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Kulturmanöver

Das k.u.k. Kriegspressequartier und die Mobilisierung von Wort und Bild

von Sema Colpan (Band-Herausgeber:in) Amália Kerekes (Band-Herausgeber:in) Siegfried Mattl (Band-Herausgeber:in) Magdolna Orosz (Band-Herausgeber:in)
©2015 Konferenzband 374 Seiten

Zusammenfassung

Der Band befasst sich mit dem k. u. k. Kriegspressequartier (KPQ), das von seiner Entstehung und Komplexität her unter den kriegsführenden Ländern des Ersten Weltkriegs einzigartig war. Die Aufsätze widmen sich zum einen jenen Maßnahmen, die das KPQ anordnete, leitete und kontrollierte. Dazu gehörten die Kriegsberichterstattung in journalistischen Frontberichten und fotografischen Dokumentationen, die Verarbeitung des Krieges mittels Malerei oder das Festhalten des Kriegsgeschehens mit der Filmkamera. Zum anderen bewerten die Autoren die Propagandamaßnahmen innerhalb eines breiteren Bezugsrahmens, und zwar mit Blick auf die alternativen Spielräume, die die zentralisierte Verwaltung gestattete. Als Vergleichsebenen werden außerhalb des Wirkungsbereichs des KPQ liegende Tendenzen des Kulturbetriebs herangezogen.

Inhaltsverzeichnis

  • Cover
  • Titel
  • Copyright
  • Autorenangaben
  • Über das Buch
  • Zitierfähigkeit des eBooks
  • Inhaltsverzeichnis
  • Vorwort
  • I. Das KPQ: Verfügen
  • Medien.Verwaltung 1914–1918. Das k.u.k. Kriegspressequartier
  • II. Schreiben
  • Das Attentat von Sarajevo und der Topos Bosnien im ungarischen imperialen Denken
  • »Sturz aus dem seligsten Innern in ein unbegreifliches drohendes Draußen«. Rilkes Briefe zur Zeit des Ersten Weltkriegs
  • Alice Schalek. Standpunkte einer Kriegsberichterstatterin im Ersten Weltkrieg
  • Erinnerungen eines Kriegsberichterstatters. Die Arbeiten von Ferenc Molnár über seine Kriegserlebnisse
  • Die Kriegsberichterstatterin Margit Vészi zwischen ethischem Journalismus und Propaganda
  • Der Schmock funèbre. Die Kriegsfeuilletons des Felix Salten
  • Multitaskforce. Weibliche Reaktionen auf den Ersten Weltkrieg in deutschsprachigen Frauenzeitschriften und literarischen Texten aus Österreich-Ungarn
  • III. Aufführen
  • Budapest in Wien – Wien in Budapest. Austauschbeziehungen der Wiener und Budapester Bühnen im Ersten Weltkrieg
  • Groß ist der Krieg. Theater und Publikum des Ersten Weltkriegs
  • Kulturpolitik am Kriegsschauplatz. Das Fronttheater des KPQ der österreichisch-ungarischen Armee
  • Schauspielersoldaten, Gefangenenprimadonnen. Front- und Kriegsgefangenentheater im Ersten Weltkrieg
  • IV. Bebildern
  • Maler(ei) im Krieg – Erlebnis und Ausstellungspolitik. Die Tätigkeit der ungarischen Mitglieder der Kunstgruppe des KPQ
  • An der Modefront. Die Wiener Werkstätte als Propagandaunternehmen
  • Fotografien des Ersten Weltkriegs und der Revolutionen (1914–1919)
  • Die Filmarbeit des KPQ. Von (audio)visueller Berichterstattung bis amtlicher Kriegshumoreske
  • Kriegsökonomien des Dokumentarischen. Zu Schwenks in Fabrikationsfilmen aus dem Ersten Weltkrieg
  • V. Erinnern
  • »das K.P.Q. ins kühle Grab gesenkt«. Nachkriegsberichterstattung in den Werken von János Komáromi und Karl Hans Strobl
  • »Eine mit Jetztzeit geladene Vergangenheit«. Zur Ökonomie des Ersten Weltkriegs in Romanen rund um die Wirtschaftskrise von 1929
  • Antlitze des Weltkrieges. Bildarchiv und Biopolitik – Forschungsdesiderat Kriegsfotografie
  • Für das Vaterland sterben. Die Antike und die Kriegspropaganda
  • eRinnern. Das PC-Spiel Rise of Flight als Ausgangspunkt für und Einladung zur historischen Erinnerung
  • VI. Das KPQ: Dirigieren
  • »Extraausgabee –!« Vom Medienverbund k.u.k. Kriegspressequartier und seinem technoromantischen Abenteuer 1914–1918
  • AutorInnen

