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Zur Strafbarkeit von Betriebsratsmitgliedern

Eine Analyse strafbarer Handlungen zum Nachteil des Arbeitgebers anhand praxisrelevanter Fallkonstellationen

von Anna-Luise Achenbach (Autor:in)
©2014 Dissertation XIV, 241 Seiten

Zusammenfassung

Die Studie untersucht mögliche strafbare Handlungen von Betriebsratsmitgliedern zum Nachteil des Arbeitgebers bei betriebsverfassungswidrigem Verhalten. Zunächst stellt sich die Frage nach der strafrechtlichen Verantwortlichkeit des einzelnen Betriebsratsmitglieds im Zusammenhang mit seinem Abstimmungsverhalten im Gremium. Den Kern der Arbeit bildet die Untersuchung möglicher Straftatbestände, die bei einem Verstoß gegen die betriebsverfassungsrechtlichen Vorgaben verwirklicht sein könnten, wobei diese jeweils auf der Grundlage von Entscheidungen des Bundesarbeitsgerichts oder der Landesarbeitsgerichte erfolgt. Die strafrechtliche Analyse der bundes- und landesarbeitsgerichtlichen Entscheidungen schließlich zeigt, dass Betriebsratsmitglieder nicht befürchten müssen, strafbare Handlungen zum Nachteil des Arbeitgebers zu begehen – solange sie sich bei der Ausübung ihres Amtes im Rahmen ihrer betriebsverfassungsrechtlichen Befugnisse und Kompetenzen bewegen.

