Lade Inhalt...

Symbolarme Republik?

Das politische Zeremoniell der Weimarer Republik in den Staatsbesuchen zwischen 1920 und 1933

von Michael Meyer (Autor:in)
©2014 Dissertation 170 Seiten

Zusammenfassung

Diese der Neuen Politikgeschichte verpflichtete Studie untersucht die Repräsentationspolitik der Weimarer Republik anhand der drei Staatsbesuche, die zwischen 1920 und 1933 stattfanden. Durch die umfangreiche Auswertung der einschlägigen deutschen und englischen Archivbestände, sowie die Einbeziehung der nationalen wie internationalen Pressereaktionen wird ihre große politische und gesellschaftliche Bedeutung deutlich. Der Mythos von der «symbolarmen Republik» erweist sich in der Analyse als haltlos, da eine das staatliche Selbstverständnis der Republik betonende Repräsentationspolitik erkennbar wird.

Inhaltsverzeichnis

  • Cover
  • Titel
  • Copyright
  • Autorenangaben
  • Über das Buch
  • Zitierfähigkeit des eBooks
  • Inhaltsverzeichnis
  • 1. Einleitung
  • 1.1 Theoretische Grundlage, methodische Vorgehensweise und Aufbau der Arbeit
  • 1.2 Forschungsstand
  • 1.3 Quellenbasis und -kritik
  • 2. Zur Selbstdarstellung des Staates: Funktionen, Mittel, Probleme
  • 3. »Die Generalprobe« Der Besuch des »erwählten Präsidenten« von Mexiko
  • 3.1 Vorbereitung und Besuchsablauf
  • 3.2 Nationale Reaktionen
  • 3.3 Internationale Reaktionen
  • 4. »Die Premiere« König Amanullah von Afghanistan
  • 4.1 Vorbereitung und Besuchsablauf
  • 4.2 Nationale Reaktionen
  • 4.3 Internationale Reaktionen
  • 5. Gewohnter Anblick? König Fuad I. von Ägypten
  • 5.1 Vorbereitung und Besuchsablauf
  • 5.2 Nationale Reaktionen
  • 5.3 Internationale Reaktionen
  • 6. „Die Fassade der Republik“ oder: Wie sich die Republik in den Staatsbesuchen präsentierte
  • 6.1 Ein leistungsstarkes Deutschland
  • 6.2 Die Geschichte des leidenden Deutschlands
  • 6.3 Die Republik als bürgerlich-zivile Gesellschaft
  • 6.4 Ein monarchisch-militaristischer Überhang?
  • 6.5 Die präsidiale Republik
  • 7. Fazit: Ein „Weimarer Zeremoniell“?
  • Anhang
  • Danksagung
  • Abkürzungsverzeichnis
  • Quellen- und Literaturverzeichnis

| 9 →

1. Einleitung

Symbole können grundsätzlich als Zeichen verbaler, visueller, gegenständlicher oder gestischer Art verstanden werden, die auf andere Objekte oder über sie hinausgehende Bedeutungen, Sinnzusammenhänge oder Werte verweisen oder sie selbst verkörpern.1 Auf eine staatliche Ordnung bezogen, waren und sind sie sichtbare Zeichen der Präsenz staatlicher Autorität und Verweise auf politische, gesellschaftliche oder kultureller Kontinuität bzw. Diskontinuität. In diesem Sinne sind Staatssymbole schließlich Stabilisatoren und Instrumente der Legitimation einer politischen Ordnung, auf die diese nicht verzichten kann.2

Doch wird der Weimarer Republik, jener ersten, konstitutionell fixierten deutschen Demokratie, gemeinhin konstatiert, dass sie es versäumt habe, sich gegenüber dem gestürzten monarchischen System ausreichend abzugrenzen und symbolisch neu zu definieren. So sei es auch nicht gelungen, das Verhältnis der deutschen Bevölkerung zur neuen Staatsform mit Hilfe symbolischer Politik zu festigen.3

