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Die Beendigung von finnischen und deutschen Telefonaten

Eine interaktionslinguistische, kontrastierende Untersuchung

von Mia Raitaniemi (Autor:in)
©2014 Dissertation 368 Seiten

Zusammenfassung

In finnischen und deutschen Alltagsgesprächen liegen sowohl gemeinsame als auch divergierende Konventionen vor. Die Autorin geht den Konventionen nach, indem sie Beendigungsphasen von Telefonaten interaktionslinguistisch untersucht. Die Analyse umfasst auch das Kontrastieren der finnischen und deutschen Daten. Als zentrales methodisches Werkzeug wird ein Modell der Sequenzstrukturen eingeführt. Die Arbeit beschreibt die Struktur von Alltagsgesprächen so, dass sich unterschiedliche Ebenen des Gesprächs in die sprachkontrastive Analyse einschließen lassen: der Turn, die Sequenz und die Prosodie. Sie stellt sprachenspezifische Interaktionskonventionen im Detail vor und untersucht, was geschehen muss, bevor man schließlich moi oder tschüss sagen kann.

Inhaltsverzeichnis

  • Cover
  • Titel
  • Copyright
  • Autorenangaben
  • Über das Buch
  • Zitierfähigkeit des eBooks
  • Inhaltsverzeichnis
  • Vorwort
  • Teil I: Theoretische Überlegungen zur Beendigung von Telefongesprächen
  • 1. Einleitung
  • 1.1. Die Fragestellung
  • 1.2. Zur Methode
  • 1.3. Die Begründung
  • 1.4. Zentrale gesprächsanalytische Termini
  • 1.5. Die Disposition
  • 2. Das Material und seine Bearbeitung
  • 2.1. Gesprächstypen der Daten
  • 2.2. Aufnahmen und die verwendete Technik
  • 2.3. Die Transkription nach GAT 1
  • 2.4. Die Hilfsübersetzung aus dem Finnischen und die Glosse
  • 2.5. Ethik: Erlaubnisse und Datenschutz
  • 3. Theoretisch-methodische Ansätze und Definitionen
  • 3.1. Gesprächssortenkonstitutive Muster
  • 3.1.1. Die historische Entwicklung des Telefongesprächs
  • 3.1.2. Der Typ der untersuchten Telefonate
  • 3.1.3. Die Beendigung als Gesprächsphase
  • 3.2. Die Konversationsanalyse, die interaktionale Linguistik und das sprachkontrastive Vorgehen
  • 3.2.1. Von der Konversationsanalyse zu der interaktionalen Linguistik
  • 3.2.2. Das sprachkontrastive Vorgehen in der interaktionalen Linguistik
  • 3.3. Untersuchungen zu finnischen und deutschen Gesprächen, mit Rückgriff auf andere Sprachen
  • 3.3.1. Soziologische Untersuchungen
  • 3.3.2. Linguistische interkulturelle Untersuchungen
  • 3.3.3. Linguistische, kontrastive Untersuchungen
  • 3.2.4. Zusammenfassung: interaktionslinguistische Kontrastierung als Rahmen für die Analyse der Beendigungen
  • 4. Organisationsmuster der Beendigungsphase
  • 4.1. Die sequenzielle Organisation
  • 4.1.1. Die Beschreibungsansätze
  • 4.1.2. Das Minimalschema
  • 4.1.3. Themenabschluss und Gesprächsbeendigung
  • 4.1.4. Weitere Bestandteile
  • 4.1.5. Die Beendigungsphase als zwei Sequenzen
  • 4.1.6. Aspekte sprachenspezifischer Variation (Deutsch, Englisch, Finnisch, Griechisch, Japanisch, Russisch, Spanisch)
  • 4.2. Die prosodische Organisation
  • 4.2.1. Die Prosodie in der Gesprächsforschung
  • 4.2.2. Temporalität
  • 4.2.3. Lautstärke und Tonhöhe
  • 4.2.4. Stimmqualität
  • 4.2.5. Paralinguistisches Lachen, Lächeln
  • 4.2.6. Zusammenfassung
  • 4.3. Sprachliche Formelhaftigkeit
  • 4.3.1. Zur Erforschung der sprachlichen Formelhaftigkeit
  • 4.3.2. Die sprachliche Formelhaftigkeit in der Beendigungsphase
  • 4.3.3. Die Bestimmung der Funktion der Routineformeln
  • 4.3.4. Zusammenfassung
