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Wissensproduktion und koloniale Herrschaftslegitimation an den Kölner Hochschulen

Ein Beitrag zur «Dezentralisierung» der deutschen Kolonialwissenschaften

von Anne-Kathrin Horstmann (Autor:in)
©2015 Dissertation 381 Seiten

Zusammenfassung

Köln und seine Hochschulen blicken auf eine lange, bisher vernachlässigte koloniale Vergangenheit zurück. Sowohl in der Zeit des realen Kolonialbesitzes als auch im Zuge des Kolonialrevisionismus der Weimarer Republik und der NS-Zeit spielten «koloniale Themen» eine kontinuierliche Rolle in Wissenschaft und Öffentlichkeit, obwohl Köln nicht auf den ersten Blick als Kolonialmetropole erscheint und es in der Stadt nie ein «Kolonialinstitut» gab. Wissensproduktion und koloniale Herrschaftslegitimation waren dennoch eng miteinander verknüpft. Die Studie spürt dieser vielschichtigen Verbindung nach und liefert durch ihren lokalhistorischen und postkolonialen Ansatz nicht nur neue Erkenntnisse für die Universitäts- und Stadtgeschichte, sondern auch für eine kritische Wissenschafts- und Kolonialgeschichte.

Inhaltsverzeichnis

  • Cover
  • Titel
  • Copyright
  • Autorenangaben
  • Über das Buch
  • Zitierfähigkeit des eBooks
  • Inhalt
  • Vorwort
  • 1. Einleitung
  • 2. (Post)Kolonialismus, Wissen, Macht und Diskurse: Forschungsprogramm und eigene Verortung
  • 2.1 Postkoloniale Theorien
  • 2.2 (Methodische) Überlegungen zu Diskursen und ihrer kritischen Analyse
  • 2.3 Der koloniale Diskurs und seine ‚Experten‘
  • 3. Wissen(schaft) und deutscher Kolonialismus
  • 4. Köln als „Kolonialmetropole des Westens“: Basis für die kolonialwissenschaftliche Forschung an den Kölner Hochschulen
  • 5. Kolonialwissenschaften ohne ‚Kolonialinstitut‘: Die Kölner Hochschulen und das koloniale Projekt
  • 5.1 Die Kölner in den Kolonien – Wissensaneignung ‚vor Ort‘
  • 5.2 ‚Kolonialer Alltag‘ an den Kölner Hochschulen
  • 5.2.1 „…mit den Köpfen der weißen Rasse, aber mit den Armen der Eingeborenen“ – Koloniale Wirtschaftswissenschaften
  • 5.2.2 „…Erforschung und Erschließung deutschen Landes in Übersee“ – Koloniale Geographie
  • 5.2.3 „Kapitel aus der kolonialen Völkerkunde“
  • 5.2.4 „…zu predigen das Reich Gottes und zu heilen die Kranken“ – Medizinkurse für Missionare und Missionarinnen an der Akademie für praktische Medizin
  • 5.2.5 ‚ Kolonisierung‘ des Körpers – Tropenhygiene und Tropenmedizin an der Medizinischen Fakultät
  • 5.2.6 Von kolonialen Nutzpflanzen und Tropensammlungen – Koloniale Botanik
  • 5.2.7 Weitere ‚koloniale Spuren‘
  • 5.2.8 ‚Koloniales Engagement‘ innerhalb der Studierendenschaft
  • 5.2.9 Zentral gesteuertes ‚koloniales Engagement‘ seitens der Kölner Hochschulen
  • 6. Werbung für den Kolonialgedanken in der Öffentlichkeit – Popularisierung und Inszenierung von ‚kolonialem Wissen‘
  • 7. Schlussbetrachtung und Ausblick
  • 8. Anhang
  • ‚Koloniale Vorlesungen, Seminare und Übungen‘ an den Kölner Hochschulen
  • 9. Quellen-, Literatur- und Abbildungsverzeichnis
  • 9.1 Archivalische Quellen
  • 9.2 Veröffentlichte Quellen
  • 9.3 Abbildungen

