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Die Sprache und ihre Wissenschaft zwischen Tradition und Innovation / Language and its Study between Tradition and Innovation

Akten des 45. Linguistischen Kolloquiums in Veszprém 2010 / Proceedings of the 45th Linguistics Colloquium, Veszprém 2010

von József Tóth (Band-Herausgeber:in)
©2015 Konferenzband XIII, 420 Seiten
Reihe: Linguistik International, Band 34

Zusammenfassung

Der Band enthält 34 Beiträge, die beim 45. Linguistischen Kolloquium in Veszprém (Ungarn) vom 16. bis 18. September 2010 präsentiert wurden. Die Autoren beschäftigen sich mit älteren und neueren Arbeitsfeldern der Sprachwissenschaft sowie ihren innovativen Ergebnissen. Die internationale Zusammensetzung der Kolloquiumsteilnehmer und ihre diversen methodischen Standpunkte und Aspekte bieten ein breit gefächertes Forschungsfeld im linguistischen Wissenschaftsbetrieb. Neben Angewandter Linguistik, Interkultureller Linguistik, Pragmatik, Lexikologie, Semantik, Kontaktlinguistik und Grammatikographie ist auch die Sektion Fremdsprachendidaktik vertreten. Darüber hinaus werden in dem Sammelband Fragen für künftige Forschungen formuliert.
This volume presents 34 papers delivered at the 45th Linguistics Colloquium in Veszprém (Hungary) from 16th to 18th September, 2010. The authors deal with older and newer fields of work in linguistics as well as their innovative results. The international composition of the participants and the various methodological positions and aspects of the academic activities in linguistics offer the possibility of a broad field of research. Apart from Applied Linguistics, Intercultural Linguistics, Pragmatics, Lexicology, Semantics, Contact Linguistics and Grammaticography, the book also presents Foreign Language Didactics. Moreover, the book suggests topics for future research.

