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Verleitung zu Börsenspekulationsgeschäften und Strafvermeidung durch Corporate Compliance

Das Verhältnis zwischen Wertpapier-Compliance und dem Straftatbestand der Verleitung zu Börsenspekulationsgeschäften (§§ 49, 26 BörsG)- Eine «vergessene Norm» des Anlegerschutzes

von Jan-Lieven Stöcklein (Autor:in)
©2014 Dissertation XII, 321 Seiten

Zusammenfassung

Im Zentrum dieser Arbeit stehen die §§ 49, 26 BörsG. Hiernach wird bestraft, wer einen unerfahrenen Anleger zu einem Börsenspekulationsgeschäft verleitet und hierbei dessen Unerfahrenheit zu einem Geschäftsabschluss ausnutzt. Schutzzweck dieser als abstraktes Gefährdungsdelikt ausgestalteten Norm ist folglich ein frühzeitiger Vermögensschutz und somit der Anlegerschutz an sich. Schwerpunkt der Arbeit war herauszufinden, welche Rolle die §§ 49, 26 BörsG im heutigen Normgesamtgefüge anlegerschützender Vorschriften des Kapitalmarktrechts einnehmen. Allerdings ist dieser Straftatbestand nicht etwa erst aufgrund der wirtschaftlichen Ereignisse der letzten Jahre eingeführt worden, sondern bereits seit über 117 Jahren im Börsengesetz verankert. Interessanterweise misst das Schrifttum dem Straftatbestand nur eine marginale Bedeutung bei bzw. es wird gar dessen Existenzberechtigung in Frage gestellt. Die überwiegende Bankenpraxis kennt den Straftatbestand gar nicht erst. Hauptanliegen dieser Arbeit war es, Gründe für das bestehende Meinungsbild bzw. die vorherrschende Unkenntnis herauszufinden. Es drängte sich insbesondere die Frage auf, inwieweit nicht schon eine Verpflichtung zur Berücksichtigung des Straftatbestandes im Wege von Compliance-Vorschriften für Banken besteht.

