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Der Leistungsmaßstab im Arbeitsverhältnis

von Florian Schiffer (Autor:in)
©2014 Dissertation 241 Seiten

Zusammenfassung

Gegenstand der Untersuchung ist der Leistungsmaßstab im Arbeitsverhältnis. Im Anschluss an eine Darstellung des Pflichtenprogramms des Arbeitnehmers setzt sich der Verfasser kritisch mit den verschiedenen in Literatur und Rechtsprechung zu der Frage des Leistungsmaßstabs vertretenen Auffassungen auseinander. Hierbei zeigt sich, dass die insbesondere in der Rechtsprechung vertretene subjektive Theorie dogmatisch kaum haltbar ist. In der Folge entwickelt der Verfasser einen eigenständigen Lösungsansatz. Dieser beruht auf einer analogen Anwendung des § 59 HGB. Die Einordnung des sich hieraus ergebenden objektiven Maßstabs in das Leistungsstörungs- und Kündigungsrecht macht deutlich, dass eine soziale Feinsteuerung der Folgen unzureichender Arbeitsleistungen durchaus auch auf der Rechtsfolgenseite möglich ist, ohne dass der Leistungsmaßstab bereits auf der Pflichtenebene relativiert werden müsste.

Inhaltsverzeichnis

  • Cover
  • Titel
  • Copyright
  • Autorenangaben
  • Über das Buch
  • Zitierfähigkeit des eBooks
  • Vorwort
  • Inhaltsverzeichnis
  • Erstes Kapitel. Einführung
  • § 1. Gegenstand und Anlass der Untersuchung
  • § 2. Ziel und Gang der Untersuchung
  • Zweites Kapitel. Die Pflichten des Arbeitnehmers aus dem Arbeitsverhältnis
  • § 1. Rechtsquellen des Pflichtenprogramms
  • A. Arbeitsvertrag
  • I. Weisungsrecht
  • 1. Rechtsgrundlage und Rechtsnatur des Weisungsrechts
  • 2. Zur Anerkennung eines „weisungsfreien Eigenbereichs“ des Arbeitnehmers
  • II. Zielvereinbarungen und Zielvorgaben
  • 1. Zielvereinbarungen
  • 2. Zielvorgaben
  • B. Kollektive Regelungsinstrumente
  • I. Betriebsvereinbarungen
  • II. Tarifverträge
  • C. Gesetz
  • § 2. Hauptpflicht und Nebenpflichten
  • A. Die Hauptpflicht des Arbeitnehmers
  • I. Schuldner und Gläubiger der Arbeitsleistung
  • 1. Schuldner
  • 2. Gläubiger
  • II. Art der Arbeitsleistung
  • III. Ort der Arbeitsleistung
  • IV. Zeit der Arbeitsleistung
  • B. Das Nebenpflichtenprogramm
  • I. Rechtsgrundlage der Nebenpflichten
  • II. Einzelne Nebenpflichten
  • 1. Unselbständige Nebenpflichten
  • 2. Selbständige Nebenpflichten
  • § 3. Zwischenergebnis
  • Drittes Kapitel: Der Leistungsmaßstab im Arbeitsverhältnis
  • § 1. Einführung in die Problematik und Begriffsfragen
  • § 2. Die Lehre vom subjektiven Leistungsmaßstab
  • A. Die Verpflichtung zur persönlichen Bestleistung (subjektiv-optimaler Leistungsmaßstab)
  • B. Die Verpflichtung zur angemessenen Ausschöpfung des individuellen Leistungsvermögens
  • I. Die herrschende Lehre
  • II. Die Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts
  • 1. Der „Gitter-Fall“ vom 20.3.1969
  • a) Entscheidung
  • b) Stellungnahme
  • 2. Der „Schwangeren-Fall“ vom 17.7.1970
  • a) Entscheidung
  • b) Stellungnahme
  • 3. Der „Kommissionierer-Fall“ vom 11.12.2003
  • a) Entscheidung
  • b) Stellungnahme
  • 4. Der „Akquise-Fall“ vom 3.6.2004
  • a) Entscheidung
  • b) Stellungnahme
  • 5. Der „Sorter-Versand-Fall“ vom 17.1.2008
  • a) Entscheidung
  • b) Stellungnahme
  • III. Die Rechtsprechung der Instanzgerichte
  • 1. Erfordernis und Inhalt einer Abmahnung wegen Leistungsmängeln
