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Theologie im Spannungsfeld von Kirche und Politik - Theology in Engagement with Church and Politics

Hans Schwarz zum 75. Geburtstag- Hans Schwarz on the Occasion of his 75 th Birthday

by Matthias Heesch (Volume editor) Thomas Kothmann (Volume editor) Craig L. Nessan (Volume editor)
©2014 Edited Collection 664 Pages
Series: Glaube und Denken, Volume 31

Summary

Die 39 Beiträge dieses Sonderbandes beleuchten das Thema Theologie im Spannungsfeld von Kirche und Politik aus unterschiedlichen Perspektiven. Neben historischen Aspekten werden sowohl politisch-zeitgeschichtliche Fragen als auch ethische Problemstellungen bedacht. Weitere Aufsätze widmen sich der praktisch-theologischen Reflexion und Konkretion im Rahmen der christlichen Gemeinde, wie auch der Relevanz des Themas in außereuropäischen politisch-kulturellen Kontexten. Der internationale Autorenkreis setzt sich überwiegend aus Kolleginnen und Kollegen, Schülerinnen und Schülern des Regensburger Systematikers Hans Schwarz zusammen. Im Rahmen der Regensburger Summer School 2014 haben sie damit auch das Lebenswerk von Hans Schwarz anlässlich von dessen 75. Geburtstags gewürdigt, in dem das theologisch geleitete Umgehen mit der säkularen Welt eine wichtige Rolle spielt.
The 39 contributions to this special issue develop the theme Theology in Engagement with Church and Politics from a variety of perspectives. Alongside the exploration of historical aspects, both contemporary political questions and ethical dilemmas are examined. Further contributions are devoted to the reflection upon practical theology, Christian congregational praxis, and contextual studies, which demonstrate the political and cultural relevance of this theme beyond Europe. The international circle of authors is constituted largely of colleagues and students of Professor Hans Schwarz, systematic theologian from Regensburg, Germany. In conjunction with the 2014 University of Regensburg Summer School, the authors dedicate this volume to the lifetime achievement of Hans Schwarz on the occasion of his 75th birthday, in whose work the engagement of theology with the secular world plays a major role.

Table Of Contents

  • Cover
  • Titel
  • Copyright
  • Autorenangaben
  • Über das Buch
  • Zitierfähigkeit des eBooks
  • Inhalt
  • Anstelle eines Vorworts: Ein Lutheraner im Gespräch mit der säkularen Moderne
  • Grußwort von Oberkirchenrat Michael Martin, Evangelisch-Lutherische Kirche in Bayern
  • Grußwort von Dr. Rainer Stahl, Generalsekretär des Martin-Luther-Bundes
  • Historische Theologie
  • The Role of Politics in the Message and Ministry of Jesus, and in the Formulation of Christian Theology
  • Jan Hus – Serving Christ and the Country
  • Zwischen Kirche und Staat. Die Dreieinigkeitskirche in Regensburg (1627-1631) im Licht von Luthers Zwei-Reiche-Lehre
  • Romanian-German Relations during the Reign of Constantin Brâncoveanu, Prince of Wallachia (1688-1714)
  • The Age against the Church: The French Revolution in the Mémoires of Abbé Augustin de Barruel
  • Das Verhältnis der Religion zum Staat in der Religionsphilosophie Hegels
  • Protestantismus und Kapitalismus Max Weber, Calvin und der Calvinismus
  • „Allgemein bekannt oder müssten es sein“ Frauen in der Bekennenden Kirche
  • Politische Theologie
  • Protestantismus und säkularer Pluralismus: Überlegungen zur Geschichte eines Neuanfangs
  • Was kann die Kirche dem Staat des Grundgesetzes geben?
  • Post-Democracy, Ecclesial Niche Construction, and Theology’s Public Concern
  • The Role of Religion in the Public Domain: Reflecting on John Rawls’s Political Theory in the Light of the Philippine Experience
  • Impacting the Secular Political Realm by Becoming the “New Creation”: Thoughts of Paul David Devanandan on “New Creation”
  • Political Challenges for a Christian Theology in a Minority Context
  • Paul Ricoeur’s Hermeneutical Theory and Feminist Theology
  • Politisch-theologische Reflexion über die Kirche in Koreaim Minjung-Kontext in den 1970er Jahren
  • Ethische Theologie
  • Zankapfel „Zwei-Reiche-Lehre“ Korrektur einer theologischen Überbewertung
  • Law, Righteousness, Reason, Will, and Works: Civil and Theological Uses
  • The Christian in the Public Square
  • Ökonomisierung als ethische Maxime heutiger Gesellschaftspolitik? Warum die vierte Stufe der Industrialisierung Technik-Kritik verdrängt
  • Menschenrechte – ihre philosophische und politische Entwicklungim Kontext theologischer Ethik
  • Religion at the Intersection of Science and Business: An Experiment in Pedagogy, Method, and Engagement
  • Identity and Mission of the Christian University
  • Praktische Theologie
  • Luther on Marriage – Considerations in Light of Contemporary Concerns
  • „…nicht alleine der jungen Leut halben, sondern auch beide unsere Stände, geistlich und weltlich, zu erhalten.” Die lutherische Reformation als Bildungsbewegung
  • Dem Glauben Tiefe geben Bildungsformat Glaubenskurse
  • Denominational and Interreligious: Contemporary Reforms of Religious Education in Austria
  • Politisch predigen – kann und soll man das?
  • Unbelief and Ecclesiastical Own Goals
  • Die Ikonen – Fenster zum Himmel. Die Bedeutung der Ikonen für die orthodoxe Spiritualität
  • Fatelessness A Christian Theologian’s Perspective of a Nobel-Prize Winner Novel
  • Kontextuelle Theologie
  • Ecclesiality: Ecclesial Ontology in its Nascent and Bounded Forms
  • Civil Disobedience – An Impact on the Hong Kong Churches
  • The Role of the Church in the Political Transition to Democracy in Myanmar
  • Conversion and Humanization: A Theological Appraisal of the Issueof Conversion in the Context of Religious Fundamentalism in India
  • The Participation of the Christians in the Political Atmosphere in Indonesia
  • Die koreanische Kirche und die Politik
  • Aufgaben der Kirche in der koreanischen Gesellschaft
  • Das In-Christus-Sein der neuen Schöpfung durch die Auferstehung
  • Autorenverzeichnis
  • Bibliography/Bibliographie Hans Schwarz
  • Von Hans Schwarz betreute und abgeschlossene Dissertationen

