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Deutscher Wortschatz – beschreiben, lernen, lehren

Beiträge zur Wortschatzarbeit in Wissenschaft, Sprachunterricht, Gesellschaft

von Jörg Kilian (Band-Herausgeber:in) Jan Eckhoff (Band-Herausgeber:in)
©2015 Konferenzband VII, 426 Seiten

Zusammenfassung

Die Erkenntnisinteressen, Ansätze und Methoden der Wortschatzforschung innerhalb der germanistischen Linguistik haben sich in jüngerer Zeit grundlegend gewandelt. Der Band enthält die Beiträge der Sektion «Deutscher Wortschatz», die auf dem Deutschen Germanistentag 2013 in Kiel vorgetragen wurden. Ansätze und Methoden der Ermittlung sowie Ordnung und Beschreibung des deutschen Wortschatzes werden hier ausführlich vorgestellt. Außerdem präsentieren die Herausgeber Untersuchungsergebnisse zu Wortschatzerwerb, Wortschatzerweiterung und Wortschatzvertiefung bei Kindern und Jugendlichen mit Deutsch als Erst-, Zweit- oder Fremdsprache. Darüber hinaus stellen sie Ansätze und Methoden der Wortschatzdidaktik zur Wortschatzarbeit im Unterricht vor und berichten über Untersuchungen von Wortschätzen in unterschiedlichen gesellschaftlichen Kommunikations- und Praxisbereichen.

