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Skandal im Sprachbezirk

von Martin Neef (Band-Herausgeber:in) Susanne Borgwaldt (Band-Herausgeber:in) Iris Forster (Band-Herausgeber:in) Imke Lang-Groth (Band-Herausgeber:in)
©2014 Sammelband 349 Seiten

Zusammenfassung

Skandale als aufsehenerregende Ärgernisse sind Einfallstore für die Beschäftigung mit Themen verschiedenster Art. Dieser Band versammelt in 16 von verschiedenen Autoren verfassten Kapiteln Skandale aus dem Umfeld der Sprache. Affären zwischen Sprachakteuren führen Chomsky und Skinner zusammen ebenso wie Heine und Platen sowie Hoffmann von Fallersleben und die Brüder Grimm. Im Innern der Sprache stoßen sich Skandalforscher an verbotenen Wörtern, an der kurzschlüssigen Gleichsetzung von Genus und Geschlecht und an der mangelhaften linguistischen Fundierung der Orthographiereform. Die Realität des Englischunterrichts in Grundschulen wie auch der drohende Muttersprachenverlust bei Migranten lassen die Frage aufkommen, ob Individuen im Dickicht zwischen den Sprachen verlorenzugehen drohen.

Inhaltsverzeichnis

  • Cover
  • Titel
  • Copyright
  • Autorenangaben
  • Über das Buch
  • Zitierfähigkeit des eBooks
  • Inhalt
  • Einleitung
  • Sprachakteure und Affären
  • Burrhus Frederic Skinner vs. Noam Chomsky oder: Die Revanche für eine Niederlage, die es nie gegeben hat
  • Ohne tieferen Sinn: Michel Foucault und die kritische Analyse von Diskursen
  • Ein Stein des Anstoßes – Campes und Bernds Wörterbuch
  • „Knüppel aus dem Sack!“ – Märchensatire des Vormärzdichters Hoffmann von Fallersleben als literatursprachlich-politischer Skandal
  • Die Platen-Affaire: Sprachliche Artistik und polemische Agitation in einer Personalsatire Heinrich Heines
  • „Axolotl Roadkill“: Wessen Sprache ist das?
  • Im Innern der Sprache
  • Deutsch als Defizitsprache. Meinungen der vormodernen Sprachreflexion
  • Böse Wörter, verbrauchte Wörter, missverständliche Wörter – Sprachkritik als Wortkritik oder: Wem gehört die Sprache?
  • Orthographieunterricht ohne Sprachwissenschaft
  • Die Fiktion des Faktischen oder: Warum Singular etwas anderes als Einzahl ist
  • Grammatische Illusionen und sprachliche Realitäten – Bemerkungen zum Sprachvermögen
  • Verloren zwischen den Sprachen?
  • Sprachförderung für Kinder mit einer anderen Herkunftssprache – ein skandalöses Unterfangen?
  • Sollten Kinder am Ende der Grundschule mehr Englisch gelernt haben?
  • Der bilinguale Erstspracherwerb zwischen Mythos und Realität
  • Muttersprachlos: Heritage-Sprecher in Deutschland
  • Critical Incidents als Chance. Irritationen in der Interkulturellen Kommunikation

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Einleitung

Susanne Borgwaldt, Iris Forster, Imke Lang-Groth & Martin Neef

Skandale als aufsehenerregende Ärgernisse sind Einfallstore für die Beschäftigung mit Themen verschiedenster Art. In diesem Band versammeln wir Skandale, die in einem Gebiet zu verorten sind, in dem die Auseinandersetzung mit Sprache anzutreffen ist. Dieser Sprachbezirk ist ein großes, vielschichtiges Terrain. In seinem Zentrum könnte man die Grammatik ansetzen; genaugenommen finden sich hier mehrere Grammatiken, nämlich eine pro Sprache. Um dieses Sprachsystem herum sind Menschen angesiedelt, die eine oder mehrere Sprachen mehr oder weniger gut kennen und diese für verschiedene Zwecke nutzen, beispielsweise um zu denken, also um Informationen zu verarbeiten, oder um zu kommunizieren, also um Informationen auszutauschen. Außen im Sprachbezirk befinden sich Personen, die damit beschäftigt sind, die inneren Bereiche des Sprachbezirks verstehen zu wollen, also Wissenschaftler und Wissenschaftlerinnen der Sprachwissenschaft, aber auch der Literaturwissenschaft, Philosophie, Psychologie, Didaktik und anderer Fächer.

