Lade Inhalt...

Der Verordnungsentwurf über ein Gemeinsames Europäisches Kaufrecht

Meilenstein der europäischen Integration oder Irrlicht der europäischen Politik?

von Norman Konecny (Autor:in)
©2014 Dissertation XXII, 344 Seiten

Zusammenfassung

Gegenstand dieser Arbeit ist der Verordnungsentwurf der Europäischen Kommission über ein Gemeinsames Europäisches Kaufrecht, eines der am meisten und kontrovers diskutierten Rechtsetzungsprojekte der vergangenen Jahre. Sie zeigt die mögliche Bedeutung eines optionalen Kaufrechtsinstruments für die europäische Integration auf und stellt die Hürden dar, die es zu überwinden hat. In verfahrensrechtlicher Hinsicht ist vor allem die Streitfrage nach der korrekten Ermächtigungsgrundlage, aber auch der rechtswissenschaftliche und politische Diskurs entscheidend. Aus materiellrechtlicher Perspektive wird vor allem die Gretchenfrage nach dem Verbraucherschutz über die Erfolgsaussichten eines solchen Projekts am Markt entscheiden, hinzu kommen seine Anwendungs- und inhaltliche Reichweite. Der Autor kommt zu dem Ergebnis, dass das Projekt als solches erhebliche Chancen für die europäische Integration mittels Angleichung des Privatrechts bietet. Diese drohen aber vertan zu werden, wird es weiterhin in der bisherigen Art und Weise behandelt und erfährt es nicht tiefgreifende inhaltliche Revisionen, insbesondere hinsichtlich einer Absenkung des Verbraucherschutzniveaus, um Unternehmern einen Anreiz zu seiner Wahl zu bieten.