Inhaltsverzeichnis

  • Cover
  • Titel
  • Copyright
  • Autorenangaben
  • Über das Buch
  • Zitierfähigkeit des eBooks
  • Inhalt
  • Zur Einführung: Jörg Kilian/Jan Eckhoff
  • Zur Ermittlung, Ordnung und Beschreibung des Deutschen Wortschatzes
  • Entwicklungen im aktuellen deutschen Wortschatz: Christine Römer
  • I Einführung
  • 1.1 Dynamik im Wortschatz
  • 1.2 Ursachen, Triebkräfte und Sachbereiche für Erweiterungen
  • II Hauptformen der Wortschatzerweiterung
  • 2.1 Wortschöpfungen und Wortbildungen
  • 2.2 Phraseologisierungen
  • 2.3 Entlehnungen
  • 2.4 Bedeutungsveränderungen
  • III Mögliche Entwicklungstendenzen im deutschen Wortschatz
  • 3.1 Thesen zu Veränderungstendenzen in der Wortbildung These zur Zunahme der Instabilität
  • 3.2 Fachwörter in der Gemeinsprache
  • 3.3 Probleme mit neuen deutschen Termini
  • 3.4 Typologische Entwicklung: Vereinfachung und Heterogenität
  • Literatur
  • Diskurslexikografie als gesellschaftsbezogene Wortforschung. Vorstellung eines Wörterbuchkonzepts: Heidrun Kämper
  • I Einführung
  • II Diskurs und Diskurslexikologie
  • III Diskurswörterbücher
  • 3.1 Das Wörterbuch zum Schulddiskurs
  • 3.2 Das Wörterbuch zum Protestdiskurs 1967/68
  • IV Prinzipien der Diskurslexikografie
  • 4.1 Diskursprinzip
  • 4.2 Kontextprinzip
  • 4.3 Korpusprinzip
  • 4.4 Relevanzprinzip
  • 4.5 Netzprinzip
  • V Fazit: Diskurswörterbuch typologisch
  • Literatur
  • Vom Korpus ins Wörterbuch – Die Ermittlung und Auswertung von Sprachdaten für elexiko, ein korpusgestütztes Online-Wörterbuch zur deutschen Gegenwartssprache: Ulrich Schnörch
  • I Korpusbasierte Internetlexikografie: Das Beispiel elexiko
  • II Vom Korpus ins Wörterbuch – Analysemethoden
  • III Die Beispielanalyse Bauer
  • Literatur
  • Sachgruppe als Strukturelement des Wortschatzes: Elizaveta Kotorova
  • I Problemstellung
  • II Thesaurus: allgemeine Charakteristik
  • III Sachgruppe im Bestand eines Thesaurus: Prinzipien der Gestaltung im Vergleich
  • IV Sachgruppe im Vergleich zu anderen Gruppierungen im Wortschatz
  • 4.1 Sachgruppe und Wortfeld
  • 4.2 Sachgruppe und Assoziationsfeld
  • 4.3 Sachgruppe und Synset
  • V Resümee
  • Literatur
  • Onomasiologische Wörterbücher
  • Forschungsliteratur
  • Fachwortschatzforschung aus der Perspektive der kognitiven Linguistik: Maja N. Volodina
  • I Einleitung
  • II Fachwort (Terminus) als eine Repräsentationsform von Fachwissen und als Medium im Prozess der Fachkommunikation
  • III Zur Spezifik terminologischer Information
  • IV Pragmatische Zielsetzung des Terminus
  • V Terminologische Nomination
  • VI Fazit
  • Literatur
  • Political Correctness im Duden-Universalwörterbuch: Sabine Elsner-Petri
  • I Einleitung
  • 1. Zum Untersuchungsgegenstand
  • II Veränderungen im DUW
  • 1. Veränderungen der Makrostruktur
  • 2. Veränderungen der Metasprache
  • 3. Veränderungen der Anwendungsbeispiele und der Phraseologie
  • 4. Veränderungen der Mikrostruktur
  • 5. Veränderungen der etymologischen Angaben
  • 6. Verteilung der Veränderungstypen im DUW
  • III Die Datenbank
  • IV Fazit
  • Literatur
  • Wörterbücher
  • Untersuchungen zu Wortschatzerwerb, Wortschatzerweiterung, Wortschatzvertiefung Bei Kindern und Jugendlichen mit Deutsch Als Erst-, Zweit- und Fremdsprache
  • Wortschatzvielfalt und Wortartenverteilung in Erzählungen von Kindern im Vorschulalter: Christina Kauschke/Katrin D. Bartl-Pokorny/Peter B. Marschik/Ralf Vollmann
  • I Einleitung
  • 1.1. Wortschatz in Erzählungen
  • 1.1.1. Lexikalische Mittel zur Gestaltung der Makrostruktur
  • 1.1.2. Lexikalische Mittel zur Gestaltung der Mikrostruktur
  • 1.1.3. Lexikalische Mittel zur Gestaltung der Erzählperspektive
  • 1.2. Erwerb narrativer Kompetenzen
  • 1.3. Das Lexikon im frühen Spracherwerb
  • II Studie: Wortschatz beim Erzählen
  • 2. 1. Probanden und Material
  • 2.2. Auswertung
  • 2.2.1. Wortschatzmaße
  • 2.2.2. Wortartenverteilung
  • 2.2.3. Semantische Subkategorien
  • 2.3. Ergebnisse
  • 2.3.1. Wortschatzmaße
  • 2.3.2 Wortartenverteilung
  • 2.3.3 Semantische Subkategorien
  • III Diskussion
  • IV Ausblick
  • Literatur
  • Strukturbezogene Zugriffe auf komplexe Wörter – eine Hilfe zum Semantisieren beim Lesen?: Melanie Bangel
  • I Einleitung
  • II Worterkennung im Leseprozess
  • III Zur Rolle morphologischer Strukturen beim Lesen
  • IV Wortschatzerweiterung durch Lesen
  • V Zur Untersuchung
  • 5.1 Ziele und Fragestellungen
  • 5.2 Methodisches Vorgehen
  • 5.2.1 Datenerhebung
  • 5.2.2 Auswahl der Untersuchungsteilnehmer und -teilnehmerinnen
  • 5.2.3 Auswahl der Textkontexte
  • 5.2.4 Datenauswertung
  • VI Erste Ergebnisse
  • VII Fazit und Ausblick
  • Literatur
  • IX Anhang
  • Warum klebt eine Spinne nicht in ihrem eigenen Netz fest?
  • Der Nordwind und die Sonne
  • Kreative Wortbildung im deutschen Zweitspracherwerb: Rosemarie Stern
  • I Einleitung
  • II Komposita im Deutschen
  • III Komposita im Türkischen und B/K/S
  • IV Theoretischer Hintergrund
  • 4.1 Thematische Relationen
  • 4.2 Thematische Relationen in Komposita
  • V Neologistische Wortbildungen im Spracherwerb
  • VI Fragestellung
  • VII Ergebnisse
  • 7.1 Stichprobenbeschreibung
  • 7.2 Kompositatypen
  • 7.3 Struktureller und semantischer Vergleich mit den Zielitems
  • 7.4 Thematische Relationen
  • VIII Diskussion
  • Literatur
  • Internet
  • Ohne Worte keine Sprache – ohne Sprache keine Bildung: Die Familie als zentraler Ort der Wortschatzentwicklung eines Kindes: Naxhi Selimi
  • I Einleitung
  • II Der Einfluss der Familie auf die Wortschatzentwicklung eines Kindes
  • III Lexikalisch-semantische Entwicklung in der frühen Kindheit
  • IV Charakteristika des Wortschatzerwerbs bei mehrsprachig aufwachsenden Kindern
  • V Familienprofile und deren Charakteristika im Hinblick auf den Einfluss der Wortschatzentwicklung ihrer Kinder
  • VI Didaktische Merkmale einer wirksamen Wortschatzarbeit in der vorschulischen Alltagspraxis
  • VII Einbezug der Eltern in die Wortschatzförderung ihres Kindes
  • Literatur
  • Vorschläge zu einem Lernwörterbuch: Gerhard Augst
  • I Einleitung
  • 1.1 Ausgangspunkt: PONS-Basiswörterbuch
  • 1.2 Entwicklung des Problems
  • II Plädoyer für ein Lernwörterbuch
  • 2.1 Makrostruktur: Inhaltsfelder und funktionale Felder
  • 2.2 Mikrostruktur
  • 2.2.1 Primäre Mikrostruktur: episodisch oder enzyklopädisch
  • 2.2.2 Sekundäre Mikrostruktur: nach Wortfamilien
  • III Zusammenfassung
  • Literatur
  • a. Wörterbücher
  • b. Sekundärliteratur
  • Grundwortschatz Deutsch als Fremdsprache: Ein datengeleiteter Ansatz: Willi Lange/Saburo Okamura/Joachim Scharloth
