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Das Haus Digeon in Frankreich (1096–1856)

Eine genealogische Studie im adelsrechtlichen Kontext des Ancien Régime

von Charles Philippe Graf Dijon (Autor:in)
©2014 Dissertation XIII, 701 Seiten

Zusammenfassung

Wenig ist bisher über das Haus Digeon, das vom Hundertjährigen Krieg bis Mitte des 19. Jahrhunderts in Aquitanien ansässig war, bekannt gewesen. Dieses Buch schafft erstmals eine Grundlage dafür, die einzelnen Zweige Autramat, Boisverdun und Monteton in eine ordnende und quellenbasierte Gesamtkohärenz zu bringen. Dabei bietet die Darlegung der genealogischen Beziehungen ein nicht unerhebliches Erklärungspotential für die Entwicklung einer vornehmlich protestantischen Adelsfamilie, welche mit prägenden Ereignissen der französischen Geschichte direkt konfrontiert war. Durch den Besitz verschiedener Herrschaftseinheiten wie Baronie, Grafschaft, Marquisat sowie der kleinen Stadt Francescas in Personalunion mit dem König von Frankreich, welche mit der niederen, mittleren und hohen Gerichtsbarkeit einhergingen, war das Geschlecht fest in das seinerzeitige Feudalsystem eingebunden. Damit bewegten sich die Digeons im Kontext des Adelsrechts des Ancien Régime, welches für ihren Aufstieg und weitere Genese maßgeblich sein sollte. Die Ursprünge und Grundlagen des droit nobiliaire werden neben spezifischen Fragen wie dem Erwerb sowie der Transmission von Adelstiteln und -stand sowie Usurpation und Verlust des Adels systematisch behandelt. Mithin dient dieser Teil nicht allein als Referenzgeber; im Verbund mit der Analyse der familiären Zusammenhänge wird das französische Adelsrecht in seiner unmittelbaren Anwendung illustriert.

Inhaltsverzeichnis

  • Cover
  • Titel
  • Copyright
  • Autorenangaben
  • Über das Buch
  • Zitierfähigkeit des eBooks
  • Inhaltsverzeichnis
  • Vorwort
  • 1 Einleitung
  • 1.1 Untersuchungsgegenstand und –zeitraum
  • 1.2 Forschungsstand und Quellenlage
  • 1.2.1 Entwicklung und gegenwärtiger Stand der Forschung
  • 1.2.1.1 Das Haus Digeon
  • 1.2.1.2 Das historische französische Adelsrecht bis 1789
  • 1.2.2 Quellenlage
  • 1.2.2.1 Unveröffentlichte Quellen
  • 1.2.2.2 Veröffentlichte Quellen
  • 1.2.2.3 Internetquellen
  • 1.3 Heuristik
  • 1.3.1 Theoretischer Bezugsrahmen
  • 1.3.2 Methodische Vorgehensweise und Aufbau der Arbeit
  • 2 Das Haus Digeon im historischen Kontext
  • 2.1 Ursprünge sowie erste urkundliche Erwähnung
  • 2.2 Erste Spuren in der Guyenne
  • 2.3 Die historische Entwicklung der einzelnen Zweige
  • 2.3.1 Digeon d’Autramat
  • 2.3.1.1 Das Lehen Autramat und die ersten Lehensherren: die Caumont-Lauzun
  • 2.3.1.2 Zwischen Besitzkonsolidierung und Religionskonflikten
  • 2.3.1.3 Weitere Lehensexpansion bis zum Niedergang nach 1789
  • 2.3.2 Digeon de Boisverdun und Digeon de La Roque
  • 2.3.2.1 Eine Mitgift als Aufstiegsgrundlage: die Herrschaft Boisverdun
  • 2.3.2.2 Verankerung im protestantischen Uradel: die Beziehungen zum Haus Ségur
  • 2.3.2.3 Ehe als Integrations- und Aufstiegsfaktor innerhalb des Adels der Guyenne
  • 2.3.2.4 Erste Emigration (1685) und preußisches Exil
  • 2.3.2.5 Das Haus d’Estutt als Erbe und Kontinuitätsgarant
  • 2.3.3 Digeon de Monteton
  • 2.3.3.1 Die Baronie Monteton als integraler Bestandteil des Hausvermögens
  • 2.3.3.2 Dames de Monteton zwischen Widerstand und Arrangement
  • 2.3.3.3 Zweite Emigration (um 1715) und neue Heimat in Preußen
  • 2.3.3.4 Die Familie Vernezobre als Nucleus für den Neuanfang in Preußen
  • 2.3.3.5 König Friedrich Wilhelm I. v. Preußen als verschmähter Brautwerber
  • 2.3.3.6 Bewahrung des Hausvermögens trotz finanzieller und religiöser Krise
  • 2.3.3.7 Durch eine Ehe im calvinistischen Kaufmannsmilieu zum Machtzenit
  • 2.3.3.8 Errosion der Endogamie durch Einheiraten in katholische Häuser
  • 2.3.3.9 Der letzte seines Stammes in Frankreich: Philippe Dijon de Monteton
  • 3 Ein Name mit Kontroversen: Etymologie, Heraldik und Graphie
  • 3.1 Irrwege einer Schreibung: Digeon vs. Dijon
  • 3.2 Die Etymologie des Wortes Digeon
  • 3.3 Die Etymologie des Wortes Monteton
  • 3.4 Das Wappen: Variationen über Ländergrenzen
  • 3.4.1 Versuch einer Blasonierung
  • 3.4.2 Die Rangkrone: Ein Fegefeuer der Eitelkeiten?
  • 4 Titel und Adelsbeweise: Das französische Adelsrecht
  • 4.1 Die Ursprünge und Grundlagen des historischen französischen Adelsrechts
  • 4.1.1 Der Adelsname und das “Particule”
  • 4.1.2 Das Ältestenrecht und die Rechtsstellung des “chef de nom et d’armes”
  • 4.1.3 Die “Honneurs de la Cour”
  • 4.2 Der Erwerb und die Transmission von Adelstiteln
  • 4.2.1 Die erstmalige Erlangung des Adelsstatus
  • 4.2.2 Die unterschiedlichen Arten der Transmission von Adel und Titeln
  • 4.3 Die Usurpation von Adelstiteln und Adelsstand
  • 4.4 Der Verlust des Adels
  • 5 Schlußbetrachtung
  • Quellen- und Literaturverzeichnis
  • Unveröffentlichte Quellen
  • Französische Archive
  • Archives Nationales de France
  • Bibliothèque Nationale de France
  • Archives Départementales de la Dordogne
  • Archives Départementales du Gard
  • Archives Départementales de la Gironde
  • Archives Départementales Indre-et-Loire
  • Archives Départementales de l’Isère
  • Archives Départementales de Lot-et-Garonne
  • Archives Départementales des Pyrénées-Atlantiques
  • Archives Départementales de Tarn-et-Garonne
  • Archives Départementales de la Vendée
  • Archives Municipales d’Agen
  • Archives Municipales de Bordeaux
  • Archives Municipales de Montségur
  • Archives Nationales d’Outre-Mer
  • Archives Privées de la Famille Dijon de Monteton
  • Archives Privées de la Famille de Gervain
  • Archives Privées de la Famille d’Estutt d’Assay
  • Les Archives de l’Académie des sciences
  • Bibliothèque municipale de Dijon
  • Bibliothèque municipale de Toulouse
  • Niederländische Archive
  • Familienarchiv Nairac (Museum Nairac, Barneveld)
  • Utrecht Archiv
  • Deutsche Archive
  • Brandenburgisches Landeshauptarchiv (Potsdam)
  • Geheimes Staatsarchiv Preußischer Kulturbesitz (Berlin)
  • Hessisches Staatsarchiv Darmstadt
  • Staatsbibliothek zu Berlin Preußischer Kulturbesitz
  • Privatbesitz
  • Veröffentlichte Quellen (mit Siglen)
  • Internetquellen
  • Bibliographie
  • Anhang
  • A Transkriptionen
  • A.1 Bulla Eugenii III. papae (3. Mai 1153)
  • A.2 Bulla Alexandri III. papae (8. März 1170)
  • A.3 Echange de Monteton (6. janvier 1618)
  • A.4 Production de titres pour Charles III. Digeon de Boisverdun (décembre 1666)
  • A.5 Testament de Pierre II. Digeon de Monteton (29. mai 1674)
  • A.6 Contrat de mariage de messire de Monteton (3. avril 1690)
  • A.7 Lettres Patentes d’Anoblissement de Joseph Dupin (aôut 1733)
  • A.8 Demande permission de Magdeleine Durége pour vendre des biens (1732)
  • A.8.1 Testament de Magdeleine Durège (26. janvier 1745)
  • A.8.2 Zeugen für das Testament der Magdeleine Durége (26. janvier 1745)
  • A.8.3 Öffnung des Testaments von Magdeleine Durége (20. février 1748)
  • A.9 Règlement pour les aspirants aux honneurs de la Cour (31 décembre 1759)
  • A.10 Requête par Philippe Digeon, pour être maintenu dans sa noblesse (s.d.)
  • A.11 Dénombrement, Philippe Digeon, pour le marquisat de Poudenas (1777–1778)
  • A.12 Registre des dames présentées au Roi (1789–1790)
  • A.13 Lettre de Philippe Dijon au Fréderic Dijon (1. mai 1831)
  • B Genealogische Stammtafeln
  • B.1 d’Anglade – Generationen I bis VI
  • B.2 d’Anglade – Generationen VI bis VIII
  • B.3 de Beraud – Generationen I bis V
  • B.4 Digeon d’Autramat – Generationen I bis V
  • B.5 Digeon d’Autramat – Generationen V bis IX
  • B.6 Digeon d’Autramat – Generationen IX bis X
  • B.7 Digeon de Boisverdun – Generationen I bis IV
  • B.8 Digeon de Boisverdun – Generationen IV bis VI
  • B.9 Digeon de Boisverdun und Monteton – Gen. VI bis VIII bzw. I bis III
  • B.10 Digeon de Monteton – Generationen III bis V
  • B.11 Digeon de Monteton – Generationen V bis VI
  • B.12 Digeon de Monteton – Relation französischer und deutscher Zweig
  • B.13 Pellet, genannt de Narbonne-Pellet – Generationen I bis III
  • B.14 Pierre Pellet – Generationen III bis VII
  • B.15 de la Perche, gen. Verdun – Generationen I bis V
  • B.16 de Trévey – Generationen I bis V
  • Abbreviaturen- und Siglenverzeichnis
  • Abbildungsverzeichnis
  • Tabellenverzeichnis
  • Personenverzeichnis