Inhaltsverzeichnis

  • Cover
  • Titel
  • Copyright
  • Autorenangaben
  • Über das Buch
  • Zitierfähigkeit des eBooks
  • Vorwort
  • Inhaltsverzeichnis
  • Einleitung
  • A. Sanktionsmöglichkeiten bei betriebsverfassungswidrigem Verhalten und Grundsatz der ultima ratio
  • B. Ziel und Aufbau der Untersuchung
  • 1. Teil: Betriebsverfassungsrechtliche Grundlagen
  • A. Aufgaben und Wirkungskreis des Betriebsrats
  • B. Rechtsstellung des Betriebsrats nach dem Betriebsverfassungsgesetz
  • I. Rechtsnatur des Betriebsrats
  • II. Rechtsverhältnis zwischen Betriebsrat und Arbeitgeber
  • III. Rechts- und Vermögensfähigkeit des Betriebsrats
  • 1. Partielle Rechts- und Vermögensfähigkeit des Betriebsrats
  • 2. Beschränkung der Rechts- und Vermögensfähigkeit auf das Innenverhältnis
  • 3. Die Rechtsbeziehungen des Betriebsrats zu Dritten
  • IV. Handeln als Gremium
  • C. Grundlagen der Zusammenarbeit zwischen Arbeitgeber und Betriebsrat
  • I. Gebot der vertrauensvollen Zusammenarbeit
  • II. Ehrenamts- und Lohnausfallprinzip
  • 1. Unentgeltlichkeit des Ehrenamts
  • 2. Arbeitsbefreiung und Lohnausfallprinzip
  • a) Vornahme erforderlicher Betriebsratsaufgaben oder Teilnahme an Schulungs- und Bildungsveranstaltungen
  • b) Abmeldepflicht
  • III. Kosten und Sachaufwand des Betriebsrats
  • 1. Kostentragungspflicht des Arbeitgebers
  • 2. Abwicklung der Kostentragungspflicht
  • a) Inhalt des Anspruchs
  • b) Nachweispflicht
  • 3. Kostenvorschuss
  • IV. Koppelungsgeschäfte im Rahmen der betrieblichen Mitbestimmung
  • 1. Begriff des Koppelungsgeschäfts
  • 2. Zulässigkeit der Zustimmungsverweigerung
  • a) Zustimmungsverweigerung nicht an bestimmte Gründe gebunden
  • b) Zustimmungsverweigerung an den Normzweck gebunden
  • V. Arbeitskampfverbot
  • 1. Maßnahmen und Mittel des Arbeitskampfes
  • a) Streik
  • b) Betriebsbesetzung und Betriebsblockade
  • 2. Umfassendes Kampfverbot
  • 3. Adressaten des Arbeitskampfverbots
  • VI. Geheimhaltungspflicht der Betriebsratsmitglieder
  • 1. Betriebsverfassungsrechtlicher Geheimnisschutz
  • 2. Arbeitsvertraglicher Geheimnisschutz
  • 3. Weitere Verschwiegenheitspflichten
  • 2. Teil: Strafrechtliche Untersuchung
  • A. Strafrechtliche Verantwortlichkeit der betriebsverfassungsrechtlichen Normadressaten
  • I. Entscheidung mit der Mehrheit einer Stimme
  • 1. Kausalität des Stimmverhaltens nach der Äquivalenztheorie in Verbindung mit der conditio sine qua non-Formel
  • 2. Kausalität des Stimmverhaltens nach Lehre von der gesetzmäßigen Bedingung
  • II. Entscheidung mit solider Mehrheit
  • 1. Kausalität des Stimmverhaltens nach der Äquivalenztheorie in Verbindung mit der conditio sine qua non-Formel
  • a) Der Erfolg in seiner konkreten Gestalt
  • b) Kein Fall kumulativer Kausalität
  • c) Kein Fall alternativer Kausalität
  • 2. Lehre von der gesetzmäßigen Bedingung
  • 3. Zurechnung über § 25 Abs. 2 StGB nach Rechtsprechung und Teilen der Lehre
  • a) Gemeinsamer Tatentschluss
  • b) Gemeinsamer Tatbeitrag
  • 4. Ergebis
  • B. Strafbarkeit wegen Betrugs gemäß § 263 StGB
  • I. Zur Strafbarkeit wegen Verstoßes gegen § 37 Abs. 2 BetrVG
  • 1. Fallbeispiel: Urteil des Bundesarbeitsgerichts vom 19.5.1983
  • 2. Tatsachen als Gegenstand der Täuschung
  • a) Keine Wahrnehmung von Betriebsratsaufgaben
  • b) Keine Erforderlichkeit der Arbeitsbefreiung
  • 3. Inhalt der Täuschung
  • a) Täuschungsbewusstsein
  • b) Täuschung bei Abmeldung