  • I Zur Heterogenität von Grundwortschätzen
  • II Ansätze zur Bestimmung des zentralen Wortschatzes
  • III Das Projekt „Datengeleiteter Grund- und Aufbauwortschatz Deutsch“
  • IV Ergebnisse der datengeleiteten Analyse
  • V Fazit
  • Literatur
  • Wortschatzdidaktik und Wortschatzarbeit im Unterricht
  • Von der Klarheit und Deutlichkeit der Worte. Wortschatzarbeit und Wissensvermittlung in der aufklärerischen Sprachlehre: Tobias Heinz
  • I Annäherung
  • II Aufklärung als Bildungsrevolution und Sprachprojekt
  • III „Wortverständnisse“ und „Sacherkenntnisse“ bei Basedow: Zum erkenntnis- und sprachtheoretischen Fundament des Elementarwerks
  • IV Worte, Wissen, Vermittlung: Basedows Methoden
  • Explizite Definition und lebenspraktische Veranschaulichung
  • Vergleichen und Unterscheiden
  • Dialogische Erörterung und verstandesmäßige Durchdringung des Lernstoffes
  • Literatur
  • Polysemie als zentraler Gegenstand der Wortschatzarbeit: Winfried Ulrich
  • Literatur
  • Phraseologische Arbeit als Wortschatzarbeit im muttersprachlichen Deutschunterricht?: Wenke Mückel
  • I Wortschatzarbeit und phraseologische Arbeit
  • II Phrasembehandlung in Schulbüchern
  • III Modellierung phraseologischer Wortschatzarbeit
  • (1) Vernetzung von Komponenten der Sprachreflexion, der Sprachanalyse, des Sprachgefühls und der Sprachverwendung
  • (2) Arbeit mit Korpora und Schaffung eines Lernmittelverbundes
  • (3) Arbeit mit Formulierungsbausteinen und sprachlichen Formeln
  • (4) Lexikographische Verbindung
  • (5) Grammatische Verbindung
  • (6) Verknüpfung von Fremd- und Muttersprache
  • (7) Verortung phraseologischer Ansätze
  • IV Fazit
  • Literatur
  • Schulbücher
  • Information oder Persuasion? Zum Nutzen einer sprachkritischen Auseinandersetzung mit (Pseudo-)Fachwörtern der Kosmetikwerbung im Deutschunterricht: Melanie Lenzhofer-Glantschnig
  • I Einleitung
  • II Fachwörter und Pseudofachwörter in Werbeanzeigen
  • III Fachlichkeit in Werbeanzeigen – diachrone Entwicklung
  • IV Umsetzung im Deutschunterricht
  • V Resümee
  • Literatur
  • Bedeutungswissen in der Diskussion: Alexander Horn
  • I Einleitung
  • II Zum Zusammenhang von Sprachreflexion und Sprachbewusstsein
  • III Fazit
  • Literatur
  • Sprachliche Prozeduren beim fachlichen Lernen: Begründen in Mathematik: Astrid Neumann/Silke Ruwisch
  • I Einleitung
  • II Begründen in Deutsch und Mathematik
  • 1. Lernen mit Sprache: Wissenskategorien und Diskursfunktionen
  • 2. Begründen im Deutschunterricht der Grundschule
  • 3. Begründen im kompetenzorientierten Mathematikunterricht
  • 4. Spezifika des schriftlichen Begründens in Mathematik und in Deutsch
  • III Theoretisches Kompetenzmodell mathematischen Begründens
  • 1. Begriffsdefinition TheKomB
  • 2. Untersuchungs- und Auswertungsdesign
  • IV Ergebnisse
  • 1. Sprachliche Marker des Begründens in den Schülertexten
  • V Fazit
  • Literatur
  • Wörter als Schlüssel Kultursensible-funktionale Wortschatzvermittlung in mehrsprachigen Lern(er)gruppen: Yüksel Ekinci
  • I Einleitung
  • II Funktionaler Wortschatz für Kinder mit der Zweitsprache Deutsch
  • III Die kultursensible-funktionale Wortschatzvermittlung
  • 3.1 Konzeptualisierungen und unterschiedliche Bedeutungen
  • 3.2 Eine kultursensible Aneignung von Wörtern
  • 3.3 Aspekte einer kultursensiblen Wortschatzvermittlung
  • IV Erste Forschungsergebnisse des Wortschatzprojekts
  • 4.1. Sprachbiografie von Zeynep
  • V Fazit
  • Literatur
  • Deutscher Wortschatz in der Gesellschaft
  • Kontrastive Wortbildung im Sprachsystem, Sprachgebrauch und in der Sprachkompetenz: Erla Hallsteinsdóttir
  • I Einleitung
  • II Perspektiven auf Sprache
  • 2.1 Systemgrammatische Beschreibung
  • 2.2 Wortbildung im Sprachgebrauch
  • 2.3 Sprache, Kultur und Kognition
  • III Werkstattbericht: Einblicke in die empirische Untersuchung
  • 3.1 Korpusdaten als Grundlage
  • 3.2 Konzeptuelle Bereiche von Wortbildungen und interlingualer Vergleich
  • 3.3 Konzeptuelle Bereiche von Komponenten
  • 3.3.1 Wortbildungen mit *island* als Komponente im Deutschen, Dänischen und Isländischen
  • 3.3.2 Wortbildungen mit *dän* als Komponente im Deutschen, Dänischen und Isländischen
  • 3.3.3 Wortbildungen mit *deutsch* als Komponente im Deutschen, Dänischen und Isländischen
  • IV Zusammenfassung und Ausblick
  • Literatur
  • Wortschatzarbeit in der behördlichen Datenverarbeitung: Vom Nutzen linguistischer Kompetenzen außerhalb von Forschung und Lehre: Veronika Haderlein-Høgberg
  • I Einführung
  • II Informationsverwaltung und die Rolle von Metadaten – eine kurze Einführung
  • 1 Metadaten: Daten über Daten
  • 2 Die Erarbeitung und Verwaltung semantischer Metadaten bei den norwegischen Finanzbehörden
  • 3 Werkzeuge zur Erarbeitung und Verwaltung von semantischen Metadaten
  • 4 Praktisches Beispiel: Daten und Metadaten in der norwegischen Einkommensteuererklärung und die zugehörigen Informationsmodelle
  • III Metadatenverwaltung als ’Lexikographie für Informationssysteme‘: Parallelen zur klassischen Lexikographie
  • 1 Der theoretische Rahmen
  • 2 Die Notwendigkeit von Korpusanalysen und Sprecherbefragung
  • 3 Die Notwendigkeit von Notationskonventionen
  • 4 Das Herausarbeiten von Bedeutungsbeziehungen
  • 5 Die Arbeit mit Wortfeldern bzw. Ko-Hyponymen
  • IV Zusammenfassung: die Rolle linguistischer Kompetenzen bei der Arbeit mit Metadaten
  • Quellennachweise
  • Von Fischgängigkeit, ökologischen Aufwertungsmassnahmen und erneuerbaren Vollversorgungsprodukten – Versteckte Fachwörter in unserem Alltag: Sascha Demarmels
  • I Einleitung
  • II Verständlichkeit und Fachwörter
  • 2.1 Modell der angewandten Verständlichkeit
  • 2.2 Fachwörter
  • III Fachwörter in der Praxis
  • 3.1 Beispiel „Marketing für Stromprodukte aus erneuerbaren Energien“
  • 3.2 Beispiel „Marketing für Finanzprodukte im Private Banking“
  • IV Fazit: Fachwörter im Alltag
  • Literatur
  • Versuch einer funktionalen Beschreibung des deutschen PR-Wortschatzes: Iris Jammernegg
  • I Einleitung
  • II Bestimmung des Untersuchungsgegenstandes
  • 2.1 Definition des Begriffs ‚deutscher PR-Wortschatz‘
  • 2.2 Zur lexikologischen Abgrenzung des PR-Wortschatzes
  • III Theoretisch-methodischer Ansatz
  • 3.1 Korpusbasis
  • 3.2 Analyseschwerpunkte
  • IV Erste Ergebnisse
  • 4.1 Quantitativ Auffälliges
  • 4.2 Fachvermittlungsstrukturen
  • 4.3 Abgrenzung zu benachbarten Kommunikationsbereichen
  • 4.4 Fachinterne vs. fachexterne Perspektive
  • V Ausblick
  • Literatur
  • Korpus- und Internetquellen (retrieved 30.6.2014)
  • Sachregister
  • Autorinnen und Autoren