In all diesen Bereichen des Sprachbezirks lassen sich skandalöse Vorkommnisse entdecken. Als einen Skandal könnte man auffassen, wenn das Sprachsystem nicht so ist, wie es sein sollte, wenn das Sprachwissen oder der Sprachgebrauch nicht so sind, wie sie sein sollten, oder wenn die Personen, die Sprache(n) untersuchen, nicht so sind oder so handeln, wie sie es sollten. Um etwas als Skandal ausweisen zu können, bedarf es demgemäß immer eines wertenden Standpunkts, von dem aus ein Zustand, ein Ereignis oder eine Verhaltensweise als skandalös erscheint oder interpretiert wird. Wir verstehen das Motiv des Skandals als eine rhetorische Figur, die es ermöglicht, in pointierter Form auf wichtige Themenbereiche der mit Sprache befassten Wissenschaften aufmerksam zu machen.

Wir beginnen unseren Besuch am Rand des Sprachbezirks, dort, wo Skandale am deutlichsten zutage treten, weil herausgehobene handelnde Personen betroffen sind. Unter der Überschrift Sprachakteure und Affären werden bestimmte Sprachwerke einzelner Personen oder Konflikte zwischen zwei Personen in den Blick genommen, die skandalöse Züge tragen. Einen der skandalträchtigsten Momente der Linguistik (aber auch der Psychologie) des 20. Jahrhunderts nimmt Lennart Bohnenkamp (Braunschweig) in den Blick, indem er unter dem Titel „Burrhus Frederic Skinner vs. Noam Chomsky oder: Die Revanche für eine Niederlage, die es nie gegeben hat“ mit dem Sprachakteur Noam Chomsky eine der schillerndsten ← 7 | 8 → Persönlichkeiten der zeitgenössischen Linguistik aufruft. Chomskys mit gerade 30 Jahren verfasste Rezension zu B. F. Skinners Verbal Behavior aus dem Jahr 1959 ist als Symbol der Kognitiven Wende in die Geschichte der Geisteswissenschaften eingegangen. Chomsky erfährt als Reaktion auf seine Rezension harsche Kritik; seine Widersacher werfen ihm vor, er argumentiere unwissenschaftlich, kenne weder Skinners Werk noch verstünde er den Behaviorismus. Der Skandal, so Bohnenkamp, sei aber nicht darin zu sehen, Chomsky als Gewinner und Skinner als Verlierer darzustellen und damit den Behaviorismus als wissenschaftlich überholt zu erklären, sondern darin, dass Behavioristen die Rezension als Fanal dafür nähmen, dass ihnen durch vorgeblich unwissenschaftliches Vorgehen Chomskys Unrecht widerfahren sei.

Ein nicht minder prominenter Zeitgenosse Chomskys, der als ‚Querdenker‘ zu charakterisieren sei, steht im Fokus des Beitrags „Ohne tieferen Sinn: Michel Foucault und die kritische Analyse von Diskursen“ von Franz Januschek (Flensburg). Als ‚Querdenker‘ sei Michel Foucault in der Sprachwissenschaft bekannt geworden, ohne im eigentlichen Sinne Sprachwissenschaftler zu sein. Mit seinem Begriff von Diskurs und Diskursanalyse legte Foucault in der Sprachwissenschaft den Grundstein für eine neue wissenschaftliche Herangehensweise. ‚Ihn kann man nur ernst nehmen, wenn man mit ihm spielt‘, diese Aussage verleitet Januschek letztlich dazu, Foucault als ‚Querdenkermaschine‘ zu charakterisieren.

