Lade Inhalt...

Der Ausgleich konkurrierender Ehegattenunterhaltsansprüche

von Renata von Pückler (Autor:in)
©2015 Dissertation XXXVI, 218 Seiten

Zusammenfassung

Die Thematik des Buches, der Ausgleich konkurrierender Ehegattenunterhaltsansprüche, wird vor dem Hintergrund sich wandelnder sozioökonomischer Realitäten gegenwärtig ebenso lebhaft wie kontrovers diskutiert. Dies gilt umso mehr, nachdem das Bundesverfassungsgericht der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs zu den sogenannten wandelbaren ehelichen Lebensverhältnissen i. V. m. der Dreiteilungsmethode zur Bedarfsbestimmung ein Ende gesetzt hat, ohne seinerseits eine konkrete Ausgleichsweise vorzugeben. Die Autorin arbeitet heraus, dass unter zivilrechtlichen und verfassungsrechtlichen Aspekten mehrere Ausgleichsmodelle zulässig sind. Deren Ergebnisse weichen deutlich voneinander ab, was anhand von Beispielsberechnungen für verschiedene familienrechtlich relevante Konstellationen verdeutlicht wird.

Inhaltsverzeichnis

  • Cover
  • Titel
  • Copyright
  • Autorenangaben
  • Über das Buch
  • Zitierfähigkeit des eBooks
  • Inhaltsverzeichnis
  • Einleitung
  • A. Sozioökonomische Grundlagen der Untersuchung
  • I. Verhältnisse zwischen den Eheleuten
  • II. Verhältnisse zwischen einander nachfolgenden Ehen
  • III. Bedeutung von Gesetzgebung, Rechtsprechung und Wissenschaft
  • B. Gang und Ziel der Untersuchung
  • I. Entwicklung des Geschiedenenunterhaltsrechts
  • II. Die Auslegung der Regelungen zum Geschiedenenunterhaltsrecht, insbesondere zur Bedarfsbestimmung sowie zum Ausgleich konkurrierender Ehegattenunterhaltsansprüche
  • III. Bewertung der aktuellen Modelle zum Ausgleich konkurrierender Ehegattenunterhaltsansprüche
  • IV. Schlussfolgerungen und Ausblick
  • Erster Teil: Entwicklung des Geschiedenenunterhaltsrechts
  • A. Entwicklungslinien des Geschiedenenunterhaltsrechts bis 1977
  • I. Das Bürgerliche Gesetzbuch (1900)
  • 1. Voraussetzungen der Scheidung
  • 2. Voraussetzungen der Gewährung nachehelichen Unterhalts
  • 3. Maß des nachehelichen Unterhalts
  • a) Gesetzliche Regelung
  • b) Rechtsprechung
  • c) Wissenschaft
  • 4. Ausgleich konkurrierender Unterhaltsansprüche
  • a) Gesetzliche Regelung
  • b) Rechtsprechung
  • c) Wissenschaft
  • II. Das Ehegesetz (1938)
  • 1. Voraussetzungen der Scheidung
  • 2. Voraussetzungen der Gewährung nachehelichen Unterhalts
  • 3. Maß des nachehelichen Unterhalts
  • a) Gesetzliche Regelung
  • b) Rechtsprechung
  • c) Wissenschaft
  • 4. Ausgleich konkurrierender Unterhaltsansprüche
  • a) Gesetzliche Regelung
  • b) Rechtsprechung
  • c) Wissenschaft
  • III. Das Ehegesetz (1946)
  • B. Entwicklungslinien des Geschiedenenunterhaltsrechts seit 1977
  • I. Das Erste Eherechtsreformgesetz (1977)
  • 1. Voraussetzungen der Scheidung
  • 2. Voraussetzungen der Gewährung nachehelichen Unterhalts
  • 3. Maß des nachehelichen Unterhalts
  • 4. Leistungsfähigkeit
  • 5. Ausgleich konkurrierender Unterhaltsansprüche
  • II. Das Unterhaltsänderungsgesetz (1986)
  • III. Das Schuldrechtsmodernisierungsgesetz (2002)
  • IV. Das Unterhaltsänderungsgesetz (2008)
  • 1. Voraussetzungen der Gewährung nachehelichen Unterhalts
  • 2. Maß des nachehelichen Unterhalts
  • 3. Leistungsfähigkeit
  • 4. Ausgleich konkurrierender Unterhaltsansprüche
  • 5. Befristung und Begrenzung
  • V. Das Gesetz zur Durchführung des Haager Übereinkommens (2013)
  • VI. Zusammenfassung: Voraussetzungen nachehelichen Unterhalts
  • 1. Bedürftigkeit
  • 2. Maß des nachehelichen Unterhalts (Bedarf)
  • 3. Leistungsfähigkeit
  • 4. Beschränkung und Versagung
  • 5. Befristung und Begrenzung
  • 6. Rangfolge und Mangelfall
  • 7. Gesetzliche Anknüpfungspunkte für den Ausgleich konkurrierender Ehegattenunterhaltsansprüche
  • Zweiter Teil: Die Auslegung der Regelungen zum Geschiedenenunterhaltsrecht, insbesondere zur Bedarfsbestimmung sowie zum Ausgleich konkurrierender Ehegattenunterhaltsansprüche
  • A. Frühe Entscheidungen zum Unterhaltsmaß
  • I. Konkretisierung des Unterhaltsmaßes
  • II. Die Surrogatsrechtsprechung
  • B. Grundlagen der Entwicklung der Dreiteilungsmethode zur Bedarfsbestimmung
  • I. Frühe wissenschaftliche Ansätze
  • 1. Zwickauer Methode
  • 2. Modifizierte Dreiteilung der Gesamteinkünfte auf der Bedarfsebene
  • 3. Billigkeitsdreiteilung der Gesamteinkünfte auf der Leistungsfähigkeitsebene
  • 4. Bedarfskürzung auf den sogenannten gleichrangigen Bedarf auf der Leistungsfähigkeitsebene