Jörg Kilian/Jan Eckhoff

Zur Einführung

Die Jugend und der Charme des Jünglings,
der ich damals war,
dazu die Gabe eines fortwährend paraten,
in allen Farben und Zwischenfarben schillernden
Wortschatzes,
ich war gemacht
.
Thomas Bernhard

Die germanistische Wortschatzforschung erfährt zu Beginn des 21. Jahrhunderts in der Linguistik und in der Didaktik eine wieder erstarkende wissenschaftliche Aufmerksamkeit. In der Linguistik mag dies unter anderem dadurch begründet sein, dass neue Ansätze der Psycho- und Kognitionslinguistik sowie computergestützte Methoden der Korpuslinguistik zu neuen Verfahren und Erkenntnissen in der Lexikologie und Lexikographie führen. In der Didaktik der deutschen Sprache haben – neben mahnenden Beiträgen aus der wortschatzdidaktischen Forschung – ernüchternde Ergebnisse von Sprachstandserhebungen unter Schülerinnen und Schülern zu der Erkenntnis geführt, dass der „vergessene Wortschatz“ (H. Willenberg) in seiner sprachdidaktischen Relevanz wieder oder neu zu entdecken ist. Darüber hinaus legen die Ergebnisse aktueller Untersuchungen zum Professionswissen von Lehrerinnen und Lehrern die These nahe, dass die Bedingungen für einen erfolgreichen „sprachsensiblen Fachunterricht“ (J. Leisen) maßgeblich von der lexikalisch-semantischen Struktur der „Sprache im Fach“ (M. Becker-Mrotzek [u. a.]) abhängig sind.

Dieses neue Interesse wirft neue Fragen auf, rückt aber auch alte, unbeantwortete Fragen erneut ins Licht – und fordert zur wissenschaftsgeschichtlichen Aufarbeitung der Forschungswege und Forschungsergebnisse auf. Das betrifft in der germanistischen Linguistik zum Beispiel die Traditionen der Semasiologie und Onomasiologie, die frequenzanalytische und thematische (Grund-)Wortschatzforschung, die „Wörter und Sachen“-Forschung, die Wortfeldforschung, die Wortfamilienforschung. In der Didaktik der deutschen Sprache berührt es unter anderem der Grundlegung einer „Wortschatzwende“, wie sie die Fremdsprachenphilologien und -didaktiken schon am Ende des 20. Jhs. begonnen, mithin vollzogen haben, des Weiteren auch hier die Erforschung von Grund- und Lernwortschätzen, die theoretische Begründung und empirische Erforschung curricularer und sprachbiographischer Wege der Wortschatzerweiterung und ← 1 | 2 → Wortschatzvertiefung, die theoretische Begründung und empirische Erforschung von Ansätzen und Methoden der Wortschatzarbeit.

In der sog. breiten Öffentlichkeit schließlich dominiert nach wie vor die Idee, dass es den bzw. einen deutschen Wortschatz gebe, über den jede Sprecherin und jeder Sprecher verfügen müsse. In Titeln wie z. B. „Wörterbuch der deutschen Sprache“ oder „Der [!] deutsche Wortschatz nach Sachgruppen“ wird eine Berechtigung dieser Idee durchaus nahegelegt. Der deutsche Wortschatz würde demnach als Wörterliste konzeptualisiert, die z. B. von Aal bis zytotoxisch reichte und viele tausend Wörter umfasste. Fragen wie die, wie viele Wörter die deutsche Sprache tatsächlich führt, welche Wörter dazugehören oder eben, weil sie „fremde“ Wörter seien, nicht; und wie viele Wörter und welche Wörter der Mensch in der deutschen Sprache braucht, führen nach wie vor zu Kontroversen in Forschung und Studium, Schule und Gesellschaft – auch zwischen den Beteiligten. So existieren in weiten Kreisen der Gesellschaft laienlinguistische Einstellungen gegenüber Fremdwörtern und Lehnwörtern, insbesondere den Anglizismen, die die Linguistik nicht bestätigen kann. Andererseits hegen Fachlehrkräfte in den Schulen gegenüber der germanistische Linguistik und Didaktik die durchaus fragwürdige Erwartung, dass die Wissenschaft passgenaue Grund- und Lernwortschätze für den Deutschunterricht zu erarbeiten habe.

Mit diesem Band legen wir Beiträge „zur Wortschatzarbeit in Wissenschaft, Sprachunterricht, Gesellschaft“ aus der Sektion „Deutscher Wortschatz – beschreiben, lernen, lehren“ des Deutschen Germanistentages 2013 vor, den der Deutsche Germanistenverband in Kiel ausrichtete. Die Arbeit in der Sektion hat sich den genannten und weiteren Fragen gestellt, indem sie die in den Vorträgen präsentierten Grundlagen und Positionierungen der germanistischen Linguistik und Sprachdidaktik zur Erforschung von Sach- und Fach-, Grund- und Lern-, Eigenund Fremd-Wortschätzen des Deutschen kritisch diskutiert hat. Am Ende wurden daraus Perspektiven für die germanistische Wortschatzforschung im 21. Jahrhundert formuliert – für Forschung und Studium, Schule und Gesellschaft. Diese Perspektiven haben Eingang gefunden in die schriftliche Fassung der Beiträge.

