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Migration und kulturelle Diversität

Tagungsbeiträge des XII. Internationalen Türkischen Germanistik Kongresses- Bd. II: Sprachwissenschaft und Sprachdidaktik

von Metin Toprak (Band-Herausgeber:in) Imran Karabag (Band-Herausgeber:in)
©2015 Konferenzband 304 Seiten

Zusammenfassung

Während im ersten Band die literatur- und übersetzungswissenschaftlichen Beiträge des XII. Türkischen Internationalen Germanistik Kongresses im Mai 2014 (Kocaeli/Türkei) dokumentiert waren, versammelt der zweite Band dementsprechend die Beiträge aus den Bereichen Sprachdidaktik und Sprachwissenschaft. Auch die in diesem Band präsentierten Beiträge aus dem Bereich der Sprachwissenschaft sind vielfältig, knüpfen aber in aller Breite an den Titel des Kongresses an. Migration und kulturelle Diversität spiegeln sich nicht nur in der Literatur, sondern auch in der Sprache wider, aus der die Literatur schöpft. Infolgedessen kann man die Veränderungen der Sprache und des Spracherwerbs in verschiedenen neuen Ansätzen innerhalb des DaF-Unterrichts wiederfinden.

Inhaltsverzeichnis

  • Cover
  • Titel
  • Copyright
  • Autorenangaben
  • Über das Buch
  • Zitierfähigkeit des eBooks
  • Vorwort
  • Inhaltsverzeichnis
  • I. Sprachwissenschaft
  • Der Einfluss der Migration auf die Sprache
  • Einleitung
  • Gründe und Folgen der Migration
  • Die Sprache der Wolga-Türken
  • Die Sprachen der Indianer (Indigene Sprachen)
  • Einfluss der deutschen Emigranten-Professoren auf die türkische Kultur und Sprache
  • Einfluss der Migration auf die deutsche Sprache
  • Schlussbemerkungen
  • Literatur
  • Sprachenvielfalt als Bestandteil kultureller Diversität
  • Literatur
  • Soziale und sprachliche Ressourcen im Kontext der deutsch-türkischen Remigration
  • Gegenstand und Ziel
  • 1. Problemstellung und Forschungsstand
  • 2. Was versteht man unter Mehrsprachigkeit?
  • 3. Mehrsprachigkeit bei den Rückkehrer/innen
  • 3.1 Typen von „Rückkehrer/innen“
  • 3.2 Deutsch-Türkische Mischungen in der Ingroup-Kommunikation
  • 4. Die soziale Bedeutung des Bilingualismus
  • 5. Zusammenfassung und Ausblick
  • ANHANG: Transkriptionskonventionen GAT2 (SELTING et al. 2009)
  • Literatur
  • Motivationen und Methoden deutscher Frauen beim Erwerb der türkischen Sprache
  • 1. Einleitung
  • 1.1 Einblick in Lebenssituationen deutschsprachiger Migrantinnen und Migranten in der Türkei in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts
  • 1.2 Treffpunkte deutschsprachiger Personen in der Gegenwart
  • 2. Datengewinnung und Beschreibung der befragten Gruppe
  • 3. Zum Türkischerwerb der befragten Frauen
  • 3.1 Selbsteinschätzung im Hinblick auf die Türkischkompetenz
  • 3.2 Die Bedeutung der türkischen Sprache in der täglichen Kommunikation
  • 4. Schlussbemerkung
  • Literatur
  • Mangel an Ausdrucksmöglichkeiten? Zum angloamerikanischen Einfluss auf die deutsche Sprache
  • Einleitung
  • Warum werden die Wörter entlehnt?
  • Denglisch, Anglodeutsch
  • Welche Formen der Entlehnung finden sich im Lexikon?
  • Die sog. „Falsch-“oder „Scheinentlehnungen“
  • Funktionen der Fremdwörter
  • Literatur
  • Anglizismen in der deutschen Gegenwartssprache
  • Literatur
  • Eine textlinguistische und kontrastive Analyse deutscher, englischer, slowakischer und türkischer Fachzeitschriftenartikel
  • Einleitung
  • Forschungsstand
  • Analysekorpus
  • Ergebnisse der Makrostrukturanalyse
  • Analyseergebnisse der stilistischen Merkmale
  • Schluss
  • Literatur
  • Korpus
  • -Deutsch-
  • -Englisch-
  • -Slowakisch-
  • -Türkisch-
  • Emigration nach Deutschland und die sprachliche Entwicklung der Migranten
  • Einleitung
  • Gastarbeiterdeutsch