Inhaltsverzeichnis

  • Cover
  • Titel
  • Copyright
  • Autorenangaben
  • Über das Buch
  • Zitierfähigkeit des eBooks
  • Inhaltsverzeichnis
  • Vorwort
  • Plenarvorträge
  • Peter Ernst: Plädoyer für eine Linguistik der Emotionen
  • Csaba Földes: Fremd-, Zweit- und Minderheitensprachen in Ungarn – als Problem- und Handlungsfeld für die Sprachenpolitik
  • Zoltán Kövecses: Metaphor, discourse, context. A cognitive linguistic perspective
  • Kontrastive Linguistik
  • Marina Andrazashvili: Strukturtypen deutschsprachiger Toponyme hinsichtlich ihres Übertragungspotenzials
  • Irene Doval – Sandra Weis: Spatiale Relationen kontrastiv Deutsch/Spanisch
  • Blaženka Filipan-Žignić: Sprache von kroatischen und deutschen Weblogs
  • Szilvia Győr: (Nicht)Realisierung von Lokalbestimmungen – Darstellung ausgewählter deutscher und ungarischer Verben
  • Maurice Vliegen: Das niederländische blijken samt seinen lexikalischen Pendants im Deutschen. Ein kontrastives Problem
  • Arndt Wigger: Verbpräfixe, Präfixverben, Partikelverben – and phrasal verbs: Ungarisch und Deutsch im Kontrast und im europäischen Kontext
  • Lexikologie und Semantik
  • Katrin Schöpe: Von Außenseitern und Spitzenreitern. Der deutsche Pferdesport und seine Fachsprache
  • Armin Burkhardt: Vom ”Stabilisierungseinsatz” zum ”Krieg”. Linguistische Beobachtungen zum Diskurs über das militärische Engagement der Bundeswehr in Afghanistan
  • Valentina Postovalova: Ontolinguistik im epistemologischen Raum der modernen Wissenschaft
  • Reinhard Rapp: Constructing a Distributional Thesaurus by Applying Latent Semantic Analysis to a Part-of-Speech-Tagged Corpus
  • Tatiana Shabanova: Invariant meaning of Perfective and Non Perfective Aspect in Russian
  • Tanja Škerlavaj: Zu einigen Aspekten der Ambiguität in deutschen Texten der Gegenwart
  • Valentina Stepanenko: Ontologische Konzeptologie als eine der Richtungen in der Konzeptforschung: Tradition und Innovation
  • József Tóth: Kontrastive (deutsch-ungarische) semantische Analysen: Weiterentwicklung des ereignisstrukturbasierten Ansatzes
  • Interkulturelle Linguistik und Sprachkontaktforschung
  • Ioana Creţu: Brânză ist kein Käse – Interkulturelle Spracherscheinungen in Siebenbürgen
  • Éva Forintos: Loanshifts of Australian-Hungarian and Canadian-Hungarian Language Contact
  • Zsuzsanna Szilvási: Züge der früheren Minderheitensprachenpolitik Norwegens und deren Folgen für die samische Minderheit
  • Mustafa Yagbasan: Die Rolle der Mediensparche in der interkulturellen Kommunikation – Eine vergleichende Diskursanalyse
  • Grammatikographie
  • Klaus-Dieter Gottschalk: What about HOW ABOUT + Sentence in Chabon’s Fiction?
  • Ryoko Naruse-Shima – Norio Shima: Resultative Konstruktionen im Englischen und Deutschen: Einheitlichkeit und Vielgestaltigkeit der grammatisch-funktionalen Manifestationen in ausgewählten Texten
  • Anni Rääts: Zur Kasusvariation bei Emotionsverben im Estnischen und Deutschen
  • Imre Szigeti: Wortbildung und Kognition: Ist Konversion tatsächlich ein Wortbildungsmittel?
  • Heinrich Weber: Seit wann kennt man Nebensätze?
  • FS-Didaktik
  • Zsuzsa Kurtán: Interactions in Disciplinary Textbook Discourse
  • Manana Kutelia: Englisch als lingua franka – Deutsch als Stiefkind? Erfahrungen aus dem georgischen Schulwesen
  • Vladimir Legac: Willingness to Communicate and Achievement in Listening Comprehension in Monolingual and Bilingual Students of English as a Foreign Language
  • Angewandte Linguistik
  • Maria Grozeva: Linguistische ‚Hecken‘ im Internetforum
  • Annie Houle – Jacques Ladouceur: Natural Language Processing Applied to Justice: Authorship Analysis of Short Texts Written in French
  • Haruko Miyakoda: Phonological knowledge and phonological awareness: FOCUS ON pathological speech
  • Márta Murányi-Zagyvai: Englische Buchstabenwörter als Innovation in der Fachprache der chemischen Analytik
  • Kazimierz A. Sroka: Language change or only different methods of translation: Overt pronominal vs. covert direct object in Bible translation into Hungarian in different epochs
  • Autorenverzeichnis
  • Reihenübersicht

Vorwort

Das Germanistische Institut der Pannonischen Universität Veszprém veranstaltete vom 16. bis 18. September 2010 unter der Leitung von Herrn Univ.-Doz. Dr. József Tóth und in Zusammenarbeit mit Herrn Prof. Dr. Dr. Csaba Földes eine internationale Tagung zum Thema „Die Sprache und ihre Wissenschaft zwischen Tradition und Innovation / Language and its Study between Tradition and Innovation“.

Erklärtes Ziel und mittlerweile Arbeitsschwerpunkt des Linguistischen Kolloquiums ist seit seiner Gründung in Hamburg im Jahre 1966, Ergebnisse der internationalen linguistischen Forschung zu präsentieren und ein lebendiges Forum für Fachdiskussionen zwischen etablierten Forschern und Nachwuchswissenschaftlern zu sein. Dieser Tradition folgend wurde das Rahmenthema für die Veszprémer Tagung gewählt – nicht zuletzt um eine Brücke zwischen Tradition und Innovation sprachwissenschaftlicher Forschungen zu bilden.