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Vorwort

Eine Mischung aus Medien- und Sozialgeschichte, wie sie als Orientierung für zeitgenössische Untersuchungen zur Kriegspropaganda dienen kann, stand am Anfang der Überlegungen zur Konferenz »Vor den Gedenkjahren. Forschungstendenzen, Forschungsdesiderate zum Ersten Weltkrieg in den Kulturwissenschaften«, die gemeinsam vom Ludwig Boltzmann Institut für Geschichte und Gesellschaft (Wien) und vom Germanistischen Institut der Eötvös-Loránd-­Universität (Budapest) im Dezember 2013 abgehalten wurde. Dass die Ergebnisse im daraus hervorgehenden multidisziplinären Konferenzband zu Praktiken und Konzepten österreichischer und ungarischer Medienpolitik von der sprunghaften Entwicklung der Technologien herausgefordert sein werden, war damals noch nicht abzusehen: Nicht nur die fortschreitende Digitalisierung, sondern auch die Verfeinerung der Suchmodalitäten in den Digitalisaten geben ein Jahr nach dem Gedenkjahr Anlass, die Massenpropaganda im Ersten Weltkrieg zum ersten Mal in der Tat in ihrer Massenhaftigkeit wahrnehmen und analysieren zu können.1 Diese Entwicklung wirft jedoch für die Fallstudien des vorliegenden Bandes die folgenschwere Frage auf, wie derzeit Forschungstendenzen zu identifizieren und Forschungsdesiderate zu formulieren sind, die sich unter den stets neu erschlossenen Möglichkeiten der Kontextualisierung und Archivierung behaupten können.

Das Konzept des Bandes ist der Idee verpflichtet, neue Forschungsergebnisse stärker als üblich in zwei Richtungen zu entgrenzen. Einerseits sollte eine Art vorläufige Bilanz mit Blick auf die Quellenlage und Methodik der einzelnen Forschungsrichtungen, insb. der bislang nur auf Ungarisch vorliegenden Ansätze gezogen werden. Einige Themenfelder der Kriegspropaganda gelten zwar in mancher Hinsicht als bereits erforscht, müssen aufgrund der Kontextualisierung durch mediale Zusammenhänge (eventuell um den Preis der Historisierung ihrer Forschungsgeschichte) neu profiliert werden. Denn es war andererseits unser Anliegen, die Fallstudien als Grundlage für weitere vergleichende Untersuchungen zu positionieren, ausgehend von einer Themenstellung, die sich gerade in österreichisch-ungarischer Relation als Fundgrube für die Fortführung unserer bisherigen bilateralen Forschungen zur Massen-, Popular- und Reisekultur in der ← 9 | 10 → Habsburgermonarchie und in der Zwischenkriegszeit anbietet.2 Das k.u.k. Kriegspressequartier (KPQ), das als Institution von seiner Entstehung und Komplexität her ein singuläres Phänomen unter den kriegsführenden Ländern darstellt, bildet das epistemologische Zentrum des vorliegenden Bandes, das mit organisatorischen Feinjustierungen vier Jahre lang als fester und – im Gegensatz zu den anderorts praktizierten, vergleichsweise klandestinen propagandistischen Techniken3 – öffentlicher Bezugspunkt für das gesamte Kulturleben fungierte. Dieses Symbol der Zentralisierung in einem österreichisch-ungarischen Vergleich »dezentralisierend« in den Blick zu nehmen, versprach eine hoffentlich noch weitere Forschungen anregende Leistungsschau, die die Einmaligkeit dieses Herrschaftsinstruments gerade als Ergebnis einer äußerst spektakulären internen Diversifizierung vor Augen führt.

