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Vollendung des EU-Energiebinnenmarktes vs. nationale Marktabschottungen

Europarechtskonformität mitgliedstaatlicher Fördermaßnahmen und Kapazitätsmärkte am Beispiel Deutschlands

von Martin Gerig (Autor:in)
©2014 Dissertation XX, 306 Seiten

Zusammenfassung

Die Europäische Union wie auch die Bundesregierung verfolgen eine sichere, nachhaltige und bezahlbare Energieversorgung. Doch während die Union zu diesem Zweck den Energiebinnenmarkt vollenden will, möchte die Bundesregierung dieses Ziel weitgehend im Wege nationaler Autarkie erreichen. Dies zeigt sich einerseits an den Regelungen des Erneuerbare-Energien-Gesetzes (EEG), andererseits an den Überlegungen zur Schaffung eines deutschen Kapazitätsmarktes. Der Autor analysiert zunächst die Notwendigkeit eines deutschen Kapazitätsmechanismus und den diesbezüglichen europäischen Rechtsrahmen. Im Anschluss daran untersucht er, ob die Regelungen des EEG mit europäischem Recht, insbesondere dem Beihilferecht und der Warenverkehrsfreiheit, vereinbar sind.

Inhaltsverzeichnis

  • Cover
  • Titel
  • Copyright
  • Autorenangaben
  • Über das Buch
  • Zitierfähigkeit des eBooks
  • Inhaltsverzeichnis
  • Abkürzungsverzeichnis
  • Kapitel 1. Einleitung
  • A. Anlass und Relevanz der Untersuchung
  • B. Vergleich der Energiestrategie der EU mit dem deutschen Energiekonzept
  • I. EU-Strategie zur Vollendung des Energiebinnenmarktes
  • 1. Schlussfolgerungen des Europäischen Rates
  • 2. Maßgebliche Mitteilungen der Kommission
  • II. Das Energiekonzept Deutschlands
  • III. Vergleich der beiden Strategien und kritische Würdigung
  • 1. Gleichgerichtete Ziele
  • 2. Zielkonflikte
  • 3. Energiepolitische Aspekte mit Klärungsbedarf
  • C. Gang der Untersuchung
  • Kapitel 2. Europarechtskonformität des deutschen Energiekonzeptes unter Einbeziehung der Schaffung von Kapazitätsmärkten
  • A. Rechtliche Zulässigkeit anhand europäischen Sekundärrechts
  • I. Das Design des Energiemarktes in Deutschland
  • 1. Entwicklung
  • 2. Potentielle Kapazitätsengpässe bedrohen Versorgungssicherheit
  • a) Gefahr bei der Umstellung auf erneuerbare Energien
  • b) Gefahr aufgrund von Fluktuation der erneuerbaren Energien
  • 3. Anforderungen an das künftige Marktdesign
  • II. Erfordernis eines Anreizmechanismus im deutschen „Energy only“-Markt
  • 1. Preisbildung auf Elektrizitätsmärkten
  • 2. Gründe für ein mögliches Marktversagen auf „Energy only“-Märkten
  • a) „Missing money“-Problem
  • b) Geringe Preiselastizität der Nachfrage
  • c) Unsicherheiten im Elektrizitätsmarkt als Investitionshindernis
  • 3. Zwischenergebnis
  • III. Nationale Kapazitätsmärkte als Lösung
  • 1. Definition Kapazitätsmarkt
  • a) Preis- vs. mengenbasierter Kapazitätsmechanismus
  • aa) Preisbasierter Mechanismus
  • bb) Mengenbasierter Mechanismus
  • cc) Bewertung
  • b) Umfassender vs. selektiver Kapazitätsmechanismus
  • aa) Umfassender Mechanismus
  • bb) Selektiver Mechanismus
  • cc) Bewertung
  • c) Zwischenergebnis
  • 2. Europäischer Rechtsrahmen für einen Kapazitätsmarkt in Deutschland
  • a) Erwägungen der Europäischen Kommission
  • b) Rechtliche Zulässigkeit anhand der Elektrizitäts-Richtlinie von 2009
  • aa) Verfahren zur Schaffung neuer Erzeugungskapazitäten
  • (1) Das Genehmigungsverfahren nach Art. 7 EltRL
  • (2) Das Ausschreibungsverfahren nach Art. 8 EltRL
  • (3) Zwischenergebnis
  • bb) Die Umsetzungsvorschrift des § 53 EnWG
  • (1) Exkurs: Verfassungsrechtliche Prüfung einer Verordnung gemäß § 53 EnWG zur Schaffung eines deutschen Kapazitätsmarktes
  • (2) Zwischenergebnis
  • cc) Ausschreibungsvoraussetzungen gemäß Art. 8 EltRL bei der Schaffung eines nationalen Kapazitätsmarktes
  • (1) Keine Gewährleistung der Versorgungssicherheit durch geschaffene Erzeugungskapazitäten
  • (2) Ermittlung des Kapazitätsbedarfs durch eine staatliche Institution
  • (3) Kriterien an Bieter im Rahmen eines Kapazitätsmechanismus
  • (4) Anforderungen an die ausschreibende Stelle
  • (5) Missbrauch nach Zuschlag
  • dd) Zwischenergebnis
  • c) Anwendung der EtlRL-Vorgaben auf die möglichen Ausgestaltungsformen von Kapazitätsmechanismen
  • aa) EltRL-Vorgaben bei preisbasierten Kapazitätsmechanismen
  • bb) EltRL-Vorgaben bei mengenbasierten Kapazitätsmechanismen
  • d) Anforderungen an die Ausgestaltung eines deutschen Kapazitätsmarktes
  • e) Skizze eines möglichen Ausschreibungsverfahrens in Deutschland
  • IV. Ergebnis
  • B. Rechtliche Zulässigkeit anhand europäischen Primärrechts
  • I. Relevante Regelungen des deutschen Energiekonzeptes
  • 1. Vereinbarkeit der EEG-Fördermaßnahmen mit europäischem Primärrecht
  • a) Das PreußenElektra-Urteil des EuGH
  • b) Neubewertung aufgrund starker Zunahme erneuerbarer Energien
  • 2. Vereinbarkeit von Kapazitätszahlungen mit europäischem Primärrecht
  • II. Beihilferechtliche Prüfung
  • 1. Bedeutung des Beihilferechts im Bereich der Förderung erneuerbarer Energien
  • 2. Beihilferechtliche Relevanz von EEG-Fördermaßnahmen und Kapazitätszahlungen
  • a) Tatbestandsvoraussetzungen des Art. 107 Abs. 1 AEUV
  • aa) Beihilfebegriff
  • bb) Begünstigende Wirkung
  • (1) Begünstigung der Erzeuger regenerativen Stroms durch EEG-Förderung
  • (2) Begünstigung der Empfänger von Kapazitätszahlungen
  • (3) Fördermaßnahmen des EEG und Kapazitätszahlungen als Ausgleichszahlungen für Dienstleistungen von allgemeinwirtschaftlichem Interesse
  • (a) Anwendung der Altmark-Trans-Kriterien auf die EEG-Fördermaßnahmen
  • (b) Anwendung der Altmark-Trans-Kriterien bei Kapazitätszahlungen
  • (c) Zwischenergebnis
  • cc) Erfordernis der Selektivität
  • (1) Selektive Begünstigung bei den EEG-Fördermaßnahmen
  • (2) Selektive Begünstigung bei Kapazitätszahlungen
  • dd) Staatliche oder aus staatlichen Mitteln stammende Zuwendungen
  • (1) Gewährung von Vorteilen aus staatlichen Mitteln
  • (a) Rechtsprechung: Belastung des staatlichen Haushalts erforderlich
  • (b) Mindermeinung in der Literatur: Belastung des staatlichen Haushalts nicht zwingend erforderlich
  • (c) Vermittelnde Auffassung in der Literatur
  • (d) Streitentscheid
  • (2) Objektive Zurechnung
  • (3) EEG-Fördermaßnahmen und Kapazitätszahlungen als Zuwendungen i.S.d. Art. 107 Abs. 1 AEUV
  • (a) EEG-Fördermaßnahmen als staatliche Zuwendungen
  • (aa) Keine Belastung durch Einführung der AusglMechV
  • (bb) Zwischenergebnis
  • (b) Kapazitätszahlungen als staatliche Zuwendungen
  • (aa) Belastung des staatlichen Haushalts durch unmittelbare staatliche Förderung
  • (bb) Belastung des staatlichen Haushalts bei Finanzierung durch Umlage
  • (cc) Zwischenergebnis
  • ee) Drohende oder tatsächliche Verfälschung des Wettbewerbs
  • (1) Wettbewerbsverfälschung durch EEG-Fördermaßnahmen