  • „Kanak Sprak“
  • Nach Peter Auer hat Kanakisch drei Entwicklungsstufen?
  • Kiezdeutsch
  • Schluss
  • Literatur
  • Onlinequellen
  • Analyse und interkultureller Vergleich von Wissenschaftstexten in germanistischen Doktorandenkolloquien an der Universität Istanbul
  • 1. Einleitung
  • 2. Überblick über kontrastive Analysen zu Wissenschaftstexten
  • 3. Darstellung des textlinguistischen Analysemodells
  • 3.1 Textexterne Kriterien
  • 3.2 Textinterne Kriterien
  • 3.2.1 Makrostruktur
  • 3.2.2 Stilistische Merkmale
  • Schlussbemerkungen
  • Anhang: Das textlinguistische Analysemodell
  • Literatur
  • II. Sprachdidaktik
  • Ein Einblick in das Bildungs- und Ausbildungsprogramm der reformierten Lehrerausbildung in Nordrhein-Westfahlen im Vergleich zu anderen europäischen Ländern und der Türkei
  • Einführung
  • Der Studienbesuch in Köln-Leverkusen
  • Die reformierte Lehrerausbildung in NRW im Vergleich zu der Türkei
  • Schlussfolgerung
  • Literatur
  • Onlinequellen
  • Möglichkeiten der Multiliteralität im fremdsprachlichen Klassenraum. Darstellung eines EU-Projekts
  • Schlussfolgerung
  • Literatur
  • Selbständigkeit als Schlüsselkompetenz: Autonomes Lernen durch DaF-Lehrwerke?
  • Literatur
  • Die Lehrwerke für fremdsprachlichen Deutschunterricht im Bereich Tourismus an der Anadolu Universität
  • 1. Einführung
  • 2. Die Definition und Komponenten der Fernlernangebote
  • 3. Die Distance and Open-Source-Lernplattform an der Anadolu Universität
  • 4. Der Anwendungskontext der Lehrwerke für den DaF-Unterricht im Fernstudium
  • 5. Die Entstehung der Lehrwerke Deutsch als Fachsprache für Tourismus
  • 6. Das mit dem Akkreditierungsprozess zusammenhängende neue DaF-Lehrbuch
  • 7. Die externen und internen Determinanten
  • 8. Die Komponenten der neuen Lehrwerke Deutsch für Tourismus I-II
  • 8.1 Lehrbuch vs. elektronisches Lehrbuch
  • 8.2 Lern- und Testaufgaben bzw. Selbstlernübungen über das Internet
  • 8.3 Videokonferenzbasierter Fernunterricht
  • 8.4 e-Seminar bzw. Audio- und Videokommunikation
  • 8.5 Synchrone oder asynchrone Betreuung von Studierenden über ein virtuelles Netzwerk
  • 9. Die in den neuen Lehrwerken verwendeten Stufungskriterien mit diversen Deskriptoren
  • 10. Empfehlungen zur Weiterentwicklung der Lehrwerke
  • Literatur
  • Entwicklung eines DaF/DaZ-Trainingsprogramms für DaF/DaZ-Lernende mit Türkisch als Muttersprache in Deutschland
  • Einführung in die Problematik
  • Definition und Beispiele für die Begriffe „Deutsch als Fremdsprache (DaF)“ und „Deutsch als Zweitsprache (DaZ)“
  • Gründe für die Wahl des Projekts
  • Prinzipien der Materialerstellung zur Verwirklichung des Projekts
  • Beispiele für die Aufgaben zum Thema Essen und Trinken
  • Schlussfolgerungen / Ausblick
  • Literatur
  • Zur emotionalen Transaktion zwischen Lehrkräften und Grundschulkindern mit und ohne Migrationshintergrund: Ergebnisse einer empirischen Studie
  • Zur Forschungslage
  • ‚Akzeptanz durch die Lehrkraft‘ als Faktor für die schulische Integration von Grundschulkindern mit und ohne Migrationshintergrund
  • Implementierungen für die Praxis
  • Literatur
  • Internetquellen
  • Einstellung angehender Lehrpersonen zur Mehrsprachigkeit von Kindern: Eine qualitative Untersuchung nach der Grounded Theory
  • Einleitung
  • Bilingualität und Bilinguale Erziehung im 21. Jahrhundert
  • Analyse der Einstellung angehender Lehrpersonen zum mehrsprachigen Aufwachsen von Kindern
  • Datenerhebung
  • Datenanalyse
  • Ergebnisse der empirischen Studie und ihre Auswertung
  • Die Kategorie „mehrsprachiges Aufwachsen als Vorteil“
  • Die Kategorie „Mehrsprachigkeit als Ausgrenzung“
  • Die Kategorie „Sprachtrennung für den Bildungserfolg“
