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Die tiefenpsychologische Krankengeschichte zwischen Wissenschafts- und Weltanschauungsliteratur (1905–1952)

Eine gattungstheoretische und -historische Untersuchung

von Simone Holz (Autor:in)
©2014 Dissertation 454 Seiten

Zusammenfassung

Der Band stellt erstmals eine Gattungstheorie und -historie der «tiefenpsychologischen Krankengeschichte» bereit. Konkret leistet er viererlei: Erstens liefert er durch die Darreichung eines Gattungsmodells ebenjener Untergattung der Großgattung «Krankengeschichte» einen Beitrag zur Gattungstheorie. Zweitens gewinnt er dadurch einen unkonventionellen Zugang zur Literaturgeschichtsschreibung, dass er eine Reihe wissenschaftlicher Publikationen beleuchtet, die als solche gewiss nicht zum klassischen Literaturkanon gehören. Drittens versteht er sich insofern als wissenschaftshistorische Untersuchung, als er die Historie der tiefenpsychologischen Krankengeschichte als «literarisch-soziale Institution» in eine Art Dialog mit der Historie der Tiefenpsychologie als «außerliterarisch-soziale Institution» treten lässt. Und viertens schließlich stellt er einen Beitrag zur Wissenschaftsrhetorik dar.

Inhaltsverzeichnis

  • Cover
  • Titel
  • Copyright
  • Autorenangaben
  • Über das Buch
  • Zitierfähigkeit des eBook
  • Danksagung
  • Inhaltsverzeichnis
  • 1 Einleitung
  • 1.1 Fallgeschichte und/oder Krankengeschichte?
  • 1.2 Die Krankengeschichte: Eine wissenschaftliche Literaturgattung der Medizin und der sich aus ihr ausdifferenzierenden Disziplinen
  • 1.2.1 Die Krankengeschichte und ihre Regelpoetiken
  • 1.2.2 Was die Krankengeschichte nicht ist
  • 1.3 Zielsetzung und Vorgehensweise
  • 1.4 Zum Forschungsstand
  • 2 Ein sonderbarer Kasus: Die tiefenpsychologische Krankengeschichte (1905–1952)
  • 2.1 Vorbemerkung: Zur Diskussion über den Status der Tiefenpsychologie als Wissenschaft
  • 2.2 Das Gattungsmodell der tiefenpsychologischen Krankengeschichte: Versuch einer Begriffsbestimmung
  • 2.2.1 Die Funktion: Explizite Funktionsbestimmung, implizite Funktion(en)
  • 2.2.2 Die Textstruktur: Äußerer Aufbau, innere Architektonik, Seelengeschichte
  • 2.2.3 Metanarration: Gattungs-/formspezifizierende Metanarration, Krankengeschichten-Kontrakt
  • 2.2.4 Das textinterne Ich: Epistemische Omnipotenz, Selbstdarstellung, Plausibilisierungsarbeit
  • 2.2.5 Der textinterne Leser: Idealer Leser, lector malevolus, lector benevolus, lector testis
  • 2.3 Tiefenpsychologische Krankengeschichte und Weltanschauungsliteratur – vergleichende Überlegungen samt einer Bemerkung zur Historie der Untergattung
  • 3 Vorklänge: Zur Genese des ärztlichen Tiefblicks
  • 3.1 Krankengeschichten des Magnetismus: Ernst Joseph Gustav de Valentis »Geschichte der magnetischen Heilung der Christiane L.« (1820)
  • 3.2 Krankengeschichten des Hypnotismus
  • 3.2.1 Der experimentelle Typ: Jean-Martin Charcots »Sur deux cas de monoplégie brachiale hystérique, de cause traumatique, chez l’homme. – Monoplégies hystéro-traumatiques« (1887)
  • 3.2.2 Der therapeutische Typ: Hippolyte Bernheims »Observation XVII. – Névrose spasmodique locale consécutive Á une typhlite. Inhibition des accés par suggestion« (1891)
  • 3.3 Krankengeschichten zwischen Hypnotismus und Tiefenpsychologie
  • 3.3.1 Pierre Janets »IX. Les possessions« (1889)
  • 3.3.2 Josef Breuers »Beobachtung I. Frl. Anna O…« (1895)
  • 4 Der psychoanalytische Ausbruch des Sigmund Freud: Zur Geburt der tiefenpsychologischen Krankengeschichte
  • 4.1 Ouvertüre und Zwischenspiele
  • 4.1.1 »Ein Fall von hypnotischer Heilung« (1892/93)
  • 4.1.2 Zu den Studien über Hysterie (1895)
  • 4.1.3 »II. Frau Emmy v. N…, vierzig Jahre, aus Livland«
  • 4.1.4 »III. Miß Lucy R., dreißig Jahre«
  • 4.1.5 »IV. Katharina…«
  • 4.1.6 »V. Fräulein Elisabeth v. R…«
  • 4.2 Das große Finale: »Bruchstück einer Hysterie-Analyse« (1905)
  • 4.2.1 Literaturkritische und -wissenschaftliche Rezeption
  • 4.2.2 Die Integration einer Seelengeschichte in das klassische Strukturschema
  • 4.2.3 Abschluss eines Krankengeschichten-Kontraktes einerseits, Kritik am klassischen Strukturschema andererseits
  • 4.2.4 Ein medizinisch-neurologischer Wissenschaftsheroe mit psychoanalytischem Tiefblick
  • 4.2.5 Idealer Leser hui, lector malevolus pfui
  • 4.2.6 Beinahe zufällige Konvergenzen mit Erzählgattungen der ästhetischen Literatur
  • 4.3 Epilog respektive Nachklänge: Das Jahrbuch für psychoanalytische und psychopathologische Forschungen (1909–1913)
  • 4.3.1 Die Freud’schen Beiträge
  • 4.3.2 Zu den Krankengeschichten anderer Autoren
  • 5 Eine individualpsychologische Lossagung: Alfred Adlers Die Kunst, eine Lebens- und Krankengeschichte zu lesen (1928)
  • 5.1 Der Wegfall klassischer Strukturelemente und die parallelisierende Darstellung von Anamnese und Seelengeschichte
  • 5.2 Wie die Kunst, eine Lebens- und Krankengeschichte zu lesen zu rezipieren ist – eine vorangestellte Lektüreanleitung mit Begründung der gewählten Darstellungsform
  • 5.3 Ein Szientismuskritiker und unprätentiöser Spiritus Rector mit individualpsychologischem Tiefblick
  • 5.4 Der schwer zu greifende lector benevolus und die identifikatorische Diskrepanz zwischen dem idealen Leser und dem lector malevolus
  • 5.5 Epilog
  • 6 Die daseinsanalytische Abnabelung des Ludwig Binswanger: »Der Fall Ellen West. Eine anthropologisch-klinische Studie« (1944/45)
  • 6.1 Die Wiederannäherung an das klassische Strukturschema unter Aufnahme einer ›maskierten‹ Seelengeschichte einerseits und eines sonderbaren Elementes andererseits
  • 6.2 Über die Notwendigkeit, dem Leser während seiner Lektüre Rezeptionshilfe zu leisten oder: Gestalt ist nicht gleich Gestalt – und auch nicht gleich Fall
  • 6.3 Ein psychiatrisch-anthropologischer Grenzgänger mit daseinsanalytischem Tiefblick
  • 6.4 Der ideale Leser oder ein Identifikationsangebot, das der Rezipient (fast) nicht ablehnen kann
  • 6.5 Epilog
  • 7 Eine analytisch-psychologische Emanzipation mit Prähistorie: Carl Gustav Jungs Symbole der Wandlung. Analyse des Vorspiels zu einer Schizophrenie (1952)
  • 7.1 Der Wegfall klassischer und die Aufnahme außerordentlicher Strukturelemente nebst einer Interpolation von Anamnese, ›Selbstausforschung‹ und Seelengeschichte
  • 7.2 Des Form- und Gattungsrätsels präponierte Lösung und die Unumgänglichkeit einer ›amplifizierten‹ Krankengeschichte
  • 7.3 Ein verstoßener (Selbst-)Erleuchteter mit wissenschaftlichem Wagemut – und analytisch-psychologischem Tiefstblick
  • 7.4 Am Anfang war der lector testis, und dann erst das identifikatorische Gegensatzpaar lector malevolus und idealer Leser
  • 7.5 Epilog
  • 8 Schlussbetrachtung: Zusammenfassung der Ergebnisse und Ausblick
  • Literaturverzeichnis