  • (2) Wettbewerbsverfälschungen durch Kapazitätszahlungen
  • ff) Beeinträchtigung des Handels zwischen Mitgliedsstaaten
  • (1) Handelsbeeinträchtigung durch EEG-Fördermaßnahmen
  • (2) Handelsbeeinträchtigung durch Kapazitätszahlungen
  • gg) Zwischenergebnis
  • (1) Tatbestandliche Beurteilung der EEG-Fördermaßnahmen
  • (2) Tatbestandliche Beurteilung möglicher Kapazitätszahlungen
  • b) Relevanz der Rechtfertigungstatbestände des Art. 107 AEUV
  • aa) Art. 107 Abs. 2 lit. b AEUV
  • bb) Art. 107 Abs. 3 lit. b Alt. 1 AEUV
  • (1) EEG-Fördermaßnahmen
  • (2) Kapazitätszahlungen
  • cc) Art. 107 Abs. 3 lit. c AEUV
  • (1) EEG-Fördermaßnahmen
  • (2) Kapazitätszahlungen
  • dd) Bedeutung der Rechtfertigungstatbestände für die EEG-Fördermaßnahmen und für mögliche Kapazitätszahlungen
  • c) Ergebnis der beihilferechtlichen Prüfung
  • aa) Beihilferechtliche Beurteilung der EEG-Fördermaßnahmen
  • bb) Beihilferechtliche Beurteilung nationaler Kapazitätszahlungen
  • III. Warenverkehrsrechtliche Prüfung
  • 1. Grundproblematik: mögliche Handelsbeeinträchtigung durch räumliche Begrenzung der EEG-Fördermaßnahmen sowie bei Kapazitätszahlungen
  • 2. Vereinbarkeit mit Sekundärrecht
  • a) Keine abschließende Harmonisierung bei EEG-Fördermaßnahmen
  • aa) Keine abschließende Harmonisierung durch die Elektrizitätsrichtlinien von 2003 und 2009
  • bb) Keine abschließende Harmonisierung durch die EE-Richtlinien von 2001 und 2009
  • (1) Unionsrechtskonforme Auslegung: Zielkonflikt zwischen Binnenmarktziel und klimapolitischem Interesse
  • (a) Rangverhältnis zwischen Binnenmarktziel und dem Klimaschutz
  • (b) Ausgleich im Wege praktischer Konkordanz mangels Vorrangstellung
  • (2) Ergebnis: Prüfung nationaler marktabschottender Regelungen anhand europäischen Primärrechts erforderlich
  • b) Keine abschließende Harmonisierung für nationale Kapazitätsmärkte
  • 3. Anwendbarkeit der Warenverkehrsfreiheit neben dem Beihilferecht
  • 4. Vereinbarkeit der EEG-Fördermaßnahmen/Kapazitätszahlungen mit der Warenverkehrsfreiheit
  • a) Schutzbereich der Warenverkehrsfreiheit
  • aa) Eröffnung des Schutzbereichs durch EEG-Fördermaßnahmen
  • bb) Eröffnung des Schutzbereichs durch Kapazitätszahlungen
  • b) Eingriff in die Warenverkehrsfreiheit
  • aa) Eingriff durch EEG-Fördermaßnahmen
  • bb) Eingriff durch Kapazitätszahlungen
  • c) Rechtfertigungsmöglichkeiten
  • aa) Rechtfertigung durch Art. 36 AEUV
  • (1) Rechtfertigung der EEG-Inlandsbeschränkung durch Art. 36 AEUV
  • (2) Rechtfertigung der räumlichen Begrenzung des Anwendungsbereichs eines deutschen Kapazitätsmarktes durch Art. 36 AEUV
  • bb) Zwingende Erfordernisse des Gemeinwohls
  • (1) Rechtfertigung durch zwingende Erfordernisse bei den EEG-Fördermaßnahmen
  • (a) Anwendungshindernisse wegen diskriminierender Wirkung der EEG-Fördermaßnahmen
  • (b) Rechtfertigung durch „zwingende Erfordernisse“
  • (aa) Argumente für die Erforderlichkeit der EEG-Inlandsbeschränkung
  • (bb) Mildere Alternativen zur EEG-Inlandsbeschränkung
  • (i) EU-rechtliche Grenze für nationale Förderprogramme als möglicher Schwellenwert für eine Öffnung des EEG-Fördersystems
  • (ii) Zwischenergebnis
  • (cc) Keine Rechtfertigung des Inlandsbezugs bei den EEG-Fördermaßnahmen mangels Erforderlichkeit
  • (2) Rechtfertigung durch zwingende Erfordernisse bei einem räumlich begrenzten Kapazitätsmechanismus
  • d) Ergebnis der warenverkehrsrechtlichen Prüfung
  • aa) EEG-Fördermaßnahmen verstoßen gegen Art. 34 AEUV
  • bb) Räumliche Begrenzung eines deutschen Kapazitätsmarktes verstößt gegen Art. 34 AEUV
  • IV. Ergebnis der primärrechtlichen Prüfung
  • C. Ergebnis Europarechtskonformität
  • Kapitel 3. Handlungsverpflichtung der Union zur Stärkung binnenmarktlicher Strukturen
  • A. Maßnahmen zur angemessenen Berücksichtigung des freien Warenverkehrs
  • B. Erforderlichkeit einer Umsetzung auf EU-Ebene
  • C. Unionale Kompetenz und Verpflichtung zur Umsetzung der Maßnahmen
  • I. Unionale Kompetenzen im Energiebereich bis zum Vertrag von Lissabon
  • II. Die Einführung des Art. 194 AEUV durch den Vertrag von Lissabon
  • 1. Art. 194 AEUV als Kompetenzgrundlage für ein Tätigwerden der Union
  • 2. Die Reichweite des Art. 194 AEUV
  • a) Die Eröffnung der Unionszuständigkeit
  • aa) Gesetzgeberische Befugnisse im Energiesektor
  • (1) Geteilte Zuständigkeit bei der Energiepolitik
  • (2) Ausnahmen von der geteilten Zuständigkeit
  • (a) Ausnahmevorbehalt der Erklärung Nr. 35
  • (b) Nationale Schutzverstärkungen
  • bb) Die energiepolitischen Ziele des Art. 194 AEUV
  • (1) Die Ziele des Art. 194 AEUV als unionale Kompetenzen
  • (a) Sicherstellung des Funktionierens des Energiemarktes, lit. a
  • (b) Gewährleistung der Versorgungssicherheit, lit. b
  • (c) Förderung der Energieeffizienz und Energieeinsparungen sowie Entwicklung neuer und erneuerbarer Energiequellen, lit. c
  • (d) Interkonnektion der Energienetze, lit. d
  • (e) Zwischenergebnis
  • (2) Die Ziele des Art. 194 AEUV als rechtlich verpflichtende Handlungsanweisungen
  • cc) Die Leitprinzipien der Zielverwirklichung
  • (1) Im Geiste der Solidarität
  • (2) Verwirklichung oder Funktionieren des Binnenmarktes
  • (3) Notwendigkeit der Erhaltung und Verbesserung der Umwelt
  • (4) Gewichtung der Leitprinzipien
  • (5) Zwischenergebnis
  • b) Die Ausübung der auf Art. 194 Abs. 1 AEUV beruhenden Befugnisse
  • aa) Die Grenzen der EU-Energiekompetenz
  • (1) Allgemeine Kompetenzgrenzen
  • (a) Grundsatz der begrenzten Einzelermächtigung
  • (b) Das Subsidiaritätsprinzip
  • (c) Das Verhältnismäßigkeitsprinzip
  • (2) Die Grenze des Art. 194 Abs. 2 UAbs. 2 AEUV
  • (a) Bedingungen für die Nutzung mitgliedsstaatlicher Energieressourcen
  • (b) Freie Wahl der Mitgliedsstaaten zwischen verschiedenen Energiequellen
  • (c) Allgemeine Struktur der mitgliedsstaatlichen Energieversorgung
  • (d) Zwischenergebnis
  • (3) Das Verhältnis zwischen Art. 194 AEUV und potentiell kollidierenden Kompetenzgrundlagen
  • (a) Art. 114 AEUV – Binnenmarktkompetenz
  • (b) Art. 170 ff. AEUV – Energienetze
  • (4) Grundrechte und Grundfreiheiten
  • (5) Zwischenergebnis
  • bb) Formelle Bedingungen bei der Ausübung der Unionskompetenz
  • (1) Institutionelle Zuständigkeiten
  • (2) Das Gesetzgebungsverfahren
  • (3) Die Rechtsform der Maßnahmen
  • c) Zwischenergebnis: Art. 194 Abs. 1 lit. a AEUV als wesentliche Grundlage für ein Tätigwerden der Union
  • D. Ergebnis
  • Kapitel 4. Zusammenfassung der Ergebnisse und Fazit
  • A. Zusammenfassung
  • I. Notwendigkeit und europarechtskonforme Ausgestaltung eines deutschen Kapazitätsmarktes
  • II. Europarechtskonforme Ausgestaltung der EEG-Maßnahmen
  • III. Handlungsoptionen und -verpflichtungen der Union zur Sicherung der Vollendung des Energiebinnenmarktes
  • B. Fazit
  • Literaturverzeichnis