  • II. Die Rechtsprechung der sogenannten wandelbaren ehelichen Lebensverhältnisse
  • III. Rezeption der Rechtsprechung der sogenannten wandelbaren ehelichen Lebensverhältnisse
  • 1. Dreiteilung der Gesamteinkünfte auf der Ebene des § 1578 BGB mit wechselseitiger Kontrollrechnung
  • 2. Dreiteilung der modifizierten Gesamteinkünfte auf der Ebene des § 1578 BGB
  • 3. Dreiteilung der Gesamteinkünfte auf der Ebene des § 1581 BGB
  • C. Die Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs zur Bedarfsbestimmung nach der Dreiteilungsmethode
  • I. Die Grundentscheidung vom 30. Juli 2008
  • II. Die Folgeentscheidungen
  • III. Vergleich der Dreiteilungsmethode mit der Differenz- bzw. Additionsmethode zur Bedarfsbestimmung
  • 1. Erstes Beispiel: Einkommen des vorangegangenen Ehegatten, kein Einkommen des nachfolgenden Ehegatten
  • a) Dreiteilungsmethode
  • b) Differenz- bzw. Additionsmethode
  • 2. Zweites Beispiel: Einkommen des vorangegangenen Ehegatten übersteigt Einkommen des nachfolgenden Ehegatten
  • a) Dreiteilungsmethode
  • b) Differenz- bzw. Additionsmethode
  • 3. Drittes Beispiel: Einkommen des nachfolgenden Ehegatten übersteigt Einkommen des vorangegangenen Ehegatten; Kontrollrechnung
  • a) Dreiteilungsmethode
  • b) Differenz- bzw. Additionsmethode
  • c) Kontrollrechnung des Bundesgerichtshofs
  • 4. Viertes Beispiel: Absoluter Mangelfall
  • a) Dreiteilungsmethode
  • b) Differenz- bzw. Additionsmethode
  • D. Rezeption der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs zur Bedarfsbestimmung nach der Dreiteilungsmethode
  • I. Oberlandesgerichte
  • II. Wissenschaft
  • 1. Anerkennung
  • 2. Ablehnung
  • E. Die Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts zur Bedarfsbestimmung nach der Dreiteilungsmethode
  • I. Ausführungen zum legislativen Konzept
  • II. Ausführungen zum judikativen Konzept
  • III. Feststellung der fehlenden Rechtfertigung des judikativen Konzepts durch die anerkannten Auslegungsmethoden
  • F. Neue Modelle zum Ausgleich konkurrierender Ehegattenunterhaltsansprüche
  • I. Die Rechtsprechung der Oberlandesgerichte
  • II. Die Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs
  • III. Wissenschaft
  • 1. Ausgleich auf der Ebene des § 1581 BGB – Dreiteilung oder ihr nahe kommende Angleichungen der Gesamteinkünfte
  • a) Annäherung der konkurrierenden Bedarfe
  • b) Stufenweise, wechselbezügliche Annäherungsrechnung
  • c) Dreiteilung der Gesamteinkünfte
  • d) Annäherungsrechnung im Wege einer stufenweisen, proportionalen Kürzung der konkurrierenden Bedarfe
  • 2. Ausgleich auf der Ebene des § 1581 BGB – sogenannte individuelle Bedarfsbestimmung
  • 3. Ausgleich auf der Ebene des § 1578b BGB
  • 4. Ausgleich auf der Ebene des § 1609 BGB
  • Dritter Teil: Bewertung der neuen Modelle zum Ausgleich konkurrierender Ehegattenunterhaltsansprüche
  • A. Grundlagen der Bewertung
  • I. Einfachrechtliche Maßstäbe
  • 1. Grammatische Auslegung
  • 2. Systematische Auslegung
  • 3. Teleologische Auslegung
  • 4. Historische Auslegung
  • II. Verfassungsrechtliche Maßstäbe
  • 1. Bindungswirkung nach § 31 Abs. 1 BVerfGG
  • a) Gegenstand der Bindungswirkung
  • b) Bindungswirkung des Beschlusses des Bundesverfassungsgerichts vom 25. Januar 2011
  • aa) Ausführungen zum legislativen Konzept
  • bb) Ausführungen zum judikativen Konzept
  • cc) Feststellungen zur fehlenden Rechtfertigung des judikativen Konzepts durch die anerkannten Auslegungsmethoden
  • c) Schlussfolgerung
  • 2. Art. 2 Abs. 1 GG i.V.m. dem Rechtsstaatsprinzip (Art. 20 Abs. 3 GG)
  • a) Prinzip der Gewaltenteilung
  • b) Prüfungsumfang des Bundesverfassungsgerichts
  • c) Schlussfolgerung
  • 3. Art. 6 Abs. 1 i.V.m. Art. 3 Abs. 1 und Abs. 2 GG
  • a) Schutzbereich
  • aa) Art. 6 Abs. 1 GG i.V.m. Art. 3 Abs. 2 GG
  • bb) Art. 6 Abs. 1 GG i.V.m. Art. 3 Abs. 1 GG
  • b) Prüfungsumfang des Bundesverfassungsgerichts
  • aa) Ausgestaltungsrecht und Ausgestaltungspflicht des Gesetzgebers
  • bb) Verfassungskonformität des Unterhaltsrechts
  • c) Schlussfolgerung
  • III. Prüfungsfolge
  • B. Ausgleich auf der Ebene des § 1581 BGB – Dreiteilung oder ihr nahe kommende Angleichungen der Gesamteinkünfte
  • I. Einfachrechtliche Bewertung
  • 1. Grammatische Auslegung
  • 2. Systematische Auslegung
  • 3. Teleologische Auslegung
  • a) Zwecksetzungen des § 1578 BGB sowie des § 1581 BGB
  • b) Prüfung an diesen Zwecksetzungen
  • 4. Historische Auslegung