  • 2. Methodik der Feststellung von Leistungsdefiziten
  • 3. Erfordernis einer betrieblichen Beeinträchtigung
  • 4. Zeitliche Aspekte der Leistungsdokumentation
  • C. Kritik an der Lehre vom subjektiven Leistungsmaßstab
  • I. Die Überbetonung der „Höchstpersönlichkeit“ der Leistungspflicht
  • II. Das Paradigma der fehlenden Erfolgsbezogenheit des Dienstvertrages
  • 1. Abgrenzung zwischen Dienstvertrag und Werkvertrag
  • a) Abgrenzung nach der Erfolgsbezogenheit der Tätigkeit
  • b) Weitere Abgrenzungsversuche
  • c) Abgrenzung nach der Entgeltrisikoverteilung
  • 2. Zwischenergebnis
  • III. Gefahr einer Relativierung der Arbeitspflicht
  • IV. Unterschiedliche Maßstäbe für Haupt- und Nebenpflichten
  • V. Unterschiedliche Maßstäbe im Außen- und Innenverhältnis
  • D. Zwischenergebnis
  • § 3. Die Lehre vom objektiven Leistungsmaßstab
  • A. Der Maßstab der Normalleistung
  • B. Der Maßstab der Durchschnittsleistung
  • I. Persönlicher Bezugspunkt einer Durchschnittsleistung
  • II. Zeitlicher Bezugspunkt einer Durchschnittsleistung
  • III. Ungeeignetheit bei qualitativen Leistungsdefiziten
  • IV. Zwischenergebnis
  • C. Dogmatischer Anknüpfungspunkt der Lehre vom objektiven Leistungsmaßstab: Der Maßstab des § 243 Abs. 1 BGB
  • I. Direkte Anwendung des § 243 Abs. 1 BGB
  • II. Analoge Anwendung des § 243 Abs. 1 BGB
  • 1. Handlungsschulden als Gattungsschulden
  • 2. Planwidrige Regelungslücke
  • 3. Vergleichbare Interessenlage
  • a) Die Zuweisung der Leistungsgefahr bei Gattungssachschulden und bei der Arbeitspflicht
  • b) Berücksichtigung der Verteilung der Gegenleistungsgefahr
  • III. Zwischenergebnis zu einer analogen Anwendung des § 243 Abs. 1 BGB
  • D. Zwischenergebnis zur Lehre vom objektiven Leistungsmaßstab
  • § 4. Vermittelnde Ansätze
  • A. Die Ansicht von Tillmanns
  • I. Lösungsansatz
  • II. Stellungnahme
  • B. Die Ansicht von Fahl
  • I. Lösungsansatz
  • II. Stellungnahme
  • C. Die Ansicht von Maschmann
  • I. Lösungsansatz
  • II. Stellungnahme
  • D. Die Ansicht von Tschöpe
  • I. Lösungsansatz
  • II. Stellungnahme
  • § 5. Eigene Lösung: Analoge Anwendung des § 59 HGB
  • A. Ausgangssituation
  • B. Die Vorschrift des § 59 HGB
  • I. Anwendungsbereich und heutige Relevanz des § 59 HGB
  • 1. Anwendungsbereich
  • 2. Heutige Relevanz des § 59 HGB
  • II. Der objektive Maßstab des § 59 HGB
  • 1. Regelungsgehalt des § 59 HGB in Bezug auf die gegenseitigen Hauptleistungspflichten
  • a) Der Vergütungsanspruch des Handlungsgehilfen
  • aa) Vertragliche Vereinbarung
  • bb) Die dem Ortsgebrauch entsprechende Vergütung
  • cc) Die angemessene Vergütung
  • b) Die Dienstleistungspflicht des Handlungsgehilfen
  • aa) Vertragliche Vereinbarung
  • bb) Die dem Ortsgebrauch entsprechenden Dienste
  • (1) Ortsgebrauch und Umfang der zu leistenden Dienste
  • (2) Ermittlung des Umfangs
  • (a) Betriebsinterne Dokumentations- und Bewertungssysteme
  • (b) Auskünfte und Gutachten der Industrie- und Handelskammern
  • (c) Vergleichsgruppenbildung
  • (d) „Spannbreite“ der Üblichkeit
  • cc) Die angemessenen Dienste
  • 2. Zwischenergebnis zum Regelungsgehalt des § 59 HGB
  • C. Voraussetzungen eines Analogieschlusses
  • I. Analogieverbot?
  • II. Planwidrige Regelungslücke
  • 1. Feststellung einer Regelungslücke