Inhaltsverzeichnis

  • Cover
  • Titel
  • Copyright
  • Autorenangaben
  • Über das Buch
  • Zitierfähigkeit des eBooks
  • Inhaltsverzeichnis
  • Einführung in die Thematik
  • 1. Teil: Verleitung zu Börsenspekulationsgeschäften, §§ 49, 26 BörsG
  • A. Geschichte des Straftatbestandes im Börsengesetz
  • I. Allgemeines zum Straftatbestand
  • II. Entwicklung des Straftatbestandes im Börsengesetz
  • III. Überblick, Entwicklung des Straftatbestandes von 1896 bis 2012
  • IV. Überblick, Wortlaut des Straftatbestandes von 1896 bis 2012
  • B. „Börsenspekulationsgeschäfte“
  • I. Auslegungsversuch des Begriffs „Börsenspekulationsgeschäft“
  • 1. Allgemeines
  • 2. Börsenspekulationsgeschäfte und Finanztermingeschäfte
  • 3. Eingrenzung anhand der „typischen Gefahrenlage“
  • 4. „Börsenspekulationsgeschäft“ als eigenständige Begrifflichkeit
  • 5. Die Intention des Anlegers als weiteres Korrektiv
  • II. Zwischenergebnis
  • III. Einzelne Geschäfte als Börsenspekulationsgeschäfte
  • 1. Warentermingeschäfte
  • a) Allgemeines
  • b) Warentermindirektgeschäfte
  • c) Warenterminoptionsgeschäfte
  • d) Warentermingeschäfte als Börsenspekulationsgeschäfte
  • aa) Grundsätzliches
  • bb) Termingeschäfte als Ausdruck reiner Spekulation
  • 2. Wertpapiertermingeschäfte
  • 3. Wertpapierterminoptionsgeschäfte
  • 4. Leerverkäufe
  • a) Allgemeines
  • b) Wertpapierleihe
  • c) Kauf am Markt (naked short sales)
  • d) Vorgetäuschter Leerverkauf (abusive naked short sales)
  • e) Ergebnis
  • 5. Optionsscheine
  • a) Allgemeines
  • b) Unselbständige Optionsscheine
  • c) Selbständige Optionsscheine
  • d) Index-Optionsscheine
  • e) Exotische-Optionsscheine
  • aa) Knock-out-Optionsscheinen
  • bb) Lookback-und Rainbow-Optionsscheine
  • cc) Compound-Optionsscheine
  • dd) Quanto-Optionsscheine
  • ee) Power-Optionsscheine
  • ff) Weitere exotische Optionsscheine als reine Spekulationsgeschäfte
  • gg) Exotische Optionsscheine als Sicherungsgeschäft
  • hh) Ergebnis Exotische Optionsscheine
  • 6. Zertifikate
  • a) Allgemeines
  • b) Partizipationszertifikate
  • c) Discount- Zertifikate
  • d) Bonus- Zertifikate
  • e) Garantiezertifikate
  • f) Sonstige Zertifikate als Börsenspekulationsgeschäfte
  • g) Ergebnis Zertifikate
  • 7. Handel mit Bezugsrechten
  • 8. Fonds als Börsenspekulationsgeschäfte
  • a) Allgemeines
  • b) Fonds als Börsenspekulationsgeschäfte
  • c) Hedgefonds
  • d) Ergebnis
  • 9. Vorgetäuschte Börsenspekulationsgeschäfte
  • C. „Unerfahrenheit“ im Sinne des § 26 BörsG
  • I. Überblick - Prägung des Tatbestandsmerkmals durch die Rechtsprechung
  • II. Literatur vs. Rechtsprechung-restriktive vs. extensive Handhabung
  • III. Unerfahrenheit-Unkenntnis und Einsicht
  • 1. Unerfahrenheit und Unkenntnis
  • 2. Zwischenergebnis
  • 3. Fehlende Einsicht und fehlende Kenntnis
  • 4. Zwischenergebnis
  • 5. Eigenständigkeit des Begriffs der Unerfahrenheit i.S.d. §§ 49, 26 BörsG
  • a) Überblick
  • aa) Unerfahrenheit i.S.d. § 291 StGB partiell weiter
  • bb) Unerfahrenheit i.S.d. § 291 StGB partiell enger
  • aaa) Unerfahrenheit des durchschnittlichen Privatanlegers
  • bbb) Zwischenergebnis
  • b) Ergebnis Eigenständigkeit des Begriffs der Unerfahrenheit i.S.d. §§ 49, 26 BörsG
  • IV. Mehrfache Tätigung von Börsenspekulationsgeschäften als Indikator der Erfahrenheit
  • 1. Erneute Vornahme eines Börsenspekulationsgeschäfts
  • 2. Vornahme gleichartiger (verlustreicher) Börsenspekulationsgeschäfte
  • V. Ergebnis: Definition der Unerfahrenheit im Sinne des § 26 BörsG
  • VI. Präzisierung des gefundenen Ergebnisses anhand des Zivilrechts
  • VII. Kompensationsmöglichkeiten und Kompensationspflichten im Rahmen der Unerfahrenheit
