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Zweisprachigkeit und bilingualer Unterricht

von Magdalena Olpinska-Szkieko (Band-Herausgeber:in) Loretta Bertelle (Band-Herausgeber:in)
©2014 Sammelband 320 Seiten

Zusammenfassung

Der Band stellt die Problematik der Zweisprachigkeit und des bilingualen Unterrichts in Polen umfassend dar. Er ist in zwei sich ergänzende Teile gegliedert. Die Autoren des theoretischen Teils repräsentieren verschiedene Disziplinen, u.a. Linguistik, Psychologie, Pädagogik und unterschiedliche Forschungsperspektiven, die zusammen ein komplexes Gesamtbild der polnischen Bilingualismusforschung ergeben. Der zweite Teil des Bandes spiegelt die theoretischen Schwerpunkte des ersten Teils auf der praktischen Ebene wider. Die Autoren, u.a. praktizierende Lehrer/innen, Vertreter von Selbstverwaltungsbehörden, nichtstaatlichen Organisationen und Verbänden, erörtern die für ihre berufliche Umwelt relevanten Probleme und bringen Lösungsvorschläge ein, die sich in der Praxis bewährt haben.

Inhaltsverzeichnis

  • Cover
  • Titel
  • Copyright
  • Autorenangaben
  • Über das Buch
  • Zitierfähigkeit des eBooks
  • Inhaltsverzeichnis
  • Vorwort
  • Teil I
  • Methoden zur Überprüfung des Sprachentwicklungsstandes polnisch-deutsch bilingual betreuter Kindergarten- und Grundschulkinder
  • Frühes Lesenlernen der bilingualen Kinder als Stimulierung der Entwicklung des Sprachsystems
  • Why Does CLIL Work? A Psycholinguistic Perspective
  • Investigating the Dynamics of Bilingual Lexical Access: An Overview of the Background and Goals of the Ongoing Study with Polish Learners of English
  • Social Aspects of Psycholinguistic Research: Reflections on the Ongoing Study of Cognitive and Linguistic Development of Polish Immigrant Children
  • Bilingualer Unterricht im Lichte linguistischer und glottodidaktischer Forschung
  • Communication Systems in the CLIL Classroom
  • Untersuchungen zur Dynamik der Entwicklung der frühen Zweisprachigkeit – Probleme und Lösungen
  • Is It Possible to Educate Deaf Children Bilingually in Poland?
  • Minority Language Education in Poland and the European Charter for Regional or Minority Languages
  • The Good Start Method as a Tool Conducive to Dyslexic Young Learners’ Dual Code Use
  • Teil II
  • Erkenntnisgewinn durch die Kampagne zur Förderung der deutsch-polnischen Zweisprachigkeit in Gebieten, die durch die deutsche Minderheit bewohnt werden
  • Social Networking Sites and Blogs on Bilingualism
  • Bimodal Bilingualism
  • Rechtlich-formale Voraussetzungen für das Minderheitenschulwesen und die zweisprachige Bildung in Polen. Erfahrungen der deutschen Minderheit im Oppelner Land und in Oberschlesien
  • Aus der Praxis eines zweisprachigen Kindergartens
  • Integriertes Inhalts- und Sprachenlernen (CLIL) anstatt des bilingualen Unterrichts im Gymnasium
  • Bilingual Education in Poland
  • Integriertes Fremdsprachen– und Sachfachlernen – Beispiele der Projektarbeit am Goethe-Institut in Warschau
  • Kashubian Experience in Bilingual Education
  • The Teaching of the Ukrainian Language in Poland. Experience, Theory and Practice
  • Autoren und Autorinnen des Bandes