← 10 | 11 → Anstelle eines Vorworts: Ein Lutheraner im Gespräch mit der säkularen Moderne

Hans Schwarz, Lehrer, Weggefährte und Freund der Autorinnen und Autoren der nachfolgend zusammengestellten Beiträge, hat am 5. Januar dieses Jahres sein 75. Lebensjahr vollendet. Er ist als Theologe immer Zeitgenosse einer – theologisch gesehen – schwieriger werdenden Gegenwart gewesen und bis heute geblieben. Gleichzeitig ist er mit seiner Verwurzelung im erweckten Luthertum, dieses allerdings in einer ökumenisch weiten Lesart, ein Theologe, der eher konservativen Deutungen des Protestantismus verbunden bleibt. Damit stellt sich die Frage nach der Beziehung zwischen festgehaltenem Konservativismus und einer Welt, in der sich diese Haltung bewähren muss, wobei diese Welt so viele Tendenzen aufweist, die einer konservativen Auslegung des evangelischen Selbst- und Wahrheitsverständnisses wenig entgegenkommen. Es ist also zu fragen nach dem spezifischen Beitrag einer Theologie wie der von Hans Schwarz angesichts einer politisch-sozialen Wirklichkeit, die sich in vielerlei Hinsicht als ein wenn nicht postchristliches, so doch jedenfalls postkonfessionelles Zeitalter beschreiben lässt. Was ist Ziel und Argumentationsweise einer konservativen Theologie in (im weitesten, durchaus nicht nur positiv gemeinten, Sinne) fortschrittlichen Zeiten? Man kann dies nicht in abstrakter Grundsätzlichkeit feststellen, sondern muss sich auf einzelne Versuche dieser Art einlassen. Einen Beitrag zu der aufgeworfenen Frage stellt die Theologie des Jubilars Hans Schwarz dar, auf die im Folgenden unter einigen zeitdiagnostischen Prämissen eingegangen werden soll.

Modernisierungsprozesse sind Pluralisierungsprozesse. Das gilt in verschiedener Hinsicht. Zunächst in der ganz elementaren Bedeutung, dass Lebenswelten sich immer weiter ausdifferenzieren und die Frage nach dem Zusammenhang entsteht. Religiöse Gewissheiten waren und sind eine Antwort auf die Frage nach solchen Zusammenhängen, denn sie rücken Vielfalt in einheitliche Perspektiven, sie bilden eine deutende Meta-Ebene zu den als solche zunächst irritierend vielfältigen Phänomenen der Lebenswelt. Dieser Anspruch ist allerdings tendenziell prekär, denn Glaubenshaltungen haben ihrerseits Teil an Pluralisierungsprozessen, ja können diese sogar entscheidend vorantreiben, was ambivalente Aspekte haben kann:1 Die Reformation kann, schon wegen ihrer Stellung am Beginn der Neuzeit, ← 11 | 12 → als exemplarischer Fall eines komplexen Pluralisierungsgeschehens gesehen werden, das teils aus Glaubensgründen motiviert war, in dem aber andererseits auch säkulare Entwicklungen sich in den Verschiebungen und Differenzierungen innerhalb von Glaube, Kirche und Theologie widerspiegeln.2 Die in der Reformation – womöglich schon im Ineinander von Kirchen- und Reichsreformplänen in der Ära der Reformkonzilien des Spätmittelalters – sich ankündigende Pluralisierung der christlich geprägten Lebenswelt zu konfessionell geprägten Lebenswelten (die nun immer im Plural zu benennen sind), hat sich in der Moderne radikalisiert und beschleunigt. Die Gründe hierfür sind zu vielfältig, als dass sie hier im Einzelnen auch nur benannt werden könnten, es ist in unserem Zusammenhang aber lohnend, einen Blick auf die Ergebnisse dieser Entwicklung zu werfen.

Zunächst ist daran zu erinnern, dass wir in Deutschland in einer religiös-pluralistischen Welt leben, die nicht nur geprägt ist durch die beiden großen Konfessionen, das Judentum, den durch Migration stärker werdenden Islam und eine Haltung der Konfessionslosigkeit, die teilweise identitätsprägende Funktion hat und deswegen fast so etwas wie eine ihrerseits „konfessionell“ begründete (Teil-)Lebenswelt prägt. Die in kirchlichen, auch kirchenleitenden, Kreisen gerne gepflegte Vorstellung, eine hinreichend integrationsfähige und den – angeblichen oder tatsächlichen – Bedürfnissen der heutigen Zeit entgegenkommende Kirche werde die schlummernde Christlichkeit (oder jedenfalls Religiosität) der kirchenentfremdeten oder von vornherein nichtchristlichen Zeitgenossen wecken und zu neuer Wirksamkeit bringen, ist, allen positiven Einzelbeispielen, deren Vorhandensein und Wert in keiner Weise bestritten werden soll, zum Trotz, offensichtlich eine Illusion3.

Eine zentrale theologische Frage ist, wie mit solchen Entwicklungen umgegangen werden soll. Grundsätzlich möglich wäre zweifellos die Option einer möglichst weitgehenden Öffnung der institutionalisierten Gestalten christlichen ← 12 | 13 → Glaubens, d.h. der von einem bestimmten interprätationspflichtigen Wahrheitsbewusstsein, das in Schrift und Bekenntnis festgehalten ist, herkommenden Kirchen. Die am meisten verbreitete Form, in der das geschieht, ist die pragmatische Beschränkung der Kirche auf eine bestimmte Funktion, z.B. die Aufgabe, lebensbedeutsame Wege für den Umgang mit Kontingenz zu weisen.4 Dies führt freilich in die Gefahr, einen Glauben ohne Wahrheitsanspruch und eine Kirche ohne Wahrheitsbewusstsein zu fördern. Eine solche Gefahr besteht natürlich grundsätzlich auch nach der anderen Seite hin: Das starre Festhalten an einem normativen Glaubensverständnis, das sich von der Aufgabe einer lebenszugewandten Deutung des bekenntnismäßig formulierten Wahrheitsanspruchs verabschiedet, weil man diesen für feststehend hält, führt zu einer Metaphysizierung des kirchlichen Lehrbegriffs, der damit der Auslegung nicht mehr zugänglich ist und infolgedessen seine Lebensbedeutung verliert.5 Die Aufgabe besteht also darin, den Wahrheitsanspruch der christlichen Lehrüberlieferung gegen eine doppelte Infragestellung zu verteidigen, die einerseits von einem indifferentistischen Pragmatismus, andererseits von der Möglichkeit der Erstarrung zu einer lebensunwirksamen Metaphysik ausgeht.