← 6 | 7 → Vorwort

Die vorliegende Studie ist die um den Anhang und die Abbildungen sowie einige weiterführende Literaturhinweise ergänzte Fassung meiner Dissertation, die im Februar 2014 von der Philosophischen Fakultät der Universität zu Köln angenommen wurde. Sie ist ‚Produkt‘ einer Phase meines Lebens, die nicht nur einigermaßen viel Zeit in Anspruch genommen, sondern auch Energie und Nerven gekostet hat. Gleichzeitig bin ich dankbar für diese ebenso spannende, interessante, bereichernde und schöne Zeit und vor allem stolz, ihr Ergebnis nun in den Händen halten zu können…

Ich bin dankbar für all die Begegnungen, Gespräche und Diskussionen in diesem Kontext und für die Unterstützung vieler lieber Menschen während dieser Zeit, ohne die diese Arbeit nicht das wäre, was sie heute ist – ihnen möchte ich an dieser Stelle von ganzem Herzen danken!

Mein besonderer Dank gilt meiner Doktormutter Prof. Dr. Marianne Bechhaus-Gerst, die mich von Beginn meines Studiums an begleitet und mich durch ihre Seminare für einen kritischen Blick sensibilisiert hat. Während der Promotionsphase hat sie mir immer den nötigen Freiraum gelassen und mich ermutigt an mein Projekt, an mich und meine Sichtweise der Dinge zu glauben. Gleichzeitig hat sie mich aber, wann immer es nötig war, mit ihrem Fachwissen und ihrer (Lebens)Erfahrung unterstützt und bei jedem auch noch so kleinen Problem ein offenes Ohr für mich gehabt und ihre Hilfe angeboten. Ich weiß, dass diese intensive Betreuung keine Selbstverständlichkeit ist, und weiß sie daher umso mehr zu schätzen. Auch möchte ich mich für ihr Angebot, meine Studie in die hier vorliegende und von ihr herausgegebene Reihe aufzunehmen, herzlich bedanken. Danke auch an Prof. Dr. Anne Storch und Prof. Dr. Reinhard Klein-Arendt, nicht nur für die Bereitschaft zur Begutachtung meiner Dissertation, sondern auch dafür, dem Thema dieser Arbeit ihr ehrliches Interesse entgegengebracht zu haben. Vielen Dank auch an Prof. Dr. Jakob Vogel, der mir in den letzten Jahren einen wichtigen ‚interdisziplinären Brückenschlag‘ in die Geschichtswissenschaften ermöglicht hat. In vielen Gesprächen mit ihm erhielt ich neuen ‚Input‘, wichtige Anregungen, Hinweise und Hilfestellungen und konnte dank seiner Unterstützung mein Projekt in verschiedenen Zusammenhängen vorstellen. An dieser Stelle auch ein Dank an Prof. Dr. Jürgen Zimmerer, der mir die Gelegenheit bot, meine Arbeit in Hamburg zu diskutieren.

Mein tiefer Dank gilt darüber hinaus der a.r.t.e.s. Graduate School for the Humanities Cologne, die mich mit einem Promotionsstipendium unterstützt hat ← 7 | 8 → und mir damit ermöglichte, mich ohne finanzielle Sorgen voll und ganz auf mein Projekt zu konzentrieren. Mindestens genauso wertvoll waren aber die angenehme Arbeitsatmosphäre in ‚210‘, die gute ‚Infrastruktur‘ und der inspirierende interdisziplinäre Austausch mit so vielen spannenden Menschen, die die teils langen Bürotage sehr viel ‚netter‘ machten. Ohne diese wichtige Anbindung wäre die Promotionsphase nicht nur sehr viel einsamer, sondern sicherlich auch sehr viel schwerer gewesen!! An dieser Stelle sei auch ein Dank ausgesprochen an den Rektor und die Gleichstellungsbeauftragte der Universität zu Köln sowie an Köln Alumni – Freunde und Förderer der Universität zu Köln e.V., die mich mit einem Abschlussstipendium ebenfalls finanziell unterstützt haben, wie auch an die Käthe-Hack-Stiftung, die mir einen Reisekostenzuschuss für meine Archivreisen gewährte. Herzlichen Dank auch an den Landschaftsverband Rheinland sowie an das Dekanat der Philosophischen Fakultät der Universität zu Köln, die die Veröffentlichung dieser Studie mit großzügigen Druckkostenzuschüssen unterstützt haben sowie an Peter Lang – Internationaler Verlag der Wissenschaften für seine Förderung meiner Arbeit und für deren Drucklegung.