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Vorwort

Bei der vorliegenden Schrift handelt es sich um die leicht überarbeitete Fassung meiner im Sommersemester 2013 von der Hohen Philosophischen Fakultät der Ruprecht-Karls-Universität zu Heidelberg angenommenen Dissertation. Sämtliche Fehler und Unzulänglichkeiten liegen in meiner alleinigen Verantwortung.

Manche Leser werden bei der Lektüre möglicherweise kritisch anmerken, daß sie hier in Bezug auf adlige Netzwerkforschung, Elitenwandel oder all das, was das Herz der Geschichtsforschung in der jüngeren Vergangenheit höher schlagen läßt, schlechterdings nicht fündig werden. Diese Einwendungen erübrigen sich jedoch allsamt vor dem Hintergrund, daß diese spannenden Fragen erst dann beantwortet werden können, wenn die Akteure eines etwaigen “Elitennetzwerks” bekannt und quellenbasiert nachweisbar sind. Dies war im Falle des Hauses Digeon nicht möglich, da außer eines knappen Aufsatzes von Lucille Bourrachot aus dem Jahr 1969 (Bourrachot (1969)) und einer nicht wissenschaftlichen Schrift von deutscher Seite (Digeon v. Monteton (1892)) überhaupt keine Ansätze existierten, aus denen sich der französischen Teil der Familie Digeon in seiner Gesamtkohärenz hätte rekonstruieren lassen, geschweige denn eine Stammfolge oder eine Übersicht, aus der sich auch nur rudimentär die Existenz verschiedener Mitglieder des Geschlechts hätte ableiten lassen. Der Arbeit lag also die ureigene Absicht zu Grunde, erst einmal eine Basis dafür zu schaffen, daß eine weiterführende Forschung, welche sich aus dem Offengelegten mit einer gewissen Wahrscheinlichkeit ergeben könnte, überhaupt möglich wird. Bedenkt man, daß der Zutritt zu einigen Privatarchiven zudem äußerst restriktiv war, erhält die Deskription von genealogischen Zusammenhängen eine ganz andere, wertvollere Gewichtung.

Vor der Drucklegung konnten leider drei interessante Aufsätze, die sich thematisch mit der Kirche und dem Schloß von Monteton sowie der schwierigen Situation der Familie Digeon in der Zeit Ludwigs XIV. befassen, keine Berücksichtigung mehr finden, da eine Einarbeitung weitere archivalische Nachforschungen im Ausland erfordert hätte, die auf Grund struktureller Gegebenheiten nicht mehr realisiert werden konnten; umso mehr sei ausdrücklich auf sie verwiesen (Christiaens (2012); Camilli (2012a); Camilli (2012b)).

Niemalen hätte diese Monographie das Licht der Welt erblickt, wofern mir nicht eine Vielzahl von Menschen direkt oder indirekt geholfen hätte. All diesen gebührt mithin mein aufrichtiger Dank, so daß mir sehr am Herzen liegt, sie an dieser Stelle expressis verbis zu nennen:

Zuvörderst geht mein spezieller Dank an die beiden Gutachter: Herrn Professor Dr. Dr. h.c. Dr. h.c. Volker Sellin sowie an Frau Privatdozentin Dr. Susan Richter. Ebenso bin ich Herrn Professor Dr. Bernd Schneidmüller, welcher der Disputation als Prüfer vorsaß, zu Dank verpflichtet.

Daneben danke ich meinem Vater, dem chef de nom et armes unseres Hauses, welcher durch seine beständigen Zurufe “zudrehen!”, wesentlich zur Vollendung des Buches beigetragen hat, mir dabei aber stets das Gefühl gab, großes Vertrauen in mich zu hegen. Nämliches gilt für seine Schwester, meine verehrte Tante Veronika Keller, die als eine der wenigen stets, fest und unerschütterlich an mich geglaubt hat, da sie darum weiß, daß ein kreativer Schöpfungsprozeß keine rasch zu erledigende Sachbearbeitung verkörpert, wie sie beispielsweise im betriebswirtschaftlichen Alltag gegenwärtig ist.

Eine besondere Stellung nahm auch mein Beichtvater der Hw. Herr Dr. Dr. Johannes Vilar ein, durch dessen geistige Leitung und Gebet ich mich beständig in guter Hut befand.

DesWeiteren unterstützten mich die liebenswürdigen Damen vom Brandenburgischen Landeshauptarchiv in der Auffindung kryptischer Signaturen, ebenso half mir Dr. Maria v. ← XI | XII → Loewenich bei der nicht immer einfachen Erschließung der Quellen des Geheimen Staatsarchivs Preußischer Kulturbesitz. Auf französischer Seite möchte ich die Mitarbeiter von den Archives Départementales de la Gironde, den Archives Départementales des Pyrénées-Atlantiques sowie den Archives Départementales Lot-et-Garonne besonders hervorheben, die mir in gänzlich unbürokratischer Weise unter die Arme gegriffen haben. In ganz außerordentlichem Maße, über den verdienten Dienstschluß hinaus und mit bemerkenswerten Engagement wurde mir diese Unterstützung bei den Archives Départementales de la Vendée zuteil, was – so denke ich – nicht dem Zufall geschuldet war.

Fernerhin ist es der äußerst hilfreichreichen Überlassung der Aufzeichnungen zur Nobilitierung von Joseph Dupin durch Madame Veronique Bourgardieu zu verdanken, daß dieser Abschnitt fertiggestellt zu werden vermochte, denn die betreffenden Archivalien sind aus den Archives Municipales de Montségur spurlos verschwunden, was höchlichst bedauerlich ist!