Wir danken den Beiträgerinnen und Beiträgern für ihre Vorträge sowie für die schriftliche Fassung und Formung ihrer Beiträge. Ulrike Zander-Röpstorff hat die Arbeit der Sektion im Vorfeld, während und im Nachfeld des Germanistentages erneut ganz herausragend organisiert; Paul Benz hat die Manuskripte mit großer Sorgfalt und Zuverlässigkeit für die Druckvorlage eingerichtet. Ihnen sei dafür an dieser Stelle namentlich Dank gesagt.

Kiel/Peine, im Spätherbst 2014 Jörg Kilian/Jan Eckhoff

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ZUR ERMITTLUNG, ORDNUNG UND BESCHREIBUNG DES DEUTSCHEN WORTSCHATZES

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Christine Römer

Entwicklungen im aktuellen deutschen Wortschatz

The vocabulary is an index-linked system involving permanent alterations. Above all an extension is involved with respect to word formation, borrowing, and change in meaning. Currently, because of the increase of heterogeneity and differentiation, no tendencies to homogeneity are discernible.

The German lexicon is steady: Except for German language of science, no spectacular developments to endanger the system as well as no “decline of the language“ become apparent.

IEinführung

1.1Dynamik im Wortschatz

Der Wortschatz, die Gesamtheit der Wörter und der festen Wendungen, wird auch als Lexikon bezeichnet, das erlernt werden muss. Die mentalen Lexika existieren in den Köpfen der Sprachbenutzer und enthalten das Wissen über die Wörter, wobei die Wörter nicht als Ganzheiten abgespeichert sind. Neben dem Speicher für die Bedeutungseinheiten gibt es im Gehirn einen Speicher für die Formeinheiten, welche auch miteinander verbunden sind. Neben den gespeicherten Einträgen für reguläre und irreguläre Wörter nimmt man morphologische Regeln im mentalen Lexikon an.1

Auch den synchron arbeitenden Wissenschaftlern bleibt nicht verborgen, dass das Lexikon ein dynamisches System ist, das in ständiger Veränderung ist: Neben Erweiterungen finden auch Reduzierungen statt. Als Formen des Abbaus kann man folgende Veränderungen annehmen:

Veralten und Verschwinden von Wörtern und Wendungen. So hat die Redaktion des Rechtschreibedudens für die 26. Auflage Buschklepper (`sich in Gebüschen versteckt haltender Dieb`) aussortiert.

Veralten und Verschwinden von Wortbildungsmustern. Unproduktive Wortbildungsmuster sind jedoch noch im mentalen Lexikon gespeichert,2 da sie zum Verständnis der nach ihnen gebildeten Wörter benötigt werden, wie das Präfix ob-für Verben wie obsiegen und obwalten.

Bedeutungsreduzierungen (wie die Lesart `Schilder malen` bei schildern). ← 5 | 6 →

Die Reduzierung des Wortschatzes soll im Folgenden jedoch nicht im Zentrum der Betrachtung aktueller Entwicklungen stehen. Vielmehr sind Wortschatzerweiterungen aus primär synchroner Sicht Gegenstand des Beitrags, sie sind viel zahlreicher als die kleinere Menge an ausscheidendem Material, da der Umfang des Wortschatzes des Deutschen ständig wächst. Der Rechtschreibeduden von 1880 listete zunächst 27.000 Stichwörter auf, die 25. Auflage von 2009 verzeichnet laut Verlagsangaben rund 140.000 Stichwörter.

Als Hauptformen der Wortschatzerweiterung werden die Bildung von neuen Wörtern aus dem vorhandenen Sprachmaterial, die Übernahmen aus fremden Sprachen und der Bedeutungswandel angenommen. Besonders die Entwicklung der Korpuslinguistik hat in jüngerer Zeit neue Möglichkeiten für quantitative Analysen eröffnet, die jedoch als Ausgangspunkte Hypothesen benötigen, aber auch Unerwartetes zu Tage fördern können. Einige Hypothesen zu möglichen Veränderungstendenzen für den Ausbau des Wortschatzes sollen im Beitrag angesprochen werden. Zur Dynamik des Lexikons gehört auch, dass sich das morphologische Regelsystem typologisch verändert, wenngleich viel weniger auffällig als der Wortschatz.

Im Bericht über die 49. Jahrestagung des IDS zum Thema „Sprachverfall? Dynamik – Wandel – Variation“ (2013) wird ausgesagt: 3

„Fragt man die sprachinteressierte Öffentlichkeit nach dem aktuellen Niveau der deutschen Sprache, fällt das Urteil meist negativ aus: Die Sprache, so die Prognose, verfällt mehr und mehr. […] Dabei wird die Sprache als etwas Homogenes und Stabiles angesehen […] Jegliche Variation und jeglicher Wandel werden so lediglich als Bedrohung für die normierte deutsche Sprache und somit als „Sprachverfall“ wahrgenommen.“

Auch wenn ich die Aussage in ihrer stark pessimistischen Ausrichtung nicht teile, finde ich die Beobachtung und Untersuchung der aktuellen Sprachkritik4 (beispielsweise in den Publikationen von Sick5 oder im Blog „Sprachlog“6) sehr wichtig, weil man so auch Hinweise auf mögliche Entwicklungstendenzen bekommt.7 ← 6 | 7 →

1.2Ursachen, Triebkräfte und Sachbereiche für Erweiterungen

Die Gründe für die Entstehung von Neubildungen liegen nach Bründel8 in der Existenz neuer außersprachlicher Referenten, in der sprachlichen Ökonomie und dem Streben nach geringem Aufwand. Daneben spielt der gesellschaftliche Wunsch nach angemessener Wortmotivation eine wichtige Rolle, dies zeigt die Aufmerksamkeit, die die Wahlen zu dem „Wort des Jahres“ und zum „Unwort des Jahres“ erfahren.

