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Bildungsurlaub – Planung, Programm und Partizipation

Eine Studie in Perspektivverschränkung

von Steffi Robak (Band-Herausgeber:in) Horst Rippien (Band-Herausgeber:in) Lena Heidemann (Band-Herausgeber:in) Claudia Pohlmann (Band-Herausgeber:in)
©2015 Andere 437 Seiten

Zusammenfassung

In einem perspektivverschränkenden Ansatz untersuchen die Autorinnen und der Autor die polyvalenten Wirkungen von Bildungsurlaub. Außerdem befassen sie sich mit den durch die Gesetzesänderung evozierten Steuerungseffekten auf der Ebene der Anbieter und Angebote. Es werden darüber hinaus die professionellen Handlungsmodi der Programmplanung untersucht und die Interessens- und Verwertungszusammenhänge der Teilnehmenden. Hintergrund ist die Tatsache, dass es in Deutschland nur wenige gesetzliche Regelungen gibt, die ein Recht des Einzelnen auf Weiterbildung sichern. Ein besonderes Beispiel sind die Landesgesetze zum Bildungsurlaub (auch Bildungsfreistellungsgesetze). Das Bundesland Bremen hat sein Bildungsurlaubsgesetz im Jahre 2010 novelliert und versucht die Teilnahmequote zu erhöhen, indem es das Spektrum an Bildungsurlaubsanbietern und Veranstaltungsformaten ausdifferenziert und erweitert.

Inhaltsverzeichnis

  • Cover
  • Titel
  • Copyright
  • Autorenangaben
  • Über das Buch
  • Zitierfähigkeit des eBooks
  • Inhaltsverzeichnis
  • Einführung und theoretischer Hintergrund
  • Bildungsurlaub – ein Rückblick als Vorwort
  • Einleitung
  • Anschlusslernen und Lern-Verwertungsinteressen als Untersuchungskategorien für Partizipation an Bildungsurlaub
  • Die Perspektive auf die Weiterbildungsanbieter
  • Angebotsplanung von Bildungsurlaubsveranstaltungen im Spannungsfeld gesellschaftspolitischer Ansprüche, erwachsenenpädagogischer Prinzipien und ökonomischer Interessen
  • Programmanalyse – Bildungsbereiche, Anbieter und Formate im diachronen Vergleich
  • Die Perspektive auf die Teilnehmenden
  • Teilnehmendenstruktur und Anwahlverhalten im Bildungsurlaub
  • Qualitative Interviews mit Bildungsurlaubsteilnehmenden: Funktionen der Partizipation an Bildungsurlaub – Anschlusslernen und Lern-Verwertungsinteressen
  • Quantitative Teilnehmendenbefragung: Bildungspartizipation, Anschlusslernen und Lern-Verwertungsinteressen
  • Die Perspektive auf die Betriebe
  • Möglichkeiten und Barrieren der Teilnahme an Bildungsurlaub in mitbestimmten Betrieben. Die Perspektive von Betriebsräten
  • Fazit
  • Zusammenfassung, Ergebnisdiskussion und Ausblick
  • Handlungsempfehlungen
  • Kommentare
  • Kommentar der Senatorin für Bildung und Wissenschaft
  • Warum es sich lohnt, für den Bildungsurlaub zu streiten
  • Kommentar der Handelskammer Bremen zur Bildungsurlaubsstudie
  • Bildungsurlaub als Eigenzeit für Bildung – eine gesamtgesellschaftliche Verpflichtung. Ein Kommentar aus der Bildungspraxis zur Studie „Wirkungen von Bildungsurlaub und Steuerungseffekte“
  • Kommentar zur Bildungsurlaubsstudie
  • Kommentar zu den Ergebnissen Bildungsurlaub/Politische Bildung
  • Anhang
  • Bremisches Bildungsurlaubsgesetz (BremBUG)
  • Gesetz über die Weiterbildung im Lande Bremen (Weiterbildungsgesetz –WBG)

Einführung und theoretischer Hintergrund

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Horst Siebert

Bildungsurlaub – ein Rückblick als Vorwort

Der Bildungsurlaub ist eine bezahlte berufliche Freistellung von Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern zum Zweck institutionalisierter Weiterbildung. Die Landesgesetze zum Bildungsurlaub regeln vor allem die betriebliche Freistellung. Außer diesen Gesetzen, die in einigen Bundesländern in Erwachsenenbildungsgesetze integriert worden sind, gibt es seit 1970 tarifrechtliche Freistellungsregelungen.