Ganz besonders möchte ich für die Hilfsbereitschaft von Madame Liliane Kressmann danken, deren schönes Schloß Roquepiquet so manchen archivalischen “Schatz” für mich barg. Dieses Entgegenkommen sah ich ebenso wenig als selbstverständlich an, wie das Einverständnis meines geschätzten Cousin, des Grafen Antoine de Virieu, mir Einblicke in unser Hausarchiv zu gewähren, welches sich jetzt im Eigentum seiner Familie befindet. Dies hat mich umso mehr beeindruckt und berührt, da die in Deutschland lebenden Dijon de Monteton in den vergangenen 200 Jahren wenig Anlaß dazu gegeben haben, ihnen die Tür bei ihrer französischen Verwandtschaft zu öffnen. Umso mehr freue ich mich, daß wir nunmehr wieder an die Zeit davor anknüpfen können.

Keineswegs unerwähnt wissen möchte ich die Haltung meines hochgeschätzten akademischen Lehrers Professor Dr. Professor h.c. Dr. h.c. Klaus v. Beyme, der die clementia Caesaris besaß, mich als seinen Doktoranden nicht zu verstoßen und weiterhin als Mitglied der “merry gang” zum Tabak- und Brandweinfrühstück zu sich einlud. Dabei drehte er mir auch den sprichwörtlichen Hals nicht um, da ich neben der Arbeit, welche ich ihm noch schulde, die vorliegende vorgezogen habe. Am höchsten schlage ich ihm indes an, daß er zu den wenigen gehört, welche die Eigenarten eines Menschen nicht versuchen in ein Korsett, auch kein Wissenschaftskorsett, zu zwingen. Diese geistige Souveränität und Größe bewundere ich. Dabei lag er mit seinen Einschätzungen bezüglich meiner Person und Vorgehensweise stets richtig, wessentwegen mir sein Ratschlag so ausgesprochenermaßen bedeutsam ist.

Nihil tamen aeque oblectaverit animum quam amicitia fidelis et dulcis. Quantum bonum est, ubi praeparata sunt pectora in quae tuto secretum omne descendat, quorum conscientiam minus quam tuam timeas, quorum sermo sollicitudinem leniat, sententia consilium expediat, hilaritas tristitiam dissipet, conspectus ipse delectet!” (Seneca DE TRANQUILLITATE ANIMI 1927: VII, 1)

Wie wahr diese Einschätzung Senecas doch ist, durfte ich in vielen fulminanten Momenten mit meinen Freunden und ehemaligen Kollegen vom Institut für Politische Wissenschaft der Ruperta Carola selbst erleben; insofern danke ich dafür Dr. Raphael Bauschke, Dr. Sandra Detzer, Dr. Andreas Heindl, Dr. David Kühn, Tobias Ostheim, M.A., Privatdozent Dr. Ulrich Thiele, Privatdozent Dr. Frieder Wolf und Dr. Stefan Wurster, welche auch nach meinem Fortzug aus dem Neckar-Athen weiter zu mir gehalten haben. Gleiches vermag von Dr. Kilian Schultes gesagt zu werden, welcher dort über eine Dekade mein Nachbar war und mir erhellende Hinweise zu meinem Forschungsvorhaben gab.

Ebenfalls hervorheben möchte ich die Rolle von Dr. Christian Bruder, mit dem ich seit den Tagen, als er mein erster Tutor in Politikwissenschaft war, verbunden bin und der mir in ungezählten Gesprächen in aufrechter Freundschaft zur Seite stand.

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Schließlich obliegt es mir, meiner Mutter zu danken, der ich nicht allein meine Existenz verdanke, sondern viel mehr.

Den zweifellos bei weitem größten Dank schulde ich indes meinem mir eigenen, phlegmatischen Gemüt, das mich gütig davor bewahrt hat, stets dann zu Verzweifelungstaten zu schreiten, wenn Ignoranten mich mit ihren Pressfragen zu kuranzen pflegten, wann denn das Buch endlich vollendet sei oder gar ob dessen Fertigstellung noch in ihre Vitalspanne falle. Die damit einhergegangenen, von mir mitnichten erbetenen, Ratschläge, gemäß derer ich nach dem Prinzip 80/20 hätte verfahren sollen, nahm ich zwar zur Kenntnis, nicht aber zur Befolgung. Denn mir dient – entgegen des Zeitgeistes in Wissenschaft und Gesellschaft – der Modellmensch des homo oeconomicus lediglich als Erklärungsauxiliar, mitnichten aber als erstrebenswertes Menschenbild. Dafür sind seine Defizite nicht allein aus methodologischer Sicht bei weitem zu groß, sondern vorzüglich auch aus ethischer. Mithin verkannten diese mir vermeintlich wohlmeinend zugetanen Personen meine mir zutiefst am Herzen liegende Intention, schlechterdings nicht – wie gewisse oberfränkische Wettertannen oder deren Adepten unserer Tage – zur Satisfaktion der eigenen Eitelkeit nach akademischen Graden, Würden und Weihen zu streben, sondern nach einem gewissen Erkenntnismehrwert. Ob mir dies in einem überschaubaren Maße gelungen ist oder nicht, stelle ich der kritischen Prüfung anderer anheim.

Rigou, zu St. Nikolaus 2013 a.D.

Charles Philippe Dijon de Monteton

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1. Einleitung

1.1 Untersuchungsgegenstand und -zeitraum

Vieles, teilweise auch sich perpetuierend Falsches und Unpräzises wurde in den vergangenen Jahren und Jahrzehnten über das Haus Digeon beziehungsweise Dijon de Monteton verfaßt, was allzeit zu Mißverständnissen und Unklarheiten geführt hat: So kann es einesteils auf Grund mangelnder Belegstellen mitnichten als gesichert gelten, daß es sich bei den Digeons um eine Familie handelt, welche originär der Guyenne entstammt, wie beispielsweise im Adelslexikon behauptet wird (Adelslexikon 1974: 488). Anderenteils läuft bereits die Orthographie des Namens (Digeon oder Dijon) sowie die Titulatur (Baron, Comte oder Marquis) und die Blasonierung des Wappens (Wappenvogel und Rangkrone) dem Drang nach eindeutiger Einordnung deutlich zuwider (Gotha 1866: 646–648 und GHdA 1957: 75 sowie GHdA 2008: 19). Mit Ausnahme der Herkunft, berühren diese Fragen allesamt die Sphäre des sogenannten Adelsrechts, das heißt eines Rechts, welches allgemein als die Regelung der Zugehörigkeit zum (historischen) Adel, der einzelnen Arten des Führens adliger Namen und Titel sowie heraldischer Fragen aufgefaßt wird (Elverfeldt-Ulm 2001: 11; vgl. grundlegend zum Adelsrecht, v.a. aus deutscher Perspektive: Linsingen 2012).

Da es sich bei der Familie Dijon um ein Geschlecht handelt, dessen Adel originär aus Frankreich stammt, war für selbiges das französische droit nobiliaire maßgeblich, da erst Ende des 17. und Anfang des 18. Jahrhunderts einzelne Familienmitglieder aus der Guyenne über die Niederlande nach Preußen emigrierten (Erman 1799: 212–213). Eine einheitlich anerkannte, verbindliche Definition des Adelsrechts existiert aber weder in Deutschland noch in Frankreich. Dies hat möglicherweise eine Ursächlichkeit darin, daß der Adel, als er noch einen Stand oder zumindest eine Körperschaft öffentlichen Rechts darstellte, mit seinen jeweiligen Prärogativen in die einzelnen Rechtsordnungen inkludiert war, was bereits im frühen Mittelalter mit der Lex Salica (Pactus legis Salicae 1962 sowie Lex Salica 1969) oder in der Neuzeit im Pariser Gewohnheitsrecht (Coustume de la prévosté et vicomté de Paris Brodeau 1669) zum Ausdruck kam. Nach der Supression aristokratischer Vorrechte bestand von staatlicher Seite schlechthin nicht mehr die Notwendigkeit eines kodifizierten Adelsrechts. Demnach existierte ein eigenes, kohärentes Adelsrecht weder in Deutschland, auch wenn einzelnen Rechtsordnungen, Gesetzessammlungen sowie Verfassungsurkunden Passagen oder Abschnitte spezifische, den Adel betreffende Regelungen enthielten, wie beispielsweise im “Allgemeinen Preußischen Landrecht” von 1794 (A.P.L. 1994: Zweiter Teil, 9. Titel, §§ 1–100), im “Edict über den Adel im Königreiche Baiern” als Beilage zur Verfassungsurkunde des Königreichs Bayern von 1818 (E.A.K.B. 1978: 163–164) oder im Adelsbuch Sachsens aus dem Jahr 1902 (Einsiedel 1902) sowie in vereinzelten Gesetzen Österreichs. Noch gab es ein eigenes Adelsrecht in Frankreich, wo gleichsam mehrere Gewohnheitsrechte mit durchaus unterschiedlichen Vorschriften für den Adel Bestand hatten. Zu denken wäre vornehmlich an die Regelungen zur matrilinearen Transmission des Adels und der Titel (noblesse utérine) wie sie in der Champagne, in Lothringen und im Barrois gegensätzlich zum übrigen Teil des französischen Königreichs möglich waren (Levesque 1866: 77).