  • c) Täuschung durch widerspruchslose Entgegennahme der Entgeltfortzahlung
  • aa) Konkludente Täuschung
  • bb) Täuschung durch Unterlassen
  • (1) Betrug durch Unterlassen
  • (2) Garantenpflicht von Betriebsratsmitgliedern
  • (aa) Garantenstellung aus § 2 Abs. 1 BetrVG
  • (bb) Garantenstellung aus Arbeitsvertrag
  • (cc) Garantenstellung aus Ingerenz
  • 4. Täuschungsbedingter Irrtum
  • 5. Vermögensverfügung und Vermögensschaden
  • a) Vermögensverfügung
  • b) Vermögensbegriff
  • c) Ermittlung des Vermögensschadens
  • 6. Vorsatz und Absicht rechtswidriger Bereicherung
  • 7. Fallbeispiel: Urteil des Bundesarbeitsgerichts vom 19.5.1983
  • II. Zur Strafbarkeit wegen Verstoßes gegen § 40 Abs. 1 BetrVG
  • 1. Fallbeispiel: Beschluss des Bundesarbeitsgerichts vom 20.10.1993
  • 2. Geltendmachung eines Anspruchs als Täuschung über Tatsachen
  • 3. Inhalt der Täuschung
  • a) Kostenerstattungsbegehren unter Vorlage von Nachweisen
  • b) Kostenerstattungsbegehren ohne Nachweise
  • aa) Rechtsansicht verbunden mit der Behauptung anspruchsbegründender Tatsachen
  • bb) Rechtsansicht vertreten mit dem Anspruch auf Richtigkeit und Verbindlichkeit
  • 4. Täuschungsbedingter Irrtum
  • 5. Vermögensverfügung und Vermögensschaden
  • a) Wertminderung
  • b) Schadenskompensation
  • 6. Vorsatz und Absicht rechtswidriger Bereicherung
  • 7. Fallbeispiel: Beschluss des Bundesarbeitsgerichts vom 20.10.1993
  • C. Strafbarkeit wegen Untreue gemäß § 266 StGB
  • I. Missbrauchstatbestand
  • 1. Nutzung eines gewährten Vorschusses zu betriebsratsfremden oder nicht erforderlichen Zwecken
  • a) Verfügungs- oder Verpflichtungsbefugnis
  • aa) Keine gesetzlich begründete Befugnis aus § 40 Abs. 1 BetrVG
  • bb) Rechtsgeschäftlich begründete Befugnis
  • b) Missbrauch der Befugnis
  • aa) Weisung im Innenverhältnis
  • bb) Begrenzung der Befugnis auch im Außenverhältnis
  • c) Verletzung einer Vermögensbetreuungspflicht
  • aa) Erfordernis der Vermögensbetreuungspflicht
  • bb) Inhalt der Vermögensbetreuungspflicht
  • cc) Vermögensbetreuungspflicht der Betriebsratsmitglieder
  • 2. Nicht erforderliche Kosten im Rahmen der gewöhnlichen Kostenabwicklung
  • a) Verpflichtungsbefugnis
  • b) Missbrauch der Befugnis
  • II. Treubruchtatbestand
  • III. Exkurs: Strafbare Teilnahme an einer Untreue am Beispiel der „Volkswagen-Affäre“
  • D. Strafbarkeit wegen Nötigung gemäß § 240 StGB
  • I. Zur Strafbarkeit bei Koppelungsgeschäften
  • 1. Fallbeispiel: Beschluss des Hessischen Landesarbeitsgerichts vom 13.10.2005
  • 2. Tatbestand
  • a) Zustimmungsverweigerung als Drohung mit einem empfindlichen Übel
  • b) Verweigerung der Zustimmung als Drohung mit einem Unterlassen
  • aa) Sachgrundlose und normzweckwidrige Zustimmungsverweigerung
  • bb) Vom Normzweck gedeckte Zustimmungsverweigerung
  • (1) Drohung mit einem empfindlichen Übel auch bei rechtmäßigem Unterlassen
  • (2) Drohung mit einem empfindlichen Übel nur bei pflichtwidrigem Unterlassen
  • (3) Stellungnahme
  • c) Nötigungserfolg
  • d) Vorsatz
  • 3. Rechtswidrigkeit
  • a) Verwerflichkeitsklausel als Prüfungsmaßstab der Rechtswidrigkeit
  • aa) Funktion der Verwerflichkeitsklausel
  • bb) Inhalt der Verwerflichkeitsklausel
  • b) Verwerflichkeitsprüfung auch für den Betriebsrat?
  • c) Überprüfung der Zweck-Mittel-Relation
  • aa) Nötigungszweck
  • (1) Unmittelbarer Nötigungszweck
  • (2) Berücksichtigung von Fernzielen?
  • bb) Nötigungsmittel
  • (1) Intensität des Nötigungsmittels