  • 2. Planwidrigkeit der Regelungslücke
  • 3. Ausfüllung der Regelungslücke durch Analogieschluss
  • a) Gesetzesanalogie
  • b) Rechtsanalogie
  • aa) Die Herleitung eines Rechtsgrundsatzes aus § 59 HGB
  • (1) Ratio legis des § 59 HGB
  • (2) Formulierung eines Rechtsgrundsatzes
  • bb) Verallgemeinerungsfähigkeit des Rechtsgrundsatzes
  • (1) Gleichbehandlungsgebot
  • (a) Vergleichbarkeit der Sachverhalte
  • (b) Keine entgegenstehenden Besonderheiten im allgemeinen Arbeitsvertragsrecht
  • (2) Weitere Auffangregelungen im Schuldrecht
  • III. Zwischenergebnis zur Ausfüllung der Regelungslücke durch Analogie
  • D. Ergebnis zur eigenen Lösung
  • § 6. Ergebnis zu der Frage nach dem Leistungsmaßstab im Arbeitsverhältnis
  • Viertes Kapitel. Einordnung in das Leistungsstörungs- und Kündigungsrecht
  • § 1. Begriffsfragen
  • A. Der Begriff der „Schlechtleistung“
  • B. Der Begriff der „Minderleistung“
  • C. Stellungnahme
  • § 2. Abgrenzung der Schlecht- bzw. Minderleistung von der (teilweisen) Nichtleistung
  • § 3. Reaktionsmöglichkeiten des Arbeitgebers
  • A. Mitarbeitergespräch
  • B. Umschulungs- und Fortbildungsmaßnahmen
  • C. Minderung
  • D. Zurückbehaltungsrecht
  • E. Kündigung
  • I. Ordentliche Kündigung
  • 1. Kündigung zur Entgeltreduzierung?
  • a) Teilkündigung zur Entgeltreduzierung
  • b) Änderungskündigung zur Entgeltreduzierung
  • 2. Verhaltensbedingte Kündigung
  • a) Pflichtverletzung
  • b) Abmahnung
  • c) Verschulden
  • d) Negative Zukunftsprognose
  • e) Ultima-Ratio-Prinzip
  • f) Interessenabwägung
  • g) Darlegungs- und Beweislast
  • aa) Quantitative Leistungsdefizite
  • bb) Qualitative Leistungsdefizite
  • 3. Personenbedingte Kündigung
  • a) Anforderungen an die personenbedingte Kündigung wegen Leistungsmängeln unter Berücksichtigung der „Kommissionierer-Entscheidung“ vom 11.12.2003
  • aa) Störungen im Austauschverhältnis
  • bb) Die 1/3-Grenze als Erheblichkeitsschwelle
  • cc) Stellungnahme
  • b) Negative Zukunftsprognose
  • c) Ultima-Ratio-Prinzip
  • aa) Möglichkeit einer anderweitigen Beschäftigung
  • bb) Erfordernis einer Abmahnung?
  • (1) Streitstand
  • (2) Stellungnahme
  • d) Interessenabwägung
  • e) Darlegungs- und Beweislast
  • 4. Betriebsbedingte Kündigung
  • II. Außerordentliche Kündigung
  • 1. Quantitative Leistungsdefizite
  • 2. Qualitative Leistungsdefizite
  • III. Kündigung wegen Leistungsmängeln im Kleinbetrieb
  • IV. Zwischenergebnis zur Kündigung wegen Leistungsmängeln
  • F. Schadensersatz
  • I. Schadensersatz statt der Leistung
  • 1. Schadensersatz statt der Leistung gemäß § 280 Abs. 1, 3 i.V.m. § 283 BGB
  • 2. Schadensersatz statt der Leistung gemäß § 311a Abs. 2 BGB
  • II. Schadensersatz neben der Leistung gemäß § 280 Abs. 1 BGB
  • 1. Pflichtverletzung
  • 2. Verschulden
  • a) Verschuldensmaßstab
  • aa) Vorsatz
  • bb) Fahrlässigkeit
  • b) Beweislast
  • 3. Schaden
  • a) Differenzhypothese
  • b) Haftungsmilderung nach den Grundsätzen des innerbetrieblichen Schadensausgleichs
  • 4. Minderung durch Aufrechnung mit einem Schadensersatzanspruch
  • III. Zwischenergebnis zum Schadensersatz bei Leistungsmängeln
  • G. Vertragsstrafenregelungen
  • H. Ergebnis zu den Reaktionsmöglichkeiten des Arbeitgebers
  • Fünftes Kapitel. Zusammenfassung der wesentlichen Ergebnisse
  • Literaturverzeichnis