  • Einflussfaktor 1: Sprachtrennung zwischen Kindergarten / Schule und Elternhaus für den Bildungserfolg
  • Einflussfaktor 2: Aufteilung der Sprachen auf die Elternteile für den Bildungserfolg
  • Die Kategorie „Sprachmischung als Ursache für den Misserfolg in der Schule“
  • Diskussion der qualitativen Ergebnisse
  • Fazit
  • Literatur
  • Lernen durch Austausch: Ein länderübergreifendes Kooperationsseminar zum Thema „Migration“
  • Einleitung
  • Länderübergreifendes Lernen am Beispiel der Türkei
  • Konzeption des Kooperationsseminars
  • Seminarevaluation
  • Ausblick
  • Literatur
  • Erfahrungen von türkischen Deutschlehrer/innen an Gymnasien zum fremdsprachlichen Deutschunterricht
  • Einleitung
  • Das neue dreigliedrige Bildungssystem in der Türkei (4+4+4) und die Lage der Fremdsprache Deutsch
  • Methode
  • Forschungsgruppe und Forschungsansatz
  • Auswertung des Verfahrens
  • Befunde und Interpretationen
  • Ausblick
  • Literatur
  • Berufsorientierung der Absolventen der Deutschlehrerausbildung der Universität Trakya
  • Einführung
  • Wer wurde immatrikuliert und absolviert?
  • Warum eine Absolventenbefragung?
  • Grundlagen der Untersuchung
  • Die Erhebung
  • Ergebnisse
  • Ausblick
  • Literatur
  • Vergleich der Ergebnisse eines Projekts mit der Lehrveranstaltung „Kommunikationsfähigkeiten“ im Rahmen der Fertigkeit Sprechen am Beispiel der Universität Istanbul
  • Einführung
  • Deutschlehrerausbildung in der Türkei und Darstellung des Projekts
  • Persönlichkeitsmerkmale (Profil) der Probanden
  • Schematische Darstellung des Projekts bzgl. der Fertigkeit Sprechen
  • Vortest (Oktober 2010)
  • 3. Zwischenprüfung (Mai 2012)
  • Ergebnisse der vier Prüfungen bzgl. des Sprechens
  • Hintergrund der „erfolgreichen“ Studierenden
  • Lehrveranstaltung „Kommunikationsfähigkeiten“
  • Ausblick
  • Literatur
  • Interkulturelle Interaktion in der Deutschlehrerausbildung Eine vergleichende Studie
  • Die Basis der Arbeit
  • Durchführung der Studie
  • Probanden-Datensammlung
  • Die erste Phase (Vortest)
  • Die Assoziationen der Studierenden
  • Assoziationen über den Begriff „Deutsch“
  • Assoziationen über den Begriff „Deutschland“
  • Assoziationen über den Begriff „die Deutschen“
  • Die zweite Phase (Schlusstest)
  • Die Assoziationen der Studierenden
  • Assoziationen über den Begriff „Deutsch“
  • Assoziationen über den Begriff „Deutschland“
  • Assoziationen über den Begriff „die Deutschen“
  • Schlussfolgerung
  • Literatur
  • Förderung der mündlichen Interaktionskompetenz der angehenden Deutschlehrer in den Fachseminaren am Beispiel der Universität Istanbul
  • Forschungsfrage
  • Vorüberlegungen
  • Durchführung
  • Literatur
  • Sprachlernberatung für DaF-Studierende
  • Einleitung
  • Die Wichtigkeit der Sprachlernberatung
  • Die Beziehung zwischen Sprachlernberatung und Lernerautonomie
  • Allgemeine Ziele der Sprachlernberatung
  • Ziele des Sprachlernprojektes an der Universität Uludağ
  • Projektbeschreibung
  • Sprachlernberatungsinstrumente
  • Ablauf der Sprachlernberatung an der Universität Uludağ
  • Ausblick
  • Literatur
  • Die türkisch-deutsche Migrationslyrik im kreativen DaF-Unterricht
  • Türkisch-deutsche Migrationslyrik
  • Kreativität und Kreativitätsorientierung im Fremdsprachenunterricht
  • Umgang mit Lyrik bzw. Migrationslyrik im DaF-Unterricht
  • Über den Dichter Nevfel Cumart
  • Das Beispielgedicht „zeiten“
  • Begründung der Textauswahl für den DaF-Unterricht
  • Der Verlaufsplan für den kreativitätsorientierten DaF-Unterricht
  • Beschreibung der Zielgruppen und Niveaustufen
  • Ausblick und Zusammenfassung
  • Literatur
  • Internetquellen für Bilder