In Frankreich entwickelten diese regionalen Eigenheiten seit dem Erstarken von Zentralismus und Absolutismus bei weitem nicht dieWirkreichweite wie im Deutschen Kaiserreich, wo es durch die föderale Kleinstruktur zu bizarren Verwerfungen zwischen den konkurrierenden Adelsrechtsordnungen kam, wie das Beispiel des Vaters von Harry Graf Kessler anschaulich ← 3 | 4 → illustriert: Als dieser von Kaiser Wilhelm I. 1879 in den erblichen Adelsstand erhoben wurde und zwei Jahre später im Fürstentum Reuß den hereditären Grafentitel zuerkannt bekam, hatte dies zur Folge, daß die vier deutschen Königreiche mit Preußen an der Spitze den deutschen Kleinstaaten das Prärogativ auf eigenständige Nobilitierungen in den Grafenstand entzogen (Bülow 1931: 397–398). In der Konsequenz resultierte hieraus eine nachgerade schildbürgerliche Situation, denn die Kesslers durften sich innerhalb des Deutschen Reiches einzig in den kleinen Fürstentümern Reuß als Grafen titulieren, wohingegen es ihnen im übrigen Teil Deutschlands lediglich gestattet war, das “v.” im Namen zu führen. Das kleine Fürstentum Reuß stand mit den Schwierigkeiten der Aberkennung seiner Nobilitierungen von Seiten Preußens trotz des in der Reichsverfassung von 1871 verankerten allgemeinen Indigenats (Reichsverfassung 1871: Art. 3) mitnichten allein, wie eine Reihe von Fällen im Herzogtum Sachsen-Coburg und Gotha demonstrieren, welche sich unter der Herrschaft Ernsts II. ereignet haben. Denn auch wenn alle Angehörigen eines jeden Bundesstaates in jedem anderen deutschen Gliedstaat als Inländer behandelt wurden und Zugang zu allen öffentlichen Ämtern hatten sowie in sämtlichen Bürgerrechten den Einheimischen gleichgestellt waren, galt dies für den Adel nicht uneingeschränkt (Dewitz 1991: XXXI). Denn in Preußen kamen nach wie vor die Bestimmungen des bereits oben zitierten “Allgemeinen Preußischen Landrechts” von 1794 zur Anwendung. Darin wird kodifiziert, daß jegliches Ersuchen von Standeserhöhungen bei fremden Staaten und die Führung daraus resultierender Titel verboten waren, respektive von der Anerkennung durch den preußischen Monarchen dependent zu machen waren (A.P.L. 1994: Teil II, Titel 9 § 13 sowie § 118 (Anhang)). An diesem Grundsatz wurde bis zum Ende der Monarchie eisern festgehalten (vgl. weiterführend: Andrian-Werburg 1979).

Zutreffender wäre es demgemäß von “adelsrechtlichen Partikularbestimmungen” zu sprechen, ergänzt um die präzise Angabe des jeweiligen geographischen und historischen Kontextes. Darüber hinaus birgt der allgemein gebräuchliche Terminus “Adelsrecht”, sonderheitlich wenn es auf privatrechtlicher Basis in den einzelnen Adelsverbänden in Deutschland und Frankreich noch heutigentags zur Anwendung kommt, nicht allein eine Aporie an begrifflicher Schärfe, sondern auch die Schwierigkeit, daß selbiges im Grunde nichts anderes als eine vereiste Momentaufnahme des – geographisch nicht näher determinierten – geltenden Rechts des letzten Tages der Monarchie verkörpert. Mitnichten ist hier der Raum, um über die mit jedem Tag abnehmende Sinnhaftigkeit der Anwendung eines solchen “Frostrechts”, welches sich in letzter Konsequenz als causa sui der Rechtsordnung eines zufälligen Germanenstammes, den Saalfranken aus Toxandrien respektive Tournai im Hennegau entpuppt, auf die Gegenwart zu räsonieren, doch kommt einem hierbei unweigerlich Helmut Brunners Satz über die ägyptische Kultur in den Sinn: “Sie standen mit dem Rücken zur Zukunft” (Fikentscher 1975: 113). Denn indem Recht als historisch abgeschlossen betrachtet wird und gleichzeitig als Richtgabe für gegenwärtige Streitfragen fungiert, wird zum einen mit jeder Entscheidung doch eine Rechtsfortentwicklung vollzogen und zum anderen die rechtsphilosophische Einsicht außer Acht gelassen, daß die Idee des Rechts stets eine fortschreitende ist und zu einer immer bewußten und zweckhaften geschichtlichen Triebkraft geworden ist (Radbruch 1973: 184). Was hier prima vista als Paradoxon erscheint, daß nämlich das Recht umweltdependent ist (Sein) und auf diese Weise seine Eigenart (das Sollen) verliert, löst sich dahingehend auf, daß sich die Evolution des Rechts unter Berücksichtigung seiner Eigendynamik als Subsystem des gesellschaftlichen Systems konzeptualisieren läßt. Luhmann hat dies in seinem Systemtheorie mit dem Verhältnis System/Umwelt anschaulich modelliert (Luhmann 1973: 194). Demnach ergibt sich Evolution nie aus sich selbst heraus oder allein durch ein externes Steuerungsbemühen, sondern basiert vielmehr auf einer Komplexitätssteigerung der Subsysteme (neben Recht noch Wirtschaft, Politik und Wissenschaft), womit diese auf die Veränderungen reagieren (Abegg 2006: 407). Die selbstreferentielle Geschlossenheit eines solchen autopoietischen (Sub-)Systems ← 4 | 5 → steht indes mitnichten im Widerspruch zu seiner Umweltoffenheit. Das heißt, das Subsystem Recht reagiert durch synallagmatische, strukturelle Kopplungen an die Gesellschaft und die übrigen sozialen Systeme, was am ehesten mit einer “Ko-Evolution” zu beschreiben ist. Am Ort der strukturellen Kopplung, zum Beispiel im rechtswissenschaftlichen Diskurs oder in öffentlichen Gerichtsverfahren, erkennt sich das Recht mithin als System in einer Umwelt evolutorischer Systeme, welche selbst auf das evolutorische System Recht reagieren. Entwicklungen in einem einzelnen System evozieren evolutionsbezogene Suchbewegungen in den verknüpften Systemen, welche permanent ihre eigene systemkonforme Kompatibilität mit der Umwelt neu ausrichten müssen. Um eine solche zu erreichen, vermag das System durchaus Strukturen anderer Systeme, wie vor allem Selektions- oder Stabilisierungskriterien, im eigenen System zu rekonstruieren (Abegg 2005: 446).

In concreto bedeutet dies für das Adelsrecht, daß es zwar als ein historisches Recht angesehen werden muß, es aber nicht als eine in der Vergangenheit abgeschlossene Rechtsordnung betrachtet werden kann, dieweil es durch strukturelle Koppelungen mit seiner Umwelt interagiert und sich dabei evolutioniert, indem es auf gegenwärtige, in der Gesellschaft lebende Vertreter des historischen Adels oder bei Streitfragen zu dessen Zugehörigkeit auf andere Personen Anwendung findet.