  • a) Zielsetzungen der Unterhaltsreform von 2008
  • b) Prüfung an diesen Zielsetzungen
  • II. Verfassungsrechtliche Bewertung
  • 1. Bindungswirkung nach § 31 Abs. 1 BVerfGG
  • 2. Art. 2 Abs. 1 GG i.V.m. dem Rechtsstaatsprinzip (Art. 20 Abs. 3 GG)
  • 3. Art. 6 Abs. 1 i.V.m. Art. 3 Abs. 1 und Abs. 2 GG
  • a) Art. 6 Abs. 1 GG i.V.m. Art. 3 Abs. 2 GG
  • aa) Anknüpfung des Ausgleichs an die Ebene des § 1581 BGB
  • bb) Ausrichtung des Ausgleichs an der Schutzbedürftigkeit der Beteiligten
  • cc) Gewichtung des Bedarfs des nachfolgenden Ehegatten im Falle seiner Berücksichtigungswürdigkeit
  • b) Art. 6 Abs. 1 GG i.V.m. Art. 3 Abs. 1 GG
  • aa) Ausrichtung des Ausgleichs an der Schutzbedürftigkeit der Beteiligten
  • bb) Gewichtung des Bedarfs des nachfolgenden Ehegatten im Falle seiner Berücksichtigungswürdigkeit
  • III. Ergebnis
  • IV. Abgrenzung zur Bedarfsbestimmung nach der Dreiteilungsmethode
  • V. Berechnungsbeispiele
  • 1. Erstes Beispiel: Einkommen des vorangegangenen Ehegatten, kein Einkommen des nachfolgenden Ehegatten
  • 2. Zweites Beispiel: Einkommen des vorangegangenen Ehegatten übersteigt Einkommen des nachfolgenden Ehegatten
  • 3. Drittes Beispiel: Einkommen des nachfolgenden Ehegatten übersteigt Einkommen des vorangegangenen Ehegatten
  • 4. Viertes Beispiel: Absoluter Mangelfall
  • C. Ausgleich auf der Ebene des § 1581 BGB – sogenannte individuelle Bedarfsbestimmung
  • I. Einfachrechtliche Bewertung
  • 1. Grammatische Auslegung
  • 2. Systematische Auslegung
  • 3. Teleologische Auslegung
  • 4. Historische Auslegung
  • II. Verfassungsrechtliche Bewertung
  • 1. Bindungswirkung nach § 31 Abs. 1 BVerfGG
  • 2. Art. 2 Abs. 1 GG i.V.m. dem Rechtsstaatsprinzip (Art. 20 Abs. 3 GG)
  • 3. Art. 6 Abs. 1 i.V.m. Art. 3 Abs. 1 und Abs. 2 GG
  • a) Art. 6 Abs. 1 GG i.V.m. Art. 3 Abs. 2 GG
  • aa) Anknüpfung des Ausgleichs an die Ebene des § 1581 BGB
  • bb) Ausrichtung des Ausgleichs an der Schutzbedürftigkeit der Beteiligten
  • cc) Gewichtung des Bedarfs des nachfolgenden Ehegatten im Falle seiner Berücksichtigungswürdigkeit
  • b) Art. 6 Abs. 1 GG i.V.m. Art. 3 Abs. 1 GG
  • aa) Ausrichtung des Ausgleichs an der Schutzbedürftigkeit der Beteiligten
  • bb) Gewichtung des Bedarfs des nachfolgenden Ehegatten im Falle seiner Berücksichtigungswürdigkeit
  • III. Ergebnis
  • IV. Berechnungsbeispiele
  • 1. Erstes Beispiel: Einkommen des vorangegangenen Ehegatten,kein Einkommen des nachfolgenden Ehegatten
  • 2. Zweites Beispiel: Einkommen des vorangegangenen Ehegatten übersteigt Einkommen des nachfolgenden Ehegatten
  • 3. Drittes Beispiel: Einkommen des nachfolgenden Ehegatten übersteigt Einkommen des vorangegangenen Ehegatten
  • 4. Viertes Beispiel: Absoluter Mangelfall
  • D. Ausgleich auf der Ebene des § 1578b BGB
  • I. Einfachrechtliche Bewertung
  • 1. Grammatische Auslegung
  • 2. Systematische Auslegung
  • 3. Teleologische Auslegung
  • 4. Historische Auslegung
  • II. Verfassungsrechtliche Bewertung
  • 1. Bindungswirkung nach § 31 Abs. 1 BVerfGG
  • 2. Art. 2 Abs. 1 GG i.V.m. dem Rechtsstaatsprinzip (Art. 20 Abs. 3 GG)
  • 3. Art. 6 Abs. 1 i.V.m. Art. 3 Abs. 1 und Abs. 2 GG
  • III. Ergebnis
  • E. Ausgleich auf der Ebene des § 1609 BGB
  • I. Einfachrechtliche Bewertung
  • 1. Grammatische Auslegung
  • 2. Systematische Auslegung
  • 3. Teleologische Auslegung
  • 4. Historische Auslegung
  • II. Verfassungsrechtliche Bewertung
  • 1. Bindungswirkung nach § 31 Abs. 1 BVerfGG
  • 2. Art. 2 Abs. 1 GG i.V.m. dem Rechtsstaatsprinzip (Art. 20 Abs. 3 GG)
  • 3. Art. 6 Abs. 1 i.V.m. Art. 3 Abs. 1 und Abs. 2 GG
  • a) Art. 6 Abs. 1 GG i.V.m. Art. 3 Abs. 2 GG
  • b) Art. 6 Abs. 1 GG i.V.m. Art. 3 Abs. 1 GG
  • III. Ergebnis
  • IV. Berechnungsbeispiele
  • F. Tabellarischer Vergleich der Ergebnisse der verschiedenen Modelle
  • I. Erstes Beispiel: Einkommen des vorangegangenen Ehegatten, kein Einkommen des nachfolgenden Ehegatten
  • II. Zweites Beispiel: Einkommen des vorangegangenen Ehegatten übersteigt Einkommen des nachfolgenden Ehegatten
  • III. Drittes Beispiel: Einkommen des nachfolgenden Ehegatten übersteigt Einkommen des vorangegangenen Ehegatten
  • IV. Viertes Beispiel: Absoluter Mangelfall
  • G. Abschlussbetrachtung
  • I. Gemischt konservativ/progressiver Ansatz
  • II. Progressiver Ansatz
  • III. Konservativer Ansatz
  • 1. Gesetzesnähe
  • 2. Rechtsfolge
  • Schlussfolgerungen und Ausblick
  • Entscheidungsregister
  • Literaturverzeichnis