I. Sprachwissenschaft

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İmran Karabağ
(Türkei, Kocaeli)

Der Einfluss der Migration auf die Sprache

Einleitung

Seit den ersten Anfängen der Menschheit sind Mobilität und eng damit verbunden Migration als kulturübergreifende Phänomene auf allen Kontinenten und in allen Nationen zu sichten. Ziel dieser Arbeit ist es, sich infolgedessen zum Einen mit dem Begriff der Migration auseinanderzusetzen und zum Anderen den Einfluss der Migration mit Beispielen aus der Vergangenheit und Gegenwart, auf Kultur und Sprache darzustellen.

Als Migration wird im Allgemeinen die dauerhafte oder vorübergehende Übersiedlung der Menschen von ihren Geburtsorten zu anderen Orten definiert. Die Geschichte der Migration hat eine lange Vergangenheit. Nach Haarmann geht die Migrationsgeschichte zurück auf prähistorische Zeiten (seit 40.000 Jahren) (Haarmann 2006: 90). Diese ersten Migrationen gingen überwiegend vom südostasiatischen Festland aus. Und nach dieser Massenmigration wird die zweite Migrationswelle zwischen ca. 1500 und 1000 v. Chr. angesetzt. Diese zweite Migrationswelle ging von der Ostküste Neuguineas aus in verschiedene Richtungen (ebd.). Die Menschen übersiedeln schon seit tausenden von Jahren sowohl in ihrem Vaterland als auch in der Welt zu anderen Orten. Diese Definition führt uns zu den Begriffen Binnen- und Außenmigrationen. Binnenmigration oder interne Migration ist eine Migration an den Landgrenzen, d. h. innerhalb eines Staates. Außenmigration ist dagegen eine internationale Migration zwischen Ländern. Internationale Migration kann im Allgemeinen nach fünf Zielgruppen unterschieden werden. Die Zielgruppen einer internationalen Migration sind:

Gründe und Folgen der Migration

Migration kann haupsächlich in zwei Gruppen unterteilt werden: Erzwungene Migration und Freiwillige Migration. Von den Zielgruppen einer ← 13 | 14 → internationalen Migration zählt man Migration als Asyl und Migration als Austausch zwischen Menschen infolge eines Vertrags von zwei Staaten zur erzwungenen Migration. Migrationen von Arbeitern, Wissenschaftlern und Freiwilligen sind dagegen unter bestimmten Gesichtspunkten freiwillig. Früher mussten Migranten viel mehr aus zwingenden Gründen ihre Herkunftsländer verlassen. Viele Faktoren zwangen sie zur Auswanderung. Faktoren wie Krankheit, Hungersnot, Krieg, Invasion, Kolonisierung und Versklavung zählen zu den Gründen der zwingenden Migration. Unter den Migrationen möchte ich hier zwei Arten als Beispiel behandeln, die nach einem Krieg oder nach einer Invasion infolge der großen Zahl von Zuwanderern begannen und Einfluss auf die Sprache ausübten:

Die Sprache der Wolga-Türken

Die türkischen Völker und Mongolen lebten um 1200 in Sibirien nebeneinander. Als die Bedrohungen und Angriffe der Mongolen überall im südlichen Sibirien spürbar waren, begann im 12. Jahrhundert die Wanderbewegung türkischer Bevölkerungsgruppen. Wegen der Mongoleninvasion unter Dschinghis Khan erreichten die Migrationen türkischer Bevölkerungsgruppen, insbesondere die der Kiptschaken (auch genannt: Kumanen), im 13. Jahrhundert ihren Höhepunkt. Die Kiptschak-Türken verloren im Jahre 1227 bei dem Fluss Don im heutigen Russland den Krieg gegen die Mongolen. Ihr Khan flüchtete aus Todesangst nach Ungarn und bald hatte das Land seine Macht verloren. Infolge der Invasion verließen die Kiptschak-Türken aus Angst vor den Mongolen ihr Land und flüchteten in Massen in das Land der Wolga-Türken, die auch wissenschaftlich als Protobulgaren oder Türk-Bulgaren bezeichnet werden, und suchten hier Asyl. Obwohl durch die militärischen Angriffe der Mongolen auch das Land der Wolga-Bulgaren zerstört wurde, wanderten die Kiptschaken in zunehmendem Maße in diese Region. Im Laufe der Zeit ging die Kultur der Wolga-Bulgaren unter dem starken Einfluss der Kultur der Kiptschak-Türken verloren. Demzufolge verbreitete sich die Sprache der Kiptschak-Türken, die eine Mundart im türkischen Sprachraum ist, über das ganze Land und auch die Schriftsprache der Bulgar-Türken verlor ihren Wert und Anwendungsraum und ging in diesem Prozess verloren. Das ist eine Migrationsgeschichte, die zu einer Assimilation geführt und auch die Kultur und Sprache des Gastlandes verändert hat. Melek Özyetkin, Professorin für Turkologie an der Yıldız-Universität in Istanbul weist auf diese Sprachveränderung im 13. Jahrhundert hin, die durch die Migration in Massen stattgefunden hat (Özyetkin 2013: 149). Selbst heute wird in der autonomen Republik Tatarstan innerhalb der Russischen Föderation anstatt der Sprache ← 14 | 15 → der Bulgar-Türken nur die Sprache der Kiptschak-Türken gesprochen. Dieser Dialekt ist die zweite offiziell anerkannte Sprache neben Russisch. Heute werden die Tataren als Nachfolger der Kiptschak-Türken betrachtet. In diesem Sinne gehen Wissenschaftler davon aus, dass das heute verwendete Kasan-Tatarische eine neue Form der alten Kiptschak-Sprache ist. Es wurde schon festgestellt, dass auch die heutige kasan-tatarische Schriftsprache unter den Turksprachen ein Zweig des Kiptschak-Dialekts ist. Die Unterschiede zwischen den Mundarten der beiden Turksprachen (Türkisch und Kiptschak-Türkisch) und die Besonderheiten der Kiptschaksprache behandelte Kırzıoğlu in seinem Buch Die entlang der Flüsse Kura und Çoruh angesiedelten Kipcaken (Kırzıoğlu 1992).

Die Sprachen der Indianer (Indigene Sprachen)

Im 16. Jh. gründeten die Spanier das größte Kolonialreich der Welt. Nach der Kolonisierung Amerikas wurden in den neuen Kolonien Verwaltungsbauten und neue staatliche Organisationen gegründet. Nach diesen Zwangsorganisationen kamen viele Ansiedler in neue Regionen. Die Migration nach Amerika wurde vom spanischen Staat gefördert. Die Menschen verließen freiwillig ihr Vaterland und siedelten sich in Amerika an, weil diese neue Region mit ihrem Reichtum ihnen neue Gelegenheiten bot. Aus diesem Grund kann die Migration nach Amerika zu den Arten der freiwilligen und vom Staat geförderten Migrationen gezählt werden. Der Migration folgte dann ein Kulturtransfer. Ziel dieser Politik beschreibt Tanilli wie folgt:

Die Spanier mussten mit Einheimischen (Indianern) ein Volk gründen und Amerika musste dadurch eine Provinz des spanischen Staates sein. Und in diesem Punkt hatten die Spanier die Aufgabe, den Indianern ihre westlichen Lebensweisen beizubringen. Die erste Aufgabe war die Christianisierung der Indianer. Dann musste die kastilische Sprache mit all ihren Feinheiten und Besonderheiten gelehrt werden. Und zuletzt mussten alle spanischen Gewohnheiten mit ihren sozialen und politischen Einrichtungen vermittelt werden, u. a. Kleidung, Handlung und feierliche Veranstaltungen. (Tanilli 2007: 397)

Durch die Eroberung Amerikas breitete sich auch die spanische Sprache ab dem 16. Jahrhundert fast über den gesamten Kontinent aus und bald wurde das Spanische durch die Bildung und durch Gewaltanwendung offiziell anerkannt. Das war die Folge einer Politik von Integration durch Bildung. Die Sprachpolitik der Kolonisten wird im Allgemeinen so dargestellt:

In Nordamerika wurde der Gebrauch der indigenen Sprachen lange aktiv unterdrückt. Diese Politik fand ihren Höhepunkt in der sogenannten Termination mit dem Ziel, Indianer aus ihrem Stammesverbund zu lösen und als Individuen in die Gesellschaft ← 15 | 16 → zu integrieren. Dazu wurde insbesondere der Gebrauch von Indianer-Sprachen in der Schule strikt untersagt. Erst 1958 wurde dieses Ziel aufgegeben und seitdem gibt es zahlreiche Versuche, die nordamerikanischen Sprachen, wieder zu beleben.1

Die Migration nach Amerika durch Kolonisierung zeigt uns, dass die Kulturen und Sprachen von den Kolonisten vernichtet wurden.

Einfluss der deutschen Emigranten-Professoren auf die türkische Kultur und Sprache

Im 19. und 20. Jahrhundert veränderte sich mit den sozialen und politischen Entwicklungen der Ideologien die Form der Migration. Die transnationale Migration aus Deutschland in die Türkei begann erst, als Hitler an die Macht kam. Viele Akademiker, Politiker und Künstler deutscher Herkunft emigrierten in die Türkei und fanden in Istanbul oder Ankara Zuflucht. Das war eine erzwungene Migration, die auch als Flucht, Exil oder aber politische Verfolgung betrachtet werden kann. Fritz Neumark erzählt in seinem Buch Zuflucht am Bosporus von seinem zwei Jahrzehnte währenden Aufenthalt in der Türkei, von seinen Erfahrungen und Erinnerungen. Unter seinen Gefährten waren bekannte Akademiker aus verschiedenen Fachbereichen wie Ernst Reuter, Philipp Schwartz, Alexander Rüstow, Wilhelm Röpke, Friedrich Dessauer, Rudolf Nissen, Anton Fleck, Friedrich Hoffmann, Fritz Arndt, Leo Spitzer, Gerhard Kessler, Albert Malche und Josef Dobretsberger. Neben diesen Gelehrten muss ich hier auch die Namen bekannter Emigranten wie Hans Winterstein (Mediziner), Clemens Holzmeister (Architekt aus Österreich), Paul Hindemith (Komponist), Eduard Zuckmayer (Musikwissenschaftler), Karl Strupp und Ernst E. Hirsch (Völkerrechtler), Hans Reichenbach (Philosoph), Bruno Taut (Städtebauer), Carl Ebert (er kümmerte sich um den Aufbau einer modernen Oper), Paul Hindemith, Ernst Praetorius und Licco Amar (Musiker; sie gründeten das staatliche Konservatorium in Ankara), Hans Wilbrand (Agrarexperte), Georg Rohde (Altphilologe), Hans Güterbock (Hethitologe), Benno Landsberger (Assyrologe) erwähnen. Diese Wissenschaftler begründeten bedeutende Fakultäten an den Universitäten und schrieben für ihre Fächer Lehrbücher. Sie bildeten viele Studenten/-innen und Akademiker aus und übten wichtigen Einfluss auf das Kulturleben, insbesondere in akademischen Kreisen aus. Unter den Bedingungen ihrer Anstellungsverträge ergaben sich diese Auswirkungen. Neumark erzählt von den Bedingungen der Anstellungsverträge: „Der Professor war verpflichtet, sich zu bemühen, die ← 16 | 17 → türkische Sprache so schnell wie möglich zu erlernen und für seine Fächer Lehrbücher zu schreiben.“ (Neumark 1980: 20)