Abkürzungsverzeichnis

Kapitel 1. Einleitung

Die europäischen Großhandelspreise für Energie rangieren gegenwärtig vor allem aufgrund umweltschutzorientierter Regulierungsmaßnahmen im Energiesektor im weltweiten Vergleich an erster Stelle – mit beträchtlichen Folgen für Europas volkswirtschaftliche Wettbewerbsfähigkeit. Um diesem Zustand unter Vermeidung negativer Folgen für den Umweltschutz abzuhelfen, versucht die Europäische Union, die Integration der europäischen Energiemärkte mit Nachdruck voranzutreiben. Ihr Ziel ist es, die einzelnen europäischen Energieversorgungssysteme durch einen gemeinsamen Energiebinnenmarkt nachhaltig in die Zukunft zu führen, bei wettbewerbsfähigen Preisen für Industrie und Verbraucher und unter Aufrechterhaltung der Versorgungssicherheit.

Durch die Verpflichtung zur Umsetzung ambitionierter, umweltschutzorientierter Zielvorgaben seitens der EU verändern sich die Energiemärkte in den einzelnen Mitgliedsstaaten in signifikanter Weise. Dies betrifft insbesondere die verschiedenen mitgliedsstaatlichen Energiemixe, die zur Erreichung des jeweiligen nationalen Zieles zunehmend sogenannte erneuerbare Energien integrieren müssen. Da die meisten erneuerbaren Energieträger allerdings in wirtschaftlicher Hinsicht noch nicht mit den konventionellen Technologien konkurrieren können, bedarf es zur Sicherung der erwünschten Investitionen umfassender staatlicher Förderungen. Hierzu haben die Mitgliedsstaaten teilweise komplexe Fördermechanismen etabliert, die aufgrund ihrer unterschiedlichen nationalen Ausgestaltung zur Heterogenität der europäischen Energiemärkte beitragen. Darüber hinaus erfordert die evidente Zunahme der Nutzung erneuerbarer und in der Regel fluktuierender Energien eine stärkere Auseinandersetzung mit der Frage der Versorgungssicherheit. Da die Sicherung einer stabilen Energieversorgung und adäquater Erzeugungskapazitäten vielerorts mit Hilfe staatlicher Interventionen gewährleistet wird, trägt auch dieser Umstand zur Verschiedenartigkeit der einzelnen Märkte bei. Diese mitgliedsstaatlichen Interventionen stellen dabei die von der EU verfolgte Vollendung des europäischen Energiebinnenmarktes zunehmend auf die Probe; denn zur Etablierung eines funktionierenden Energiebinnenmarktes müssten die Mitgliedsstaaten dafür Sorge tragen, dass ihre nationalen Energiepolitiken weitestgehend mit der übergeordneten, europäischen Zielformulierung vereinbar sind und nur in Ausnahmefällen nicht abgestimmte Maßnahmen vollzogen werden. ← 1 | 2 →

