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Steuervergünstigungen von Religionsgemeinschaften

von Tobias Clasen (Autor:in)
©2014 Dissertation 241 Seiten

Zusammenfassung

Ziel der Arbeit ist die Untersuchung der Steuervergünstigungen von Religionsgemeinschaften. Dabei wird zunächst eine steuerrechtliche Systematisierung der Steuervergünstigungen entwickelt. Die sich hieraus ergebende systematische Differenzierung der Steuervergünstigungen nach dem Rechtsstatus der Religionsgemeinschaften in den unterschiedlichen Steuergesetzen wird in einem zweiten Schritt auf deren verfassungsrechtliche Begründung hin überprüft, wobei der Autor zum Ergebnis einer verfassungsrechtlichen Rechtfertigung gelangt. Zuletzt folgt ein europarechtlicher Ausblick.

Inhaltsverzeichnis

  • Cover
  • Titel
  • Copyright
  • Autorenangaben
  • Über das Buch
  • Zitierfähigkeit des eBooks
  • Vorwort
  • Inhaltsverzeichnis
  • A. Einleitung
  • I. Thematische Einordnung
  • 1. Bedeutung des Themas
  • 2. Fragestellung
  • II. Forschungsstand
  • III. Gang der Darstellung
  • B. Steuervergünstigungen zugunsten der Religionsgemeinschaften
  • I. Die Steuervergünstigung
  • 1. Begriff der Steuervergünstigung
  • 2. Zweck der Steuervergünstigung
  • 3. Einordnung als Steuersubvention
  • 4. Formen der Steuervergünstigung
  • a) Persönliche und sachliche Steuerbefreiungen
  • b) Befreiungen in der Bemessungsgrundlage und Steuerermäßigungen
  • c) Grundsatz der steuerrechtlichen Belastungsgleichheit
  • II. Anknüpfungspunkte der Steuervergünstigungen
  • 1. Differenzierung nach der Rechtsform der Religionsgemeinschaften
  • a) Unterscheidung von Körperschaften des öffentlichen Rechts und privatrechtlich organisierten Religionsgemeinschaften
  • b) Kirchliche Einrichtungen
  • c) Weitere Organisationsformen
  • 2. Differenzierung nach den steuerbegünstigten Zwecken im Sinne der §§ 51 ff. AO
  • C. Steuervergünstigungen der Einzelsteuergesetze zugunsten von Religionsgemeinschaften
  • I. Steuervergünstigungen zugunsten der Religionsgemeinschaften als Körperschaften des öffentlichen Rechts
  • 1. Einordnung als Status sui generis
  • 2. Entwicklung der Religionsgemeinschaften als Körperschaften des öffentlichen Rechts
  • 3. Direkte Steuervergünstigungen
  • a) Körperschaftsteuergesetz
  • aa) Unbeschränkte Steuerpflicht
  • (1) Abgrenzung der steuerbegünstigten von steuerpflichtigen Tätigkeitsbereichen
  • (a) Betriebe gewerblicher Art
  • (b) Abgrenzungskriterien
  • (c) Hoheitsbetriebe
  • (d) Einordnung als Hoheitsbetriebe gemäß § 4 Abs. 5 S. 1 KStG ?
  • (aa) Restriktive Auslegung
  • (bb) Direkte Anwendung
  • (cc) Entsprechende Anwendung
  • (dd) Stellungnahme
  • (e) Abgrenzung der Hoheitsbetriebe von den Betrieben gewerblicher Art im Einzelfall
  • (f) Religionsausübung und Selbstbestimmungsrecht als verfassungsrechtliche Grundlage
  • (2) Steuersubjekt der unbeschränkten Steuerpflicht der Betriebe gewerblicher Art
  • (3) Steuervergünstigung der Betriebe gewerblicher Art der Religionsgemeinschaften
  • (a) Anwendbarkeit des Gemeinnützigkeitsrechts
  • (b) Steuerpflichtiger wirtschaftlicher Geschäftsbetrieb
  • bb) Zwischenergebnis
  • b) Gewerbesteuergesetz
  • aa) Ausschluss der Steuerbefreiung für wirtschaftliche Geschäftsbetriebe
  • bb) Weitere Steuervergünstigungen
  • c) Erbschaft- und Schenkungsteuergesetz
  • aa) Steuerbefreiung von Zuwendungen