Diese beiden Optionen stehen, jedenfalls unter heutigen Bedingungen, nicht mehr im Gleichgewicht: Doktrinäre Spielarten des Protestantismus sind selten geworden und prägen auch den von Pietismus, Erweckung und angelsächsischem Evangelikalismus herkommenden – im weitesten Sinne – konservativen Flügel des gegenwärtigen landes- und freikirchlichen Protestantismus nicht. Eher ist die Tendenz zu beobachten, dass bestimmte Anliegen des (wiederum im weiten Sinne) evangelikalen Protestantismus von landeskirchlicher Seite jedenfalls terminologisch aufgenommen werden, sodass die ohnehin vorhandene Tendenz zu einem – unter Übergehung dogmatischer Fragen – teils bibel- teils erlebniszentrierten Christentum durch Relativierung der Grenzen zum landeskirchlichen Protestantismus verstärkt wird.

← 13 | 14 → Insofern kann die Frage nach Eigenart und Ausdrucksmöglichkeit des evangelischen Wahrheitsverständnisses relativ einseitig auf die Situation bezogen werden, die durch die Neigung zu Indifferenz und Pragmatismus entstanden ist. Wie also kann ein protestantisches Wahrheitsbewusstsein angesichts der (andeutungsweise) so zu beschreibenden spätmodernen Wirklichkeit zur Geltung gebracht werden? Unter den gegebenen Umständen offenbar vor allem dialogisch. Das hat zwei Gründe: Einerseits kann es im Protestantismus keine Instanz geben, die eine Lehrautorität ausübt, die eine bestimmte theologische Auffassung offiziell sanktioniert und von dieser Position aus falsche Lehre effektiv zurückweist: Evangelische Freiheit bedeutet, dass auch – tatsächliche oder vermeintliche – Fehldeutungen des Protestantismus zu tolerieren sind, weil Freiheit von verfehlten Formen ihres Gebrauchs nicht getrennt werden kann. Es bedeutet freilich nicht, sich diese Deutungen partiell im Sinne eines verpflichtend herzustellenden Konsenses zu eigen zu machen oder auch nur auf die kritische Benennung von Irrtümern zu verzichten. Andererseits, daran in gewisser Weise anschließend, ist die Spätmoderne das Ergebnis von Pluralisierungsschüben, die einander seit dem Beginn der Neuzeit in immer rascherer Folge ablösen. Das bedeutet, dass Einheit und Konsens nie vorgefunden werden, sondern stets herzustellen sind und als einmal gefundene durch fortlaufende Deutungsleistungen weiter konkretisiert werden müssen. Die Problematik besteht also darin, ein bestimmtes, als lebensdienlich erfahrenes und festgehaltenes christliches Wahrheitsbewusstsein in dialogischer Offenheit immer neu zur Geltung zu bringen ohne doch der dialogisch zur Diskussion gestellten Wahrheit für die eigene Person untreu zu werden. Diese Haltung, die Hans Schwarz in hohem Maße einnimmt, ist die eines Konservativismus unter den Bedingungen der pluralistischen Spätmoderne, wobei der Konservativismus gerade nicht in der Verweigerung der Moderne besteht, sondern darin, die Moderne mit allen ihren Irritationen ernst zu nehmen und die eigenen Überzeugungen als etwas zu begreifen, was dem Dialogprozess, in dem sie eine konstruktive Rolle spielen sollen und werden, geschuldet ist, und auch deswegen nicht ins Unklare gebracht oder gar zur Disposition gestellt werden darf. Dies soll hier kurz anhand zweier Arbeitsgebiete von Hans Schwarz dargestellt werden, die exemplarisch für seine ganze theologische Arbeit stehen können.