← 9 | 10 →

Bereits die Funktionsträger der jungen Bundesrepublik, geprägt durch die Erfahrung des Scheiterns jener ersten deutschen Republik und ihres schrecklichen Nachspiels, vertraten und verbreiteten den Eindruck von fehlender Symbolpolitik Weimars. Hans Herwarth von Bittenfeld, der erste Protokollchef der jungen Bundesrepublik, argumentiert beispielsweise rückblickend in seinen Memoiren, dass es ihnen nicht möglich war, bei der Schaffung eines bundesrepublikanischen Protokolls an Formen staatlicher Darstellung aus der Weimarer Zeit anzuknüpfen. Er wirft der Weimarer Republik einen Mangel an Mut zur Repräsentation vor. Dies habe dazu geführt, dass sich die deutsche Bevölkerung nicht mit dem neuen Staat identifizieren konnte, was schließlich dem Weimarer Staat die Existenzgrundlage entzog.4

Auch der Direktor der Länderabteilung des Auswärtigen Amtes, Wolfgang Freiherr von Welck, betonte 1956, wie wichtig Staatsbesuche für die junge Bundesrepublik gewesen waren. Für ihn war das hohe Maß des Besuchsaustausches von Staatsoberhäuptern, Regierungschefs, Außenministern, Fachministern und führenden Parlamentariern ein „sichere[r] Gradmesser für unsere [Deutschlands] wachsende politische, wirtschaftliche und kulturelle Geltung“ und bot zudem die Möglichkeit, „dem fremden Besucher ein lebendiges Bild des neuen Deutschlands, seiner Leistungen und seiner besonderen Probleme“ zu vermitteln und auf diese Weise aktive Politik zugunsten der Bundesrepublik zu betreiben.5 Genauso wie Herwarth gründete v. Welck seine Erzählung von der Erfolgsgeschichte bundesrepublikanischer Symbolpolitik im scharfen Kontrast zu den Erfahrungen aus der Weimarer Republik. Dort hätte es relativ selten Staatsbesuche gegeben, womit implizit darauf hingewiesen wird, dass die Weimarer Republik alle jene Möglichkeiten, welche die junge Bundesrepublik für ihre Rehabilitation genoss, nicht hatte.

← 10 | 11 →

Das bis hierher Gesagte verweist uns auf die abschätzige Herabsetzung jener repräsentativen Momente, die es in der Weimarer Republik faktisch gab. Ihnen sprachen Herwarth und v. Welck, angesichts des Scheiterns jener ersten deutschen Republik, ihre Wirkmacht ab. Damit leisteten sie dem Mythos von der Armut staatlicher Repräsentation in der Weimarer Republik, nach innen und außen, Vorschub.

Doch kann dieser Vorwurf der symbolarmen Republik aufrechterhalten werden? Das vorliegende Forschungsprojekt stellt sich daher die Aufgabe, diesen bis in die Gegenwart wirkmächtigen Mythos anhand der Staatsbesuche in den Jahren 1920 bis 1933 infrage zu stellen. Es soll gezeigt werden, dass die Weimarer Republik sehr wohl zur Repräsentation ihrer Werte und damit auch zur Integration der Bevölkerung fähig war. Die Staatsbesuche sollen als faktische Ereignisse ernstgenommen werden, da sie dem jungen Weimarer Staat – ebenso wie der jungen Bundesrepublik – die Möglichkeit boten, sich zu positionieren. Die Besuche sollen hinsichtlich ihrer politisch-kulturellen Inhalte untersucht werden: Welche Bilder des Staates wurden entworfen, um seiner neuen repräsentativ-demokratischen, parlamentarischen Ordnung Geltung und Legitimität zu verschaffen? Welche Charakteristika bzw. welches Selbstbild des neuen Deutschlands vermittelten die jeweiligen Besuchsabläufe nach innen und außen? Aber auch: Wie wurden die Identifikations- und Deutungsangebote aufgenommen, umgesetzt, umgedeutet oder bekämpft? Anhand dieser Fragen Rückschlüsse darauf zu ziehen, wie sich die staatstragende bzw. administrative Elite der Weimarer Republik deren politischen und gesellschaftlichen Grundwerte vorgestellt hat, darin liegt das Erkenntnisinteresse der vorliegenden Studie.