Ganz besonders möchte ich mich bei den Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern des Universitätsarchivs Köln, des Bundesarchivs und des Geheimen Staatsarchivs in Berlin, des Geographischen Archivs des Leibniz-Instituts für Länderkunde und des Universitätsarchivs in Leipzig, des Bayer-Archivs in Leverkusen, des Archivs des Geographischen Instituts in Bonn sowie des Universitätsarchivs und des Museums Weltkulturen der Reiss-Engelhorn-Museen in Mannheim bedanken, ohne deren Hilfe die Hinweise zu den ‚Kölner Kolonialwissenschaften‘ kaum auffindbar gewesen wären. Besonders erwähnt sei an dieser Stelle der stellvertretende Leiter des Universitätsarchivs in Köln, Dr. Andreas Freitäger, der es trotz anfänglicher Skepsis gewagt hat, sich mit mir auf ‚Spurensuche‘ zu begeben und mich immer gerne und hilfreich mit seinem Wissen unterstützt hat. Danke auch an Esther Helena Arens, Prof. Dr. Klaus Bergdolt, PD Dr. Walter Bruchhausen, Hans-Joachim v. Buchka, Thomas Deres, Irene Franken, PD Dr. Jürgen D. Nagel und Dr. Lothar Pützstück, dafür, dass sie ihr Wissen zu einzelnen Aspekten dieser Arbeit mit mir geteilt haben und/oder wichtige Hinweise geben konnten. Bei Andrea Wolvers, Thessa von Barby und Pascal Schillings möchte ich mich ganz herzlich dafür bedanken, diese Arbeit ganz bzw. Teile davon so sorgfältig, kritisch und konstruktiv Korrektur gelesen zu haben. Mona Weinle danke ich für ihre Unterstützung bei jeglichen Formatierungs- und Gestaltungsproblemen. Ihr wart mir eine große Hilfe!! Auch ein großes ‚Danke‘ an all diejenigen, die mir eine (gast)freundschaftliche Beherbergung während meiner Archivaufenthalte in Berlin und Leipzig ermöglicht haben.

← 8 | 9 → Abgesehen von all diesen wichtigen (inhaltlichen und finanziellen) Hilfestel- lungen und der vielseitigen Unterstützung all dieser Personen und/oder Institutionen, war in dieser Zeit aber vor allem die ‚Rückendeckung‘ meiner Liebsten von unschätzbarem Wert. Danken möchte ich hier ganz besonders meinen Freunden, die mich während dieser ‚Phase‘ (mit all ihren Höhen und Tiefen) ohne Wenn und Aber unterstützt, motiviert und aufgebaut haben, immer ein offenes Ohr hatten und für die nötige Ablenkung bzw. die ‚Rückbesinnung‘ auf das Wesentliche geachtet haben… Hier seien vor allem und ganz besonders Judith Behrens, Katja Schumann und Andrea Wolvers erwähnt. Mein größter Dank gilt aber meiner Familie – besonders meinen Eltern, denen ich diese Arbeit widmen möchte. Sie haben mich immer bedingungslos unterstützt, mir Freiheit in all meinen Entscheidungen gelassen und mir vorbehaltloses Vertrauen entgegengebracht. Zu guter Letzt gilt mein liebevoller Dank meinem Mann und unserem Sohn, die mich durch ihr Sein immer wieder mit positiver Energie versorgt haben und die das Leben – über die Wissenschaft hinaus – so lebenswert machen.