  • bb) Steuerbefreiung für die Zuwendung an gemeinnützige Körperschaften
  • cc) Steuerbefreiung für die Zuwendung zu bestimmten Zwecken
  • d) Grundsteuergesetz
  • aa) Befreiungstatbestand des § 3 Abs. 1 S. 1 Nr. 4 GrStG
  • bb) Steuerbefreiung bei Nutzung zu gemeinnützigen Zwecken
  • cc) Steuerbefreiung von Dienstwohnungen
  • dd) Weitere Steuerbefreiungen bei Nutzung zu Wohnzwecken
  • ee) Steuerbefreiung für nach Kirchenrecht gesondertes Vermögen
  • ff) Steuerbefreiung bei Widmung zu Gottesdiensten und Nutzung zu Bestattungen
  • gg) Weitere Voraussetzungen
  • e) Umsatzsteuergesetz
  • aa) Steuerpflicht für Betriebe gewerblicher Art von juristischen Personen des öffentlichen Rechts
  • bb) Steuerbefreiung gemäß § 4 UStG
  • (1) Steuerbefreiung für Vorträge, Kurse und weitere Veranstaltungen
  • (2) Steuerbefreiung für die Förderung der Jugendhilfe
  • (3) Steuerbefreiung für Gestellung von Mitgliedern geistlicher Genossenschaften
  • cc) Steuerermäßigung für Leistungen zur Verfolgung gemeinnütziger Zwecke
  • dd) Zwischenergebnis
  • f) Grunderwerbsteuergesetz
  • aa) Steuerbefreiung bei Übergang von öffentlich-rechtlichen Aufgaben oder aus Anlass von Grenzänderungen
  • bb) Steuerbefreiung bei Erwerb von Todes wegen und Schenkung unter Lebenden
  • 4. Indirekte Steuervergünstigungen
  • a) Kirchensteuer
  • b) Einkünfte aus ehrenamtlichen Tätigkeiten
  • aa) Steuerbefreiung bei nebenberuflichen Tätigkeiten im Rahmen eines Ehrenamtes
  • bb) Steuerbefreiung für Tätigkeiten im Dienst oder Auftrag gemeinnütziger Einrichtungen
  • c) Abzugsfähigkeit von Spenden
  • aa) Steuerbefreiung bei Spenden zugunsten gemeinnütziger Zwecke
  • bb) Steuerbefreiung bei Spenden von Körperschaften
  • d) Buchwertprivileg
  • 5. Zwischenergebnis
  • II. Steuervergünstigungen zugunsten von kirchlichen Einrichtungen
  • 1. Charakterisierung der kirchlichen Einrichtungen
  • 2. Steuerliche Behandlung der kirchlichen Einrichtungen
  • 3. Steuervergünstigungen nach dem Gemeinnützigkeitsrecht
  • a) Steuerbegünstigte Zwecke
  • aa) Steuervergünstigung für kirchliche Zwecke, § 54 AO
  • (1) Katalog des § 54 Abs. 2 AO
  • (2) Abgrenzung zu wirtschaftlichen Tätigkeiten
  • (3) Abgrenzung zu religiösen Zwecken § 52 Abs. 2 Nr. 2 AO
  • bb) Steuervergünstigungen für mildtätige Zwecke, § 53 AO
  • cc) Steuervergünstigungen für gemeinnützige Zwecke, § 52 AO
  • b) Weitere Voraussetzungen
  • aa) Selbstlosigkeit
  • bb) Ausschließlichkeit
  • cc) Unmittelbarkeit
  • dd) Weitere formale Voraussetzungen
  • 4. Direkte Steuervergünstigungen
  • a) Körperschaftsteuergesetz
  • b) Gewerbesteuergesetz
  • c) Erbschaft- und Schenkungsteuergesetz
  • d) Grundsteuergesetz
  • e) Umsatzsteuergesetz
  • aa) Steuerbefreiungen des § 4 UStG
  • bb) Steuerermäßigung bei Verfolgung gemeinnütziger Zwecke
  • 5. Indirekte Steuervergünstigungen
  • a) Einkünfte aus ehrenamtlichen Tätigkeiten
  • b) Abzugsfähigkeit von Spenden
  • aa) Steuerbefreiung bei Spenden zugunsten gemeinnütziger Zwecke
  • bb) Steuerbefreiung bei Spenden von Körperschaften
  • c) Buchwertprivileg
  • 6. Zwischenergebnis
  • III. Steuervergünstigungen der privatrechtlich organisierten Religionsgemeinschaften
  • 1. Voraussetzungen des Gemeinnützigkeitsrechts
  • a) Steuervergünstigung für kirchliche Zwecke, § 54 AO
  • b) Steuervergünstigungen für mildtätige Zwecke, § 53 AO