1.1 Theoretische Grundlage, methodische Vorgehensweise und Aufbau der Arbeit

Staatsbesuche bilden die Spitze einer fein abgestuften Hierarchie von Besuchsformen. Auch wenn es keine staatsrechtliche Definition des Staatsbesuchs gibt, ist er wie folgt zu charakterisieren: Es handelt sich dabei nur um die offiziellen Besuche von Staatsoberhäuptern auf Einladung eines ← 11 | 12 → Staatsoberhauptes.6 Im Unterschied zum Arbeitsbesuch zeichnen sich Staatsbesuche durch ihre Außerordentlichkeit aus, da sie in der Regel außerhalb des politischen Tagesgeschäfts stattfinden. Verhandlungen zu aktuellen politischen Problemen sind daher keine formalen Bestandteile des Besuchsablaufs.7 Jeder Besuchstyp zeichnet sich zudem durch eine je eigene Abfolge protokollarischer Elemente aus, welche die der Besuchsart angemessene Bedeutung sichtbar machen soll. Der Staatsbesuch stellt dabei die protokollarisch aufwendigste Form eines Besuchs dar. Das hierfür etablierte Zeremoniell weist die höchste Form der Ehrerweisung eines Landes für einen ausländischen Gast auf. Arbeitsbesuche, offizielle Besuche von Regierungschefs und Fachministern definieren sich dagegen durch ein je nach Umstand und Situation abgestuftes Weniger an zeremoniellen Formen. Privatbesuche zeichnen sich schließlich durch die Abwesenheit zeremonieller Formen aus.8

Gemessen an dieser Charakterisierung, können für die Zeit der Weimarer Republik streng genommen zwei Staatsbesuche konstatiert werden: (1.) Der Deutschlandaufenthalt des afghanischen Königs Amanullah im Rahmen seiner Europatour im Februar 1928 und (2.) nur ein knappes Jahr später, im Juni 1929, der Besuch des ägyptischen Königs Fuad I.9 Doch gibt es noch einen dritten Fall, der in dieser Arbeit mit einbezogen werden soll.

Im August 1924 reiste der Mexikaner Plutarco Elías Calles nach Deutschland. Offiziell war immer noch Álvaro Obregón der amtierende Präsident Mexikos, dessen Amtszeit erst am 30. November 1924 enden sollte. Auch wenn ← 12 | 13 → es sich im Falle Calles’ rein definitorisch um einen Privatbesuch handelte, soll er dennoch im Rahmen der Staatsbesuche Beachtung finden, und dies aus drei Gründen: (1.) Calles wurde bei seiner Ankunft in Deutschland mit einem protokollarisch sehr aufwendigen Zeremoniell empfangen, wie es einem Staatsoberhaupt zustand. Daher lässt sich (2.) bereits hier die Ausformung eines Weimarer Protokolls beobachten, welches als Präzedenzfall für die nachfolgenden Besuche zu gelten hat. Zudem ist dieser Besuch (3.) der erste Fall, bei dem ein solch hochrangiger, ausländischer Staatsmann zu Gast in Deutschland war. Es bot sich damit die erste Gelegenheit, das neue Deutschland vor der nationalen und der Weltöffentlichkeit darzustellen.