Ob jedoch alle Mitgliedsstaaten dieser Verpflichtung in angemessener Weise nachkommen, ist derzeit ungewiss. Ein Blick auf die energiepolitische Neuausrichtung und die diesbezüglichen Diskussionen in vielen europäischen Mitgliedsstaaten zeigt, dass staatliche Markteingriffe vielfach aus isolierter, nationaler Perspektive heraus erfolgen. Dies führt zu Marktabschottungen und beträchtlichen Wettbewerbsstörungen. Als logische Konsequenz wird immer häufiger gefordert, mitgliedsstaatliche Markteingriffe stärker auf und von europäischer Ebene aus zu koordinieren. Die gesamte Problematik wirft daher zum einen weitreichende politische Fragen im Zusammenhang mit der Neuausrichtung der Energieversorgung in der EU auf. Zum anderen bestehen und ergeben sich vermehrt handfeste rechtliche Fragen, denen im Rahmen dieser Arbeit vertieft nachgegangen werden soll. Kollidierende Maßnahmen mitgliedsstaatlicher Energiepolitiken mit der europäischen Energiepolitik lassen sich gegenwärtig besonders deutlich am Beispiel der deutschen Energiewende, der dieser Energiewende geschuldeten staatlichen Förderregelungen und konkret am Beispiel der Debatte um die Einführung eines deutschen Kapazitätsmarktes belegen. Dieser Vergleich bildet daher den Schwerpunkt der Arbeit. Darüber hinaus sind die Ergebnisse und Schlussfolgerungen möglicherweise auch auf Entwicklungen in anderen Mitgliedsstaaten übertragbar.

A.  Anlass und Relevanz der Untersuchung

In seiner Tagung vom 22. Mai 20131 bekräftigte der Europäische Rat sein bereits im Jahr 20112 beschlossenes Ziel, den gemeinsamen europäischen Energiebinnenmarkt bis 2014 vollenden zu wollen. Dies soll zu einer sicheren, nachhaltigen und erschwinglichen Energieversorgung in der Union beitragen. Verschiedene integrative Maßnahmen und Instrumente stützen dieses Anliegen; hierzu zählen insbesondere eine wirksame und kohärente Umsetzung der Binnenmarktvorschriften und die Durchsetzung des europäischen Wettbewerbsrechts, die beschleunigte Annahme und Umsetzung von Netzkodizes sowie die Erstellung von Vorgaben über Mechanismen zur Kapazitätssicherung. Seitens der Kommission wird die Vollendung des Energiebinnenmarktes insbesondere durch die im „Energiefahrplan 2050“3 und die in der Mitteilung „Ein funktionierender ← 2 | 3 → Binnenmarkt“4 konkretisierten Maßnahmen flankiert. Viele dieser Maßnahmen richten sich unmittelbar an die Mitgliedsstaaten, die diese in dem jeweils vorgegebenen Rahmen umsetzen müssen.

Hingegen zeichnet sich die deutsche Energiepolitik nicht nur durch das der unionalen Strategie entsprechende Ziel einer umweltschonenden, zuverlässigen und bezahlbaren Energieversorgung aus, sondern auch durch den Wunsch, dieses Ziel weitestgehend im Wege nationaler Autarkie zu erreichen. Diese nationale Sichtweise prägt dabei nicht nur bestehende Regulierungsvorgaben wie etwa die auf den nationalen Raum beschränkten Förderregelungen des Erneuerbare-Energie-Gesetzes (EEG 2012), auch Überlegungen und Pläne für künftige Förder- und Sicherungsmaßnahmen im Energiebereich werden von dieser nationalen Ausrichtung bestimmt. So lässt insbesondere die auf nationaler Ebene geführte Diskussion um die Weiterentwicklung des deutschen Strommarktes zur Sicherstellung von ausreichenden Kapazitäten (sog. Kapazitätsmarkt) erkennen, dass auch hier eine Begrenzung des damit verbundenen Anreizsystems auf im deutschen Raum produzierende Erzeuger beabsichtigt ist. Die diesen Maßnahmen inhärente nationale Ausrichtung steht mithin der europäischen Strategie zur Vollendung des Energiebinnenmarktes im Jahr 2014 entgegen, da durch sie eine potentielle Abschottung des deutschen Energiemarktes bewirkt wird. Ein funktionierender Energiebinnenmarkt, so wie ihn die europäischen Institutionen fordern, kann letztlich nicht erreicht werden, wenn die Mitgliedsstaaten ihre Förder- und Sicherungssysteme lediglich mit Blick auf ihre eigenen, nationalen Gegebenheiten ausgestalten und sich ihrer Verantwortung, auch für verbesserte binnenmarktliche Strukturen Sorge zu tragen, entziehen.

Die vorliegende Arbeit zielt in erster Linie darauf ab, diejenigen im deutschen Energiekonzept niedergelegten Maßnahmen zu untersuchen, die bereits wegen ihrer Konzentration auf den nationalen Raum – und ihrer daraus resultierenden marktabschottenden Wirkung – dem Ziel eines vollendeten Energiebinnenmarktes entgegenstehen. Die relevanten Maßnahmen werden daher im Folgenden anhand eines Vergleiches der auf europäischer Ebene verfolgten Strategie zur Vollendung des Energiebinnenmarktes mit dem deutschen Energiekonzept herausgearbeitet und erläutert (siehe unter B.). Auf dieser Grundlage wird im Anschluss der Gang der Untersuchung unter Darstellung der zu analysierenden Rechtsfragen skizziert (siehe unter C.). In rechtlicher Hinsicht wird insbesondere der Frage nachgegangen, ob die Maßnahmen mit dem europäischen Primär- und ← 3 | 4 → Sekundärrecht zu vereinbaren sind. Es ist darauf hinzuweisen, dass diese Frage nicht nur für die Vollendung des gemeinsamen europäischen Energiebinnenmarktes eine hohe Relevanz hat, sondern auch für das Gelingen der deutschen Energiewende. Beurteilte nämlich der Europäische Gerichtshof (EuGH) nationale energiepolitische Vorschriften in Zukunft als europarechtswidrig, müssten diese Vorschriften nicht nur neu ausgestaltet werden; auch die bereits implementierten Systeme wären kurzfristig anzupassen – mit möglicherweise erheblichen Auswirkungen für betroffene Wirtschaftsteilnehmer. Dies würde insbesondere auf Investitionsseite Unsicherheiten nach sich ziehen, die den Erfolg der Energiewende gefährden könnten. Bereits die gegenwärtige Novellierung des EEG zeigt, dass sich die rechtlichen Diskussionen dazu nicht lediglich auf den akademischen Bereich beschränkt haben, sondern auch in der Praxis genau verfolgt, und einzelne Aspekte ebenfalls im Rahmen von gerichtlichen Maßnahmen vertieft untersucht wurden.5

B.  Vergleich der Energiestrategie der EU mit dem deutschen Energiekonzept

Wie oben bereits angedeutet, werden im Folgenden zunächst die von der Europäischen Union vorgesehenen Konzepte und Maßnahmen zur Vollendung eines funktionierenden Energiebinnenmarktes (siehe unter I.) sowie die im Energiekonzept der Bundesregierung dargestellten Regelungen auf nationaler Ebene skizziert und erläutert (siehe unter II.). Sodann werden die Parallelen der Strategien und insbesondere jene Unstimmigkeiten zwischen den Strategien herausgearbeitet, die die Grundlage für die nachfolgende rechtliche Prüfung darstellen (siehe unter III.).