  • (2) Rechtmäßigkeit des Nötigungsmittels
  • (a) Prinzip des mangelnden Zusammenhangs
  • (b) Besonderheiten bei Rechtsmäßigkeit des angedrohten Unterlassens
  • (3) Vorrang staatlicher Zwangsmittel
  • 4. Fallbeispiel: Beschluss des Hessischen Landesarbeitsgerichts vom 13.10.2005
  • II. Zur Strafbarkeit wegen Verstoßes gegen das Arbeitskampfverbot des § 74 Abs. 2 Satz 1 1. HS BetrVG
  • 1. Fallbeispiel: Ermittlungsverfahren der Generalstaatsanwaltschaft Stuttgart gegen den Gesamtbetriebsratsvorsitzenden der DaimlerChrysler AG
  • 2. Tatbestand
  • a) Streik als Mittel der Nötigung
  • aa) Streik als Gewalt
  • bb) Streik als Drohung mit einem empfindlichen Übel
  • cc) Streik als Drohung mit einem Tun oder Unterlassen
  • (1) Abgrenzung anhand von Wertungskriterien
  • (2) Abgrenzung anhand des Kausalitätskriteriums
  • (3) Stellungnahme
  • b) Betriebsbesetzung und Betriebsblockade als Mittel der Nötigung
  • aa) Betriebsbesetzung als Gewalt oder Drohung mit einem empfindlichen Übel
  • bb) Betriebsblockade als Gewalt oder Drohung mit einem empfindlichen Übel
  • cc) Betriebsbesetzung und Betriebsblockade als Dreiecksnötigung
  • (1) Betriebsbesetzung und Betriebsblockade als Gewalt oder Drohung mit einem empfindlichen Übel gegenüber den Arbeitnehmern des Betriebs
  • (2) Nötigende Wirkung auf Seiten des Arbeitgebers
  • c) Nötigungserfolg
  • d) Exkurs: Betriebsbesetzung als Hausfriedensbruch gemäß § 123 StGB
  • e) Vorsatz
  • 3. Rechtswidrigkeit
  • a) Nötigungszweck
  • b) Nötigungsmittel
  • aa) Intensität des Nötigungsmittels
  • bb) Vorrang staatlicher Zwangsmittel
  • 4. Täterschaft und Teilnahme
  • a) Abgrenzung von Täterschaft und Teilnahme
  • b) Vom Betriebsrat initiierter Arbeitskampf
  • aa) Vergleich zum gewerkschaftlich organisierten Arbeitskampf
  • bb) Stellungnahme
  • 5. Fallbeispiel: Ermittlungsverfahren der Generalstaatsanwaltschaft Stuttgart gegen den Gesamtbetriebsratsvorsitzenden der DaimlerChrysler AG
  • E. Strafbarkeit wegen Erpressung gemäß § 253 StGB
  • I. Zur Strafbarkeit bei Koppelungsgeschäften
  • 1. Vermögensverfügung und Vermögensnachteil
  • a) Zustimmung als Kompensation
  • b) Saldierung von Leistung und Zustimmung
  • 2. Vorsatz und Absicht rechtswidriger Bereicherung
  • II. Zur Strafbarkeit wegen Verstoßes gegen das Arbeitskampfverbot des § 74 Abs. 2 Satz 1 1. HS BetrVG
  • 1. Vermögensverfügung und Vermögensnachteil
  • 2. Vorsatz und Absicht rechtswidriger Bereicherung
  • F. Strafbarkeit wegen Verletzung von Betriebs- und Geschäftsgeheimnissen
  • I. Zur Strafbarkeit gemäß § 120 Abs. 1 Nr. 1, Abs. 3 Satz 2 BetrVG
  • 1. Fallbeispiel: Beschluss des Bundesarbeitsgerichts vom 26.2.1987
  • 2. Tatbestand
  • a) Verstoß gegen § 79 Abs. 1 Satz 1 BetrVG
  • b) Unbefugtes Offenbaren oder Verwerten eines Betriebs- oder Geschäftsgeheimnisses
  • c) Subjektiver Tatbestand
  • d) Besonderes persönliches Merkmal
  • 3. Rechtswidrigkeit
  • a) Prozessuale Zeugnispflicht
  • b) Rechtfertigender Notstand
  • 4. Qualifikation, § 120 Abs. 3 Satz 1 BetrVG
  • 5. Fallbeispiel: Beschluss des Bundesarbeitsgerichts vom 26.2.1987
  • II. Zur Strafbarkeit gemäß § 17 Abs. 1 UWG
  • III. Zur Strafbarkeit gemäß §§ 38 Abs. 1 Nr. 2 c), 39 Abs. 2 Nr. 3 WpHG i. V. m. § 14 Abs. 1 Nr. 2 WpHG
  • 1. Verstoß gegen § 14 Abs. 1 Nr. 2 WpHG
  • 2. Unbefugtes Mitteilen oder Zugänglichmachen
  • 3. Subjektiver Tatbestand
  • IV. Konkurrenzen
  • G. Fazit
  • Literaturverzeichnis