1. Ein wichtiger Aspekt in der Arbeit von Hans Schwarz ist der Dialog mit den Naturwissenschaften. Dieser Dialog ist – in der Gegenwart eher von Seiten der Naturwissenschaften als von Seiten der Theologie – immer wieder in Frage gestellt worden, wobei die entscheidende Frage die ist, ob hier einander grundsätzlich ausschließende Wahrheitsmomente vorliegen. Diese Frage ist deswegen drängend, weil der christliche Glaube ja nicht nur eine subjektive Befindlichkeit ist, sondern ein bestimmtes Wirklichkeitsverständnis zum Ausdruck bringt. Dabei ← 14 | 15 → kann es natürlich nicht darum gehen, naturwissenschaftliche Aussagen theologisch zu normieren oder – was in der Gegenwart die häufigere Situation ist – der Naturwissenschaft einen impliziten weltanschaulichen Anspruch zuzugestehen, und sei es nur in der Form, dass ein naturwissenschaftliches Urteil über religiöse Fragen in der Weise zugestanden wird, dass Glaubensaussagen grundsätzlich naturwissenschaftlicher Beurteilung oder Begrenzung unterworfen werden. Aber kann das dadurch geleistet werden, dass man auf theologische Reflexionen über Naturphänomene und deren Zusammenhang grundsätzlich verzichtet? Hans Schwarz hat hier Zweifel angemeldet,6 und diese theologisch konkretisiert in seiner Auseinandersetzung mit den Vorstellungen zum Wunder bei Rudolf Bultmann und Karl Heim.7 Grundsätzlich bedarf es nach Schwarz’ Einsicht einer synthetischen Herangehensweise. Diese ist vor allem möglich, weil sich die Naturwissenschaften (bzw. relevante Vertreter der Naturwissenschaften) von einem bestimmten Weltbild, das von einem geschlossenen endlich-kausalen Determinismus als (dem eigentlich schon widersprechend) absolutem Grund der Wirklichkeit ausgeht, verabschiedet haben.8 Umgekehrt muss die Theologie bestimmte Kategorien entschieden verabschieden, insbesondere die Benutzung raumzeitlich-kausaler Theorien,9 die sie auf eine Ebene mit den Naturwissenschaften bringen würde. Durch die Öffnung der Naturwissenschaften mittels nichtdeterministischer Konzepte lassen sich aber Ebenen der Begegnung finden, die nicht in die unglückliche Konfrontation einer weltanschaulich aufgeladenen Naturwissenschaft mit einer, mit einem Bevormundungsanspruch auftretenden, quasi-naturwissenschaftlichen Theologie ausmünden. Das setzt aber nicht nur den angedeuteten Wandel in der Selbstauffassung der Naturwissenschaften voraus, sondern auch, dass die Einengung der Theologie auf existenzielle Fragen überwunden wird, die immer wieder, so auch von Hans Schwarz, mit der Person und dem Werk Rudolf Bultmanns in Verbindung gebracht wird.10 Eine nichtdeterministische Naturwissenschaft und ← 15 | 16 → eine nicht von vornherein auf existenzielle Fragen zurückgenommene Theologie, die sozusagen einen gewissen ontologischen Anspruch festhält, können also in einen Dialog gebracht werden. Dem Aufweis und der Einforderung der Bedingungen für einen solchen Dialog dienen nicht zuletzt die umfänglichen Bemühungen des Jubilars auf dem Gebiet der Theologiegeschichte.11 Neben der Problematik des Determinismus (und des mit ihm zusammenhängenden Materialismus)12 ist die Frage der Evolution theologisch bedeutsam. Diese ist als direkte Infragestellung eines zentralen Aspekts des christlichen Wahrheitsanspruchs, des Schöpfungsglaubens, verstanden und heftig befehdet worden.13 Aber ist dies gerechtfertigt? Entsprechend seiner Interpretation Karl Heims, deutet Schwarz die göttlichen Verursachung der Schöpfung als Geschehen in einer anderen Dimension gegenüber dem Weltentstehungsgeschehen als solchem, das dann durchaus in evolutionären Kategorien begriffen werden kann14: Evolution und Geschöpflichkeit des Lebens und der Welt stehen also nicht im Widerspruch zueinander. Auch in der Anthropologie besteht deswegen kein Anlass, die naturbezogen-biologische Dimension des menschlichen Daseins zu verkleinern.15 Schwarz hat sich auch immer wieder bemüht, den hier nur angedeuteten theoretischen Bemühungen um einen theologischen Dialog mit den Naturwissenschaften institutionelle Formen zu geben. Die dauerhafteste Gestaltung dieser Art ist sicher das als Jahrbuch und darüber hinaus in anlassbezogenen Sonderbänden erscheinende Sammelwerk Glaube und Denken der Karl-Heim-Gesellschaft, das sich mit Fragen zwischen Theologie und Naturwissenschaft im kritisch weiterdenkenden Ausgang von der Integrationsprogrammatik Karl Heims befasst.16 Aber auch die Teilnahme an zahlreichen, teilweise prominent besetzten, Gesprächsforen zwischen Theologie und Naturwissenschaften und die universitäre Institutionalisierung solcher Dialoge gehören zur Arbeit von Hans Schwarz.17

2. Einen vielschichtigen Aspekt in seinem Gesamtwerk stellen Schwarz’ Bemühungen dar um eine Ausweitung und Differenzierung der kirchlichen und ← 16 | 17 → theologischen Perspektive entsprechend der Vielfalt einer zusammenwachsenden, aber darum nicht weniger heterogenen Welt. In seiner Theologiegeschichte berücksichtigt er, wie kaum ein anderer Autor, auch außereuropäische Perspektiven und überwindet konfessionelle Fixierungen. Die breiten Darstellungen zu außereuropäischen und konfessionell sehr differenten neueren Positionen stellen in dieser Ausführlichkeit im deutschen Sprachraum die einzige tiefergehende Informationsmöglichkeit dar.18 Die hier gebotenen Informationen beruhen nicht nur auf der Lektüre von Zeugnissen außereuropäischer (bzw. nicht-westlicher) Kirchlichkeit und theologischer Reflexion, sondern auch auf zahlreichen Begegnungen mit Kollegen aus vielen, insbesondere asiatischen, Ländern.19 Das schließt nicht nur eine ökumenisch-interkonfessionelle Perspektive ein,20 sondern auch den Dialog mit Randgruppen zwischen innerprotestantischer Ökumene und nichtchristlicher Religiosität.21 Grundsätzlich geht es bei solchen Dialogen, die inzwischen auch institutionalisiert worden sind,22 um die Frage nach der Einheit der Christen, die nach Auffassung von Hans Schwarz auch institutionell sichtbar werden muss.23 Hierbei stehen theologische Überzeugungen zwar nicht inhaltlich zur Disposition, sehr wohl aber muss mit ihrer Weiterentwicklung in einem dialogischen Prozess gerechnet werden, an dessen Ende sich Standpunkte durch Erkenntnisgewinn modifizieren.24 Dabei ist entscheidend, dass Dialog als lebendige Begegnung stattfindet, die ihre eigene Dynamik jenseits der Gefahr quasi lehramtlicher Erstarrung entwickelt. Eine wesentliche Bedingung dafür ist der gemeinsame Rückgang auf das biblische Zeugnis und seine christologische Mitte, an dem Lehrüberlieferungen und ihre Auslegung stets zu messen sind.25 Ein solcher Dialog eröffnet dann die Möglichkeit der Relativierung konfessioneller Standpunkte, ohne damit einem Relativismus in Glaubensfragen zu verfallen, der theologisch nicht zu billigen wäre.