Imke Lang-Groth (Braunschweig) beschäftigt sich in ihrem Beitrag „Ein Stein des Anstoßes – Campes und Bernds Wörterbuch“ damit, dass der Braunschweiger Gelehrte Joachim Heinrich Campe im Ausklang des 18. Jahrhunderts ein Wörterbuch verfasste, das als Gemeinschaftsarbeit angedacht war, zunächst sogar unter Mithilfe des bedeutenden Dresdner Lexikographen Adelung, dem Veranstalter des großen Grammatisch-kritischen Wörterbuchs. Als diese Annäherung nicht zustande kam, veranlasste Campe, ein Werk unter maßgeblicher Beteiligung eines Angestellten zu verfassen, das zeitnah zu Adelungs zweiter Wörterbuchauflage erschien. Manche Kritiker begrüßten Campes lexikographischen Fortschritt, andere missbilligten ihn. Den ‚eigentlichen Ausarbeiter‘ aber ‚vergaß‘ Campe dann im Titel seines Wörterbuchs der deutschen Sprache zu nennen und erntete das Lob seines letzten und größten Werks skandalöserweise für sich allein.

Hoffmann von Fallerslebens Vormärzgedicht Knüppel aus dem Sack, das Eberhard Rohse (Göttingen) für seinen Beitrag „‚Knüppel aus dem Sack!‘ – Märchensatire des Vormärzdichters Hoffmann von Fallersleben als literatursprachlich-politischer Skandal“ als ‚Skandalbeitrag‘ heranzieht, offenbart, wenn auch „märchensprachlich verfremdet“, den Akt der Amtsenthebung der ‚Göttinger Sieben‘, insbesondere der Brüder Grimm. Mit diesem Gedicht, das programmatisch als ← 8 | 9 → Eingangslied die Hoffmann‘schen Unpolitischen Lieder anführt, verdeutlicht Rohse, wie Hoffmanns Lyrik ein reales Thema aufgriff und mit ihm einen politischen Skandal enthüllte. Dass Hoffmann schließlich aus Preußen verwiesen wurde und mehr noch, dass die Grimms mit ihm brachen, ist als nicht minder skandalös zu bewerten.

Renate Stauf (Braunschweig) zeigt in ihrem Aufsatz „Die Platen-Affaire: Sprachliche Artistik und polemische Agitation in einer Personalsatire Heinrich Heines“ am Beispiel des Literaturstreits zwischen Heinrich Heine und August von Platen, wie ein Skandal ganz unerwartet entstehen und eine nicht vorherzusehende und kaum zu steuernde Eigendynamik entwickeln kann. Heines Streitbarkeit ist jedoch eigentlich als „derb-witzige Überzeichnung“ zu interpretieren – letztendlich als Selbstironie. Seine Kritik an Platens Dichtung bewegt sich überwiegend im Rahmen zeitgenössisch üblicher Literaturkritik; dort aber, wo Heine über das Ziel hinausschießt, trifft er seinen Gegner besonders hart und schadet dessen Ansehen dauerhaft. Stauf gelangt in ihrem Beitrag zu einer Relativierung von Heines ‚Überspitzung‘, wobei sie den eigentlichen Witz dieser ‚Affaire‘ herauszuarbeiten vermag.

Der letzte Beitrag des ersten Teils, „‚Axolotl Roadkill‘: Wessen Sprache ist das?“ von Anja Pompe (Rostock), führt in die unmittelbare Gegenwart. Er wendet sich dem Roman „Axolotl Roadkill“ von Helene Hegemann zu, der wie kaum ein anderer die Debatte um literarische Plagiate noch einmal geschürt hat: Dabei geht der Beitrag der Frage nach, was genau die Gemüter eigentlich erregt hat und verweist zur Beantwortung auf eine weit zurückreichende Kontroverse um die Ursprünge kreativen Schaffens.

Im zweiten Teil springen wir ins Zentrum des Sprachbezirks und befinden uns damit Im Innern der Sprache, an einem Ort, wo Skandale möglicherweise gar nicht erwartet werden. Dennoch lauern sie auch dort an allen Ecken und Enden. So ist es in Nikolaus Ruges (Trier) Beitrag „Deutsch als Defizitsprache. Meinungen der vormodernen Sprachreflexion“ die deutsche Volkssprache selbst, die vor dem 16. Jahrhundert als ‚Skandalon‘ betrachtet und damit einer grammatikographischen und lexikographischen Regularisierung als unwürdig angesehen wurde. Ruge zeigt an ausgesuchten Beispielen aus einem quellenlagebedingt sehr heterogenen Korpus, dass – trotz einer im Vergleich zu anderen verwandten Einzelsprachen späten Grammatisierung – eine Reflexion über die deutsche Volkssprache schon seit dem 8. Jahrhundert nachweisbar ist. Doch wurde von Anfang an v.a. deren auf verschiedenen Ebenen zu lokalisierender defizitärer Charakter betont. Kritisiert wurden etwa ihr fehlendes Prestige, funktionale Mängel gegenüber dem Lateinischen, die regionalsprachige Differenz oder lexikalisch-semantische Innovationen. Erst mit einer Grammatisierung des ← 9 | 10 → Deutschen geht die Kritik den nächsten Schritt und bietet nun die ‚bessere‘, sprich: ‚regelhafte‘ Alternative.