Die Themenwahl folgt einerseits der Tradition des Linguistischen Kolloquiums, den Titel bewusst sehr weit zu fassen, damit die Tagungsteilnehmer aus der ganzen Welt ihre vielfältigen Forschungsinteressen und -schwerpunkte einbringen können. Auf der anderen Seite wurde der Fokus durch das Rahmenthema auf ältere und neuere Arbeitsfelder der Sprachwissenschaft sowie auf ihre innovativen Ergebnisse ausgerichtet.

Die Sektionsarbeit war breit gefächert: neben Angewandter Linguistik, Interkultureller Linguistik, Pragmatik, Lexikologie und Semantik, Kontaktlinguistik und Grammatikographie war auch die Sektion Fremdsprachen-Didaktik mit Vorträgen vertreten, da dieser Fachdisziplin auf internationalen Tagungen immer große Aufmerksamkeit geschenkt wird.

Prof. Dr. Dr. Csaba Földes (Veszprém) stellte in seinem Plenarvortrag „Fremd-, Zweit- und Minderheitensprachen in Ungarn – als Problem- und Handlungsfeld für die Sprachenpolitik“ die gegenwärtige Situation von Sprachen im Karpatenbecken unter sprachen- und bildungspolitischen Aspekten vor.

Nach dem Plenarvortrag liefen vier Sektionen parallel. Die Sektion „Lexikologie und Semantik“ wurde von Prof. Dr. Dr. h.c. Armin Burkhardt (Magdeburg) mit dem Referat „Zwischen Stabilisierungseinsatz und Krieg. Linguistische Beobachtungen zum Diskurs über das militärische Engagement der Bundeswehr in Afghanistan“ eröffnet. In seinem Referat erläuterte er die lexikalisch-semantischen Mechanismen bei der Suche nach adäquaten Bezeichnungen des im Afghanistan-Diskurs verwendeten kriegerischen Wortschatzes. ← ix | x →

Unter dem Titel „Englisch als lingua franca – Deutsch als Stiefkind? Erfahrungen aus dem georgischen Schulwesen“ wurde von Prof. Dr. Manana Kutelia (Tbilissi) das aktuelle Sprachencurriculum an georgischen Schulen – aus dem Blickwinkel der Förderung der Mehrsprachigkeit – dargestellt und Kritik an den modernen Trends in der Sprachlehrforschung formuliert.

In der Sektion Fremdsprachen-Didaktik behandelte Dr. Zsuzsa Kurtán (Veszprém) in ihrem Vortrag „Interactions in disciplinary textbook discourse“ die Beschreibung von sprachlichen Manifestation in den Interaktionen anhand von verschiedenen Lehrbüchern.

Im letzten Vortrag dieser Sektion referierte Dr. Haruko Miyakoda. In ihrem Vortrag (als Mitautorin) „Do visual data really help learners in acquiring vocabulary?“ stellte sie ein Experiment dar, dessen Hauptziel es war zu untersuchen, ob unter den Wortschatzerweiterungstechniken die visuellen Lehrmaterialien die effektivsten seien. Laut der Ergebnisse des Experiments dienen dem oben genannten Ziel Hörverstehensmaterialien eher als visuelle Lehrmaterialien.

Den ersten Vortrag in der Sektion „Semantik und Pragmatik“ hielt Prof. Dr. Wilfried Kürschner (Vechta). Er stellte die „Entschuldigung – Zur Semantik und Pragmatik der Exkulpation“ ins Zentrum seines Beitrages. Im Rahmen des Vortrags wurde eine Materialsammlung aus dem Jahr 2010 dargestellt, deren Inhalt – nach Kürschner – aus hochschuldidaktischer Sicht Grundlage einer sprechakttheoretischen Analyse nach allen Regeln der Kunst sein könnte.