Wie bereits angedeutet, sollen die drei genannten Besuche in der vorliegenden Arbeit als bewusst herbeigeführte Handlungen des Weimarer Staates10 verstanden werden, deren Abläufe präzise durchdacht und geplant wurden, sodass sie für und innerhalb dieses Staates bestimmte Funktionen erfüllten.11 Im Rahmen einer solchen Veranstaltung treten die höchsten Amtsträger der jeweiligen Staaten in Erscheinung, öffentliche Gegenstände – wie Fahnen, Regierungsbauten etc. – können ihre Symbolkraft entfalten. Im Besuchsprogramm, anhand der besuchten Ort, in den Einladungslisten, Sitzordnungen und auch mit den üblicherweise ausgetauschten Geschenken können die Geschichte, die Wirtschaft, die Kultur sowie künstlerische oder technische Leistungen öffentlichkeitswirksam dargestellt werden. Auch die Aufgaben und Zuständigkeiten des gastgebenden Staates, seine Organisationseinheiten und Strukturprinzipien sowie die gesellschaftlichen Grundwerte bzw. Leitideen können im Rahmen eines Staatsbesuchs für alle erkennbar visualisiert werden. Es handelt sich um Kommunikationsereignisse, die mittels der politischen Symbolik eines Landes dessen gesellschaftliches Selbstverständnis ausdrücken.12

← 13 | 14 →

In diesem Sinne boten die Staatsbesuche der Weimarer Republik als gastgebendem Staat die Gelegenheit, ihr Selbstbild öffentlichkeitswirksam gegenüber ihren Bürgern in Szene zu setzen und Geltung zu verschaffen. Denn bei den öffentlichen Auftritten der Gäste und ihrer Gastgeber versammelte sich die Bevölkerung am Straßenrand und auf öffentlichen Plätzen, um dem Spektakel beiwohnen zu können. Gleichzeitig berichtete die Presse über die zu medialen Großereignissen avancierten Besuche, sodass die Öffentlichkeit überregional an den Ereignissen teilhaben konnte. Durch diese unmittelbare Beteiligung der nationalen Öffentlichkeit, stellen Staatsbesuche auch Bühnen dar, auf denen das Verhältnis zwischen Staat und Gesellschaft ausgehandelt werden kann.13

Details

Seiten
170
Jahr
2014
ISBN (PDF)
9783653044263
ISBN (ePUB)
9783653984149
ISBN (MOBI)
9783653984132
ISBN (Hardcover)
9783631652909
DOI
10.3726/978-3-653-04426-3
Sprache
Deutsch
Erscheinungsdatum
2014 (Juni)
Schlagworte
Innenpolitik Außenpolitik Repräsentation präsidiale Republik
Erschienen
Frankfurt am Main, Berlin, Bern, Bruxelles, New York, Oxford, Wien, 2014. 170 S., 6 s/w Abb.

Biographische Angaben

Michael Meyer (Autor:in)

Michael Meyer studierte Geschichte und Politikwissenschaft an der Universität Rostock und der Freien Universität Berlin. Zu seinen Forschungsschwerpunkten zählen Politische Kulturgeschichte, Erinnerungskulturen, neuere/neueste deutsche und europäische Geschichte sowie Vergleich, Verflechtung und Transfer als methodische Ansätze.

Zurück

Titel: Symbolarme Republik?
book preview page numper 1
book preview page numper 2
book preview page numper 3
book preview page numper 4
book preview page numper 5
book preview page numper 6
book preview page numper 7
book preview page numper 8
book preview page numper 9
book preview page numper 10
book preview page numper 11
book preview page numper 12
book preview page numper 13
book preview page numper 14
book preview page numper 15
book preview page numper 16
book preview page numper 17
book preview page numper 18
book preview page numper 19
book preview page numper 20
book preview page numper 21
book preview page numper 22
book preview page numper 23
book preview page numper 24
book preview page numper 25
book preview page numper 26
book preview page numper 27
book preview page numper 28
book preview page numper 29
book preview page numper 30
book preview page numper 31
book preview page numper 32
book preview page numper 33
book preview page numper 34
172 Seiten