← 12 | 13 → 1 Einleitung

1.1 Fallgeschichte und/oder Krankengeschichte?

»Género literario es, después de todo, la narración del patógrafo.«1 So lautet das Fazit, welches der spanische Arzt, Medizinhistoriker und Schriftsteller Pedro LaÍn Entralgo am Ende seiner geradezu monumentalen Arbeit zur Geschichte und Theorie der »historia clÍnica« zieht, die in der Mitte des 20. Jahrhunderts erschienen ist und zu der er nach eigener Aussage durch Owsei Temkins Studie »Krankengeschichte und Sinnsphäre der Medizin«2 angeregt wurde. Einen vorzugsweise problemgeschichtlichen Ansatz verfolgend untersucht er zahlreiche »historias clÍnicas«, angefangen von Beispielen aus den Büchern I und III der hippokratischen Epidemien bis hin zu solchen aus Viktor von Weizsäckers Studien zur Pathogenese (1935) und Helen Flanders Dunbars Werk Psychosomatic Diagnosis (1943). LaÍn Entralgo kommt zu dem Ergebnis, dass die »historia clÍnica« 25 Jahrhunderte hindurch eine relativ feste Struktur aufweise – »descriptio subjecti, praegressa remota, origo morbi, praegressa proxima, status praesens, cursus morbi, exitus« und im Falle des Ablebens des Kranken zusätzlich eine » inspectio cadaveris«3 –, wobei ihr Inhalt im Laufe der Entwicklung im wahrsten Sinne immer fabelhafter geworden sei.4 Insbesondere aber stellt er eine ganze Serie von konstitutiven und methodischen Schwierigkeiten nebst dazugehörigen Lösungsansätzen heraus, möchte er die »historia clÍnica« doch allem voran als ein gleichermaßen essenzielles wie konstantes Problem verstanden wissen.5

← 13 | 14 → Auch wenn LaÍn Entralgos Arbeit in der deutschsprachigen Medizingeschichte mehrheitlich unberücksichtigt geblieben ist, haben ihre Resultate durchaus Bestätigung gefunden. So spricht Hartmann, der sich als Ausgangspunkt für seine Untersuchung ebenfalls die Epidemien wählt und dann zügigen Schrittes bis zu von Weizsäckers Klinischen Vorstellungen (1941) voranschreitet, von der »Krankengeschichte als Gattung ärztlicher Literatur«6, wobei er zwischen zwei Typen differenziert, nämlich der Krankengeschichte oder »historia aegroti« auf der einen und der Krankheitsgeschichte oder »historia morbi« auf der anderen Seite.7 Dass er beide aber gleichwohl als Ausformungen einer einzigen »Gattung« begreift, geht aus der folgenden Bemerkung hervor: »Die Krankengeschichten der Gegenwart werden zunehmend wieder Kranken-Geschichten. Sie versuchen, beides zu vereinigen und zu beschreiben, die Krankheit und den Menschen, die Person und die Sache […].«8 Nicht weniger erhellend ist schließlich auch die Einschätzung Böhms, der sich insbesondere auf Texte des 17., 18. und 19. Jahrhunderts konzentriert. Wie LaÍn Entralgo bemerkt er eine inhaltliche Entwicklung, welche die »Krankengeschichte« im Verlauf der Jahrhunderte durchgemacht habe, doch er stellt ebenfalls fest, »daß sich an der äußeren Form der Schreibung von Krankengeschichten praktisch bis zum Beginn des 20. Jahrhunderts nichts veränderte«9.

Freilich ist das Interesse an dem bisher umrissenen Untersuchungsgegenstand nicht auf den inneren Zirkel der Medizingeschichte, innerhalb derer sich späterhin ein Wechsel hin zu Bezeichnungen wie »medizinische Fallbeschreibungen«10, »medizinische Fallberichte«11 oder »ärztliche ← 14 | 15 → Fallberichte«12 abzeichnet, beschränkt geblieben. So wurde im Zuge des sogenannten ›literature and medicine movement‹, einer aus medizinischen Forschern und Praktikern sowie Literatur- und Kulturwissenschaftlern bestehenden Formation, die Zeitschrift Literature and Medicine gegründet, deren Herausgeber zu Beginn der 90er Jahre ein ganzes Themenheft unter dem Titel The Art of the Case History vorgelegt haben. Während nach Charon für eine Betrachtung der »medical case history as a genre«13 ein vorheriger Blick auf deren Ursprung in mündlichen Erzählungen und eine Konzeptualisierung der während des Schreibprozesses ablaufenden Geschehnisse vonnöten ist,14 argumentiert Epstein unter Lieferung eines mit den Epidemien beginnenden kurzen historischen Abrisses und Gemahnung an den rhetoriktheoretischen Ansatz Hayden Whites15, dass die »patient history« hinsichtlich ihrer Struktur von einer kodifizierten narrativen Form abhänge, die mit Elementen der Chronik, der Ethnografie und der Biografie arbeite.16 Dahingegen begreift Hunter die »medical case history« als ein mündliches oder schriftliches »clinical narrative«, welches der Arzt von einer sich an einem Patienten zeigenden Krankheit konstruiere: »Its primary written form is the chart, which serves as the record of medical care. In academic medical centers, it takes other forms: it may be told aloud as a case presentation, transcribed from a clinical-pathological conference, or written up as part of a case report or case study.«17 Dabei gibt ein Blick in eine früher erschienene größere Hunter’sche Arbeit Aufschluss darüber, dass es die letzte dieser vier genannten Formen (»case report« resp. »case study«) ist, welche sie in der Tradition der ← 15 | 16 → hippokratischen Schriften sieht und als eine Spielart des wissenschaftlichen Berichts verstanden wissen möchte.18