Im Vortrag „Linguistische ‚Hecken‘ im Internetforum“ wurde von Prof. Dr. Maria Grozeva (Sofia) die Realisierung der soziokulturellen Charakteristiken in der Internetkommunikation beschrieben.

Prof. Dr. Tatiana Korolova und Prof. Dr. Valentyn Mogilevsky (Odessa) befassten sich in ihrem Beitrag „Relation between Attitudinal Intonation and Communicative Types of Sentences“ mit der Problematik der Intonation in den verschiedenen Kommunikationsprozessen. Die Referenten stellten die Frage, wie die Intention des Sprechers die Intonation der sprachlichen Äußerung beeinflusst.

Den zweiten Konferenztag eröffnete Prof. Dr. Dr. Zoltán Kövecses (Budapest). Mit seinem Plenarvortrag „Metaphor, discourse, context. A cognitive linguistic perspective“ beschrieb er die Entstehung von konzeptuellen Metaphern in verschiedenen Kontexten.

Im Anschluss an den Plenarvortrag begann die Sektion „Angewandte Linguistik“ mit dem Referat „Wie höflich sind die Bulgaren?“ von Anelia Lambova (Sofia). Sie stellte die sprachlichen Höflichkeitskonventionen im Bulgarischen vor und fragte danach, wie deren Merkmale zum DaF-Unterricht beitragen können. ← x | xi →

Éva Tóth (Tatabánya) untersuchte im Rahmen ihres Beitrags „Zwei Sprachen, fünf Dimensionen, sieben Situationen“ das Diskursverhalten ungarischer und deutscher Muttersprachler(innen). Der Vortrag gab einen Überblick über die interkulturellen sprachlichen Unterschiede in der alltäglichen kommunikativen Praxis.

Dr. József Tóth (Veszprém) behandelte in seinem Vortrag „Abbildung konzeptueller Ereignisschemata durch die sprachliche Struktur (deutsch-ungarischer Vergleich)“ die grammatische Manifestation der Elemente eines Ereignisses. Die Erforschung dieser Elemente kann im Mittelpunkt weiterer vergleichender deutsch-ungarischer Untersuchungen stehen.

Nach einer kurzen Kaffeepause folgte der letzte Sektionsblock der Tagung. Prof. Dr. Heinrich Weber (Tübingen) eröffnete die Sektion „Grammatikographie“ mit einem Beitrag zu der Frage „Seit wann kennt man Nebensätze?“. Der Beitrag ging der Frage nach, wie sich einerseits ein grammatisches Bewusstsein und eine Begrifflichkeit zur Beschreibung von Nebensätzen entwickelt hat, während andererseits in der Gegenwartssprache Nebensätze sehr viel zurückhaltender verwendet werden als in der Zeit, in der man sich ihres besonderen grammatischen Charakters noch nicht bewusst war.

Dr. Arndt Wigger (Bonn) behandelte in seinem Vortrag „Verbpräfixe, Präfixverben, Partikelverben – and phrasal verbs: Ungarisch und Deutsch im Kontrast und im europäischen Kontext“ die lexikalisch-semantischen, funktional-grammatischen, syntaktisch-topologischen und phonologischen Kriterien eines deutsch-ungarischen Vergleichs.

Dr. Maurice Vliegen (Amsterdam) hielt ein Referat über „Lexikalische Evidentialität Deutsch-Niederländisch“, in dessen Mittelpunkt ein kontrastiver deutsch-niederländischer Vergleich stand, wobei er auf die (fehlenden) Äquivalente einging.

Prof. Dr. Lew Zybatow (Innsbruck) zeigte in seinem Vortrag „Wie die Sprachen im Kopf miteinander sprechen – Mehrsprachigkeit durch Interkomprehension“, wie durch EuroComTranslat die lernpsychologischen und kognitiven Grundlagen der Interkomprehensionsmethode um Transferbasen erweitert werden, die der Translationskompetenz entspringen.