Vorwort

Der vorliegende Band erhebt den Anspruch, die Problematik der Zweisprachigkeit und des bilingualen Unterrichts in Polen umfassend darzustellen. Er ist so angelegt, dass er sowohl der gegenwärtig in Polen betriebenen Forschung Rechnung tragen als auch praktische Erfahrungen und derzeit in Polen tatsächlich praktizierte Lösungen nachzeichnen sollte. Er wurde deshalb in zwei sich ergänzende Teile gegliedert: Die Themenbereiche des ersten, theoretischen, Teils finden ihren Widerhall im zweiten, praktischen, Teil. So versuchen zum Beispiel im ersten Teil Prof. Dr. M. Dakowska und Dr. habil. M. Olpińska im Lichte der psycholinguistischen und glottodidaktischen Forschung zu begründen, warum der Bilinguale Unterricht (der Integrierte Unterricht – CLIL Content and Language Integrated Learning) funktioniert, während im zweiten Teil J. Kamińska, Deutschlehrerin an einem bilingualen Gymnasium, Überlegungen darüber anstellt, warum der Bilinguale Unterricht an polnischen Schulen im Gegensatz zu beispielsweise kanadischen (oder deutschen) Schulen nicht so gut funktioniert, und alternative Lösungen diskutiert.

Die Autoren des theoretischen Teils des Bandes vertreten verschiedene Disziplinen, u.a. Linguistik, Psychologie, Pädagogik, Logopädie, Glottodidaktik, Polonistik, Anglistik und Germanistik, und ihre Betrachtungsweise der Zweisprachigkeitsproblematik ist dementsprechend auch unterschiedlich. Die von den einzelnen Autoren repräsentierten Forschungsperspektiven und das breite Spektrum der von ihnen unternommenen Untersuchungen ergeben ein komplexes Gesamtbild der polnischen Bilingualismusforschung. Die individuellen wissenschaftlichen Interessen reichen von den Problemen der natürlichen Zweisprachigkeit bei Migrantenkindern, sowohl im Hinblick auf die kognitiven und neuronalen Prozesse beim bilingualen Spracherwerb und der „doppelten“ Sprachanwendung als auch im Hinblick auf mögliche Defizite und Entwicklungsstörungen, die sich aus der Zweisprachigkeit ergeben oder mit der Zweisprachigkeit in Verbindung gebracht werden könnten (Prof. Dr. J. Cieszyńska-Rożek, Dr. E. Haman et al., Dr. Z. Wodniecka et al.), über die Förderung und Pflege der Minderheitensprachen (Dr. T. Wicherkiewicz), bis hin zu den Implikationen aus der Bilingualismusforschung für den (Zweit)Sprachenunterricht im Primar- (Prof. Dr. A. Sopata, Prof. Dr. J. Zawodniak, ← 9 | 10 → Dr. M. Bielicka) und im Sekundarbereich (Dr. K. Papaja). Einen besonderen Forschungsgegenstand bildet die Problematik der bimodalen Zweisprachigkeit von hörbehinderten Kindern und von hörenden Kinder tauber Eltern (CODA – Children of Deaf Adults), die die polnische Sprache und Zeichensprache erwerben, wobei die polnische Zeichensprache nicht als ein Subkode der polnischen Sprache, sondern als eine „unabhängige“ natürliche Sprache angesehen werden sollte (Dr. P. Tomszewski, Dr. M. Sak).

Der zweite Teil des Bandes widerspiegelt die theoretischen Schwerpunkte des ersten Teils auf der praktischen Ebene. Die Autoren, unter denen sich sowohl praktizierende Lehrer/innen und Erzieher/innen als auch Mitarbeiter/innen von Lehrerberatungs- und Lehrerfortbildungszentren, Vertreter von Selbstverwaltungsbehörden sowie non-goverment Organisationen und Verbänden befinden, versuchen die für ihre berufliche Umwelt relevanten Probleme zu erörtern und Lösungsverschläge einzubringen, die sich in der Praxis bewährt haben. Die Autoren berichten u.a. über ihre Erfahrungen mit verschiedenen Maßnahmen zur Unterstützung des Deutschen, des Ukrainischen und des Kaschubischen als Minderheitensprachen in Polen (R. Bartek, W. Gaida, A. Jarczewska, R. Mistarz, M. Syrnyk), über den Stand des CLIL-Unterrichts an polnischen Schulen (A. Kubiak) und über ausgewählte Projekte zur Förderung des Integrierten Deutschunterrichts in Polen (I. Kuczkowska, U. Würz), über die sozialen Netzwerke, die eine Plattform zum Erfahrungsaustausch für bilinguale Familien bieten (L. Bertelle), sowie über die zweisprachige Erziehung von hörbehinderten und CODA-Kindern (M. Czajkowska-Kisil).