Die Idee, diese Singularität der habsburgischen Kriegspropagandabemühung zu beleuchten und für den vorliegenden Band als einigenden Gegenstand in den Blick zu nehmen, wurde zudem durch die Vorbereitungen zur Ausstellung »Extraausgabee! Die Medien und der Krieg 1914–1918« unterstützt, die das österreichische Bundeskanzleramt anlässlich des 100. Jahrestags des Großen Krieges organisierte.4 So widmet sich das Buch zum einen jener Vielzahl an kulturellen Maßnahmen, die das KPQ anordnete, leitete und kontrollierte. Dies umfasste die offizielle Kriegsberichterstattung in Schrift und Bild, schloss demnach journalistische Frontberichte und deren fotografische Dokumentation genauso mit ein wie die künstlerische Verarbeitung des Krieges mittels Malerei oder das (vermeintlich authentische) Festhalten des Kriegsgeschehens mit der Filmkamera. Zum anderen gilt es, diese Propagandamaßnahmen innerhalb eines breiteren Bezugsrahmens zu bewerten. Der Fokus richtet sich einerseits auf die Abstufungen im Handlungsrahmen und die alternativen Spielräume, die die zentralisierte ← 10 | 11 → ­Verwaltung in der Umsetzung der kulturellen Maßnahmen gestattete. Zum anderen werden außerhalb des Wirkungsbereichs des KPQ liegende Tendenzen und Entwicklungen des habsburgischen Kulturbetriebs – etwa in Form von Konjunkturen kriegsbezogener Motive und Sujets in Film und Theater – als Vergleichsebene einbezogen.

Diesen Aspekten trägt auch die thematische Gliederung des Bandes Rechnung, die, eingerahmt durch zwei Beiträge zum institutionellen Aufbau und zur medialen Vernetzung innerhalb des KPQ, an den einzelnen Mediengattungen ausgerichtet ist. Die journalistische Kriegsberichterstattung und die literarischen, feuilletonistischen Reflexionen erweisen sich insofern als vergleichbar für die österreichische und die ungarische Propagandamaschinerie an der Front und im Hinterland, als sich beide vorwiegend um prominente Figuren des kulturellen Lebens als MitarbeiterInnen bemühten und die Foren der schriftlichen Öffentlichkeit massiv in Anspruch nahmen. Dadurch wurden die zentralen Topoi früh und breitenwirksam festgeschrieben, wobei mit dem Fortschreiten des Krieges die Spannungen zwischen dem individuellen Stil und der Propaganda­rhetorik der einzelnen Akteure bzw. Presseorgane zunehmend zu Tage traten. So zeigten sich unterschiedliche Gewichtungen bezüglich der erwünschten Darstellungstechniken des Kriegs, was vermehrt auf die (tages-)politische und genrespezifische Kontextgebundenheit der jeweiligen Äußerungen und somit auf die Notwendigkeit umfassender Analysen zum Profil der jeweiligen Presseorgane verweist.

Innerhalb des Theaterlebens Österreich-Ungarns ergibt sich indessen ein weitgehend homogenes Bild mit Bezug auf die Repertoiregestaltung der beiden Länder: Die Programmpolitik der Theater im Hinterland lässt sich als ein Seismograph für den Kriegsstimmungswandel lesen, während die vom KPQ überwachten Fronttheater ebenso wie die Kriegsgefangenentheater im Sinne eines Ablenkungsmanövers auf die Verniedlichung des Kriegszustands abzielten.