Diesem Beitrag folgte der thematisch weiterführende Vortrag von Michael Ustaszewski (Innsbruck) „Empirische Untersuchung zur gesteuerten Interkomprehension in den slawischen Sprachen im Rahmen der EuroComTranslat-Strategie“. Der Beitrag präsentierte die Ergebnisse der empirischen Auswertung eines Kurses, im Zuge dessen nachgewiesen werden konnte, dass nach bereits drei Unterrichtsstunden komplexe polnische Texte korrekt in die Muttersprache übertragen werden können. ← xi | xii →

Dem letzten Sektionsblock schloss sich unmittelbar der Plenarvortrag „Plädoyer für eine Linguistik der Emotionen“ von Prof. Dr. Peter Ernst (Wien) an. Der Vortrag zeigte die Möglichkeiten, aber auch die Grenzen einer „Linguistik der Emotionen“ im Allgemeinen und an Beispielen auf.

Nach einem Stadtrundgang in Veszprém setzte man das Programm mit einer an die behandelten Themen anschließenden Fachdiskussion im Rahmen der Vollversammlung des Linguistischen Kolloquiums fort. Während der Vollversammlung wurden sowohl die Berichte aus den verschiedenen Sektionen, der Erscheinungstermin der früheren Konferenzbände als auch die Orte der künftigen Linguistischen Kolloquien besprochen.

Die Teilnehmer(innen) waren der Meinung, dass die Vorträge und die Diskussion der Tagung wesentlich zur Reflexion des Rahmenthemas beigetragen haben. Die Referent(inn)en diskutierten nicht nur die innovativen linguistischen Ergebnisse, sondern auch die neueren und älteren Forschungsfelder der Sprachwissenschaft.

Die internationale Zusammensetzung und die diversen methodischen Standpunkte und Aspekte zum linguistischen Forschungsbetrieb boten die Möglichkeit, Forschungsdesiderata in Hinblick auf die Definitionsmöglichkeiten, Position und Gegenstandbestimmung von allen sprachwissenschaftlichen Bereichen aufzudecken bzw. Forschungsfragen für die Zukunft zu formulieren.

Veszprém, im Oktober 2014

Anna Mária Németh-Árvai und József Tóth

Ich danke allen Beiträgern und Beiträgerinnen für die Bereitschaft, einen Artikel für diesen Sammelband beizusteuern. Vor allem aber danke ich für ihre große Geduld, da der Band aus unterschiedlichen beruflichen und privaten Gründen bedauerlicherweise einige Zeit „auf Eis“ liegen musste.

Zu danken habe ich auch den deutschen Lektorinnen des Instituts für Germanistik und Translationswissenschaft, Frau Heide Bakai-Rottländer und Frau Johanna Backes, für ihre freundschaftliche Professionalität bei der kritischen Durchsicht aller Manuskripte. Besonderer Dank für ihre Hilfe während der Entstehung des Bandes gebührt Herrn Prof. Dr. Wilfried Kürschner und Herrn Prof. Dr. Heinrich Weber.

Für die kompetente Mitwirkung bei der Durchführung des Kolloquiums bin ich vor allem Frau Anna Mária Németh-Árvai sowie den Mitarbeiterinnen und den Mitarbeitern des Instituts für Germanistik und Translationswissenschaft an der Pannonischen Universität Veszprém dankbar. Herrn Ádám Tungli (Veszprém) sei für die Redaktion des vorliegenden Bandes gedankt. ← xii | xiii →

Ein besonderer Dank geht an den Peter Lang Verlag dafür, dass er den vorliegenden Sammelband in die Reihe Linguistik International aufgenommen hat.