Einleitung

Im Rahmen aufsehenerregender Wirtschaftsstrafprozesse der letzten Jahre saßen neben Vorständen und Aufsichtsräten auch Betriebsräte auf der Anklagebank. Prominentestes Beispiel ist wohl die „Volkswagen-Affäre“. Das Landgericht Braunschweig verurteilte den Gesamtbetriebsratsvorsitzenden der Volkswagen AG mit Urteil vom 22.2.2008 wegen Beihilfe und Anstiftung zur Untreue sowie wegen Anstiftung zur Betriebsratsbegünstigung zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von zwei Jahren und neun Monaten, da er u. a. Sonderbonuszahlungen erhalten hatte, die seiner betriebsinternen Gehaltsstufe nicht entsprachen.1 Der Bundesgerichtshof bestätigte diese Entscheidung mit Urteil vom 17.9.2009 hinsichtlich der Verurteilung wegen Beihilfe und Anstiftung zur Untreue.2 Ebenfalls wegen Untreue angeklagt war der Betriebsratsvorsitzende der Mannesmann AG im sog. Mannesmann-Prozess. Ihm wurde vorgeworfen, als Mitglied des Aufsichtsratsausschusses für Vorstandsangelegenheiten der früheren Mannesmann AG zusammen mit anderen Mitgliedern dieses Gremiums die Zuerkennung freiwilliger Sonderzahlungen und die Abgeltung von Pensionsansprüchen, die in engem zeitlichen Zusammenhang mit der Übernahme der Mannesmann AG durch die britische Vodafone Airtouch plc. standen, vorgenommen zu haben. Mit Urteil vom 22.2.2004 sprach das Landgericht Düsseldorf alle Angeklagten frei.3 Auf die Revision der Staatsanwaltschaft hob der Bundesgerichtshof die Freisprüche auf und verwies die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung an eine andere Strafkammer des Landgerichts Düsseldorf zurück,4 woraufhin das Verfahren gegen Auflagen nach § 153 a StPO eingestellt wurde.5 Nicht im Zusammenhang mit Vermögensdelikten sondern wegen Nötigung ermittelte die Generalstaatsanwaltschaft Stuttgart gegen den Gesamtbetriebsratsvorsitzenden der DaimlerChrysler AG. ← 1 | 2 → Verschiedenen Presseberichten zufolge hatte dieser eine bundesweite Streikwelle im Jahr 2004 jedenfalls mitveranlasst im Rahmen derer zehntausende Arbeitnehmer wiederholt ihre Arbeit niedergelegt hatten, um einen angekündigten Abbau von bis zu 6.000 Arbeitsplätzen aufgrund einer geplanten Verlagerung von Produktionsstätten zu verhindern.6 Das Verfahren wurde gemäß § 170 Abs. 2 StPO eingestellt.7

Fälle der geschilderten Art geben Anlass, sich mit der Verantwortlichkeit von Betriebsratsmitgliedern im Kontext von Betriebsverfassungsrecht und Strafrecht zu beschäftigen. Arbeitsstrafrecht in seiner traditionellen Form ist „Arbeitgeberstrafrecht“ zur Verstärkung des Arbeitnehmerschutzes.8 Es zeichnet sich jedoch ein Wandel hin zu einem Arbeitsstrafrecht auch zur Disziplinierung der Arbeitnehmerseite ab. Bei elementarer Verletzung arbeitsrechtlicher Grundregeln werden verstärkt auch die kollektiv-arbeitsrechtlichen Akteure zur Verantwortung gezogen und wird deren Verhalten strafrechtlich sanktioniert. Es ist sogar von einer „Verstrafrechtlichung des Arbeitsrechts“ die Rede.9 Diese neue Form des Arbeitsstrafrechts als einem Arbeitsstrafrecht zur Disziplinierung auch der Arbeitnehmer(vertreter) ist ein neues, bislang kaum erforschtes Rechtsgebiet.10 Die vorliegende Arbeit befasst sich vor diesem Hintergrund mit der Frage der Strafbarkeit von Betriebsräten. Es wird untersucht, unter welchen Voraussetzungen Betriebsräte bei Verstößen gegen die Vorschriften des Betriebsverfassungsgesetzes strafbare Handlungen zum Nachteil des Arbeitgebers begehen. ← 2 | 3 →