← 10 | 11 → 1. Einleitung

Das wissenschaftliche Interesse an Afrika hat in Köln eine lange Tradition. Besonders während der deutschen Kolonialzeit1 begannen sich verschiedene Disziplinen mit dem Kontinent zu beschäftigen. In der 1901 gegründeten Städtischen Handelshochschule, direkte Vorgängerinstitution der heutigen Wirtschafts- und Sozialwissenschaftlichen Fakultät der Universität zu Köln spielten ‚koloniale Themen‘ mit einem besonderen Fokus auf die deutschen Kolonien in Afrika von Beginn an eine wichtige Rolle und waren fest im Lehrplan integriert. Vor allem als Teilgebiete der Wirtschaftswissenschaften, der Geographie und der Völkerkunde fanden sie unter Berücksichtigung kaufmännischer Bedürfnisse Eingang in die Lehranstalt. Sie waren Teil der so genannten Kolonialwissenschaften2, die sich im Zuge der kolonialen Expansion des Deutschen Reiches herausbildeten und die deutsche Kolonialherrschaft wissenschaftlich zu fundieren und zu legitimieren suchten.3

← 11 | 12 → Verschiedene Disziplinen und Fachvertreter4 stellten ihr ‚Expertentum‘ daher in den Dienst des kolonialen Projekts, generierten ‚koloniales Wissen‘5 in den Kolonien und verarbeiteten und archivierten es anschließend in den Wissenschaftsbetrieben des Reiches. Vor allem in den so genannten ‚Kolonialmetropolen‘ wurden eigene Institutionen für diesen Zweck gegründet: 1887 entstand an der Universität Berlin das Seminar für orientalische Sprachen, 1901 wurde das Institut für Schiffs- und Tropenkrankheiten und 1908 das Kolonialinstitut in Hamburg eröffnet.6

Auch nach dem Verlust der deutschen Kolonien endete die enge Verbindung zwischen Wissenschaft und Kolonialismus nicht. Renommierte Wissenschaftler propagierten im Rahmen der kolonialrevisionistischen Bewegung die Notwendigkeit der Rückgewinnung der ehemals deutschen Kolonien und beteiligten sich massiv an den Planungen eines neuen ‚mittelafrikanischen Großreichs‘ unter deutscher Führung. Im universitären Bereich wurde weiterhin für den Kolonialgedanken geworben oder es wurden die Rahmenbedingungen der kolonialrevisionistischen Bewegung für die eigene Forschung genutzt. Auch hier scheinen die Zentren der ‚Kolonialwissenschaften ohne Kolonien‘ Berlin und Hamburg gewesen zu sein.7 Dass man sich aber auch an der 1919 neu gegründeten Universität zu Köln bis in die 1940er Jahre in Forschung und Lehre mit den ehemaligen deutschen Kolonien beschäftigte, ist bisher nicht aufgearbeitet worden.

← 12 | 13 → Die vorliegende Arbeit greift diese Forschungslücke auf, indem sie nicht nur ein bislang kaum beachtetes Kapitel der Kölner Universitätsgeschichte und damit auch Stadtgeschichte bearbeitet, sondern darüber hinaus aufzeigt, dass kolonialwissenschaftliche Forschung auch außerhalb der ‚Kolonialmetropolen‘ des Reiches und ohne eine eigens dafür vorgesehene Institution in vielfältiger und kontinuierlicher Weise betrieben wurde und folglich für eine ‚Dezentralisierung‘ der deutschen Kolonialwissenschaften und damit einhergehend der deutschen Kolonialgeschichte eintritt.