Die Herausgeberinnen hoffen inständig, dass der vorliegende Band sowohl für die wissenschaftliche Zweisprachigkeitsforschung als auch für die „bilinguale Praxis“ in Polen als repräsentativ angesehen werden kann, obwohl sie nicht ausschließen, dass es weitere wichtige Fragestellungen gibt, die in diesem Zusammenhang noch erörtert werden sollten, dies um so mehr, dass einige namhafte Wissenschaftler unserer Einladung zur Publikation nicht nachkommen konnten. Auch im praktischen Bereich passiert zur Zeit in Polen so viel, dass es unmöglich war, alle Entwicklungen auf diesem Gebiet in diesem Band zu berücksichtigen. Ein umfassender Bericht über Projekte und Maßnahmen zur Förderung der Zweisprachigkeit und bilingualen Erziehung in Polen steht noch bevor und kann hoffentlich in nicht allzu ferner Zukunft realisiert werden.

Magdalena Olpińska-Szkiełko
Loretta Bertelle
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Teil I

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Małgorzata Bielicka
(Adam-Mickiewicz-Universität in Posen)

Methoden zur Überprüfung des Sprachentwicklungsstandes polnisch-deutsch bilingual betreuter Kindergarten- und Grundschulkinder

1. Zielsetzung

Der Gegenstand des folgenden Beitrags ist die bilinguale institutionelle Erziehung im Elementarbereich. Den Fokus richten wir auf den Spracherwerbsprozess der Kinder aus den Vorschuleinrichtungen und den ersten Grundschulklassen, welche Deutsch als Fremdsprache im Rahmen des neuen Posener Fremdsprachenvermittlungsmodells durch das Eintauchen lernen. Dieses Modell wird von Mitarbeitern des Instituts für Angewandte Linguistik der Adam-Mickiewicz-Universität wissenschaftlich begleitet und erforscht. Bei der Erforschung des bilingualen institutionellen Lehrens erschlieβen sich viele Dimensionen wie: sprachlicher Hintergrund der Schüler, methodisch-didaktisches Vorgehen, Kompetenzen der Lehrer, Arten der Interaktionen in bilingualer Schulumgebung und nicht zuletzt das Niveau der fremdsprachlichen Kompetenz der Schüler. In diesem Beitrag wird die Aufmerksamkeit auf den letzten Punkt gerichtet. Es wird der Versuch unternommen zu zeigen, mit Hilfe von welchen methodologischen Werkzeugen die Sprachdaten generiert werden, die die L2-Kompetenz der kleinen Kinder auswerten helfen.

2. Bilinguales Lehren in Polen

Der Rapport First European Survey on Language Competences (2011), der ein vollständiges Bild der Systeme des Fremdsprachenunterrichtens in 14 europäischen Ländern liefert, brachte leider negative Ergebnisse zu Fremdsprachenkenntnissen der polnischen Gymnasiasten. Der Bericht erlaubte einige Hypothesen zu formulieren, welche Faktoren weithin die Fremdsprachenkenntnisse der Schüler beeinflussen. Dies sind: möglichst früher Beginn der Fremdsprachenvermittlung, Erhöhung der Zahl der gelehrten Fremdsprachen, Schaffung von Räumen für sinnvolle Kommunikation für Lehrende und Lernende, höherer Verwendungsgrad der Fremdsprache durch Lehrende sowie Fremdsprachenkenntnisse der Eltern (Szpotowicz 2011: 27–28). ← 13 | 14 →