  • c) Steuervergünstigungen für gemeinnützige Zwecke, § 52 AO
  • aa) Religiöse Zwecke im Sinne des § 52 Abs. 2 Nr. 2 AO
  • bb) Weitere relevante Zwecke des § 52 Abs. 2 AO
  • cc) Förderung der Allgemeinheit
  • d) Weitere Voraussetzungen
  • 2. Direkte Steuervergünstigungen
  • a) Körperschaftsteuergesetz
  • b) Gewerbesteuergesetz
  • c) Erbschaft- und Schenkungsteuergesetz
  • d) Grundsteuergesetz
  • aa) Steuerbefreiung bei Nutzung zu gemeinnützigen Zwecken
  • bb) Grundsteuerbefreiung von jüdischen Kultusgemeinden
  • e) Umsatzsteuergesetz
  • 3. Indirekte Steuervergünstigungen
  • a) Einkünfte aus ehrenamtlichen Tätigkeiten
  • b) Abzugsfähigkeit von Spenden
  • c) Buchwertprivileg
  • 4. Zwischenergebnis
  • D. Verfassungsrechtliche Grundlagen der Steuervergünstigungen
  • I. Vorbemerkung
  • II. Anknüpfung an den Status der Körperschaft des öffentlichen Rechts
  • 1. Verhältnis der Steuervergünstigungen zu Art. 137 Abs. 5 WRV
  • a) Steuervergünstigungen als sonstige mit dem Körperschaftstatus verbundene Rechte
  • b) Grund der Gewährung von Steuervergünstigungen als sonstige Rechte
  • c) Einordnung der kirchlichen Einrichtungen im Zusammenhang mit Art. 137 Abs. 5 WRV
  • aa) Ausweitung aufgrund des Selbstbestimmungsrechts der Religionsgemeinschaften
  • bb) Beschränkung auf Recht der Organisationswahl
  • cc) Zwischenergebnis
  • 2. Steuervergünstigungen als negative Staatsleistungen im Sinne des Art. 138 Abs. 1 WRV
  • a) Begriff der Staatsleistung
  • b) Bestandsgarantie der Staatsleistungen
  • c) Qualifizierung der Steuervergünstigungen als negative Staatsleistungen
  • aa) Ablehnung der Einordnung von Steuervergünstigungen als Staatsleistungen gemäß Art. 138 Abs. 1 WRV
  • bb) Einordnung der Steuervergünstigungen als negative Staatsleistungen gemäß Art. 138 Abs. 1 WRV
  • cc) Mittelbare Steuervergünstigungen als negative Staatsleistungen
  • d) Nur im Ausnahmefall theoretische Einordnung als garantierte Staatsleistung
  • e) Zwischenergebnis
  • III. Prinzip der weltanschaulich-religiösen Neutralität des Staates
  • 1. Neutralitätsgebot und Differenzierung nach dem Rechtsstatus der Religionsgemeinschaften
  • a) Keine Differenzierung nach Glaubensinhalten
  • b) Differenzierung nur nach dem Status der Körperschaft des öffentlichen Rechts
  • c) Aspekt der gestuften Parität
  • d) Zwischenergebnis
  • 2. Neutralitätsgebot bezüglich der fehlenden Wirkungsmöglichkeit als Religionsgemeinschaft
  • IV. Zwischenergebnis
  • 1. Differenzierung nicht aufgrund der sozio-kulturellen Stellung sondern des Status der Religionsgemeinschaften
  • 2. Berechtigung des Staates zu fördernden Maßnahmen
  • E. Europarechtliche Bezüge
  • I. Beeinträchtigungsverbot des Art. 17 Abs. 1 AEUV
  • 1. Inhaltlicher Umfang der Regelung
  • 2. Art. 17 Abs. 1 AEUV und Steuervergünstigungen
  • a) Nur einfachgesetzliche Anknüpfung der Steuervergünstigungen
  • b) Gewichtung der Regelung im Staat-Kirche-Verhältnis als Maßstab
  • c) Gefährdung europäischer Zielsetzungen als Maßstab
  • d) Keine konkrete Gefährdung von Gemeinschaftszielen
  • e) Zwischenergebnis
  • II. Anwendung des europäisches Beihilferechts
  • 1. Einordnung der Steuervergünstigungen als Beihilfe
  • 2. Erfassung von wirtschaftlichen Aktivitäten der Religionsgemeinschaften
  • 3. Zwischenergebnis
  • F. Zusammenfassung in Thesen
  • Literaturverzeichnis