  • 4.4. Organisationsprinzipien zur Unterstützung der Analyse
  • Teil II: Die sequenzielle Organisation der untersuchten finnischen und deutschen Beendigungen
  • 5. Die sequenzielle Typologisierung der untersuchten finnischen und deutschen Beendigungen
  • 5.1. Das Problem der Äquivalenz
  • 5.2. Das Modell der Komplexitätsgrade
  • 5.3. Ein kontrastiver Beschreibungsansatz
  • 6. Die Telefonate mit kompakter Beendigungsphase
  • 6.1. Die finnischen Telefonate
  • 6.1.1. Der Ablauf an einem Beispiel
  • 6.1.2. Die wieder aufgenommene Vereinbarungssequenz als Mittel der Beendigungseinleitung
  • 6.1.3. Die Schlussgrußsequenz
  • 6.1.4. Zusammenfassung
  • 6.2. Die deutschen Telefonate
  • 6.2.1. Sehr kompakte Beendigungsabläufe
  • 6.2.2. Zur frühen potenziellen Signalisierung der Beendigungsabsicht
  • 6.2.3. Ein etwas lockerer aufgebauter kompakter Beendigungsablauf
  • 6.2.4. Zur routinierten Wiederaufnahme der Vereinbarung
  • 6.2.5. Zum Überlappen in der letzten Sequenz
  • 6.2.6. Zusammenfassung
  • 6.3. Kontrastierende Beobachtungen zu der kompakten Beendigung
  • 6.3.1. Die Überleitung in die Beendigungsphase
  • 6.3.2. Die Form des Beendigungsangebots und seiner Ratifizierung
  • 6.3.3. Die Wiederaufnahme der Vereinbarung
  • 6.3.4. Weitere Bestätigung der Beendigungsabsicht
  • 6.3.5. Die Schlussgrußsequenz
  • 6.3.6. Zusammenfassung
  • 7. Die Telefonate mit komplexer Beendigungsphase
  • 7.1. Die finnischen Telefonate
  • 7.1.1. Die Struktur der Extensionen
  • 7.1.2. Der Inhalt der Extensionen: Präzisierungen und Spaß
  • 7.2. Die deutschen Telefonate
  • 7.2.1. Die Struktur der Extensionen
  • 7.2.2. Der Inhalt der Extensionen: Vereinbarung, Wunsch und mehr
  • 7.3. Kontrastierende Beobachtungen zur komplexen Beendigung
  • 7.3.1. Die Position der Extension
  • 7.3.2. Die interne Struktur der Extension
  • 7.3.3. Der Inhalt der Extension
  • 7.3.4. Zusammenfassung
  • 8. Die Telefonate mit suspendierter Beendigungsphase
  • 8.1. Die finnischen Telefonate
  • 8.1.1. Suspension durch Aspekte der Vereinbarung
  • 8.1.2. Suspension durch ein neues Gesprächsthema
  • 8.1.3. Zu der variierenden Spanne der Suspension
  • 8.1.4. Sprachliche Sondermerkmale: vage und genaue Temporaladverbiale
  • 8.1.5. Sprachliche Sondermerkmale: das Lexem mutta mutta
  • 8.2. Die deutschen Telefonate
  • 8.2.1. Einblenden des Beendigungsangebots im thematischen Gespräch
  • 8.2.2. Suspension durch die Einwilligungsfrage
  • 8.2.3. Suspension durch Terminpläne
  • 8.2.4. Sprachliche Sondermerkmale: die namentliche Anrede
  • 8.2.5. Sprachliche Sondermerkmale: die Markierung der Fokusverschiebung
  • 8.3. Kontrastierende Beobachtungen zu der suspendierten Beendigung
  • 8.3.1. Die Position der Suspension
  • 8.3.2. Der Übergang in die suspendierende Sequenz
  • 8.3.3. Der Übergang zurück in die Beendigung
  • 8.3.4. Der Inhalt und die Spanne der Suspension
  • 8.3.5. Zusammenfassung
  • 9. Diskussion der Resultate
  • 9.1. Der methodische Weg
  • 9.2. Die sequenzspezifischen Beobachtungen
  • 9.3. Die Strukturebenen, die Gemeinsamkeiten aufweisen
  • 9.4. Die Strukturebenen, die Divergenzen aufweisen
  • 9.5. Strukturen der Interaktion als Gegenstand des Kontrastierens
  • 10. Zusammenfassung und Ausblick
  • Literatur
  • E-Mail-Quellen
  • Verwendete Software
  • Anhang 1: Die Transkripte
  • Anhang 2: Die Transkriptzeichen
  • Anhang 3: Die Tonbeispiele
  • Reihenübersicht