Unter solchen Leitgesichtspunkten versteht es Hans Schwarz, im Gesamten eines als solchen nicht sinnvoll zu bestreitenden Pluralismus, der die Grundlage ← 17 | 18 → aller Deutungsmöglichkeiten der spätmodernen Gegenwart bestimmt, eine spezifisch konservative Stimme zu Gehör zu bringen. Er führt damit einerseits Anliegen seines Lehrers Walter Künneth fort, modifiziert diese aber andererseits so, dass die direkte Konfrontation mit den Verstehensbedingungen der Zeit ausbleibt. Im Hintergrund dürfte auch die biographische Erfahrung eines zunächst nur mittelbar kirchlichen Herkommens und einer protestantischen Sozialisation in der Gemeinschaft des CVJM sein.26 Hier wurde erfahrbar, dass gleichermaßen gelebter wie reflektierter und deswegen dialogbereiter Glaube auch in scheinbar säkularen Kontexten chancenreich ist und dass deswegen eine Verhärtung gegenüber der säkularen Realität nicht nur nicht erforderlich ist, sondern, da Konfrontationen in der Regel nicht zum Verstehen beitragen, auch nicht dem entspricht, was christlich als Aufgabe in der säkularen Gegenwart gestellt ist.

Ökumenische Weite, Rückbindung an das biblische Zeugnis und auf dieser Grundlage ermöglichte Gesprächsbereitschaft auch den säkular eingestellten Tendenzen und den von ihnen ergriffenen Menschen gegenüber: Damit ist Hans Schwarz eine Transformation des Konservativen in einer dieser Haltung sehr abgeneigten kirchlichen und sozialen Realität gelungen. Für diesen Prozess – und um einen solchen handelt es sich sehr viel eher als um abgeschlossen vorliegende Ergebnisse – sprechen auch die zahlreiche Schülerschaft von Hans Schwarz und der Dialog mit Freunden und Weggefährten, wovon dieser Band Zeugnis ablegt.

Die Beiträge richten sich am Gesamtthema Theologie im Spannungsfeld von Kirche und Politik aus. Dieses Thema ist indirekt ein Teilaspekt auch des Lebenswerkes von Hans Schwarz, in dem die unmittelbare theologische Analyse des Politischen zwar eher zurücktritt, für das Thema des theologisch geleiteten Umgehens mit der säkularen Welt aber eine wichtige Rolle spielt. In gewisser Weise zieht der Band also thematisch und argumentativ Konsequenzen aus Vorarbeiten, die unser Lehrer und Freund Hans Schwarz geleistet hat.

Zunächst bietet der Band historische Aspekte des Themas, da, was auch in den theologiegeschichtlichen Arbeiten von Schwarz immer zur Geltung gekommen ist, kein theologisches Thema rein aus der Gegenwart heraus bearbeitet werden kann, sondern die Rückfrage nach der Geschichte, auf der die Gegenwart aufbaut, immer mit berücksichtigt werden muss. Andernfalls droht die Überschätzung des jeweils Allerneuesten. Darauf folgen Aufsätze, die über politisch-zeitgeschichtliche Fragen näher an die Gegenwart heranführen, womit die ethische Perspektive des folgenden Teils erreicht ist. Ein Unteraspekt der ethischen Fragestellung ist die praktisch-theologische Reflexion und Konkretion im Rahmen der christlichen ← 18 | 19 → Gemeinde, die im Anschluss mit mehreren Beiträgen vertreten ist. Den Abschluss soll die weitere Differenzierung des Themas in unterschiedlichen politischkulturellen Kontexten, vor allem Asiens, darstellen.

Ermöglicht wurden diese Publikation wie auch die damit verbundene Summer School des Instituts für Evangelische Theologie an der Universität Regensburg durch die namhafte finanzielle Förderung des DAAD, dem unser herzlicher Dank gilt. Darin eingeschlossen sind auch die Universitätsstiftung Hans Vielberth, sowie die Evangelisch-Lutherische Kirche in Bayern, die die Drucklegung finanziell unterstützt hat.

Besonders gedankt sei an dieser Stelle aber auch Frau Jutta Brandl-Hammer, Sekretärin am Lehrstuhl für Systematische Theologie, die sich in gewohnter Zuverlässigkeit und mit großer Geduld um die Manuskripte und die Druckvorlage bemüht hat, unterstützt von der wissenschaftlichen Mitarbeiterin Frau Susann Schmidt-Ehrlich, M.A., sowie den studentischen Mitarbeiterinnen Frau stud. phil. Ann-Katrin Amend und Frau stud. phil. Franziska Himmelhuber, die über das erwartbare Maß hinaus beim Redigieren der Manuskripte geholfen haben. Herzlichen Dank sagen wir auch Frau Isolde Fedderies, die als leitende Lektorin des Peter Lang Verlags die Herstellung des vorliegenden Bandes betreut hat.

Regensburg und Dubuque/Iowa im Mai 2014,

Matthias Heesch, Thomas Kothmann und Craig L. Nessan← 19 | 20 →

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1 Das hat eine bestimmte innerprotestantische Distanznahme zur Reformation stets betont, grundlegend: Eric Voegelin, Luther und Calvin. Die Große Verwirrung, dt. hg. v. P. J. Opitz, München 2011, zusammenfassend 50-59 u. ö.; zu Voegelins lutherischem Bekenntnis noch ebd. 113 f. (Nachwort d. Hg.); theologisch vgl. vor allem: Wolfhart Pannenberg, Ethik und Ekklesiologie, Göttingen 1977, 115-145; auch: Hans Schwarz, Der christliche Glaube aus lutherischer Perspektive, Erlangen 2010, 203-206 u. ö.: Die Kirche steht für die Einheit der Menschheit als schöpfungsmäßig intendierte Gemeinschaft, Spaltungen sind von daher immer zu bedauern und stellen vor die Aufgabe, sie zu überwinden.

