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Konfliktfelder und aktuelle Entwicklungen bei städtebaulichen Planungen

von Stephan Mitschang (Band-Herausgeber:in)
©2014 Sammelband VIII, 236 Seiten

Zusammenfassung

In unterschiedlichen Rechtsgebieten lassen sich Konfliktfelder und aktuelle Entwicklungen der städtebaulichen Planung ablesen. Dazu zählen beispielsweise für die Umweltprüfung die Konsequenzen, die sich aus der möglichen Ausweitung des Anwendungsbereichs ergeben können, oder der im Hinblick auf die Innenentwicklung stärker zu beachtende Belang der Verschattung sowie Anwendungsfragen bei Festsetzungen zum Baurecht auf Zeit. Aktuelle Entwicklungen betreffen die Änderung der Umweltverträglichkeitsprüfungs-Richtlinie, das geänderte Abstandsflächenrecht sowie zentrale Versorgungsbereiche in der Flächennutzungsplanung, Änderungen bei den Heilungsvorschriften für das beschleunigte Verfahren und der Einsatz der städtebaulichen Entwicklungsmaßnahme vor dem Hintergrund der Wohnungsnot in den Ballungsräumen. Dieser Tagungsband dokumentiert die Themenfelder, die im Rahmen einer wissenschaftlichen Fachtagung am 16. und 17. September 2013 an der Technischen Universität Berlin behandelt wurden.

Inhaltsverzeichnis

  • Cover
  • Titel
  • Copyright
  • Autorenangaben
  • Über das Buch
  • Zitierfähigkeit des eBooks
  • Vorwort
  • Inhaltsverzeichnis
  • Anmerkungen zum Instrument der städtebaulichen Entwicklungsmaßnahme
  • Vorschlag der Europäischen Kommission für eine Änderung der UVP-Richtlinie – Beratungsstand und Perspektive
  • Der Belang der „Verschattung“ – Ermittlungs- und Bewertungsgrundlagen
  • Geändertes Abstandsflächenrecht der Musterbauordnung 2012 (MBO) – droht das Abstandsflächenrecht im Chaos zu versinken?
  • Zum Anwendungsbereich der Strategischen Umweltprüfung nach dem Urteil des EuGH in der Rechtssache Inter-Environnement Bruxelles
  • Haftung bei Veränderungssperren und der Zurückstellung von Baugesuchen
  • Aktuelle Rechtsprechung zu § 13a BauGB
  • Ist die Darstellung zentraler Versorgungsbereiche im Flächennutzungsplan sinnvoll?
  • Was macht die Planungspraxis: Zentrale Versorgungsbereiche auch im Flächennutzungsplan der Stadt Bonn?
  • Die Festsetzung bedingter und befristeter Baurechte gemäß § 9 Abs. 2 BauGB
  • Die Entscheidung des BVerwG zur Seveso-II-Richtlinie und ihre Folgen für Genehmigungs- und Planungsverfahren
  • Was bringt die neue Kompensationsverordnung?

Stephan Mitschang

Anmerkungen zum Instrument der städtebaulichen Entwicklungsmaßnahme

Abstract

Die Bereitstellung von Bauland für den Wohnungsneubedarf wirft vielerorts Probleme auf, denn die erforderlichen Flächen sind nur noch in wenigen Fällen für die Kommunen verfügbar. Besondere Bedeutung im Zusammenhang mit der Baulandmobilisierung kommt daher auch der städtebaulichen Entwicklungsmaßnahme nach den §§ 165 ff. BauGB zu.

Providing building land for housing demand raises problems in many ways. Required areas are only available for municipalities in few cases. Hence, in the context of land mobilisation, the urban development measure according to Par. 165 pp. of the Federal Building Code is of particular importance.

A.  Zum Problem

Ob und inwieweit in Deutschland eine Wohnungsnot besteht, wird gegenwärtig unterschiedlich beurteilt. Während einerseits davon die Rede ist, dass 250.000 Mietwohnungen1 fehlen, sehen weitergehende Schätzungen bis zum Jahr 2017 sogar einen Fehlbedarf von 825.000 Mietwohnungen2. Das BBSR3 sieht einen Wohnungsneubedarf von mittelfristig jährlich 193.000 Wohnungen für den Zeitraum von 2010 bis 2015, langfristig dann von nur noch 183.000 Wohnungen für den ← 1 | 2 → Zeitraum bis zum Jahr 2025. Andererseits wird davon ausgegangen, dass ausreichend Wohnraum vorhanden ist.4 So sollen auch in diesem Jahr mehr als 200.000 neue Wohnungen hergestellt werden. Allerdings beziehen sich diese vor allem das Luxussegment5. Vor diesem Hintergrund besteht weitgehend Einigkeit darin, dass in den großen Städten zu wenig bezahlbarer Wohnraum für einkommensschwache Bevölkerungsschichten vorhanden ist.