Inhaltsverzeichnis

  • Cover
  • Titel
  • Copyright
  • Autorenangaben
  • Über das Buch
  • Zitierfähigkeit des eBooks
  • Vorwort
  • Inhaltsverzeichnis
  • Abkürzungsverzeichnis
  • Kapitel 1: Einleitung – Problemaufriss und Gang der Darstellung
  • Kapitel 2: Rahmenbedingungen – Historische Entwicklung, Status quo undBedeutung der europäischen Integration, der Angleichung des Privatrechtsund des Gemeinsamen Europäischen Kaufrechts
  • § 1: Europäische Integration und Privatrechtsangleichung
  • A. Die europäische Integration
  • I. Begriffsbestimmung
  • II. Geschichtliche Entwicklung
  • 1. Die Entwicklung der Union und der Verträge
  • 2. Die Entwicklung der europäischen Integration als solche
  • B. Die Privatrechtsangleichung
  • I. Begriffsbestimmung
  • 1. Strikte Abgrenzung zwischen „Rechtsangleichung“ und „Rechtsvereinheitlichung“
  • 2. „Rechtsvereinheitlichung“ als Unterfall der „Rechtsangleichung“
  • 3. Entscheidung für die vorzugswürdige Ansicht
  • 4. Zusammenfassung
  • II. Geschichtliche Entwicklung
  • 1. Gemeinschaftsgründung bis Jahrtausendwechsel
  • 2. Rezeption und neuere Entwicklung
  • C. Bedeutung der Privatrechtsangleichung fürdie europäische Integration
  • § 2: Der Verordnungsentwurf der Europäischen Kommission über ein Gemeinsames Europäisches Kaufrecht
  • A. Geschichte des Verordnungsentwurfs
  • I. Vorhergehende Projekte einheitlicher Rechtstexte
  • 1. Die Ursprünge durch das Wirken Rabels undderen Folgen
  • 2. Moderne Ansätze einheitlicher Rechtstexte
  • a) PECL, PICC, EVGB und Acquis
  • b) Der Draft Common Frame of Reference
  • II. Entwicklung hin zum Gemeinsamen EuropäischenKaufrecht
  • B. Kursorischer Überblick über Konzeption und Regelungsgehaltdes Verordnungsvorschlags
  • I. Inhalt der GEKR-VO
  • II. Inhalt des GEKR
  • 1. Teil I. Einleitende Bestimmungen
  • 2. Teil II. Zustandekommen eines bindenden Vertrags
  • 3. Teil III. Bestimmung des Vertragsinhalts
  • 4. Teile IV. und V. Verpflichtungen und Abhilfender Parteien
  • 5. Teil VI. Schadensersatz und Zinsen
  • 6. Teil VII. Rückabwicklung
  • 7. Teil VIII. Verjährung
  • 8. Zusammenfassung
  • C. Mögliche Bedeutung eines Gemeinsamen EuropäischenKaufrechts für die europäische Integration
  • I. Der identitätsstiftende Charakter vonPrivatrechtskodifikationen
  • 1. Nationale Privatrechtskodifikationen in Europa
  • 2. Der Einfluss der nationalen Kodifikationen auf dieBildung einer nationalstaatlichen Identität
  • II. Der identitätsstiftende Charakter bisherigereuropäischer Projekte
  • 1. Die Europäische Union
  • 2. Der Euro
  • 3. Schlussfolgerung
  • III. Perspektiven durch das Gemeinsame Europäische Kaufrecht
  • 1. Übertragung der These von der identitätsstiftendenWirkung privatrechtlicher Kodifikationen auf dieeuropäische Ebene
  • 2. Wirkung des GEKR auf die Entwicklung einereuropäischen Identität
  • § 3: Zusammenfassung in Thesen
  • Kapitel 3: Verfahrensrechtliche Hindernisse
  • § 1: Die Rechtsgrundlage für das Gemeinsame Europäische Kaufrecht
  • A. Die möglichen Kompetenzgrundlagen
  • I. Art. 114 AEUV
  • 1. Maßnahme
  • 2. Rechtsangleichung
  • a) Die ablehnende Ansicht
  • b) Die befürwortende Ansicht
  • c) „Dritter Ansatz“: Rechtsangleichung keineVoraussetzung
  • d) Entscheidung für die vorzugswürdige Ansicht
  • e) Ergebnis
  • 3. Präzisierung der übrigen Voraussetzungendurch den EuGH
  • a) Begriff des Binnenmarkts und derBinnenmarktkompetenz
  • b) Errichten und Funktionieren des Binnenmarktsals Zielsetzung
  • c) Tatsächlicher – objektiver – Binnenmarktbezug
  • aa) Das Vorliegen von Handelshemmnissen
  • i) Gleichlauf mit der Keck-Rechtsprechung?
  • (1) Der Anwendungsbereich derWarenverkehrsfreiheit
  • (2) Begründung der „Gleichlauf“-These
  • (3) Die Einordnung des Vertragsrechtsnach der Keck-Rechtsprechung
  • (4) Ablehnung der „Gleichlauf“-These
  • ii) Bestimmung der maßgeblichen Kriterien
  • (1) Keine Binnenmarktrelevanzdispositiver Regeln?
  • (2) Empirischer Beleg vonHandelsbeschränkungen
  • (3) Kritik an der empirischen Begründung
  • (4) Lösung des Problems