Kann ein Wort zum Skandal werden? Mit einer bestimmten Form der Sprachkritik, nämlich der Wortkritik, beschäftigt sich Iris Forster (Braunschweig) in ihrem Aufsatz „Böse Wörter, verbrauchte Wörter, missverständliche Wörter – Sprachkritik als Wortkritik oder: Wem gehört die Sprache?“ Anhand von historischen (etwa dem Wörterbuch des Unmenschen) und modernen Beispielen (der ‚Political Correctness‘ und einer Wahl zum ‚Unwort des Jahres‘) stellt sie der laienlinguistischen eine wissenschaftliche Sprachkritik gegenüber und lotet die Möglichkeiten und Grenzen einer linguistisch begründeten Wortkritik aus.

In einem Mangel an Rückgriffen auf Ergebnisse der Sprachwissenschaft besteht der Skandal, den Nanna Fuhrhop (Oldenburg) in ihrem Beitrag „Orthographieunterricht ohne Sprachwissenschaft“ ausmacht. Dabei habe sich die Sprachwissenschaft in der Vergangenheit zu wenig um Fragen des Schriftsystems gekümmert, was sich in jüngster Zeit aber geändert habe. Fuhrhop erläutert aus sprachwissenschaftlicher Sicht die systematischen Eigenschaften ihres Kerngegenstands, der Getrennt- und Zusammenschreibung im Deutschen, und differenziert dabei einen Kern- und einen Peripheriebereich. Hinsichtlich der Frage, wie der diesbezügliche Sprachgebrauch in eine verbindliche amtliche Regelung dieses Phänomens überführt wird und wie die Rechtschreibreformen der letzten Jahre eine Modifikation des Regelsatzes erbrachten, moniert Fuhrhop, dass hierfür zu wenig auf aktuelle sprachwissenschaftliche Erkenntnisse Bezug genommen werde. Dies gilt in gleicher Weise für Ansätze der Didaktisierung dieses orthographischen Themas.

Grammatische Regeln und Kategorien seien niemals Fakten, sondern theoretische Konstrukte, setzt Martin Neef (Braunschweig) als Ausgangshypothese seines Beitrags „Die Fiktion des Faktischen oder: Warum Singular etwas anderes als Einzahl ist“. Dabei diskutiert er, zu welchen Missverständnissen es kommen kann, wenn das Regelsystem der Schulgrammatik als Faktenwissen und nicht als eine Theorie neben anderen wahrgenommen wird. Drei Fallstudien verdeutlichen diesen Blick: Bei der grammatischen Kategorie ‚Person‘ ist keine einfache semantische Definition der Unterkategorien über Teilnehmer an einer Kommunikationssituation wie ‚Sprecher‘ und ‚Hörer‘ möglich und die grammatischen Kategorien ‚Singular‘ und ‚Plural‘ sind ebenso wenig mit den semantischen Konzepten ‚Einzahl‘ und ‚Mehrzahl‘ gleichzusetzen wie die grammatische Kategorie ‚Genus‘ mit dem semantischen Merkmal ‚natürliches Geschlecht‘. Die Überlegungen münden in einer Reflexion darüber, welche Konsequenz die Erkenntnis, dass grammatische Kategorien generell nicht über Bedeutung definiert werden können, für den Grammatikunterricht in der Schule haben könnte.