Dabei wird dem Ansatz der lokalen Verortung von Kolonialismus gefolgt, der darauf hinweist, dass es den Kolonialismus nicht gibt und eine „einheitliche Landkarte“ der kolonialen Begegnung demnach nicht existiert, sondern vielmehr „zeitlich und räumlich je unterschiedliche Konstellationen“8 und sich das „Phänomen des Kolonialismus“ somit „nur aus dem Zusammenspiel von regionalen, transnationalen und globalen Entwicklungen erklären lässt.“9 Vermehrt wird in der jüngeren Forschung daher angeregt, in Form von Mikrostudien diese einzelnen „Kolonialgeschichten“ näher in den Blick zu nehmen und der „unendliche[n] Vielzahl von Erzählungen, von je einzelnen, lokal oder regional gefärbten und gegründeten ‚stories‘“ nachzuspüren. Diese ‚stories‘, die als „Episoden kolonialer Erfahrung und Praxis in momenthafter Zuspitzung“ verstanden werden können, haben aber dennoch Einfluss auf das „große Ganze“, geben Einblicke „in Innen- wie Außenansichten kolonialer Praktiken und Erfahrungen“, und müssen/sollen daher stärker in den Blick genommen werden, da sie den „akademischen Groß-Erzählungen“ sonst meist entgehen, sie diese aber durchaus zu „irritieren, wenn nicht zu erschüttern vermögen.“10

← 13 | 14 → Besonders aber bezogen auf den breiteren Kontext der vorliegenden Arbeit – den Zusammenhang von Wissen(schaft) und kolonialer Herrschaft – haben sowohl international, als auch in jüngerer Zeit national Forschungen an Bedeutung gewonnen. Dies geht zum einen mit einer methodischen Neuorientierung der Kolonialismusforschung im Zuge des cultural turn einher, wodurch Kolonialismus nicht länger nur aus politik-, sozial- und wirtschaftsgeschichtlicher Perspektive betrachtet wird, sondern der Fokus sehr viel stärker auf seine kulturelle Dimensionen gelenkt und somit Wissen als kulturstiftendes- und konstituierendes Element verstärkt in den Blick genommen wird.11 Zum anderen hängt dies aber auch mit dem zunehmenden Interesse an der Wissens- und Wissenschaftsgeschichte bzw. -forschung12 und einem gesteigerten Interesse am ‚globalen Wissen‘ und der Zirkulation von Wissen über nationale und kontinentale Grenzen hinaus zusammen. Insgesamt besteht heute in beiden Feldern weitestgehend Einigkeit darüber, dass es eine enge Verzahnung von Wissensproduktion und kolonialer Herrschaft gab und dies sowohl Einfluss auf die Gesellschaften und Wissensfelder der ehemals Kolonisierten wie auch der Kolonisatoren hatte. Dies war nicht immer so, wurde doch in der Kolonialismusforschung und Kolonialgeschichtsschreibung lange Zeit betont, Europa habe die außereuropäische Welt im Zuge seiner Expansion und Kolonisation nachhaltig geprägt – mal positiv im Sinne von „Kulturmission“ und „Modernisierung“, mal negativ im Sinne von „Unterdrückung“ und „Ausbeutung“ – ohne dabei jedoch „selbst im Kern affiziert worden zu sein“.13 Und auch innerhalb der Wissens- und Wissenschaftsgeschichte wurde lange Zeit nur von einem einseitigen Diffusionsmodell westlicher Wissenschaften in die außereuropäische Welt ausgegangen.14

Vor allem angeregt durch die sich Ende der 1970er Jahre zunächst im englischsprachigen Raum etablierenden Postcolonial Studies, in deren Kontext sich auch die vorliegende Arbeit verortet und auf die im folgenden Kapitel (Kapitel 2.1) noch ausführlicher eingegangen wird, wurden neue Impulse ← 14 | 15 → aufgenommen und gängige Sichtweisen sowie klassische Narrative erweitert und/oder überholt. Besonders durch ihre Betonung einer transnationalen Geschichte, einer entangled history (siehe Kapitel 2.1), werden nun verstärkt die zwar ungleichen, aber dennoch beidseitigen Effekte, Folgen und Rückwirkungen der ‚kolonialen Begegnung‘ stärker in den Blick genommen15 sowie die „Vielfalt der wechselseitigen Beeinflussung zwischen verschiedenen Wissenssystemen“ vermehrt untersucht16 und anerkannt sowie betont, dass „Wissen von vielen Orten in viele Richtungen transferiert wurde“.17 Was bedeutet(e) das nun für die Beschäftigung mit ‚kolonialer Wissensproduktion‘?