Mit Verzögerung ist besagtes Untersuchungssujet schließlich auch in das Blickfeld der deutschsprachigen Literaturwissenschaft gerückt. Zunächst sei auf den von Nicolas Pethes und Sandra Richter im Jahre 2006 herausgegebenen Sammelband Medizinische Schreibweisen. Ausdifferenzierung und Transfer zwischen Medizin und Literatur (1600–1900) wie auch auf Yvonne Wübbens jüngst erschienene monografische Studie Verrückte Sprache. Psychiater und Dichter in der Anstalt des 19. Jahrhunderts hingewiesen. Was den Sammelband betrifft, so stellen die Herausgeber in ihrer Einleitung dem Disziplinennamen ›Medizin‹ den Ausdruck ›medizinisches Wissen‹ und der Kategorie ›Gattung‹ das Konzept ›Schreibweise‹ an die Seite, unter der sie in Anlehnung an Klaus W. Hempfers Gattungstheorie (1973) »Textkomplexe« verstehen, »die unterhalb der Ebene von Gattungen oder Genres liegen, aber – wie ›das Narrative, das Dramatische, das Satirische‹ – wiedererkennbare Konstanten aufweisen«19. Während sie unter den Ausdruck ›medizinisches‹ resp. ›medikales Wissen‹ unabhängig von der jeweiligen fachlichen Fundierung und institutionellen Akzeptanz »jede Behauptung über Körperorganisation, Konzepte von Krankheit und Gesundheit, Therapieformen« sowie Felder wie die Hygiene fassen, ist der Blick auf ›medizinische Schreibweisen‹ ihrer Aussage nach dazu prädestiniert, den Fokus weniger auf »ein vorgeprägtes historisches Wissen über Genre- bzw. Gattungsschemata« als auf »den jeweils – wissensgeprägten und wissensprägenden – Formfindungsprozess«20 zu legen. Und wenn De Angelis in seinem Beitrag anmerkt, »dass seit dem Corpus Hippocraticum die Krankheitsanalysen der Mediziner narrative Strukturen ausbilden« und kurz darauf expressis verbis von den »narrativen ← 16 | 17 → Schreibweisen der Mediziner«21 die Rede ist und Nolte zu Beginn ihrer Studie explizit »das Genre der medizinischen Fallbeschreibung« benennt, später in Bezug auf einen konkreten Text jedoch von einer als »›virtuelle Zeugenschaft‹« zu charakterisierenden »Schreibweise«22 spricht, dann ist das von den Herausgebern formulierte Programm auch in jenen Beiträgen des Sammelbandes umgesetzt, die im vorliegenden Zusammenhang besonders interessieren. Was indessen die Wübben’sche Monografie angeht, so redet die Autorin zwar zunächst ohne jegliche nähere begriffliche Differenzierung parallel von »Fall- und Krankengeschichten«23 bzw. im Hinblick auf erörterte Texte eines wenig bekannten deutschen Psychiaters von »Kahlbaums Fallgeschichten«24, »Kahlbaums Krankengeschichten«25 oder auch »Kahlbaums Geschichten«26. Doch findet sich an späterer Stelle mit dem Ausdruck »die pragmatische Textsorte ›Krankenbericht‹«27 eine recht klare Stellungnahme zu dem zur Diskussion stehenden Untersuchungsgegenstand.28

Darüber hinaus gilt es auf einen im vorliegenden Zusammenhang höchst bedeutsamen Dissens zwischen zwei Vertretern der Forschungsfelder ›Literarische Anthropologie‹ bzw. ›Literatur und Wissen‹ aufmerksam zu machen, der vor ← 17 | 18 → dem Hintergrund jener Frage verständlich wird, die der Historiker Johannes Süßmann in der Einleitung des von ihm mitherausgegebenen interdisziplinären Sammelbandes Fallstudien: Theorie – Geschichte – Methode formuliert: »Sind die verschiedenen Arten von Fallstudien als Ausformungen einer einzigen Textsorte zu verstehen?«29 Auf der einen Seite steht der weiter oben genannte Mitherausgeber der Medizinischen Schreibweisen, welcher der »Fallgeschichte« mehrere kürzere Studien gewidmet hat, wobei er von Anbeginn André Jolles’ Einfache Formen (1930)30 in Anschlag bringt. In einer frühen Arbeit verortet Pethes den Ursprung der »Fallgeschichten« im römischen Recht.31 Dabei geht er davon aus, dass sie »ein Genre bereitstellen, in dem Dilettantismen und Spekulation Raum finden«32. Sie würden verfasst, um »bestehendes Wissen anwendungsbezogen zu machen (Recht, Pädagogik), […] noch ungewisses Wissen empirisch zu dokumentieren (Medizin, Psychiatrie) oder eine noch nicht bestehende Wissenschaft vorzubereiten (Erfahrungsseelenkunde, Psychoanalyse)«33. Laut Pethes nutzen sie hierfür ein Schema, das sich durch die Basiselemente »Personalisierung des betroffenen Individuums«, »krisenhafte Zuspitzung seiner Geschichte« und »abschließende[s] Urteil« resp. »Erfolg der Therapieversuche«34 auszeichne.35 In ← 18 | 19 → einer späteren Studie verlegt er die Wurzeln der »Fallgeschichten« indessen in die Medizin und Rechtswissenschaft der Antike.36 Ferner stellt er nunmehr »das Schema der Biographie«, »die Dramaturgie der Wendepunkte«, »das Interesse an Normabweichung« und den »Anspruch des Exemplarischen« als essenzielle Strukturelemente heraus, die ihm zufolge »nicht entweder wissenschaftlich oder literarisch sind, sondern in allen vier Fällen sowohl epistemologisch als auch ästhetisch kodiert werden können«37. Hieraus leitet er schließlich seine maßgebliche These ab, die als eine erste Antwort auf die besagte Süßmann’sche Frage gelesen werden kann: »In allen vier Dimensionen sind Fallgeschichten«, so Pethes, »sowohl als wissenschaftliche als auch als literarische Textformen zu betrachten, und genau in diesem Sinne stellen sie eine integrale Schreibweise unterhalb gängiger Disziplinengrenzen und Gattungskonventionen dar.«38 In einer rezenten Arbeit trägt er seine Annahme zu guter Letzt noch einmal in anderen Worten vor, wobei dieses Mal von »Fallberichten« die Rede ist: »Die empirischen Wissenschaften vom Menschen bilden für ihr Ziel die gleiche Schreibweise aus wie die literarische Anthropologie für das ihre, und«, so Pethes weiter, »auf beiden Feldern wird dieser konstitutive Zusammenhang in einer Weise reflektiert, die die Trennlinien zwischen ihnen einerseits, die etwaige Priorität eines der beiden Felder andererseits, undeutlich werden lässt.«39 Genau deswegen könne »man den Fallbericht weder als wissenschaftliche Textsorte noch als literarische Gattung allein betrachten«40.

← 19 | 20 → Auf der anderen Seite steht Stefan Goldmann, der noch entschiedener als in einer früheren Studie41 unter Gemahnung an die Epidemien und Anführung einer Reihe von »Anleitungen zum richtigen Schreiben einer Krankengeschichte«, zu denen er ebenfalls Texte wie Johann August Unzers »Vorschrift, nach welcher ein Bericht von Krankheiten an einen Arzt abzufassen sey« (1769) rechnet, eine »Topik der Krankengeschichte« geltend macht, die auch einigen ärztlichen wie nicht-ärztlichen Beiträgen zu Karl Philipp Moritz’ Magazin zur Erfahrungsseelenkunde (1783–1793) zugrunde liege.42 Und wenn er sich hernach für eine Einführung der »Gattung der Krankengeschichte« in die Literaturwissenschaft ausspricht und dazu rät, »sie in ihren klassischen Mustern, in ihrer historischen Entwicklung, in ihren Spielarten und Mischformen erst eingehend zu studieren, bevor wir sie unter den modernen Begriff der Fallgeschichte fassen«43, dann liefert er eine zweite Antwort auf die von Süßmann aufgeworfene Frage.