2 Hierzu ausführlich: Thomas Kaufmann, Geschichte der Reformation, Frankfurt a. M. u. Leipzig 2009, 35-125.

3 Eine tiefergehende Analyse der vorauszusetzenden geschichtlichen Zusammenhänge bietet: Charles Taylor, Ein säkulares Zeitalter, dt. v. J. Schulte, Berlin 2012, 899-1027 u. ö.; zeitgeschichtlich: Hartmut Lehmann, Das Christentum im 20. Jahrhundert: Fragen, Probleme, Perspektiven, Leipzig 2012, 175-182 u. ö.; ferner: Hans Joas, Glaube als Option. Zukunftsmöglichkeiten des Christentums, Freiburg i. Br. 2012, 66-85.

4 Klassisch in diesem Sinne: Hermann Lübbe, Religion nach der Aufklärung, Graz, Wien, Köln ²1990, 127-218 u. ö.; neuerdings: Joachim Kunstmann, Rückkehr der Religion. Glaube, Gott und Kirche neu verstehen, Gütersloh 2010, 222-310 u. ö.; schließlich: Joas, Glaube als Option, 106-128.185-218.

5 In diesem Sinne etwa: August Christian Friedrich Vilmar, Die Theologie der Tatsachen wider die Theologie der Rhetorik. Bekenntnis und Abwehr, Gütersloh 41876, Nachdruck: Darmstadt 1984, 11-24 u. ö. Wissenschaftliche Reflexivität als hermeneutischer Zugang zur Lebensbedeutsamkeit der Lehrüberlieferung wird hier pauschal unter Unglaubensverdacht gestellt, ohne dass Alternativen jenseits des Festhaltens des Wortlauts von Schrift und Bekenntnis gewiesen würden.

6 Vgl. etwa: Hans Schwarz, 400 Jahre Streit um die Wahrheit – Theologie und Naturwissenschaft, Göttingen 2012, 99 f. (mit Bezug auf Karl Heim), allgemeiner: 9 f. u. ö.; ferner: Schwarz, Glaube, 72 f., 81 f. u. ö.; zu den biographischen Wurzeln des naturwissenschaftlichen Interesses: Hans Schwarz, Planting Trees. A Theological Autobiography, Lewiston NY u. a. 2009, 21 f.

7 Zur Problematik in ihrer biographischen Bedeutung kurz: Schwarz, Trees, 40 f., 49 f.; zu Heim ausführlicher: Hans Schwarz, Theologie im globalen Kontext. Die letzten zweihundert Jahre, Bad Liebenzell 2006, 753-758.

8 Schwarz, Theologie, 756 u. ö.

9 Schwarz, Theologie, 755; Glaube, 72 f.

10 Schwarz, Theologie, 409 f; biographisch auch: Schwarz, Trees, 114 f.

11 Vgl. die programmatischen Überlegungen: Schwarz, Theologie, 11-14.

12 Hierüber etwa: Schwarz, Naturwissenschaft, 22-30.

13 Ausführlich: Schwarz, Naturwissenschaft, 30-41.61-89.

14 Schwarz, Glaube, 72 f.

15 Hans Schwarz, The Human Being. A Theological Anthropology, Grand Rapids, Michigan 2013, 31-81.

16 In diesem Sinne etwa: Hans Schwarz, „Vorwort“, in: Glaube und Denken. Jahrbuch der Karl-Heim-Gesellschaft, XII, Frankfurt a. M. 1999, 5-7.

17 Schwarz, Trees, 72 f., 140 f.; zum Dialoggeschehen noch: Schwarz, Naturwissenschaft, 162-183.

18 Schwarz, Theologie, 545-718,

19 Schwarz, Trees, 177-197 u. ö.

20 Zu deren Bedeutung grundsätzlich: Schwarz, Glaube, 190-202.

21 Schwarz, Trees, 172 f.

22 Zu nennen sind die in Regensburg vor allem mit asiatischer und nordamerikanischer Beteiligung stattfindenden internationalen Summer Schools, deren Arbeit in Sonderbänden des Jahrbuchs der Karl-Heim-Gesellschaft Glaube und Denken dokumentiert wird, außerdem das theologisch-kunstgeschichtliche Seminar in Griechenland: Schwarz, Trees, 151-164.

23 Schwarz, Glaube, 202-206 u. ö.

24 Schwarz, Theologie, 545 u. ö.

25 Schwarz, Glaube, 50-57.

26 Schwarz, Trees, 11-23.

← 20 | 21 →Grußwort von Oberkirchenrat Michael Martin, Evangelisch-Lutherische Kirche in Bayern

Zum Beginn der Summer School des Instituts für Evangelische Theologie an der Universität Regensburg überbringe ich Ihnen die herzlichsten Grüße der Evangelisch-Lutherischen Kirche in Bayern. Besonders grüße ich den Initiator Herrn Prof. Dr. Hans Schwarz und gratuliere ihm noch einmal zu seinem 75. Geburtstag, den er dieses Jahr feiern konnte. Sie haben mit ihrem großen Kreis von Schülerinnen und Schülern, Doktorandinnen und Doktoranden aus vielen Teilen der Welt und mit der Summer School, die dieses Jahr zum sechsten Mal stattfinden kann, nicht nur der Universität Regensburg zu einer weltweiten Vernetzung verholfen, sondern auch deutlich gemacht wie eng die Beziehungen der Kirchen weltweit geworden sind und wie bereichernd dieses Beziehungsgeflecht auch für unsere Evangelisch-Lutherische Kirche in Bayern ist. Dafür heute ein ganz herzliches Dankeschön. Denn Sie haben damit ganz wichtige Brücken zwischen Kirchen, Kulturen und Menschen aus verschiedensten Kontexten gebaut. Ich verbinde diesen Dank mit allen guten Wünschen für Ihren weiteren Weg, auf dem Sie unser Gott mit seinem Segen begleiten möge.