Aktuell kann unter der Überschrift „Stadtentwicklungspolitik: Politik für Stadt und Land“6 seit 24. Juli 2013 auf den zweiten Stadtentwicklungsbericht zurückgegriffen werden.7 Mit ihm kommt die Bundesregierung einer Aufforderung des Deutschen Bundestages aus dem Jahr 2005 nach, alle vier Jahre über die Stadtentwicklung in Deutschland zu berichten. Sie stellt darin fest, dass große Städte vor dem Hintergrund zunehmender Attraktivität8 seit etwa einem Jahrzehnt trotz insgesamt negativem Geburtensaldo, steigende Einwohnerzahlen zu verzeichnen haben. Die Ursache hierfür kann daher ausschließlich in Wanderungsgewinnen liegen. Auf den Wohnungsmärkten führt dies zu Engpässen und folglich auch zu steigenden Mieten9. Verlierer sind die ← 2 | 3 → einkommensschwachen, auf billigen Wohnraum10 angewiesenen Bevölkerungsschichten.11

Gefragt nach den ausschlaggebenden Gründen, muss zunächst einmal festgestellt werden, dass in vielen großen Städten wie Berlin, Hamburg, Frankfurt oder München, das Wohnungsangebot nicht in gleichem Maße anwächst wie die durch Wanderungsgewinne ansteigende Bevölkerungszahl. Daneben ist zu berücksichtigen, dass zunehmend mehr Menschen Einzelhaushalte bevorzugen. Schließlich spielen auch die steigenden Grundstückspreise, insbesondere in den Agglomerationsräumen sowie nicht zuletzt die ebenfalls ansteigenden Baukosten eine Rolle. Seit Jahren wirken die Städte dem entgegen: Angefangen bei sog. „Einheimischenmodellen“, dem Auflegen von Förderprogrammen, der Unterstützung von Nachverdichtungsmaßnahmen bis hin zu Darlehensangeboten für Investoren. Trotz allem bleibt es dabei, dass es zu wenige bezahlbare Wohnungen für die einkommensschwachen Bevölkerungsschichten gibt.

Nach den Angaben der Bundesregierung sind die Mieten in deutschen Metropolen seit 2008 um mehr als 10 % gestiegen und belaufen sich derzeit im Durchschnitt bei 7,37 Euro kalt je Quadratmeter12. Sie liegen in den kreisfreien Großstädten über 100.000 Einwohnern um 42 % höher als in dünn besiedelten ländlichen Kreisen.13 Eine dauerhafte Bewältigung der Problematik kann nur gelingen, wenn die Städte zügig Bauland, und zwar vorrangig auf innerstädtischen Brachflächen ausweisen, um vor allem die Errichtung von mehr Mehrfamilienhäusern möglich zu machen.

Nun sind hohe Bedarfe an Bauland nicht selten. Sie zur Befriedigung der Baulandmärkte bereitzustellen, wirft dennoch vielerorts Probleme auf, ← 3 | 4 → denn die erforderlichen Flächen sind nur noch in wenigen Fällen für die Kommunen verfügbar. Besondere Bedeutung im Zusammenhang mit der Baulandmobilisierung kommt der städtebaulichen Entwicklungsmaßnahme nach den §§ 165 ff. BauGB14 zu. Mit ihr kann Bauland, auch in größerem Umfang, mobilisiert werden, um den städtebaulichen Entwicklungsabsichten der Gemeinden15 Rechnung tragen zu können. Sie gilt aufgrund ihrer besonders weitreichenden Eingriffs- und Gestaltungsbefugnisse bodenrechtlich als das „schärfste Schwert“16. Denn erst allein der Grunderwerb durch die Gemeinde bereitet die Grundlage für eine koordinierte Bodenordnung. Angesichts dessen stellt sich zunächst die diesen Beitrag rechtfertigende Frage, inwieweit auch städtebauliche Entwicklungsmaßnahmen durch die Schaffung und Bereitstellung von Bauland einen wirklichen bodenrechtlichen Ansatz zur dauerhaften Linderung der gegenwärtigen Wohnungsnot darstellen können.