Ende 1973 existierten bereits ca. 200 Tarifvereinbarungen in 198 Tarifbereichen mit insgesamt 2,2 Millionen von ca. 22 Million in weiterbildungsberechtigten Arbeitnehmern. Bis 1977 gab es Tarifvereinbarungen für 2,765 Millionen Beschäftigte, das sind ca. 14 % aller weiterbildungsberechtigten Beschäftigten (Olbrich 2001, S. 375).

Weitere Freistellungen zur Weiterbildung regeln u. a. das Betriebsverfassungsgesetz, das Bundespersonalvertretungsgesetz, das Schwerbehindertengesetz, die Urlaubsverordnung für Beamte oder das (inzwischen revidierte) Arbeitsförderungsgesetz.

Die ersten Bildungsurlaubsgesetze traten Anfang der 1970er Jahre in Berlin, Bremen, Hamburg, Hessen und Niedersachsen in Kraft. „Bis 2001 wurden entsprechende Regelungen in allen Ländern der Bundesrepublik mit Ausnahme Bayerns, Baden-Württembergs, Sachsens und Thüringens eingeführt.“ (Reichling 2010, S. 48).

Die Widerstände der Arbeitgeberverbände waren zum Teil gravierend und es wurden mehrere Arbeitsgerichtsverfahren durchgeführt. Umstritten waren e.g. Regelungen, die die berufliche Qualifizierung vom Bildungsurlaub ausschlossen oder auch Seminare, die mit Studienreisen oder in Tourismusgebieten stattfinden sollten. Auf die juristischen Auseinandersetzungen versuchte der Gesetzgeber zu reagieren, einige Gesetze und Verordnungen wurden revidiert, so dass Kompromisse und Vereinbarungen zwischen den Interessengruppen erreicht wurden:

Durch Verfahrensänderungen, Kleinbetriebe-Schutzklauseln und eine stärkere Akzentuierung beruflicher Weiterbildung versuchten einige Landesgesetzgeber seit den 1990er Jahren, die Akzeptanz des Bildungsurlaubs bei Arbeitgebern zu verbessern (ibid., S. 49).

Dennoch ist die Genehmigung zum Bildungsurlaub in vielen Klein- und Mittelbetrieben erschwert, die Betriebsgröße hat einen entscheidenden Einfluss auf die Teilnahmemöglichkeit und es bestehen gravierende Unterschiede regionaler ← 11 | 12 → Art. 15 Jahre nach der Verabschiedung der ersten Freistellungsgesetze lag in den Flächenländern die Nutzungsquote bei 0,5 % im Durchschnitt, in Niedersachsen bei ca. 2 %. Hier waren ca. 40 % der Teilnehmenden bei VW und weitere 40 % im öffentlichen Dienst beschäftigt (Kuwan et al. 1990, S. 197–201). Damit entsprach und entspricht die Teilnahme an Bildungsurlaubsseminaren in den meisten Ländern insgesamt nicht den anfänglichen bildungspolitischen und pädagogischen Erwartungen. Olbrich 2001 stellt dafür eine Reihe von Begründungen zusammen:

„Als Gründe für den niedrigen Auslastungsgrad werden u. a. genannt:

Dabei waren die ersten Gesetze zum Bildungsurlaub mit großen Erwartungen verbunden worden. Angeregt wurde die bildungspolitische Diskussion in den 1960er Jahren von gewerkschaftlichen Institutionen. 1969 betonte die sozialliberale Koalition in ihrer Regierungserklärung den Bildungsurlaub als eine „wichtige Aufgabe“ zur Verbesserung der Chancengleichheit „bildungsferner“ Gruppen (cf. Heimann 1972, S. 28). Der betriebliche Nutzen des Bildungsurlaubs hatte eine sekundäre Bedeutung gegenüber der Förderung des – demokratischen – Bildungsniveaus. Erwachsenenbildner wie Hans Tietgens bezeichneten den Bildungsurlaub als „Initialzündung“ für eine wirkungsvolle Weiterbildung. Ein erfolgreiches Lernen in einem neu erlebten Bildungsseminar – insbesondere in einer Heimvolkshochschule – sollte bei „Neulingen“ die Motivation zum lebenslangen Lernen sowie den Erwerb von kognitiven Schlüsselqualifikationen fördern. Insofern sollte die Bildungskompetenz in den lernungewohnten Sozialschichten gesteigert werden.

