30 805-807 n. Chr. wurden die Slaven auf der Peloponnes niedergerungen und ihrer Selbständigkeit beraubt. ← 16 | 17 → Doch machten sie weiterhin Aufstände,31 und in einigen Gebirgszügen, insbesondere im Taygetos, spielten sie noch bis ins 13. Jahrhundert eine bedeutende Rolle. Das ist daraus zu ersehen, dass ihnen 1293 sogar die Besetzung der Stadt Kalamata, des Zentrums der Region Messenien, gelang.32

Der Taygetos,

in dessen abgeschlossenen Tälern sich slavisches Volkstum und die slavische Sprache bis ins 15. Jahrhundert halten konnten.33

image

Wie aus Quellen der Zeit von 1205 bis 1430 ersichtlich ist, lebte an den westlichen Hängen des Taygetos, der als „Ζυγός (sic; ‘Joch’) τῶν Μελιγγῶν“ bezeichnet wird, eine Slavisch sprechende Bevölkerung, die wegen ihrer hellen Haarfarbe Μηλιγγοί < Μελιγγοί (nach gr. μελιγγός ‘honigfarben’) genannt wurde.34 Sie werden auch in einer mit 1331/1332 datierten Inschrift aus der Umgebung von Oitylon, einer Stadt am Südende des Taygetos, erwähnt. Die Inschrift lautet in der Abschrift und Übersetzung von Ahrweiler-Glykatzi folgendermaßen:

← 17 | 18 → + Ἔτη ,ςωμ [sic] + ’Επεὶ βασιλείας Ἀνδρωνίκου τοῦ υἱοῦ κ[υρ]ίου Μιχαὴλ τοῦ Παλαιολόγο[υ] / καὶ θειωτάτου σευαστοῦ. Τέλει τῶν Μελήγγων κὺρ Κωνσταντίνου τοῦ Σπανὶ καὶ κὺρ Λαριγκᾶ τοῦ (Σ) [hier fehlt ein Teil der Inschrift] – / λαβούρι καὶ Ἄννης. + Ἅγιε Γεώργιε σκέπε τοὺς εὖ στήσοντα[ς] καὶ ἀνακαινύσαντας τὸν θεῖὸν σου ναόν. / Μνίσθητει Κ(ύρι)ε τοῦ δούλου σου κατὰ τὸν νόμον σου τοῦ Κοπωγὶ κ[αὶ] τῆς συμβίας αὐτοῦ Ἐλεύνης. ἀμήν +

‘+ Année 6840 + Sous le règne d’Andronic, fils de kyrios Michel Paléologue, et empereur très divin; par la contribution des Mélingues, kyr Constantin Spanis, et kyr Larigkas Slabouris, et Anne. + Saint Georges, protège ceux qui ont bien rétabli et restauré ton temple divin. Souviens-toi, Seigneur, de ton serviteur selon ta loi Kopôgis, et de sa femme Eleunè (= Hélène?). Amen + ’35

Hier werden drei Μελιγγοί, zwei Männer und eine Frau, durch deren Beitrag die St. Georgs-Kirche dieser Stadt wieder aufgebaut wurde, namentlich genannt.36

Church of Ag. Giorgios of the Stephanopoli, Itilo – Taxiarch Michali and view from South37

image

Einer der drei Melingen, Konstantin Spanis, wird auch in einer anderen Inschrift (an der St. Nikolaus-Kirche von Kampinari nördlich von Oitylon, datiert mit 1337/8), und zwar dort mit Funktion und Titel, angeführt.

← 18 | 19 → Aus der Erwähnung der Tatsache, dass diese Melingen die Kosten der Restaurierung der St. Georgs-Kirche trugen, und daraus, dass sie auch als Melingen bezeichnet werden, geht einerseits hervor, dass im zweiten Viertel des 14. Jahrhunderts die Feststellung der ethnischen Herkunft noch Relevanz hatte, und andererseits, dass die Melingen zu diesem Zeitpunkt keine rebellische Völkerschaft mehr waren, sondern treue Untertanen des Reiches, die auch wichtige Posten innehaben konnten.38 Der Assimilationsprozess war also bereits fortgeschritten. Die Stadt Oitylon selbst wird nach einem aus dem Jahre 1415 stammenden Zeugnis Isidors, des späteren Metropoliten von Kiev, als alt und hellenisch charakterisiert, obwohl die Bevölkerung nicht aus Hellenen, sondern aus Barbaren bestehe: „ἡ πόλις ἀρχαία καί ‘Ελληνίς […] ἀλλά ὁ δήμος ούχ’ ‘Ελλήνων, ἀλλά βαρβάρων ἦν“ (Suprasegmentalia sic bei Malingoudis).39