I.  EU-Strategie zur Vollendung des Energiebinnenmarktes

Die EU-Strategie zur Vollendung des Energiebinnenmarktes bis 2014 ist Gegenstand verschiedener Mitteilungen und Erklärungen der europäischen Institutionen. Hierzu zählen insbesondere die Schlussfolgerungen des Europäischen Rates zu Tagungen in den Jahren 2011 und 2013 (siehe unter 1.) sowie die beiden ← 4 | 5 → Mitteilungen der Kommission „Energiefahrplan 2050“ aus dem Jahre 2011 und „Ein funktionierender Binnenmarkt“ aus dem Jahre 2012 (siehe unter 2.).

1.  Schlussfolgerungen des Europäischen Rates

Wie aus den Schlussfolgerung des Europäischen Rates zu seiner Tagung am 22. Mai 20136 ersichtlich, zeichnet sich die EU-Strategie zur Vollendung des Energiebinnenmarktes bis 2014 insbesondere durch eine wirksame und kohärente Umsetzung des dritten „Energiebinnenmarktpaketes“ aus. Dieses am 3. März 2011 in Kraft getretene Gesetzespaket zielt unter anderem darauf ab, die Liberalisierung des Binnenmarkts für Strom und Gas voranzutreiben, Investitionen in die – auch grenzüberschreitende – Infrastruktur zu fördern und die Wettbewerbsfähigkeit zu steigern.7 Dies soll mit Hilfe von zwei Richtlinien zu Elektrizität8 und Gas9 sowie drei EU-Verordnungen10 erreicht werden. Neben dem Ziel der Trennung des Netzbetriebs von Versorgung und Erzeugung wurde die Bildung einer unionalen Agentur für die Zusammenarbeit der nationalen Energieregulierungsbehörden (ACER11) und die Etablierung eines Netzwerks der Übertragungsnetzbetreiber für Strom (ENTSO-E12) und Gas (ENTSOG13) ← 5 | 6 → vorgesehen. Gemäß der Stromhandelsverordnung14 sollen diese Institutionen gemeinsam technische Kodizes entwickeln, um europaweit gleiche Regeln für etwa die Netzsicherheit und -zuverlässigkeit, den Netzzugang Dritter oder auch das Engpassmanagement zu kodifizieren.15 Bei Bedarf kann den Kodizes durch die Durchführung eines Komitologie-Verfahrens der Charakter eines europäischen Gesetzes und mithin bindende Wirkung verliehen werden.16 Mit Hilfe dieses Verfahrens kommen der Kommission weitreichende Kompetenzen zur Rechtsetzung zu, wobei gegenwärtig kaum absehbar ist, in welchen Bereichen Regelungen im Wege des Verfahrens über Netzkodizes erlassen werden. Dass der Schaffung dieser Kodizes ein besonderer Stellenwert zur Vollendung des Energiebinnenmarktes zukommt, lässt sich auch an der im Mai 2013 gestellten Forderung des Europäischen Rates erkennen, unter anderem der beschleunigten Annahme und Umsetzung der Netzkodizes Vorrang einzuräumen.17

Für die vorliegende Arbeit ist des Weiteren von Bedeutung, dass der Europäische Rat die Kommission dazu aufgefordert hat, Vorgaben über Mechanismen zur Kapazitätssicherung in den Mitgliedsstaaten zu erstellen.18 Diesem Begehren ist die Kommission mittlerweile mit einer Mitteilung nachgekommen, in der sie grundlegende Überlegungen zur Schaffung nationaler Kapazitätsmärkte formuliert.19

2.  Maßgebliche Mitteilungen der Kommission

Für die Vollendung des europäischen Binnenmarktes sind neben den oben genannten Vorgaben auch eine Reihe von Mitteilungen an die Mitgliedsstaaten ← 6 | 7 → maßgeblich, mit denen die Kommission versucht, eine Abstimmung verschiedener nationaler Maßnahmen zu gewährleisten. So erließ die Kommission zum einen den „Energiefahrplan 2050“20, mit dem sie die mit dem EU-Dekarbonisierungsziel verbundenen Herausforderungen untersucht,21 sowie die Mitteilung „Ein funktionierender Binnenmarkt“22, in der unter anderem die Vorteile integrierter europäischer Energiemärkte hervorgehoben werden.23 Die für die vorliegende Arbeit relevanten Maßnahmen und Ziele dieser Mitteilungen werden im Folgenden skizziert.

Der „Energiefahrplan 2050“ soll die Energieinfrastruktur für die Versorgung der privaten Haushalte, der Industrie und des Dienstleistungssektors sowie die Struktur für die Energieerzeugung und -nutzung mit Blick auf das Jahr 2050 festlegen. Aus Gründen des Klimaschutzes sollen die Treibhausgasemissionen bis zum Jahre 2050 mit Hilfe notwendiger Reduktionen der Industrieländer um 80–95 Prozent unter den Stand von 1990 sinken.24 Bereits 2030 soll der Anteil der erneuerbaren Energien auf ca. 30 Prozent des Bruttoendenergieverbrauchs gestiegen sein. Da somit die erneuerbaren Energien ins Zentrum des Energiemixes rückten, sei ihr Ausbau entscheidend und müsse durch Anreize flankiert werden.25 Windenergie gelte dabei als effizienteste Quelle regenerativer Energie und soll von den nördlichen Meeren und dem atlantischen Meeresbecken erhebliche Strommengen zu sinkenden Kosten liefern.26 In Kombination mit einer besseren Infrastruktur sollen Verbindungskapazitäten und intelligentere Netze27 Schwankungen der Wind- und der Solarstromerzeugung auch durch erneuerbare Energien in anderen Gegenden Europas ausgleichen, was den Bedarf an Speicher-, Reserve- und Grundlastkapazität verringern könnte. Hierfür müsse auch eine stärkere Interaktion zwischen Dezentralisierung und zentralisierten Systemen stattfinden.28