Erstes Kapitel. Einführung

§ 1.  Gegenstand und Anlass der Untersuchung

Es ist schon lange kein Geheimnis mehr, und die Folgen bekommen nahezu alle Arbeitnehmer zu spüren: Deutsche Unternehmen müssen sich leistungsorientierter organisieren, um auf den internationalisierten Märkten wettbewerbsfähig zu bleiben. In den Worten von Bundeskanzlerin Angela Merkel hört sich das so an: „Wir müssen besser sein als andere, und zwar immer so viel besser, wie wir teurer sind.“1 Dementsprechend rücken in jüngerer Zeit auch sog. „Low Performer“ (zu Deutsch: Minderleister) in das Interesse der Personalabteilungen. Gelingt es dem Arbeitgeber nicht, den betroffenen Arbeitnehmer zu „besseren“ Leistungen zu motivieren2, wird er in der Regel versuchen, das Arbeitsverhältnis durch Kündigung zu beenden.3 Aus arbeitsrechtlicher Sicht ist für diese Versuche entscheidend, was der Arbeitnehmer überhaupt zu leisten verpflichtet ist. Denn nur wenn diese Vorfrage beantwortet ist, kann darüber geurteilt werden, ob der Arbeitnehmer seine Arbeitspflicht verletzt hat und eine entsprechende Reaktion des Arbeitgebers gewärtigen muss, wenn er seine Leistung nicht anpasst. Da dem Dienstvertragsrecht ein Gewährleistungsrecht fremd ist, sind die Sanktionsmöglichkeiten in der Hand des Arbeitgebers limitiert. Das hat gute Gründe: „Arbeitsrecht ist Arbeitnehmerschutzrecht“4. ← 17 | 18 →

Gleichwohl besteht ein anerkennenswertes Interesse des Arbeitgebers, seinen Arbeitnehmern das abzuverlangen, was nötig ist, um im Wettbewerb bestehen zu können. Verbreitet wird aber das Fehlen eines Gewährleistungsrechts sowie die Verpflichtung zur höchstpersönlichen Leistungserbringung (§ 613 S. 1 BGB) herangezogen, um einen subjektiven Leistungsmaßstab im Arbeitsrecht zu begründen. In verschiedenen Nuancen wird postuliert, der Arbeitnehmer schulde lediglich den Einsatz seiner individuellen Fähigkeiten, keinesfalls hingegen eine objektive „Normalleistung“. Diese Ansicht kann bislang ohne weiteres als die herrschende Meinung in Rechtsprechung und Literatur bezeichnet werden.5 Da in Zeiten des Wirtschaftswunders Arbeitsplatzüberhang herrschte und auch später noch schwächere Leistungen von den Arbeitgebern regelmäßig hingenommen wurden, kamen Kündigungen wegen Schlecht- bzw. Minderleistungen praktisch kaum vor.6 Auch die gängige Praxis des Abfindungsvergleichs hat das Entstehen einer ausdifferenzierten Judikatur zu dieser Frage lange Zeit verhindert.7 Gerade der Effizienzdruck, welcher auf den Unternehmen immer stärker lastet, hat aber dazu geführt, dass in jüngster Zeit die Frage nach dem Leistungsmaßstab im Arbeitsverhältnis wieder aufgegriffen wird und die herrschende Meinung zunehmend auf Widerstand stößt.8 ← 18 | 19 →

