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Ethik in der Medizin aus Patientensicht

Perspektivwechsel im Gesundheitswesen

von Inken Emrich (Band-Herausgeber:in) Leyla Fröhlich-Güzelsoy (Band-Herausgeber:in) Andreas Frewer (Band-Herausgeber:in)
©2014 Sammelband 259 Seiten

Zusammenfassung

Das 2012 vom Deutschen Bundestag verabschiedete Patientenrechtegesetz hat mehrere Ziele in Bezug auf die Wahrnehmung der Belange von Kranken: Transparenz klinischer Therapiewege, ein besserer Umgang mit möglichen Behandlungsfehlern und schnellere Verfahrensabläufe sowie eine Reihe von weiteren Aspekten. Im Kern markiert dieser neue juristische Rahmen vor allem aber ein Phänomen: Den zentralen Perspektivwechsel im Gesundheitswesen hin zu einer stärkeren Orientierung am Patienten. Dieser Band dokumentiert und analysiert verschiedene Aspekte dieser wichtigen Entwicklung in zwei großen Abschnitten und zehn Einzelkapiteln: Historischer Wandel der Patientenrolle im Gesundheitswesen, die wichtige Funktion der Selbsthilfegruppen als Bürgerbewegung, patientenorientierter Umgang mit Beschwerden, empirische Untersuchungen zur Arzt-Patient-Beziehung und die Entstehung der «Unabhängigen Patientenberatung Deutschland» (UPD). Ein Schwerpunkt des Bandes ist das Instrument des Patientenfürsprechers zur Stärkung der Rechte von Kranken. Erfahrungsberichte zur klinischen Implementierung und unterschiedliche Modelle für Kontaktpersonen zur Patientenfürsprache werden ebenso vorgestellt wie Fallberichte der Aktiven zum besseren Vergleich der klinischen Problemfelder.