  • 1. Kompensationsmöglichkeiten
  • 2. Kompensation der Unerfahrenheit durch Informations- bzw. Aufklärungspflichten
  • a) Informationspflichten des WpHG - öffentliches Aufsichtsrecht
  • aa) Überblick
  • bb) Konkretisierung der Informationspflichten des WpHG
  • cc) Zwischenergebnis
  • b) „Unerfahrenheit“ und Allgemeine zivilrechtliche Aufklärungspflichten
  • c) Kollision mit Kundeninteressen i.S.d. WpHG
  • aa) § 31 Abs. 1 Nr. 1, 2 WpHG
  • bb) § 33 Abs. 1 Satz 2 Nr. 1, Nr. 3 WpHG i.V.m. § 13 WpDVerOV
  • d) Ergebnis
  • 3. Kompensation der Unerfahrenheit durch Qualitätskontrolle der Anlageberatung
  • D. „Verleitung“ zu Börsenspekulationsgeschäften
  • E. „Ausnutzung“ der Unerfahrenheit
  • F. Unmittelbare und mittelbare Beteiligung
  • G. Subjektiver Tatbestand
  • I. Gewerbsmäßigkeit
  • 1. Allgemeines
  • 2. Provisionszahlungen als Voraussetzung der Gewerbsmäßigkeit?
  • a) Problemaufriss
  • b) Stellungnahme
  • c) Ergebnis
  • II. Verwendung von überlassenen Unterlagen
  • 1. Problemaufriss
  • 2. Stellungnahme
  • 3. Ergebnis
  • H. Unterlassen
  • I. Täterschaft und Teilnahme
  • J. Tatbestandsirrtum/Verbotsirrtum
  • I. Tatbestandsirrtum
  • II. Verbotsirrtum
  • K. Konkurrenzen
  • I. Betrug (§ 263 StGB)
  • II. Kapitalanlagebetrug (§ 264a StGB)
  • III. Untreue (§ 266 StGB)
  • IV. Handeln ohne Erlaubnis (§ 54 KWG)
  • V. Verbot der Marktmanipulation (§ 38 Abs. 2 i.V.m. § 20a WpHG)
  • VI. Unerlaubte Veranstaltung eines Glückspiels (§ 284 StGB)
  • VII. Unterschlagung (§ 246 StGB)
  • VIII. Strafbare Werbung (§ 16 UWG)
  • L. Prozessuales
  • I. Allgemeines
  • II. Subsumtionsprobleme in der Praxis
  • III. Probleme bei der Beweiserbringung
  • 1. Der Beweis des Vorliegens eines „Börsenspekulationsgeschäfts“
  • 2. Der Beweis des Vorliegens der „Gewerbsmäßigkeit“
  • 3. Der Beweis des Vorliegens der „Unerfahrenheit“
  • 4. Der Beweis des Vorliegens der „Ausnutzung“
  • 5. Der Beweis des Vorliegens der „Verleitung“
  • M. Standort des Straftatbestandes im BörsG
  • I. Allgemeines
  • II. Historischer Hintergrund
  • III. Diskrepanz zwischen Finanztermin- und Börsenspekulationsgeschäften
  • IV. Praktische Argumente
  • V. Systematische Argumente
  • VI. Ergebnis
  • N. §§ 49, 26 BörsG als Schutzgesetz i.S.v. § 823 Abs. 2 BGB
  • O. Verfassungsrechtliche Bedenken
  • I. Unbestimmtheit des Begriffs „Börsenspekulationsgeschäft“
  • II. Aufteilung der Strafnorm in Blankettnorm und blankettausfüllende Norm
  • P. Schlussbetrachtung
  • 2. Teil: Strafvermeidung im Wertpapiergeschäft durch Corporate Compliance .
  • A. Corporate Compliance im Strafrecht - Überblick
  • I. Compliance-Begriff
  • II. Corporate Compliance und Vertrauensschutz
  • III. Rechtsprechung und Corporate Compliance
  • IV. Entwicklung von Corporate Compliance in Deutschland
  • 1. Allgemeines
  • 2. Der Deutsche Corporate Governance Kodex und Compliance
  • 3. Compliance im WpHG
  • 4. Compliance im KWG und AktG
  • 5. Fazit
  • B. Besonderheiten des Börsengeschäfts
  • C. Notwendigkeit von Compliance-Maßnahmen bei Wertpapierdienstleistungsunternehmen
  • I. Einführung in die Untersuchung
  • II. Compliance Anforderungen durch § 33 Abs. 1 WpHG
  • 1. Allgemeines
  • 2. Anwendungsbereich des § 33 Abs. 1 WpHG im Rahmen der §§ 49, 26 BörsG
  • 3. Notwendigkeit zur Ergreifung von Compliance Maßnahmen nach § 33 Abs. 1 Satz 2 WpHG
  • 4. Vermeidung der Strafbarkeit gemäß §§ 49, 26 BörsG durch § 33 Abs. 1 WpHG
  • a) Vermeidungspflichten durch § 33 Abs. 1 S. 1 WpHG i.V.m. § 25a Abs. 1 Satz 1 KWG
  • b) Vermeidungspflichten durch die §§ 31 Abs. 1 Satz 2 Nr. 1, Nr. 3 i.V.m. den §§ 12, 13 Abs. 1 Nr. 1 und Nr. 2 WpDVerOV
  • 5. Zwischenergebnis