A.  Einleitung

Das Verhältnis von Religionsgemeinschaften zum Steuerstaat ist ambivalent. Ausgehend von den Toleranzedikten zu Beginn des 4. Jahrhunderts wurde das Verhältnis der damaligen Kirche zum römischen Reich vollständig verändert1. Indem Kaiser Galerius im April 311 ein Edikt erließ, erkannte der römische Staat erstmals die christliche Religion an2. Dies war auch der Türöffner für Steuerprivilegien; bereits zwei Jahre später wurde im Mailänder Toleranzedikt eine Privilegierung der Kirche angezeigt, indem die unentgeltliche Erstattung ihres Eigentums aus staatlichem oder privatem Besitz verfügt wurde3. Unter der kaiserlichen Alleinherrschaft Konstantins waren schließlich die Besitzungen der Kirche (immunitas realis) und Kleriker (immunitas personalis) von allen Abgaben befreit4.

Jedoch forderte erst die Kirche des Hochmittelalters diese Immunität und die darin enthaltenen Steuerprivilegien als eigenes Recht und beharrte auf den Vorrechten5. Schließlich wurde die Immunität der Kirchen seit dem 12. Jahrhundert vom Staat und vom dritten und vierten Laterankonzil 1179 und 1215 kirchenrechtlich festgelegt6. Wohl auch mit Rücksicht hierauf wurde die ← 15 | 16 → Steuerimmunität auf dem dritten Laterankonzil als eines der stolzesten Privilegien des Klerus bezeichnet7. Auch in den folgenden Jahrhunderten hat die Kirche an den Immunitätsprivilegien festgehalten8. Die Befreiung der katholischen Kirche von Steuern hatte daher ihre Wurzeln bereits im spätrömischen Recht, welche sich im Mittelalter als privilegierte Stellung des Kirchengutes entwickelt hat.

Mit dem aufkommenden Prozess der modernen Staatenbildung schwand die Immunität im weltlichen Recht immer mehr. Ausdrücklich begrüßt hat diese Entwicklung das zweite Vatikanische Konzil. Die Konzilsväter betonten, dass die Kirche sich nicht grundsätzlich auf Privilegien verlasse, die ihr von der staatlichen Autorität angeboten werden; doch erklärte die Versammlung auch, dass der öffentlichen Gewalt grundsätzlich die Förderung der Religion zufällt, indem sie für das religiöse Leben günstige Rahmenbedingungen schafft9.