Dazu soll das Entwicklungsrecht, das der Durchführung von städtebaulichen Entwicklungsmaßnahmen in den Grundstrukturen (Kapitel B. 1 und 2) näher untersucht werden. Außerdem wird im Hinblick ihre Auswirkungen auf den Anwendungsbereich der städtebaulichen Entwicklungsmaßnahme auch die wechselvolle Entwicklungsgeschichte näher in den Blick genommen (Kapitel B. 3). Zur Beantwortung der vorangehend aufgeworfenen Fragen müssen zunächst die Anwendungsvoraussetzungen und Anwendungsbereiche der städtebaulichen Entwicklungsmaßnahme ins Zentrum der Betrachtungen gerückt werden (Kapitel B. 4 und 5). Sollte hiernach im Ergebnis die städtebauliche Entwicklungsmaßnahme als kommunales Instrument zur dauerhaften Linderung der Wohnungsnot eingesetzt werden können (Kapitel C), so ist schließlich weiter danach zu fragen, welchen Beitrag durch die Heranziehung der städtebaulichen Entwicklungsmaßnahme für die Baulandmobilisierung zu einer am ← 4 | 5 → Leitbild der Innenentwicklung (Kapitel D) ausgerichteten städtebaulichen Entwicklung geleistet werden kann und inwieweit gegebenenfalls auch eine Weiterentwicklung des Planungsinstruments vorgenommen werden sollte (Kapitel E).

B.  Die förmliche städtebauliche Entwicklungsmaßnahme

1.  Allgemeines

Förmliche städtebauliche Entwicklungsmaßnahmen sind Bestandteil des Besonderen Städtebaurechts und finden ihre Normierung in den §§ 165 bis 171 BauGB. Sie stellen ein wichtiges baulandpolitisches Instrument der Gemeinden dar.17 Nach § 165 Abs. 3 Satz 1 BauGB kann die Gemeinde einen Bereich, in dem eine städtebauliche Entwicklungsmaßnahme durchgeführt werden soll, durch Beschluss förmlich als städtebaulichen Entwicklungsbereich festlegen. Damit hat sie das Recht (grundsätzlich) alle Grundstücke in diesem Gebiet zu erwerben, soweit dies nicht möglich ist, auch zu ihren Gunsten enteignen zu lassen. Für den Entwicklungsbereich hat sie dann unverzüglich Bebauungspläne aufzustellen und mittels der Festsetzungen der Bebauungspläne die Grundstücksverhältnisse neu zu ordnen und die erforderlichen Erschließungsanlagen herzustellen. Die „entwickelten“ Baugrundstücke sind dann an Bauwillige zu veräußern, die sich vertraglich verpflichten, innerhalb angemessener Frist die Grundstücke entsprechend den Festsetzungen des Bebauungsplans und den Erfordernissen der Entwicklungsmaßnahme zu bebauen.

Aus dem Dargelegten ergibt sich, dass die Heranziehung städtebaulicher Entwicklungsmaßnahmen mit erheblichen Einschränkungen für die Rechte der Grundstückseigentümer verbunden ist. Deshalb bestimmt § 165 Abs. 1 BauGB, dass derlei Maßnahmen im öffentlichen Interesse liegen und zügig durchgeführt werden müssen. Mit städtebaulichen Entwicklungsmaßnahmen sollen nach § 165 Abs. 2 BauGB Ortsteile und andere Teile des Gemeindegebiets entsprechend ihrer besonderen Bedeutung für die städtebauliche Entwicklung und Ordnung der Gemeinde oder ← 5 | 6 → entsprechend der angestrebten Entwicklung des Landesgebiets oder der Region erstmalig entwickelt werden oder im Rahmen einer städtebaulichen Neuordnung einer neuen Entwicklung zugeführt werden.