  • bb) Die Beseitigung der Handelshemmnisse durchdas GEKR
  • i) Keine Beseitigung durch das GEKR
  • ii) Beseitigung durch das GEKR
  • iii) Entscheidung für die vorzugswürdige Ansicht
  • d) Art. 114 Abs. 3 AEUV als Kompetenzschranke?
  • 4. Ergebnis
  • II. Art. 81 AEUV
  • III. Art. 169 Abs. 2 lit. b AEUV
  • IV. Art. 352 AEUV
  • 1. Vertragszielverwirklichung
  • 2. Im Rahmen der in den Verträgen festgelegtenPolitikbereiche
  • 3. Erforderlichkeit
  • 4. Subsidiarität der Rechtsgrundlage
  • 5. Keine Vertragsänderung
  • 6. Rechtsfolge: Geeignete Vorschriften
  • 7. Ergebnis
  • B. Die Vereinbarkeit des Verordnungsentwurfs mit denGrundsätzen der Subsidiarität und der Verhältnismäßigkeit
  • I. Vereinbarkeit mit dem Grundsatz der Subsidiarität
  • II. Vereinbarkeit mit dem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit
  • C. Eigene Beurteilung und Erwartungen
  • I. Die zu erwartende weitere Entwicklung
  • II. Eigene Beurteilung
  • D. Zusammenfassung
  • § 2: Das „Ausbremsen“ von Rechtsetzungsprojekten durch den rechtswissenschaftlichen und den rechtspolitischen Diskurs
  • A. Erfahrungen anhand bisheriger Rechtsetzungsprojekte
  • I. Beispiel 1: Das Schuldrechtsmodernisierungsgesetz
  • 1. Geschichte, wesentlicher Inhalt und Bedeutung
  • 2. Ablauf des Gesetzgebungsprozesses und dessenBegleitung und Rezeption durch dieRechtswissenschaft
  • a) Kritik am SModG
  • b) Reaktionen auf die Kritik
  • c) Bewertung
  • II. Beispiel 2: Der Verordnungsentwurf über dieSocietas Privata Europaea
  • 1. Entstehung, wesentlicher Inhalt und Bedeutung
  • 2. Entwicklung des Projekts seit Veröffentlichung desEntwurfs und seine Bewertung durch Rechtswissenschaftund Politik
  • a) Entwicklung auf EU-Ebene
  • b) Behandlung durch Rechtswissenschaft und -politik
  • III. Schlussfolgerungen
  • B. Die Situation beim Verordnungsentwurf über einGemeinsames Europäisches Kaufrecht – ein Déjà-vu?
  • I. Exemplarisch: Der Diskurs über die Rechtsgrundlagesowie Sinn und Zweck des GEKR
  • 1. Die tatsächliche Rechtslage
  • 2. Die Behandlung durch die Rechtswissenschaft
  • a) Situation in Deutschland
  • b) Situation in den übrigen Mitgliedsstaaten
  • 3. Folgen des Diskurses
  • 4. Nachtrag: Aktuelle Entwicklungen
  • II. Art und Weise des inhaltlichen Diskurses
  • 1. Parallelen zur Schuldrechtsmodernisierung
  • a) Argumentationsstrang 1: „Kein Bedarf“
  • b) Argumentationsstrang 2: „Zu hohes Tempo“
  • c) Argumentationsstrang 3: „Rechtsunsicherheit“
  • d) Zusammenfassung
  • 2. Parallelen zur SPE
  • a) Ähnlichkeiten des Diskurses
  • b) Bedeutung für die Fortentwicklung des GEKR
  • III. Schlussfolgerungen
  • § 3: Zusammenfassung in Thesen
  • Kapitel 4: Materiellrechtliche Hindernisse
  • § 1: Hypertropher Verbraucherschutz als Integrationsbremse
  • A.Die fehlgehende „Konsenshypothese“ hinsichtlichder Wahl des GEKR und ihre Folgen
  • I. Die dem Verordnungsentwurf zu Grunde liegendeVorstellung seiner Wahl – Konsens zwischen Käuferund Verkäufer
  • II. Die tatsächlichen Bedingungen seiner Wahl
  • III. Schlussfolgerungen
  • B. Die vorvertraglichen Informationspflichten beib2c-Verträgen – zu viel des Guten
  • I. Übersicht über die Informationspflichten imVerordnungsentwurf
  • 1. Abgrenzung der Arten von Informationspflichtenim GEKR
  • 2. Die Informationspflichten hinsichtlich derVereinbarung zur Verwendung des GEKR
  • 3. Die Informationspflichten zum Vertragsschlussinnerhalb des GEKR
  • 4. Die Unterschiede der Informationspflichtenzwischen b2c- und b2b-Verträgen
  • II. Der – zweifelhafte – Nutzen von Informationsmodellen
  • 1. Anwendungsfelder von Informationsmodellen
  • 2. Zielsetzung von Informationsmodellen
  • 3. Grenzen des Nutzens von Informationsmodellen
  • 4. Übertragbarkeit der Forschungsergebnisse auf dieInformationspflichten hinsichtlich derVerwendungsvereinbarung des GEKR
  • III. Die vorvertraglichen Informationspflichtenhinsichtlich der Wahl des GEKR
  • 1. Zielführung, Konzeption und Ausgestaltung
  • a) Informationen über die Verwendungsvereinbarung
  • b) Informationen über die Rechte aus dem GEKR