Die meisten der oben erwähnten Faktoren zur Verbesserung der Fremdsprachenkenntnisse sind ein immanenter Teil der bilingualen institutionellen Bildung und deswegen sehen wir in der zweisprachigen Erziehung, die zur Zeit in Polen noch in den Kinderschuhen steckt, einen Impuls zur Verbesserung der Fremdsprachenbeherrschung durch polnische Schüler. Nach dem Verein für Bilingualität, „Bilinguis1“ gibt es in Polen 113 Schulen mit bilingualen Zügen (darunter nur 4 Grundschulen), die nach verschiedenen Modellen arbeiten. Die Bandbreite der Modelle der Fremdsprachenvermittlung erstreckt sich vom Modell Extensive Foreign Language Medium Instruction, in welchem der ganze Unterricht in der Fremdsprache durchgeführt wird, über Modelle mit Code-switching-Strategie (Partial Foreign Language Medium Instruction und Limited Foreign Language Medium Instruction) bis zum Modell Specific Foreign Language Medium Instruction, in welchem die Fremdsprache nur in besonderen Anlässen wie z. B. Projektarbeit angewendet wird (Marsh u. a. 2008: 13–15). In den Kindergärten ist das traditionelle Modell – zweimal 30 Minuten Fremdsprachenunterricht pro Woche das polenweite, populärste Modell des Fremdsprachenlehrens auf der Frühstufe. Die Kindergärten, welche in Polen oft mit dem Begriff „zweisprachig“ in ihrem Namen werben, bieten dagegen das Modell – eine Unterrichtseinheit Fremdsprache pro Tag an. Das rein immersive Modell, in welchem der Anteil der im Schulalltag/Kindergartenalltag angewendeten Fremdsprache mindestens 50% beträgt, ist weiterhin eine Seltenheit. Zusammenfassend kann man sagen, dass die institutionelle bilinguale Erziehung in Polen leider keine groβe Popularität erlangt.

Erfreulicherweise wird in den letzten Jahren das wachsende Interesse der Theoretiker und Praktiker an dieser Bildung bemerkt (Olpińska-Szkiełko 2013, Otwinowska-Kasztelaniec, Woynarowska-Sołdan 2010). Wir hoffen, dass aus der Konsolidierung der Wissenschaft und Praxis bestimmt viele interessante Projekte entstehen, die verschiedene Formen der bilingualen Erziehung zur Entfaltung bringen.

3. Das Posener Modell zweisprachiger Erziehung im Elementarbereich

Bis vor kurzem gab es in Poznań/Posen – einer Groβstadt von Polen – keine Möglichkeiten einer zweisprachigen institutionellen Erziehung mit Deutsch als Fremdsprache auf der Frühstufe. Das Posener Modell ermöglicht das Deutschlernen ab dem Kindergartenalter und sorgt für seine Kontinuität in der Grundschule. ← 14 | 15 →

3.1 Bilingualer polnisch-deutscher Kindergarten „Ene due Rabe“

2010 wurde in Posen der erste zweisprachige polnisch-deutsche Kindergarten „Ene due Rabe“ gebildet. Im Rahmen der pädagogisch-didaktischen Arbeit stützt sich der Kindergarten auf Didasko-Programm (Folejewska 2009), das für altersgemischte Gruppen vorgesehen wird. Als Grundarbeitsmethode wurde die Projektarbeit gewählt. Durch diese Arbeitsform erhalten die Kinder die Möglichkeit, intensive, selbständige Erfahrungen zu sammeln und dadurch die Welt für sich neu zu konstruieren, wobei die Interaktionsprozesse zwischen allen Subjekten des Kindergartens eine enorme Rolle spielen. Jede Woche wird ein neues Projekt realisiert, im Rahmen dessen der Lernstoff lernspiralförmig vertieft wird. Die Projekte können über eine zusätzliche Woche ausgedehnt werden, wenn die Lehrerinnen wahrnehmen, dass der Lernstoff für Kinder relevant ist. Unbestritten beziehen sich diese Lernprozesse nicht nur auf Weltwissensbestände, sondern auch auf den Spracherwerb. Das intensive Durchnehmen des Lernstoffes nach den konstruktivistischen Lernprinzipien erweist sich somit sehr günstig für den Deutscherwerb, da die Lerninhalte abwechselnd in alten und in neuen Kontexten zum Vorschein kommen, und in diesen wiederholt, automatisiert und manchmal auch sehr schnell von Kindern angewendet werden2. Obwohl die Gruppen altersgemischt sind, lernt jedes Kind nach seinem eigenen Lernpotenzial.