Als kognitive Triebkräfte werden von Bründel [S. 60] die regelgeleitete Produktivität auf der Sprachsystemebene, die Kreativität in der Sprachverwendung und die analogische Musternachahmung (Inselhopping > Zinshopping) angenommen. Ergänzt werden kann noch, dass das vorhandene lexikalische Inventar und das damit verbundene lexikalische Wissen restringierend bzw. blockierend wirken können. So können etablierte Wörter synonyme Wortbildungsdubletten unterdrücken, weil es aktuell keinen Bedarf dafür gibt (beispielsweise existieren schon stehlen und Dieb, so dass nicht noch *Stehler gebildet wird).

Steffens9 berichtet, dass das IDS-Projekt „Lexikalische Innovationen“ bei den Sach- und Fachbereichen mit verhältnismäßig vielen Neologismen für die 90er Jahre des vergangenen Jahrhunderts ermittelte, dass der Bereich „Computer/Internet“ eindeutig an der ersten Stelle in der Rangfolge stand. Danach folgten „Soziales/Gesellschaft“, „Medien“, „Sport“, „Wirtschaft“ und „Politik“ [S. 5].

IIHauptformen der Wortschatzerweiterung

2.1Wortschöpfungen und Wortbildungen

Wortschöpfungen, lautlich völlig unmotivierte, erstmalige arbiträre Zuordnungen ganz neuer Lautformen zu spezifischen Bedeutungen, entstehen nur noch in sehr geringem Umfang. Braun10 stellte dazu fest:

„Die Neubildung von Wörtern geht unter Zuhilfenahme des vorhandenen Sprachmaterials vor sich. Hinter jedem neuen Wort steht ein anderes, schon vorhandenes. Im großen und ganzen wird man vergeblich nach sog. Urschöpfungen Ausschau halten.“

Unflektierte Wörter aus der Comicsprache, auch Inflektive oder Lexem-Interjektionen genannt, wie *ächz*, oder Kunstwort-Markennamen, wie Adidas, O2 oder Zalando, kann man eventuell als Wortschöpfungen ansehen. ← 7 | 8 →

Wortbildungen und Kurzwörter werden dagegen mit Bezug auf den vorhandenen Wortschatz gebildet. Sie unterscheiden sich synchron von den primären, arbiträren Wörtern (Hand) durch ihre morpho-semantische Motiviertheit (Handy-Ticket < Ticket auf dem Handy). Bestrebungen nach einem normierten, politischen Sprachgebrauch bzw. Bestrebungen, einen Bewusstseinswandel herbeizuführen, haben beispielsweise neue Wortbildungsmuster für die Feminisierung erbracht (Binnen-I unter anderem).

Eigene Untersuchungen (Auszählungen in „Die Wortwarte“ 2010 und dem Rechtschreibeduden) haben ergeben, dass ca. 68 % der Wortbildungen in der deutschen Gegenwartssprache Komposita sind. Braun11 hatte die „Zunahme und Verstärkung der Univerbierung“ als Haupttendenz im Bereich der deutschen Wortbildung angesehen. Gemeint war die „zunehmende Tendenz, Wortgruppen (Bad an der See) zu einem Wort (Seebad) zusammenzufassen.“ Ob prozentual die Kompositaneubildungen gegenüber den Neuderivationen in jüngerer Zeit zugenommen haben, kann nicht festgestellt werden, da entsprechende Erhebungen fehlen.

In die Beschreibung des aktuellen Wortbildungswandels muss immer auch die diachrone Komponente einbezogen bzw. um diese ergänzt werden und auch der diachron Arbeitende sollte die synchrone Sichtweise einbeziehen. Habermann schreibt als Sprachhistorikerin von der Notwendigkeit „historisch-synchroner Wortbildungsanalysen“.12 Zu der Frage, „Wie können die Prozesse des Wandels in synchronen Analysen sichtbar gemacht werden?“ [S. 52 f.] hebt Habermann die Betrachtung von bedeutungsgleichen Varianten, von ambigen Interpretationen und Reanalysen bei den Wortbildungsmitteln hervor und verweist auch darauf, dass eine historisch-synchrone Analyse in Einzelfällen auch im Widerspruch zu den historischen Funden stehen kann [S. 54].

2.2Phraseologisierungen

Auch wenn nach empirischen Erhebungen von Buhofer und Burger13 die phraseologische Kompetenz im Rückgang begriffen ist, entstehen neue polylexikalische Lexikoneinheiten (wie etwas am Start haben, eine (keine) neue / andere / weitere Baustelle aufmachen). Diese Phraseologisierung von Wortgruppen ist ein Spezialfall der Lexikalisierung, bei der aus freien Diskursstrukturen feste Syntagmen werden, die bei Usualisierung Eingang ins mentale Lexikon finden. Damit verbun ← 8 | 9 → den ist das Entstehen von grammatischen Restriktionen, wie die Unmöglichkeit zur Modifizierung (Sie nagen am *dicken/*langen Hungertuch.) oder zur Passivierung (*Ein blaues Wunder wird erlebt.), 14 und Markiertheitsaufbau in Richtung der freien Syntagmen gegenüber dem prototypischen Wort, das nur aus einem Lautkörper besteht. Im Verlauf längerer Entwicklungsprozesse kann es dann dazu kommen, dass die freie Form verschwindet und beim Phraseologismus keine freie Lesart mehr möglich ist (einen Flachmann machen `sterben`).

Ein neueres Beispiel der Phraseologisierung ist die Wendung Und das ist (auch) gut so. Sie wurde am 10.06.2001 von einem Politiker erstmals geäußert und über die Medien auch in anderen Kontexten verbreitet. Sie vollzog dann eine Entwicklung zu einem metakommunikativen Phraseologismus, der primär als Signal für eine bestimmte Kommunikationssituation dient und keine Bezeichnungsfunktion hat.15

2.3Entlehnungen

Seit Beginn der Entwicklung der deutschen Schriftsprache spielen die Übernahme von Wörtern, Wendungen und Affixen aus anderen Sprachen, Lehnübersetzungen und das Hinzufügen von fremden Bedeutungsvarianten (semantische Transfers) für den Wortschatzausbau eine zentrale Rolle; beispielsweise kam zu dem Verb realisieren in jüngerer Zeit aus dem Englischen die Lesart `verwirklichen / umsetzen` zu `gewahr, bewusst werden` hinzu. Diese Entlehnungen führten primär zu einer Bereicherung der lexikalisch semantischen Bestände, weshalb es objektiv keinen wissenschaftlich fundierten Anlass zur Sorge um das Fortbestehen der deutschen Sprache gibt.