Ausgehend von Foucaults Überlegungen zur diskursiven Produktion von Wissen sowie zur Verschränkung von Wissen und Macht (siehe Kapitel 2.2), die auch von den Postcolonial Studies aufgenommen und weiterverarbeitet wurden und die wiederum Anregungen für die Kolonialismusforschung/Kolonialgeschichtsschreibung und die Wissens- und Wissenschaftsgeschichte lieferten, werden Wissen, Wissenschaft und die dadurch produzierten Konstruktionen von ‚Eigenem‘ und ‚Fremden‘ und von der ‚Wirklichkeit‘ zunehmend als solche anerkannt und nicht mehr isoliert und als aus sich selbst heraus entstanden betrachtet, sondern in den Kontext einer kolonialen Herrschaftsgeschichte und -praxis eingebunden. Wegweisend war dafür sicherlich ungeachtet der teils ← 15 | 16 → berechtigten Kritik an seiner Studie Edward Saids Werk Orientalism (siehe dazu ausführlicher ebenfalls Kapitel 2.2) und seine These einer Durchdringung der westlichen Wissensproduktion von einem Herrschafts- und Suprematiediskurs, der sowohl entscheidenden Einfluss auf Repräsentationsweisen, Denkmuster und Hierarchisierungen in diesem Kontext hatte, als auch eng verzahnt war mit administrativen und militärischen kolonialen Machtstrukturen. Unter Schlagwörtern wie scientific colonialism, colonial knowledge oder Science and Empire wurde inspiriert dadurch Wissen – genauer ‚koloniales Wissen‘ – zu einer immer wichtiger werdenden Analysekategorie innerhalb dieses Forschungskontextes.18 Eine der ersten Studien, die sich explizit mit dieser Thematik auseinandersetzten waren die 1996 erschienenen Werke Colonialism and its Forms of Knowledge. The British in India von Bernhard Cohn sowie Empire and Information: Intelligence Gathering and Social Communication in India, 1780-1870 von Christopher A. Bayly, die nicht nur wichtige Einzelstudien sind, sondern auch erste synthesische Verknüpfungen und Zusammenfassungen zum Zusammenhang von Wissen(schaft) und kolonialer Herrschaft bieten.19 Auch der bereits genannte, 1997 erschienene Band Tensions of Empire. Colonial Cultures in a Burgeois World von Frederick Cooper und Ann Laura Stoler war hier sicherlich wegweisend.20 Inzwischen sind vor allem im angelsächsischen Raum zahlreiche weiterführende Arbeiten entstanden21, aber auch bezogen auf den französischen Kolonialismus gibt es mittlerweile eine ganze Reihe anregender Studien.22 Einen ← 16 | 17 → in Raum, Zeit und Inhalt geweiteten Blick bieten die Sammelbände Scientific Colonialism. A Cross-Cultural Comparison von Nathan Reingold und Marc Rothenberg (1987), der von Benedikt Stuchtey herausgegebene Band Science across the European Empires, 1800-1950 (2005) sowie der 2013 erschienene Band Von Käfern, Märkten und Menschen. Kolonialismus und Wissen in der Moderne von Rebekka Habermas und Alexandra Przyrembel.23 Besonders umfassendere Werke wie diese konnten verdeutlichen, dass die Produktion von ‚kolonialem Wissen‘ weder an Nationalgrenzen gebunden war, noch allein zwischen Kolonie und ‚Metropole‘ stattfand, sondern Wissen auch zwischen den Kolonien und zwischen den Kolonialmächten untereinander zirkulierte und sich in diesem Kontext möglicherweise sogar zu einem „kollektiven imperialen Wissen“ verband.24