„Lernen ist ein vom Lerner eigenständig gesteuerter Konstruktionsprozeβ, der auf dem individuellen Lernerwissen aufbaut und daher zu unterschiedlichen Ergebnissen führt. Es ist eingebettet in soziale Kontexte, die Interaktion mit anderen ist von groβer Bedeutung“ (Wolff 1994: 415–416).

In Bezug auf die sprachlichen Ziele richtet sich der Kindergarten nach dem Programm von Olpińska3, dessen wichtigste kognitive Ziele folgendermaβen erfasst werden: Schaffen bester Räume für die kognitive Entwicklung des Kindes, die Entwicklung der lifelong-learning-Strategie, Wecken des Interesses am Lernen, auch am Fremdsprachenlernen, Entfaltung des für Kindergartenkinder angemessenen Wissens, Entfaltung des kritischen, logischen und kreativen Denkens, sowie Entwicklung der Problemlösungskompetenz und die Erkennung seiner eigenen Potenziale. Die kognitiven Ziele der zweisprachigen Erziehung ← 15 | 16 → hängen sehr stark mit den sozialen Zielen zusammen, zu denen unter anderen gehören: Bildung der Persönlichkeit und Identität der Kinder, Entwicklung des Wissens über das nächste Umfeld, über ihre Stadt, Region und ihr Land, Suchen nach den Wurzeln der Minderheitenkulturen oder der ethnischen Kulturen; Wecken des Respekts und der Toleranz den anderen Kulturen, Traditionen, Werten und Sitten gegenüber sowie die Entwicklung des Teamgeistes und der offenen Haltung gegenüber anderen Menschen.

Den sprachlichen Zielen wird im Programm von Olpińska ein hoher Stellenwert beigemessen, denn die Aufgabe des Kindergartens ist es, die Kinder auf das Leben in dem mehrsprachigen und multikulturellen Europa vorzubereiten, wobei Fremdsprachenkenntnisse unentbehrlich sind. Das übergeordnete Ziel der zweisprachigen Bildung ist die funktionale Zweisprachigkeit, d.h. die Fähigkeit, die Muttersprache und Fremdsprache im beruflichen Leben und im Eigenleben anwenden zu können. In dem Kindergarten können allerdings nur die Grundlagen des Prozesses geschaffen werden. Das langfristige Ziel der zweisprachigen Kindergartenerziehung ist die Schaffung der Grundlagen für weitere Fremdsprachen.

Zu den sprachlichen Zielen des Kindergartens gehören vor allem die Entwicklung der sprachlichen Kompetenz im Bereich der L1, die Akzeptanz der L2 als Instrument der Interaktionen, der Ausgleich der individuellen Unterschiede sowohl in der L1 als auch in der L2, Entwicklung der L2-Kompetenz auf dem Niveau, das die Teilhabe an den Kindergartenaktivitäten ermöglicht, Entwicklung der rezeptiven und produktiven Fertigkeiten, Entwicklung der pragmatischen und der interkulturellen Kompetenz sowie die Entwicklung der Sprachlernstrategien. Im zweisprachigen Kindergarten wird aufs gezielte Lehren der Sprachformen verzichtet. Die L2- Kompetenz ergibt sich als das Nebenprodukt der kognitiven und sozialen Entwicklung der Kinder. In der Anfangsphase soll hauptsächlich das rezeptive Hörverstehen in den für das Kind verständlichen und mehrfach verlaufenden kommunikativen Situationen entwickelt werden. Anschlieβend daran folgt die Phase des zuerst reproduktiven und dann produktiven Sprechens.