  • III. Vermeidungspflicht der Strafbarkeit gemäß den §§ 49, 26 BörsG durch § 91 Abs. 2 AktG und § 93 Abs. 1 AktG
  • 1. Strafrechtlich relevante Compliance-Pflichten nach § 91 Abs. 2 AktG
  • 2. Strafrechtlich relevante Compliance-Pflichten nach § 93 Abs. 1 Satz 1 AktG
  • a) Verpflichtung zur Ergreifung von Compliance-Maßnahmen durch 93 Abs. 1 Satz 1 AktG
  • b) Ergebnis
  • c) Verpflichtung zur Ergreifung von Compliance Maßnahmen durch 93 Abs. 1 Satz 1 AktG i.V.m. Nummer 4.1.3. des DCGK
  • d) Ergebnis
  • IV. Vermeidungspflicht der Strafbarkeit gemäß §§ 49, 26 BörsG durch § 43 Abs. 1 GmbHG und § 34 Abs. 1 GenG
  • V. Vermeidungspflicht der Strafbarkeit gemäß §§ 49, 26 BörsG durch Nummer 4.1.3 des DCGK in der Fassung vom 18. Juni 2009
  • VI. Vermeidungspflicht der Strafbarkeit gemäß §§ 49, 26 BörsG durch die §§ 30, 130 OWiG
  • VII. Zwischenergebnis
  • VIII. Sanktionen bei Nichteinhaltung der notwendig zu ergreifenden Compliance-Maßnahmen
  • 1. Aufsichtsrecht und Zivilrecht
  • 2. Strafrechtliche Haftung
  • a) Überblick
  • b) Strafrechtliche Haftung der Geschäftsleitung
  • aa) Eigenverantwortlichkeit der Untergebenen
  • bb) Kriterium der Betriebsbezogenheit
  • cc) Zwischenergebnis
  • dd) Geschäftsherrenhaftung in Wertpapierdienstleistungsunternehmen
  • c) Strafrechtliche Haftung des Compliance-Officers
  • aa) Das „Ob“ der Garantenstellung eines Compliance-Officers
  • bb) Zwischenergebnis
  • cc) Die strafrechtliche Reichweite der Stellung eines Compliance-Officers
  • aaa) Ursächlichkeit des Unterlassens für den konkreten Erfolg
  • bbb) Vorsatzfragen
  • ccc) Täterschaft und Teilnahme
  • dd) Konfrontation kritischer Äußerungen zur Garantenstellung des Compliance-Officers
  • aaa) Mangelndes Bedürfnis strafrechtlicher Sanktionen
  • bbb) Mangeln eines materiellen Haftungsgrundes
  • ee) Zwischenergebnis
  • ff) Der Compliance-Beauftragte im Wertpapierdienstleistungsunternehmen
  • aaa) Stellung des Compliance-Beauftragten bis zum 11.02.2011
  • bbb) Stellung des Compliance-Beauftragten ab dem 11.02.2011
  • d) Ergebnis
  • D. Möglichkeiten von Compliance-Maßnahmen zur Strafvermeidung in Wertpapierdienstleistungsunternehmen
  • I. Überblick
  • II. Möglichkeiten der Strafvermeidung gem. §§ 49, 26 BörsG im Rahmen der Compliance-Funktion
  • 1. Möglichkeiten der Kompensierung der Unerfahrenheit i.S.d. §§ 49, 26 BörsG
  • 2. Fazit
  • III. Vermeidung von Umsetzungsproblemen bei Berücksichtigung der §§ 49, 26 BörsG im Rahmen der Compliance-Funktion
  • 1. Möglichkeiten der Strafvermeidung bei börsengeschäftlichen Telefonvermittlern - „Cold calling“ und Corporate Compliance
  • a) Überblick
  • b) Exkurs- Überwachungspflichten der BaFin und §§ 49, 26 BörsG
  • c) Problemaufriss
  • d) Empfehlung
  • 2. Vermeidung bußgeldrelevanter Abgrenzungsfehler im Bereich der Wertpapierdienstleistung - das neue AnsFuG
  • a) Änderungen im Wege des AnsFuG
  • b) Auswirkungen durch das AnsFuG
  • c) Empfehlung
  • 3. Schließung begrenzter Bereichsausnahmen des WpHG durch Corporate Compliance
  • a) Überblick
  • b) Empfehlung
  • 4. Vermeidung irreparabler Schäden durch Erstellung eines Maßnahmenkatalogs für Compliance-Beauftragte
  • IV. Bewertung vorhandener Compliance Programme im Retailgeschäft unter Berücksichtigung der §§ 49, 26 BörsG
  • 1. Beachtung der §§ 49, 26 BörsG von der Compliance-Funktion i.S.d. § 33 WpHG
  • a) Einführung
  • b) Ergebnis der Befragung
  • c) Empfehlung
  • 2. Unabhängige Finanzdienstleister i.S.d. § 2a Abs. 1 Nr. 7 WpHG und Compliance-Funktion i.S.d. § 33 WpHG
  • 3. „Cold calling-Allgemeinverfügung“ und Compliance-Funktion i.S.d. § 33 WpHG
  • 4. § 34d WpHG und die Eingrenzung auf Anlageberater
  • E. Schlussbetrachtung
  • Abkürzungen
  • Literaturverzeichnis