Hinzu tritt ein weiterer Faktor, welcher in der bisherigen Betrachtung noch keine hinreichende Beachtung gefunden hat. Der Monarch als Inhaber des Nobilitierungsprärogativs im Mittelalter und der gesamten Neuzeit war zwar zur öffentlichen Durchsetzung seines Willens formalen Notwendigkeiten unterworfen, wie beispielsweise bei Ausfertigungs- und Registrierungsurkunden, in finaler Konsequenz jedoch stand er über jedweden schriftlich fixierten adelsrechtlichen Bestimmungen sowie sämtlichen den Adel betreffenden Gewohnheitsrechten. Mithin oblag in jedem europäischen Adelssystem die letztgültige Entscheidung in Fragen der Zugehörigkeit zum Adel sowie in allen Wappen- sowie Standesfragen dem jeweiligen Herrscher. An diesem Faktum ändert auch nichts, daß es während des 17. und 18. Jahrhunderts zu teilweise divergenten Anerkennungspraktiken unter den einzelnen Landesherren und gegenüber dem Kaiser kam – sonderheitlich im Alten Reich im Gegensatz zur immer stärker werdenden Zentralmacht des Königs in Frankreich (Asch 2008: 16–17). Wie der oben geschilderte Fall des Grafen Kessler offenlegt, sollte diese Pfadabhängigkeit noch bis Ende des 19. Jahrhunderts Fortbestand haben. Insbesondere das Adelsrecht des absolutistischen Frankreichs ist in seiner Substanz nicht zu verstehen, läßt man den Aspekt monarchischer Omnipotenz in allen adelsrechtlichen Fragen außer Acht. Die Beispiele sind Legion, in denen französische Könige sich über jedwede kodifizierte Bestimmungen hinweggesetzt haben – sei es auf prozeduraler, wie bei der Zulassung zum Hofe (Honneurs de la Cour), oder auf materialer Ebene, wenn zum Beispiel bestimmte Personen, entgegen aller habituell-rechtlicher Praxis, vom König aus persönlicher Affinität, Merit oder Kalkül direkt in den Adelsstand erhoben wurden, teilweise unter Überspringen mehrerer Ränge. Damit offenbart sich die dem Adelsrecht stets anhaftende Immanenz: die Absolutheit des Monarchenwillens. Somit ist auch erklärbar, wessentwegen selbst das positive Adelsrecht in seiner über tausendfünfhundertjährigen Anwendung nie im Sinne Hegels eine vollständig aufklärerische Fortentwicklung gegenüber allem Zufälligen der Emotionen, des Meinens sowie Rachegelüsten oder Eigensucht genommen hat (Hegel 1833: § 211 (Zusatz)). Indem Hegel versucht, in seiner Auffassung des Geistes Recht und Gesetz, Vernunft und Geschichte, allgemeingültiges Prinzip und willkürliche Setzung, betrachtende Wissenschaft und gestaltende Gesetzgebung zusammenzudenken, unterscheidet er sich – vorwiegend hinsichtlich der Aufgabe und dem Gesetzgebungszweck – deutlich von dem eher romantischen Idealen zugetanen Savigny (Haase 2004: 364–365), was in der bekannten Hegel-Savigny-Kontroverse über die “Rechtsidee” gipfelte (Rothacker 1972: 62–63).

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Unter Berücksichtigung der genannten Überlegungen wird das Adelsrecht in der vorliegenden Darstellung als die Ausgestaltung der Rechtsbeziehungen zwischen Staat, Adel und Staatsoberhaupt angesehen, welche in der Grundsubstanz aus der Lex Salica sowie anderen historischen Rechtsquellen schöpft und sich auf adlige Prärogativen, heraldische Fragen sowie die Zugehörigkeit zum Adelsstand erstreckt.

Um das dieser Arbeit zugrundeliegende, spezifisch französische Adelsrecht im Kontext seiner Anwendung nachzuvollziehen, erscheint es sinnstiftend, einige Aspekte der französischen Aristokratie hinsichtlich ihres Wesensgehalts zu beleuchten. Obschon mit dem Ende des Ancien Régime der französische Adel in seiner originären Substanz, das heißt nicht allein als Inhaber diverser, partikularer Vorrechte, sondern auch in seiner Funktion als Träger von Herrschaftsrechten, abgeschafft werden sollte, ist er doch als heterogene Gruppe bis heute existent. Das bedeutet, daß vermittelst eines formalen Aktes positiven Rechts, wie er durch die Versammlung der Generalstände vom 4. August 1789 beschlossen und per Dekret der “Assemblée nationale” vom 19. Juni 1790 in kodifiziertes Recht überführt wurde (Kruse 2005: 16 sowie Heuvel 1988: 33), das Bestehen einer sozialen Entität nicht extinktiert zu werden vermag.

Demzufolge müssen andere Gesetzmäßigkeiten wirken, welche bar aller auswendigen Erkennungszeichen wie Titel, Prestigeobjekte oder Urkunden die Zugehörigkeit zum Adel definieren. Dabei ist zwischen dem adligen Namen als Grundlage für das Selbstverständnis des eigenen Standes, der Übertragung des Namens mit seinen möglichen äußerlichen Zusätzen, die eine Identifikation im Innenverhältnis der Familie erleichtern sowie dem erstmaligen, formalen Erlangen des Adels zu unterscheiden.

Diese differenzierte Betrachtungsweise kennzeichnet jedoch erst den Abschluß einer Jahrhunderte währenden Entwicklung, die sich vom antiken Ideal einer Nobilität in Gestalt eines Adels der Tugend beständig entfernt und bereits im 17. Jahrhundert eine scharfe Kritik an der mangelnden Identität des bestehenden Geburts- (nobilitas civilis) mit dem Tugendadel (nobilitas virtutis) evoziert hat (Chaussinand-Nogaret 2000; Bleek und Garber 1982: 111 sowie Schalk 1996: 97).

Im Altertum bildete die sogenannte “adelige Abkunft” in Form des “Erbguts” lediglich die Voraussetzung für ein tatenreiches Leben: Stellte sich kein tugendhafter Erfolg ein, so wurde die Echtheit der Nobilität schlechterdings angezweifelt, wie im zweiten Gesang der Odyssee durch die Ermahnung der Athene an Telemach, den Sohn des Odysseus, veranschaulicht (… εὶ δή τοι σοῦ πατρὸς ἐνέσταται μένος ἠύ, / οἷος εῖνος ἔην τελέσαι ἔργον τε ἔπος τε. / οὔ τοι ἔπειθ’ ἁλίη ὁδὸς ἔσσεται οὐδ’ ἀτέλεστος. (Odyssee 2000: II, 271–273)). Demgemäß gibt es im antiken Adelsideal für das durch edle Geburt bedingte potentielle Vermögen allein den Beweis des Tuns innert der für den Menschen festgelegten, individuellen Lebensspanne (Früchtel 2005: 153). Folglich mußte der griechische Adlige beständig durch edle (Helden-)Taten Zeugnis seiner Nobilität ablegen, wollte er seine herausragende Stellung gegenüber den Freien und die Gleichrangigkeit unter den übrigen Edelmännern behalten.

Demnach darf der okzidentale Ursprung des Adels nicht mit der Vorstellung eines auf Geburtsoder Geblütsregeln sich gründenden, monolithischen Stand einhergehen (Böckenförde 2006: 15 (Anm. 5) sowie grundlegend zum antiken Adel Griechenlands Stein-Hölkeskamp 1989). Treffender wäre es, im Falle von Griechenland von einer “führenden Schicht” zu sprechen, welche im Gegensatz zur römischen Nobilität keinen bestimmten Zensus oder eine vorgegebene Ämterlaufbahn zur Erlangung des adligen Standes benötigte. Es ist an dieser Stelle darauf hinzuweisen, daß zwischen Patriziat und Nobilität zu differenzieren ist: Handelt es sich beim Patriziat um einen geschlossenen Stand, schlechthin nicht um eine “juristisch bestimmbare Gruppe” innert des populus Romanus, sollte bei der Nobilität eher ← 6 | 7 → von einem “Status” gesprochen werden, dessen Prärogativen einen informellen Charakter besaßen und dessen Angehörige sich in einem beständig kompetitiven Raum als Einzelkämpfer bewähren mußten, um auf diese Weise, die anderen nobiles übertreffend, der eigenen Sippe (gens) zu Ansehen und Einfluß zu verhelfen. Vornehmlich in der Anfangszeit der Republik verfügte diese Gruppe über diverse (hereditäre) Vorrechte, etwa bei der Besetzung bestimmter politischer und religiöser Ämter wie dem pontifex maximus oder des “Flamen Dialis”. Deren Repräsentanten, wie die Cornelier, Valerier, Julier, Claudier, Aemilier und die Fabier führten ihre edle Herkunft auf die Gründungsgeschlechter Roms zurück.