Vom Ende des 14. Jahrhunderts wird berichtet, dass Venedig versuchte, die Slaven in der Maina gegen den griechischen Despoten Theodoros von Mistra in Bewegung zu setzen.40 Ein Zeitgenosse Michaels des Paläologen (1391-1425), der Dichter Mazaris, schreibt, dass unter der Mischbevölkerung der Peloponnes auch Slaven (Σθλαβῖνοι) waren.41 Weiters werden die Slaven am Taygetos und bei Tainaron sowie ihre Verwandtschaft mit anderen Slavenstämmen im 15. Jahrhundert vom byzantinischen Geschichtsschreiber Laonikos Chalkondyles in dessen zehnbändigem Werk über die Osmanen und den Untergang der griechischen Herrschaft, das den Zeitraum von 1298 bis 1463 abdeckt, erwähnt.42 Darin heißt es: „[…] ὡς μέντοι διέσπαρται ἀνὰ τὴν Εὐρώπην, πολλαχῇ ῳ῎κησαν, ἄλλῃ τε δὴ ← 19 | 20 → καὶ ἔν τινι τῆς Πελοποννήσου χώρας τε τῆς Λακωνικῆς ἐς τὸ Ταΰγετον ὄρος καὶ ἐς τὸ Ταίναρον ᾠκημένον. […] οὕτω δὴ κἀνταῦθα τοὺς τε Τριβαλλοὺς καὶ Μυσοὺς καὶ Ἰλλυριοὺς καὶ Κροατίους καὶ Πολάνους καὶ Σαρμάτας τὴν αὐτὴν ἐπίσταμαι ἱέντας φωνὴν εἰ δέοι ταύτῃ τεκμαιρόμενον λέγειν, εἴη ἂν τοῦτο τὸ γένος ταὐτὸ τε καὶ ἓν καὶ ὁμόφυλον ἑαυτῷ.“ ‘[…] As this language has spread throughout Europe, the Illyrians are believed to have inhabited many places, including parts of Laconia in the Peloponnese, near Mount Taygetos and Cape Tainaron. […] Similarly, I know that the Triballi, the Mysians, the Illyrians, the Croatians, the Poles and the Sarmatians speak the same language. If we must reach a conclusion according to this criterion we should consider these peoples as one race.’43

Eine andere Erwähnung der Slaven stammt von Laskaris Kananos, der in den Jahren 1412-1418 eine Seereise in die nördlichen Länder unternahm und das Gesehene in volkstümlicher Sprache schildert. Er besuchte auch Lübeck und dessen Umgebung und nennt dieses Land Σθλαβουνία. Der Reisebericht des Laskaris Kananos ist in einer einzigen Handschrift, dem codex Vindobonensis historicus graecus 113 aus dem 16. Jahrhundert (fol. 174-175), erhalten. Nach Vasiljev stellt Laskaris Kananos darin auch eine Verwandtschaft der Lübecker Slaven mit den Zygioten fest, weil die Menschen dort „die Sprache der Zygioten sprechen“.44 Nach der Ausgabe von Lambros (Athen 1881), die von Lundström in „Smärre Byzantinska Skrifter“ (Nr. 1, Upsala – Leipzig 1912) benützt wurde, heißt es sogar: „Danach folgt das Land Sth(l)avonia (Slavonia, das Wendenland) mit der Hauptstadt Lübeck (im Text Lupek). Von dort stammen die Zygioten im Peloponnes. Denn hier sind viele Ortschaften, die dieselbe Sprache sprechen wie die Zygioten.“45

Auch noch am Ende des 15. Jahrhunderts nannten die Venezianer einige Landschaften der Peloponnes Sclavonia.46

Details

Seiten
286
Jahr
2015
ISBN (PDF)
9783653051292
ISBN (ePUB)
9783653976106
ISBN (MOBI)
9783653976090
ISBN (Hardcover)
9783631657331
DOI
10.3726/978-3-653-05129-2
Sprache
Deutsch
Erscheinungsdatum
2015 (März)
Schlagworte
Lehnworte urslavische Worte gemeinslavische Worte Südliche Balkanhalbinsel
Erschienen
Frankfurt am Main, Berlin, Bern, Bruxelles, New York, Oxford, Wien, 2015. 286 S., 11 farb. Abb., 2 s/w Abb.

Biographische Angaben

Elisabeth Skach (Autor:in)

Elisabeth Skach absolvierte ein Dolmetscherstudium für die Sprachen Deutsch und Russisch und sprachwissenschaftliche Studien am Institut für Slawistik in Wien. Sie promovierte an der Wiener Universität zum Doktor der Philosophie.

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Titel: Die Lautgeschichte des mittelalterlichen Slavischen in Griechenland
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