  • 2. Tatsächlicher Nutzen
  • a) Informationen über die Verwendungsvereinbarung
  • b) Informationen über die Rechte vor Vertragsschluss
  • c) Informationen über die Rechte nach Vertragsschluss
  • d) Abschließende Hinweise und Ratschlägedes Informationsblatts
  • 3. Bewertung des Informationsblatts-Konzepts
  • 4. Gegenkonzeptionen
  • a) Konzept 1: Inhaltliche Abänderung desInformationsblatts
  • aa) Kein Vorrang der Nacherfüllung
  • bb) Bestimmung des anwendbaren Rechts
  • cc) Last der Rücksendekosten bei Widerruf
  • dd) Kein Rechtsausschluss bei Mangelkenntnis
  • ee) Zusammenfassung
  • b) Konzept 2: Übermittlung nicht alsWirksamkeitsvoraussetzung
  • c) Konzept 3: Vollständige Abschaffung desInformationsblatts
  • d) Zu befürwortendes Gesamtkonzept
  • IV. Die vorvertraglichen Informationspflichten innerhalbdes GEKR
  • 1. Streichbare Informationspflichten
  • 2. Streitbare Informationspflichten
  • 3. Auswirkungen des Berichtsentwurfs
  • 4. Neukonzipierung der vorvertraglichenInformationspflichten: Wirklicher Bedarf und Verständlichkeit statt „information-overload“
  • a) Informationen über das Widerrufsrecht
  • b) Die besondere Bedeutung der Optionalitätdes GEKR
  • 5. Ergebnis
  • V. Fazit
  • C. Die Gleichrangigkeit der Rechtsbehelfe des Verbrauchers
  • I. Derzeitige Situation im europäischen Privatrecht
  • II. Lösung nach dem GEKR
  • 1. Modell des Verordnungsentwurfs
  • 2. Regelungsalternativen des Berichtsentwurfs
  • 3. Nachtrag: Aktuelle Entwicklung
  • III. Bewertung und Auswirkungen auf die Akzeptanzdes GEKR
  • 1. Bewertung des Konzepts des Verordnungsentwurfs
  • 2. Die Alternativen des Berichtsentwurfs alsVerbesserung?
  • 3. Rückkehr zum Vorrang der Nacherfüllung
  • 4. Nachtrag: Bewertung der Fassung vom 26.02.2014
  • IV. Fazit
  • D. Weitere verbraucherrechtliche Problemaspekte
  • I. Kein Gewährleistungsausschluss bei Mangelkenntnisbei b2c-Verträgen, Art. 104 GEKR
  • II. Kein Gefahrübergang trotz Annahmeverzug beib2c-Verträgen im Fernabsatz, Art. 142 Abs. 1, 3 GEKR
  • III. Verpflichtung zur vom Kaufvertrag separatenVereinbarung des GEKR, Art. 8 Abs. 2 GEKR-VO
  • E. Fazit: Der Verbraucherschutz als Gretchenfrage
  • § 2: Die Reichweite des GEKR
  • A. Die Anwendungsreichweite
  • I. Beschränkungen des persönlichen Anwendungsbereichs
  • 1. Regelung nach dem Verordnungsentwurf
  • 2. Bewertung der Regelung nach dem Verordnungsentwurf
  • 3. Konzept zur Änderung
  • 4. Nachtrag: Aktuelle Entwicklung
  • II. Beschränkungen des räumlichen Anwendungsbereichs
  • 1. Regelung nach dem Verordnungsentwurf
  • 2. Bewertung der Regelung nach dem Verordnungsentwurf
  • 3. Notwendigkeit der Beschränkung ausKompetenzgründen?
  • a) Binnenmarktbezug
  • b) Subsidiarität
  • 4. Konzept zur Änderung
  • III. Beschränkungen des sachlichen Anwendungsbereichs
  • 1. Regelung nach dem Verordnungsentwurf
  • 2. Abänderung durch den Berichtsentwurf
  • 3. Bewertung und Konzept zur Änderung
  • 4. Nachtrag: Aktuelle Entwicklung
  • IV. Fazit
  • B. Die inhaltliche Reichweite des GEKR
  • I. Die Arten von Lücken im GEKR und ihreAbgrenzung voneinander
  • 1. Interne Lücken
  • a) Rechtsnatur
  • b) Schließung interner Lücken
  • 2. Externe Lücken
  • a) Rechtsnatur
  • b) Schließung externer Lücken
  • 3. Abgrenzungsprobleme zwischen internen undexternen Lücken am Beispiel des Art. 51 GEKR
  • 4. Fazit
  • II. Bedeutung der internen Regelungslücken für dieZielsetzung des GEKR anhand des Problems derunbestimmten Rechtsbegriffe
  • 1. Problem und Kritik
  • 2. Bewertung
  • III. Bedeutung der externen Lücken für die Zielsetzungdes GEKR
  • 1. Verhältnis zwischen externen Lücken undTransaktionskosten
  • 2. Behebbare externe Lücken – was kann, darfund soll im GEKR geregelt werden?
  • a) Stichhaltigkeit der Begründung der externen Lücken
  • b) Tatsächliche Notwendigkeit
  • 3. Bewertung
  • IV. Sonderfall: Regelung von Lücken im Rahmender Klauselkataloge von Art. 84, 85 GEKR
  • V. Fazit
  • § 3: Zusammenfassung in Thesen
  • Kapitel 5: Ergebnis
  • Literaturverzeichnis