Vorstehender Forschungsabriss bildet nicht zuletzt deshalb den Auftakt der vorliegenden literaturwissenschaftlichen Arbeit, weil ihr grundsätzliches Anliegen, nämlich eine Gattungstheorie und -historie der tiefenpsychologischen Krankengeschichte auf den Weg zu bringen, auf den ersten Blick verwundern mag. Tatsächlich aber macht sich innerhalb der deutschsprachigen Literaturwissenschaft schon seit längerer Zeit eine Modernisierung des ›alten Gattungssystems‹ bemerkbar, selbst wenn sich dies erst ansatzweise in neueren Handbüchern und Lexika widerspiegelt. Dabei zeigt sich gerade auch ein zunehmendes Interesse an jenen Textformen, welche sich der ›klassischen Gattungstrias‹ von Epik, Dramatik und Lyrik entziehen und vordem eher Angelegenheit der Textlinguistik gewesen sind, die ihrerseits lieber von Textsorten denn von Gattungen oder Genres spricht. Ob das für das Jahr 2013 angekündigte Lexikon Literarische Gattungen von Klausnitzer, Münkler und Naschert im Gegensatz zu Lampings Handbuch der literarischen Gattungen (2009) das Lemma ›Fallgeschichte‹ aufweisen wird, bleibt allerdings abzuwarten. Erweist sich selbige Bezeichnung doch, und dies wenigstens andeutungsweise vor Augen zu führen sollte ein anderer Zweck der vorangegangenen Ausführungen sein, als problematisch.

← 20 | 21 → Eine grundsätzliche Schwierigkeit besteht zunächst einmal in der Zirkulation ähnlich klingender Komposita, denn neben dem derzeitigen Modewort ›Fallgeschichte‹ sind ebenfalls Bezeichnungen wie ›Fallbericht‹, ›Fallstudie‹, ›Fallbeispiel‹ oder ›Fallerzählung‹ im Umlauf. Hinzu kommt die unterschiedliche Verwendung dieser Begrifflichkeiten, von der nicht nur im Hinblick auf verschiedene Disziplinen untereinander, sondern darüber hinaus auch innerhalb einzelner Fachrichtungen aufgrund der hohen semantischen Aufgeladenheit des Wortes ›Fall‹ ausgegangen werden muss. Schon angesichts dieser allgemeinen Überlegungen bleibt es also fraglich, ob die Bezeichnung ›Fallgeschichte‹ überhaupt dazu geeignet ist, als literaturwissenschaftlicher Gattungsbegriff zu fungieren.

Um jedoch zu dem oben gelieferten Forschungsabriss zurückzukehren, so sei dieser einmal in umgekehrter Reihenfolge aufgerollt. Pethes führt gleich zwei Bezeichnungen (»Fallgeschichte« und »Fallbericht«) ins Feld, was im Hinblick auf eine klare Verständigung gewisse Risiken birgt. Sein Rückgriff auf das von Hempfer in die literaturwissenschaftliche Gattungstheorie eingebrachte und von ihm nun deutlich modifizierte Konzept der Schreibweise, unter der er diesmal »im Unterschied zu wissenschaftlichen Textsorten bzw. ästhetischen Gattungen« die »Konstitution von Texten nach bestimmten Strukturelementen« versteht, die »nicht vorgängig einem bereits spezifizierten diskursiven Kontext zugeordnet werden können«44, mag sich in Bezug auf das Projekt einer ›Literarischen Anthropologie‹ als hilfreiches heuristisches Instrument erweisen. Allerdings bleibt zu fragen, ob ein solcher Ansatz nicht notgedrungen die spezifische Historie der schriftlichen Erzeugnisse einzelner Disziplinen vernachlässigt. So können doch gerade Medizin und Rechtswissenschaft mit normbildenden Texten aus der Antike aufwarten, die in den bereits mehrfach erwähnten Epidemien-Büchern des Corpus Hippocraticum einerseits und dem Corpus Iuris Civilis andererseits enthalten sind. Ferner gilt es darauf aufmerksam zu machen, dass spätestens ab dem frühen 18. Jahrhundert sowohl von medizinischer als auch von rechtswissenschaftlicher Seite Veröffentlichungen vorliegen, welche Anweisungen zum adäquaten Verfassen bestimmter Textformen bereithalten.45 Und in der Tat weichen diese buchstäblichen ← 21 | 22 → Regelpoetiken im Hinblick auf die von ihnen erteilten strukturellen Vorgaben in nicht ganz unerheblichem Maße voneinander ab. Von daher stellt sich nicht nur die Aufgabe, die von der deutschsprachigen Literaturwissenschaft als ›literarische Fallgeschichten‹ identifizierten Texte unter Berücksichtigung ebenjener Regelpoetiken neu zu verhandeln. Darüber hinaus ergibt sich nämlich auch die Frage, ob die freilich keineswegs nur von Pethes gemachte grundsätzliche Gegenüberstellung von ›wissenschaftlichen Textsorten‹ auf der einen und ›ästhetischen Gattungen‹ auf der anderen Seite so ohne Weiteres überhaupt aufrechterhalten werden und der aus der Textlinguistik entlehnte Terminus nicht eher zugunsten des Begriffspaars ›wissenschaftliche Literaturgattungen‹ vs. ›ästhetische Literaturgattungen‹ aufgegeben werden sollte. In letzter Konsequenz müsste dies dann aber auch bedeuten, die Ersteren nicht immer nur als Vergleichsfolie der Letzteren zu behandeln, sondern sie in den Rang ebenbürtiger Untersuchungsobjekte zu erheben.

Freilich zeugen diese Überlegungen aber ebenfalls von einer gewissen Unvereinbarkeit mit der Position Goldmanns. Sein Plädoyer für eine Einführung der »Gattung der Krankengeschichte« in die Literaturwissenschaft und also einen vorsichtigen Umgang mit dem »modernen Begriff der Fallgeschichte« ist vor dem Hintergrund der Forschungsergebnisse der Medizingeschichte, auf die er sich in nicht unerheblichem Maße stützt, durchaus nachvollziehbar.46 Weniger einleuchten will allerdings, weshalb er den von ihm sogenannten »Anleitungen zum richtigen Schreiben einer Krankengeschichte« auch solche Texte zuordnet, die dem medizinischen Laien Ratschläge für das Verfassen von Briefen über die eigenen gesundheitlichen Beschwerden an die Hand geben. Löst er die »Gattung der Krankengeschichte« solcherart doch kurzerhand aus ihrem fachlichen bzw. wissenschaftlichen Kontext.

Die Wübben’sche Einschätzung »pragmatische Textsorte ›Krankenbericht‹« ist angesichts der gern gemachten Differenzierung zwischen ›literarischen/ästhetischen Gattungen‹ einerseits und ›wissenschaftlichen/fachlichen/Gebrauchs- oder pragmatischen Textsorten‹ andererseits verständlich, zumal die Autorin mit ihrer neue wissensgeschichtliche Wege beschreitenden Studie offensichtlich keine Untersuchung zur Gattungsforschung im eigentlichen Sinne vorzulegen beabsichtigt. Erstaunlich ist es dann aber doch, wenn sie späterhin expressis ← 22 | 23 → verbis von der »Gattung der Pathographie«47 spricht. Tatsächlich heißt es sogar noch, dass »die Pathographie zunächst als semiphilologische und eher populäre Gattung [galt]«, genauso wie von dem »Versuch« des Tübinger Psychiaters Robert Gaupp die Rede ist, »die Pathographie auch im deutschsprachigen Raum als wissenschaftliche Gattung zu etablieren«48.