Das Bundesarbeitsgericht hat demgegenüber in den Jahren 2003 und 2008 noch einmal grundsätzlich Stellung zugunsten eines subjektiven Leistungsmaßstabs bezogen.9 Der Arbeitnehmer schulde das „Wirken“, nicht das „Werk“.10 Dieser Ansicht liegt das berechtigte Anliegen zugrunde, den Arbeitnehmer vor Sanktionen zu schützen, wenn seine Leistungsfähigkeit etwa alters- oder krankheitsbedingt abnimmt.11 Zudem soll nicht jede kleinere Fehlleistung sogleich als Schlecht- oder Minderleistung qualifiziert werden. Was ihre Zielrichtung anbelangt, fällt es daher sicherlich nicht schwer, der subjektiven Theorie zuzustimmen. Allerdings begegnet die Versubjektivierung des Leistungsmaßstabs noch zu erörternden methodischen Bedenken. Allgemein ist festzustellen, dass nach wie vor erhebliche Unsicherheit bei der Herleitung des Pflichtenmaßstabs im Arbeitsverhältnis besteht. Dies bringt auch die folgende, unlängst geäußerte Bemerkung Hromadkas im Rahmen des 19. Passauer Arbeitsrechtssymposiums auf den Punkt:

„Nach 150-jähriger Beschäftigung von Rechtsprechung und Rechtswissenschaft mit dem Arbeitsrecht sollte man meinen, dass die Fragen, was der Arbeitnehmer schuldet, wie viel davon und wann, geklärt sind, und dass auch klar ist, was dazu vereinbart werden kann. Bei näherem Hinsehen zeigt sich aber, dass dem keineswegs so ist.“12

§ 2.  Ziel und Gang der Untersuchung

Der Schwerpunkt der vorliegenden Arbeit wird deshalb darauf liegen, einen Beitrag zur Beantwortung der Frage nach dem Pflichtenmaßstab im Arbeitsverhältnis zu leisten. Hierbei gilt es, einen gerechten Ausgleich zwischen den gegenläufigen Arbeitnehmer- und Arbeitgeberinteressen zu suchen, ohne den Anspruch an einen systematisch widerspruchsfreien Lösungsansatz aufzugeben. Es wird sich zeigen, dass die Auffassung, der Arbeitnehmer schulde lediglich das ← 19 | 20 → ihm persönlich Mögliche, nicht haltbar ist. Er ist nicht zu einer an einem individuellen Maßstab zu messenden Leistung verpflichtet, sondern zu einer Arbeitsleistung, die – um es an dieser Stelle noch grob zu formulieren – einer objektiv zu bestimmenden Verkehrserwartung entspricht. Der Leistungsmaßstab ist somit ein objektiver. Diese Überlegung ist zwar nicht neu, indessen besteht über die konstruktive Herleitung eines objektiven Leistungsmaßstabs bis heute keine Einigkeit. Maschmann formulierte es unlängst sogar so:

„Die Versuche, die bislang unternommen wurden, dürfen als gescheitert gelten.“13

Grund genug also, sich dieser Aufgabe erneut anzunehmen. Dass mit der Verpflichtung zur Einhaltung objektiver Standards keine unbillige Benachteiligung des Arbeitnehmers verbunden ist, wird anhand einer differenzierten Anwendung der Reaktionsmöglichkeiten gezeigt werden, die dem Arbeitgeber im Fall von Schlecht- und Minderleistungen zur Verfügung stehen. Sowohl im Rahmen eines Schadensersatzanspruches als auch im Fall einer Kündigung sind die vorhandenen Instrumente ausreichend, um unbillige Ergebnisse zu vermeiden, ohne Pflichteninhalt oder Verschuldensmaßstab unnötig zu relativieren.

Die Untersuchung beginnt mit einer Übersicht über das allgemeine Pflichtenprogramm des Arbeitnehmers (Zweites Kapitel). Anschließend folgt im Dritten Kapitel eine umfassende Erörterung der Frage nach dem Maßstab, der an diese Pflichten anzulegen ist. Neben einer ausführlichen Auseinandersetzung mit den hierzu vertretenen Ansichten in Rechtsprechung und Literatur erfolgt an dieser Stelle auch die Entwicklung eines eigenen Lösungsvorschlags. Eine Einordnung der Ergebnisse in das Leistungsstörungs- und Kündigungsrecht folgt sodann im Vierten Kapitel der Arbeit. In diesem Zusammenhang wird besonderer Wert darauf gelegt, eine interessengerechte Anwendung der zur Verfügung stehenden rechtlichen und außerrechtlichen Reaktionsmöglichkeiten des Arbeitgebers im Umgang mit Minderleistern zu gewährleisten, soweit dies de lege lata möglich ist. ← 20 | 21 →

                                                   

    1.  Regierungserklärung der Bundeskanzlerin Angela Merkel vom 30. 11. 2005, PLPR 16/04, S. 85.

    2.  Dies geschieht in erster Linie anhand von Prämienlohnsystemen und Zielvereinbarungen, durch die Leistungskriterien immer stärker auch im Bereich des Zeitlohns Einzug halten, vgl. Maschmann, NZA-Beil. 1/2006, 13.