Veszprém, im Oktober 2014

József Tóth

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Plenarvorträge

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Plädoyer für eine Linguistik der Emotionen

Peter Ernst

Einleitung

Am Anfang der modernen synchronen Sprachwissenschaft, bekanntlich mitbegründet durch Ferdinand de Saussure zu Beginn des 19. Jahrhunderts, steht das abstrakte System. Saussure nannte es „langue“, aber es ist nicht allein seine Erfindung, denn diese Ideen lagen damals gleichsam „in der Luft“. Die „Pragmatische Wende“ am Ende der 60-er Jahre des 20. Jahrhunderts rückten die Rolle der Gesellschaft in den Mittelpunkt der Betrachtung. Die Pragmatiker sahen und sehen keinen Sinn in der Beschreibung von Sprache als abstraktem System, sondern nur in der Herausarbeitung der soziologischen Funktionen und Leistungen von Sprache. Es scheint, als würden wir nun, am Anfang des 21. Jahrhunderts, vor einem weiteren Wendepunkt der Linguistik stehen – oder wahrscheinlich sind wir schon mitten in der Entwicklung –, die das Individuum als Maß aller Dinge sieht. Im Zentrum der Betrachtung steht der einzelne Sprachverwender: Die Kognitive Linguistik möchte wissen, was in seinem Gehirn vor sich geht, die Perzeptive Sprachforschung erkundet die Meinungen und Ansichten der Sprachbenutzer über ihre eigene Sprache und die der Anderen, und auf einmal stehen individuelle Erfahrungen wie Höflichkeit und Gefühle im Zentrum der Aufmerksamkeit.

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Abb. 1:„My Fair Lady“

Wer kennt nicht die berühmte Szene in Georg Cukors Verfilmung des Musicals „My Fair Lady“ (1964), in der Eliza beim Pferderennen in Ascot alle distinguierte Manieren – auch und besonders in ihrem sprachlichen Gebrauch – vergisst und in einem Ausbruch von Emotionalität (schließlich geht es beim Wett ← 3 | 4 → einsatz um viel Geld, für sie eine zusätzliche, äußerst starke Motivation) „ihr“ Pferd Dover mit „Come on, Dover, move your blooding as“ vor der versammelten „feinen Gesellschaft“ anfeuert. Sie fällt nicht nur dadurch aus ihrer gesellschaftlichen Rolle, dass sie Emotionen in dieser Situation zulässt, sondern vor allem, dass sie ihnen sprachlichen Ausdruck verleiht. Zusätzlich fällt sie durch die Emotionalität der Situation in ihre sprachliche Grundsozialisierung zurück: den Dialekt. Sie hat somit die Probe ihres ersten Auftritts in der neuen sprachlichen Sozialisierung nicht bestanden, und ihr Kardinalfehler war die Emotionalität ihrer Sprache.

Gefühle, Affekte, Emotionen

Wenn es richtig ist, dass Sprache nicht die Wirklichkeit, sondern Konzepte der Wirklichkeit abbildet, müssen wir uns fragen, welche Konzepte für „Gefühle“ durch Sprache wiedergegeben werden. Oder anders herum: Welche sprachlichen Möglichkeiten stehen dem einzelnen Sprachverwender – und dann verallgemeinernd einer Sprachgemeinschaft – zur Verfügung, um außersprachliche Gefühle sprachlich zu kodieren und – damit die Hörerseite auf keinen Fall vernachlässigt wird – zu dekodieren? Das Grundproblem besteht darin, dass wir zwar sprachliche Ausdrücke wie „Wut“, „Angst“, „Freude“ zur Verfügung haben, aber sind die außersprachlichen Gefühle, die wir mit diesen Ausdrücken verbinden, wirklich bei allen Individuen dieselben – ganz abgesehen von den Unterschieden zwischen unterschiedlichen Sprachgemeinschaften (wir kommen darauf zurück). Und noch etwas Entscheidendes: Wenn wir mit sprachlichen Ausdrücken wie „Wut“, „Angst“, „Freude“ operieren, macht es einen Unterschied, ob wir die kognitiv damit verbunden Gefühle in diesem Moment auch empfinden oder ob wir uns bloß an einen Zustand erinnern, in dem wir diese Gefühle empfunden haben? Gleichzeitig geht der einzelne Sprachverwender wie selbstverständlich davon aus, dass die anderen auch über dasselbe kognitive Bedeutungsspektrum der Begriffe „Wut“, „Angst, „Freude“ u. dgl. verfügen – aber ist das auch wirklich der Fall?