Nach Schätzungen von Neumark dürften mit Hochschullehrern und Künstlern über 100 Emigranten-Wissenschaftler in Istanbul und Ankara tätig gewesen sein. Neumark erwähnt in einem Teil des Buches den Einfluss deutschsprachiger Emigranten auf das türkische Kultur- und Wirtschaftsleben:

Es konnte nicht ausbleiben, daß die Tätigkeit einer so großen Zahl ausländischer Professoren an den Hochschulen Ankaras insbesondere Istanbuls einen tiefgreifenden Einfluß auf die Ausbildung der – nach geistigen Maßstäben – oberen Schichten des Landes ausübte. Bekanntlich betrachtete es die Regierung von Anfang an als eine unserer Hauptaufgaben, uns während unserer Vertragszeit sozusagen selbst überflüssig zu machen, das heißt bis zu deren Ablauf geeignete türkische Nachfolger in genügender Zahl auszubilden… Rein quantitativ war jedoch unser Einfluß hinsichtlich der Ausbildung von Juristen, Lehrern, Ingenieuren, Ärzten, Chemikern und Physikern, Mathematikern, Volkswirten usw. viel beträchtlicher. (Ebd., 249)

Neumark erzählt auch von Vorträgen, die sowohl in den Universitätsstädten als auch in mittleren Städten Anatoliens durch sogenannte Universitätswochen stattfanden. Diese Veranstaltungen förderten die Weiterbildung der Erwachsenen und machten die Menschen mit den Hochschularbeiten und den Professoren bekannt. Neben den Lehrbüchern sollten die Emigranten-Professoren auch in den Fakultäten Zeitschriften herausgeben und veröffentlichen. Die in Fremdsprachen geschriebenen Bücher wurden im Allgemeinen ins Türkische übersetzt. Die Beiträge in Fachzeitschriften wurden sowohl auf Türkisch als auch auf Englisch, Deutsch oder Französisch veröffentlicht (ebd., 253).

Emigranten-Professoren hielten ihre Vorlesungen im Allgemeinen in deutscher Sprache und die Assistenten, die etwas Deutsch verstehen konnten, übersetzten die Vorlesungen ins Türkische. In manchen Fällen hielten Professoren die Vorlesungen auch in französischer oder englischer Sprache. Neumark weist auf den Einfluss der ausländischen Professoren auf die Ausbildung hin:

Wie schon angedeutet, wurde die Ausbildung der Juristen, der Ärzte, der Naturwissenschaftler, der Sprachlehrer und schließlich die der Architekten in starkem Maße durch das Wirken der ausländischen Kollegen beeinflußt. Hinsichtlich des Sprachunterrichts war die Lage so, daß nicht zuletzt durch die von Leo Spitzer und anderen geförderte Errichtung einer Fremdsprachenschule, an der neben den deutschen und türkischen Professoren auch zahlreiche jüngere Assistenten tätig waren, für die bessere Ausbildung speziell in der deutschen Sprache gesorgt wurde. (Ebd., S. 262)

Auch der Einfluss der ausländischen Musiker und Künstler auf die Ausbildung und auf das Kulturleben der jungen Republik war wirksam und bedeutend. Neumark beschreibt diese Auswirkung: ← 17 | 18 →

Die Auswirkungen der Tätigkeit fremdsprachiger Musiker und anderer Künstler waren insbesondere hinsichtlich der Musikveranstaltungen in Form von Konzerten oder Opernaufführungen groß und nachhaltig. Neben den schon früher erwähnten Meistern, also vor allem Hindemith, Praetorius und Amar, seien noch genannt: Adolf Winkler, der Konzertmeister der ersten, und Gilbert Back, der Konzertmeister der zweiten Geigen des Ankaraer Orchesters war, sowie Walter Gerhard, der Violin- und Bratschenunterricht, und Friedrich Schönfeld, der Flötenunterricht am staatlichen Konservatorium erteilte. Viele von ihnen waren Österreicher und kamen erst nach dem „Anschluss“ ihrer Heimat an das Hitler-Reich in die Türkei. (Ebd., S. 263)