2.  Besondere Merkmale und Verfahrensüberblick

2.1  Merkmale der städtebaulichen Entwicklungsmaßnahme

Zentrale Merkmale der städtebaulichen Entwicklungsmaßnahme sind die Erwerbs- und Reprivatisierungspflicht, die Besonderheiten der Finanzierung der Gesamtmaßnahme und die Genehmigungsvorbehalte zur Sicherstellung der Durchführung. Dies bedeutet zunächst, dass die Gemeinde grundsätzlich alle Grundstücke im durch Entwicklungssatzung festgelegten Entwicklungsbereich zu erwerben hat. Eine Umlegung ist außer in Anpassungsgebieten ausgeschlossen (vgl. § 170 Satz 4 BauGB). Soweit ein Grundstückserwerb durch die Gemeinde nicht zustande kommt, kann auch – ohne dass ein Bebauungsplan – besteht, allein auf der Grundlage der Entwicklungssatzung enteignet werden. Der vollständige Grunderwerb trägt zur Beschleunigung der Entwicklungsmaßnahme bei, da die erforderlichen Planungsleistungen in der Form der Aufstellung von Bebauungsplänen sowie der Bau der Erschließungs- und Infrastruktureinrichtungen unverzüglich vorgenommen werden können. Nach der Neuordnung der Grundstücke sind diese zunächst an die früheren Eigentümer im Weiteren dann auch an sonstige Bauwillige zu veräußern. Im Rahmen des Grundstücksverkaufs sind Fristen für die Bebauung festzulegen, um gewährleisten zu können, dass das baureife Grundstück auch tatsächlich bebaut wird und damit den Zielsetzungen der städtebaulichen Entwicklungsmaßnahme auch Rechnung getragen wird.18 Den Gemeinden obliegt es außerdem, in die zivilrechtlichen Grundstückskaufverträge Regelungen zu den Zielen und Zwecken der Entwicklungsmaßnahme aufzunehmen.19 Der Ankauf der Grundstücke ← 6 | 7 → erfolgt zum entwicklungsunbeeinflussten Grundstückswert, auch bei freihändigem Erwerb. Nur soweit der Betroffene Werterhöhungen durch eigene Aufwendungen zulässigerweise herbeigeführt hat, werden diese berücksichtigt. Demgegenüber bleiben Werterhöhungen, die lediglich durch die Aussicht auf Entwicklung sowie durch ihre Vorbereitung und Durchführung der Entwicklungsmaßnahme entstanden sind, unberücksichtigt. Daher ist es von Seiten der Gemeinde sinnvoll, schon frühzeitig auf die beabsichtigte Durchführung einer Entwicklungsmaßnahme hinzuweisen, um Spekulationen weitgehend zu verhindern. Die Finanzierung städtebaulicher Entwicklungsmaßnahmen erfolgt über die Abschöpfung der Bodenwertsteigerungen, die sich zwischen Kauf und Verkauf der Grundstücke im Entwicklungsbereich ergeben. Wird auf den Grundstückserwerb in Ausnahmefällen des § 166 Abs. 3 BauGB verzichtet, muss der Eigentümer, für die durch die Entwicklungsmaßnahme bedingte Bodenwerterhöhung einen entsprechend hohen Ausgleichsbetrag an die Gemeinde zahlen. Dadurch verbleiben alle durch die planungsrechtliche Aufwertung des Entwicklungsbereichs veranlassten Bodenwertsteigerungen bei der Gemeinde. Zur Sicherung der Durchführung der Entwicklungsmaßnahme unterliegen alle baulichen Vorhaben, Erwerbsvorgänge sowie alle wesentlichen Änderungen im Entwicklungsbereich der Genehmigung. Dies gewährleistet die entsprechende Anwendung der sanierungsrechtlichen Bestimmungen nach den §§ 144 und 145 BauGB im städtebaulichen Entwicklungsbereich (vgl. § 169 Abs. 1 Nr. 2 BauGB).

2.2  Überblick zu den wesentlichen Verfahrensschritten

Wie bei jeder städtebaulichen Planung stehen auch am Anfang von städtebaulichen Entwicklungsmaßnahmen grundlegende Bestandsaufnahmen und -analysen. Diese Aufgabe übernehmen – wie im Sanierungsrecht – die sog. „vorbereitenden Untersuchungen“. Diese sind notwendig, um Beurteilungsgrundlagen dafür zu gewinnen, ob die Voraussetzungen für die förmliche Festlegung eines städtebaulichen Entwicklungsbereichs vorliegen. Nach § 164 Abs. 4 Satz 2 BauGB sind dabei die sanierungsrechtlichen Bestimmungen der §§ 137 bis 141 BauGB entsprechend anzuwenden. Von wichtiger Bedeutung dabei ist, dass ← 7 | 8 →

