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Die Grenzen der Erkenntnis und dahinter

Zur Klärung der erkenntnistheoretischen Grundlage des religiösen Glaubens- Das System der Philosophie III

von Abraham Ehrlich (Autor:in)
©2014 Monographie 123 Seiten

Zusammenfassung

Mit diesem letzten Band des Systems der Philosophie erreichen wir den Abschluss des systematischen Gedankengangs, der uns zum vertieften Verständnis des Wesens der Philosophie führt. Dieser Abschluss ist jedoch kein Schlusspunkt; er soll uns zurück zum Ansatzpunkt der Philosophie führen. Denn nun müsste klar geworden sein, was man mitbringen muss, um den Weg des Lebens beschreiten zu können: die Einsicht, dass man in einer Wirklichkeit lebt, die man nicht geschaffen hat, und dass man nicht in deren Zentrum steht bzw. stehen kann. Es ist gleichzeitig die Einsicht, dass unsere eigentümliche Aufgabe darin besteht, uns in diese Wirklichkeit wesensmäßig zu integrieren. Damit ist die unbedingte, verbindliche persönliche Bereitschaft zur Selbstreflexion und Selbsterkenntnis wesentlich verbunden.

Inhaltsverzeichnis

  • Cover
  • Titel
  • Copyright
  • Autorenangaben
  • Über das Buch
  • Zitierfähigkeit des eBooks
  • Danksagung
  • Vorwort
  • Inhaltsverzeichnis
  • I. Einleitendes: Zur Bedeutung der Beschäftigung mit Philosophie
  • II. Zwischen Philosophie und Religion
  • III. Religion, der religiöse Glaube und der Monotheismus
  • IV. Zwischen Gott, Gottesgedanken, Standpunkt der Transzendenz und Transzendenz
  • V. Zum Wesen des Gottesglaubens
  • VI. Zur Bedeutung der Mystik und der mystischen Erfahrung
  • VII. Der Weg nach innen
  • VIII. „In deiner Liebe erschaffe ich mich neu“
  • IX. Zum Schluss des Systems: Was ist wahr?
  • Anmerkungen

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I. Einleitendes: Zur Bedeutung der Beschäftigung mit Philosophie

1. Ich möchte mit einer Kurzgeschichte von Tolstoi beginnen, die für die Philosophie, wie ich sie verstehe, und für die Bedeutung der Beschäftigung mit ihr allegorisch ist. Diese Geschichte erzählt von zwei Klosterbrüdern, die davon gehört haben, dass in einem fernen Land ein Turm steht, an dessen Spitze sich eine Tür befindet, die zum Himmelreich führt. Da sie sich selbst, wie auch das Leben ernst nahmen, machten sie sich auf den Weg und scheuten dabei keine Mühe und kein Leid, um ihr Ziel aller Ziele zu erreichen. Endlich standen sie vor dem Turm und fanden in ihm auch die legendäre Tür. Voller Aufregung öffneten sie die Tür – und fanden sich in ihrer Klosterzelle wieder.

Ich weiß nicht, was Tolstoi mit dieser Erzählung sagen wollte. Für mich jedenfalls ist die Lehre daraus klar: Irdisch-Sein: Irdisch-Sein, das zeigt natürlich die Grenze des Menschen. In seinem Irdisch-Sein liegt aber auch seine Größe. Die Grenze besteht darin, dass es in der Welt Kräfte und Ereignisse gibt, die den Menschen daran hindern, vollkommen zu sein und vollkommen zu leben.

Und doch hat sich der Mensch in dieser Welt voller Leid und Enttäuschungen zu bewähren. Und darin besteht seine Größe. Am deutlichsten – und das nur nebenbei bemerkt –, am deutlichsten kann der Mensch seine Grenze wie seine Größe in dem erfahren, was man die reine und selbstlose Liebe nennt. Wer unter der Macht einer solchen Liebe steht, kann am deutlichsten, aber dann auch am schmerzlichsten erfahren, was es heißt, unvollkommen zu sein. Andererseits aber erfährt der Mensch, trotz des Leides, in ihr Glück und Weltfreude, für die er kein Himmelreich geben würde. Das heißt Irdisch-Sein im tiefsten Sinne des Wortes. Und es ist kein Zufall, dass gerade darin die Ewigkeitsdimension in dieser Liebe besteht.

Was wollten die beiden Klosterbrüder eigentlich erreichen? Sie wollten sich nicht nur von aller Weltabhängigkeit befreien, sondern sie wollten sich auch von dem Zwang aller Weltverpflichtungen lösen. Das aber nicht als Endziel, sondern um sich so, von aller Welt gelöst, die Möglichkeit zu verschaffen, auf einem Weg zu reifen, der sie dazu führt, sich im göttlichen ← 15 | 16 → Einen zu verankern. Zu ihrer Überraschung mussten sie feststellen, dass dieses Von-aller-Welt-gelöst-Sein und der Weg zur Verankerung im göttlichen Einen sie dazu führt, die Erde, die Welt, neu zu entdecken.