← 12 | 13 → 1. Einleitung

1.1. Die Fragestellung

Meine Untersuchung befasst sich mit der Beendigung von privaten Telefonaten. Sie fragt, wie man das Telefonat im Einverständnis mit dem Gesprächspartner abschließen kann. Das Interesse richtet sich auf die sequenzielle Organisation der Beendigung. Demensprechend wird beschrieben, wie jede Aktivität aus Turns besteht und wie diese sich zu unterschiedlich umfangreichen Sequenzen innerhalb der Beendigungsphase zusammenschließen. Die Untersuchung gehört in den Bereich der interaktionalen Linguistik.

Die Gesprächsbeendigung ist auch in früheren Untersuchungen behandelt worden. Die neue Dimension, auf die sich meine Untersuchung erstreckt, ist das Kontrastieren dieses Gegenstands in finnischen und deutschen Telefonaten.

In der Untersuchung werden die folgenden Schritte vorgenommen:

Der erste Schritt ist die Erstellung einer geeigneten Materialbasis. Für diesen Zweck habe ich für die vorliegende Untersuchung Telefonate von Studierenden in Finnland und in Deutschland aufnehmen lassen. Diese Personen telefonieren mit ihren Freunden, Bekannten oder Verwandten. Alle Teilnehmer wurden über die Aufnahme informiert und sie haben ihre Einwilligung gegeben, das Material für die vorliegende Untersuchung zu verwenden. Auf das Material wird in Abschnitt 2 näher eingegangen.

Der zweite Schritt ist die Erstellung eines passenden Ansatzes. Die Fragen, die im Zentrum der Entwicklung des Ansatzes stehen, sind,

- welche Strukturen man für eine kontrastive Analyse von Beendigungen von Telefongesprächen beschreiben sollte und

- welche die konkreten Schritte einer kontrastiven Analyse von Beendigungen von Telefongesprächen sind.

Diese Fragen werden im ersten Teil (Abschnitte 3 bis 4) und zusammenfassend in dem ersten Abschnitt (5) des zweiten Teils behandelt.

Der dritte Schritt ist die interaktionslinguistische Beschreibung der Daten anhand des gewählten Ansatzes. Zu diesem Schritt gehören mehrere Teilfragen. Diese werden hier schon im Hinblick auf den entwickelten Ansatz (siehe Abschnitt 5) ausformuliert. Die Teilfragen beziehen sich auf eine gesprächsanalytische und eine kontrastive Analyse des Materials. Deshalb werden hier zwei Frageblöcke präsentiert.

Zu der gesprächsanalytischen Analyse der Beendigungen gehören die folgenden Fragen:

← 13 | 14 → - Wie gestaltet sich die sequenzielle Struktur der einzelnen Beendigungen?

- Wie kann man die Beendigungen in Typkategorien, je nach sequenzieller Struktur, einteilen?

Zu der kontrastiven Analyse der Daten gehören die folgenden Fragen:

- Lassen sich Gemeinsamkeiten oder Divergenzen in der Struktur der finnischen Beendigungen innerhalb einer Typkategorie feststellen?

- Lassen sich Gemeinsamkeiten oder Divergenzen in der Struktur der deutschen Beendigungen innerhalb einer Typkategorie feststellen?

- Sind in den finnischen und in den deutschen Daten Gemeinsamkeiten oder Divergenzen innerhalb einer Typkategorie vorhanden?

Die Fragestellung wird im Abschnitt 5 näher erläutert.