Kapitel 1: Einleitung – Problemaufriss und Gang der Darstellung

„Der Entwurf eines bürgerlichen Gesetzbuches für das Deutsche Reich ist veröffentlicht. Erfüllt er annäherungsweise die ihm gestellte Aufgabe? … Die Antwort… sie lautet Nein!“1 „Das deutsche Recht ist in Gefahr. Sehe die Nation, daß es nicht Schaden nehme!“2 „Wird nun auch das gesamte Zivilrecht unter den Bann der Kodifikation gebracht, so hat das freie juristische Denken keine Stätte mehr.“3 „Die Rechtswissenschaft verkümmert. Die Rechtsprechung wird zum Handwerk.“4

So dramatisch klang die durchdringende Kritik am BGB zur Zeit seiner Entstehung.5 Als am 01.01.1900 das BGB in Kraft trat, war dies somit nicht nur das Ergebnis eines jahrzehntelangen Schaffensprozesses6 und ein Meilenstein in der Geschichte zivilrechtlicher Kodifikationen, sondern zugleich ein zu jener Zeit hochgradig kritisiertes und umstrittenes Projekt.7 Zunächst ist aber festzuhalten, dass es den vorläufigen Höhepunkt in der Geschichte der nationalen Kodifikationen in Europa darstellte. 113 Jahre später ist das BGB immer noch in Kraft, hat in mancher Hinsicht jedoch eine Evolution durchlaufen.8 Der Erfolg des BGB wird dabei schon lange nicht mehr in Frage gestellt. Dass seine Einführung ein Geschenk für die deutsche Rechtslandschaft war, ist heute größtenteils ein Konsens. Streit um das BGB kommt heute nur noch dann auf, wenn es in wesentlichen Punkten geändert werden soll oder eine Gefahr für seine Bedeutung oder sein Fortbestehen zum Vorschein kommt. ← 1 | 2 →

Nun steht uns möglicherweise ein erster Schritt in eine neue Epoche der Rechtsetzung bevor: Am 11.10.2011 veröffentlichte die Europäische Kommission den Verordnungsentwurf über ein Gemeinsames Europäisches Kaufrecht9, welches als optionales Instrument10 neben das jetzt bestehende Recht im Falle grenzüberschreitender Kaufverträge treten soll. Dieser Entwurf könnte, wenn er in seiner jetzigen oder in einer abgewandelten Form tatsächlich verwirklicht wird, die Speerspitze für ein künftiges gemeinsames europäisches Vertragsrecht darstellen, welches nicht weniger als ein Ausdruck des fortschreitenden europäischen Einigungsprozesses wäre. Voraussetzung hierfür ist allerdings, dass dieser erste Schritt auch von Erfolg gekrönt ist. Denn nur ein erfolgreicher erster Schritt kann auch eine solche weitere Entwicklung in Gang setzen. Ob, und wenn ja unter welchen Voraussetzungen das GEKR tatsächlich Erfolg erfahren wird, daran scheiden sich seit dessen Veröffentlichung die Geister. Denn für die Frage, ob ein optionales Instrument von Erfolg gekrönt sein wird, ist eines maßgeblich: Es muss „gut“ sein. Wenn der Entwurf „gut“ ist, wird er weiterentwickelt werden. Wenn die Weiterentwicklung „gut“ ist, wird sie realisiert werden. Wenn die Realisierung „gut“ ist, wird sie gewählt werden. Je häufiger die Wahl auf das GEKR anstatt auf die nationalen Alternativen fallen wird, desto größer wird der Erfolgsfaktor sein und je größer letztlich der Erfolg des GEKR sein wird, umso mehr wird es eine Vorarbeit für eine künftige weitergehende europäische Rechtsvereinheitlichung leisten und umso tiefer die Hürden hierfür einstampfen.