Inhaltsverzeichnis

  • Cover
  • Titel
  • Copyright
  • Autorenangaben
  • Über das Buch
  • Zitierfähigkeit des eBooks
  • Inhalt
  • Vorwort
  • Geleitwort: Wolfgang Zöller
  • Klinische Ethik aus Patientensicht Zur Einführung: Leyla Fröhlich-Güzelsoy, Inken Emrich, Andreas Frewer
  • Literatur
  • I. Patientenorientierung im Gesundheitswesen Entwicklung und Kontexte
  • Selbsthilfefreundlichkeit als Kernelement der Patientenorientierung. Entstehungsgeschichte und Weiterentwicklung zu einem Qualitätsmerkmal von Gesundheitseinrichtungen: Alf Trojan, Stefan Nickel
  • 1. Einleitung
  • 2. Entwicklungsstränge und aktueller politischer Kontext
  • 2.1 Entdeckung des „Laienpotenzials“
  • 2.2 Erwartungen von Patienten an „ihr“ Gesundheitssystem
  • Studien zur Ermittlung relevanter Qualitätsdimensionen aus Patientenperspektive
  • Studien mit Selbsthilfegruppen
  • Repräsentative Studien
  • 2.3 Kooperation zwischen professionellem System und Selbsthilfegruppen
  • 2.4 Aktueller politischer Kontext
  • 3. Selbsthilfefreundlichkeit im stationären Bereich
  • 4. Selbsthilfefreundlichkeit im ambulanten Bereich
  • 5. Selbsthilfefreundlichkeit im Öffentlichen Gesundheitsdienst
  • 6. Bilanz und Perspektiven
  • Anmerkung
  • Literatur
  • Patienten als ethische Instanz und Korrektiv im Gesundheitswesen – was Selbsthilfeinitiativen dazu beigetragen haben: Hans Dietrich Engelhardt
  • 1. Bezugspunkte dieses Beitrags
  • 2. Geschichtliche Entwicklungen
  • 2.1 Von Mitwirkungspflichten zu Mitwirkungsrechten Ein Überblick zur Entwicklung
  • 2.2 Zur kulturgeschichtlichen Einordnung
  • 3. Konkrete Leistungen der Gesundheitsselbsthilfeinitiativen und ihre Implikationen für Leistungsgrenzen, Mängel sowie für Qualitätsgewinne im professionellen Gesundheitswesen
  • 3.1 Konkrete Leistungen von Gesundheitsselbsthilfeinitiativen
  • 3.2 Was sagen die Leistungen der SHI über die Leistungsgrenzen/Mängel im Gesundheitswesen aus?
  • Soziale Integration
  • Persönliche Akzeptanz und Zuwendung
  • Orientierung im Gesundheitswesen für Betroffene innerhalb und außerhalb der Selbsthilfegruppen
  • Bewältigung der Krankheitsfolgen im Alltag
  • Leistungen für die Gesellschaft
  • 3.3 Qualitätsgewinne für Betroffene und Teile des professionellen Gesundheitswesens
  • 4. Resümee
  • Literatur
  • Selbstbestimmung und Vertrauen im Krankenhaus Empirische Untersuchungen zur Arzt-Patient-Beziehung: Katja Stahl, Merle Riechmann
  • 1. Einführung
  • 2. Methode
  • 2.1 Datengrundlage
  • 2.2 Fragebogen
  • 2.3 Datenerhebung
  • 3. Ergebnisse
  • 3.1 Merkmale der Patienten
  • 3.2 Merkmale der Krankenhäuser
  • 3.3 Ergebnisse der Patientenbefragung
  • 4. Diskussion
  • 5. Fazit
  • Literatur
  • Unabhängige Patientenberatung Deutschland (UPD) Stärkung der Patientenperspektive und der Patientenrechte: Rainer Sbrzesny
  • 1. Verortung der Unabhängigen Patientenberatung Deutschland
  • 2. Handlungsleitende Prinzipien
  • 3. Handlungsfelder
  • 3.1 Beratungsverständnis
  • 3.2 Beratungsprozess
  • 3.3 Beratungsformen
  • 3.4 Beratungsinhalte
  • 3.5 Mögliche Unterstützung der UPD bei stationärem Klinikaufenthalt
  • 3.5.1 Vor dem Krankenhausaufenthalt
  • 3.5.2 Während des Klinikaufenthalts
  • 3.5.3 Nach dem Klinikaufenthalt
  • 4. Grenzen des Handelns
  • 5. Schlussbetrachtungen
  • Literatur
  • Patientenorientierter Umgang mit Beschwerden Anregungen aus Hamburg: Christoph Kranich
  • 1. Einleitung
  • 2. Kunden- oder Anbieter-orientiertes Beschwerdemanagement?
  • 3. Die Entwicklung patientenorientierter Beschwerdesysteme im Gesundheitswesen am Beispiel Hamburg
  • 3.1 Deputierte als Patientenfürsprecher
  • 3.2 Patientenberatungsstellen
  • 3.3 Ombudsleute
  • 3.4 Patientenorganisationen als Patientenfürsprecher
  • 3.5 Die Suche nach Vorbildern in anderen europäischen Ländern
  • 3.6 Die „Hamburger Erklärung zum patientenorientierten Umgang mit Beschwerden“
  • 3.7 Erst freiwillig, dann Gesetz
  • 4. Andere Länder, andere Sitten?
  • 5. Fazit
  • Literatur
  • II. Das Beispiel Patientenfürsprecher Grundlagen und Erfahrungen
  • Patientenorientierung im Krankenhaus Zur Bedeutung gesundheitsbezogener Informationen: Inken Emrich, Leyla Fröhlich-Güzelsoy