Einleitung

A. Sozioökonomische Grundlagen der Untersuchung

Das Familienrecht unterliegt wie kaum eine andere Materie des Zivilrechts steten Veränderungen. Die Dynamik beruht ebenso auf den sich stetig fortentwickelnden sozioökonomischen Realitäten wie auf den sich wandelnden gesellschaftlichen Werten. Letzteres gilt insbesondere für das Verständnis von Ehe und Familie.

I. Verhältnisse zwischen den Eheleuten

Das Verständnis von der Ehe als einer gemäß § 1353 Abs. 1 S. 1 BGB nach wie vor grundsätzlich auf Lebenszeit geschlossenen Lebensgemeinschaft hat sich seit Inkrafttreten des Bürgerlichen Gesetzbuchs am 1. Januar 1900 einschneidend geändert. Während die Ehe damals die einzig rechtlich vorgesehene Form familiären Zusammenlebens darstellte und eine Scheidung die absolute Ausnahme bildete (1900 standen 476.491 Eheschließungen 9.152 Ehescheidungen gegenüber1), ist die Zahl der Eheschließungen in den letzten Jahrzehnten kontinuierlich gesunken. Während 1990 noch 516.388 Ehen (Gesamtbevölkerung: 79.753.227 Einwohner) geschlossen wurden, ging diese Zahl 2000 auf 418.550 Ehen (Gesamtbevölkerung: 82.259.540 Einwohner) und 2010 auf nur noch 382.047 Eheschließungen (Gesamtbevölkerung: 81.751.602 Einwohner) zurück.2 Gleichzeitig hat die Zahl der Scheidungen stetig zugenommen. Während 1990 nur 122.889 Ehen geschieden wurden, stieg diese Zahl 2000 auf 194.408 und lag 2010 bei 187.027.3 Diese Entwicklung zeigt, dass der rechtlichen Gestaltung ehelicher wie insbesondere nachehelicher Beziehungen angesichts der Vielzahl der Betroffenen eine wachsende Bedeutung zukommt.

Neben die Ehe sind zudem bei Inkrafttreten des Bürgerlichen Gesetzbuchs undenkbare, heute sozial wie rechtlich gebilligte weitere Formen familiären Zusammenlebens getreten. Zu nennen sind hier insbesondere Lebenspartnerschaften im Sinne des § 1 LPartG sowie nichteheliche, hetero- wie homosexuelle Lebensgemeinschaften. ← 1 | 2 →

Nicht nur die äußeren Formen familiären Zusammenlebens haben sich geändert, sondern auch deren innere Ausgestaltung. Bei Inkrafttreten des Bürgerlichen Gesetzbuchs beruhten Ehen auf dem allgemeinen Verständnis, dass der Ehemann für die ökonomische Sicherung der Familie und deren Vertretung nach außen zuständig sei, während der meist ausbildungslosen Ehefrau gemäß § 1356 Abs. 1 S. 1 BGB a.F.4 die tatsächliche Besorgung des Haushalts und die Betreuung der Kinder obliege, für welche ihr gemäß § 1634 BGB a.F.5 während der Dauer der Ehe neben dem Vater das Recht der Personensorge zustand. Das Letztentscheidungsrecht in streitigen Fragen des ehelichen Zusammenlebens war gemäß § 1354 BGB a.F.6 dem Ehemann ebenso vorbehalten wie ihm das elterliche Sorgerecht gemäß § 1627 BGB a.F.7 alleine zustand.

Dieses Rollenverständnis hat zunehmend an Akzeptanz und damit an Bedeutung verloren. Inzwischen wird die Ehe als Lebensgemeinschaft gleichberechtigter Ehepartner verstanden, in der immer häufiger beide in Voll- oder Teilzeit zum wirtschaftlichen Auskommen der Familie beitragen.8 Gleichzeitig hat sich die innerfamiliäre Arbeitsteilung verändert, bei der ebenfalls keine strikte Rollenverteilung mehr herrscht. Vielmehr werden die Haushaltsführung und die Betreuung der Kinder mittlerweile regelmäßig arbeitsteilig übernommen.