Die Vergangenheit hat jedoch gezeigt, dass sowohl der europäischen Integration als auch dem Fortschreiten der Rechtsentwicklung immer wieder Steine in den Weg gelegt werden. Für die Fortentwicklung der europäischen Integration mittels Angleichung des Privatrechts, gerade auch durch das GEKR, gibt es zwei wesentliche Arten von Hindernissen: verfahrensrechtliche und materiellrechtliche.

Die verfahrensrechtlichen Hindernisse liegen zunächst darin, dass die Frage nach der korrekten Kompetenzgrundlage für den Erlass des GEKR von überragender ← 2 | 3 → Bedeutung ist. Der AEUV muss eine zulässige Rechtsgrundlage beinhalten und je nachdem, welche Ermächtigungsnorm sich als die richtige herausstellt, sind unterschiedliche Hürden im Gesetzgebungsverfahren zu meistern. Die Wahl der falschen Ermächtigungsnorm kann mit Erfolg vor dem EuGH angegriffen werden. Da diese Frage seit Veröffentlichung des Verordnungsentwurfs hochumstritten ist, muss sie noch vor seinem Erlass geklärt werden, um das GEKR auf sicheren legislativen Boden zu stellen. Aus verfahrensrechtlicher Sicht ist aber auch zu beachten, dass es innerhalb der Teilnehmer am rechtswissenschaftlichen und -politischen Diskurs immer auch eine Gruppe der „Bewahrer“ gibt, die – nicht ausschließlich aus rationalen Erwägungen – den Status quo erhalten wollen. Einerseits, um die größtmögliche nationalstaatliche Souveränität zu erhalten, andererseits, um die weitestgehende Bewahrung des – auch aus nationaler Perspektive – tradierten und vertrauten Rechts sicher zu stellen. Die verfahrensrechtlichen Hindernisse im Rahmen des GEKR bestehen daher auch darin, dass die Angehörigen der Rechtswissenschaft und -politik grundsätzlich dazu in der Lage sind, den wissenschaftlichen und politischen Diskurs über Rechtsetzungsprojekte dahingehend zu steuern, dass die Realisierung ihnen ungeliebter Projekte in wesentlichem Maße erschwert wird. Die Motivation für dieses Vorgehen beruht dabei durchaus auch auf persönlichen Gefühlslagen. Gerade die sind aber imstande, die Zielsetzung für die Diskussion anstehender Maßnahmen vorzugeben. Hinzu liegt es in der Natur des Menschen, dass er kritische Stimmen lauter hört als bejahende. Es wurde und wird daher immer wieder versucht, Rechtsetzungsprojekte durch sich immer wiederholendes und massenhaftes Gegenfeuer auszubremsen, um den Status quo zu bewahren oder die Entwicklung in eine Richtung zu lenken, die den Kritikern persönlich lieber ist – so nun auch beim GEKR.