Dieser Veränderungsprozess setzt sich bis heute fort. Obgleich in Deutschland den Religionsgemeinschaften in der Steuergesetzgebung weiterhin Steuervergünstigungen zugesprochen werden, hat sich auch hier das Verhältnis von Staat und Religion zueinander in den vergangenen 60 Jahren verändert. Festzustellen ist, dass – ausgehend von klaren Strukturen im rechtlichen Verhältnis zwischen Staat und Kirche im Einklang mit der gesellschaftlichen Situation im Anfangsstadium der Bundesrepublik Deutschland – bedingt durch die gesellschaftliche Entwicklung ein Pluralismus zulasten der religiösen Homogenität eingesetzt hat10. Eingebettet und erklärbar ist diese Entwicklung mit allgemeinen ← 16 | 17 → gesellschaftlichen und religiösen Tendenzen11. Seit Jahren zeigen die üblichen Indikatoren in Form der Mitgliederzahlen, Gottesdienstbesuchen und Zustimmung zu Glaubensaussagen einen Trend nach unten an12. Hieraus muss sich zwar trotz der Veränderungen nicht zwingend ergeben, dass die Dominanz des Christentums als quantitativ überwiegende Religion verloren geht13. Der Größe und der gesellschaftlichen Bedeutung nach stehen die beiden großen christlichen Kirchen aufgrund der nach wie vor vorhandenen gesamtgesellschaftlichen Bedeutung aber oftmals im Fokus der Betrachtung14. Zumindest kann festgestellt werden, dass neben der Abwendung von Teilen der Bevölkerung von institutionell organisierter Religion eine Art von religiöser Renaissance und Spiritualität bei Teilen der Gesellschaft in Deutschland eingetreten ist, so dass sich aufgrund der daraus folgenden Pluralität ein Strukturwandel ergibt15. Es kann daher diesbezüglich von einer „Durchmischung der Gesellschaft“ gesprochen werden16. ← 17 | 18 → Neben der sichtbaren Präsenz des Islams17 als drittgrößte Religionsgruppe – der allerdings nur bedingt als homogene Religion eingeordnet werden kann18 – existieren weitere, neue religiöse Bewegungen19.

Dieser Feststellung einer strukturellen Veränderungen im Bereich der Religionsgemeinschaften stehen die rechtlichen Rahmenbedingungen gegenüber: die Regelungen des Staatskirchenrechts und die durch diese bedingten und beeinflussten einfachgesetzlichen Regelungen – wie der hier zu thematisierenden Steuervergünstigungen – sind in ihren Grundstrukturen seit dem Inkrafttreten des Grundgesetzes dieselben geblieben. Rückblickend auf die aufgezeigte historische Entwicklung und vor dem Hintergrund der aktuellen religionssoziologischen Situation stellt sich in Bezug auf das geltende Recht die Frage, auf welche systematische Weise Steuervergünstigungen zugunsten der verschiedenen Religionsgemeinschaften gewährt und begründet werden.

I.   Thematische Einordnung

1.   Bedeutung des Themas

Ein wesentlicher Aspekt im Kontext der Steuervergünstigungen ist die Bedeutung der Religionsgemeinschaften. Deren Tätigkeit, vor allem im sozialen und kulturellen Bereich, entlastet den Staat und trägt – wie auch die Arbeit anderer freier Träger – zu größerer Pluralität und zu mehr Freiheit, nämlich zu mehr ← 18 | 19 → Wahl- und Entscheidungsmöglichkeiten der Bürger bei20. Aus diesen Gründen fördert der Staat die Religionsgemeinschaften als wesentliche Kulturträger und Kulturvermittler, nicht zuerst um der Religionsgemeinschaften, sondern um der Bürger willen21.

Einerseits existiert diese Förderung in aktiver Form durch finanzielle Zuwendungen; andererseits unterstützt der Staat die Religionsgemeinschaften passiv durch den Verzicht der Besteuerung dieser, so dass dadurch deren finanzielle Lage ebenfalls gefördert wird22. Insbesondere fördert der Steuergesetzgeber durch Steuervergünstigungen vielfältige Aktivitäten von verschiedenen religiösen Gemeinschaften, die den Staat in seiner sozialen Verantwortung entlasten oder bestimmte öffentliche Aufgaben erfüllen23. Diese Förderung wird aufgrund der Bedeutung der Einnahmeverzichte auch kritisch gesehen24. Carsten Frerk kommt beispielsweise zu dem Ergebnis, dass den Religionsgemeinschaften – gemeint sind wohl insbesondere die beiden großen christlichen Kirchen – Steuervergünstigungen in einer Höhe von 3,2 Milliarden Euro zugute kommen25.

Zurückzuführen ist diese umfangreiche Förderung unter anderem auf die erwähnte Übernahme von sozialer Verantwortung, insbesondere durch die sozialen und karitativen Einrichtungen der Religionsgemeinschaften (zum Beispiel das diakonische Werk der evangelischen Kirche Deutschlands e.V. oder der deutsche Caritasverband e.V.). Wie umfangreich und bedeutend diese Tätigkeiten sind, wird unter anderem anhand der Beschäftigtenzahlen dieser beiden Einrichtungen deutlich: Der Caritasverband beschäftigt 559.000 Menschen hauptberuflich in den 24.939 Einrichtungen und Diensten ← 19 | 20 → bundesweit26, während für das diakonische Werk 452.592 hauptberufliche Mitarbeiter tätig sind27.