Die neuen Manager-Komposita wie Facility Manager, Account Manager, Workshop Manger, Key Account Manager hatten beispielsweise zu Diskussionen geführt, da diese Wörter oft als unnütze Synonyme zu Hausmeister, Kundenbetreuer, Werkstattleiter, Großkundenbetreuer angesehen werden. Im Fall von Facility Manager liegt zu Hausmeister gar keine Bedeutungsgleichheit vor, da dieser jemand ist, der den Einsatz der Hausmeister plant. Auch bei Banker, das seit dem Beginn der 1970er Jahre in der heutigen Bedeutung (`Bankfachmann`) genutzt wird, liegt keine Synonymie zu Bankier vor, da es sich bei letzterem um den Inhaber einer Privatbank handelt. Ebenso ist Controller nicht synonym zu Kontrolleur, da dieser lediglich im internen Rechnungswesen betriebswirtschaftlich tätig ist. Die entlehnten Berufsbezeichnungen dienen also nicht nur der aufwertenden Selbstdarstellung, sondern tragen auch der Differenzierung im Berufsleben Rechnung. ← 9 | 10 →

Neuerdings stellt das geringe Aufkommen an neuen deutschen wissenschaftlichen Fachwörtern (Termini) jedoch einen realen Bedrohungspunkt für das differenzierte Existenzformengefüge Deutsch dar, weshalb darauf später in einem eigenständigen Punkt (3.3) eingegangen werden soll.

Burkhardt16 hat für „die Verwendung bzw. Entlehnung von Wörtern und Wendungen aus anderen Sprachen“ zwölf „ausschlaggebende Gründe“ formuliert. Sie beziehen sich auf semantische Bereicherungen, die Kürze und die Prägnanz der entlehnten Wörter, weil die von ihnen bezeichneten Sachen ursprünglich nicht vorhanden waren, brachten sie oft die Bezeichnungen mit. Eine linguistisch fundiert kritische Betrachtung von Entlehnungen, namentlich von Anglizismen, Vorbildcharakter der entlehnten Sprache, Synonymenbedarf, Internationalisierung, Imponiergehabe.

2.4Bedeutungsveränderungen

Aus kognitiver Sicht ist beim lexikalischen Bedeutungswandel besonders der innovative Wandel relevant, der dadurch gekennzeichnet ist, dass bei vorhandenen Lexemen neue, feste Bedeutungsvarianten hinzukommen und es so zum Entstehen bzw. zum Ausbau der Polysemie kommt.17 Die Prozesse der Assoziation, Innovation und Lexikalisierung sind dabei relevant. Unser Gehirn stellt bei der Wahrnehmung bestimmte Zusammenhänge her, die beispielsweise bei konstruierter Ähnlichkeit zu metaphorischen Lesarten und damit zu sprachlichen Innovationen führen können (Maus `Tier` > Maus `Computerzeigegerät`) [genauer in18]. Keller/Kirschbaum unterscheiden drei Hauptverfahren des Bedeutungswandels: Differenzierung (Bedeutungsverengung), metaphorischer und metonymischer Wandel.19

Für die hier behandelte Thematik ist auch die Bedeutungsverbesserung bzw. die Bedeutungsverschlechterung relevant, die sich oftmals unbeabsichtigt einstellt. Keller spricht in seiner Theorie der unsichtbaren Hand von einem Phänomen der dritten Art und stellt es am Beispiel Dame dar20.

Pinker21 hebt mit seiner Hypothese der Euphemismustretmühle, die davon ausgeht, dass euphemistische Wortbildungen die negativen Konnotationen der ← 10 | 11 → Wörter aufnehmen, die sie verdrängen wollten, den Abnutzungsaspekt bzw. dass eine Beschönigung eine Verklärung bleibt, hervor (Berliner Mauer > Antifaschistischer Schutzwall; Beitragserhöhung > Beitragsanpassung).

IIIMögliche Entwicklungstendenzen im deutschen Wortschatz

3.1Thesen zu Veränderungstendenzen in der Wortbildung These zur Zunahme der Instabilität

Erben22 stellt die These auf, dass in der Wortbildung die Instabilität durch die zunehmende Tendenz, die Grenze zwischen privater und öffentlicher Rede aufzuheben, wachse, ohne sie jedoch genauer auszuführen. Diese Entwicklung zeigt sich m. E. in Folgendem:

Varianten von Wortbildungsmustern nehmen zu.

Beispielsweise kann man das verstärkte Entstehen von subkulturellen Sprachstilen beobachten. Androutsopoulos23 hat die zahlreichen Präfixe und Partikeln zusammenstellt, die in der aktuellen Jugendsprache als Verstärker verwendet werden. Als Partikeln führt er an [S. 4]:

„abartig, absolut, arg, brutal, echt, extrem, fett, furchtbar, ganz schön, höllisch, irre, mächtig, massiv, maximal, richtig, saumässig, tierisch, total, unglaublich, ultra, verdammt, völlig, voll.“

Andererseits entstehen für zentrale Begriffe der Jugendlichen umgangssprachliche Synonymenreihen mit speziellen Wortbildungsmustern, so mit der Partikel ab-: abdancen, abhottten, abzappeln usw.

Neue Formen der Schriftlichkeit in den elektronischen Medien führen auch zur Variantenvielfalt usw..