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Einführung in die Thematik

Erläuterungen und systematische Einordnung

Die in zwei Teile untergliederte Dissertation, trägt den Titel „Verleitung zu Börsenspekulationsgeschäften und Strafvermeidung durch Corporate Compliance“.

Im Zentrum beider Teile stehen demnach die §§ 49, 26 des Börsengesetzes.

Nach dieser Strafvorschrift wird bestraft, wer einen „unerfahrenen“ Anleger zu einem „Börsenspekulationsgeschäft“ „verleitet“ und hierbei dessen „Unerfahrenheit“ zu einem Geschäftsabschluss „ausnutzt“. Schutzzweck dieser als abstraktes Gefährdungsdelikt ausgestalteten Norm ist folglich ein frühzeitiger Vermögensschutz und somit der Anlegerschutz an sich.

Schwerpunkt der Dissertation war herauszufinden, welche Rolle die §§ 49, 26 BörsG im heutigen Normgesamtgefüge anlegerschützender Vorschriften des Kapitalmarktrechts einnehmen. Denn dieser Straftatbestand ist nicht etwa erst aufgrund der wirtschaftlichen Ereignisse der letzten Jahre vom Gesetzgeber eingeführt worden, sondern er feiert im Jahr 2011 sein 115 jähriges Bestehen. Über diesen langen Zeitraum hinweg ist eine Fülle neuer anlegerschützender Vorschriften in Kraft getreten. Daher wurden vor allem mögliche gegenseitig befruchtende Einflüsse des WpHG, KWG und des BGB auf den Straftatbestand der §§ 49, 26 BörsG im Rahmen der Arbeit gezielt untersucht.

Anlegerschutz wird heutzutage auf verschiedene Weise durch den Gesetzgeber gewährleistet. Schützende Vorschriften lassen sich sowohl im Zivilrecht, im öffentlichen Recht als auch im Strafrecht wiederfinden. Innerhalb der verschiedenen Rechtsmaterien lässt sich jedoch ein divergierender Schutzcharakter konstatieren. So ist primäres Ziel des „zivilrechtlichen Anlegerschutzes“ die Gewährleistung von Individualschutz. Als Ausprägung der im BGB verankerten Schutzmechanismen sollen nur z.B. die §§ 138 Abs. 2, 241 Abs. 2, 280 ff. und 823 ff. BGB Erwähnung finden. Primäres Ziel der Vorschriften des WpHG und des KWG, als Vorschriften des öffentlich-rechtlichen Aufsichtsrechts, ist wiederum die Sicherstellung von Institutionenschutz, also die Sicherstellung des Schutzes des Marktes und seiner Funktionsfähigkeit an sich. Anlegerschutz kann in diesem Fall grundsätzlich nur mittelbar und reflexartig gewährleistet werden. Das Strafrecht begeht im Bereich des Anlegerschutzes demgegenüber einen „Spagat“. Denn es existieren sowohl primär das Individuum als auch primär überindividuell schützende Strafvorschriften.

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Als überindividuell schützende Strafvorschriften sind beispielsweise die §§ 38 Abs. 2, 39 Abs. 1 Nr. 1 und 2, 20a WpHG (Verbot der Marktmanipulation) und §§ 38 Abs. 1 Nr. 1, 14 Abs. 1 Nr. 1 WpHG (Verbot von Insidergeschäften) als Strafvorschriften des WpHG heranzuziehen. Der Betrug i.S.d. § 263 StGB z.B. und der Straftatbestand der Verleitung zu Börsenspekulationsgeschäften gem. §§ 49, 26 BörsG sind hingegen primär individuell schützender Natur.