Um die oben beschriebenen Ziele zu realisieren, verläuft die Arbeit in dem Kindergarten „Ene due Rabe“ nach dem Prinzip: „one person, one teacher“, was bedeutet, dass zwei von vier in dem Kindergarten eingestellten Lehrerinnen ausschlieβlich Deutsch und zwei Lehrerinnen ausschlieβlich Polnisch in den Interaktionen mit den Kindern anwenden. Eine Lehrerin ist Muttersprachlerin und die andere arbeitete in einem Kindergarten in Deutschland, so dass auch sie sprachlich adäquat mit Kindern kommunizieren kann. Der Anteil der auf ← 16 | 17 → Deutsch verlaufenden Aktivitäten beläuft sich auf ungefähr 50%. So ein Modell entspricht den early partial immersion Programmen. Die Totalimmersionsprogramme bieten zwar mehr fremdsprachlichen Input an und damit tragen sie zum schnelleren Beherrschen der Fremdsprache bei, sie können aber den anfangs für fast jedes Kind schwierigen Eintritt in den Kindergarten erschweren. Zu ihren negativen Seiten gehört auch das Vernachlässigen der kulturellen Werte der Nation, aus welcher das Kind stammt. In vielen Familien werden nämlich heutzutage keine Kinderlieder gesungen oder Kinderspiele gespielt, die zum kulturellen Gut gehören (Chodzi lisek koło drogi, Róża, Baloniku mój malutki, Ciuciubabka, Ojciec Wirgiliusz), es wird auch wenig gute nationale Kinderliteratur vorgelesen. Dieses Angebot erscheint im Leben des Kindes altersgemäß und lässt sich später nicht mehr nachholen. So ist die Rolle des Kindergartens auch bei der Vermittlung der nationalen kulturellen Werte immens. Andererseits fördern die Teilimmersionsprogramme kontrastierende Betrachtungsweise und Perspektivwechsel, indem die eigene Lebenswirklichkeit aus der Sicht anderer gesehen wird und Verständnis der Lebenswirklichkeit der Partner durch Einnahme ihrer Perspektive geweckt wird (Christ 2004: 31). Allerdings werden in der Kindergartenerziehung nur erste Ansätze von so einer Einstellung erarbeitet. In den Teilimmersionsprogrammen werden beide Sprachen gleichermaβen gefördert und die beiden Sprachen dienen dazu, kognitive, emotionale, soziale und motorische Entwicklung des Kindes zu unterstützen. Der herkömmliche Fremdsprachenunterricht findet in dem Kindergarten „Ene due Rabe“ nicht statt. Die Wochenpläne werden von den Mitarbeiterinnen des Kindergartens konzipiert. Bei ihrer Gestaltung richten sich die Lehrerinnen nach Programmzielen, Jahreszeiten, Feiern oder Interessen der Kinder.

3.2 Der Schulhort mit L2-Deutsch zur Unterstützung der Mehrsprachigkeit der Schulkinder

Details

Seiten
320
Jahr
2014
ISBN (PDF)
9783653043952
ISBN (ePUB)
9783653984385
ISBN (MOBI)
9783653984378
ISBN (Hardcover)
9783631652770
DOI
10.3726/978-3-653-04395-2
Sprache
Deutsch
Erscheinungsdatum
2014 (September)
Schlagworte
Minderheitensprachen Migrantenkindern Zweisprachigkeitsforschung Bilingualismusforschung
Erschienen
Frankfurt am Main, Berlin, Bern, Bruxelles, New York, Oxford, Wien, 2014. 320 S., 18 Tab., 17 Graf.

Biographische Angaben

Magdalena Olpinska-Szkieko (Band-Herausgeber:in) Loretta Bertelle (Band-Herausgeber:in)

Magdalena Olpińska-Szkiełko, Dr. habil., Leiterin des Lehrstuhls Sprach- und Spracherwerbstheorie am Institut für Kulturologie und Anthropozentrische Linguistik der Universität Warschau. Loretta Bertelle, M.A., Institut für Kulturologie und Anthropozentrische Linguistik der Universität Warschau.

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Titel: Zweisprachigkeit und bilingualer Unterricht
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