Soweit sich aus den vorbereitenden Untersuchungen im Ergebnis herausstellt, dass die Voraussetzungen für die Durchführung einer städtebaulichen Entwicklungsmaßnahme anzunehmen sind, beschließt die Gemeinde die förmliche Festlegung des städtebaulichen Entwicklungsbereichs nach § 165 Abs. 6 Satz 1 BauGB als Satzung und bezeichnet darin den städtebaulichen Entwicklungsbereich (vgl. § 165 Abs. 6 Satz 2 BauGB). Der Entwicklungssatzung ist eine Begründung – vergleichbar derjenigen zum Bebauungsplan – beizufügen. In ihr sind die rechtfertigenden Gründe für die förmliche Festlegung des Entwicklungsbereichs darzulegen (§ 165 Abs. 7 BauGB). Der Beschluss der Entwicklungssatzung ist ortsüblich bekannt zu machen (vgl. § 165 Abs. 8 Satz 1 BauGB) und es sind die Bestimmungen in § 10 Abs. 3 Satz 2 bis 5 BauGB entsprechend anzuwenden (vgl. § 165 Abs. 8 Satz 2 BauGB). In der ortsüblichen Bekanntmachung ist auf die aus dem Sanierungsrecht schon bekannten Genehmigungspflichten nach den §§ 144, 145 und 153 Abs. 2 BauGB hinzuweisen (vgl. § 165 Abs. 8 Satz 3 BauGB). Schließlich regelt § 165 Abs. 8 Satz 4 BauGB noch, dass mit der Bekanntmachung die Entwicklungssatzung rechtsverbindlich wird. Seit 200420 ist die Entwicklungssatzung bundesrechtlich nicht mehr genehmigungspflichtig.

Die Gemeinde hat nach § 165 Abs. 9 Satz 1 BauGB die rechtsverbindliche Entwicklungssatzung mit dem darin bezeichneten städtebaulichen Entwicklungsbereich dem Grundbuchamt mitzuteilen und dabei die von der Entwicklungssatzung betroffenen Grundstücke gemäß § 165 Abs. 9 Satz 2 BauGB einzeln aufzuführen. Sodann hat das Grundbuchamt in die Grundbücher dieser Grundstücke den sog. „Entwicklungsvermerk“ ← 8 | 9 → einzutragen, dass nämlich das Grundstück innerhalb eines Entwicklungsbereichs gelegen ist (vgl. § 165 Abs. 9 Satz 3 BauGB). Der Entwicklungsvermerk wird den eingetragenen Eigentümern durch das Grundbuchamt bekannt gemacht (vgl. § 55 Abs. 1 GBO21). Außerdem hat das Grundbuchamt die Gemeinde von allen Eintragungen zu benachrichtigen, die nach dem Zeitpunkt der Einleitung der städtebaulichen Entwicklungsmaßnahme im Grundbuch der betroffenen Grundstücke vorgenommen sind oder vorgenommen werden. Dies gebietet § 165 Abs. 9 Satz 4 BauGB, der die umlegungsrechtlichen Bestimmungen in § 54 Abs. 2 Satz 1 und Abs. 3 BauGB für entsprechend anwendbar erklärt. Mit dem Inkrafttreten der Entwicklungssatzung hat die Gemeinde die Befugnis, alle Grundstücke im Entwicklungsbereich zu erwerben.22 § 169 BauGB enthält spezifische Sondervorschriften, die im städtebaulichen Entwicklungsbereich zur Sicherstellung der Durchführung der Entwicklungsmaßnahme zur Anwendung kommen.

Von erheblicher Bedeutung ist die an die Gemeinde gerichtete Anforderung, für den städtebaulichen Entwicklungsbereich ohne Verzug Bebauungspläne aufzustellen. Sie hat außerdem alle erforderlichen Maßnahmen zu ergreifen, um die vorgesehene Entwicklung im städtebaulichen Entwicklungsbereich zu verwirklichen (vgl. § 166 Abs. 1 Satz 2 BauGB). Auf der Grundlage der Festsetzungen der Bebauungspläne hat sie die Neuordnung der Grundstücksverhältnisse vorzunehmen und die notwendigen Erschließungsanlagen herzustellen. Alle nicht für öffentliche Zwecke23 benötigten Grundstücke hat sie nach ihrer Neuordnung und Erschließung unter Berücksichtigung weiter Kreise der Bevölkerung und unter Beachtung der Ziele und Zwecke der städtebaulichen Entwicklungsmaßnahme an Bauwillige zu veräußern, die sich verpflichten, die Grundstücke innerhalb angemessener Frist entsprechend den ← 9 | 10 → Festsetzungen des Bebauungsplans und den Erfordernissen der Entwicklungsmaßnahme zu bebauen.24