  • 1. Einleitung
  • 2. Informationen als Grundlage für den Behandlungserfolg
  • 3. Quellen für gesundheitsbezogene Informationen
  • 4. Beratungsangebote als Quelle für individuelle Informationen
  • 5. Hilfestellungen durch den Patientenfürsprecher
  • 6. Informationswunsch im Zentrum
  • 7. Resümee
  • Literatur
  • Netzwerke von Patientenfürsprechern Ein Erfahrungsbericht aus München: Peter Friemelt
  • 1. Einleitung
  • 2. Implementierung der Patientenfürsprecher
  • 2.1 Aufbau der Arbeit nach dem Stadtratsbeschluss von 1995
  • 2.2 Anfangsschwierigkeiten
  • 2.2.1 Ausschreibung der Stelle
  • 2.2.2 Auswahlkriterien für Bewerber
  • 2.2.3 Gewährleistung der Kooperationsbereitschaft in den Kliniken
  • 2.2.4 Räume, Ansprechpartner, Werbung
  • 3. Unterstützungselemente für die Arbeit der Patientenfürsprecher
  • 3.1 Curriculum für eine sinnvolle Einführung in die Tätigkeitsfelder
  • 3.2 Regelmäßige Arbeitsgruppen-Treffen
  • 3.3 Supervision
  • 3.4 Zentraler Ansprechpartner
  • 3.5 Kontakt zum Stadtrat
  • 3.6 Statistik
  • 4. Initiative zur Stärkung von Patientenrechten
  • 5. Ausblick
  • Literatur
  • Ehrenamtlicher Einsatz für den Patienten Erfahrungsbericht zweier Patientenfürsprecherinnen: Christine Ritter, Erika Sturm
  • 1. Einleitung
  • 1.1 Einbettung der Patientenfürsprecherinnen und Patientenfürsprecher
  • 1.2 Arbeit vor Ort
  • 2. Dokumentation der Fälle
  • 3. Fallbeispiele und Lösungsansätze
  • 3.1 Kommunikation und Information
  • 3.2 Medizinische und pflegerische Versorgung
  • 3.3 Würde
  • 3.4 Entlassung
  • 3.5 Ausstattung
  • 3.6 Abrechnung
  • 3.7 Absicherung der Tätigkeiten im Haus
  • 4. Spiegel der Patientenbedürfnisse
  • Literatur
  • Patientenfürsprecher am Universitätsklinikum Erlangen Anliegen und Probleme der Patienten anhand von 100 Fällen: Margareta Klinger, Claudia Gall-Kayser
  • 1. Einleitung
  • 2. Der Patientenfürsprecher am Universitätsklinikum Erlangen
  • 2.1 Aufgabe und Stellung des Patientenfürsprechers
  • 2.2 Entwicklung des Patientenfürsprechers am Klinikum Erlangen
  • 2.3 Vorgehensweise des Patientenfürsprechers
  • 3. Die Fälle des Patientenfürsprechers
  • 3.1 Geschlecht und Alter der Patienten
  • 3.2 Art des Anliegens
  • 3.3 Einstufung der Probleme nach empfundenem Schweregrad
  • 3.3.1 Unannehmlichkeiten
  • Beispiel 1
  • Beispiel 2
  • 3.3.2 Beeinträchtigungen
  • Beispiel
  • 3.3.3 Schwerwiegende Probleme und Fehler
  • Beispiel
  • 3.3.4 Informationsbeschaffung
  • 4. Diskussion und Schlussfolgerungen
  • Literatur
  • Inanspruchnahme von Beschwerdestellen durch Migranten Kultursensitive Medizin aus ethischer Perspektive: Leyla Fröhlich-Güzelsoy, Inken Emrich
  • 1. Einleitung
  • 2. Transkulturelle Arzt-Patient-Begegnung im Kontext demografischer Entwicklungen
  • 3. Ombudspersonen – eine historische Annäherung
  • 4. Patientenfürsprecher als Anlaufstelle bei Konflikten
  • 4.1 Untersuchungsgegenstand: Interkulturelle Konflikte
  • 4.2 Häufig artikulierte interkulturelle Konflikte
  • 4.3 Beschwerden bezüglich des Essens
  • 4.4 Besuchsverhalten
  • 4.5 Sprachliche Barrieren
  • 4.6 Bewertung der niedrigen ,interkulturellen‘ Fallzahlen des Fürsprechers
  • 5. Einsatz von Dolmetschern als medizinethische Herausforderung
  • 6. Interkulturelle Konflikte? Ein Leitfaden für das Beschwerdegespräch
  • 6.1 Hinführung
  • 6.2 Leitfaden zur Gesprächsführung
  • 6.3 Leitfaden zur Anamneseerhebung
  • 7. Schlussüberlegungen
  • Literatur
  • III. Informationsquellen im Gesundheitswesen
  • Gesetz zur Verbesserung der Rechte von Patientinnen und Patienten
  • Artikel 1: Änderung des Bürgerlichen Gesetzbuchs
  • Artikel 2: Änderung des Fünften Buches Sozialgesetzbuch
  • Artikel 3: Änderung der Patientenbeteiligungsverordnung
  • Artikel 4: Änderung des Krankenhausfinanzierungsgesetzes
  • Artikel 4a: Änderung der Zulassungsverordnung für Vertragsärzte
  • Artikel 4b: Änderung der Zulassungsverordnung für Vertragszahnärzte
  • Artikel 4c: Änderung der Bundesärzteordnung
  • Artikel 5: Inkrafttreten
  • Selbst- und Mitbestimmung von Patienten Dokumente zur Information im Gesundheitswesen
  • Autorinnen und Autoren mit Adressen