„Wortbildungen in Form von Akronymen (z. B. lol, hdl). Inflektiv-Konstruktionen (grins, heul, freu), Verwendung graphostilistischer Mittel (z. B. Iteration von Graphemen und Satzzeichen für besondere Hervorhebungen und Betonungen) sowie der Einsatz von Symbolen wie Emoticons.“ [Neuland24]. ← 11 | 12 →

Neue Bildungselemente entstehen.

Neue Kompositionsglieder und Ableitungsbasen erweitern das Wortbildungssystem. Auch neue Wortbildungsmorpheme kommen auf, die öfters als Affixiode25 bezeichnet werden. Die „Möglichkeit der Inventarerweiterung […], Wörter zu Affixen umzufunktionieren“,26 führt zu Übergangsphänomenen, zur Homonymenbildung, wenn ein Lautkörper, wie Blitz zum einen als Lexem (der Blitz schlug ein) und zum anderen als Präfix (blitzschnell) auftritt.

Formenvariabilität wächst.

Lautliche Varianten, Kurz- und Erweiterungsformen und unterschiedliche Gestaltung der Kompositionsfuge sind hier zu nennen. Auffällig ist auch, dass durch Veränderungen in den Orthografieregeln eine Zunahme an Wörtern mit Bindestrich und Unsicherheiten bei der Setzung von Bindestrichen zu beobachten sind (OpenStreetMap-Projekt vs. Open-Source-Kartenprojekte27Porsche-Vorstandsvorsitzender vs. Porsche Holding28).

These zum Indikator Sprachkritik und Wortbildungsforschung

Eine andere These zum Wortbildungswandel, der, obwohl es viele Übersichtsdarstellungen zur deutschen Wortbildung gibt, relativ stiefmütterlich behandelt wird,29 lautet: Sprachkritische Äußerungen und die intensive morphologische Beschäftigung mit einem Wortbildungsmuster können Indikatoren für Entwicklungen in der Wortbildung sein.

Folgende Produktivitätsveränderungen wurden in jüngerer Zeit beklagt oder festgestellt:30

Verstärktes Auftreten von Langwörtern.

Komposita wie Beitragsbemessungsgrenze, Arbeitnehmerüberlassungsgesetz oder Mehrnutzer-Videogespräche,31 die auch als „Bandwurmkomposita“ bezeichnet werden und als typisch für das Deutsche gelten,32 würden häufiger gebildet. ← 12 | 13 →

Sommerfeld vertrat eine etwas abgemilderte These, nämlich, dass bei Neuprägungen längere Wortbildungskonstruktionen gegenüber kürzeren überwiegen.33

In Donalies34 wird die Klage über lange Wörter als „unreflektierte Furcht vor einer Flut „extramegasuperoberlanger Komposita“ gekennzeichnet und sie meint, dass die Bildung extramegasuperoberlanger Komposita keineswegs zunehme und wobei sie sich u. a. auf eigene Recherchen in den computerlesbaren Korpora des IDS bezieht. Für solche Recherchen ist das „Deutsche Referenzkorpus DEREKO“ am IDS gut geeignet.

Zunahme an Kurzwörtern.

„Ende des 19. Jahrhunderts und im Verlauf des 20. Jahrhunderts gab es einen sprunghaften Anstieg an Kurzformen, die auch in die mündliche Kommunikation übernommen wurden. Die Auslöser hierfür waren vor allem die industrielle Revolution und die wachsende Rolle der Fachsprachen.“35

An Kurzwörtern wird oft die potentielle Unverständlichkeit kritisiert, besonders dann, wenn die Vollform nicht vertraut ist.36 Dies trifft beispielsweise auf ABM zu, wo oft von ABM-Maßnahme gesprochen wird. Das zeigt, dass die Langform Arbeitsbeschaffungsmaßnahme nicht so bekannt ist. Die Langformen von fremdsprachlichen Kurzwörtern (z. B. SMS) sind meist nicht präsent. Außerdem wird die Zunahme von Kurzwörtern als „Abkürzungsfimmel“ kritisiert.37

Mehr Hybridbildungen (Update-Anleitung38, babyhaft) aus indigenen und fremden Konstituenten.

Steffens39 schreibt zu den 90er des vergangenen Jahrhunderts:

„recht zahlreich sind Hybridbildungen, vor allem Wortbildungen aus genuin deutschen Wort(bildungs)material und Anglizismen (z. B. chillig, Eineurojob).

Ob die Anzahl gegenüber früher zugenommen hat, kann nicht gesagt werden, da keine exakten Aussagen vorliegen. ← 13 | 14 →

Details

Seiten
VII, 426
Jahr
2015
ISBN (PDF)
9783653046649
ISBN (ePUB)
9783653979367
ISBN (MOBI)
9783653979350
ISBN (Hardcover)
9783631655481
DOI
10.3726/978-3-653-04664-9
Sprache
Deutsch
Erscheinungsdatum
2015 (März)
Schlagworte
Lexikologie Deutschunterricht Zweitsprache Korpuslinguistik
Erschienen
Frankfurt am Main, Berlin, Bern, Bruxelles, New York, Oxford, Wien, 2015. VII, 426 S., 53 s/w Abb., 21 Tab.

Biographische Angaben

Jörg Kilian (Band-Herausgeber:in) Jan Eckhoff (Band-Herausgeber:in)

Jörg Kilian ist Professor für Deutsche Philologie/Didaktik der deutschen Sprache an der Christian-Albrechts-Universität zu Kiel. Seine Arbeits- und Forschungsschwerpunkte liegen u. a. in den Bereichen Wortschatzdidaktik, Diagnostik lexikalisch-semantischer Kompetenz, Bedeutungserwerb. Jan Eckhoff war Lehrbeauftragter am Seminar für Germanistische Linguistik an der Technischen Universität Carolo-Wilhelmina zu Braunschweig. Seit 2010 ist er Schulleiter des Ratsgymnasiums in Peine. Sein Forschungsinteresse gilt vor allem den Bereichen Sprachphilosophie, literarische Sprache der Moderne, Sprachkritik, Gesprächsanalyse.

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Titel: Deutscher Wortschatz – beschreiben, lernen, lehren
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