Die vorangehenden Untersuchungen zu der Beendigungsphase verwenden in der Regel ein Beschreibungsparadigma, bei dem die Teilsequenzen der Beendigungsphase beschrieben werden (Schegloff / Sacks 1973; Jäger 1976; Clark / French 1981; Button 1987, 1990a, 1993; Hartford / Bardovi-Harlig 1992; Rath 1995; Kurhila 1996; Placencia 1997; Pavlidou 2002; Rama-Martinez 2003; Selting 2007; Harren / Raitaniemi 2008)1. Auch meine Untersuchung legt den Schwerpunkt auf die sequenzielle Organisation.

Im Unterschied zu den meisten vorangehenden Untersuchungen der Beendigungsphase wird in meiner Untersuchung eine kontrastive Fragestellung vorgenommen. Unter den vorangehenden Untersuchungen zur Beendigung gibt es einige, die eine kontrastive Fragestellung vertreten (Liefländer-Koistinen / Neuendorff 1991; Neuendorff 1992; Pavlidou 1997, 1998; Auer et al. 1999b; Marui / Schwitalla 2003). Die genannten Untersuchungen kommen auf Resultate, die auf sprachenbezogene Divergenzen auf unterschiedlichen Ebenen der Beendigungsinteraktion hinweisen. Unter den kontrastiven Untersuchungen befassen sich nur Liefländer-Koistinen / Neuendorff (1991) und Neuendorff (1992) mit dem Sprachenpaar Deutsch-Finnisch. Diese Untersuchungen haben Dienstleistungstelefonate betrachtet, meine behandelt private Telefonate. Die Beendigungsphase ist hier etwas anders als in Dienstleistungsgesprächen, weil die Beziehung der Teilnehmer enger ist. Die restlichen kontrastierenden Untersuchungen ziehen sowohl private als auch Dienstleistungstelefonate heran. Sie kontrastieren deutschsprachige Telefonate mit griechischen, italienischen oder japanischen. Die Dimensionen, die sie in den Vordergrund stellen, sind das Beziehungsmanagement, die Prosodie und die Erkennung von Sequenzen. Meine ← 14 | 15 → Untersuchung beabsichtigt erstens eine nähere Beschreibung der sequenzstrukturellen Elemente der ausgewählten finnischen und deutschen Beendigungen und zweitens ein Modell zum Kontrastieren von gesprochener Interaktion.

1.2. Zur Methode

Die gewählte interaktionslinguistische Vorgehensweise hat einen gesprächsanalytischen und einen kontrastiven Ansatz.

Die gewählte Vorgehensweise baut auf drei getrennten, induktiven Analyseschritten auf. Die ersten zwei Analyseschritte sind gesprächsanalytisch. Das Ziel ist eine ungefilterte Beschreibung der Interaktion. Hervorgehoben wird, was in der Interaktion selbst als relevant zu erkennen ist.

In dem ersten Schritt, einer Voranalyse, wurden alle Beendigungsphasen aus dem gewählten Datenmaterial analysiert. Anhand dieser Analyse wurden die Beendigungen nach ihren Erscheinungsformen in Typkategorien eingeordnet2.

Der zweite Schritt ist eine gesprächsanalytische Beschreibung eines jeden Beendigungsbelegs. Die Beendigungen werden hier Turn für Turn analysiert. Berücksichtigt wird auch der Übergang von dem thematischen Gespräch in die Beendigungsphase. In diesem Zusammenhang werden spezielle Eigenschaften jeder einzelnen Beendigung beleuchtet, sowie Eigenschaften, die mehreren Beendigungen gemeinsam sind.

Die gesprächsanalytische Beschreibung ist eine Voraussetzung für den dritten Schritt, das Kontrastieren der finnischen und deutschen Beendigungen. Beim Kontrastieren werden die in der gesprächsanalytischen Beschreibung gewonnenen Eigenschaften der einzelnen Beendigungen daraufhin betrachtet, welche Eigenschaften sich als konstant erweisen, und welche variieren. Aus diesen Beobachtungen kann man schließen, welche Phänomene in diesen zwei Datensets potenziell Tendenzen tragen.

Dieser hier kurz beschriebene Ansatz wird genauer in Abschnitt 5, der den Analyseteil dieser Untersuchung einleitet, vorgestellt.