Vorwort

Der vorliegende Band ist eines der Ergebnisse des Forschungsprojekts „Klinische Ethik und Patientenperspektive“. In einer Arbeitsgruppe der Professur für Ethik in der Medizin an der Universität Erlangen-Nürnberg wurden, mit freundlicher Förderung der Staedtler-Stiftung Nürnberg, Fragen der Medizinethik im Krankenhaus bearbeitet. Im Mittelpunkt stand eine Analyse und Auswertung von Erfahrungen der Patientenfürsprecher am Universitätsklinikum Erlangen. Als niedrigschwellige Anlaufstelle für Fragen, Informationswünsche oder Beschwerden von Kranken und ihren Angehörigen fungieren Patientenfürsprecher als wichtige Instanz im Mikrokosmos großer klinischer Einrichtungen. Im Rahmen des Projektes wurden sowohl der größere Rahmen des Gesundheitswesens betrachtet als auch exemplarische Fallstudien zu einzelnen Institutionen und Organisationen durchgeführt. Aus dieser übergreifenden Betrachtung ist das vorliegende Buch entstanden, das nicht nur den gesundheitspolitischen und medizinethischen Kontext von Patientenorientierung in den Blick nimmt, sondern auch an konkreten Kasuistiken Erfahrungsberichte und Analysen aus der Arbeit für Patientenbelange illustriert.

Zum Gelingen dieses Forschungsprojekts haben zahlreiche Personen beigetragen. Wir danken den Mitarbeitern der Staedtler-Stiftung für die Förderung und die gute Zusammenarbeit. Dem Präsidenten der Universität Erlangen-Nürnberg, Prof. Dr. Karl-Dieter Grüske, möchten wir ebenso wie dem Kanzler, Dipl.-Volkswirt Thomas Schöck, für die wichtige Unterstützung danken. Für die Überlassung seiner umfangreichen Dokumentation wie auch für viele Erfahrungsberichte wollen wir Herrn Dipl.-Ing. Rudolf Frank, Patientenfürsprecher und Ehrenbürger der Universität, sehr herzlich danken. Dank geht auch an Dr. Manfred Brunner, den Datenschutzbeauftragten am UK Erlangen für hilfreiche Hinweise zum Umgang mit den Patientenakten. Für den interessanten wissenschaftlichen Austausch möchten wir dem Qualitätsmanagement am Universitätsklinikum, den Kollegen in der Arbeitsgruppe, an der Professur für Ethik in der Medizin und im Universitätsklinikum Erlangen danken. Unser besonderer Dank gilt Yang Jiao, Stefanie Grabler, Anja Koberg, M.A. und Dr. Florian Bruns sowie PD Dr. Christian Stumpf für die jeweilige Unterstützung. Dem Peter Lang Verlag mit Dr. Kurt Wallat, Dr. Benjamin Kloss, Andrea Kolb und Isolde Fedderies danken wir für die Geduld bei der Bearbeitung des Manuskripts. Vor allem aber danken wir den engagierten Mitautorinnen und -autoren des vorliegenden Werkes für ihre wissenschaftliche Expertise und die Ausdauer bei der Überarbeitung im Rahmen der umfangreichen Redaktion. ← 9 | 10 →

Wir freuen uns, dass Wolfgang Zöller, Mitglied des Deutschen Bundestags und Patientenbeauftragter der Bundesregierung, ein Geleitwort zu diesem Buch beitragen konnte.

Wir hoffen, dass der vorliegende Band die wichtige Arbeit der Patientenfürsprecher unterstützt und zur Patientenorientierung im Sinne der Klinischen Ethik beiträgt.