In materieller Hinsicht sind bei Rechtsetzungsprojekten auf dem Gebiet des europäischen Privatrechts immer die Fragen nach der Kohärenz im Verhältnis zu vorhergehenden Maßnahmen, der inhaltlichen Stimmigkeit und Praktikabilität zu beantworten. Die materiellrechtlichen Hindernisse dafür, dass das GEKR die europäische Integration mittels Privatrecht vorantreiben kann, liegen somit in dessen tatsächlichen inhaltlichen Unzulänglichkeiten, wobei zwei Bereiche ganz wesentlich über das Wohl und Wehe des GEKR entscheiden und daher in dieser Arbeit einer vertieften Betrachtung unterzogen werden. Es handelt sich um die Ausgestaltung seines Verbraucherschutzes und seine Anwendungs- sowie inhaltliche Reichweite. Da es ein Wahlrechtsregime darstellt, kann es die europäische Integration nur fördern, wenn es von den potentiellen Anwendern akzeptiert wird und hierdurch auch tatsächlich zur großflächigen Anwendung gelangt. Einen solchen Erfolg wird es aber nur dann erringen, wenn es dem möglichen Nutzer als ← 3 | 4 → attraktive Wahlmöglichkeit erscheint. Welchen Einfluss hat diese Erkenntnis aber in Bezug auf das Verbraucherschutzniveau des Verordnungsentwurfs? Ein gewisses Maß an Verbraucherschutz mag zur politischen und gesellschaftlichen Akzeptanz des GEKR notwendig sein. Aber birgt der Grad an Verbraucherschutz im GEKR die Gefahr überbordende Ausmaße anzunehmen? Ist dies der Fall, könnte das Todesurteil für das GEKR bereits gesprochen sein, noch bevor der erste Anwender überhaupt über seine Nutzung nachdenken konnte. Denn das Ausmaß des Verbraucherschutzes steht in unmittelbarer Wechselwirkung zur Attraktivität, die das GEKR auf seine potentiellen Anwender ausstrahlt. Neben anderen noch im Verordnungsentwurf enthaltenen inhaltlichen Unzulänglichkeiten wird es demnach die Ausgestaltung des Verbraucherschutzes sein, die für die Wahl für oder gegen das GEKR im konkreten Fall ein, wenn nicht gar der ausschlaggebende Faktor sein wird. Das zweite maßgebliche materiellrechtliche Hindernis für die europäische Integration mittels Privatrechtsangleichung durch das GEKR ist der Umfang seiner Reichweite. Wer darf wann und worauf das GEKR anwenden? Und was ist hieran zu ändern? Was ist im GEKR geregelt? Wie müssen die Fragen behandelt werden, die nicht in ihm geregelt sind? Sollten noch andere Rechtsgebiete in das GEKR Einzug halten? Und ist dies überhaupt möglich? Diese Fragen sind im Kontext der Reichweite des GEKR so zu beantworten, dass es tatsächliche Akzeptanz am Markt erfahren wird.

Die Zielsetzung dieser Arbeit ist es daher, die Existenz dieser Hindernisse anhand des Verordnungsentwurfs über das Gemeinsame Europäische Kaufrecht und seines rechtspolitischen und -wissenschaftlichen Diskurses aufzuzeigen und durch den Vergleich mit vorhergehenden Rechtsetzungsakten und -projekten sowie der konkreten inhaltlichen Auseinandersetzung mit dem Verordnungsentwurf, Lösungsansätze hierfür zu entwickeln. Hierzu werden zunächst im zweiten Kapitel die Begriffe der europäischen Integration und der Privatrechtsangleichung erläutert sowie ihr Zusammenhang inhaltlich und historisch geklärt. In diesem Kontext erfolgt eine allgemeine Darstellung des Verordnungsentwurfs, um im Anschluss seine mögliche Bedeutung für die europäische Integration zu skizzieren. Im dritten Kapitel werden die verfahrensrechtlichen Hindernisse der europäischen Integration mittels Angleichung des Privatrechts behandelt. Hierbei wird zunächst der Frage nach der einschlägigen Kompetenznorm im AEUV für den Erlass des GEKR nachgegangen. Nach deren Klärung steht die Darstellung der Behinderung von Rechtsetzungsakten durch den rechtswissenschaftlichen und -politischen Diskurs im Mittelpunkt. Hierfür wird zunächst das Vorgehen der Rechtswissenschaft bei bisherigen legislatorischen Projekten dargestellt anhand des Prozedere bei der Schuldrechtsmodernisierung in Deutschland als Beispiel für ein Projekt, ← 4 | 5 → das trotz allem erfolgreich realisiert wurde, und dem Prozedere bei dem Verordnungsentwurf über die Societas Privata Europaea (SPE), als Beispiel für ein daran zu scheitern drohendes Projekt. Es schließt sich eine Veranschaulichung der Situation beim Gemeinsamen Europäischen Kaufrecht an, wobei exemplarisch die mit Vehemenz geführte Diskussion über die korrekte Ermächtigungsgrundlage im Mittelpunkt steht. Hierdurch werden zuletzt Schlussfolgerungen für die Beurteilung der fachlichen Diskussion und ihre Auswirkung auf die weitere Entwicklung gezogen. Das vierte Kapitel behandelt als Kontrastpunkt die materiellrechtlichen Hindernisse für die europäische Integration durch das GEKR, die sich aus dem Verordnungsentwurf selbst ergeben. Zentrum der Betrachtung sind zunächst die Regelungen zum Verbraucherschutz. Es wird dargestellt, weshalb sie maßgebliche Normen sind, die über Erfolg oder Misserfolg des GEKR entscheiden werden. Im Anschluss wird aufgezeigt, weshalb der Verbraucherschutz in der jetzigen Entwurfsfassung überbordend ausgestaltet ist und welche Auswirkungen dies haben wird, um danach Lösungen auszuarbeiten, die geeignet sind, die Interessen zwischen Unternehmern und Verbrauchern zu einem angemessenen Ausgleich zu bringen. Dabei muss beachtet werden, dass der Verbraucherschutz so auf einem angemessenen Level angesiedelt wird, auf dem das GEKR für die Unternehmer attraktiv wirkt, aber auch in politischer Hinsicht noch durchsetzbar ist, sodass eine Evolution hin zum tatsächlichen Bedarf des Marktes und weg vom festgefahrenen verbraucherschutzrechtlichen Duktus der europäischen Privatrechtsetzung möglich ist. Darüber hinaus wird der Frage nach der Reichweite des GEKR nachgegangen. Hier werden zunächst die Einschränkungen der Anwendungsreichweite des GEKR aufgezeigt, um so darstellen zu können, weshalb diese Restriktionen nicht geboten sind. Weiter wird die inhaltliche Reichweite des GEKR und ihre Beschränkung durch interne wie externe Lücken des Verordnungstextes veranschaulicht. Es wird dargelegt, wie sie zu handhaben sind, weshalb Lücken im GEKR zu einem gewissen Maße unumgänglich sind und welchen Einfluss sie auf seine Zielsetzung haben. Hinzu werden Lösungsansätze für die drängendsten Probleme in diesem Kontext präsentiert. Zum Abschluss werden im fünften Kapitel die Ergebnisse der Arbeit in wesentlichen Punkten zusammengefasst und in Thesen formuliert.