1976 wurden noch 42,2% aller Ehen als sogenannte Hausfrauenehen geführt, in denen alleine der Ehemann erwerbstätig war, nur in 3% der Ehen arbeitete ← 2 | 3 → alleine die Ehefrau; 34,7% der Ehen waren sogenannte Doppelverdienerehen, in 20,1% der Ehen war kein Ehepartner (mehr) erwerbstätig. 1990 hatte sich dies bereits deutlich gewandelt. Zu dieser Zeit arbeitete nur noch in 32,4% der Ehen alleine der Ehemann, in 3,8% der Ehen alleine die Ehefrau, in 39,3% der Ehen beide Ehepartner und in 24,5% der Ehen keiner. 2000 setzte sich diese Entwicklung weiter fort. In diesem Jahr war nur noch in 22,9% der Ehen alleine der Ehemann erwerbstätig, dagegen in 6,2% alleine die Ehefrau. 40,7% der Ehen waren Doppelverdienerehen, in 30,2% der Ehen ging kein Ehepartner einer Erwerbstätigkeit nach.9 Das Jahr 2010 schließlich zeichnet das gegenwärtige Verständnis der wirtschaftlichen Sicherung einer Ehe nach. In diesem Jahr war nur noch in 16,8% der Ehen alleine der Ehemann, in 7,4% der Ehen alleine die Ehefrau erwerbstätig. Der Schwerpunkt der Arbeitsteilung hat sich in Richtung Doppelverdienerehen verschoben, die 43,9% der Ehen darstellten; in 31,9% der Ehen arbeitete kein Ehepartner.10

Begünstigt wird diese Entwicklung durch die geänderte berufliche Situation von Männern und Frauen, insbesondere ihren allgemein verbesserten Ausbildungsstandard. Während Frauen bei Inkrafttreten des Bürgerlichen Gesetzbuchs regelmäßig keine Ausbildung besaßen und damit im Falle einer Scheidung für ihren eigenen Unterhalt letztlich nicht sorgen konnten, verfügen sie inzwischen über ein Ausbildungsniveau, das sie regelmäßig zur Sicherung ihres eigenen Lebensunterhalts befähigt.

So besaß die weibliche Bevölkerung im erwerbsfähigen Alter11 im Jahr 2000 zu 45,02% eine abgeschlossene Lehre, zu 5,60% einen Fachschulabschluss und zu 6,87% einen Hochschul- oder Fachhochschulabschluss. Dieses Ausbildungsniveau hat sich im Jahr 2010 noch gesteigert, in dem 49,83% der Frauen im erwerbsfähigen Alter über eine abgeschlossene Lehre, 5,90% über einen Fachschulabschluss und 11,15% über einen Hochschul- oder Fachhochschulabschluss verfügten.12 Demgegenüber hatte die männliche Bevölkerung im erwerbsfähigen Alter13 im Jahr 2000 zu 47,72% eine abgeschlossene Lehre, zu 9,92% einen Fachschulabschluss und zu 12,44% einen Hochschul- oder Fachhochschulabschluss. Die Männer verbesserten ihren Ausbildungsstandard im ← 3 | 4 → Jahr 2010 ebenfalls, in dem sie zu 50,58% über eine abgeschlossene Lehre, zu 9,46% über einen Fachschulabschluss und zu 16,15% über einen Hochschul- oder Fachhochschulabschluss verfügten.14

Aus dem Alter bei Eingehen der ersten Ehe lässt sich zudem schließen, dass Ehen mittlerweile regelmäßig zu einem Zeitpunkt geschlossen werden, zu dem beide Eheleute ihre Ausbildung abgeschlossen und erste Berufserfahrungen gesammelt haben. Während Frauen 1990 im Durchschnitt bereits mit 25,5 Jahren erstmals heirateten, erhöhte sich ihr Alter bei Eingehen der ersten Ehe 2000 auf 28,4 Jahre und 2010 auf 30,3 Jahre. Männer heirateten 1990 erstmals mit durchschnittlich 27,9 Jahren, 2000 mit 31,2 Jahren und 2010 mit 33,2 Jahren.15

Der gegenwärtige Ausbildungsstandard hat gewichtige Auswirkungen auf die Möglichkeit, im Falle einer Scheidung wirtschaftlich eigenverantwortlich für sich zu sorgen und damit auf die Abwägung zwischen nachehelich zu übernehmender Eigenverantwortung und nachehelich zu gewährender Solidarität. Die Entwicklung der Ausbildungs- und Erwerbssituation darf allerdings nicht überschätzt werden. Noch immer besitzt die traditionelle geschlechtsspezifische Arbeitsverteilung einen hohen Grad an Verbindlichkeit, der bei der Beurteilung der (nach-)ehelichen Verhältnisse und damit bei der Gestaltung und Anwendung des Unterhaltsrechts zu berücksichtigen ist. Ein differenzierteres Bild der gegenwärtigen Arbeitsaufteilung in Ehen ergibt sich nämlich, wenn man nicht nur die Aufteilung der Erwerbstätigkeit im Sinne von Ein- oder Doppelverdienerehen betrachtet, sondern zusätzlich die Aufteilung der Erwerbstätigkeit in Vollzeit- und Teilzeittätigkeit bei Eltern minderjähriger Kinder berücksichtigt. Hier zeigt sich, dass das herkömmliche Arbeitsteilungsmodell in Familien mit Kindern nicht überwunden ist, sondern letztlich als sogenanntes Zuverdienermodell weiterbesteht, bei dem der Vater seine Vollzeittätigkeit nach der Geburt eines gemeinsamen Kindes fortsetzt, während die Mutter ihre Arbeit unterbricht und sodann in reduziertem Umfang erwerbstätig wird. So waren nach den Ergebnissen des Mikrozensus 2010 zwar 60,0% der Mütter mit Kindern unter 18 Jahren erwerbstätig. Von ihnen gingen jedoch nur 30,0% einer Vollzeittätigkeit, dagegen 70,0% einer Teilzeittätigkeit nach. Im Gegensatz dazu waren 2010 84,2% der Väter von Kindern unter 18 Jahren erwerbstätig, von denen 94,4% einer Vollzeittätigkeit und nur 5,6% einer Teilzeittätigkeit nachgingen.16 ← 4 | 5 →

Diese Erhebung zeigt, dass sich eine Annäherung der beruflichen Etablierung der Eheleute andeutet, da immer mehr Mütter minderjähriger Kinder erwerbstätig sind. Doch sollte diese Entwicklung nicht im Sinne einer gleichberechtigten und damit nach der Scheidung gleichverpflichtenden Teilhabe am Erwerbsleben missverstanden werden. Vielmehr muss angesichts der hohen Zahl an Zuverdienerehen mit Kindern nach wie vor davon ausgegangen werden, dass zum Zeitpunkt der Scheidung ein Ungleichgewicht in der jeweiligen beruflichen Situation der Eheleute besteht. Der nachehelichen Solidarität fällt daher gegenüber der nachehelichen Eigenverantwortung weiterhin eine bedeutsame Rolle zu.