A. Sanktionsmöglichkeiten bei betriebsverfassungswidrigem Verhalten und Grundsatz der ultima ratio

Aus gesetzeswidrigem Verhalten von Betriebsratsmitgliedern können sich einerseits betriebsverfassungsrechtliche Konsequenzen ergeben, andererseits kann auch eine strafrechtliche Verantwortlichkeit des betreffenden Betriebsratsmitglieds gegeben sein. Zentrale Sanktionsvorschrift des Betriebsverfassungsgesetzes bei der Verletzung betriebsverfassungsrechtlicher Pflichten und Befugnisse ist § 23 Abs. 1 BetrVG. Danach kann ein Betriebsratsmitglied wegen grober Verletzung seiner gesetzlichen Pflichten auf Antrag eines Viertels der wahlberechtigten Arbeitnehmer, des Arbeitgebers, einer im Betrieb vertretenen Gewerkschaft oder des Betriebsrats aus dem Betriebsrat ausgeschlossen werden.11 Zusätzlich haben Rechtsprechung und Lehre Unterlassungs- und Schadensersatzansprüche des Arbeitgebers gegen das gesetzwidrig handelnde Betriebsratsmitglied entwickelt.12 Als weitere arbeitsrechtliche Sanktionen kommt bei pflichtwidrigem Verhalten eines Betriebsratsmitglieds die Möglichkeit einer außerordentlichen Kündigung durch den Arbeitgeber nach Maßgabe des § 626 BGB i. V. m. § 103 BetrVG in Betracht. Soweit es um strafrechtliche Sanktionen geht, enthält das Betriebsverfassungsgesetz im sechsten Teil mit den §§ 119 und 120 zum Schutz der Betriebsverfassung und ihrer Mitglieder sowie dem Geheimnisschutz spezielle betriebsverfassungsrechtliche Strafvorschriften. Daneben können die allgemeinen Strafvorschriften des Strafgesetzbuches bei betriebsverfassungswidrigem Verhalten der Betriebsratsmitglieder zur Anwendung kommen.

In diesem Kontext wird der Vorwurf der Kriminalisierung der Betriebsratstätigkeit erhoben. Man könne den Eindruck erlangen, dass das Betriebsratsamt per se in strafrechtlicher Hinsicht besonders risikobehaftet sei.13 In der Tat erscheint der Einsatz des Strafrechts aus arbeits- und betriebsverfassungsrechtlicher Sicht im Hinblick auf eine vertrauensvolle Zusammenarbeit von Arbeitgeber und Betriebsrat nach § 2 Abs. 1 BetrVG wenig förderlich. Das Gebot der vertrauensvollen Zusammenarbeit zwischen Arbeitgeber ← 3 | 4 → und Betriebsrat dient dem Wohl der Arbeitnehmer und des Betriebs und ist Ausdruck des der Betriebsverfassung zugrunde liegenden Kooperationsmodells. Danach beruht die Betriebsverfassung im Gegensatz zu dem auf Konfrontation angelegten Tarifsystem „primär auf dem Gedanken des Zusammenwirkens“14. In einem frühen Urteil des Bundesarbeitsgerichts aus dem Jahr 1967 stellte das Gericht hierzu fest: „Das gibt allerdings den einzelnen Betriebsratsmitgliedern keinen Freibrief für jedes beliebige Verhalten. Auch das einzelne Betriebsratsmitglied hat sich vielmehr bei seiner Betriebsratstätigkeit innerhalb der Grenzen zu halten, die sich aus den allgemeinen Vorschriften der Rechtsordnung, insbesondere des Zivil- und Strafrechts, ergeben.15 Der soziale Zweck der Betriebsverfassung ist kein Strafausschließungsgrund.16 Allerdings darf das Strafrecht Wertentscheidungen der vorstrafrechtlichen Verhaltensnormen, deren Missachtung unter Strafe stehen soll, nicht zuwiderlaufen. Denn das Strafrecht ist nur ultima ratio der Rechtsordnung. Als subsidiärer Rechtsschutz darf es bei der Durchsetzung aufgestellter Verhaltensnormen keine weitergehenden und damit eigenständigen Verhaltensbefehle schaffen, die sich ganz oder teilweise in Widerspruch zu den vorstrafrechtlichen Rechtsordnungen setzen würden.17