← 15 | 16 → 1.3. Die Begründung

Das Wissen über Strukturen und Teilkomponenten der gesprochenen Interaktion ist ein wichtiges Ziel, weil es nicht zum Allgemeinwissen gehört, Gesprächsstrukturen auseinanderzunehmen. Grammatische Strukturen der geschriebenen Sprache sind diesbezüglich in einer anderen Position, denn sie sind nach wie vor ein selbstverständliches Ziel. Dass auch andere Gebiete als das Vokabular oder die Grammatik Probleme in der Interaktion verursachen können, ist schwer zu konzipieren. Es ist jedoch nicht einfach intuitiv zu beschreiben, wie eine Gesprächsbeendigung unter Bekannten herbeigeführt wird. Die Beendigung beherrschen viele, aber eine Beschreibung der Handlung gelingt meist nicht spontan.

Dass wir oft nicht über die geeigneten Mittel verfügen, diese Strukturen zu nennen und zu erkennen, kann verdeutlicht werden. Einige Untersuchungen haben nämlich erhebliche Differenzen zwischen natürlichen Gesprächsbeendigungen und Beendigungen in Schulbuchdialogen festgestellt (Liefländer-Koistinen / Neuendorff 1989; Wong 2010). Das wird von Wong (2010, 294-295) dramatisierend ausgedrückt:

For better or for worse, first impressions are sometimes lasting ones. Hanging up the phone on someone inadvertently, for example, without saying good-bye or cutting a preclosing sequence too short or not including one, could cost a neophyte in the target language his or her (new) job and possibly lead the other party to question the language leaner’s interactional and interpersonal skills and not linguistic ones.

Hier wird die Schwierigkeit des Erkennens von sprachlichen und interpersonellen Fähigkeiten thematisiert. Dementsprechend ist es adäquat zu fragen, welche Dimensionen der Sprache zu der Beschreibung der Interaktion gehören. Zu den relevanten Dimensionen zählen meiner Ansicht nach neben den Formen der Schriftsprache auch die Formen der gesprochenen Interaktion, hierzu gehörende Ablaufschemata, pragmatische Teilbereiche sowie verbale und paralinguistische Konventionen. Sprachliche Konventionen werden mit der Muttersprache kulturell erworben. Da die Konventionen sich historisch ausgeprägt haben und sich ständig weiterentwickeln, formen sich in verschiedenen Sprachgemeinschaften verschiedene Konventionen aus3. Die Unterschiede zwischen den Konventionen werden allerdings erst im Kontrast erkannt. An der Schnittstelle all dieser Parameter liegt auch die Interaktion in Gesprächsbeendigungen.

← 16 | 17 → Eine Dimension der Gesprächsbeendigung, die ihre Kontrastierung wichtig macht, ist der besonders hohe Grad der Konventionalisierung dieser Gesprächsphase. Der hohe Anteil an Routineformeln und verfestigten Paarsequenzen wie tschüss – tschüss ist allgemein bekannt. Es ist anzunehmen, dass jede Sprachgemeinschaft eigene Konventionen bezüglich der Beendigung aufweist. Durch kontrastive Forschungssettings gewinnt man Wissen darüber, was in den einzelnen Sprachgemeinschaften zu den verfestigten Mitteln gehört. Es hilft, die Muster in einer Sprache zu erkennen, wenn man Vergleichsmaterial aus einer anderen Sprache heranzieht.

Auch die sensitive Natur der Beendigung für die Beziehung der Gesprächsteilnehmer trägt zu der zentralen Rolle der Beendigungsphase bei. Die Gesprächsbeendigung schließt die Kontaktsituation ab und mündet in eine soziale Stille, die man bewältigen muss, bis sich die nächste Kontaktsituation ereignet. Daher ist man beim Beenden gezwungen, mit dem gesichtsbedrohenden Aspekt zu balancieren. Dabei ist es eine große Hilfe, wenn man die diesbezüglichen Konventionen beherrscht.