Alle diese Normen der verschiedenen Rechtsgebiete können bei einer gleichzeitigen Beachtung und Befolgung durch Praxis und Rechtsprechung einen möglichst effektiv verzahnten Anlegerschutz gewährleisten.

Interessanterweise wird dem Straftatbestand gem. der §§ 49, 26 BörsG in diesem anlegerschützenden Normgepräge durch Literatur und Praxis jedoch eine nur marginale Bedeutung beigemessen bzw. es wird gar dessen Existenzberechtigung in Frage gestellt. Hauptanliegen der Dissertation war es daher, Gründe für dieses bestehende Meinungsbild herauszufinden und herauszuarbeiten, ob es tatsächlich sinnhaft wäre, diesen das Individuum und sein Vermögen schützenden Straftatbestand vollends streichen zu lassen.

Im Ergebnis konnte festgestellt werden, dass der Straftatbestand durchaus eine Existenzberechtigung besitzt und diesem, wie zu zeigen sein wird, als anlegerschützende Vorschrift eine nicht zu unterschätzende Funktion zukommt.

Vor allem in Zeiten nach der Finanzkrise der Jahre 2007/2008 und der Lehman- Pleite, ist der Ruf nach möglichst frühzeitigen anlegerschützenden Mechanismen durch Allgemeinheit, Legislative und Exekutive exponentiell lauter geworden. Gerade die §§ 49, 26 BörsG stellen eine „klassische“ anlegerschützende Strafvorschrift dar, welche zudem noch als abstraktes Gefährdungsdelikt ausgestattet ist, einen Vermögensschaden gar nicht erst voraussetzt und somit als am zeitlich frühesten ansetzende Strafvorschrift im Bereich des Anlegerschutzes gesehen werden kann. Die §§ 49, 26 BörsG gewährleisten daher als „kleine Schwester“ des Betrugs i.S.d. § 263 StGB einen zeitlich viel früher ansetzenden Rechtsschutz als dieser und können bei Vorliegen der jeweiligen Voraussetzungen zu diesem in Tateinheit stehen.

Nicht zu unterschätzen ist hauptsächlich aber die strafrechtlich flankierende Wirkung der §§ 49, 26 BörsG v.a. im Hinblick auf die Wohlverhaltens- und Organisationspflichten des WpHG, welche ihre Ausprägung in den §§ 31 ff. WpHG gefunden haben.

Genau in dieser flankierenden Wirkung des Straftatbestandes ist auch dessen korrelierendes Potential im Bereich „Corporate Compliance“ zu suchen gewesen, was Anlass zur Untersuchung im zweiten Teil gegeben hat. Die „Compliance-Regelungen“ des KWG und WpHG haben gerade dafür zu sorgen, dass ← 2 | 3 → anlegerschützende Vorschriften durch Wertpapierdienstleistungsunternehmen eingehalten werden.

Es wurde schwerpunktmäßig auf den Bereich des „Wertpapier-Compliance“ abgestellt, also auf die Compliance-Vorschriften des WpHG und KWG, denn Straftaten i.S.d. §§ 49, 26 BörsG werden überwiegend im Rahmen von Wertpapiergeschäften durch Anlageberater bzw. -vermittler begangen, welche für Wertpapierdienstleistungsunternehmen tätig sind. Die wohl bekannteste Tätergruppe ließ sich bis zum Erlass der „Cold Calling-Allgemeinverfügung“ der BAWe im Jahr 1999 im Bereich der telefonischen Kaltakquise wiederfinden. Normadressaten der Strafvorschrift sind bis heute hauptsächlich Anlageberater bzw. -vermittler von Wertpapierdienstleistungsunternehmen.