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Mit ‚grammatischen Illusionen‘ befasst sich der Aufsatz André Meinungers (Berlin). Unter diesem Terminus werden sprachliche Strukturen gefasst, die unter bestimmten Bedingungen als regelkonform und damit als ‚richtig‘ bewertet werden, die aber in skandalöser Weise den aus verschiedenen theoretischen Richtungen angenommenen Regeln der Grammatik widersprechen. In „Grammatische Illusionen und sprachliche Realitäten – Bemerkungen zum Sprachvermögen“ diskutiert Meinunger entsprechende Phänomene, die unterschiedlichen Sprachbeschreibungsebenen zuzuordnen sind: Wie sind die vorgestellten sprachlichen Strukturen grammatiktheoretisch einzuordnen und zu klassifizieren? Welche Rückschlüsse auf die mentale Sprachverarbeitung lassen sich im Rahmen der Psycholinguistik aus ihrer Existenz ziehen?

Der dritte Teil des Sammelbands dringt in den Bereich des Sprachgebrauchs und des Sprachwissens vor und thematisiert unter der Überschrift Verloren zwischen den Sprachen? diverse Konstellationen, die Individuen in der Auseinandersetzung mit mehr als nur ihrer Muttersprache zeigen. Katja Koch (Braunschweig) untersucht in ihrem Beitrag „Sprachförderung für Kinder mit einer anderen Herkunftssprache – ein skandalöses Unterfangen?“ den Umgang mit Mehrsprachigkeit im deutschen Bildungswesen, wobei sie sich auf die Förderung des Deutschen als Zweitsprache im Elementar- und Primarbereich konzentriert. Hierbei stehen die bildungspolitischen Maßnahmen für mehrsprachig aufwachsende Kinder vor und nach Bekanntwerden der Resultate der ersten PISA-Studie 2001 im Mittelpunkt, die ihrerseits in Deutschland als Skandal empfunden wurden. Koch beleuchtet insbesondere die Konsequenzen aus diesem einschneidenden Ereignis in Form der seither eingerichteten vorschulischen und schulischen Sprachfördermaßnahmen. Ein Blick auf den Forschungsstand zur Evaluation und Wirksamkeit dieser Maßnahmen stellt die Frage in den Raum, ob der ‚Pisaschock‘ zu wirklichen Fortschritten geführt hat oder in seinen Auswirkungen längst schon wieder vergessen ist.

Angelika Kubanek (Braunschweig) stellt in ihrem Artikel „Sollten Kinder am Ende der Grundschule mehr Englisch gelernt haben?“ die Hypothese auf, dass Grundschüler im Englischunterricht in der Grundschule eigentlich unterfordert sind, da sie unter besseren Bedingungen am Ende der vierten Klasse viel besser Englisch sprechen müssten, als sie das momentan tun: Derzeit befinden sich Grundschüler nach zwei Jahren Englischunterricht noch nicht einmal auf A1-Niveau und haben große Schwierigkeiten, selbstständig einfache Sätze zu bilden. Die Gründe dafür sieht Kubanek einerseits in der oft schlechten bzw. sogar fehlenden Ausbildung der Englischlehrkräfte in der Grundschule und andererseits in der Praxis, im Unterricht großen Wert auf Hörkompetenzen und spielerischen Umgang mit der Sprache zu legen, während systematische Grammatikübungen demgegenüber eher vernachlässigt werden.

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Henrike Comes-Koch (Braunschweig) beschäftigt sich in ihrem Aufsatz „Der bilinguale Erstspracherwerb zwischen Mythos und Realität“ mit den Diskrepanzen zwischen populärwissenschaftlichen Annahmen zu mehrsprachigem Aufwachsen und linguistischen Forschungsergebnissen. Sie beschreibt, dass bilinguale Kinder ihre beiden Sprachen durchaus trennen können – was von Laien oft bestritten wird – und dass Mehrsprachigkeit Kinder weder kognitiv überfordert noch zu langsamerer Entwicklung führt. Dabei gäbe es durchaus Unterschiede zwischen dem monolingualen und dem bilingualen Erstspracherwerb; man dürfe aber bilinguale Kinder nicht nach monolingualen Kriterien beurteilen und ebensowenig erwarten, dass sich ein bilingualer Sprecher wie zwei monolinguale Sprecher in einer Person verhält, da Interaktionen zwischen den Sprachen auf verschiedenen Ebenen stattfinden.