Erlangen,
im Herbst
2013
Andreas Frewer
Inken Emrich
Leyla Fröhlich-Güzelsoy

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Geleitwort

Patientinnen und Patienten wollen im Unterschied zu früheren Zeiten heute dem Arzt partnerschaftlich begegnen und mit ihm gemeinsam über die Behandlung entscheiden. Dazu informieren sie sich oftmals aus vielfältigen Quellen über Erkrankungen und Therapiemöglichkeiten. Der Gesetzgeber hat diese Entwicklung in vielen Bereichen unterstützt und gefördert. Patienten und Versicherte verfügen über so umfangreiche Informationsrechte und Wahlmöglichkeiten wie nie zuvor. Für Patientinnen und Patienten ist das Gesundheitssystem trotzdem in vielen Punkten nicht mehr nachvollziehbar. Deshalb haben wir mit dem Patientenrechtegesetz die dringend benötigte Transparenz über die Rechte und Pflichten aller Beteiligten hergestellt. Auf dieser Informationsgrundlage können die Patienten zu Partnern und ein vertrauensvolles Miteinander zur Regel werden.

Mit den Regelungen zum Behandlungsvertrag im Bürgerlichen Gesetzbuch können Patientinnen und Patienten endlich an einer Stelle nachlesen, welche Rechte sie gegenüber dem Behandler, also dem Arzt oder dem Zahnarzt, aber auch gegenüber dem Physiotherapeuten, der Hebamme oder dem Heilpraktiker haben. Dabei kommt unter anderem dem Recht auf Aufklärung und Information große Bedeutung zu. Die Regelungen zu Risikomanagement- und Fehlermeldesystemen werden zudem die Versorgung in Zukunft sicherer machen. Dabei ist es wichtig, auch die Sichtweise sowie die Erfahrungen von Patientinnen und Patienten und deren Angehörigen einfließen zu lassen. Ich habe mich deshalb dafür eingesetzt, dass mit dem Patientenrechtegesetz klargestellt wird, dass in Krankenhäusern zu der Einführung eines einrichtungsinternen Qualitätsmanagements auch die verpflichtende Durchführung eines patientenorientierten Beschwerdemanagements gehört. Patientenfürsprecher und Beschwerdebeauftragte nehmen dabei eine wichtige Funktion ein. Nicht zuletzt werden mit dem Patientenrechtegesetz auch erneut die Beteiligungsrechte der Patientinnen und Patienten im Gemeinsamen Bundesausschuss gestärkt. Patientinnen und Patienten kommt damit inzwischen sowohl im Behandlungsprozess als auch in den Gremien der Gesetzlichen Krankenversicherung eine wichtige und vor allem eine aktive Rolle zu. Ich bin mir sicher, dass diese Entwicklung weitergeführt und vor allem die Patientenbeteiligung in Zukunft noch größere Bedeutung erhalten wird. Denn dies ist ein entscheidender Beitrag zu mehr Therapiequalität und Transparenz.

Ich freue mich sehr über die vorliegende Publikation und wünsche dem Buch im Sinne unserer Patientinnen und Patienten eine weite Verbreitung.

Wolfgang Zöller, MdB Patientenbeauftragter der Bundesregierung

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Leyla Fröhlich-Güzelsoy, Inken Emrich, Andreas Frewer

Klinische Ethik aus Patientensicht Zur Einführung

Patientinnen und Patienten brauchen für die Bewältigung ihrer Krankheitsphase Unterstützung auf mehreren Ebenen: Die medizinische Versorgung soll Therapien ermöglichen und Leiden lindern; gleichzeitig ist eine Förderung der Selbstbestimmung für schwierige Entscheidungen notwendig. Biographische Planung bei reduzierter Lebenserwartung und Bewältigung von alltagsverändernden Diagnosen oder Prognosen stellen große ethische Herausforderungen für die Lebenswelt des Patienten wie auch die betreuenden Professionen dar.1 Häufig erfahren Kranke schon in gelingenden klinischen Kontexten eine Einschränkung in verschiedenen Bereichen – noch heikler wird es jedoch, wenn Probleme oder Fehler die klinischen Behandlungsabläufe erschweren.2 Das 2012 vom Deutschen Bundestag verabschiedete Patientenrechtegesetz3 hat dabei mehrere Ziele in Bezug auf die Wahrnehmung der Belange von Erkrankten: Transparenz klinischer Therapiewege, ein besserer Umgang mit möglichen Behandlungsfehlern und schnellere Verfahrensabläufe. Im Kern markiert dieser neue juristische Rahmen vor allem aber einen Wandel4 in der ethischen Wertschätzung: den zentralen Perspektivwechsel im Gesundheitswesen hin zu einer noch stärkeren Orientierung am Patienten5 und seiner klinischen Selbstbestimmung.6 Kranke sind in den letzten Jahrzehnten durch Möglichkeiten des Internets und Strukturen eines zunehmend ökonomisierten Gesundheitsmarktes nicht nur „informierte Patienten“,7 sondern teils auch „konsumgesteuerte Kunden“8 geworden. Aus Sicht der Medizinethik ergeben sich dabei moralische Fragen und gravierende Herausforderungen für die Behandlungsqualität. ← 13 | 14 →