Da letztlich nationale Bedingungen für den jeweiligen Energiemix entscheidend seien, will die Union dafür Sorge tragen, dass sich nationale Entscheidungen ← 7 | 8 → gegenseitig unterstützen und negative Übertragungseffekte vermieden werden. Die gemeinsame Nutzung von erzeugungs- und netzseitigen Ressourcen durch die europäischen Länder sei nicht nur kommerziell und physikalisch möglich, sondern auch erwünscht.29 Denn die volle Nutzung des Binnenmarktes unter Berücksichtigung der Herausforderungen, die sich bei grenzüberschreitenden Sachverhalten für die Mitgliedsstaaten ergeben, sei die beste Antwort auf die mit der Dekarbonisierung verbundenen Anforderungen.30 Um diese Nutzung sicherzustellen, müsse allerdings auch bei jeder Art der flexiblen Energielieferung, der flexiblen Energiespeicherung und Erzeugung der Marktzugang gewährleistet sein.31 Insoweit müsse insbesondere dafür Sorge getragen werden, dass politische Entwicklungen in den Mitgliedsstaaten nicht neue Hindernisse für die Strom- bzw. Gasmarktintegration hervorbringen. Bei allen energiebezogenen nationalen Entscheidungen sollen die Auswirkungen auf den Binnenmarkt berücksichtigt werden. Schließlich soll die vollständige Marktintegration bis 2014 gemäß dem Beschluss des Europäischen Rates vom 4. Februar 2011 mit Hilfe des Infrastrukturausbaus und technischer Arbeiten zu Rahmenleitlinien und Netzkodizes herbeigeführt werden.32 Die Zusammenarbeit der Mitgliedsstaaten durch die Nutzung des Binnenmarktes, von dem zunehmend alle Mitgliedsstaaten abhängig sind, soll sich kostendämpfend auswirken und die erforderliche Versorgungssicherheit gewährleisten.33 Der Energiefahrplan sei dabei kein Ersatz für nationale Anstrengungen, sondern vielmehr ein langfristiger, technologieneutraler europäischer Rahmen, der die Sicherheit und Solidarität verbessern und die Kosten gegenüber parallelen nationalen Systemen durch die Schaffung eines umfassenderen und flexibleren Marktes für neue Produkte und Dienstleistungen senken soll.34

Mit der Mitteilung „Ein funktionierender Binnenmarkt“ bekräftigt die Kommission die drei Ziele Wettbewerb, Versorgungssicherheit und Klimaschutz, wobei sie Verzögerungen bei der Vollendung des Binnenmarktes sieht, denen zu begegnen sei. Grund hierfür sei insbesondere die langsame Anpassung der nationalen Vorschriften durch die Mitgliedsstaaten.35 Daher fordert sie, dem ← 8 | 9 → Begehren des Europäischen Rates entsprechend, eine Beschleunigung der Umsetzung des dritten Energiepaketes, welches sie mit der Einleitung von Vertragsverletzungsverfahren gegen die Mitgliedsstaaten stärker vorantreiben möchte.36 Des Weiteren ist sie der Auffassung, dass die verfrühte Einführung schlecht konzipierter und nicht EU-weit koordinierter Kapazitätsmechanismen kontraproduktiv sei.37 Da sie der europäischen Beihilfekontrolle unterlägen, müssten die Mitgliedsstaaten dafür Sorge tragen, dass nationale Kapazitätsmärkte notwendig seien und gegenüber anderen Lösungen, wie etwa Stromimporten, Vorzug haben sollten.38 Im Hinblick auf die Förderung erneuerbarer Energien führt sie aus, dass diese, einschließlich der Pflicht zur vorrangigen Netzeinspeisung, anfänglich gerechtfertigt sein könne; solange nämlich Diskrepanzen hinsichtlich der Öffnung nationaler Märkte bestünden, die externen Kosten konventioneller Energie nicht vollständig in den Preisen berücksichtigt seien und sich die meisten erneuerbaren Energien in einem frühen Entwicklungsstadium befänden. Die Kommission will 2013 Leitlinien zu empfehlenswerten Verfahren für die Förderung erneuerbarer Energien und zur Reform dieser veröffentlichen, wodurch sie eine größere Kohärenz der nationalen Fördermaßnahmen erreichen und so eine Fragmentierung des Energiebinnenmarktes verhindern will.39

Letztlich sei noch auf das Arbeitsdokument der Kommissionsdienststellen zur Frage der Gewährleistung adäquater Energie im Binnenmarkt40 hingewiesen. In diesem Arbeitsdokument werden die Überlegungen der Kommission zu nationalen Kapazitätsmärkten konkretisiert. So führt die Kommission aus, dass inkompatible oder schlecht ausgestaltete Kapazitätsmechanismen Handelsmaßnahmen, die Produktion und Investorenentscheidungen im Binnenmarkt verzerren und innovative Lösungen vereiteln können. Mit steigender Anzahl mitgliedsstaatlicher Mechanismen stiegen die potentiellen marktverzerrenden Effekte, was insbesondere die benachbarten Mitgliedsstaaten beträfe. Dementsprechend müssten die Mitgliedsstaaten dafür Sorge tragen, dass der jeweilige Kapazitätsmechanismus notwendig und verhältnismäßig sei und lediglich vorübergehend angewandt werde.41 Zum Schutze des Binnenmarktes vor einem zu ← 9 | 10 → starken wettbewerbsverzerrenden Einfluss dürften einerseits nur zeitlich limitierte Maßnahmen implementiert werden, andererseits seien auch Unternehmen in anderen Mitgliedsstaaten mit einzubeziehen, sofern diese fähig sind, zur Kapazitätssicherung beizutragen. Kein mitgliedsstaatlicher Kapazitätsmechanismus dürfte ein Hindernis für den grenzüberschreitenden Handel oder Wettbewerb im Binnenmarkt setzen. Um eine diskriminierende Wirkung der Kapazitätsmechanismen auszuschließen, müssten die Teilnehmer eines solchen Marktes im Rahmen eines offenen Ausschreibungsverfahrens ermittelt werden.42

II.  Das Energiekonzept Deutschlands

Im September 2010 legte die Bundesregierung das Energiekonzept für eine umweltschonende, zuverlässige und bezahlbare Energieversorgung vor. Dieses Konzept soll als Teil einer langfristigen, bis 2050 reichenden Gesamtstrategie verstanden werden. Ein hohes Maß an Versorgungssicherheit, ein wirksamer Klima- und Umweltschutz sowie eine wirtschaftlich tragfähige Energieversorgung seien zentrale Voraussetzungen dafür, dass Deutschland auch langfristig ein wettbewerbsfähiger Industriestandort bleibe.43

Derzeit sichern die fossilen Energieträger, insbesondere Kohle (Braun- und Steinkohle), und Kernenergie den Großteil der Stromerzeugung in Deutschland. Nach Auffassung der Bundesregierung bedingt aber der notwendige Umbau der Stromversorgung hin zum erneuerbaren Zeitalter eine deutliche Änderung dieses traditionellen Energiemixes. Eine entscheidende Rolle soll dabei der Windenergie zukommen. So soll einerseits der Ausbau der Offshore-Windenergie deutlich beschleunigt werden.44 Andererseits sollen mit Hilfe einer Weiterentwicklung der Raumordnungspläne ausreichende Flächen für neue Onshore-Windenergie ausgewiesen werden.45 Ebenso sieht sie die Bioenergie wegen ihres breiten Einsatzspektrums und ihrer guten Speicherfähigkeit als einen an Bedeutung gewinnenden Energieträger an.46