Die Wirksamkeit der Bildungsurlaubsgesetze lässt sich nicht primär nach der bereits angesprochenen allgemeinen „Nutzungsquote“ beurteilen, vor dem Hintergrund der bildungspolitischen Intentionen muss vielmehr nach den erreichten „bildungsbenachteiligten“ Zielgruppen und nach der Bearbeitung bestimmter Themen gefragt werden. Rückblickend ist festzustellen, dass die Mehrheit der Bildungsteilnehmenden bereits über ein höheres Bildungsniveau und eine aktive Weiterbildungsbeteiligung verfügt. „Un- und Angelernte“ sind in Bildungsurlaubsseminaren eher selten. Viele sozialdemokratische und gewerkschaftliche Politiker beabsichtigten vor allem eine politische Bildung im Bildungsurlaub, da sich gesamtgesellschaftlich ein politisches Desinteresse abzeichnete. Auch diese bildungspolitische Zielsetzung wurde nicht befriedigend erreicht, wenn auch einige Bildungsveranstalter attraktive teilnehmerorientierte Themen anboten. Vor ← 12 | 13 → allem in der Erprobungsphase wurde mehrfach versucht, Zusammenhänge zwischen allgemeiner, beruflicher und politischer Bildung zu didaktisieren.

Bildungsurlaub ist für viele Bildungsforscher ein ergiebiger empirischer Forschungsgegenstand. Allerdings sind die Evaluationsergebnisse nur bedingt verallgemeinerbar. Günther Holzapfel, der damals in der Heidelberger „Arbeitsgruppe für empirische Bildungsforschung“ (AfeB) mit dem Bildungsurlaub beschäftigt war, unterscheidet folgende Ebenen der Bildungsurlaubsforschung:

Norbert Reichling verweist in einem Handbuchbeitrag auf die Begrenztheit der Resultate der bisherigen Forschung zum Bildungsurlaub und macht auf eine gravierende Leerstelle aufmerksam: „Über die tatsächlichen Motivations- und Langzeitwirkungen des Bildungsurlaubs und das intendierte ‚Anschlusslernen‘ liegen […] wenig empirische Befunde vor.“ (Reichling 2010, S. 49). Damit verweist er zugleich auf die hauptsächliche Untersuchungsrichtung der empirischen Arbeiten, in denen danach gefragt wurde, inwieweit der Bildungsurlaub dazu beigetragen hat, die Beteiligungsquote an der Erwachsenenbildung zu erhöhen. Man darf skeptisch sein: Offenbar sind durch den Bildungsurlaub nur wenige bildungsdistanzierte Erwerbstätige zu motivierten Weiterbildungsaktivisten geworden.

Teilweise bevor die Bildungsgesetze in Kraft traten, wurden bereits in mehreren Ländern Modellseminare durchgeführt, über die auch Projektberichte geschrieben wurden. An erster Stelle ist hier das „Bildungsurlaubs-Versuchs- und Entwicklungsprogramm“ (BUVEP) zu nennen, das im Auftrag der Bundesregierung in den Jahren 1975 und 1976 mehr als 50 Bildungsurlaubsseminare durchführte und wissenschaftlich begleitete (cf. Kecjz et al. 1979a). Außerdem wurden Befragungen von Veranstaltern und potenziellen Teilnehmenden veröffentlicht. In den meisten Bildungsurlaubsseminaren hatte nur eine Minderheit die Freistellung am Arbeitsplatz beantragt, so dass die Teilnehmerstruktur eher heterogen war. Rainer Brödel et al. führten 1974 eine Befragung von bildungsurlaubsberechtigten Industriearbeiterinnen und -arbeitern durch (Brödel et al. 1975). Es war erkennbar, dass qualifizierte Facharbeiter besonders an einer Teilnahme interessiert waren. Das Interesse an berufsfeldbezogenen Themen war größer als das allgemeinbildende Interesse. Erwartet wurden „aufgelockerte“, nicht-schulische Methoden. ← 13 | 14 →

Aufgrund unserer teilnehmenden Beobachtung in niedersächsischen Heimvolkshochschulseminaren (cf. Siebert 1972) haben wir folgende didaktische Empfehlungen zur Diskussion gestellt:

Das Interesse „bildungsferner“ Arbeitnehmergruppen an den Seminaren war allerdings mäßig. Vor allem viele Frauen waren aus familiären Gründen nicht in der Lage, Wochenseminare entfernt zu verbringen. In der Anfangszeit beantragten in Niedersachsen nur 0,4 % der Berechtigten eine Teilnahme. Die Erwartung, die Weiterbildungsbeteiligung der Arbeiterschaft mit Hilfe des Instruments des Bildungsurlaubs deutlich zu erweitern, wurde kaum erfüllt (cf. dazu Olbrich 2001, S. 374).