2.  Fragestellung

Vor dem Hintergrund der eingangs beschriebenen Entwicklung und der wirtschaftlichen Bedeutung der Steuervergünstigungen stellt sich die Frage danach, ob deren Bestand aus juristischer Sicht noch gerechtfertigt ist. Hierfür ist zu untersuchen, wie das System der Steuervergünstigungen derzeit überhaupt strukturiert ist; unter welchen Voraussetzungen Steuervergünstigungen zugunsten der Religionsgemeinschaften möglich sind und in welchem Umfang diese rechtlich gewährt werden. Hierfür ist zu erörtern, wie auf einfachgesetzlicher Ebene in den wesentlichen Steuergesetzen die Religionsgemeinschaften in Bezug auf Steuervergünstigungen behandelt werden und ob sich hieraus eine erkennbare Systematik ergibt. Die Stellung der Religionsgemeinschaften im Steuerrecht zeichnet sich dabei durch eine Vielzahl unmittelbar oder mittelbar begünstigender Steuertatbestände aus. Damit ist eine beachtliche Förderung der religiösen Betätigung durch entsprechende Einnahmeverzichte verbunden, welche aber nur schwer quantifizierbar sind28. Betrachtet man einerseits das finanzielle Volumen, welche die Steuervergünstigungen zugunsten von Religionsgemeinschaften aufgrund vielfältiger einfachgesetzlicher Regelungen einnehmen und andererseits die dem gegenüber stehende unklar werdende Stellung von Religionsgemeinschaften in der Gesellschaft und im Rechtssystem, so schafft die hier sichtbare Diskrepanz den Bedarf der Klärung dieser Aspekte.

In jüngster Zeit wurde etwa vor verschiedenen Finanzgerichten und dem Bundesfinanzhof darüber entschieden, ob privatrechtlich organisierten islamischen Kultusgemeinden in Hinblick auf die Grundsteuerbefreiung von privatrechtlich organisierten jüdischen Kultusgemeinden gemäß § 3 Abs. 1 S. 1 Nr. 4 S. 2 GrStG – gleich den als Körperschaften des öffentlichen Rechts verfassten Religionsgemeinschaften – ebenfalls eine Grundsteuerbefreiung ← 20 | 21 → zugute kommen kann29. Ferner wird mit Rücksicht auf die angespannte finanzielle Lage der öffentlichen Haushalte im politischen Bereich eine Debatte über finanzielle Leistungen des Staates an Religionsgemeinschaften geführt, welche zum Teil als abschaffenswerte Privilegien eingeordnet werden30. Auch sind in jüngster Vergangenheit die vom Staat zugunsten von Religionsgemeinschaften gewährten finanziellen Privilegien – wie die hier behandelten Steuervergünstigungen – veranlasst durch den kostenintensiven Neubau des Bischofssitzes in Limburg und die Frage nach dessen Finanzierung verstärkt in den Fokus der Öffentlichkeit geraten31.

Angesichts dieser Problemanzeige besteht durchaus die Notwendigkeit für die Bearbeitung der Thematik von Steuervergünstigungen zugunsten von Religionsgemeinschaften.

In Anbetracht der vielfältigen spezifischen Regelungen im Zusammenhang mit den Steuervergünstigungen stellt sich die grundsätzliche Frage, ob sich aus den Regelungen eine Systematik der Steuervergünstigungen ergibt und ob diese im Lichte des Grundgesetzes und des Europarechtes gerechtfertigt ist. Auf dieser juristischen Grundlage kann in einem nächsten Schritt beurteilt werden, inwiefern mit Rekurs hierauf eine Anpassung an die religionssoziologischen Veränderungen der Gesellschaft erfolgen sollte. Dies ist mit einer umfassenden rechtlichen Perspektive als Grundlage möglich, so dass neben den einfachgesetzlichen Strukturen der Steuervergünstigungen auf Bundesebene auch die verfassungs- und europarechtlichen Aspekte der Steuervergünstigungen zu erarbeiten sind.