Lange Zeit vernachlässigt und ebenfalls durch Anregungen aus den Postcolonial Studies vermehrt ins Zentrum des Interesses gerückt ist darüber hinaus der Blick auf die agency25 und den Einfluss der lokalen Bevölkerung ← 17 | 18 → auf die koloniale Wissensproduktion. Dabei wurde deutlich gemacht, dass diese in vielfältiger Weise durch Bereitstellung oder auch Geheimhaltung von lokalem Wissen, durch Übersetzungsleistungen, als Vermittler usw. aktiv an diesem Prozess beteiligt war. Durch Kooperation oder Widerstand – in jedem Fall aber mit ihrem ‚Eigensinn‘ – haben sie das Geschehen mitbestimmt und als so genannte intermediaries eine wichtige Rolle, wenn nicht die wichtigste Rolle in diesem Kontext gespielt. Sie waren es, die „wesentlich dafür verantwortlich waren, was Europäer von einem Land erfuhren, in dem sie sich als Fremde, meist ohne jegliche Sprachkenntnisse, für eine häufig nur kurze Zeit aufhielten,“ und damit über „Macht“ und „Autorität“ verfügt.26 Dennoch sind sie es, die trotz ihrer zentralen Funktion im damaligen akademischen Kontext die geringste Aufmerksamkeit bekamen und oft sogar nicht einmal erwähnt wurden. Erst in neuerer Zeit finden sie innerhalb der aktuellen akademischen ‚Groß-Erzählungen‘ ihren Platz – ein Phänomen, das sich mit dem von Robert N. Proctor und Londa Schiebinger eingefügten Konzept der „Agnotology“ fassen lässt, das nach den Formen des Wissens fragt, die bewusst oder unbewusst unterdrückt und ignoriert wurden oder verloren gegangen sind.27

Entwicklungen und Fokussierungen wie diese stießen in der deutschspra- chigen Kolonialismusforschung bis Ende der 1990er Jahre noch auf wenig Widerhall. Zu einer ‚Trendwende‘ und einer zunehmenden Rezeption ← 18 | 19 → postkolonialer Ansätze in diesem Kontext kam es erst vermehrt mit den 1998 und 2002 erschienenen Sammelbänden The Imperialist Imagination. German Colonialism and its Legacy von Sara Friedrichsmeyer, Sara Lennox und Susanne Zantop sowie dem von Sebastian Conrad und Shalini Randeria herausgegebenen Band Jenseits des Eurozentrismus. Postkoloniale Perspektiven in den Geschichts- und Kulturwissenschaften.28 Seither ist eine Fülle von Arbeiten entstanden, die sich mit der lange Zeit als ‚marginal‘ bezeichneten deutschen Kolonialgeschichte (einschließlich ihrer kolonialrevisionistischen Bewegung) und ihren Macht- und Herrschaftsstrukturen, ihren Ambivalenzen und Vielschichtigkeiten beschäftigt haben und in diesem Kontext besonders auch die Rückwirkungen dieser ‚kolonialen Erfahrung‘ auf die deutsche Gesellschaft und das Deutsche Reich bzw. das ‚postkoloniale‘ Deutschland untersuchen.29 Dass Spuren dieser Zeit dabei nicht nur wie lange Zeit angenommen in den ‚klassischen Kolonialmetropolen‘ Berlin als Hauptstadt und administrativem Zentrum und Hamburg als Hafenstadt und ‚Tor zur Welt‘ zu finden sind, zeigen neuere lokalhistorische Projekte, die Schnittstellen ihrer Stadtgeschichte mit dem deutschen Kolonialprojekt herausarbeiten.30 Hier setzt auch die vorliegende Arbeit ← 19 | 20 → an, in der die bisher nicht aufgearbeitete ‚koloniale Vergangenheit‘ der akademischen Einrichtungen Kölns untersucht wird.31