Kann das GEKR ein Meilenstein der europäischen Integration werden – und wenn ja, unter welchen Umständen? Oder wird es als Irrlicht der europäischen Politik verglühen? Das Fundament zur Beantwortung dieser Frage soll durch diese Arbeit gelegt werden. ← 5 | 6 →

← 6 | 7 →

                                                   

  1 Von Gierke, Der Entwurf eines bürgerlichen Gesetzbuchs und das deutsche Recht, S. 1 f.

  2 Von Gierke, Der Entwurf eines bürgerlichen Gesetzbuchs und das deutsche Recht, S. 15.

  3 Bähr, Die Grenzboten 1888, 450, 456.

Details

Seiten
XXII, 344
Jahr
2014
ISBN (PDF)
9783653044577
ISBN (ePUB)
9783653983821
ISBN (MOBI)
9783653983814
ISBN (Hardcover)
9783631653067
DOI
10.3726/978-3-653-04457-7
Sprache
Deutsch
Erscheinungsdatum
2014 (Juni)
Schlagworte
Europäisches Privatrecht Verbraucherschutzrecht Privatrechtsangleichung Europäische Kommission
Erschienen
Frankfurt am Main, Berlin, Bern, Bruxelles, New York, Oxford, Wien, 2014. XXII, 344 S.

Biographische Angaben

Norman Konecny (Autor:in)

Norman Konecny studierte Rechtswissenschaften an der Universität des Saarlandes. Anschließend forschte und arbeitete er am Lehrstuhl für Bürgerliches Recht, Handels- und Wirtschaftsrecht, Internationales Privatrecht und Rechtsvergleichung von Prof. Dr. Dr. Dr. h. c. mult. Michael Martinek als wissenschaftlicher Assistent und Lehrbeauftragter.

Zurück

Titel: Der Verordnungsentwurf über ein Gemeinsames Europäisches Kaufrecht
book preview page numper 1
book preview page numper 2
book preview page numper 3
book preview page numper 4
book preview page numper 5
book preview page numper 6
book preview page numper 7
book preview page numper 8
book preview page numper 9
book preview page numper 10
book preview page numper 11
book preview page numper 12
book preview page numper 13
book preview page numper 14
book preview page numper 15
book preview page numper 16
book preview page numper 17
book preview page numper 18
book preview page numper 19
book preview page numper 20
book preview page numper 21
book preview page numper 22
book preview page numper 23
book preview page numper 24
book preview page numper 25
book preview page numper 26
book preview page numper 27
book preview page numper 28
book preview page numper 29
book preview page numper 30
book preview page numper 31
book preview page numper 32
book preview page numper 33
book preview page numper 34
book preview page numper 35
book preview page numper 36
book preview page numper 37
book preview page numper 38
book preview page numper 39
book preview page numper 40
360 Seiten