Darüber hinaus können die Darstellung der einfachgesetzlichen Systematik der Steuervergünstigungen und deren verfassungsrechtliche Begründung im Verhältnis der Religionsgemeinschaften zum Staat auch zur Klärung des grundsätzlichen Verhältnisses dieser beitragen. Insofern kann die Frage nach ← 21 | 22 → den Steuervergünstigungen zugunsten der Religionsgemeinschaften und deren Systematik als pars pro toto für die allgemeine Diskussion über die rechtliche Beziehung der Religionsgemeinschaften zum Staat mit Rücksicht auf die gesellschaftliche Entwicklung dienen.

II.   Forschungsstand

Bezogen auf die allgemeine Finanzierung der Religionsgemeinschaften existiert Literatur, welche die Finanzierung dieser als Schnittstellenthema zwischen wirtschaftlicher und juristischer Perspektive begreift und behandelt32. So bearbeitet beispielsweise Hans Nachtkamp den Aspekt der Abgeltung der Erfüllung gesamtgesellschaftlicher Aufgaben durch Religionsgemeinschaften durch Steuervergünstigungen aus finanzwissenschaftlicher Sicht33. Eugen Mack bietet eine historische Darstellung bezogen auf die Reichsgesetzgebung und deren Bezug zum kanonischen Recht34. Diese Darstellungen sind jedoch entweder finanzwissenschaftlich, kirchenrechtlich oder historisch geprägt.

Zwar existieren darüber hinaus juristische Darstellungen der Steuervergünstigungen zugunsten von Religionsgemeinschaften35. Diese sind jedoch auf die reine Darstellung der Steuervergünstigungen beschränkt. Einerseits befassen sie sich daher nicht eingehend mit der damit zusammenhängenden Systematik und greifen andererseits nicht die darauf bezogenen und damit verbundenen verfassungsrechtlichen Aspekte auf, welche jedoch für eine rechtliche Bewertung ← 22 | 23 → und einer darauf basierenden rechtspolitischen Debatte notwendig sind. Andere Erwähnungen dieser Thematik sind in thematisch allgemeinerem Kontext wie beispielsweise der Darstellung des gesamten staatskirchenrechtlichen Systems zu finden, so dass diese ebenfalls nicht umfassend und ausreichend konkretisiert sind36. So wird bei der Darstellung der mit dem Status einer Körperschaft des öffentlichen Rechts im Sinne des Art. 140 GG i.V.m. 137 Abs. 5 WRV verbundener Rechte oftmals auf „verschiedene Steuervergünstigungen“ als vorteilhafte Rechtsposition verwiesen37. Insoweit bleiben die Steuervergünstigungen der Religionsgemeinschaften dort nur ein Teilaspekt. Da die Verleihung dieses Status im Zuge der Pluralisierung zunehmend Probleme – aufgrund von religiösen und strukturellen Eigenarten diverser Religionsgemeinschaften – bereitet, kann dieser Status auch in Bezug auf die Steuervergünstigungen als problematisch angesehen werden38. Folglich ist die Auseinandersetzung mit dem Status ein wesentlicher Bestandteil der folgenden Untersuchung. Aus diesem Blickwinkel ist das Phänomen der Steuervergünstigungen zugunsten von Religionsgemeinschaften und deren Systematik bisher nicht umfassend untersucht worden.

Darüber hinaus existiert eine übergreifende Untersuchung, die diese Thematik auf steuerrechtlicher als auch verfassungsrechtlicher Ebene sowie unter europarechtlichen Vorgaben zu behandeln versucht, bisher nicht. Es fehlt daher eine ausführliche Darstellung und eine Untersuchung, ob die Steuervergünstigungen in einer bestimmten Systematik erfolgen und eine daran anknüpfende verfassungsrechtliche Diskussion darüber. Die vorliegende Arbeit soll auf diese Weise deutlich machen, wie die Steuervergünstigungen und deren systematischen Unterscheidungen verfassungsrechtlich verankert und damit auch legitimiert sind. Letztlich dient dies dem Ziel, die systematischen Unterscheidungen in ← 23 | 24 → steuerrechtlicher Hinsicht durch die verfassungsrechtlichen Anknüpfungspunkte verständlich zu machen.