Die Hauptaufgabe der ausländischen Lehrer, Musiker und Künstler war vor allem, ihre Nachfolger heranzubilden. Neumark nennt einige türkische Wissenschaftler, die von deutschsprachigen Professoren verschiedener Disziplinen ausgebildet wurden. Es ist bekannt, dass auch die Emigranten-Musiker und Künstler viele Nachwuchskünstler ausgebildet haben. Sie haben viele Fakultäten, Institute und Konservatorien gegründet. Sie haben sich viel Mühe gegeben, Jungakademiker auszubilden, diese Einrichtungen zu institutionalisieren und zu verbreiten. Obwohl der Einfluss der in die Türkei emigrierten Experten auf die akademischen und intellektuellen Kreise begrenzt war, war jedoch ihr Wirkungskreis im sozialen und kulturellen Leben der Gesellschaft größer. Man muss hier betonen, dass das Kulturleben in der Türkei von dieser erzwungenen Migration enorm profitiert hat.

Einfluss der Migration auf die deutsche Sprache

Infolge der sozialen und technischen Entwicklungen im 20. Jahrhundert veränderte sich auch die Form der Migration. Durch die rasche Industrialisierung und Urbanisierung in den westlichen Ländern wurden ausländische Arbeitskräfte benötigt. Die Migrationen der letzten Jahrzehnte sind viel mehr als nur als Arbeitnehmerwanderung, Flucht, Exil oder als politische Verfolgung zu betrachten. Die Wanderung der Arbeitnehmer aus den Entwicklungsländern, insbesondere aus der Türkei nach Deutschland hatte starken Einfluss auf die deutsche Kultur. Die Migration der Arbeitnehmer verändert auch die deutsche Sprache. Axel Springer behandelt dieses Thema in einem Artikel, der am 25.02.2007 in der Zeitung Die Welt mit dem Titel „Deutsche Sprache driftet ins Türkische ab“ veröffentlicht wurde, mit den Erläuterungen und Bewertungen von Norbert Dittmar. Dittmar, Professor für Linguistik an der Freien Universität Berlin, beschreibt, wie sich die deutsche Sprache durch den Einfluss von Migranten verändert:

Deutsche Jugendliche übernehmen vermehrt die Aussprache und Satzbildung ausländischer Jugendlicher und benutzen auch häufig Worte aus dem Türkischen oder ← 18 | 19 → Arabischen. Dabei handelt es sich um eine dauerhafte Veränderung, weil die Jugendlichen diese Sprache verinnerlichen und auch als Erwachsene sprechen werden. Der Einfluss ist vor allem in Städten mit großen Migrationgruppen zu spüren. Das Phänomen kann man aber in ganz Deutschland beobachten. (Springer 2007)

Details

Seiten
304
Jahr
2015
ISBN (PDF)
9783653046885
ISBN (ePUB)
9783653981889
ISBN (MOBI)
9783653981872
ISBN (Hardcover)
9783631652206
DOI
10.3726/978-3-653-04688-5
Sprache
Deutsch
Erscheinungsdatum
2015 (März)
Schlagworte
Globalisierung Interkulturalität Lehrerausbildung Deutsch als Fremdsprache Migrantenprache
Erschienen
Frankfurt am Main, Berlin, Bern, Bruxelles, New York, Oxford, Wien, 2015. 304 S.

Biographische Angaben

Metin Toprak (Band-Herausgeber:in) Imran Karabag (Band-Herausgeber:in)

Metin Toprak studierte Germanistik und Pädagogik an der Ruhr-Universität Bochum und promovierte dort mit einer Arbeit über Thomas Manns Zauberberg. Er ist seit 2012 Professor für Germanistik an der Universität Kocaeli. İmran Karabağ studierte Germanistik an der Atatürk Universität, promovierte an der Marmara Universität mit einer Arbeit über die Funktion der Modalverben und arbeitet als habilitierter Sprachwissenschaftler an der Universität Kocaeli.

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