    3.  Nach der berühmten „Welch-Regel“ des ehemaligen Chefs des US-Unternehmens General Electric, Jack Welch, soll die Belegschaft eines Unternehmens stets in einem „20–70–10“-System erfasst werden können. Die besten 20% sollten mit Boni belohnt, die schwächsten 10% entlassen werden. Ein ähnliches Konzept hat der ehemalige Personalchef des Unternehmens Infineon, Jürgen Buschmann, implementiert. Danach sollten jedes Jahr die schwächsten 5% der Mitarbeiter gekündigt werden. Das Konzept ist im Jahr 2003 aufgegeben worden, vgl. hierzu Reinsch, Süddeutsche Zeitung v. 26.4.2009, www.sueddeutsche.de/jobkarriere/699/466283/text/.

    4.  Z.B. Schaub/Vogelsang, § 152, Rn. 1.

    5.  BAG, Urt. vom 20.3.1969, – 2 AZR 283/68, AP Nr. 27 zu § 123 GewO; BAG, Urt. vom 17.7.1970, – 3 AZR 423/68, BAGE 22, 402 ff.; BAG, Beschl. vom 14.1.1986, – 1 ABR 75/83, AP § 87 BetrVG 1972 Ordnung des Betriebes Nr. 10 m. Anm. v. Hoyningen-Huene; BAG, Urt. vom 11.12.2003, – 2 AZR 667/02, BAGE 109, 87 ff.; BAG, Urt. vom 17.1.2008, – 2 AZR 536/06, BAGE 125, 257 ff.; Brune, AR-Blattei SD 1420 (Schlechtleistung), Rn. 13; Depel/Raif, SAE 2005, 88, 89; Gotthardt, Arbeitsrecht nach der Schuldrechtreform, Rn. 22; Hanau/Adomeit, S. 183 f., Rn. 684; Lessmann, FS E.Wolf, S. 395, 397; Maschmann, NZA-Beil. 1/2006, 13, 15; MüKo/Müller-Glöge, § 611, Rn. 19; ErfK/Preis, § 611 BGB, Rn. 643ff.; Preis/Hamacher, Jura 1998, 11, 12; MüArbR/Reichold, § 36, Rn. 41; Staudinger/Richardi/Fischinger, § 611, Rn. 532; Richardi, NZA 2002, 1004, 1011; Rüthers, ZfA 1973, 399, 403; Wellhöner/Barthel, AuA 2005, 400.

    6.  Söllner, in: Tomandl, Entgeltprobleme, S. 92 f; vgl. auch Maschmann, NZA-Beil. 1/2006, 13.

    7.  Vgl. hierzu Becker, Die unzulässige Einflussnahme des Arbeitgebers auf die Entscheidungsfreiheit des Arbeitnehmers am Beispiel des arbeitsrechtlichen Aufhebungsvertrages, S. 22, der ebenfalls konstatiert, dass sich der Abschluss eines Aufhebungsvertrages zu einer ernstzunehmenden Alternative zu einer Kündigung entwickelt hat.

    8.  Aus jüngerer Zeit etwa Hunold, BB 2003, 2345 ff.; Singer/Schiffer, JA 2006, 833 ff.; Tschöpe, BB 2006, 213 ff.; Verstege, Die Kündigung wegen geminderter Leistung des Arbeitnehmers, S. 78 ff.; v. Hoyningen-Huene/Linck/Krause, § 1 KSchG, Rn. 451 u. 684.

    9.  BAG, Urt. vom 11.12.2003, – 2 AZR 667/02, BAGE 109, 87 ff.; BAG, Urt. vom 17.1.2008, – 2 AZR 536/06, BAGE 125, 257 ff.

  10.   BAG, Urt. vom 11.12.2003, – 2 AZR 667/02, BAGE 109, 87, 92.

  11.  Ob es grundsätzlich so ist, dass mit zunehmendem Alter die Leistungsfähigkeit abnimmt, darf – jedenfalls für geistige Tätigkeiten – allerdings bezweifelt werden.