Nach § 169 Abs. 1 Nr. 8 BauGB gelten die sanierungsrechtlichen Bestimmungen in den §§ 162 bis 164 BauGB für den Abschluss25 der Entwicklungsmaßnahme. Hiernach ist die Entwicklungssatzung aufzuheben, wenn die Entwicklungsmaßnahme durchgeführt ist oder sich die städtebauliche Entwicklung als undurchführbar erweist oder wenn die Entwicklungsabsicht aus anderen Gründen aufgeben wird.26 Dabei ist der Gemeinde ein erheblicher Beurteilungsspielraum eingeräumt, in dessen Grenzen sie selbst bestimmen kann, wann das Entwicklungsziel erreicht und die städtebauliche Entwicklungssatzung aufzuheben ist.27 Auch die privaten Belange der Betroffenen im Plangebiet sind zu berücksichtigen.28 Soweit diese Voraussetzungen nur für einen Teil des förmlich festgelegten Entwicklungsbereichs vorliegen, ist die Entwicklungssatzung nur für diesen Teil aufzuheben.29 Der Beschluss der Gemeinde über die vollständige oder teilweise Aufhebung der Entwicklungssatzung ergeht als Satzung.30 Die Gemeinde ersucht schließlich das Grundbuchamt, die Entwicklungsvermerke im Grundbuch der Eigentümer zu löschen. Die Satzung zur Aufhebung der Entwicklungssatzung ← 10 | 11 → ist seit dem BauROG 1998 der höheren Verwaltungsbehörde nicht mehr anzuzeigen.31

Aufgrund der Rechtsprechung des EuGH32 wird die Frage nach der Pflicht zur Durchführung einer Umweltprüfung im Rahmen der Aufstellung der Entwicklungssatzung neu aufgeworfen. Denn nach dieser Entscheidung sind im Sinne und zur Anwendung der Plan-UP-RL33 als Pläne und Programme „die erstellt werden müssen“ und deren Umweltauswirkungen somit unter den in der Richtlinie festgelegten Voraussetzungen einer Prüfung zu unterziehen sind, jene Pläne und Programme anzusehen, deren Erlass in nationalen Rechts- und Verwaltungsvorschriften geregelt ist, die die insoweit zuständigen Behörden und das Ausarbeitungsverfahren festlegen.34 Bislang ist für die Entwicklungssatzung nicht vorgesehen, eine Umweltprüfung durchzuführen.35 Ob diese Auffassung auch künftig noch aufrecht erhalten werden kann, ist angesichts der Entscheidung des EuGH in Bezug auf die enteignungsrechtliche Vorwirkung der Entwicklungssatzung allerdings fraglich.

3.  Entwicklungsphasen und aktuelle Situation

Die städtebauliche Entwicklungsmaßnahme hat seit ihrer Schaffung im Jahr 1971 verschiedene Entwicklungsphasen sowohl in formeller als auch in materieller Hinsicht durchlebt. Im Rahmen des EAG Bau 2004 sind letztmals Änderungen vorgenommen worden. Die jeweiligen Entwicklungsphasen sind nicht nur für die heutige Bedeutung des Planungsinstruments maßstabsbildend, sondern spiegeln auch die städtebaulichen Wertvorstellungen des jeweiligen Zeitsegments wider. ← 11 | 12 →

3.1  Entwicklungsphasen von 1971 bis 2013

a.  Einführung durch das StBauFG-1971

Die städtebauliche Entwicklungsmaßnahme geht zurück auf das Städtebauförderungsgesetz36 von 1971. Dieses Gesetz gestaltete ein Sonderrecht für städtebauliche Entwicklungs- und Sanierungsmaßnahmen aus und fand neben den Vorschriften des damaligen Bundesbaugesetzes Anwendung. Nach § 1 Abs. 3 StBauGB-1971 handelte es sich bei städtebaulichen Entwicklungsmaßnahmen um „Maßnahmen, durch die entsprechend den Zielen der Raumordnung und Landesplanung

  1. neue Orte geschaffen oder
  2. vorhandene Orte zu neuen Siedlungseinheiten entwickelt oder
  3. vorhandene Orte um neue Ortsteile erweitert werden.

