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Bildungsprozesse zwischen Kindergarten- und Grundschulkindern in Auseinandersetzung mit den Dingen

Ergebnisse eines institutionenübergreifenden Lernwerkstattprojekts

von Thomas Grunau (Autor:in)
©2014 Dissertation 130 Seiten

Zusammenfassung

Obwohl sich zahlreiche pädagogische Projekte unter dem Namen Lernwerkstatt firmieren und der Übergang vom Kindergarten in die Grundschule zu den meistdiskutierten erziehungswissenschaftlichen Themen der letzten Jahre zu zählen ist, gibt es nur wenige Untersuchungen, die sich mit der konkreten pädagogischen Arbeit in diesen Feldern auseinandersetzen. Der Autor geht diesen Desiderata nach und beleuchtet in seiner Studie die praktische Gestaltung des Übergangs in die Grundschule in einem institutionenübergreifenden Lernwerkstattprojekt. Die Bildungsprozesse zwischen Kindergarten- und Grundschulkindern in Auseinandersetzung mit ihrer räumlich-materialen Umwelt stehen dabei im Zentrum. Zudem kann nachgewiesen werden, wie Kinder in pädagogischen Räumen als kleine ForscherInnen adressiert werden.

Inhaltsverzeichnis

  • Cover
  • Titel
  • Copyright
  • Autorenangaben
  • Über das Buch
  • Zitierfähigkeit des eBooks
  • Geleitwort von Prof. Dr. Ulrike Graf
  • Inhaltsverzeichnis
  • 1 Einleitung
  • 2 Theoretische Rahmung
  • 2.1 Lernwerkstatt: Begriffsgenese und Implikationen
  • 2.2 Die Triangularität von Bildungsprozessen
  • 2.2.1 Bildung als eigenaktive Leistung (Selbstbildung)
  • 2.2.2 Bildung in und durch Interaktion mit Fokus auf Ko-Konstruktion
  • 2.3 Exkurs: Kritische Einordnung
  • 2.3.1 Bildung als Mittel der Subjektivierung in Machtverhältnissen
  • 2.3.2 Die Negativität und Responsivität von Bildung
  • 2.4 Die räumlich-dingliche Dimension der Bildung
  • 2.4.1 Räumlich-Dingliche Erfahrungen
  • 2.4.2 Umgebungsgestaltung als Grundform pädagogischen Handelns
  • 2.5 Institutionenübergreifende Lernwerkstattarbeit
  • 2.5.1 Die Lernwerkstattarbeit als pädagogischer Raum
  • 2.5.2 Übergangskooperation durch Lernwerkstattarbeit
  • 3 Methode und Methodologie
  • 3.1 Die Befremdung der eigenen Profession
  • 3.2 Datenerhebung I: Projekt Lerntandem Interessensbox (LerI)
  • 3.3 Datenerhebung II: Beobachtung von Lernwerkstattarbeit
  • 3.4 Datenauswertung
  • 4 Zentrale Ergebnisse
  • 4.1 „Im Moment ist das Rot-Grünland“
  • 4.2 „Töteschlangen gibt’s hier nicht.“
  • 4.3 „Bitte nicht nachmachen, ja?“
  • 4.4 „Ich kann es auch nicht: Zack, fertig!“
  • 4.5 „Frau Franke, kannst du Nudeln holen?“
  • 5 Zusammenfassung und Ausblick
  • Literaturverzeichnis

← 8 | 9 → 1  Einleitung

Die Ahnen Emiles sind nicht an der Schule zu erwarten. Jean Jaques Rousseau entwarf die Figur des Emile im 18. Jahrhundert, um in seiner Abhandlung über die Erziehung den schlechten Einfluss der Gesellschaft auf das Individuum hervorzuheben. Emiles Nachkommen an einer gesellschaftlichen Institution anzutreffen, klingt deshalb paradox. Rousseau vertrat schließlich folgenden Standpunkt: „Alles, was aus den Händen des Schöpfers kommt, ist gut; alles entartet unter den Händen des Menschen“ (Rousseau 1762/2006, S. 107). Dass Rousseau in seinem pädagogischen Klassiker eine Utopie entwarf, in der Emile (der ‚Zögling‘), eine natürliche (negative) Erziehung erfahren soll, gehört heute zum erziehungswissenschaftlichen Allgemeinwissen. Der Erzieher arrangiert für Emile Situationen und Umgebungen, in denen der Zögling durch unmittelbare Erfahrung lernt. Für Emile wird ein Moratorium geschaffen, in dem negative Elemente ausgeschaltet und positive Ereignisse hingegen herausgefordert werden. Erziehung, als Unterricht oder Belehrung, wie es im heutigen Alltagsdenken verankert ist, widersprach den Vorstellungen Rousseaus. Die reine Lehre von Tugenden und Wahrheit schütze, so Rousseau, den Geist nicht vor Irrtum (vgl. ebd., S. 213). Bis zu seinem zwölften Lebensjahr soll der Zögling gemäß dem französischem Philosoph wachsen dürfen. „Und indem ihr zu Anfang gar nichts getan hättet, hättet ihr ein Wunder der Erziehung vollbracht“ (ebd., S. 213). Insofern lassen sich die (gedachten) Ahnen Emiles tatsächlich nicht in der Schule erwarten – oder?