Mit Blick auf die bildenden und angewandten Künste sowie auf die fotografischen und filmischen Spuren des Kriegs und der Propaganda fallen die Antworten auf die Frage nach den Forschungsdesideraten deutlich heterogener aus, was den Divergenzen im Stand der einschlägigen Auseinandersetzungen geschuldet ist. Im Gegensatz zum österreichischen Filmschaffen im Umfeld des KPQ sind filmgeschichtliche Untersuchungen für Ungarn durch den Mangel an überlieferten Materialien bislang maßgeblich blockiert worden und die erst kürzlich in Angriff genommenen Digitalisierungsprojekte würden höchstens eine erste Bestandsaufnahme erlauben. Die Aufsätze über die bildenden Künstler und die fotografische Propagandatätigkeit in Ungarn geben indessen den deutschsprachigen LeserInnen überblicksartige Komplementäranalysen zu den im wissenschaftlichen Diskurs ← 11 | 12 → Österreichs bereits vorhandenen Arbeiten,5 wobei sie auch auf die an der offiziellen Propaganda vorbeiführenden »Schleichwege« aufmerksam machen, wie bspw. im Falle der Illustrierten Érdekes Ujság, die mit der Initiative, Frontfotografien durch Preisausschreiben anzuwerben, einen Sonderweg in der bildlichen Berichterstattung beschritt.

Diese zeitgleichen und gattungsspezifischen Zugänge werden im Band durch die Frage nach diversen Formen der Erinnerungspolitik des Kriegs ergänzt: Dies erfordert aktuell, nicht nur die literarischen und visuellen Testimonials der Zwischenkriegszeit zu erforschen, sondern sich auch mit den Simulakren einschlägiger Computerspiele zu befassen. Die damit verbundene Erweiterung des Untersuchungszeitraums gibt darüber hinaus Anlass, die nachträglichen literarischen Inszenierungen sowohl der Kriegswirtschaft wie auch der Kriegsberichterstattung zu rekonstruieren bzw. die in Denkmälern des Ersten Weltkriegs manifesten bildungsbürgerlichen Signale kritisch zu überprüfen.

Die vorliegenden Untersuchungen zu den verschiedenen Medien und Kulturtechniken erweisen sich auf mehreren Ebenen als überaus lohnend: Die Beiträge zum Fronttheater wie zum Foto- und Filmwesen dokumentieren auf Basis umfangreicher Archiv- und Quellenrecherchen6 neue Erkenntnisse zum Zusammenspiel ← 12 | 13 → zwischen staatlichen Behörden und den entsprechenden Kulturschaffenden, während etwa die Aufsätze über den Einsatz von Wiener Mode und die Formensprache von rüstungsbezogenen Industriefilmen den Fokus auf eine unerwartet subtil-nuancierte Umsetzung propagandistischer Bemühungen setzen. Die bereits oben hervorgehobenen zwei Rahmenbeiträge tragen maßgeblich zu einem erweiterten Verständnis des KPQ und dessen komplexer, wachsender Organisationsweise bei. Die Studien zum Pressewesen und dem streitbaren Beitrag namhafter AutorInnen im Dienste des KPQ erlauben es durch die rechercheintensive Revision und die kritische Auswertung von erhaltenen Dokumenten, das vielschichtige und vertrackte Verhältnis zwischen der Institution KPQ und seinen oftmals prominenten MitarbeiterInnen besser zu fassen.