Kann dies u. a. auch daran gelegen haben, dass die Unterschiede in den Deutungsmustern von Lehrenden und Lernenden nur schwer zu überbrücken waren? Dass also neben den äußeren restriktiven Bedingungen auch letztlich didaktisch neue Aufgaben noch nicht zufriedenstellend gelöst wurden? Auch dieser Frage gingen einzelne Untersuchungen nach, von denen hier zwei genannt werden sollen.

Auf das umfangreichste Bildungsforschungsprojekt, BUVEP, das von 1975 bis 1978 von der „Arbeitsstelle für empirische Bildungsforschung“ in Heidelberg (AfeB) durchgeführt wurde, ist bereits hingewiesen worden. In dessen Mittelpunkt stand die teilnehmende Beobachtung von 54 Seminaren sowie die Befragung der Lehrenden und der Teilnehmenden. Einen interessanten gesonderten Projektbericht hat die Pädagogische Arbeitsstelle des Deutschen Volkshochschul-Verbandes veröffentlicht (Kejcz et al. 1979b). Dessen Gegenstand war ein Heimvolkshochschulseminar in Niedersachsen für „bildungsbenachteiligte“ Industriearbeiterinnen über berufliche und betriebliche Erfahrungen, e.g. über die Funktion von Betriebsärzten. Die Lehrenden sind Soziologinnen und Soziologen. Die AfeB-Mitarbeitenden nehmen an dem Seminar teil und protokollieren – zum Teil wörtlich – den Seminarverlauf. Deutlich werden die unterschiedlichen Perspektiven der Arbeiter und Arbeiterinnen, der soziologischen Lehrkräfte und der Beobachtenden. Zwar ist der Umgang miteinander freundlich und kooperativ, aber die Wirklichkeiten des betrieblichen Alltags und der sozialwissenschaftlichen Theorie lassen sich nur schwer vermitteln. „Teilnehmerorientierung“ ist offenbar nicht ← 14 | 15 → primär eine Frage des Führungsstils, sondern eine inhaltliche Berücksichtigung der Lebenswelten und des Alltagswissens.

Auf die kognitiven und emotionalen Deutungsunterschiede der Lehrenden und Lernenden in einem solchen Seminar verweist bereits Hans Tietgens in seinen „Vorbemerkungen“ (ibid., S. 12.).

Das Forschungsteam begründet diese Fallstudienanalyse, weil die Lehr-Lernstile in solchen Gruppen typisch zu sein scheinen. Es geht offenbar nicht lediglich um die Vermittlung soziologischen Wissens, sondern um eine praxisrelevante Verständigung über die Arbeits- und Lebenssituation und die praktische Motivation der Industriearbeiterinnen. „Das Seminar soll also an jedem Punkt rückführbar sein auf die Handlungsinteressen der Teilnehmerinnen.“ (Kejcz et al. 1979b, S. 18).

Als eine weitere Forschung zur politischen Erwachsenenbildung soll die von 1996 bis 1998 von der Hannoveraner „Arbeitsgruppe Interdisziplinäre Strukturforschung“ (Agis) unter Leitung von Michael Vester durchgeführte Studie „Soziale Milieus und Bildungsurlaub“ genannt sein. Helmut Bremer, Mitarbeiter der „agis“, interviewte dafür Teilnehmende an politischen Bildungsurlaubsseminaren von „Arbeit und Leben Niedersachsen“, die Milieutypologie der „agis“ orientiert sich theoretisch am Konzept des „sozialen Raumes“ von Pierre Bourdieu.