Rousseaus Utopia übt seit jeher einen großen Einfluss auf reformpädagogische Projekte und Theorien aus, auch wenn diese Spuren mittlerweile verwischt sind. PädagogInnen als Arrangeure, Lernen aus unmittelbarer Erfahrung oder die Bedenken, dass ‚die Wahrheit‘ nicht vor Irrtum schützt, sind heute stark im pädagogischen Mainstream vertreten. Die Idee der Lernwerkstattarbeit, Teil des Untersuchungsgegenstandes der nächsten Kapitel, fußt zu großen Teilen auf diesen Ideen.

Die vorliegende Arbeit setzt sich mit den Bildungsprozessen zwischen Kindergarten- und Grundschulkindern, die innerhalb eines institutionenübergreifenden Lernwerkstattprojekts untersucht wurden, auseinander. Der Begriff der Lernwerkstatt ist mittlerweile über dreißig Jahre alt. Mit ihm verbinden sich zahlreiche Hoffnungen. Gleichzeitig stellt das Konzept der Lernwerkstatt eine Reaktion auf wahrgenommene Veränderungsprozesse dar, die sich mit dem Prozess des ← 9 | 10 → Wandels von der Moderne zur Postmoderne beschreiben lassen. Die Entwicklung hin zur Postmoderne wird als Weg zu Pluralität, Vielfalt, Multiperspektivität und Ungewissheit beschrieben. Es lasse sich, so Dahlberg (2010), nicht mehr sagen, welches Wissen und Können für die Zukunft von Nöten sein wird, um sich sicher und erfolgreich in der Gesellschaft platzieren zu können. Die Vermittlung von rein inhaltlichem Wissen in pädagogischen Kontexten sei deshalb zu kritisieren. Vielmehr müsse der Mensch die Fähigkeit erwerben, eigenständig auf sich ändernde Wissensbestände und Anforderungen reagieren zu können (vgl. ebd., S. 13).

Offene Lernwerkstattarbeit ist ein Konzept, mit dem u.a. dieser Unwissenheit über die Zukunft Rechnung getragen werden soll. Der Begriff umfasst sehr diverse pädagogische Angebote, die von unterschiedlichen reformpädagogischen Strömungen (u.a. Freinet, Reggio, Montessori) beeinflusst wurden. Mit ihm wird die Hoffnung verbunden, dass Kinder sich als eigenständige Konstrukteure ihres Wissens erleben. Lernwerkstatt ist zu verstehen als arrangierte Umgebung, in der Kinder vielfältige Erfahrungen machen können. PädagogInnen sollen dabei eine nicht-direktive Haltung einnehmen. Die Nähe zu Rousseaus natürlicher Erziehung ist unverkennbar. Allerdings fällt in Auseinandersetzungen mit Lernwerkstattarbeit im Vergleich zu den Schriften des Philosophen selten der Begriff Erziehung. Vielmehr sind es andere Schlagworte, die im Zentrum stehen: (Selbst-) Bildung, Bildung in Auseinandersetzung mit den Dingen und nicht zuletzt Bildung in Interaktion.