II. Verhältnisse zwischen einander nachfolgenden Ehen

Neben Fragen nach der zeitgemäßen Balance zwischen nachehelicher Solidarität und nachehelicher Eigenverantwortung im Verhältnis der Eheleute zueinander tritt verstärkt der Bedarf nach Regelungen zur Gestaltung der Verhältnisse zwischen einander nachfolgenden Ehen. Dieser Bedarf ist auf die steigende Zahl von Zweitehen zurückzuführen. Während 1990 18,45% der eheschließenden Männer und 19,1% der eheschließenden Frauen bei Eingehung der Ehe bereits geschieden waren, stieg diese Rate 2000 auf 23,5% der eheschließenden Männer und 25,6% der Frauen und 2010 auf 24,4% der Männer und 24,7% der Frauen.17

Der Ausgleich der Unterhaltsinteressen der konkurrierenden ehelichen Verbände richtet sich nach dem Grad ihrer jeweiligen Schutzbedürftigkeit. Bei deren Beurteilung kommt dem Aspekt der Betreuungsverantwortlichkeit für minderjährige Kinder erhebliches Gewicht zu, die für den betreuenden Elternteil regelmäßig mit Einschränkungen seiner Erwerbstätigkeit verbunden ist. Hier ist zu beachten, dass gegenwärtig in knapp der Hälfte der Scheidungen minderjährige Kinder betroffen sind. So lag die Quote der von der Scheidung ihrer Eltern betroffenen minderjährigen Kinder 2000 bei 48,79% und 2010 bei 48,89% der Scheidungen.18 Hinzu kommt, dass Scheidungen gegenwärtig in knapp einem Drittel der Fälle in den ersten sieben Jahren der Ehe erfolgen. So wurden 2000 31,84%19 und 2010 29,62%20 der geschiedenen Ehen nach einer Ehedauer von bis zu 7 Jahren geschieden. Diese Häufung legt die Vermutung nahe, dass sich ← 5 | 6 → die Scheidungskinder bei der Beendigung der Ehe ihrer Eltern gehäuft in einem Alter mit einem hohen Betreuungsbedarf befinden, mit dem eine hohe Schutzbedürftigkeit der Kinder sowie des betreuenden Elternteils einhergeht.

Für die Schutzbedürftigkeit des unterhaltsberechtigten Ehepartners ist daneben die Dauer der Ehe bis zu ihrer Scheidung und die mit ihr einhergehende wachsende Verflechtung der persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnisse der Eheleute bedeutsam. Die durchschnittliche Dauer der Ehe bis zu ihrer Auflösung ist kontinuierlich gestiegen. Sie betrug 1990 im Schnitt 11,5 Jahre, 2000 durchschnittlich 12,9 Jahre und 2010 14,2 Jahre.21

III. Bedeutung von Gesetzgebung, Rechtsprechung und Wissenschaft

An der Legislative ist es, für die familienrechtlichen Fragestellungen angemessene, an der sozioökonomischen Realität orientierte Regelungen bereit zu stellen und dabei dem jeweils herrschenden gesellschaftlichen Verständnis von Ehe und Familie Rechnung zu tragen. Darüber hinaus kann sie einen Wandel im Verständnis steuernd begleiten oder ihn sogar selbst veranlassen.

Die Judikative ist berufen, bei der Anwendung und Auslegung der Gesetze die tatsächlichen sozialen Lebensverhältnisse zu berücksichtigen und auf gesellschaftliche Änderungen zu reagieren. Zudem können das Bundesverfassungsgericht sowie vermehrt der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte gesellschaftlich gebotene Änderungen beim Gesetzgeber anmahnen oder ihm gar verbindlich aufgeben. Sowohl die fachgerichtliche Gesetzesauslegung als auch die verfassungsgerichtliche Verwerfungs- und Auftragskompetenz führen im Familienrecht zu einem starken Wechselspiel legislativen und judikativen Handelns.

Beispielhaft für diese Wechselwirkung ist die nachhaltige Forderung des Bundesverfassungsgerichts nach einer vollständigen legislativen Umsetzung der gemäß Art. 117 Abs. 1 GG angeordneten einfachrechtlichen Durchsetzung der Gleichberechtigung von Männern und Frauen. Diese Forderung kam eindringlich in seinem Urteil vom 29. Juli 195922 zum Ausdruck, in dem es das Alleinentscheidungs- und Alleinvertretungsrecht des Vaters nach § 1628 BGB ← 6 | 7 → a.F.23 und nach § 1629 BGB a.F.24 für nichtig erklärte, was zur Neugestaltung des § 1628 BGB a.F.25 und des § 1629 BGB führte. Die Verflechtung judikativen und legislativen Handelns zeigte sich ferner in seinem Beschluss vom 5. März 199126 zur Verfassungswidrigkeit der zwangsläufigen Festlegung des Ehenamens auf den Geburtsnamen des Ehemanns nach § 1355 Abs. 2 S. 2 BGB a.F.,27 wenn die Ehegatten keinen ihrer Geburtsnamen zum Ehenamen bestimmt hatten. Dieser Beschluss führte zur Neufassung des § 1355 BGB.