Helmut Bremer registriert vier Zielgruppen der Bildungsurlaubsseminare, die unterschiedliche Erwartungen an den Bildungsurlaub richten: die „Traditionellen“, die „Bildungsfernen“, die „Selbstbestimmten“ und die „leistungsorientierten Pragmatiker“. Bei den Traditionellen überwiegt eine Facharbeitermentalität. Sie sind meistens „Handarbeiter“, die sich Wissen durch Erfahrung aneignen. Von Bildungsurlaubsseminaren erwarten sie einen berufspraktischen Nutzen. Lehrende schätzen sie vor allem als „sachkundige Experten“.

Die Gruppe der „Bildungsfernen“ gehört zum Milieu der „traditionslosen Arbeiter“. Ihre Arbeit ist „gering qualifiziert“ und „wenig attraktiv“. Die Chancen, beruflich „aufzusteigen“ sind gering. Vom Bildungsurlaub erwarten sie eine Abwechslung vom Berufsalltag und eine Woche Geselligkeit.

Die „Selbstbestimmten“ gehören zu den modernen Milieus. Sie üben meist anspruchsvolle Tätigkeiten aus, ohne einen „Lebensgenuss“ zu vernachlässigen. Vom Bildungsurlaub erwarten sie abwechslungsreiche Methoden und eine „ganzheitliche Bildung“. Bei den Lehrenden bevorzugen sie partnerschaftliche Umgangsformen.

Die leistungsorientierten Pragmatiker verfügen über einen „funktionalen, leistungsorientierten Bildungsbegriff“ und erwarten eine Verknüpfung von beruflicher Qualifizierung und persönlicher Horizonterweiterung, sie erwarten ← 15 | 16 → verwertbares Wissen. Intrinsische und extrinsische Motive ergänzen sich (cf. Bremer 1999, S. 19ff.).

Kritisiert werden häufig „Laberthemen“, bei denen sich viele der Teilnehmenden unterfordert fühlen. Die Anforderungen an die Veranstaltungsqualität sind gestiegen. Michael Vester warnt in seinem Vorwort davor, diese Trends als Indikatoren für eine generelle „Entpolitisierung“ zu verstehen, vielmehr seien die „Teilnehmertypen aus den moderneren Milieus […] häufig sehr stark sensibilisiert für gesellschaftliche Entwicklungen.“ (Vester 1999, S. 8). Bedenkenswert ist Vesters Hinweis: „Die Leute sind häufig weiter, als die ‚Elite‘ denkt.“ (ibid., S. 8). Die „Potenziale“ der Teilnehmenden werden offenbar in den Seminaren nicht hinreichend genutzt. Es wäre falsch, „aus Wünschen nach sog. Verwertungswissen zu schließen, die Teilnehmer wären rein ‚materialistisch‘ motiviert.“ (ibid., S. 8)

Ende März 2014 fand eine Fachtagung zum Bildungsurlaub in Nordrhein-Westfalen statt. Berichtet wurde über die Nachfrage und Angebote zum Bildungsurlaub sowie über Trends und wünschenswerte bildungspolitische Rahmenbedingungen. Die aktuelle Bestandsaufnahme ist positiv: Seit 2011 fand in NRW eine Angebotssteigerung um 20 % statt. 15 % der Seminare lassen sich der politischen Bildung zuordnen. Ein wachsendes thematisches Interesse bezieht sich auf Arbeitstechniken und Sprachkurse – insbesondere Französisch, Spanisch und Italienisch. Bildungspolitisch wurde die Genehmigung eines Bildungsurlaubs für Auszubildende gefordert. Im März 2015 wurde in Baden-Württemberg ein Bildungszeitgesetz verabschiedet, das sowohl Angestellte, Arbeiter als auch Auszubildende und Landes- und Kommunalbeamte berechtigt, Bildungsurlaub zu beanspruchen.

Es lässt sich feststellen: Bildungsurlaub ist in mehreren Bundesländern eine innovative Reform geworden. Dennoch ist insgesamt die Wirksamkeit nicht so einflussreich wie ursprünglich erwartet.

Literatur

Bremer, Helmut (1999): Soziale Milieus und Bildungsurlaub. Angebote, Motivationen und Barrieren der Teilnahme am Programm von ‚Arbeit und Leben Niedersachsen e.V.’. Agis-texte Band 22., Hannover.