Als Mitglied des Landeskirchenrats bin ich verantwortlich für die ökumenischen Kontakte unserer Kirche, aber auch für Gemeindeaufbau, Spiritualität, Gottesdienst, Liturgie und Kirchenmusik. Das ist einerseits eine Aufgabe, die ganz auf die bayerische Landeskirche bezogen ist, andererseits aber auch auf die weltweite Ökumene. So könnte ich meine Aufgaben gut und gern mit Ihrer diesjährigen Summer School vergleichen, die ja die verschiedenen weltweiten Kontexte in den Blick nehmen wird, in denen Christen heute leben. Aber gleichzeitig hat Ihre Summer School auch einen deutlichen bayerischen Schwerpunkt, indem sie verzahnt ist mit der Tagung der International Loehe Society. Deshalb werden Sie auch einige gemeinsame Tage in Neuendettelsau verbringen, dem Ort, an dem Wilhelm Löhe im 19. Jh. gewirkt hat und dessen Initiativen bis heute dort sichtbar sind in der Diakonie und dem großen Neuendettelsauer Diakoniewerk und in unserem Partnerschaftswerk Mission Eine Welt, das in der ehemaligen Missionsgesellschaft eine seiner Wurzeln hat. Beide Einrichtungen werden Sie ja im Laufe der nächsten Woche besuchen und näher kennen lernen.

Die bayerische Provinz in Neuendettelsau auf der einen Seite, die Universität Regensburg mit ihrer Summer School und Ihnen als Teilnehmerinnen und Teilnehmern aus der weltweiten Ökumene auf der anderen Seite. Beides – Lokalität und Internationalität – prägt auch meine Arbeit in der Kirchenleitung der Evangelisch-Lutherischen Kirche in Bayern.

← 21 | 22 →Das klingt zunächst etwas provinziell: Evangelisch-Lutherische Kirche in Bayern. Und es hat natürlich mit der deutschen Reformationsgeschichte, der starken Regionalisierung in unserem Land und der Neuordnung Europas nach den Napoleonischen Kriegen am Anfang des 19. Jahrhunderts zu tun, dass die Grenzen unserer Kirche mit den Grenzen des Freistaats Bayern zusammen fallen. Aber unsere Kirche ist eingebunden in die weltweite Gemeinschaft der christlichen Kirchen.

Ja, ich wage zu behaupten: Die Evangelisch-Lutherische Kirche in Bayern ist eine katholische Kirche im wahrsten Sinn des Wortes und wir vertreten eine Communio–Ekklesiologie, die sich vor der beim 2. Vatikanischen Konzil der Römisch-Katholischen Kirche entwickelten nicht verstecken braucht. Denn wir leben im Lutherischen Weltbund (LWB) die Communio mit allen lutherischen Kirchen des LWB in voller Kirchengemeinschaft. Und wir leben die Communio mit anderen Konfessionskirchen in unterschiedlicher Weise:

– Als volle Kirchengemeinschaft – wie z.B. mit den Reformierten und Methodisten in Europa auf der Basis der Leuenberger Konkordie von 1973.

– Wir leben die Communio als gegenseitige Einladung zum Abendmahl – mit der Kirche von England gemäß der Meißener Erklärung; mit dem Bistum der Altkatholiken und mit der Arbeitsgemeinschaft Mennonitischer Gemeinden in Deutschland.

– Wir leben die Communio aber auch als gute nachbarschaftliche Beziehung mit allen christlichen Kirchen in Bayern, von den altorientalisch-orthodoxen und den byzantinisch-orthodoxen Kirchen über unsere römisch-katholische Schwesterkirche bis hin zu den Freikirchen. Diese Communio ist zwar noch keine volle Kirchengemeinschaft, aber sie ist dennoch eine Gemeinschaft von Kirchen, die miteinander beten und Gottesdienste feiern.

Diese ökumenische Verbundenheit sowohl lokal, wie auch international, zeigt, dass die Evangelisch-Lutherische Kirche in Bayern zwar ganz Kirche ist, aber eben nicht die ganze Kirche Jesu Christi. Sie ist eine Verwirklichung der einen, heiligen, allgemeinen und apostolischen Kirche, wie wir sie im Glaubensbekenntnis bekennen: „Die Evangelisch-Lutherische Kirche in Bayern lebt in der Gemeinschaft der einen, heiligen, allgemeinen und apostolischen Kirche aus dem Wort Gottes, das in Jesus Christus Mensch geworden ist … Mit den christlichen Kirchen in der Welt bekennt sie ihren Glauben an den Dreieinigen Gott … Die Evangelisch-Lutherische Kirche in Bayern steht mit der ganzen Christenheit unter dem Auftrag, Gottes Heil in Jesus Christus in der Welt zu bezeugen.“1

← 22 | 23 →Aus dieser Gemeinschaft aller Christen folgt die ökumenische Verpflichtung: „Die Evangelisch-Lutherische Kirche in Bayern tritt dafür ein, dass die Einmütigkeit in der Einen Kirche Jesu Christi in aller Welt wächst.“2

Die weltweiten Beziehungen, die unsere Kirche eingegangen ist, sind exemplarische Verwirklichungen dieser Gemeinschaft aller Christen. Dabei unterscheiden wir zwischen der interkonfessionellen Zusammenarbeit und der Gemeinschaft innerhalb der lutherischen Weltfamilie. Die Evangelisch-Lutherische Kirche in Bayern „gehört dem lutherischen Weltbund an. Als Kirche evangelisch-lutherischen Bekenntnisses ist sie mit den evangelisch-lutherischen Kirchen und Christen in aller Welt verbunden“3 und „nimmt an der Zusammenarbeit christlicher Kirchen in der Welt teil. Sie gehört dem Ökumenischen Rat der Kirchen an“ (ÖRK).4

Für die ökumenischen Beziehungen insgesamt gilt: „Die Evangelisch-Lutherische Kirche in Bayern weiß sich der Mitarbeit in der Weltmission und in der weltweiten ökumenischen Partnerschaft verpflichtet.“5 Diese weltweite Gemeinschaft unserer Kirche wird deutlich in der Communio des Lutherischen Weltbundes. Mit vielen lutherischen Kirchen von Asien über Afrika und Europa bis nach Amerika gibt es intensive Beziehungen. Konkret werden diese in Partnerschaften, die ganz unterschiedliche Ursprünge haben:

Aus der missionarischen Arbeit, die ihren Ausgangspunkt in Neuendettelsau hatte, sind Beziehungen zu den heute großen, selbständigen lutherischen Kirchen in Papua Neuguinea und Tansania und von dort aus zu den Kirchen im Pazifik und in Afrika hervorgegangen.