Stellt man abschließend die Frage, worin genau die mit dem Band verbundene Hoffnung hinsichtlich neuartiger Zugänge als erfüllt zu erkennen wäre, so sticht der Beitrag über die antike Inskription in den Kriegsdenkmälern nicht nur hervor, sondern er steht stellvertretend für eine Interpretationstechnik, die davon ausgeht, dass wir erst dann einen Schlüssel zum Verständnis der Propaganda finden werden, wenn unsere philologischen Instrumentarien von hermeneutischen Vorsätzen losgelöst und zugunsten der Heuristik des Gebrauchswerts der Forschungsobjekte im zeitgeschichtlichen Kontext eingesetzt werden. Diese Idee schwingt – zugegeben in einer weniger expliziten Form – nicht nur in jenen Studien mit, die exemplarisch die Veränderungen in der Zeit- und Raumwahrnehmung in der Echtzeit des Kriegs als medial konditionierte Muster des Umgangs mit der Moderne und der Anti-Moderne unter die Lupe nehmen, wie dies etwa im Zusammenhang mit dem Propagandaunternehmen der Wiener Werkstätte erfolgt, sondern auch in jenen Beiträgen, die die gattungsbedingten Rahmen der Untersuchungsobjekte, v.a. der neuen Medienformate tastend erweitern und die Position des Fallbeispiels zur jeweiligen Medienhierarchie andeuten. Dass es dabei derzeit eher um Annäherungen gehen kann, die die empirische »Realität« von Erscheinungen des Ersten Weltkriegs im Rahmen der historischen Narrative selbst behandeln, dürfte für die neuen Forschungen im und nach dem Gedenkjahr insgesamt charakteristisch sein, ein starker Fokuspunkt mit zahlreichen Abwandlungen, bei denen die Gravitationskraft zwar unverkennbar ist, dies aber nur in ihren vielfältigen Ausprägungen wirklich deutlich wird.

Die HerausgeberInnen

1 Vgl. v.a. die Bestände zum Ersten Weltkrieg auf http://anno.onb.ac.at bzw. http://adtplus.arcanum.hu/hu/elsovilaghaboru.

2 Károly Csúri, Magdolna Orosz, Zoltán Szendi (Hg.): Massenfeste. Ritualisierte Öffentlichkeiten in der mittelosteuropäischen Moderne. Frankfurt/M.: Peter Lang 2009; Miklós Fenyves; Amália Kerekes, Bálint Kovács, Magdolna Orosz (Hg.): Habsburg bewegt. Topografien der Österreichisch-Ungarischen Monarchie. Frankfurt/M.: Peter Lang 2013.

3 Zur Propaganda im internationalen Vergleich s. Klaus-Jürgen Bremm: Propaganda im Ersten Weltkrieg. Darmstadt: WBG 2013 bzw. die Einträge und Bibliografien zum Journalismus in: http://encyclopedia.1914-1918-online.net/home (1.3.2015).

4 Die Ausstellung lief vom 2.6.–31.10.2014 im Palais Porcia in Wien. Vgl. https://www.bka.gv.at/site/4798/default.aspx (1.3.2015).

5 Aus den neuen Arbeiten zu den bildenden Künstlern vgl. Ursula Storch: »An den Nutzen des Krieges für die Kunst glaube ich nicht«. Kunst und Künstler 1914 bis 1918. In: Alfred Pfoser, Andreas Weigl (Hg.): Im Epizentrum des Zusammenbruchs. Wien im Ersten Weltkrieg. Wien: Metroverlag 2013, S. 394–403; zur Fotografie im Weltkrieg vgl. Anton Holzer: Die andere Front. Fotografie und Propaganda im Ersten Weltkrieg. Darmstadt: Primus 2012; Wolfgang Maderthaner, Michael Hochedlinger: Untergang einer Welt. Der große Krieg 1914–1918 in Photographien und Texten. Eine Publikation des Österreichischen Staatsarchivs. Wien: Brandstätter 2013.