Dies war für den nichtadligen Teil der Bevölkerung zunächst mitnichten selbstverständlich. Erst als dieser sukzessive eine stärkere Partizipation sowie Inklusion in die politischen Entscheidungsprozesse durchsetzte, was im Jahr 366 v. Chr. bei der Öffnung des Konsulats für die Plebejer durch die Leges Liciniae Sextiae zu einem ersten, großen Erfolg in diese Richtung führte und hernach durch weitere legalistische Maßnahmen wie der Lex Ogulnia (300 v. Chr.) sowie der Lex Hortensia (287 v. Chr.) zusätzlich befördert wurde, kam es schließlich zu einer veritablen Gleichstellung zwischen den beiden antagonistischen Ständen (Hölkeskamp 2004: 73) Demgemäß bildete die Nobilität eine durchaus permeable “classe dirigeante”, deren gesellschaftliche Vorrangstellung durchaus von Generation zu Generation aufs Neue unter Beweis gestellt werden mußte (Hölkeskamp 1987: 10). Da Erfolg nicht vererbbar war, waren es gleichergestalt auch die honores nicht, so daß, wie eine statistische Untersuchung ergab, während der mittleren und späten Phase der römischen Republik nicht mehr als ein Drittel aller Konsuln einen Vater hatten, der gleichfalls bereits dieses Amt bekleidete und ein zweites Drittel wies in der letzten Generation schlechterdings gar keinen Konsul auf. Der Rest waren, wie kein geringerer als Marcus Tullius Cicero, sogenannte homines novi (Beck 2005: 18). Keith Hopkins und Graham Burton haben diesen empirischen Befund, daß die römische Nobilität nachgerade keine geschlossen-homogene Statusgruppe darstellte auf die einprägsame Formel gebracht: “political success did not guarantee political successors” (Hopkins und Burton 1983: 32).

Mithin handelt es sich in Griechenland eher um einen individuellen Eintritt in die Aristokratie, bezogen auf das umfassend tugendhafte Handeln in zumeist kämpferischen Auseinandersetzungen, wo hinwieder in Rom der Leistungsmerit des Einzelnen beim Durchlaufen des Cursus honorum im Vordergrund stand. So klar die Vorstellungen und teilweise auch die einzelnen Prozesse hinsichtlich der Erlangung des Status eines nobilis geregelt und kodifiziert waren, zu denken wäre nur an die Lex Villia annalis, welche das Alter zur Erlangung der höchsten Würden des Cursus honorum genau festlegte und ein obligatorisches biennum zwischen den kurulischen Magistraten verlangte (Evans und Kleijwegt 1992: 181), so wenig vermag von einem “Adelsrecht” im neuzeitlichen Sinne gesprochen werden: Weder existierte eine Kodifizierung von Gesetzen, welche beispielsweise Verfahrensregeln zur Übertragung des Status auf hereditärer Basis ausdifferenzierten, noch ein über dem Adelsstatus stehender Souverän.

An diesem Befund hatte mit Sicherheit die als soziologischer Solitär zu taxierende spezifische Binnenstruktur der römischen Aristokratie einen nicht geringfügigen Anteil (Flaig 1995: 116–118). Sie wies einen nach Rangklassen geschichteten Adel auf, dessen Mitgliederstellung sich in der verbindlichen – schlechthin indes nicht zwingenden – Hierarchie der bekleideten offices widerspiegelte. Als zentrales Distinkionskritierum wirkte ebenso die Ausprägung der römischen Aristokratie als Leistungsadel vermöge eines allgemein akzeptierten Konsenses untereinander bis zur Depravation desselben durch einen übersteigerten Ehrgeiz Einzelner gegenüber allen übrigen – antiken wie neuzeitlichen – Adelsgesellschaften.

So sehr hier prima facie die Differenzen hinsichtlich Realität und Selbstverständnis zwischen antiken und neuzeitlichem Adelsstand hervortreten, eröffnen die zentralen Charakteristika ← 7 | 8 → einer Adelsgesellschaft im Altertum – wie zum einen die Erlangung von Vorrechten durch ein Bewähren im kompetitiven Raum, durch Standeskämpfe sowie Besitz, und zum anderen der Bezug zum eigenen Geschlecht als höchstes Identifikationsmoment – ein Erkenntnisvermögen, welches für die Analyse neuzeitlicher Adelskulturen sinnhaft ist, wenn man diese, sich in späteren Jahrhunderten perpetuierenden Grundmerkmale berücksichtigt. Insbesondere das stark ausgeprägte, identitätsstiftende Bekenntnis zur eigenen Familie und Herkunft verkörpert eine epochentranszendierende Besonderheit des Adels und offenbart, sonderheitlich vor dem Hintergrund einer sowohl realen als auch ideellen Übertragbarkeit der im Wettbewerb um Würden und Einfluß erworbenen Vorrechte, wie eng ein genealogisches Bewußtsein, vorwiegend in Frankreich, mit dem Adelsrecht verbunden war und ist (Saint-Martin 2003: 82–83). Dabei ist mitnichten nur an die neuzeitlichen Adelsproben zur Turnierfähigkeit, der Kammerwürde oder den Eintritt in bestimmte (Ritter-)Orden zu denken (Eckert 2008), sondern, wie bereits aufgezeigt wurde, es waren bereits in der Antike bestimmte Ämter allein denjenigen vorbehalten, welche den Nachweis patrizischer Vorfahren erbringen konnten. Darüber hinaus lassen die Ratschläge des Anaximenes von Lampsakos in seiner Ars Rhetorica ad Alexandrum, welche lange Zeit als älteste tradierte Theorie der Rhetorik angesehen und irrtümlich dem Aristoteles zugeschrieben wurde (Helmer und Dörpinghaus 2006: 14), erahnen, welch exzellierende Bedeutung die Genealogie (γενεαλογία) bereits im öffentlichen Raum Griechenlands einnahm. Er taxiert die hohe Geburt wie Kraft, Schönheit und Reichtum als außerhalb der Tugenden befindliche Güter und gibt eine detaillierte Vorgehensweise an wie bei jedweder Konstellation von Vorfahren, das heißt bei Personen, welche mit einer Vielzahl von berühmten, weniger bedeutenden oder gänzlich zu vernachlässigenden Ahnen, zu verfahren ist, um als Redner den Betreffenden in einem glänzenden Licht erscheinen zu lassen (Anaximenes ARS RHETORICA 2000: 1440b5–1441a10).