Die Maßnahmen müssen die Strukturverbesserung in den Verdichtungsräumen, die Verdichtung von Wohn- und Arbeitsstätten im Zuge von Entwicklungsachsen oder den Ausbau von Entwicklungsschwerpunkten außerhalb der Verdichtungsräume, insbesondere in den hinter der allgemeinen Entwicklung zurückbleibenden Gebieten, zum Gegenstand haben.“

Hiernach handelte es sich bei der städtebaulichen Entwicklungsmaßnahme primär um ein Instrument zur Durchführung raumordnerischer Anliegen mittels städtebaulicher Maßnahmen, denn sie mussten zur Verbesserung der Struktur in den Verdichtungsräumen, zur Verdichtung von Wohn- und Arbeitsstätten an Entwicklungsachsen oder dem Ausbau von Entwicklungsschwerpunkten außerhalb der Entwicklungsachsen beitragen. Konsequente Folge war dann auch, dass die förmliche Festlegung des städtebaulichen Entwicklungsbereichs durch Rechtsverordnung der Landesregierung erfolgte und insoweit auch ein städtebauliches Sonderrecht ausgestaltet wurde, wenngleich die Planung und Durchführung der Entwicklungsmaßnahme in den Aufgabenbereich der Gemeinden fiel. Von Anfang an war dieses städtebauliche Sonderrecht durch spezifische Planungs-, Durchführungs- und Finanzierungselemente charakterisiert.37 ← 12 | 13 → Es verlangte außerdem auch den Zugriff auf privates Eigentum im Sinne von § 14 Abs. 3 S. 1 GG38. Daraus folgten besondere Anforderungen, wie sie auch heute noch weitgehend ihre Gültigkeit besitzen. Sie betreffen:

  • –  die kommunale Planungspflicht,
  • –  die kommunale Erwerbspflicht der Grundstücke zum entwicklungsunbeeinflussten Wert (Anfangswert), auch unter Heranziehung der Enteignung, und zwar ohne einen Bebauungsplan,
  • –  die Verpflichtung zur zügigen Durchführung der Entwicklungsmaßnahme,
  • –  eine Veräußerungspflicht der für Bauzwecke entwickelten Grundstücke an Bauwillige zum Neuordnungswert sowie
  • –  den Einsatz der Differenz, der sich aus Anfangswert zu den Neuordnungswerten bei der Grundstücksveräußerung (Endwert) zweckgebunden zur Finanzierung der Maßnahme ergibt.39

Die von diesen Anforderungen ausgehende Stringenz macht zugleich deutlich, dass das Recht der städtebaulichen Entwicklungsmaßnahme nur dann zur Anwendung gebracht werden kann, wenn die in der Vorschrift beschriebenen Aufgaben mit den Instrumenten des allgemeinen Städtebaurechts sowie unter Mitwirkungsbereitschaft der davon betroffenen Grundstückseigentümer nicht bewältigt werden können.

Details

Seiten
VIII, 236
Jahr
2014
ISBN (PDF)
9783653046953
ISBN (ePUB)
9783653980905
ISBN (MOBI)
9783653980899
ISBN (Paperback)
9783631654651
DOI
10.3726/978-3-653-04695-3
Sprache
Deutsch
Erscheinungsdatum
2014 (August)
Schlagworte
Städtebaurecht Bauleitplanung Baurecht auf Zeit Umweltprüfung
Erschienen
Frankfurt am Main, Berlin, Bern, Bruxelles, New York, Oxford, Wien, 2014. VIII, 236 S., 5 s/w Abb.

Biographische Angaben

Stephan Mitschang (Band-Herausgeber:in)

Stephan Mitschang, Dr.-Ing. habil., ist Universitätsprofessor für das Fachgebiet Städtebau und Siedlungswesen – Orts-, Regional- und Landesplanung am Institut für Stadt- und Regionalplanung (ISR) an der Technischen Universität Berlin.

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Titel: Konfliktfelder und aktuelle Entwicklungen bei städtebaulichen Planungen
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