Und was zu guter Letzt den von Pethes und Richter herausgegebenen Sammelband anbelangt, so kann Folgendes festgehalten werden: Zwar lassen die Herausgeber durch die ausdrückliche Hinlenkung auf die »unterhalb der Ebene von Gattungen oder Genres« angesiedelten »medizinischen Schreibweisen« und damit auf »den jeweils – wissensgeprägten und wissensprägenden – Formfindungsprozess« keinen Zweifel darüber aufkommen, dass das Buchprojekt weniger einen systematisierenden als einen historisierenden Ansatz verfolgt. Allerdings stellen sie »ein vorgeprägtes Wissen über Genre- und Gattungsschemata« nicht etwa in Abrede. Denn schließlich bleibt für sie »unbestritten«, dass »sich solche Schreibweisen immer wieder zu neuen Gattungs- oder Genretypen verfestigen können«49. Dabei scheint es kein Zufall zu sein, wenn nicht in der Studie des Literaturwissenschaftlers De Angelis, sondern in jener der Medizinhistorikerin Nolte das »Genre der medizinischen Fallbeschreibung« Erwähnung findet.

Um nach dieser recht eingehenden Auseinandersetzung mit dem dritten nun aber ebenfalls auf den zweiten weiter oben angerissenen Forschungsstrang zu sprechen zu kommen, so kann von einem einheitlichen Gebrauch der Bezeichnung ›Fallgeschichte‹ übrigens keine Rede sein. Wenn Hunter im Hinblick auf die »medical case history« von einem »clinical narrative« spricht, dann greift sie auf eine Kategorie zurück, die weniger in der literaturwissenschaftlichen Gattungs- als in der kulturwissenschaftlichen Erzählforschung beheimatet ist. Folgerichtig subsumiert sie unter dem Begriff »medical case history« sowohl mündliche und schriftliche Äußerungen als auch unpublizierte und veröffentlichte Texte, mit anderen Worten attestiert sie ihm eine nicht unerhebliche Polyvalenz. Epstein wiederum bringt als Synonym für die Bezeichnung »case history« diejenige der »patient history« ins Spiel und entbindet die erstere damit in maßgeblicher Weise von ihrer semantischen Aufgeladenheit. Letztlich ist Charon die einzige, die das Wort »medical case history« expressis verbis für eine Verwendung als literaturwissenschaftlicher Gattungsbegriff offen hält.

Eine ausgesprochen aufschlussreiche Feststellung lässt sich zu guter Letzt in Bezug auf den ersten Forschungsstrang machen. Tatsächlich nämlich scheint die ← 23 | 24 → deutschsprachige Medizingeschichte die Bezeichnung ›Fallgeschichte‹ lange Zeit hindurch überhaupt gar nicht gekannt zu haben. Denn erst im Ausgang des vergangenen 20. Jahrhunderts wird, und dies vermutlich durch den Einfluss englischsprachiger Forschungsliteratur, die althergebrachte Begrifflichkeit ›Krankengeschichte‹ durch verschiedene Fall-Komposita ersetzt. Dabei bleibt es allerdings fraglich, ob dieser Wechsel wirklich mit dem Bewusstsein einhergegangen ist, dass hierdurch letztlich eine Grundsatzentscheidung gefällt wird, und zwar insofern, als Bezeichnungen wie ›medizinische Fallgeschichte‹ oder ›ärztlicher Fallbericht‹ ja bereits das Vorhandensein einer größeren Einheit ›Fallgeschichte‹ oder ›Fallbericht‹ implizieren.

Während das neumodische Wort ›Fallgeschichte‹ als wie auch immer verstandener literaturwissenschaftlicher Gattungsbegriff vielleicht nicht unrettbar, so aber doch mit einer Reihe von hier nur skizzenhaft angedeuteten Schwierigkeiten verbunden ist, drängt sich angesichts des oben gelieferten Forschungsabrisses viel eher die Möglichkeit auf, die Bezeichnung ›Krankengeschichte‹ in ebendieser Hinsicht fruchtbar zu machen. So hat die Medizingeschichte schließlich eine maßgebliche Vorleistung erbracht, ja geradezu in die Hände der literaturwissenschaftlichen Gattungsforschung gearbeitet – und dies, obwohl ihr Geschäft doch eigentlich ein ganz anderes ist. Aus diesem Grund stimmt die vorliegende Arbeit mit Goldmann darin überein, dass sich die Literaturwissenschaft erst einmal der bislang allenfalls ansatzweise untersuchten Gattung der Krankengeschichte widmen sollte, bevor sie sich an das Großprojekt einer Theorie der Fallgeschichte heranwagt. Die Forschungsergebnisse der Medizingeschichte ernst nehmend geht der Vorschlag allerdings dahin, die Krankengeschichte als eine wissenschaftliche Literaturgattung der Medizin und der sich aus ihr ausdifferenzierenden Disziplinen zu begreifen, zu denen nicht zuletzt die Tiefenpsychologie gehört, die, so jedenfalls die These, zu Beginn des 20. Jahrhunderts eine Untergattung der ganz besonderen Art ausbildet. Der von der Luhmann’schen Systemtheorie beeinflusste Ansatz Wilhelm Voßkamps, Gattungen als »literarisch-soziale Institutionen« zu verstehen, deren Geschichte in maßgeblicher Weise durch »normbildende Werke (Prototypen)«50 bestimmt wird, erweist sich dabei als ein hilfreicher Ausgangspunkt.51

← 24 | 25 → 1.2 Die Krankengeschichte: Eine wissenschaftliche Literaturgattung der Medizin und der sich aus ihr ausdifferenzierenden Disziplinen

Dass die insgesamt 42 Exemplare der hippokratischen Epidemien tatsächlich als Prototypen der Literaturgroßgattung Krankengeschichte angesehen werden können, dürfte die medizinhistorische Forschung zweifelsfrei nachgewiesen haben.52 Und auch über die enorme Bedeutung der beiden Krankengeschichten Atrocis nec descripti prius morbi historia (1724) und Atrocis rarissimique morbi historia altera (1728), deren berühmter Autor Herman Boerhaave (1668–1738) im Jahre 1714 den Leidener Lehrstuhl für praktische Medizin angenommen hatte,53 herrscht einhelliger Konsens.54 Anstatt jedoch den wenig aussichtsreichen Versuch zu unternehmen, eine kurze Geschichte der Ausdifferenzierung der Literaturgroßgattung Krankengeschichte vermittels der Erörterung ← 25 | 26 → einzelner Exemplare vorzulegen, sei im Nachstehenden lieber ein anderer Weg eingeschlagen.