1.4. Zentrale gesprächsanalytische Termini

Die Gesprächsforschung hat eine terminologische Tradition, die sich weitgehend etabliert hat. Einige Termini werden nebeneinander verwendet und deshalb ist es nötig, die terminologischen Entscheidungen zu präzisieren. Zu den zentralen Termini, die in meiner Untersuchung verwendet werden, gehören

- der Sprecherwechsel,

- der Turn,

- das Hörersignal,

- die Turnkonstruktionseinheit,

- die Sequenz,

- die Gesprächsphase,

- die Gesprächsbeendigung,

- die Kontextualisierung und der Kontextualisierungshinweis.

Diese werden im Folgenden kurz definiert.

Sprecherwechsel

Der Sprecherwechsel ist der grundlegende Mechanismus, der alle Gespräche verbindet. Harvey Sacks, Emanuel Schegloff und Gail Jefferson (1974, 699) konstatieren in ihrem grundlegenden Artikel, dass der Sprecherwechsel darin besteht,

that, …, one party speaks at a time, though speakers change, and though the size of turns and ordering of turns vary; that transitions are finely coördinated (sic); that ← 17 | 18 → techniques are used for allocating turns, … and that there are techniques for the construction of utterances relevant to their turn status, which bear on the coördination of transfer and on the allocation of speakership.

Der Mechanismus des Sprecherwechsels ermöglicht das Antizipieren der Turnübergabe, was wiederum die kontrollierte Turnübernahme ermöglicht. Hieraus wird ersichtlich, dass die Grundeinheit des Gesprächs der Turn ist. Hierzu gehört auch der Begriff der übergangsrelevanten Stelle (transition relevance place). Damit wird eine solche Position im Gespräch eines Sprechers gemeint, die die Turnübergabe ermöglicht.

Turn

Das, was die Sprecher tun, wenn sie an der Reihe sind, nennt man im Englischen turn (of talk) (Schegloff / Sacks / Jefferson 1974). Dieser Begriff wurde von vielen Forschern mit unterschiedlichen alternativen Ausdrücken ins Deutsche übersetzt: Nach Rainer Raths (2001, 1213-1214) terminologischem Überblick sind Gesprächsschritt, Gesprächsbeitrag, Sprecherbeitrag, Redebeitrag, Redezug und Zug als Übersetzungen für turn verwendet worden. Die Wahl der passenden Übersetzung hat sich als problematisch erwiesen, denn jede Übersetzung betont einen bestimmten Aspekt. Das ist vermutlich ein Grund dafür, dass im Rahmen der deutschsprachigen Gesprächslinguistik der englische Begriff Turn häufig verwendet wird. Ich lehne mich an diese Tradition an und verwende den Ausdruck Turn. Synonym mit Turn verwende ich auch den Begriff Gesprächsschritt.

Hörersignal

Was die Hörer betrifft, so können sie zu Höreraktivitäten und Hörersignalen greifen, während ein anderer spricht. Das Konzept ist auf den Begriff back channel von Victor Yngve (1970, 568) zurückzuführen. Die Höreraktivitäten teilt Rath (2001, 1217-1219) in Kommentierung, Aufmerksamkeitssignalisierung, Antwort auf Sprechersignale, Intervention und Gesprächsschrittbeanspruchung ein. Die prototypischen Höreraktivitäten zielen nicht darauf ab, die Sprecherrolle einzufordern, sondern sie bleiben im Bereich der redebegleitenden Aktivitäten.

Details

Seiten
368
Jahr
2014
ISBN (PDF)
9783653045376
ISBN (ePUB)
9783653983142
ISBN (MOBI)
9783653983135
ISBN (Hardcover)
9783631653456
DOI
10.3726/978-3-653-04537-6
Sprache
Deutsch
Erscheinungsdatum
2014 (Mai)
Schlagworte
Interaktionslinguistik Gesprächsanalyse sequenzielle Analyse Finnland Telefongespräch
Erschienen
Frankfurt am Main, Berlin, Bern, Bruxelles, New York, Oxford, Wien, 2014. 368 S., 1 s/w Abb., 55 Tab., 1 CD

Biographische Angaben

Mia Raitaniemi (Autor:in)

Mia Raitaniemi studierte Germanistik, Fennistik, Romanistik und Pädagogik an der Universität Turku (Finnland). Sie absolvierte Forschungsaufenthalte an der Universität Göttingen und der Technischen Universität Chemnitz und ist im Fach Deutsche Sprache an der Universität Turku tätig.

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