Der vorliegende Band dokumentiert und analysiert zentrale Aspekte dieser wichtigen Entwicklungen in zwei großen Abschnitten: Kapitel I rekonstruiert die sich wandelnde Rolle von Patienten im Gesundheitswesen in ihrer historischen Abfolge und nimmt dabei verschiedene Bereiche näher in den Blick. Alf Trojan und Stefan Nickel beleuchten die Genese von Qualitätsmerkmalen der Gesundheitseinrichtungen und identifizieren dabei Selbsthilfefreundlichkeit als ein Kernelement der Patientenorientierung. Die Autoren zeigen die Voraussetzungen zur Entfaltung des „Laienpotenzials“ wie auch die einzelnen Formen der Kooperation zwischen professionellem System und Selbsthilfegruppen. Sie illustrieren ihre Überlegungen mit Berichten aus Modellprojekten zur Selbsthilfefreundlichkeit im stationären und im ambulanten Bereich sowie im Öffentlichen Gesundheitsdienst. Auf diese Weise werden neben der historischen Entwicklung auch spezifische politische Kontexte in der aktuellen Debatte um Patientenrechte im Gesundheitswesen deutlich.

Hans Dietrich Engelhardt vertieft die Frage, wie der Beitrag von Selbsthilfeinitiativen für die Patientenorientierung im Gesundheitswesen aussehen kann. Dabei zeigt er, in welcher Weise die Betroffenen als die zentrale moralische Instanz und damit langfristig als Korrektiv gewirkt haben. Die kontextualisierende Analyse der Patienten- und Selbsthilfebewegungen kann hierbei die Reformanstrengungen „von unten“ außerordentlich fruchtbar aufzeigen.

Christoph Kranich bietet in seinem Beitrag über den patientenorientierten Umgang mit Beschwerden ein konkretes Beispiel hierzu. Seine Fallstudie bezieht sich auf Erfahrungen im Hamburger Gesundheitssystem und zeigt nach einer Darstellung der inneren Strukturen von Kunden- oder Anbieter-orientiertem Beschwerdemanagement die einzelnen Prozessabläufe. Der Autor greift dabei nationale und internationale Erfahrungen zu Beschwerden in der Medizin auf und zeigt die Entwicklungsschritte patientenorientierten Vorgehens auf Basis von sieben Anforderungen einer Selbstverpflichtung für kundenorientiertes Beschwerdemanagement.

Rainer Sbrzesny zeigt die Möglichkeiten zur Stärkung von Patientenperspektive und Patientenrechten am Beispiel der Entwicklung der „Unabhängigen Patientenberatung Deutschland“ (UPD). Er beschreibt Genese und handlungsleitende Prinzipien dieser neuen Anlaufstelle im deutschen Gesundheitswesen und erläutert das Leitbild in Bezug auf Haltungen und Aufgaben in den Handlungsfeldern der Patientenberatung. Dabei differenziert der Autor die verschiedenen Formen und Beratungsinhalte vor, während und nach einem stationären Klinikaufenthalt sowie auch die Grenzen der Patientenberatung.