Normadressaten der Vorschriften des WpHG sind wiederum grundsätzlich Wertpapierdienstleistungsunternehmen. Gezielt wurde daher in diesem Zusammenhang der Fragestellung nachgegangen, ob Wertpapierdienstleistungsunternehmen gesetzlich verpflichtet werden, präventive Mechanismen durch Compliance zu integrieren, welche speziell Straftaten nach den §§ 49, 26 BörsG berücksichtigen und deren Begehung erschweren können. Im Endeffekt musste diese Frage bejaht werden. Wertpapierdienstleistungsunternehmen haben im Wege ihrer Organisationspflichten gem. der §§ 33 ff. WpHG auch den Straftatbestand der Verleitung zu Börsenspekulationsgeschäften zu berücksichtigen. Hierbei ist nicht unbedingt Voraussetzung, dass diese den Straftatbestand explizit als Straftatbestand im Rahmen der eigenen Compliance-Funktion integrieren. Voraussetzung ist aber, dass ein delinquentes Vorgehen i.S.d. §§ 49, 26 BörsG von der eigenen Compliance-Funktion von vornherein notwendig zu berücksichtigen ist. Dies bedeutet nichts anderes, dass im Wege der Organisationspflichten des WpHG das jeweilige Wertpapierdienstleistungsunternehmen dafür zu sorgen hat, dass Straftaten nach §§ 49, 26 BörsG im eigenen Unternehmen durch deren Anlageberater bzw. -vermittler möglichst nicht begangen werden können.

Die Organisationspflichten des WpHG sind allerdings, wie oben schon ausgeführt werden konnte, überindividueller Natur, denn sie dienen dem Institutionenschutz. Ein effektiver Anlegerschutz kann allein aufgrund dieser Vorschriften nicht gewährleistet werden. Um den Anleger vor Handlungen i.S.d. §§ 49, 26 BörsG zu schützen, bedarf es wiederum einer individuell-schützenden Strafvorschrift.

Aber auch die Wohlverhaltenspflichten der §§ 31 ff. WpHG, welche zumindest partiell individualschützenden Charakter aufweisen, verdeutlichen die strafrechtlich flankierende Bedeutung der §§ 49, 26 BörsG. Denn v.a. im Wege der Informationspflichten, als Ausprägung der Wohlverhaltenspflichten der §§ 31 ff. WpHG, soll nur sichergestellt werden können, dass der Anleger alle von seinem Anlageberater ← 3 | 4 → bzw. -vermittler überlieferten Informationen verstehen kann und nicht, dass er sie auch tatsächlich versteht. Gerade diesen Schutz gewährleisten jedoch die §§ 49, 26 BörsG und gehen somit weit über die Voraussetzungen des WpHG hinaus.

Bemerkenswerterweise musste jedoch festgestellt werden, dass die Existenz des Straftatbestandes der Bankenpraxis gänzlich unbekannt ist. Die bestehende allgemeine Unbekanntheit des Straftatbestandes an sich, kann hierfür keine Erklärung sein dürfen. Richtet sich doch diese Strafnorm zuvörderst an die im Wertpapierdienstleistungsunternehmen beschäftigten Anlageberater- bzw. -vermittler. Gründe für die nur marginale Bekanntheit der Norm sind vielfältig und werden im Rahmen der Dissertation untersucht.

Schon an dieser Stelle ist jedoch anzumerken, dass eine „stiefmütterliche Behandlung“ eines Straftatbestandes nur dann zwingend zu Zweifeln an dessen Existenzberechtigung führen muss, wenn durch anderweitige Normen ein äquivalenter Rechtsschutz gewährleistet oder schlicht keine Schutzbedürftigkeit des Anlegers in diesem Bereich erkannt werden kann. Gerade diese Voraussetzungen liegen beim Straftatbestand der Verleitung zu Börsenspekulationsgeschäften aber nicht vor. Das Strafrecht bietet anderweitig keinen vergleichbaren Rechtsschutz. Die Existenzberechtigung der Norm besteht mithin in einem möglichst weit vorgelagerten strafrechtlichen Vermögensschutz. Allein die Tatsache der relativen Unbekanntheit der Norm, kann hierbei nicht an deren Sinnhaftigkeit zweifeln lassen. Die Notwendigkeit des Bestehens eines von den §§ 49, 26 BörsG gewährleisteten Rechtsschutzes wiederum, wurde in heutigen Zeiten gerade durch die Finanzkrise der letzten Jahre mehr als deutlich.