1.2.1 Die Krankengeschichte und ihre Regelpoetiken

Einen ersten Anhaltpunkt liefern zwei Einträge, die sich in Adelungs Grammatisch-kritischem Wörterbuch der deutschen Mundart einerseits und Campes Wörterbuch der Deutschen Sprache andererseits finden. So heißt es bei Adelung:

Die Krankengeschichte, plur. die –n, bey den Ärzten, die Erzählung von dem Ursprunge und den Abwechselungen einer Krankheit, so wohl überhaupt, als bey einzelnen Kranken.55

Dahingegen findet sich bei Campe Folgendes:

Die Krankheitsgeschichte, Mz. die –n, die geschichtsmäßige Erzählung von der Entstehung, dem Fortgange, dem Zunehmen, den besondern Zufällen und dem Ausgang oder der Heilung einer gewissen Krankheit überhaupt, oder einer Krankheit in einem bestimmten Falle, eines bestimmten Kranken.56

Da beide Einträge aus dem Jahre 1808 stammen, ist zunächst einmal davon auszugehen, dass die Bezeichnungen ›Krankengeschichte‹ und ›Krankheitsgeschichte‹ wenigstens zu Beginn des 19. Jahrhunderts synonymisch verwendet wurden, denn die Bedeutungserklärungen ähneln einander in auffälliger Weise. Interessant ist ferner der doppelte Inhalt, der ihnen zugewiesen wird, wobei in beiden Fällen, also sowohl in Bezug auf eine bestimmte Krankheit als auch im Hinblick auf die Krankheit eines bestimmten indisponierten Individuums, von einer »Erzählung« im Sinne einer Darstellung eines mehr oder weniger geschlossenen Geschehens die Rede ist.

Als aufschlussreicher als diese verständlicherweise sehr allgemein gehaltenen Wörterbucheinträge erweisen sich freilich jene Darstellungen, die weiter oben mit dem Attribut ›Regelpoetiken‹ belegt worden sind. Zwar wird ebendieser Begriff in der neueren und neuesten Poetikforschung als nicht unproblematisch herausgestellt. So zeigt Jörg Wesche anhand von gemeinhin als Regelpoetiken mit strikt präskriptivem Anspruch geltenden »Poetiken der Barockzeit« angefangen von Martin Opitz’ Buch von der deutschen Poeterey (1624) bis hin zur sogenannten ← 26 | 27 → Breslauer Anleitung (1725), dass dieselben trotz ihres unbezweifelbaren Status als »Normpoetiken« ohne Ausnahme mehr oder weniger große »Spielräume« offen halten,57 wobei zwecks Präzisierung zwischen »restriktiver Poetik« (die Barockpoetiken von Opitz und der ersten Generation) einerseits und »potentialer Poetik« bzw. »Exempelpoetik« oder »Spielraumpoetik«58 (die Barockpoetiken der zweiten Generation) andererseits unterschieden werden müsse. Und gleichsam in Ergänzung hierzu verdeutlicht Sandra Richter am Beispiel von deutschsprachigen »academical scholarly aesthetics and poetics«, welche aus den Jahren 1770 bis 1960 stammen und die sie von »school poetics and popular poetics« auf der einen und »literary poetics« auf der anderen Seite abgrenzt,59 dass diese sich durch ein überaus breites Spektrum methodischer Ansätze auszeichnen und nicht etwa nur normativ, sondern vor allem auch deskriptiv argumentieren. Doch so vorschnell und undifferenziert der Begriff der Regelpoetik zur Bezeichnung einer in sich recht heterogenen Gruppe von Texten lange Zeit hindurch auch verwendet wurde, so sehr bietet es sich nichtsdestoweniger an, ihn im Zusammenhang mit jenen Darstellungen zu gebrauchen, um die es im Folgenden geht. Tatsächlich handelt es sich hierbei um Ausführungen sehr unterschiedlichen Umfangs, die aus der Feder einer fachlichen Autorität stammen und an ein medizinisches Publikum gerichtet sind. Während einige wenige als eigenständige Publikationen vorliegen, bildet die große Mehrheit als ein mehr oder weniger umfassendes Kapitel, ausnahmsweise auch einmal in Form verstreuter Einschübe, Bestandteil eines umfangreicheren Werkes, und zwar nicht selten eines Lehrbuches. Fast immer aber finden sie sich im Anschluss an Anleitungen zur Durchführung des Krankenexamens resp. der ärztlichen Untersuchung eines Kranken. Dabei gibt für gewöhnlich bereits ihr Titel oder ihre Überschrift, über den bzw. die sie üblicherweise verfügen, Aufschluss über ihren direktiven Grundmodus. Und in der Tat sind die hier zur Diskussion stehenden fachspezifischen Poetiken insbesondere dadurch gekennzeichnet, dass sie präskriptive Regeln zur Herstellung von Textmaterial ← 27 | 28 → festlegen, welches dem Rezipienten durch seine allgemeine Zugänglichkeit einen kritischen Nachvollzug erlaubt – wenngleich auch sie, um mit Wesche zu sprechen, dem Verfasser gewisse »Spielräume« offen lassen.

Frühe Beispiele aus dem ersten Drittel des 18. Jahrhunderts gehen auf die Hallenser Medizinprofessoren Georg Ernst Stahl (1659–1734) und Friedrich Hoffmann (1660–1742) zurück.60 Erwähnt sei nicht nur Hoffmanns Ausführung »Historiis morborvm recte consignandis, cev primo therapiae medicae fvndamento«, die in dem dritten Band seiner Medicinæ rationalis systematicæ enthalten ist,61 sondern auch jene »Prolegomena« betitelte, die sich in Stahls Collegivm casvale, sic dictvm minus entdecken lässt. Letztere ist nicht zuletzt deswegen aufschlussreich, weil sie eine Definition der Bezeichnung »historia morbi« bereithält, die mit den Wörterbucheintragungen Adelungs und Campes weitgehend übereinstimmt.62

Eine besonders ausführliche Regelpoetik aus dem zweiten Drittel des 18. Jahrhunderts, die nicht in lateinischer, sondern in deutscher Sprache erschienen ist,63 ← 28 | 29 → findet sich in dem ersten Teil des anonym publizierten zweibändigen Werkes Der in schweren und verwirrten Krankheiten vernünftig rathende und glücklich curirende Medicus und trägt den Titel »Von der ordentlichen Einrichtung und Aufzeichnung einer vollständigen Krankheits=Geschichte, und denen sämtlichen dazu erforderlichen Stücken«.64 Verfasser des gesamten Opus ist Andreas Elias Büchner (1701–1769), der ab dem Jahre 1759 die erste medizinische Professur in Halle innehatte.65 Die Regelpoetik selbst lässt sich in drei Abschnitte unterteilen. Der erste Abschnitt (§ 1–6) bildet eine Einführung, die einen Abriss über die Geschichte der ›historia morbi‹ liefert66 und in einer Definition ausklingt:

Die Geschichte einer Krankheit besteht ordentlicher Weise in einer deutlichen und zusammenhangenden Erzählung aller dererjenigen Umstände, Veränderungen und Zufälle, welche von Anfang derselben sind wahrgenommen worden, sie mögen nun von der Krankheit selbst, oder von denen gebrauchten Arzneimitteln, oder von besondern zufälligen Ursachen herrühren.67

Da sie sich in »zwey Hauptstücke« gliedert, von denen »das erstere der Kranke an und vor sich selbst ist, mit allen dem, was zu seiner ganzen Leibes= und Gemüths=Beschaffenheit gehöret, das andere aber in der eigentlichen Krankheit bestehet«68, nimmt es wenig wunder, wenn sich der zweite Abschnitt (§ 6–17) der schriftlichen Niederlegung des Kranken und der dritte (§ 18–20) der Aufzeichnung der Geschichte der Krankheit widmet. Auffällig ist freilich der sehr unterschiedliche Umfang dieser Ausführungen, denn der zweite Abschnitt ist ziemlich genau viermal so lang wie der dritte. Und tatsächlich erfährt genau jenes Strukturelement der Krankengeschichte eine enorme Aufwertung, das LaÍn Entralgo als »descriptio subjecti« bezeichnet. Laut Zelle, dem das Verdienst zukommt, ← 29 | 30 → die bemerkenswerte Regelpoetik der Literaturwissenschaft bekannt gemacht zu haben, entwickelt Büchner »eine umfassende Personaltopik, die die traditionellen loci a persona […] auf signifikante Weise mit den sex res non naturales verschmilzt«69. Dessen ungeachtet finden sich aber auch alle anderen von LaÍn Entralgo genannten Strukturelemente wieder, selbst wenn dem »cursus morbi«, dem »exitus« und der »inspectio cadaveris« vergleichsweise wenig Aufmerksamkeit geschenkt wird.

