In dreißig Jahren um die Welt
Begegnungen mit Menschen, Sprachen und Kulturen
Series:
Lutz Götze
2013 Lieux de mémoire
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Extract
Es war ein besonderer Geburtstag: nicht nur, weil es der siebzigste war. Gefeiert wurde in der Mendelssohn-Remise in Berlins Mitte, unweit des Gendarmenmarktes. Dort, zwei Häuser entfernt von der Jägerstraße 51, hatte einst Rahel Varnhagen van Ense ihren Literarischen Salon den Dichtern, Künstlern und Wissenschaftlern geöffnet, dort wurde aufklärerisch gedacht, erzählten die Brüder von Humboldt von ihren wissenschaftlichen Entdeckungen und großen Reisen, dort waren Juden gleichberechtigt.
Nun also eine Lesung zu Ehren von Christa Wolf und Thomas Brasch: Beider Texte – Ein Tag im Jahr und Der schöne 27. September - waren alles andere denn lediglich eine Einstimmung auf die nachfolgende Geburtstagsfeier. Beide hatten mit ihrem kleinen Land gerungen, hatten mit der Staatspartei SED gestritten, hatten Depressionen ausgestanden. Sie blieb, er ging in den Westen, wo er nicht ankam. Später, nach dem Mauerfall, sahen sie sich wieder und schwiegen sich doch an. Er starb 2001, von Drogen zerrüttet, sie folgte zehn Jahre später. Am Dorotheenstädtischen Friedhof fanden sie ihre letzte Ruhestätte, nur wenige Meter voneinander entfernt. Braschs Vers bleibt unauslöschbar im Gedächtnis:
Was ich habe, will ich nicht verlieren, aber
wo ich bin, will ich nicht bleiben, aber
die ich liebe, will ich nicht verlassen, aber
die ich kenne, will ich nicht mehr sehen, aber
wo ich lebe, da will ich nicht sterben, aber
wo ich sterbe, will ich nicht...
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