  12.  NZA-Beil. 1/2006, 1; ganz ähnlich in der Formulierung und auch im Ausdruck des Erstaunens über die stiefmütterliche Behandlung dieses Fragenkreises in Schrifttum und Rechtsprechung bereits Söllner, in: Tomandl, Entgeltprobleme, S. 93: „Man sollte annehmen, dass diese Fragen im Arbeitsleben eine nicht geringe Rolle spielen, höchstrichterliche Entscheidungen zu diesem Problemkreis sind jedoch selten, und man kann auch nicht sagen, dass diese Fragen im Zentrum der Arbeitsrechtswissenschaft stünden“.

  13.  Maschmann, NZA-Beil. 1/2006, 13, 15.

Zweites Kapitel.  Die Pflichten des Arbeitnehmers aus dem Arbeitsverhältnis

Eine Untersuchung des Leistungs- bzw. Pflichtenmaßstabs macht es erforderlich, zunächst Klarheit über den Bezugsgegenstand herzustellen, auf den ein solcher Maßstab anzuwenden ist. Die Pflichten des Arbeitnehmers sollen deshalb nachfolgend in der gebotenen Kürze dargestellt werden.

§ 1.  Rechtsquellen des Pflichtenprogramms

Die Pflichten des Arbeitnehmers ergeben sich in erster Linie aus dem Arbeitsvertrag. Daneben wird das Pflichtenprogramm von anwendbaren Betriebsvereinbarungen, Tarifverträgen und gesetzlichen Vorschriften geprägt.

A.  Arbeitsvertrag

Gemäß § 611 Abs. 1 BGB wird durch den Dienstvertrag derjenige, welcher Dienste zusagt, zur „Leistung der versprochenen Dienste“ verpflichtet. Dies ist Ausfluss der auch für den Arbeitsvertrag verfassungsrechtlich gewährleisteten Vertragsfreiheit (Art. 2 Abs. 1 GG). Die von den Arbeitsvertragsparteien privatautonom gesetzten Regelungen werden nur dann von normativ wirkenden Kollektivvereinbarungen der Betriebs- oder Sozialpartner oder von zwingendem Gesetzesrecht überlagert, wenn sie mit diesen in Konflikt geraten. Angesichts der weitreichenden Arbeitsschutzgesetzgebung ist das freilich häufig der Fall, weshalb auch davon gesprochen werden kann, dass die individuelle Vertragsfreiheit im Arbeitsvertragsrecht durch die Arbeitsschutzgesetzgebung eine weitgehende Einschränkung erfahren hat.14 Darüber hinaus hat das Bundesverfassungsgericht den Zivilgerichten aufgegeben, in Fällen gestörter Vertragsparität zur Sicherung des Grundrechtsschutzes und zur Verwirklichung der objektiven Grundentscheidungen des Grundrechtsabschnitts und des Sozialstaatsprinzips korrigierend einzugreifen.15 Vor der Schuldrechtsreform hat das Bundesarbeitsgericht diesen Schutzauftrag im Wege einer Anwendung der allgemeinen ← 21 | 22 → zivilrechtlichen Generalklauseln (§§ 138, 242, 315 BGB) wahrgenommen.16 Seit dem Jahr 2002 stehen für die Inhaltskontrolle von Arbeitsverträgen gemäß § 310 Abs. 4 S. 2 BGB die §§ 305–310 BGB zur Verfügung.

Details

Seiten
241
Jahr
2014
ISBN (PDF)
9783653048551
ISBN (ePUB)
9783653981629
ISBN (MOBI)
9783653981612
ISBN (Paperback)
9783631652374
DOI
10.3726/978-3-653-04855-1
Sprache
Deutsch
Erscheinungsdatum
2014 (September)
Schlagworte
Arbeitnehmer Rechtsprechung § 59 HGB subjektive Theorie
Erschienen
Frankfurt am Main, Berlin, Bern, Bruxelles, New York, Oxford, Wien, 2014. 241 S.

Biographische Angaben

Florian Schiffer (Autor:in)

Florian Schiffer studierte Rechtswissenschaften an der Freien Universität Berlin und der University of Glasgow. Der Autor ist derzeit als Rechtsanwalt tätig.

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