Eine ebenfalls in deutscher Sprache veröffentlichte Regelpoetik aus dem frühen 19. Jahrhundert, die »Von der Abfassung der Krankheitsgeschichte« überschrieben ist, bildet den Anhang zu dem Lehrwerk Anweisung zur Ausübung der Heilkunst, als Einleitung in den klinischen Unterricht, das erstmals im Jahre 1815 erschienen ist und aus der Feder Johann Nepomuk von Raimanns (1780–1847) stammt, der seinerzeit den Wiener Lehrstuhl für Spezielle Therapie und Medizinische Klinik bekleidete.70 Auch wenn sie ungleich kürzer als diejenige Büchners ist, erweist sie sich insofern als besonders, als sie für den künftigen Verfasser sogar ein wohlkonstruiertes »Beyspiel zur Nachahmung«71 bereithält. Was nun die eigentliche Regelpoetik anbelangt, so lässt sich hier eine aufschlussreiche Bemerkung entdecken, die in bündigen Worten den grundsätzlichen Sinn und Zweck der zur Diskussion stehenden Textform benennt: »Gute Krankheitsgeschichten waren von jeher, und bleiben immer noch eine höchst wichtige Quelle für die Begründung, Berichtigung und Erweiterung der Kunst, Krankheiten zu erkennen, richtig zu beurtheilen und zweckmäßig zu behandeln.«72 Demnach stellen sie im Grunde genommen also nicht weniger als einen tragenden Grundpfeiler der Medizin als Wissenschaft dar.73 Damit eine »Kranken= und Krankheitsgeschichte« einen Beitrag zur medizinischen Wissenschaft zu leisten vermag, muss sie allerdings einige wesentliche Kriterien ← 30 | 31 → erfüllen: Sie muss »wahr seyn«, »einfach seyn«, »vollständig seyn« und »gehörig geordnet seyn«74. Wie im Falle der Büchner’schen Regelpoetik wird »zuerst eine Geschichte und Schilderung des kranken Individuums, dann der gegenwärtigen Krankheit und ihrer Entstehung«75 gefordert, wobei die hier entwickelte Personaltopik, welche naturgemäß die erstgenannte eigentliche Krankengeschichte betrifft, etwas geringer ausfällt. Interessanterweise werden die Strukturelemente »Entwicklung der Diagnose« resp. »Bestimmung der Krankheit«, »Auseinandersetzung der Prognose«, »Bildung der Heilanzeigen«, »Festsetzung der Heilmethode« sowie »Bestimmung und Verordnung der zweckdienlichen Heilmittel«76, welche der Krankheitsgeschichte gleichsam zwischenzuschalten sind, als weniger bedeutsame herausgestellt. Größeres Gewicht kommt hingegen dem restlichen Teil der Darstellung zu, also jenen Strukturelementen, die LaÍn Entralgo unter die Begriffe »cursus morbi«, »exitus« und »inspectio cadaveris« fasst. So wird nämlich

die Geschichte der Krankheit von Tag zu Tage weiter fortgesetzt, die von Zeit zu Zeit in der letzteren sich ergebenden und dadurch in der Behandlung nötig gewordenen Abänderungen angemerkt, und der Bericht entweder mit dem Austritte des Kranken aus der Behandlung, oder im ungünstigen Falle mit dem Befunde der Leichenuntersuchung und den daraus für die Diagnostik, Prognostik und Therapeutik etwa fließenden Resultaten geschlossen.77

Aus dem Vorstehenden erhellt, dass der zweite Teil der Krankheitsgeschichte resp. die Geschichte des sich nach Aufnahme der Behandlung manifestierenden Krankheitsverlaufes in Form eines chronologischen Protokolls niedergeschrieben werden soll – eine Vorgabe, die in dem angehängten »Beyspiel zur Nachahmung« geradezu vorbildhaft eingelöst ist. Dieselbe nimmt hier übrigens genauso viel Raum ein wie die restlichen Teile der »Kranken= und Krankheitsgeschichte« zusammen.

Kurz vorgestellt sei schließlich auch eine Regelpoetik aus dem späten 19. Jahrhundert, und zwar die sogenannte Anleitung zur Krankenbeobachtung und Abfassung der Krankengeschichte (1892), deren Verfasser Heinrich Curschmann (1846–1919) erst wenige Jahre vor ihrem Erscheinen eine Stelle als Ordinarius für Innere Medizin an der Universität Leipzig angetreten hatte.78 Wie bereits aus dem Titel der Abhandlung hervorgeht, ist hier die Gattungsbezeichnung »Krankheitsgeschichte« zugunsten jener der »Krankengeschichte« aufgegeben ← 31 | 32 → und tatsächlich wird sich auch innerhalb der Ausführungen in keinem Moment der erstgenannten bedient. Als bemerkenswerter erweist sich allerdings die Verwendung eines anderen Ausdrucks. So heißt es nämlich mit Blick auf die »Abfassung der Krankengeschichte« expressis verbis:

Das Schema könnte vom Standpunkt des Einzelfalles allzu breit und ausführlich erscheinen. Es soll aber für möglichst viele und die verschiedenartigsten Krankheitszustände Rückhalt bieten und in seinen einzelnen Theilen mit der dem gerade vorliegenden Falle entsprechenden Ausführlichkeit Verwendung finden können.79

Der künftige Autor wird also ganz ausdrücklich dazu angehalten, sich bei der Niederschrift seiner Krankengeschichte an einem strukturellen Grundmuster bzw. einem ihm vorgegebenen »Schema« zu orientieren. Dessen ungeachtet sind gewisse Freiheiten aber nicht nur erlaubt, sondern sogar geboten:

Die beste Krankengeschichte ist nicht die, welche pedantisch gleichmässig und kritiklos möglichst Vieles auf den gegebenen Faden aufreiht, sondern die, welche das Ermittelte nach dem Maasse seiner Wichtigkeit ins Licht stellt und minder Bedeutendes zwar nicht unberücksichtigt, aber entsprechend im Schatten lässt.80

Wie aus dem Vorstehenden hervorgeht, darf das grundsätzliche »Schema« zwar nicht angetastet werden, doch die eigentliche Kunst der Krankengeschichtsschreibung besteht darin, eine adäquate Gewichtung seiner »einzelnen Theile[n]« vorzunehmen, was im Umkehrschluss bedeutet, dass jede Krankengeschichte zumindest im Hinblick auf ihre jeweiligen Proportionen genauso individuell sein sollte wie die Krankheit des indisponierten Individuums selbst.