Gang der Untersuchung

Im Kern wird die Frage aufgeworfen, welches anlegerschützende Potential in den §§ 49, 26 BörsG steckt und ob das einzelne Wertpapierdienstleistungsunternehmen verpflichtet ist, diese Strafvorschrift im Wege von „Compliance“ zu beachten. Ebenso wird die Frage gestellt, wie dieses mögliche strafrechtliche Potenzial der §§ 49, 26 BörsG durch die Implementierung präventiver Mechanismen im Wege von Compliance optimal genutzt werden kann. Bezweckt wird hiermit die Untersuchung direkter, schon bestehender Schutzmöglichkeiten des Anlegers, gleichermaßen aber auch die Frage nach Schutzmaßnahmen des einzelnen, durch Anlageberater bzw. Anlagevermittler handelnden Wertpapierunternehmens vor Reputationsschäden, Haftungsschäden und aufsichtsrechtlichen Sanktionen aufgrund der §§ 49, 26 BörsG.

← 4 | 5 →

Konkret wendet sich der erste Teil den einzelnen Tatbestandsmerkmalen des Straftatbestandes zu. Hierbei fand eine aktuelle Aufarbeitung alter aber auch neuer Meinungsstreitigkeiten des Straftatbestandes statt. Eine einheitliche Auslegung der einzelnen Tatbestandsmerkmale durch Literatur und Rechtsprechung ließ sich hierbei nicht konstatieren. Dies mag zunächst nicht verwundern, werden doch die meisten Tatbestandsmerkmale verschiedener Straftatbestände in Literatur und Rechtsprechung unterschiedlich ausgelegt. Verwunderlich ist im Rahmen der §§ 49, 26 BörsG jedoch nicht nur die teilweise recht unterschiedliche Auslegung der bestehenden Tatbestandsmerkmale, sondern der auch noch heute bestehende Streit um Grundsatzfragen und die vereinzelt aufkommende Frage der Existenzberechtigung der Norm. Exemplarisch kann diesbezüglich die neue, im Jahr 2010 erstmals erschienene Kommentierung der §§ 49, 26 BörsG durch den Münchener Kommentar herangezogen werden. Hierbei gestellte Fragen bezüglich der Verfassungsmäßigkeit der Norm, die dort aufgeführten zivilrechtlichen Bedenken, Fragen zur Irrtumsproblematik und der Existenzberechtigung der Norm etc. zeugen eher von einer noch heute bestehenden Unsicherheit im Umgang mit dem Straftatbestand, welche es zu beseitigen gilt. Gerade dieses Vorhaben stellt ein Hauptanliegen des ersten Teils der Arbeit dar. Denn es scheint verwunderlich, weswegen eine 115 Jahre alte Norm sich dermaßen unangepasst im Normgesamtgefüge darstellen sollte. Wie zu zeigen sein wird, kommt den §§ 49, 26 BörsG auch heute noch eine nicht zu unterschätzende Relevanz im Bereich des Anlegerschutzes zu. Im Zuge der Aufarbeitung verschiedener Probleme im Rahmen des Straftatbestandes, bedurfte es daher auch eines vertiefteren Blickes in die Vergangenheit des Straftatbestandes, um heute noch bestehende Probleme besser verstehen zu können und auch einzelne „Scheinprobleme“ aufzudecken, deren Ursprung festzustellen war. Diese oftmals fortgesetzten „Scheinprobleme“ sorgen auch noch heute für eine Diskrepanz zwischen Literaturansicht und der Rechtsprechung des BGH.

Details

Seiten
XII, 321
Jahr
2014
ISBN (PDF)
9783653039788
ISBN (ePUB)
9783653984736
ISBN (MOBI)
9783653984729
ISBN (Paperback)
9783631650257
DOI
10.3726/978-3-653-03978-8
Sprache
Deutsch
Erscheinungsdatum
2014 (März)
Schlagworte
Börsengesetz Derivate Compliance-Beauftragter Anlagebetrug Anlageberatung Anlegerschutz Wertpapierdienstleistungsunternehmen
Erschienen
Frankfurt am Main, Berlin, Bern, Bruxelles, New York, Oxford, Wien, 2014. XII, 321 S., 4 farb. Abb.

Biographische Angaben

Jan-Lieven Stöcklein (Autor:in)

Der Autor studierte Rechtswissenschaft an der Universität Mainz. Nach dem Zweiten Staatsexamen promovierte er am Lehrstuhl für Strafrecht und Kriminologie an der Universität Halle-Wittenberg. Daraufhin erfolgte die Zulassung zum Rechtsanwalt.

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