Um einen kontinuierlichen Ausbau dieser Energieträger zu gewährleisten, weist die Bundesregierung insbesondere der Netzinfrastruktur eine Schlüsselrolle zu,47 ← 10 | 11 → da vor allem die Stromerzeugung auf See sowie in den Küstenregionen und der Zuwachs von dezentralen Erzeugungsanlagen das Bild des Energiemarktes immer stärker prägen würden. Zugleich müsse der Kraftwerkspark deutlich flexibler werden,48 um das erforderliche Maß an Versorgungssicherheit zu gewährleisten.49 Stochastische Schwankungen von Wind und Sonne müssten jederzeit ausgeglichen werden, damit genügend Ausgleichs- und Reservekapazitäten bereit stehen.50 In diesem Kontext ist für die vorliegende Untersuchung von besonderer Relevanz, dass die Bundesregierung analysieren möchte, wie der deutsche Strommarkt weiterentwickelt werden muss, damit zu jedem Zeitpunkt die Bereitstellung ausreichender Kapazitäten gesichert ist. Denn nach Auffassung der Bundesregierung ist derzeit nicht sicher, dass im jetzigen Marktdesign die Strompreise künftig genügend Anreize zum Bau von Anlagen zur Leistungsabsicherung, wie den Bau von flexiblen Gas- oder Kohlekraftwerken oder Energiespeichern, geben werden.51

Systemisch will die Bundesregierung darüber hinaus den unbegrenzten Einspeisevorrang der erneuerbaren Energien beibehalten, vor allem um den Druck auf Innovationen und Kostensenkungen zu stärken und den Prozess des Ausbaus der erneuerbaren Energien auch künftig zu stützen.52 Der Einspeisevorrang und die Frage nach den Folgen dieses Instrumentes wird im Rahmen der vorliegenden Arbeit eine zentrale Rolle spielen.

Das Energiekonzept der Bundesregierung enthält auch eine europäische Perspektive. So soll für Wirtschaft und Verbraucher die Liberalisierung der Strom- und Gasmärkte fortgesetzt und der Wettbewerb weiter gestärkt werden.53 Die Integration der Strom- und Gasmärkte in der EU sei ein wichtiger Erfolgsfaktor für die Gewährleistung der geforderten Versorgungssicherheit, Wirtschaftlichkeit und Umweltverträglichkeit. Diese sei insbesondere durch die konsequente Umsetzung der beschlossenen Vorhaben des dritten Energiebinnenmarktpaketes54 und die Verbesserung der rechtlichen Rahmenbedingungen für einen solchen europäischen Energieverbund der Mitgliedsstaaten,55 an dem auch Deutschland aufgrund seiner geographischen Lage zunehmend partizipiere,56 zu erreichen. ← 11 | 12 → Im Ergebnis will sie mit Blick auf die durch den Vertrag von Lissabon gegebenen EU-Kompetenzen in der Energiepolitik (Art. 194 AEUV57) die Möglichkeiten zu europäischer Zusammenarbeit unter Beachtung des Subsidiaritätsprinzips gemeinsam mit den anderen Mitgliedsstaaten und der Europäischen Kommission nutzen.58

Die soeben skizzierte europäische Perspektive darf allerdings nicht davon ablenken, dass es sich bei dem Energiekonzept der Bundesregierung um eine Strategie handelt, die an erster Stelle die mit der Energiewende verbundenen Ziele im Wege nationaler Autarkie, also ohne Berücksichtigung von im Ausland produzierenden Stromerzeugern, zu erreichen sucht. Inwieweit diese gegenläufigen Sichtweisen Konflikte nach sich ziehen, wird im Folgenden anhand des Vergleiches der beiden Strategien erläutert.

III.  Vergleich der beiden Strategien und kritische Würdigung

Sowohl das Energiekonzept der Bundesregierung als auch die energiepolitische Strategie der Union basieren auf drei Kernforderungen für ein funktionierendes und erfolgreiches Energiesystem. Danach soll das Energiesystem auch im Jahr 2050 sicher, wettbewerbsfähig und dekarbonisiert sein.59

1.  Gleichgerichtete Ziele

Aufgrund dieser sich auf nationaler und europäischer Ebene entsprechenden Zielbestimmungen weisen beide Strategien an vielen Punkten Parallelen auf. So setzen beide Konzepte künftig auf die Schaffung eines flexibleren Energiemarktes, damit Schwankungen von Wind und Sonne bei der Erzeugung aus fluktuierenden erneuerbaren Energien jederzeit ausgeglichen werden können.60 Ebenso verfolgen sie eine stärkere Interaktion zwischen Dezentralisierung und zentralisierten Systemen sowie den Ausbau der Verbindungskapazität, der Netze und ← 12 | 13 → die Schaffung intelligenter Netze.61 Ferner herrscht weitestgehend Einigkeit über die Aufgabenverteilung zwischen der Union und Deutschland; denn gemäß den Ausführungen der Union in ihrem Energiefahrplan soll der unionale Fahrplan kein Ersatz für nationale Maßnahmen sein, sondern lediglich einen langfristigen, technologieneutralen europäischen Rahmen fördern, innerhalb dessen die nationalen Politikansätze eine größere Wirkung entfalten können sollen.62

Sowohl die Kommission als auch die Bundesregierung sehen darüber hinaus den EU-Binnenmarkt als die beste Antwort auf die mit der Dekarbonisierung verbundenen Fragen63 und als Lösung für den Übergang zu einer modernen, CO2-armen und sicheren Energieversorgung. Mit Blick auf die durch den Vertrag von Lissabon gegebenen EU-Kompetenzen in der Energiepolitik (Art. 194 AEUV) will die Bundesregierung die Möglichkeiten zu europäischer Zusammenarbeit unter Beachtung des Subsidiaritätsprinzips gemeinsam mit den anderen EU-Mitgliedsstaaten und der Europäischen Kommission aktiv nutzen.64 Damit macht sie ihre Bereitschaft zu einer verstärkten Zusammenarbeit im Binnenmarkt deutlich, wie sie auch von der Union angestrebt wird. Mithin sind in beiden Strategien einige Parallelen hinsichtlich der Zielsetzungen und der darauf basierenden Strategien zu finden, die keiner konkreteren Untersuchung bedürfen.

2.  Zielkonflikte

Ein Zielkonflikt der Konzepte ist hingegen bei der Frage nach der Erforderlichkeit von Kernenergie festzustellen. Während der Union zufolge diese Energiequelle weiter für den Umbau benötigt und neben den bedeutsamen erneuerbaren Energien ihren Platz im Stromerzeugungsmix behalten werde,65 will die Bundesregierung die Kernenergie nicht bis 2050 mittragen, weil deren Nutzung nur zeitlich befristet notwendig sei.66 Da die Union jedoch ← 13 | 14 → keine Einschränkungen im Hinblick auf den Gebrauch von Kernenergie macht, sondern die Entscheidung über die Anwendung dieser Technologie zur Stromproduktion vielmehr den Mitgliedsstaaten überlässt, kann die Bundesregierung von dieser Möglichkeit Abstand nehmen, ohne dass dies unmittelbare rechtliche Konsequenzen hat. Eine Wirkung auf europarechtliche Fragestellungen entfaltet diese politische Grundsatzentscheidung lediglich dann, wenn auf ihr basierend nationale Entscheidungen getroffen werden, die im Hinblick auf ihre Europarechtskonformität Zweifel mit sich bringen. Dies wird im Rahmen der vorliegenden Arbeit bei dem jeweils untersuchten Prüfungsgegenstand berücksichtigt.