← 20 | 21 → Obwohl in den letzten Jahren auch im deutschsprachigen Kontext einige Studien zum Zusammenhang von Wissen, Wissenschaft und kolonialer Herr- schaft entstanden sind32 und ‚koloniales Wissen‘ auch hier immer mehr an Bedeutung gewinnt – wird doch gerade für das Deutsche Reich betont, aufgrund seines ‚Aufholbedarfs‘ als colonial latecomer einen besonders enthusiastischen und explizit ‚wissenschaftlichen Kolonialismus‘ betrieben zu haben,33 ist die ← 21 | 22 → Rolle der deutschen Hochschulen bzw. ihrer Vorgängerinstitutionen in diesem Kontext bisher nur für Berlin und Hamburg untersucht worden.34 Jens Ruppenthal beschäftigte sich in seiner 2007 erschienenen Dissertation mit dem Hamburger Kolonialinstitut, in dem von 1908 bis 1919 die so genannten Kolonialwissenschaften gelehrt wurden, um künftige Kolonialbeamte auf ihren Dienst in den Kolonien vorzubereiten und aus dem nach dem Verlust der Kolonien die Hamburger Universität entstanden ist. Schwerpunkte seiner institutionsgeschichtlichen Arbeit sind dabei hauptsächlich die Entstehungsgeschichte der Einrichtung sowie die Kolonialausbildung selbst.35 Im Rahmen einer weiteren Dissertation untersuchte Holger Stoecker 2008 vor einem wissenschaftshistorischen Hintergrund die Entwicklung der Afrikawissenschaften in Berlin zwischen 1919 und 1945. Stoecker betrachtet die Einrichtung des Lehrstuhls für Afrikanistik in Berlin dabei vor allem vor dem Hintergrund des Verlusts der deutschen Kolonien und der aufkommenden kolonialrevisionistischen Bewegung.36

Beide Studien untersuchen also Einrichtungen, die in den ‚klassischen Kolonialmetropolen‘ des Deutschen Reiches verortet sind und die – einmal vor und einmal nach 1919 – mehr oder weniger ‚spezialisiert‘ auf die Produktion ‚kolonialen Wissens‘ waren.

Anders ist das in Köln: Köln zählt weder zu den ‚klassischen Kolonialmetropolen‘, noch waren an den Kölner Hochschulen Kolonialwissenschaften jemals durch ein eigenes Institut in dem Sinne institutionalisiert. Trotzdem spielten ← 22 | 23 → ‚koloniale Themen‘ seit Gründung der Städtischen Handelshochschule 1901 bis in die 1940er Jahre eine kontinuierliche Rolle im wissenschaftlichen Bereich. Die zentralen Fragestellungen bzw. die Spezifika der vorliegenden Arbeit ergeben sich daher also erstens aus dem Forschungsdesiderat in diesem Kontext sowie zweitens aus den Kölner Rahmenbedingungen:

Details

Seiten
381
Jahr
2015
ISBN (PDF)
9783653047158
ISBN (ePUB)
9783653980646
ISBN (MOBI)
9783653980639
ISBN (Paperback)
9783631654781
DOI
10.3726/978-3-653-04715-8
Sprache
Deutsch
Erscheinungsdatum
2015 (Juni)
Schlagworte
Universitätsgeschichte Diskursanalyse Postkolonial Kolonialgeschichte
Erschienen
Frankfurt am Main, Berlin, Bern, Bruxelles, New York, Oxford, Wien, 2015. 381 S., 10 s/w Abb.

Biographische Angaben

Anne-Kathrin Horstmann (Autor:in)

Anne-Kathrin Horstmann studierte an der Universität zu Köln Afrikanistik, Ethnologie und Pädagogik. Sie war Stipendiatin der a.r.t.e.s. Graduate School for the Humanities Cologne, wo sie mit der vorliegenden Studie promovierte. Sie ist Mitherausgeberin des Sammelbandes Köln und der deutsche Kolonialismus. Eine Spurensuche sowie aktives Mitglied des lokalhistorischen Projekts Köln Postkolonial. Ihre Forschungsinteressen und -schwerpunkte liegen im Bereich der (deutschen) Kolonialgeschichte, der (kritischen) Wissenschaftsgeschichte und der Postcolonial Studies.

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