Susanne Borgwaldts (Siegen) Beitrag „Muttersprachlos: Heritage-Sprecher in Deutschland“ befasst sich mit dem Mehrsprachigkeitstyp der Heritage-Sprecher. Solche Sprecher sprechen ihre Umgebungssprache – im konkreten Fall Deutsch – auf muttersprachlichem Niveau, besitzen aber zusätzlich nicht-muttersprachliche Sprachkompetenzen in ihren Familien- bzw. Herkunftssprachen, beispielsweise Russisch oder Türkisch. Borgwaldt skizziert das internationale Forschungsinteresse an dieser Form der Mehrsprachigkeit und beschreibt das spezifische Kompetenzprofil der etwa fünf Millionen in Deutschland lebenden Heritage-Sprecher sowie das weitgehende Fehlen von didaktischen Angeboten für diese Gruppe, woraus sich dringliche Forschungsdesiderata für den deutschsprachigen Raum ergeben.

Andreas Hettigers (Braunschweig) Studie „Critical Incidents als Chance. Irritationen in der Interkulturellen Kommunikation“ zeigt anhand einer Schilderung einer Reihe von critical incidents, wie aus fehlender kultureller Vertrautheit Chancen für einen interkulturellen Dialog vertan werden können. Beispielhaft werden Missverständnisse zwischen einem deutschen Professorenehepaar und dessen südafrikanischen Gastgebern während einer Vortragsreise in Südafrika analysiert. Dabei verdeutlicht Hettiger, dass es sich bei interkultureller Kompetenz um eine dynamische Fähigkeit handelt, die man sowohl in realen Kommunikationssituationen als auch durch interkulturelle Trainings entwickeln und vertiefen könne.

Der Sammelband geht auf eine gleichnamige Ringvorlesung des Instituts für Germanistik der TU Braunschweig zurück, die in den Sommersemestern 2011 und 2012 stattgefunden hat. Zielgruppe der Ringvorlesung waren Studierende der TU, Dozenten sowie die sprach- und literaturinteressierte Braunschweiger Öffentlichkeit. An der Vorlesung haben 22 Wissenschaftler aus Braunschweig und anderen Orten Deutschlands als Vortragende mitgewirkt. Von diesen Kollegen haben sich 14 bereit erklärt, mit einer schriftlichen Version ihres Beitrags an unserem Sammelband mitzuwirken. Zusätzlich konnten wir zwei weitere Kollegen zur Mitarbeit ← 12 | 13 → gewinnen, sodass der Sammelband nunmehr 16 Beiträge umfasst. Als Herausgeber danken wir dem Verein Freunde der Weltliteratur und seiner Vorsitzenden Hilde Gahl für die finanzielle Unterstützung zur Drucklegung des Bands, Hissa Groth für das Titelmotiv sowie Gunnar Schmidtchen für die unermüdliche und unverzichtbare Unterstützung bei der Erstellung der Druckvorlage.

Braunschweig, im März 2014

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Sprachakteure und Affären

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Details

Seiten
349
Jahr
2014
ISBN (PDF)
9783653044515
ISBN (ePUB)
9783653983845
ISBN (MOBI)
9783653983838
ISBN (Hardcover)
9783631653050
DOI
10.3726/978-3-653-04451-5
Sprache
Deutsch
Erscheinungsdatum
2014 (Juni)
Schlagworte
Grammatik Sprachkritik Spracherwerb Bilingualität Sprachdidaktik Sprachgeschichte
Erschienen
Frankfurt am Main, Berlin, Bern, Bruxelles, New York, Oxford, Wien, 2014. 349 S., 16 s/w Abb., 3 Tab.

Biographische Angaben

Martin Neef (Band-Herausgeber:in) Susanne Borgwaldt (Band-Herausgeber:in) Iris Forster (Band-Herausgeber:in) Imke Lang-Groth (Band-Herausgeber:in)

Martin Neef studierte an der Universität zu Köln und arbeitet an der Technischen Universität Braunschweig als Professor für Germanistische Linguistik. Imke Lang-Groth und Iris Forster sind promovierte Germanistinnen. Sie studierten an der Technischen Universität Braunschweig und arbeiten dort als Wissenschaftliche Mitarbeiterinnen. Susanne R. Borgwaldt ist promovierte Psycholinguistin. Sie studierte an der Ludwig-Maximilians-Universität München und der Universität Hamburg und arbeitet als Akademische Oberrätin an der Universität Siegen.

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