3.  Energiepolitische Aspekte mit Klärungsbedarf

Des Weiteren gibt es verschiedene Maßnahmen und Pläne, die lediglich in einer der beiden energiepolitischen Strategien angeführt werden. Dies beruht regelmäßig auf dem Umstand, dass diese kraft Sachzusammenhanges entweder der unionalen oder der nationalen Kompetenz zuzuordnen sind.

Hierzu zählen etwa die von der Bundesregierung aufgeworfenen Überlegungen hinsichtlich der Weiterentwicklung des deutschen Marktdesigns zur Sicherung erforderlicher Kapazitäten zum Schwankungsausgleich.67 Dieser Aspekt muss aus nationaler Perspektive betrachtet werden, da es sich um die Frage der Ergänzung des bestehenden nationalen Marktdesigns handelt. Zwar macht die Kommission in ihrem Arbeitsdokument darauf aufmerksam, dass verschiedene Vorgaben zur Schaffung europarechtskonformer mitgliedsstaatlicher Kapazitätsmärkte beachtet werden müssten.68 Doch handelt es sich dabei weder um verbindliche Vorgaben noch kann sich aus europäischen Vorgaben eine verbindliche Ausgestaltung für einen einzelnen nationalen Kapazitätsmarkt ergeben. Die Überlegungen zur Schaffung eines deutschen Kapazitätsmarktes sind allerdings bereits so weit fortgeschritten, dass anhand diverser Eckdaten erörtert werden kann, ob dieser in der gegenwärtig beabsichtigten Ausgestaltung mit höherrangigem, europäischen Recht vereinbar wäre. Diese Untersuchung ist Gegenstand der vorliegenden Arbeit. Ebenso wird der Frage nachgegangen, ob bereits europäische Vorschriften einen Rechtsrahmen für nationale Kapazitätsmärkte bieten und ob dieser bei den derzeitigen Überlegungen zu einem deutschen Kapazitätsmarkt berücksichtigt wäre. ← 14 | 15 →

Darüber hinaus bedarf es der Klärung, ob der unbegrenzte Einspeisevorrang, der gemäß dem Energiekonzept der Bundesregierung als solcher beibehalten werden soll,69 nach dem deutlichen Zuwachs erneuerbarer Energien in den letzten Jahren und mit Blick auf die fortschreitende Entwicklung auch weiterhin als europarechtskonform zu beurteilen ist. Der europarechtliche Maßstab, an dem diese Aspekte zu messen sind, ist bereits durch das Ziel der Vollendung des Binnenmarktes bestimmt und wird partiell im Energiefahrplan der Kommission konkretisiert. So stellt die Kommission ausdrücklich fest, dass bei jeder Art der flexiblen Energielieferung, Energiespeicherung und Erzeugung der Marktzugang gewährleistet sein müsse.70 Es müsse dafür Sorge getragen werden, dass politische Entwicklungen in den Mitgliedsstaaten keine neuen Hindernisse für die Strommarktintegration nach sich zögen.71 Im Rahmen eines im November 2013 veröffentlichten Arbeitsdokumentes ergänzt die Kommission diese Ausführungen und schlägt vor, dass die Mitgliedsstaaten ihre mitgliedsstaatlichen Fördersysteme auch für Marktteilnehmer, die nicht im jeweiligen Inland produzieren, öffnen könnten. Sie sollen langfristig gemeinsame, grenzüberschreitende Fördersysteme unterstützen, um erneuerbare Energien besser am Ort der effizientesten Produktion zu fördern.72 Zwar will auch die Bundesregierung prüfen, inwieweit sich die Fördersysteme der Mitgliedsstaaten weiter koordinieren und harmonisieren lassen,73 doch bleibt sie mit diesem Anliegen hinter den Forderungen der Union zurück. Denn diese will nicht nur die weitere Harmonisierung der Fördersysteme, sondern auch die Vereinbarkeit bestehender Systeme mit den europarechtlichen Rahmenbedingungen gewährleistet wissen. Ob und welche der in Deutschland bestehenden und geplanten Regelungen als europarechtskonform zu beurteilen sind, soll jedoch gerade nicht im Rahmen des Prüfauftrages der Bundesregierung untersucht werden. Dieser Frage wird daher im Rahmen der vorliegenden Arbeit nachgegangen, denn deren Beantwortung kann und sollte maßgeblich das weitere regulatorische und legislative Vorgehen der Bundesregierung prägen.

Im Ergebnis benennt die Bundesregierung in ihrem Energiekonzept verschiedene Maßnahmen, die in ihrer individuellen Ausgestaltung allesamt dem ← 15 | 16 → Gelingen der Energiewende dienen und eine Energieversorgung ohne die Nutzung von Kernenergie bei möglichst geringem Rückgriff auf konventionelle Energien ermöglichen sollen. Doch darf in diesem Zusammenhang nicht außer Acht gelassen werden, dass sie aus unterschiedlichen, insbesondere ökonomischen, Gründen danach strebt, dies mit Hilfe einer möglichst autarken Energieversorgung zu erreichen. Dies führt unweigerlich dazu, dass die weitere Vertiefung des europäischen Energiebinnenmarkts nicht prioritär behandelt wird. Mit der vorliegenden Arbeit soll geklärt werden, welche rechtlichen Problemkreise sich daraus ergeben, ob die Zweifel an der Vereinbarkeit verschiedener nationaler Maßnahmen mit dem unionalen Ziel eines funktionierenden Energiebinnenmarktes zur Europarechtswidrigkeit dieser Regelungen führen und wie möglichen Rechtsverstößen begegnet werden könnte.

Details

Seiten
XX, 306
Jahr
2014
ISBN (PDF)
9783653047202
ISBN (ePUB)
9783653980561
ISBN (MOBI)
9783653980554
ISBN (Hardcover)
9783631654828
DOI
10.3726/978-3-653-04720-2
Sprache
Deutsch
Erscheinungsdatum
2014 (August)
Schlagworte
Kapazitätsmechanismen Rechtsrahmen Energiestrategie EU-Binnenmarkt
Erschienen
Frankfurt am Main, Berlin, Bern, Bruxelles, New York, Oxford, Wien, 2014. XX, 306 S.

Biographische Angaben

Martin Gerig (Autor:in)

Martin Gerig ist promovierter Jurist und Rechtsanwalt in Berlin, spezialisiert auf das deutsche und europäische Energierecht. Er studierte Rechtswissenschaft an den Universitäten Bonn, Paris Sud und Berlin. An der Universität Canterbury (Neuseeland) erwarb er einen LL.M. in International Law & Politics.

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Titel: Vollendung des EU-Energiebinnenmarktes vs. nationale Marktabschottungen
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