Das besagte »Schema« besteht aus insgesamt acht Basiselementen, und zwar »I. Persönliches«, »II. Anamnese«, »III. Status praesens«, »IV. Diagnose«, »V. Prognose«, »VI. Behandlung«, »VII. Regelmäßige Aufzeichnungen über den Krankheitsverlauf« und »VIII. Epikritische Bemerkungen«81. Während das zweite Basiselement nicht nur die Vorgeschichte der aktuellen Krankheit und jene des kranken Individuums, sondern auch die Darstellung der gesundheitlichen Verhältnisse seiner Familienangehörigen umfassen soll, ist in Bezug auf das dritte, welches besonders breit abgehandelt wird, ausdrücklich von »[o]bjective[n] ← 32 | 33 → und subjective[n] Befunde[n] bei der ersten Untersuchung«82 die Rede. Und was schließlich das letzte betrifft, so findet sich die nachstehende Erläuterung: »Bei wichtigeren und interessanteren Fällen ist es nützlich, die Krankengeschichte mit kurzen Bemerkungen über die wesentlichsten Eigentümlichkeiten derselben abzuschliessen«, wobei im Falle einer tödlich endenden Krankheit »damit ein Blick auf die Ergebnisse der Leichenuntersuchung zu verbinden«83 ist. Dazu ist allerdings zu bemerken, dass die in den zuvor vorgestellten Regelpoetiken unerwähnt bleibenden Ausdrücke »Anamnese«, »Status praesens« und »epikritische Bemerkungen« keineswegs Neuschöpfungen sind, wie bereits ein Blick in Zedlers Grosses vollständiges Universal-Lexicon zeigt, in dem sich die folgenden Eintragungen entdecken lassen:

Anamnesis, άνάμνησις, die Erinnerung, das Zurückdencken. Galenus hat dieses Wort gebraucht de plenitud. 9.84

STATUS, heißt bey den Medicis der Zustand oder die Beschaffenheit, in welcher sich der Mensch befindet.85

Epicrisis, heißt die Beurteilung derer Kranckheiten. Von έπικρίνω judico, beurtheilen.86

Der erste Eintrag erweist sich insofern als besonders interessant, weil hier nicht das Œuvre Platons, sondern stattdessen eine Schrift des antiken griechischen Arztes Galenos als Wortquelle angegeben wird.

Während die bisher umrissenen Regelpoetiken Normen für das Schreiben sämtlicher Arten von Krankengeschichten aufstellen, liegen darüber hinaus auch solche vor, die Richtlinien für das Verfassen spezifischerer Formen festlegen. Exemplarisch herausgegriffen seien im Nachstehenden einige wenige, die aus psychiatrischer Feder stammen und auf das 20. Jahrhundert zurückgehen. An erster Stelle ist Karl Jaspers (1883–1969) opulentes Lehrbuch Allgemeine Psychopathologie zu nennen, das nach seinem erstmaligen Erscheinen im Jahre 1913 ← 33 | 34 → noch viele weitere Auflagen erfahren hat. So finden sich darin regelpoetische Vorgaben, auch wenn ausnahmsweise eher von vereinzelten Einschüben denn von einer zusammenhängenden Unterweisung gesprochen werden kann. Besonders aufschlussreich ist ein kurzer Abschnitt, der die Überschrift »Die Kunst der Krankengeschichtsschreibung« trägt und mit der folgenden Bemerkung einsteigt: »Die in den wissenschaftlichen Veröffentlichungen gegebenen Krankengeschichten dienen durchweg als Beweis allgemeiner Thesen.«87 Wie aus dem Vorstehenden erhellt, soll die publizierte Krankengeschichte keineswegs einen Selbstzweck erfüllen, sondern sie muss im Gegenteil Beweisfunktion übernehmen. Wichtig ist in diesem Zusammenhang, »daß dem Leser jederzeit ein Bild erwächst, das sich Schritt für Schritt, Satz für Satz, Absatz für Absatz aufbaut«88. Folglich wird der Verfasser ausdrücklich dazu aufgefordert, sich einer anschaulichen Darstellungsweise zu bedienen, die dem bildlichen Vorstellungsvermögen des Rezipienten gleichsam entgegenkommt. Allerdings darf die »Struktur einer biographischen Krankengeschichte […] nicht nach vorausgesetztem Schema entworfen werden«, denn »die Kunst des Erblickens« resp. »das Sichaufdrängen der Bilder bringen die natürlich erwachsene Ordnung und das Glück der treffenden Formulierung«89. Wie an späterer Stelle ausgeführt, spielt das Kriterium der Selektivität dabei aber sehr wohl eine maßgebliche Rolle: »Da aber jede Beschreibung eines Individuums, wenn sie vollständig sein wollte, eine endlose und darum unlösbare Aufgabe wäre, muss in der Beschreibung eine Auswahl stattfinden.«90 Der Autor einer Krankengeschichte wird also mit Nachdruck dazu angehalten, aus dem Gesamt des von ihm Erblickten das Wesentliche bzw. das ihm wesentlich Erscheinende herauszufiltern und in eine plastische Form zu überführen. Und dass es sich hierbei um ein diffiziles Unterfangen handelt, das durchaus einer gewissen Kunstfertigkeit bedarf, geht besonders eindrücklich aus der folgenden Warnung hervor: »Eine gute Krankengeschichte wird immer lang sein, aber eine lange Krankengeschichte braucht nicht gut zu sein.«91

Eine Regelpoetik aus der Mitte des 20. Jahrhunderts ist in das Kapitel »Die psychiatrische Untersuchung« eingeflochten, das sich im ersten Teil eines anno 1956 erschienenen psychiatrischen Lehrwerkes entdecken lässt. Die diesbezüglichen Ausführungen nehmen mit einem Ausspruch ihren Anfang, der angesichts der ← 34 | 35 → soeben umrissenen Jasper’schen Regelpoetik nicht allzu sehr verwundert: »Der Aufbau einer psychiatrischen Krankengeschichte ist«, so heißt es lapidar, »ziemlich komplex.«92 Was nun die dem angehenden Verfasser zur angemessenen Bewältigung seiner Schreibaufgabe an die Hand gegebenen Anweisungen anbelangt, so betrifft ein erstes gefordertes Kriterium die zu verwendende Sprache:

Da die Inhalte einer Krankengeschichte auch für spätere Generationen verständlich sein müssen, dürfen sie nicht in einem dem Untersucher eigenen Jargon geschrieben sein. Es dürfen keine gerade in Mode stehenden Schlagworte benutzt werden, bevor sie nicht in den festen Besitz der psychiatrischen Wissenschaft eingegangen sind.93

Details

Seiten
454
Jahr
2014
ISBN (PDF)
9783653046274
ISBN (ePUB)
9783653982305
ISBN (MOBI)
9783653982299
ISBN (Hardcover)
9783631653906
DOI
10.3726/978-3-653-04627-4
Sprache
Deutsch
Erscheinungsdatum
2014 (Juni)
Schlagworte
Regelpoetiken Gattungstheorie Gattungshistorie Wissenschaftsrhetorik Literaturgattung
Erschienen
Frankfurt am Main, Berlin, Bern, Bruxelles, New York, Oxford, Wien, 2014. 454 S.

Biographische Angaben

Simone Holz (Autor:in)

Simone Holz studierte Germanistik und Hispanistik an der Technischen Universität Berlin, der Humboldt-Universität Berlin, der Universität Salamanca und der Universität Stuttgart.

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Titel: Die tiefenpsychologische Krankengeschichte zwischen Wissenschafts- und Weltanschauungsliteratur (1905–1952)
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