Katja Stahl und Merle Riechmann zeigen das Instrument empirischer Untersuchungen zur Arzt-Patient-Beziehung am Beispiel von umfangreichen Befragungen, die das Picker Institut Deutschland zusammen mit den Krankenhäusern in den letzten zehn Jahren durchgeführt hat. Die Ausführungen belegen, dass von den Betroffenen im Gesundheitswesen die Di ← 14 | 15 → mensionen Selbstbestimmung und Vertrauen als zentrale Werte in den Kliniken hervorgehoben werden: Das übergreifende Vertrauen in die behandelnden Ärzte sowie Freundlichkeit und entgegengebrachtes Verständnis erweisen sich als zentrale Komponenten für die Weiterempfehlungsbereitschaft von Patienten.

Der zweite Abschnitt des vorliegenden Bandes vertieft die strukturellen Fragen der Patientenorientierung an einer zentralen Stelle für Menschen im Gesundheitswesen: Das Amt des Patientenfürsprechers steht dabei im Mittelpunkt von Beiträgen zu den Grundlagen und (inter)disziplinären Herangehensweisen an diese Funktion in deutschen Krankenhäusern.9

Inken Emrich und Leyla Fröhlich-Güzelsoy gehen zunächst der Bedeutung gesundheitsbezogener Informationen für eine Patientenorientierung in Medizin und Ethik nach. Dabei zeigen sie, dass Quellen und Beratungsangebote für gesundheitsbezogene Informationen als zentrale Grundlage für den Behandlungserfolg angesehen werden können. Speziell beleuchten die Autorinnen die Hilfestellungen durch das Amt des Patientenfürsprechers und zeigen, wie der Informationswunsch aus medizinethischer Sicht im Zentrum des Themas Patientenorientierung steht.

Peter Friemelt berichtet über Netzwerke von Patientenfürsprechern am Beispiel der Stadt München. Sein Erfahrungsbericht zur Implementierung dieser Position und die Aufbauarbeit seit Mitte der 1990er Jahre werden praxisnah geschildert. Der Autor zeigt die vorhandenen Probleme sowie unterstützende Strukturen für die Arbeit der Fürsprecher und entwickelt dabei auch ein Curriculum zur sinnvollen Einführung in die Tätigkeitsfelder.

Christine Ritter und Erika Sturm nehmen aus eigener Erfahrung die Rolle der „Patientenfürsprache“ genauer in den Blick. Sie zeigen die notwendigen Rahmenbedingungen zur erfolgreichen klinischen Einbettung von Patientenfürsprecherinnen und Patientenfürsprechern sowie die praktischen Aspekte der Arbeit vor Ort. Neben einer Dokumentation ihrer Fälle mit einer differenzierten Auswertung der Beschwerden bieten sie Fallbeispiele und Lösungsansätze zu den wichtigen Feldern Kommunikation und Information, medizinische und pflegerische Versorgung.

Margareta Klinger und Claudia Gall-Kayser stellen ihre Erfahrungen mit dem Amt des Patientenfürsprechers am Universitätsklinikum Erlangen vor. Dabei beziehen sie sich auf aktuelle Probleme der Patienten anhand von 100 Fällen für den jüngsten Zeitraum (2011–2012). Statistische Auswertungen, eine Einstufung der Probleme nach empfundenem Schweregrad und ausgewählte Beispielfälle illustrieren die praktische Arbeit.

Leyla Fröhlich-Güzelsoy und Inken Emrich nehmen im letzten Beitrag des Bandes Aspekte einer kultursensitiven Medizin in den Blick: In welcher ← 15 | 16 → Form ist ein patientengerechter Einsatz von Beschwerderessourcen auch für Patienten mit Migrationshintergrund möglich? Der Beitrag betrachtet vor dem Hintergrund demografischer Entwicklungen transkulturelle Aspekte der Arzt-Patient-Begegnung. Wegen der Probleme in der klinischen Praxis haben sich international „Ombudspersonen“ als Ansprechpartner etabliert; die Autorinnen stellen zudem häufig artikulierte interkulturelle Konflikte von sprachlichen Barrieren bis zu Beschwerden über Klinikessen vor. Dabei werden interkulturelle Fälle aus der Arbeit eines Patientenfürsprechers zur Analyse medizinethischer Herausforderungen herangezogen sowie abschließend ein Leitfaden für interkulturelle Beschwerden vorgestellt.