Sie haben mit anderen Worten entdeckt, dass der Wille zur Verankerung im göttlichen Einen nicht nur keinen Widerspruch zu den Forderungen der Welt darstellt, sondern darüber hinaus, gerade die Voraussetzung dafür ist, diese Forderungen in der richtigen, d.h. in der dem Wesen des Menschen und dem Wesen der Wirklichkeit gemäßen Weise zu erfüllen.

Beide sind auf dem inneren Weg gereift: Nur das Reifen auf dem inneren Weg kann uns, auch wenn es widersprüchlich klingt, zur Erkenntnis des Wesens der Wirklichkeit führen, dessen integraler Teil wir sind, und so letztlich zur Erkenntnis des eigenen Wesens führen.

In uns selbst heimisch werden und in der Welt zuhause zu sein, sind zwei einander bedingende und sich ergänzende Angelegenheiten. Der Weg zur gegenseitigen Verwirklichung dieser beiden Angelegenheiten, die in der Regel als zwei getrennte menschliche Ideale gelten, dieser Weg ist der Weg der Philosophie und genau darin besteht auch die Bedeutung der Beschäftigung mit Philosophie.

Die Philosophie ist also von Anfang an keine bloß kontemplative Tätigkeit (im engeren Sinne verstanden), die ihren Höhepunkt in dem Entwurf einer „Theorie“ findet. Die uns geschichtlich schriftlich gegebene Philosophie ist nichts anderes als Widerspiegelung und Dokumentation der Suche und des Strebens nach der Wahrheit. Philosophie ist in dieser Hinsicht nicht bloß als der Weg zur Wahrheit, sondern als der Weg der Wahrheit zu verstehen. Konkret bedeutet das, dass auf diesem Weg Wahrheit und Leben zu einer identischen Einheit verschmelzen, die man als wahres Leben bezeichnen kann, ein Leben, das im Unterschied und allzu oft im Gegensatz zu unserem im herkömmlichen Sinne verstandenen „guten Leben“ zu sehen ist.

Die Tatsache, dass die Philosophie sich in jede Richtung der Wirklichkeit ausdehnt und alles in den weitesten Zusammenhang des Wirklichkeitsganzen setzt, diese Tatsache ändert nichts daran, dass ihre zentrale Frage die folgende ist: Was ist der Mensch, was ist sein Wesen, und welche Bedingungen müssen erfüllt sein, damit er seinem Wesen gemäß leben und sich entwickeln kann? Oder anders formuliert: Welche Stellung hat der Mensch im Kosmos und was bedeutet die Bestimmung dieser Stellung konkret für sein individuelles Mensch-Sein in der Welt?

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2. Wenn wir die Philosophie als den Weg der Wahrheit charakterisieren, bedeutet das auf gar keinen Fall, dass der Weg an sich, dass das Streben und Fragen nach der Wahrheit, an sich den höchsten Wert für uns Menschen ausmachen. In der Regel pflegt man in dieser Angelegenheit folgende Worte Lessings zu zitieren, und das als Ausdruck menschlichen Maßes: „Wenn Gott in seiner Rechten alle Wahrheit, und in seiner Linken den einzigen immer regen Trieb nach Wahrheit, obschon mit dem Zusatze, mich immer und ewig zu irren, verschlossen hielte, und spräche zu mir: Wähle! Ich fiele ihm mit Demut in seine Linke und sagte: Vater gib! Die reine Wahrheit ist ja doch nur für dich allein!“

Das klingt in der Tat sehr bescheiden und demütig und scheint genau dem menschlichen Maß zu entsprechen. Diese Worte sind trotzdem Ausdruck eines gewaltigen Irrtums, Ausdruck für einen sehr unreflektierten Begriff der Wahrheit. Lessing übersieht die Tatsache, dass es gar nicht auf das Streben nach der Wahrheit an sich, sondern auf das wahre und richtige Streben nach ihr ankommt.

Details

Seiten
123
Jahr
2014
ISBN (PDF)
9783653048643
ISBN (ePUB)
9783653978025
ISBN (MOBI)
9783653978018
ISBN (Paperback)
9783631656204
DOI
10.3726/978-3-653-04864-3
Sprache
Deutsch
Erscheinungsdatum
2014 (August)
Schlagworte
Selbstreflexion Selbsterkenntnis Sinn des Lebens Mystik
Erschienen
Frankfurt am Main, Berlin, Bern, Bruxelles, New York, Oxford, Wien, 2014. 123 S.

Biographische Angaben

Abraham Ehrlich (Autor:in)

Abraham Ehrlich, Dr. Phil., studierte Philosophie in Jerusalem und in Köln.

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