Besonders deutlich treten die Verschränkungen legislativen und judikativen Wirkens bei der Anerkennung neuer Formen familiären Zusammenlebens zutage. Bedeutsam ist hier insbesondere die mit Urteil vom 17. Juli 200228 erfolgte verfassungsgerichtliche Anerkennung der Einführung des Rechtsinstituts der eingetragenen Lebenspartnerschaft für gleichgeschlechtliche Paare sowie sein Urteil vom 19. Februar 2013,29 mit dem die Verweigerung einer Sukzessivadoption durch Lebenspartner für verfassungswidrig erklärt und dem Gesetzgeber aufgegeben wurde, eine verfassungsgemäße Regelung zu treffen. ← 7 | 8 →

Weitere wichtige, auf judikativen Vorgaben beruhende Gesetzgebungsmaßnahmen finden sich im Bereich der Gleichstellung ehelicher und nichtehelicher Kinder. Hierzu zählt etwa die vom Bundesverfassungsgericht gesetzte Frist zur legislativen Umsetzung der in Art. 6 Abs. 5 GG festgeschriebenen Gleichstellung ehelicher und nichtehelicher Kinder.30 Ebenso gehört hierzu der im Beschluss vom 7. Mai 1991 formulierte verfassungsgerichtliche Auftrag an den Gesetzgeber,31 vor dem Hintergrund der wachsenden Zahl nichtehelicher Lebensgemeinschaften32 nicht miteinander verheirateten Eltern die Möglichkeit einer gemeinsamen elterlichen Sorge für ihr Kind zu eröffnen, der zur Einfügung des § 1626a BGB a.F.33 ins Bürgerliche Gesetzbuch führte. Zu nennen ist zudem sein dem Anstieg nichtehelicher Lebensgemeinschaften34 Rechnung tragender Beschluss vom 21. Juli 2010,35 mit dem der Ausschluss des Vaters eines nichtehelichen Kindes von der Sorgetragung für sein Kind bei entgegenstehendem Willen der Kindesmutter für verfassungswidrig erklärt wurde. Dieser Beschluss hat durch das am 19. Mai 2013 in Kraft getretene Gesetz zur Reform der elterlichen Sorge nicht miteinander verheirateter Eltern vom 16. April 201336 zu einer weiteren Anpassung des § 1626a BGB geführt. Hervorzuheben ist zuletzt die im Beschluss vom 28. Februar 200737 vom Bundesverfassungsgericht geforderte Gleichstellung der Dauer der Unterhaltsansprüche wegen der Betreuung ehelicher und nichtehelicher Kinder. Dieser Forderung ist der Gesetzgeber anlässlich ← 8 | 9 → der Unterhaltsreform von 2008 nachgekommen, indem er die Unterhaltsansprüche eheliche oder nichteheliche Kinder betreuender Elternteile in § 1570 BGB und in § 1615l BGB im Wesentlichen gleich ausgestaltet und ihnen in § 1609 Nr. 2 BGB denselben Rang zugewiesen hat.

Der Einfluss nicht nur des Bundesverfassungsgerichts, sondern auch der europäischen Gerichte auf die Legislative zeigt sich gegenwärtig anlässlich der Beurteilung der Rechtstellung des biologischen Vaters. Dessen Rechte hat nicht nur das Bundesverfassungsgericht38 gestärkt. Zudem sind mehrere, ausdrücklich auf die geänderten Realitäten familiären Lebens verweisende39 Entscheidungen des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte zum Umgangs- und Auskunftsrecht sowie zum Vaterschaftsanfechtungsrecht des biologischen Vaters ergangen,40 deren Wertungen in das am 12. Juli 2013 in Kraft getretene Gesetz zur Stärkung der Rechte des leiblichen, nicht rechtlichen Vaters vom 4. Juli 2013 Eingang gefunden haben.41

Legislative und Judikative sind bei ihrem Wirken auf die Wissenschaft angewiesen. Ihr fällt die Aufgabe zu, familienrechtliche Fragestellungen auf der Basis des geltenden Rechts wissenschaftlich aufzuarbeiten und der Rechtsprechung grundlegende Erkenntnisse zu umstrittenen Fragestellungen zu vermitteln bzw. Lösungsempfehlungen auszusprechen. Zudem ist es an ihr, den Gesetzgeber bei gesellschaftlichen Änderungen zu Reformen des geltenden Rechts zu mahnen. Ihre Autorität hat sich beispielsweise anlässlich der Einführung der Befristung und Begrenzung nachehelichen Unterhalts gezeigt. Diese war nach den Regelungen des 1. EheRG nicht vorgesehen und wurde erst auf entsprechende Kritik aus der Lehre42 über mehrere Reformgesetze hinweg eingeführt, ausgeweitet und nachjustiert.

Die Wechselbeziehungen zeigen die engen Verknüpfungen zwischen Gesetzgebung, Rechtsprechung und Wissenschaft bei der Gestaltung, Anwendung und Auslegung familiärer Rechtsverhältnisse auf. Zudem verdeutlichen sie, von welch herausragender Wichtigkeit es ist, die herrschenden sozialen Lebensverhältnisse ← 9 | 10 → und deren Änderungen authentisch zu erfassen und sie in den normativen Vorgaben, den am Einzelfall orientierten Entscheidungen sowie den legislatives Tätigwerden fordernden Judikaten und wissenschaftlichen Erörterungen adäquat zu berücksichtigen.

Zu engen Wechselwirkungen zwischen Legislative, Judikative und Wissenschaft kommt es speziell bei der Gestaltung, Anwendung und Auslegung des den Gegenstand der Arbeit bildenden Geschiedenenunterhaltsrechts, bei dem sich die gesellschaftlichen Änderungen in dargestellt hohem Maße auswirken.