6 Aufgrund der spärlich erhalten gebliebenen Akten lassen sich die ungarischen propagandistischen Interventionen v.a. mit Blick auf die Presselenkung, wie sie in der Pressesubkommission der Kriegsüberwachungskommission geregelt wurde, rekonstruieren. Die Forschungsergebnisse von Ferenc Mucsi (Presse und Zensur in Ungarn während des Ersten Weltkrieges. In: Ferenc Glatz et al. [Hg.]: Études historiques hongroises. Budapest: Akadémiai 1985, Bd. 2, S. 61–71) konnten nach der Durchsicht der Sitzungsprotokolle der KÜK im Heeresgeschichtlichen Archiv nur mit im aktuellen Zusammenhang unwesentlichen Einzelheiten ergänzt werden, die in erster Linie den veränderlichen Status der Pressesubkommission im System der k.u. Ministerien betreffen. Die Spuren der Kulturpropaganda in einem breiteren Sinne des Wortes begrenzen sich auf einige wenige Hinweise im Aktenlauf des Ministerpräsidiums (Ungarisches Nationalarchiv, Akten des Ministerpräsidiums, K 26), die mit Blick auf die Entscheidungsprozesse möglicherweise aufschlussreiche Dokumentation des Kultusministeriums, von dem die wenigen, unter den Akten des Ministerpräsidiums zu findenden Anfragen zur Entsendung und Enthebung der KünstlerInnen ausgingen, wurde im Brand von 1956 vernichtet.

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I.
Das KPQ: Verfügen

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Walter Reichel

Medien. Verwaltung 1914–1918.
Das k.u.k. Kriegspressequartier

»Es war der Krieg einer ahnungslosen Generation, und gerade diese unverbrauchte Gläubigkeit der Völker an die einseitige Gerechtigkeit ihrer Sache wurde die größte Gefahr.«

Stefan Zweig: Die Welt von Gestern1

Das Kriegspressequartier (KPQ) war Österreich-Ungarns zentrale militärische Propagandaeinrichtung während des Ersten Weltkrieges. Es koordinierte ab dem Kriegsbeginn zunächst nur die Zeitungsberichterstattung, für die es Journalisten und Schriftsteller heranzog. Im weiteren Kriegsverlauf dehnte es seinen Aufgabenbereich aus und erweiterte sein Aufgabenspektrum. Ausgehend von der Zeitungsjournalistik – dem zentralen Leitmedium am Beginn des Jahrhunderts und zu Beginn des Krieges – bündelte das KPQ bis zum Ende des Krieges alle damals zur Verfügung stehenden medialen Ausdrucksformen und entwickelte sich so zu einer umfassenden Informations- und Propagandaeinrichtung. Als solche stellte es etwa die Disziplinen Malerei, Fotografie, Film, Musik, Theater, Bildhauerei und Kunstgewerbe in seinen Dienst. Darüber hinaus übte es die Zensur im Bereich der militärischen Berichterstattung bzw. in allen militärischen Belangen aus.

Während der Zeit seines Bestehens lässt sich die Entwicklung des KPQ in vier Phasen darstellen, deren Gehalt und Verlauf nicht von der Person der beiden Kommandanten zu trennen sind: Auf Phase I – Einrichtung und Indifferenz (1914) folgte die Phase von Restrukturierung und Passivität (1915–1917), gefolgt von Phase III – Ausbau und Aktivität (1917–1918). Ein abschließendes Ende fand der Prozess schließlich mit Phase IV – Agonie und Auflösung (1918).2 ← 17 | 18 →

Phase I: Einrichtung und Indifferenz (1914)

»Das Wort hatte damals noch Gewalt. Es war noch nicht zu Tode geritten von der organisierten Lüge, der ›Propaganda‹, die Menschen hörten noch auf das geschriebene Wort, sie warteten darauf. […] Das moralische Weltgewissen war noch nicht so übermüdet und ausgelaugt wie heute.«