B. Ziel und Aufbau der Untersuchung

Vor dem Hintergrund eines augenscheinlich in den Fokus rückenden strafrechtlich relevanten Verhaltens von Betriebsräten untersucht die vorliegende Arbeit mögliche strafrechtliche Konsequenzen betriebsverfassungswidrigen Verhaltens. Dass sich Betriebsratsmitglieder strafbar machen können, wenn sie gegen geltende Strafgesetze verstoßen, ist klar. Die dieser Arbeit zugrunde liegende Frage lautet daher vielmehr, inwieweit bei Verstößen von Betriebsratsmitgliedern in ihrer Funktion als Amtsträger gegen das Betriebsverfassungsgesetz auch Straftatbestände erfüllt sein können. Ziel dieser Untersuchung ist es, anhand praxisrelevanter Sachverhaltskonstellationen unter Bezugnahme auf bundes- und landesarbeitsgerichtliche Entscheidungen aufzuzeigen, in welchen Situationen eine Strafbarkeit von Betriebsratsmitgliedern bei Ausübung ihres Amtes gegeben sein kann. ← 4 | 5 →

Die Untersuchung gliedert sich in zwei Hauptteile: Im ersten Teil werden die betriebsverfassungsrechtlichen Grundlagen dargestellt, im zweiten Teil, dem Schwerpunkt dieser Arbeit, erfolgt die Untersuchung einzelner Straftatbestände. Dazu werden im ersten Teil zunächst der Betriebsrat als Gremium innerhalb der Betriebsverfassung vorgestellt und die ihm im Rahmen seines Wirkungskreises zugewiesenen Aufgaben erläutert. Daran schließen sich Ausführungen zur Rechtsstellung des Betriebsrats und zu den Grundlagen der Zusammenarbeit zwischen Betriebsrat und Arbeitgeber (Betriebspartner) an. Es werden die grundlegenden Verhaltensvorgaben vorgestellt, die das Verhältnis der Betriebspartner prägen.

Zu Beginn des zweiten Teils der Arbeit wird der Frage nach der strafrechtlichen Verantwortlichkeit des einzelnen Betriebsratsmitglieds im Zusammenhang mit seinem Abstimmungsverhalten im Gremium nachgegangen. Da das deutsche Strafrecht eine Strafbarkeit von juristischen Personen und Personenvereinigungen nicht kennt, können nur natürliche Personen als Täter bestraft werden.18 Eine strafrechtliche Haftung des Betriebsrats als Gremium scheidet demnach aus. Als möglicher Täter kommt nur das unmittelbar handelnde Betriebsratsmitglied, das alle Merkmale eines Straftatbestands in eigener Person verwirklicht, in Betracht. Zudem wird untersucht, ob und inwieweit eine strafrechtliche Einzelverantwortlichkeit der an der Beschlussfassung beteiligten Betriebsratsmitglieder besteht.

Sodann erfolgt die den Schwerpunkt der Arbeit bildende Untersuchung möglicher Straftatbestände, die bei einem Verstoß gegen die im ersten Teil dargestellten Verhaltensvorgaben verwirklicht sein können. Das Gewicht liegt dabei auf den Vorschriften des Strafgesetzbuches, da die Strafvorschriften nach dem Betriebsverfassungsgesetz bereits Gegenstand anderer Arbeiten waren.19 Innerhalb der Prüfung wird unterschieden nach den Strafvorschriften zum Schutz des Vermögens (§§ 263, 266 StGB), zum Schutz der Willensfreiheit (§ 240 StGB), zum Schutz der Willensfreiheit und des Vermögens (§ 253 StGB) und zum Schutz von Betriebs- und Geschäftsgeheimnissen (§ 120 Abs. 1 Nr. 1, Abs. 3 Satz 2 BetrVG; § 17 UWG; §§ 38 Abs. 1 Nr. 2 c), 39 Abs. 2 Nr. 3 WpHG i. V. m. § 14 Abs. 1 Nr. 2 WpHG). Angesichts der Fülle möglicher Verstöße gegen das Betriebsverfassungsgesetz liegt das Augenmerk dieser Arbeit auf der Analyse ← 5 | 6 → praxisrelevanter Fallkonstellationen. Dazu sind den im Folgenden zu untersuchenden Straftatbeständen Fallbeispiele aus der Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts oder der Landesarbeitsgerichte vorangestellt, die nach den theoretischen Ausführungen und Erörterungen auf ihre strafrechtliche Relevanz begutachtet werden. ← 6 | 7 →

                                                   

    1  LG Braunschweig, Urteil v. 22.2.2008, 6 KLs 20/07; dazu ausführlicher unter ….

    2  BGHSt 54, 148 ff.

    3  LG Düsseldorf, Urteil v. 22.7.2004, Az. XIV 5/03.

    4  BGHSt 50, 331 ff.

    5  LG Düsseldorf, Urteil v. 29.11.2006, Az. XIV 5/03; vgl. FAZ v. 29.11.2006 (http://www.faz.net/aktuell/wirtschaft/recht-steuern/mannesmann-prozess-kein-freispruch-zweiter-klasse-1382610.html).