Bemüht man sich nunmehr um eine tragfähige Arbeitsdefinition des Terminus Genealogie, anempfiehlt es sich zunächst die etymologische Radix des griechischen Kompositums “Genealogia” (γενεαλογία) vor Augen zu führen. Sie besteht zum einen aus dem griechischen “Genos” (γένος) respektive seiner poetischen Form “Genna” (γέννα), beide, wie die Verbform für “zeugen” (γένεσθαι) dem archaischen Wortstamm “gen” (γέν) entwachsen, und zum anderen aus “Logos” (λóγος). Wohingegen letztgenanntes Morphem unproblematisch mit “Wissenschaft” ins Deutsche übertragen zu werden vermag, erfordert das Erstgenannte eine genauere Betrachtung: Grundsätzlich wird “Genos” mit “Geschlecht”, “Familie”, “Abstammung” und “Stamm” übersetzt, was zu einer Traduktion von “Wissenschaft vom (eigenen) Geschlecht” führt. Allerdings greift diese Übersetzung etwas kurz, da darin der ebenfalls in “Genos” enthaltende Aspekt des Werdens, Genesis (γένεσις), wie es seinen Ausdruck in “Geburt”, “Ursprung” und “Entstehung” findet, nicht ausreichend berücksichtigt wird. Das Faktum, daß “Genos” und “Genesis” in einem relationalen Verhältnis zueinander stehen und insofern zum Denken in Generationen führen, legte schon Aristoteles in seinen zeugungstheoretischen Überlegungen dar (Nash 1978: 4). So hat er in seinem Buch “Über die Zeugung der Tiere” (περὶ ζοῷν γενέσεως) erstmals in kategorisierender Absicht konstatiert, daß “Genos” einesteils die Differenz des männlichen und weiblichen Geschlechts und mithin die Basis für jedweden Akt der Reproduktion benennt: Das Männliche und das Weibliche werden als genera des Tierreichs und als principa generationis gekennzeichnet (ἀραὶ γενέσεως) (Aristoteles DE GENERATIONE ANIMALIUM 1965: 715a18–20; 731b18–19 )). Anderenteils führt “Genos” die Kategorie einer klassifikatorischen Taxierung ein. Selbige referenziert dahingehend auf die Zeugung, wofern die Art und Weise dieses Vorgangs mit der Stelle kongruiert, welche die einzelnen Geschöpfe in der Rangordnung einnehmen. Darin schließt sich der Kreis zu den übrigen zoologischen Werken des Aristoteles, wie der “Tierkunde” (Aristoteles HISTORIA ANIMALIUM 2002), “Über die Glieder der Geschöpfe” (Aristoteles DE PARTIBUS ANIMALIUM 1868) und “Über die Zeugung der Geschöpfe” (Willer u. a. 2005: 125–126).

← 8 | 9 →

Darüber hinaus hat sich der Stagirit in den fundamentallogischen Reflektionen seiner Metaphysik nicht allein der logischen Genese von Begrifflichkeiten gewidmet, sondern gleichergestalt der biologischen Zeugung des Seienden, indem er die verschiedenen Bedeutungen von “Genos” klar herausgearbeitet hat: Zunächst subsumiert er darunter diejenigen, welche durch eine kohärente Erzeugung (γένεσις συνε χής) dieselbe Form haben, zum Beispiel das Geschlecht der Menschen (γένος ἀνθρώπων). Hernach versteht er unter “Genos” denjenigen, von welchem als dem ersten Bewegenden ausgehend das andere zum Sein gelangt, so beispielsweise die Ionier, welche von Ion als dem ersten Erzeuger (πρώτου γεννήσαντος) abstammen. Letztendlich inkludiert er darunter nicht lediglich männliche Sprößlinge, sondern ausdrücklich auch die weibliche Abstammung (τοῦ θήλεος τὸ γένος), wie sein Beispiel der Nachkommenschaft Pyrrhas illustriert (Aristoteles METAPHYSICA 1963: Δ, 1024a29–36). Mithin rückt bei Aristoteles der Aspekt des “Erzeugens” deutlich in der Vordergrund und findet in der Verbindung mit der “Abstammung” seinen breiten Bedeutungshorizont dahingehend, daß darunter alles verstanden wird, was durch gleiche “Form”, unabhängig ob männlich oder weiblich, sich durch Erzeugung aufeinander in Abfolge bezieht und von einem ersten Beweger “angestoßen” wurde. Folglich geht die Darlegung von Verwandtschaftsverhältnissen, sofern sie über ein bloße Deskription hinauszeigt, mit einem normativen Grundverständnis einher: Denn die gesamte Abbildung sämtlicher ermittelter Verwandtschaftsbeziehungen, wie sie sich aus der Breite der aristotelischen Begriffsbestimmung von “Genos” in Verbindung mit “Logos” alsWissenschaft ergibt, sonderheitlich wofern ein vollständiges System gleichrangiger Verwandtschaftslinien über mehrere Generationen hinweg abgebildet werden soll, ist weder grafisch noch kognitiv erfaßbar. Demzufolge werden zumeist geschwisterliche Linien nachgeborener Söhne oder Töchter nicht mehr in allen Verästelungen weiter dargestellt, was zwar als dem Sachzwang geschuldet explizierbar erscheint, jedoch eindeutig auf ideologische Aspekte zurückgeführt werden muß, insbesondere dann, wenn die Stabilität von sozialen Strukturen gesichert oder eine historische Persönlichkeit als Ahn in Anspruch genommen wird, indem ein spezifisches Selektionsprinzip der Vererbung wie die matrilineare oder patrilineare Abfolge Anwendung findet (Kellner 2004: 14 (Anm. 37)). Daraus resultiert, daß diese Auswahlkriterien auf weltanschaulichen Prämissen sowie geographischen, sozialen, historischen und kulturellen Rahmenbedingungen beruhen, welche in äußerst differenter Ausprägungsform auftreten können.

Neben diesem retroperspektivischen Aspekt, welcher der Genealogie stets immanent ist, existiert darüber hinaus noch ein teleologisches Moment, welches zumeist wenig Beachtung findet. Es tritt zutage, wenn etwa eine gegenwärtige Einzelperson als das Ergebnis einer “logischen” Abfolge von Ahnen taxiert wird, deren hereditäre Prinzipien sich aus einer primordialen Setzung abgeleitet finden und die ihrerseits vermittelst Dekonstruktion das Ergebnis einer Projektion offenbaren, welche die Entscheidung hinsichtlich bestimmter Selektionsmuster bei der Deskription von Abstammung auf spezifische historische Interessenkonstellationen zurückführt (Mecklenburg 2006: 20–21). Demgemäß müssen stets ergänzende Angaben über die dem Begriff zugeordneten Selektionsprinzipien der Vererbung erfolgen, da anderenfalls eine Kommunikation über genealogische Befunde schwierig bis unmöglich wird. Dieser Überlegungen eingedenk muss auch jegliche moderne Definition von “Genealogie” um vorgenannte Kriterien- und Kontextspezifikationen ergänzt werden. Bereits Mitte des letzten Jahrhunderts bemühte sich Otto Forst de Battaglia um eine wissenschaftlich tragfähige Definition von “Genealogie” als einer Disziplin von “auf Abstammung beruhenden Zusammenhängen zwischen Menschen” (Forst de Battaglia 1948: 10). Zwar kam diese der etymologischen Bedeutungsherkunft des Wortes recht nah und galt lange Zeit, nicht zuletzt durch die Autorität Ahasver v. Brandts (Brandt 2007: 39), für verbindlich, indes von einer Vielzahl von Forschern wurde sie als zu eng empfunden (Henning 2005: 90–91) und führte ← 9 | 10 → dazu, daß der seinerzeitige DAGV-Vorsitzende Jörg Füchtner sich dazu befleißigt sah, das Wort “Abstammung” mit “Heirat” zu permutieren, da sie ansonsten “als Hilfswissenschaft einer rassistischen Humangenetik” verstanden werden könnte (Füchtner 1998: 196). Indem Füchtner in vorauseilender Bangigkeit die Realität von Nachkommenschaft aus zwischenmenschlichen Beziehungen auf die Heirat reduziert, ist dieser Definitionsversuch ob seiner eigennormativ übersättigten Intention verengend und mithin für ernsthafte wissenschaftliche Bemühungen als wenig probat zu betrachten. Auch die Proposition von Hermann Metzke, welcher “Genealogie” als “familiengeschichtliche Forschung” definiert, gleichzeitig aber konzediert, daß diese Definition vereinfachend wirken könnte, überzeugt wenig (Metzke 2002: 194). Sie trägt zwar dem zunehmenden Wandel der Forschung von der Personal- zur Sozialgenealogie in gewisser Hinsicht Rechnung, vermag indes nicht den Facettenreichtum verwandtschaftlicher Beziehungen außerhalb des Personenverbundes der eigentlichen Familie terminologisch klar zu fassen.