Stefan Zweig: Die Welt von Gestern3

Das KPQ wurde ab dem Tag der Teilmobilmachung am 25. Juli 1914 von Oberst Maximilian von Hoen4 in Wien aufgestellt. Als Grundlage diente die im Jahr 1909 erlassene Mobilisierungsinstruktion, in welcher Organisation und Wirkungskreis festgelegt worden waren.5 Das KPQ war dem Armeeoberkommando (AOK) direkt unterstellt und gliederte sich anfangs in drei Pressegruppen (eine österreichische, eine ungarische und eine ausländische) sowie in das Platzkommando.6 Es sollte als Instrument der positiven Pressepolitik zur kontinuierlichen Nachrichtenversorgung für die Presse sowie diskret zu negativen pressepolitischen Aufgaben herangezogen werden. Die öffentliche Meinung sollte auch über die Grenzen hinweg beeinflusst und so der Ententepropaganda entgegengewirkt werden. Vorgesehen war zunächst einzig die »Aufnahme von Vertretern […] der in- und ausländischen Presse«, die überdies nur im Ausnahmefall wehrpflichtig sein sollten und die von ihren Blättern für diese Aufgabe nominiert wurden.7 An andere Disziplinen wie Fotografie oder Malerei war in den Instruktionen des Jahres 1909 noch nicht gedacht worden, wenngleich einige wenige Personen ← 18 | 19 → aus diesen Bereichen schon sehr bald auch im Rahmen des KPQ ihre Arbeit aufnehmen sollten.

Das Standesregister der in den diversen KPQ-Dienststellen zu unterschiedlichen Zeiten tätigen männlichen und weiblichen Literaten, Journalisten, Künstler, Fotografen, Filmschaffenden und Vertreter anderer Disziplinen – ergänzt um die Literarische Gruppe im Kriegsarchiv – liest sich bisweilen wie das Who-is-Who der Kultur- und Geisteswelt der Monarchie und gibt Aufschluss über das große, dieser Institution innewohnende kreative und intellektuelle Potenzial. Dabei konnten Verweildauer sowie die Art der Zugehörigkeit erheblich variieren: Während etwa die Kriegsberichterstatter Alexander Roda Roda, Karl Friedrich Nowak, Hugo Schulz, Paul Busson und Lajos Biró oder die Kriegsmaler Oswald Roux oder Miklós Vadász beinahe während der gesamten Kriegsdauer mit dem KPQ in Verbindung standen, waren Felix Salten und Ludwig Thoma im November 1917 nur für jeweils neun Tage8 und der Landsturm-Leutnant Leo Perutz für die Teilnahme an zwei Ukraine-Reisen im April und September 1918 nur für jeweils wenige Tage in den Stand des KPQ genommen worden.9

Die Arbeitsbedingungen gestalteten sich für die Journalisten jedoch zunächst alles andere als einfach. Es hatte den Anschein, als ob die »österreichisch-ungarische Heeresleitung Hoen und seine ›Journalisten‹ am liebsten für die Dauer des Krieges in eine Wiener Kaserne interniert« hätte.10 Die erste Fahrt an die Front konnte erst drei Wochen nach dem Eintreffen in Dukla stattfinden.11 Mit dieser Maßnahme wollte das Armeeoberkommando sicherstellen, dass nichts wiedergegeben wurde, das nicht zuvor »gefiltert […] und zensuriert« worden war.12 Dabei galt es, sich dem strengen Regime des AOK ← 19 | 20 → zu unterwerfen und etwa Angaben zu vermeiden, die Rückschlüsse auf die Bewegung, Stationierung und Verluste von Truppen sowie deren beabsichtige Manöver hätten erahnen lassen.13 Die als immer drückender empfundene Enge der galizischen Kleinstadt Dukla führte zu Spannungen unter den Journalisten, von denen sich einer lieber zum Dienst »ins Feld« meldete. »Er kam zu seiner Kompagnie, schaute durch das erste Guckloch, bekam einen Schuss in den Kopf und war tot. Nach einigen Minuten Frontdienst.«14