III.  Gang der Darstellung

Die vorliegende Arbeit umfasst eine systematisierende Darstellung der Steuervergünstigungen von Religionsgemeinschaften durch Bundesrecht. Dabei soll untersucht werden, unter welchen Voraussetzungen und mit welchen Differenzierungen Steuervergünstigungen von Religionsgemeinschaften im deutschen Steuerrecht erfolgen. In diesem Zusammenhang sind diejenigen Tätigkeiten zu berücksichtigen, die nicht unter die Steuervergünstigungen fallen. Dies ist insbesondere im Bereich der wirtschaftlichen Aktivitäten der Religionsgemeinschaften der Fall39. Wie bereits erwähnt, kommt dem Status der Körperschaft des öffentlichen Rechts gemäß Art. 140 GG i.V.m. Art. 137 Abs. 5 WRV eine grundlegende Bedeutung im Zusammenhang mit den Religionsgemeinschaften zu. Entsprechend wird in der nachfolgenden Untersuchung mit Hilfe des Status zwischen den verschiedenen Religionsgemeinschaften differenziert.

Darüber hinaus stellt sich die Frage, wie die Steuervergünstigungen der Religionsgemeinschaften – insbesondere unter dem Aspekt der Differenzierungen zwischen den verschiedenen Arten von Religionsgemeinschaften – verfassungsrechtlich verankert und zu rechtfertigen sind. Denn neben den als Körperschaften des öffentlichen Rechts verfassten Religionsgemeinschaften existieren weitere, privatrechtlich organisierte Religionsgemeinschaften, die ebenfalls für ihre Tätigkeiten steuerliche Vergünstigungen beanspruchen40. Hierbei ist im Wesentlichen bei der Bearbeitung auf die möglicherweise vorliegende einfachgesetzliche Systematik und deren Kriterien für die Steuervergünstigungen Bezug zu nehmen. Diese Kombination aus einfachgesetzlichen Strukturen und den darauf bezogenen verfassungsrechtlichen Vorgaben ermöglicht es, einen umfassenden Blick auf die pauschal als Privilegien bezeichneten Steuervergünstigungen zu werfen. Der wachsenden Bedeutung europarechtlichen Vorgaben entsprechend wird im Anschluss die europarechtliche Perspektive der Thematik erörtert. ← 24 | 25 → Aufbauend auf den Ergebnissen dieser Arbeit ist eine rechts- und gesellschaftspolitische Bewertung und Debatte der Steuervergünstigungen zugunsten von Religionsgemeinschaften möglich. ← 25 | 26 →

 

← 26 | 27 →

                                                   

    1  Vgl. von Haehling, Artikel Toleranzedikte, in: Lexikon für Theologie und Kirche Bd. 10, Sp. 102; zum Prozess des Christentums zur Staatsreligion vgl. Veyne, Als unsere Welt christlich wurde. Aufstieg einer Sekte zur Weltmacht; aus sozialgeschichtlicher Perspektive Norbert Brox, Kirchengeschichte des Altertums, S. 42 ff.

    2  Von Haehling, Artikel Toleranzedikte, in: Lexikon für Theologie und Kirche, 3. Auflage, Bd. 10, Sp. 102.

    3  Von Haehling, Artikel Toleranzedikte, in: Lexikon für Theologie und Kirche, 3. Auflage, Bd. 10, Sp. 102.

Details

Seiten
241
Jahr
2014
ISBN (PDF)
9783653048964
ISBN (ePUB)
9783653979923
ISBN (MOBI)
9783653979916
ISBN (Paperback)
9783631655191
DOI
10.3726/978-3-653-04896-4
Sprache
Deutsch
Erscheinungsdatum
2014 (September)
Schlagworte
Rechtsstatus steuerrechtliche Systematisierung verfassungsrechtliche Rechtfertigung Steuergesetze
Erschienen
Frankfurt am Main, Berlin, Bern, Bruxelles, New York, Oxford, Wien, 2014. 241 S.

Biographische Angaben

Tobias Clasen (Autor:in)

Tobias Clasen studierte Rechtswissenschaften an der Universität Münster und der European-Law-School Maastricht (Niederlande). Zurzeit ist er als Rechtsanwalt in einer wirtschaftsrechtlichen Sozietät in Frankfurt am Main tätig.

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