Möglicherweise ließe sich der aus den vorgenannten Bestimmungsversuchen resultierenden Aporie dadurch die Schärfe nehmen, dass man, unter Verwendung und Aufweitung Forst de Battaglias Definition, “Genealogie” als eine “Wissenschaft der auf Abstammung oder Verwandtschaftsverhältnissen beruhenden Zusammenhänge zwischen Einzelpersonen oder Personengruppen” versteht. Auf diese Weise würde einesteils der etymologischen Grundbedeutung zusamt den aristotelischen Unterscheidungsmerkmalen von “Genos” hinreichend Rechnung getragen, anderenteils durch die Ausweitung auf “Abstammung oder (sic!) Verwandtschaftsverhältnisse” sowie “Einzelpersonen oder (sic!) Personengruppen” der beträchtlichen Breite und Varianz an Untersuchungsgegenständen – im Zuge des zunehmenden Wandels von der Individual- zur Sozialgenealogie – genauer entsprochen werden.

Nun verkörpert die Genealogie als Bestandteil der historischen Hilfswissenschaften keinen isolierten Selbstläufer in der Wissenschaftslandschaft, sondern dient zusamt deren übrigen Fächern wie beispielsweise der Sphragistik, der Heraldik und der Diplomatik, seit dem 18. Jahrhundert den Historikern bei ihrer Interpretation von “Wörter und Sachen” (Jakob Grimm) (Henning 2000: 11). So kommt insbesondere im vorliegenden Fall der Genealogie eine Schlüsselposition zu, denn viele Phänomene und Entwicklungen eines adligen Hauses stehen in einer untrennbaren Kohärenz zu Verwandtschaftsverhältnissen und lassen sich durch eine Analyse derselben nachvollziehen. Zu denken wäre hierbei zum Beispiel an Wappenmodifikationen sowie Namens- und Besitzerweiterungen, welche sich zumeist erst im Licht von Eheschließungen und den dazugehörigen vertraglichen Vereinbarungen explizieren lassen. Diese wiederum sind eingebettet in die seinerzeit Geltung besitzenden “adelsrechtlichen Partikularbestimmungen”, so daß sich die historischen Hilfswissenschaften und das Adelsrecht hinsichtlich der Analyse familiengeschichtlicher Phänomene zutiefst relational und ineinandergreifend verhalten.

Demgemäß vermögen adelsrechtliche Bestimmungen und Genealogie in besonders geeigneter Form Erklärungsmöglichkeiten für Befunde innerhalb einer Familie zu liefern, welche sich wie die Digeons über mehrere Jahrhunderte in einem Kontext bewegt haben, der in seiner sozialen, kulturellen und rechtlichen Dimension tiefgreifend vom Adel und dessen Entwicklungen geprägt war.

In concreto bedeutet dies für leitende Intention dieser Abhandlung, daß die zu beleuchtenden kontroversen Befunde multiperspektivisch im Fokus der drei Hauptaspekte “genealogische Beziehungen der Familie”, “Heraldik” und “Adelsrecht” analysiert werden:

So soll zunächst der bisherige Kenntnisstand hinsichtlich des französischen Teils der Familie Digeon, wie er von deutscher und französischer Seite abgebildet wurde, rekonstruiert und erstmals einer kohärenten Ordnung sowie einer kritischen Überprüfung nach Maßgabe der französischen Literatur und, wenn möglich, Primärquellen unterzogen werden, so daß diejenigen ← 10 | 11 → Angaben, die sich bisher lediglich auf “Mitteilungen der Familie” stützten (u.a. I.D.A. 1858 sowie Gotha 1893: 159), entweder verworfen oder durch Allegation entsprechender Belegstellen, erhärtet werden. Auf diese Weise soll das Fundament gelegt werden, um inskünftigen weiterführenden Forschungen eine basale Orientierungshilfe zur Hand zu geben.

Ferner wird versucht, den eingangs aufgeworfenen Fragen nach den Wurzeln der Familie, der jeweiligen Etymologie sowie Graphie des Familienamens Digeon und Monteton nachzugehen und die Vielzahl divergenter Wappenbeschreibungen in eine dem französischen Ursprungswappen am ehesten entsprechende und durch Abgleich mit den Primärquellen belegbare Blasonierung zu überführen. Denn sowohl der Familienname als auch das Wappen eines französischen Adelsgeschlechts können nicht isoliert von adelsrechtlichen Bestimmungen sowie dem Kontext, in welchem sich das Geschlecht bewegt, nachvollzogen werden. An die Wappenkontroverse anknüpfend sollen die im Zusammenhang mit der Führung der Rangkrone – in Form der Grafenals auch der französischen Baronskrone – entstandenen Konfusionen, wie sie sonderheitlich auf deutscher Seite ihren Niederschlag fanden, erläutert und aufgelöst werden.

Schließlich sind die Grundzüge des spezifischen Adelsrechts nachzuzeichnen, wie es ausgehend vom Mittelalter bis zum Ende des Ancien Régime im Jahr 1789 Bestand hatte, um auf diese Weise eine Systematik zu erhalten, welche dazu angetan ist, die zentralen Fragen hinsichtlich des Hauses Digeon nach Titelerwerb und -transmission sowie den Sukzessionsrechten, unter besonderer Berücksichtigung des Ältestenrechts und des chef de nom et armes, einer Beantwortung zuzuführen. Dabei finden die späteren adelsrechtlichen Entwicklungen wie beispielsweise der neugeschaffene Majoratsadel (vgl. weiterführend: Frain de la Gaulayrie 1909) des ersten Kaiserreichs, der Restaurations-Adel oder der Empire-Adel Napoleons III. keine Berücksichtigung. Einesteils markiert die Abschaffung der Monarchie in Frankreich eine tiefe Zäsur im Adelsrecht, da die klassischen, feudalen (Herrschafts-)Funktionen der Nobilität sowie die damit einhergehenden besonderen Transmissionsmechanismen bei Titeln und Wappen keine Anwendung mehr fanden und die Nobilitierung nach dem Ende der Alten Monarchie lediglich noch mit einer gesellschaftlichen Distinktionsfunktion einherging, die kaum mehr mit politischen Prärogativen verbunden war (Grab 2003: 42–43) und damit eine gesonderte Untersuchung rechtfertigen würde. Anderenteils sind die nach 1789 greifenden adelsrechtlichen Bestimmungen ob des Absterbens des französischen Familienzweiges für das Haus Digeon kaum maßgeblich, sintemal sämtliche Mitglieder der letzten in Frankreich verbleibenden Generation vor 1789 geboren wurden (vgl. Kap. B.6: 699 sowie: Kap. B.10: 703).

Die Lebensdaten der Familienmitglieder grenzen auch den Zeitraum der gesamten Untersuchung ein: Dieserhalb nimmt die Analyse ihren Angang von der ersten urkundlichen Nennung der Digeons im Zusammenhang mit der Teilnahme von Hernaus und Hues de Digon am ersten Kreuzzug unter Gottfried v. Bouillon (1096) in der “Chanson d’Antioche” des “Crusade Cycle” (Nelson 2003) und findet ihren Abschluß mit dem Erlöschen des Zweiges Digeon d’Autramat durch die letzte Namensträgerin in Frankreich, Marie Digeon d’Autramat, am 31. Juli 1856.

Details

Seiten
XIII, 701
Jahr
2014
ISBN (PDF)
9783653044300
ISBN (ePUB)
9783653982107
ISBN (MOBI)
9783653982091
ISBN (Hardcover)
9783631654019
DOI
10.3726/978-3-653-04430-0
Sprache
Deutsch
Erscheinungsdatum
2014 (September)
Schlagworte
Zweige Autramat Zweige Monteton Genealogie Feudalsystem Zweige Boisverdun
Erschienen
Frankfurt am Main, Berlin, Bern, Bruxelles, New York, Oxford, Wien, 2014. XIV, 701 S., 41 farb. Abb., 32 s/w Abb., 11 Tab.

Biographische Angaben

Charles Philippe Graf Dijon (Autor:in)

Charles Philippe Graf Dijon de Monteton studierte an der Universität Heidelberg Politikwissenschaft, Mittlere und Neue Geschichte sowie Judaistik an der Hochschule für Jüdische Studien. Anschließend war er als Lehrbeauftragter und Wissenschaftlicher Mitarbeiter am Institut für Politische Wissenschaft der Universität Heidelberg tätig.

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Titel: Das Haus Digeon in Frankreich (1096–1856)
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