Der vorliegende Band wird abgerundet durch einen dritten Abschnitt mit informativem Charakter; dort werden das neue Patientenrechtegesetz, Hinweise auf Dokumente zur Selbst- und Mitbestimmung von Patienten im Gesundheitswesen sowie ergänzende Notizen zu den Autorinnen und Autoren bereit gestellt. Auf diese Weise sollen Patienten einen noch schnelleren Zugang zu wichtigen Informationen, zur Expertise von Fachleuten wie auch den Strukturen von Selbsthilfe und Patientenfürsprechern erhalten. So kann letztlich die Qualität der klinischen Versorgung, die Patientenzufriedenheit und auch die ethische Angemessenheit der Behandlungsformen gesteigert werden. ← 16 | 17 →

 

Literatur

Albisser Schleger, H./Mertz, M./Meyer-Zehnder, B./Reiter-Theil, S. (2012): Klinische Ethik – METAP. Leitlinie für Entscheidungen am Krankenbett, Berlin. Heidelberg.

Baumgart, J. (2010): Ambivalentes Verhältnis. Ärzte und informierte Patienten, in: Deutsches Ärzteblatt 107, 51/52, S. A2554-A2556.

Beauchamp, T. L./Childress, J. F. (2013): Principles of Biomedical Ethics. New York, Oxford.

Bruns, F./Emrich, I./Fröhlich-Güzelsoy, L./Friedrich, B./Frewer, A. (2010): Patientenfürsprecher als Hoffnungsträger. Eine Analyse der Beratungsarbeit aus ethischer Perspektive, in: Frewer et al. (2010), S. 221–234.

Bundesärztekammer (2009a): Pressekonferenz der Bundesärztekammer 2009 in Berlin, Bundesärztekammer stellt Behandlungsfehler-Statistik für 2008 vor. „Fehler vermeiden, Ursachen erforschen“, in: http://www.Wernerschell.de/Rechtsalmanach/Strafrecht/schlichtungsstellen.php. (Stand 10.06.2013).

Bundesärztekammer (2009b): Statistische Erhebung der Gutachterkommissionen und Schlichtungsstellen für das Statistikjahr 2009, in: http://www.bundesaerztekammer.de/downloads/gutachterkommission.statistik_2009.pdf (Stand 21.10.2012).

Details

Seiten
259
Jahr
2014
ISBN (PDF)
9783653044881
ISBN (ePUB)
9783653977769
ISBN (MOBI)
9783653977752
ISBN (Hardcover)
9783631654187
DOI
10.3726/978-3-653-04488-1
Sprache
Deutsch
Erscheinungsdatum
2014 (November)
Schlagworte
Patientenrechte Medizinethik Patientenfürsprecher Qualitätsmanagement Selbsthilfegruppen
Erschienen
Frankfurt am Main, Berlin, Bern, Bruxelles, New York, Oxford, Wien, 2014. 259 S., 6 s/w Abb., 16 Graf.

Biographische Angaben

Inken Emrich (Band-Herausgeber:in) Leyla Fröhlich-Güzelsoy (Band-Herausgeber:in) Andreas Frewer (Band-Herausgeber:in)

Inken Emrich hat in Regensburg Medizin und Betriebswirtschaftslehre studiert sowie an der Universität Erlangen-Nürnberg mit den Schwerpunkten Gesundheitsmanagement, Soziologie und Wirtschaftsgeschichte abgeschlossen. Seit 2010 ist sie dort an der Professur für Ethik der Medizin tätig. Leyla Fröhlich-Güzelsoy hat mit Abschnitten in der Schweiz und USA an der FAU Erlangen-Nürnberg Medizin studiert, sowie unter anderem ärztlich in Augsburg gearbeitet. Sie ist seit 2011 an der Professur für Ethik in der Medizin sowie seit 2012 in der Geschäftsführung des Klinischen Ethikkomitees (KEK) am Universitätsklinikum Erlangen beschäftigt. Andreas Frewer hat Medizin, Philosophie und Geschichte der Medizin studiert sowie einen European Master in Bioethics erworben. Er war ärztlich tätig unter anderem in Nephrologie, Onkologie und Intensivmedizin an der Berliner Charité sowie an GTE-Instituten in Göttingen und Hannover. Seit 2006 leitet er die Professur für Ethik in der Medizin (FAU) und die Geschäftsstelle des Ethikkomitees (KEK).

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