Aufgrund der Auswanderung vieler Deutscher im 19. und am Beginn des 20. Jahrhunderts nach Brasilien entstand dort die Evangelische Kirche Lutherischen Bekenntnisses in Brasilien (ICELB). Bis fast an das Ende des 20. Jahrhunderts wurden Pfarrer für diese Kirche am Missions- und Diasporaseminar in Neuendettelsau ausgebildet und lebenslang nach Brasilien entsandt. Heute verbindet uns eine intensive Partnerschaft mit dieser Kirche, die nach wie vor dabei ist, eine brasilianische Kirche zu werden. Aus dieser Partnerschaft sind weitere Partnerbeziehungen unserer Kirche mit den kleinen lutherischen Kirchen in Mittelamerika hervorgegangen.

Ähnlich wie mit der brasilianischen Kirche verbinden uns wegen der europäischen und deutschen Auswanderungsgeschichte im 19. Jahrhundert enge Beziehungen mit der lutherischen Kirche in Australien und der Evangelisch-Lutherischen ← 23 | 24 →Kirche in Amerika (ELCA), die in zwei Kirchenkreispartnerschaften mit zwei Diözesen (Synods) intensiv gepflegt werden.

In Europa sind wir in einer intensiven Gemeinschaft mit der Evangelisch-Lutherischen Kirche in Ungarn (ELKU), die auf allen Ebenen des kirchlichen Lebens gepflegt wird. Und für die Deutsche Evangelisch-Lutherische Kirche der Ukraine (DELKU) haben wir so etwas wie eine Patenschaft übernommen, indem wir mit Personal und Geld den Wiederaufbau dieser Kirche nach der totalen Zerstörung in der kommunistischen Diktatur fördern.

Im Rahmen der Gemeinschaft Evangelischer Kirche in Europa haben wir auf der Grundlage der Leuenberger Konkordie Kirchengemeinschaft mit allen reformierten, unierten, lutherischen und methodistischen Kirchen in Europa. Insbesondere mit den evangelischen Minderheitskirchen in Ost- und Südosteuropa gibt es über die Leuenberger Südosteuropagruppe, deren Lehrgespräche ich leite, intensive Beziehungen.

Und schließlich pflegen wir über den ÖRK und die Konferenz Europäischer Kirchen (KEK), bzw. über den regionalen ökumenischen Rat, der in Bayern Arbeitsgemeinschaft christlicher Kirchen (ACK) heißt, die Gemeinschaft mit den Orthodoxen Kirchen, die bei uns in München an der Ludwig Maximilian Universität eine orthodoxe Fakultät haben, mit der insbesondere die römisch-katholischen und lutherischen ökumenischen Institute zusammen arbeiten.

Als Evangelisch-Lutherische Kirche in Bayern sind wir Kirche hier in unserem bayerischen Kontext, aber wir sind nicht die ganze Kirche. Wir sind eingebunden in die weltweite Communio der Kirche Jesu Christi. Lokalität und Internationalität prägen uns gleichermaßen.

Sie, Herr Prof. Schwarz, haben in den letzten Jahrzehnten zur weltweiten Communio unserer Kirche wesentlich beigetragen. Ihre Studenten aus vielen Teilen der Welt, die bis heute eine intensive Gemeinschaft pflegen, sind ein ganz wichtiger Beitrag zur Communio unserer Kirche. Gerade in den Kirchen Südostasiens stößt man immer wieder auf Ihre Spuren, aber auch zu den orthodoxen Kirchen haben Sie Brücken gebaut, die auch in schwierigen ökumenischen Zeiten Bestand haben. Wie diese Brücken aussehen und was Begegnung auf diesen Brücken heißt, dass erleben Sie alle hier bei der diesjährigen Summer School.

So wünsche ich Ihnen in den nächsten 7 Tagen einen intensiven Austausch untereinander, gute Erfahrungen in unserer Kirche hier in Bayern und das Erlebnis der Kirche Jesu Christi, die wir in jedem Gottesdienst erfahren und die doch größer und vielfältiger ist, als der je eigene Kontext. Ich wünsche Ihnen den Segen unseres Gottes.

____________

1 Grundartikel der „Kirchenverfassung“ (KVerf), in: Rechtssammlung der Evangelisch-Lutherischen Kirche in Bayern, hg. v. Landeskirchenrat der ELKiB, bearbeitet von Jost Heinzel, Loseblattsammlung bei C. H. Beck, München 722014, Nr. 1.

2 Art. 6 Abs. 1 KVerf.

3 Art. 6 Abs. 2 KVerf.

Details

Pages
664
Year
2014
ISBN (PDF)
9783653045734
ISBN (ePUB)
9783653982749
ISBN (MOBI)
9783653982732
ISBN (Hardcover)
9783631653678
DOI
10.3726/978-3-653-04573-4
Language
English
Publication date
2014 (September)
Keywords
Kirche und Staat Feministische Theologie Menschenrechte Zwei-Reiche-Lehre
Published
Frankfurt am Main, Berlin, Bern, Bruxelles, New York, Oxford, Wien, 2014. 664 S., 1 farb. Abb., 18 s/w Abb.

Biographical notes

Matthias Heesch (Volume editor) Thomas Kothmann (Volume editor) Craig L. Nessan (Volume editor)

Matthias Heesch ist Inhaber des Lehrstuhls für Systematische Theologie und theologische Gegenwartsfragen am Institut für Evangelische Theologie der Universität Regensburg. Thomas Kothmann ist außerplanmäßiger Professor für Religionspädagogik und Didaktik des Religionsunterrichts am Institut für Evangelische Theologie der Universität Regensburg. Craig L. Nessan ist Studiendekan und Professor für Kontextuelle Theologie und Ethik am Wartburg Theological Seminary in Dubuque, Iowa (USA). Matthias Heesch is Professor of Systematic Theology and Contemporary Theological Issues at the Institute of Protestant Theology, University of Regensburg (Germany). Thomas Kothmann is Professor of Religious Education at the Institute of Protestant Theology, University of Regensburg. Craig L. Nessan is Academic Dean and Professor of Contextual Theology and Ethics at the Wartburg Theological Seminary, Dubuque, Iowa (USA).

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