    6   Große Vorholt, Der betriebsratsgeführte Arbeitskampf, Rn. 3; FAZ v. 16.7.2004 und 23.7.2005; vgl. dazu ausführlicher unter 2. Teil/D. II. 1.

    7  Große Vorholt, Der betriebsratsgeführte Arbeitskampf, Rn. 33 mit Verweis auf die nicht veröffentlichte Verfügung der Generalstaatsanwaltschaft Stuttgart v. 6.10.2005, Az. 23 ZS 1634/05.

    8  Rieble/Klebeck, NZA 2006, 758; aus dem Vorwort von Rieble/Junker/Giesen zu „Arbeitsstrafrecht im Umbruch“.

    9  Aus dem Vorwort von Rieble/Junker/Giesen zu „Arbeitsstrafrecht im Umbruch“.

  10  Fritz, Koppelungsgeschäfte, S. 164. Zum Arbeitsstrafrecht zur Disziplinierung von Betriebsräten finden sich nur vereinzelt Beiträge, vgl. den Aufsatz von Rieble und Klebeck „Strafrechtliche Risiken der Betriebsratsarbeit“, NZA 2006, 758 ff., das Referat von Große Vorholt „Der betriebsratsgeführte Arbeitskampf zwischen Strafrecht und der Verteidigung kollektiver Arbeitnehmerinteressen“ im Rahmen des 5. Ludwigsburger Rechtsgesprächs sowie das Arbeitspapier der Hans Böckler Stiftung mit dem Titel „Die strafrechtliche Verantwortung von Betriebsratsmitgliedern“.

  11  Wegen des Antragserfordernisses, insbesondere des 25 %igen Quorums, wird diese Regelung vielfach als unzureichend erachtet, vgl. Fischer, BB 2007, 997; Rieble/Klebeck, NZA 2006, 758, 759.

  12  Vgl. Belling, Die Haftung des Betriebsrats und seiner Mitglieder für Pflichtverletzungen, S. 47 ff.

  13  Vgl. Sparchholz/Trümner, Die strafrechtliche Verantwortlichkeit von Betriebsratsmitgliedern, S. 7.

  14  BVerfGE 50, 290, 372; Richardi-Richardi, § 2, Rn. 5.

  15  BAG 5.9.1967 AP Nr. 8 zu § 23 BetrVG 1972.

  16  Fritz, Koppelungsgeschäften, S. 164; Rieble/Klebeck, NZA 2006, 758, 769.

  17  Große Vorholt, Der betriebsratsgeführte Arbeitskampf, Rn. 12 f.; zum ultima ratio Grundsatz vgl. BVerfG NJW 1975, 573, 576 f.; Roxin, Strafrecht AT 1, § 2, Rn. 97 ff.

  18  Jescheck/Weigand, Strafrecht AT, S. 227; MK-Joecks, Vor § 25, Rn. 16; Sch/Sch-Heine, Vorbem §§ 25 ff., Rn. 119.

Details

Seiten
XIV, 241
Jahr
2014
ISBN (PDF)
9783653048919
ISBN (ePUB)
9783653979985
ISBN (MOBI)
9783653979978
ISBN (Paperback)
9783631655160
DOI
10.3726/978-3-653-04891-9
Sprache
Deutsch
Erscheinungsdatum
2014 (September)
Schlagworte
Betriebsrat Arbeitgeber Strafrecht Betriebsverfassungsrecht
Erschienen
Frankfurt am Main, Berlin, Bern, Bruxelles, New York, Oxford, Wien, 2014. XIV, 241 S.

Biographische Angaben

Anna-Luise Achenbach (Autor:in)

Anna-Luise Achenbach studierte an der Universität Frankfurt am Main Rechtswissenschaften. Anschließend absolvierte sie ihr Referendariat in Frankfurt am Main und in London. Die promovierte Volljuristin ist zurzeit als Rechtsanwältin tätig.

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