Lernwerkstattprojekte finden sich heute in vielen verschiedenen institutionellen Kontexten. (Grund-) Schulen, Kindergärten, Hochschulen und Berufsschulen sind hierbei nur einige Beispiele. Seit einigen Jahren wurden zudem institutionenübergreifende Lernwerkstattkonzepte entwickelt. Der Übergang vom Kindergarten in die Grundschule ist ein Gebiet, in dem Lernwerkstattarbeit genutzt wird, um diesen für die Kinder zu erleichtern. Der Eintritt in die Schule ist im Spektrum der pädagogischen Diskurse ein breit diskutiertes Thema. Arbeiten entwicklungspsychologischer Provenienz (bspw. Griebel & Niesel 2004) setzen sich mit dieser Problematik genauso auseinander wie ritualtheoretische (bspw. Kellermann 2008), elementar- bzw. primarpädagogische (bspw. Denner & Schumacher 2004) Schriften sowie Arbeiten aus dem Bereich der Kindheitsforschung (bspw. Corsaro & Molinari 2005). Im deutschsprachigen Diskurs wird dabei besonders die Anschlussfähigkeit der beiden Institutionen diskutiert (von Bülow 2011). Unterstützt bzw. bedingt durch Erlasse und Gesetzgebungen sowie wissenschaftlich begründete Bilder vom Kind, haben sich in den letzten Jahrhunderten unterschiedliche pädagogische Orientierungen in Kindergarten und Grundschule herausgebildet, die bis heute nachwirken.

← 10 | 11 → Besonders die ‚Niederlage‘ in der PISA-Studie hat vor über zehn Jahren zu einem (erneuten) Entfachen der Diskussion über die Gestaltung des Übergangs zwischen dem Elementar- und dem Primarbereich geführt. Infolgedessen wurde die Bedeutsamkeit frühkindlicher Bildungsprozesse betont. Lernwerkstattarbeit wurde und wird als eine Möglichkeit angesehen, die Kooperation zwischen Kindergärten und Grundschulen auszubauen und den Übergang in die Schule für Kinder mit mehr Kontinuität zu versehen. Kinder aus beiden Institutionen, so die Kernidee, verbringen gemeinsam Zeit in dem Setting der Lernwerkstatt und setzen sich in interaktiven Prozessen mit der Bedeutung des Übergangs, aber auch mit den Materialien, welche die Lernwerkstatt bietet, auseinander. Die Komponenten der interaktiven Bildung, des Übergangs in die Schule und die der Lernwerkstattarbeit sind deshalb die zentralen Begriffe in dieser Untersuchung.

Die vorliegende Schrift wird folgende Fragen bzw. Aspekte theoretisch sowie empirisch bearbeiten: Was lässt sich unter dem Begriff Lernwerkstatt verstehen? Wie wird dieses Konzept in praxisnaher, pädagogischer Literatur umrissen und auf welche Bildungsbegriffe und -dimensionen wird dabei verwiesen? Wie lassen sich diese Bildungsdimensionen theoretisch fassen und voneinander abgrenzen? Im empirischen Teil schließlich wird danach gefragt, welche konkreten Bildungsprozesse zwischen Kindergarten- und Grundschulkindern im Rahmen institutionenübergreifender Lernwerkstattarbeit stattfinden. Wie versuchen Kinder den Kontext des Schuleintritts sowie den der Lernwerkstattarbeit selbst produktiv mit Bedeutung zu versehen? Und nicht zuletzt: Wie bearbeiten Kinder inhaltliche Themen, auf die sie in diesem pädagogischen Raum stoßen?

Zur Beantwortung der empirischen Fragestellungen wurde ein Kooperationsprojekt zwischen einem Kindergarten und einer Grundschule in Niedersachsen untersucht. In dieser qualitativrekonstruierenden Untersuchung wurde einerseits ein Pilotprojekt (Lerntandem Interessensbox: LerI) gestartet, im Rahmen dessen vom Forscher selbst institutionenübergreifende Lernwerkstattarbeit angeboten wurde. Andererseits fand eine teilnehmende Beobachtung der konkreten, von den beiden Institutionen selbst angebotenen Lernwerkstattarbeit statt.

Details

Seiten
130
Jahr
2014
ISBN (PDF)
9783653046205
ISBN (ePUB)
9783653977363
ISBN (MOBI)
9783653977356
ISBN (Paperback)
9783631654415
DOI
10.3726/978-3-653-04620-5
Sprache
Deutsch
Erscheinungsdatum
2014 (Juli)
Schlagworte
Lernwerkstatt Bildung Grundschule Kindergarten
Erschienen
Frankfurt am Main, Berlin, Bern, Bruxelles, New York, Oxford, Wien, 2014. 130 S., 2 s/w Abb., 1 Graf.

Biographische Angaben

Thomas Grunau (Autor:in)

Thomas Grunau studierte Erziehungswissenschaft an den Universitäten Augsburg und Osnabrück. Derzeit ist er als Akademischer Mitarbeiter am Institut für Frühpädagogik an der Pädagogischen Hochschule Karlsruhe tätig.

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