Brödel, Rainer / Müller, Hans-Friedrich / Schirner, Henning / Wöhlbrandt, Gabriele (1975): Industriearbeiter zum Bildungsurlaub – Ergänzungsband zum Ergebnisbericht Weiterbildungsverhalten von Industriearbeitern, Förderungsvorhaben BiW 7056 des Bundesministeriums für Bildung und Wissenschaft, Universität Göttingen. ← 16 | 17 →

Heimann, Dietrich (1972): Bildungspolitische Kontroversen und Perspektiven zum Bildungsurlaub. In: Siebert, Horst (Hrsg.): Bildungsurlaub: Eine Zwischenbilanz. W. Bertelsmann Verlag: Düsseldorf, S. 28–47.

Holzapfel, Günther (1979): Bildungsurlaubsforschung. In: Siebert, Horst (Hrsg.): Taschenbuch der Weiterbildungsforschung. Schneider: Baltmannsweiler, S. 405–435.

Kejcz, Yvonne / Monshausen, Karl-Heinz / Nuissl, Ekkehard / Paatsch, Hans-Ulrich / Schenk, Peter (1979a): Bildungsurlaubs-Versuchs-und Entwicklungsprogramm der Bundesregierung. Endbericht, 8 Bände. Heidelberg.

Kejcz, Yvonne / Nuissl, Ekkehard / Paatsch, Hans-Ulrich / Schenk, Peter (1979b): Lernen an Erfahrungen? Eine Fallstudie über Bildungsarbeit mit Industriearbeiterinnen. Deutscher Volkshochschul-Verband: Bonn.

Kuwan, Helmut / Gnahs, Dieter / Seusing, Beate (1990): Berichtssystem Weiterbildung 89. Integrierter Gesamtbericht. Schriftenreihe Studien zu Bildung und Wissenschaft, Bd. 89. Bundesministerium für Bildung und Wissenschaft. Bock: Bad Honnef.

Olbrich, Josef (2001): Geschichte der Erwachsenenbildung in Deutschland. Leske + Budrich: Opladen.

Reichling, Norbert (2010): Bildungsurlaub. In: Arnold, Rolf / Nolda, Sigrid / Nuissl, Ekkehard (Hrsg.): Wörterbuch Erwachsenenbildung. Klinkhardt: Bad Heilbrunn, S. 48–49.

Siebert, Horst (Hrsg.) (1972): Bildungsurlaub: Eine Zwischenbilanz. Bertelsmann Universitätsverlag, Düsseldorf.

Vester, Michael (1999): Vorwort. In: Bremer, Helmut (Hrsg.): Soziale Milieus und Bildungsurlaub. Angebote, Motivationen und Barrieren der Teilnahme am Programm von ‚Arbeit und Leben Niedersachsen e.V.’. Agis-Texte Band 22, Hannover, S. 7f. ← 17 | 18 →

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Steffi Robak und Horst Rippien

Einleitung

Details

Seiten
437
Jahr
2015
ISBN (PDF)
9783653059151
ISBN (ePUB)
9783653979107
ISBN (MOBI)
9783653979091
ISBN (Hardcover)
9783631655610
DOI
10.3726/978-3-653-05915-1
Sprache
Deutsch
Erscheinungsdatum
2015 (Juli)
Schlagworte
Anschlusslernen Bildungspartizipation Lernverwertungsinteressen
Erschienen
Frankfurt am Main, Berlin, Bern, Bruxelles, New York, Oxford, Wien, 2015. 437 S., 46 Tab., 30 Graf.

Biographische Angaben

Steffi Robak (Band-Herausgeber:in) Horst Rippien (Band-Herausgeber:in) Lena Heidemann (Band-Herausgeber:in) Claudia Pohlmann (Band-Herausgeber:in)

Steffi Robak ist Geschäftsführende Leiterin des Instituts für Berufspädagogik und Erwachsenenbildung und Geschäftsführende Leiterin der Arbeitsstelle DiversitAS (Diversität-Migration und Bildung) der Leibniz Universität Hannover. Horst Rippien ist Wissenschaftlicher Mitarbeiter am Institut für Erwachsenen-Bildungsforschung der Universität Bremen. Claudia Pohlmann ist Wissenschaftliche Mitarbeiterin am Institut für Berufspädagogik und Erwachsenenbildung der Leibniz Universität Hannover. Lena Heidemann ist Wissenschaftliche Mitarbeiterin am Institut für Berufspädagogik und Erwachsenenbildung der Leibniz Universität Hannover. Susanne Hermeling ist Referentin für Bildungspolitik bei der Arbeitnehmerkammer Bremen.

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