Die diffizilen und heiklen Arbeitsbedingungen spiegeln sich in dem – vermutlich von Josef Redlich angeregten – Memorandum15 der Journalisten Lajos Biró (Pester Lloyd), Arnoldo Fraccaroli (Corriere della sera), Moritz Müller (Vossische Zeitung) und Alexander Roda Roda (Neue Freie Presse) vom 30. August 1914 wider. Die österreichisch-ungarischen Kriegsberichterstatter äußerten darin den Wunsch, als Augenzeugen am Kampfgeschehen teilnehmen zu können, um ihren Berichten Authentizität zu verleihen und so einen »wirksameren Einfluss auf die Öffentlichkeit nehmen […] können«. Die vom AOK vorgegebenen Arbeitsbedingungen würden dagegen die journalistische Tätigkeit in einem erheblichen Maße beschränken. »Dennoch haben sich uns gerade in den letzten Tagen schwere Bedenken aufgedrängt, ob uns bei den obwaltenden Verhältnissen die Ausführung unserer Aufgaben ausserordentlich erschwert, wenn nicht unmöglich gemacht wird.« Die Berichterstatter empfanden den gegenwärtigen Zustand als überaus bedrückend.

In dem Standort [Dukla], in dem wir uns seit Wochen befinden, fernab von allen kriegerischen Vorgängen, sind wir für unsere Berichte ganz allein auf amtliche Communiques angewiesen, die wir nur kommentieren und paraphrasieren dürfen […]. Solche mechanische Arbeit lässt unsere Begabung brach liegen. Und selbst diese bescheidene Tätigkeit wird jetzt in ihren Ergebnissen dadurch vereitelt, dass unsere […] Berichte in Wien und Budapest einer neuerlichen Zensur und Redaktion unterliegen. ← 20 | 21 →

Sie forderten daher:

Wir Schriftsteller und Maler müssen Augenzeugen der Kriegsvorgänge werden; nur Schilderungen und Bildern, die auf dieser Grundlage geschaffen sind, schenkt die Oeffentlichkeit Vertrauen. […] Je länger der Krieg dauert, desto stärker werden wir mit allen Machtmitteln der Presse und der Kunst das Volk von einer Kriegsmüdigkeit zu bewahren, die Begeisterung und Opferwilligkeit des Volkes wachzuhalten haben. Ein historisches Ereignis von unerschauter Grösse spielt sich ab, ohne anders ins Bewusstsein Europas zu treten, als in Form von farblosen Communiques.

Details

Seiten
374
Jahr
2015
ISBN (PDF)
9783653048506
ISBN (ePUB)
9783653978100
ISBN (MOBI)
9783653978094
ISBN (Hardcover)
9783631656167
DOI
10.3726/978-3-653-04850-6
Sprache
Deutsch
Erscheinungsdatum
2015 (Mai)
Schlagworte
Kriegsberichterstattung Film im Krieg Kriegsfotografie Erster Weltkrieg
Erschienen
Frankfurt am Main, Berlin, Bern, Bruxelles, New York, Oxford, Wien, 2015. 374 S., 13 s/w Abb.

Biographische Angaben

Sema Colpan (Band-Herausgeber:in) Amália Kerekes (Band-Herausgeber:in) Siegfried Mattl (Band-Herausgeber:in) Magdolna Orosz (Band-Herausgeber:in)

Sema Colpan ist Mitarbeiterin, Siegfried Mattl (1954–2015) war Leiter des Ludwig Boltzmann Instituts für Geschichte und Gesellschaft in Wien. Magdolna Orosz ist Leiterin, Amália Kerekes Oberassistentin des Lehrstuhls für deutschsprachige Literaturen der Eötvös-Loránd-Universität in Budapest. Katalin Teller ist Oberassistentin des Lehrstuhls für Ästhetik der ELTE Budapest.

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Titel: Kulturmanöver
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