B. Gang und Ziel der Untersuchung

Unter diesen Vorzeichen haben die Voraussetzungen und das Maß nachehelichen Unterhalts sowie der Ausgleich konkurrierender Unterhaltsansprüche bei einander nachfolgenden Unterhaltsverbänden den Gesetzgeber ebenso wie die Rechtsprechung und die Wissenschaft seit Inkrafttreten des Bürgerlichen Gesetzbuchs immer wieder aufs Neue beschäftigt. Im Bemühen um einen den herrschenden Gegebenheiten angemessenen und den widerstreitenden Interessen gerecht werdenden Ausgleich haben sie dabei die nacheheliche wirtschaftliche Eigenverantwortung der Ehegatten, die nachwirkende eheliche Solidarität sowie die jeweilige Schutzbedürftigkeit der konkurrierenden Ehegatten immer wieder neuen Bewertungen und Gewichtungen unterzogen.

Bisher ist es allerdings nicht gelungen, dauerhaft einen allgemein als gerecht empfundenen Ausgleich der widerstreitenden Interessen zu finden. Vielmehr hat das „Unterhaltspendel“43 immer wieder zugunsten einer der beteiligten Personen ausgeschlagen. Damit war mitunter den Interessen des geschiedenen Unterhaltsberechtigten gedient, mitunter denen des Pflichtigen und des nachfolgenden unterhaltsberechtigten Ehegatten.44

I. Entwicklung des Geschiedenenunterhaltsrechts

Im Ersten Teil der Arbeit sollen die wechselhaften Gewichtungen der jeweils als besonders schützenswert erachteten Interessen zum Verständnis der seit Inkrafttreten des Bürgerlichen Gesetzbuchs bestehenden legislativen, judikativen und wissenschaftlichen Bemühungen um einen angemessenen Ausgleich der gegenläufigen Interessen im Unterhaltsrecht nachgezeichnet werden. Die Darstellung widmet sich einerseits den historischen Grundlagen der ← 10 | 11 → unterhaltsrechtlichen Bestimmungen des Bürgerlichen Gesetzbuchs von 1900 sowie des Ehegesetzes von 1938 bzw. 1946, andererseits dem durch die Eherechtsreform von 1977 geschaffenen und durch mehrere Reformen fortgeschriebenen geltenden Unterhaltsrecht.

Die Übersicht über die Grundlagen des historischen Rechts dient nicht nur der Herleitung der bis heute aktuellen Fragestellungen des Geschiedenenunterhaltsrechts. Vielmehr macht der Blick auf die frühere Gesetzeslage einschließlich der vorangegangenen Gesetzgebungsverfahren, auf die frühere Rechtsprechung und auf den seinerzeitigen wissenschaftlichen Diskurs das bereits angedeutete Wechselspiel legislativen, judikativen und wissenschaftlichen Handelns sowie das Bemühen sichtbar, den jeweiligen gesellschaftlichen Gegebenheiten gerecht zu werden. Zudem offenbart die historische Betrachtung Erkenntnisse, die darauf zu untersuchen sein werden, ob sie vom Gesetzgeber und Gesetzesanwender zur Lösung der gegenwärtigen Konfliktlagen im Geschiedenenunterhaltsrecht trotz geänderter gesellschaftlicher Rahmenbedingungen fruchtbar gemacht werden können.

Der Schwerpunkt der Darstellung liegt im geltenden Recht und damit bei den Änderungen des Unterhaltsrechts durch die große Unterhaltsreform von 2008, mit welcher der Gesetzgeber einen nachhaltigen Richtungswechsel beim Ausgleich der widerstreitenden Unterhaltsinteressen eingeleitet hat. Mit diesem Richtungswechsel sind erhebliche Spannungen zwischen einzelnen unterhaltsrechtlichen Bestimmungen eingetreten. Sie beruhen im Wesentlichen auf der Beibehaltung der Bedarfsbestimmung nach § 1578 Abs. 1 S. 1 BGB sowie der Bestimmung der Leistungsfähigkeit nach § 1581 S. 1 BGB einerseits und der Änderung der Rangfolge nach § 1609 Nr. 2 und Nr. 3 BGB andererseits.

Details

Seiten
XXXVI, 218
Jahr
2015
ISBN (PDF)
9783653045352
ISBN (ePUB)
9783653983128
ISBN (MOBI)
9783653983111
ISBN (Hardcover)
9783631653463
DOI
10.3726/978-3-653-04535-2
Sprache
Deutsch
Erscheinungsdatum
2015 (Mai)
Schlagworte
Unterhalt Ehegattenunterhalt Dreiteilungsmethode Bundesverfassungsgericht
Erschienen
Frankfurt am Main, Berlin, Bern, Bruxelles, New York, Oxford, Wien, 2015. XXXVI, 218 S.

Biographische Angaben

Renata von Pückler (Autor:in)

Renata von Pückler ist Richterin in einem Familiensenat beim OLG Frankfurt a.M. Von 2008 bis 2013 war sie wissenschaftliche Mitarbeiterin beim Bundesverfassungsgericht (Dezernat Dr. Hohmann-Dennhardt/Professor Dr. Britz); dort war sie vornehmlich mit unterhaltsrechtlichen Fragestellungen betraut.

Zurück

Titel: Der Ausgleich konkurrierender Ehegattenunterhaltsansprüche
book preview page numper 1
book preview page numper 2
book preview page numper 3
book preview page numper 4
book preview page numper 5
book preview page numper 6
book preview page numper 7
book preview page numper 8
book preview page numper 9
book preview page numper 10
book preview page numper 11
book preview page numper 12
book preview page numper 13
book preview page numper 14
book preview page numper 15
book preview page numper 16
book preview page numper 17
book preview page numper 18
book preview page numper 19
book preview page numper 20
book preview page numper 21
book preview page numper 22
book preview page numper 23
book preview page numper 24
book preview page numper 25
book preview page numper 26
book preview page numper 27
book preview page numper 28
book preview page numper 29
book preview page numper 30
book preview page numper 31
book preview page numper 32
book preview page numper 33
book preview page numper 34
book preview page numper 35
book preview page numper 36
book preview page numper 37
book preview page numper 38
book preview page numper 39
book preview page numper 40
256 Seiten