Die Frage nach der Terminologie gefühlsbeschreibender Fachwörter führt zu keiner klaren Regelung im Deutschen (vgl. dazu Schwarz-Friesel 2007: 138–143 mit Blick auf die Forschungssituation). Im Allgemeinen werden „Affekt“, „Gefühl“ und „Emotion“ verwendet. Häufig kommt die vollkommen synonyme Verwendungsweise von „Gefühl“ und „Emotion“ vor, wobei dem Ausdruck „Emotion“ vor allem wegen seinem Fachwortcharakter (als Fremdwort) der Vorzug gegeben wird (vgl. engl. „emotion“). Wir wollen im Folgenden aber diese Unterscheidung treffen: ← 4 | 5 →

1.Mit „Affekt“ wird die rein körperliche Reaktion als Begleiterscheinung eines Gefühls bezeichnet, etwa Rotwerden bei Scham, Bluthochdruck bei Zornausbrüchen.

2.„Gefühl“ bezeichnet einen erlebten Bewusstseinszustand zum Zeitpunkt seines Erlebens, etwa das Empfinden von Angst, Freude usw.

3.„Emotion“ ist der umfassendste Terminus und meint beides zugleich, Affekt und Gefühl. Zusätzlich enthält es eine kognitive Komponente, nämlich das (nachträgliche) Wissen um das Vorhandensein früherer Gefühle, auch wenn wir sie im Moment des Beschreibens nicht empfinden. Wir werden im Folgenden „Emotion“ als dem Überbegriff den Vorzug geben.

Grundsätzlich besteht folgendes Problem (vgl. dazu Kövecses 1985a), wie stets bei der Benennung der realen Welt, die uns umgibt: Bestehen Emotionen a priori und ordnen wir beim sprachlichen Agieren den außersprachlichen Entitäten sprachliche Begriffe zu (also der Emotion „Wut“ oder der Erinnerung an die Emotion „Wut“ den sprachlichen Ausdruck Wut) oder passen wir die außersprachlichen Emotionen unseren erlernten sprachlichen Ausdrucksmitteln an (also die Emotion „Wut“ den Begriffen, die wir dafür haben)? Die Frage gleicht jener nach der Henne und dem Ei, denn aus synchronisch-systemischem Bewusstsein ist dieses Problem, das natürlich auch der Beurteilung der „sprachlichen Relativität“ und der Bemessungsgrundlage der sprachlichen Ausdrücke für außersprachliche Entitäten zugrunde liegt, niemals zu klären.

In Zusammenhang damit steht die Frage, ob sprachliche Bezeichnungen für Emotionen universal, also in allen Sprachen der Welt gleich sind oder ob sie einzelsprachliche Phänomene darstellen. Der erste Fall würde dafür sprechen, dass die Emotionen grundlegend sind und die sprachlichen Benennungen sekundär, der zweite Fall für das Gegenteil. Eine mittlerweile „klassische“ Untersuchung von Frijda/Markam/Sato/Wiers (1995) hat die Bezeichnung für Emotionen in elf Ländern miteinander verglichen (Belgien, Frankreich, die Schweiz, Italien, die Niederlande, England, Kanada, Indonesien, Japan, Surinam und die Türkei). Die Emotionswörter wurden von Sprechern erfragt, die die häufigsten Begriffe in ihrer Sprache nennen wollten. Der Erkenntnisgewinn der Studie liegt nicht nur darin, dass mehrere Länder Varianten derselben Sprache verwenden (z.B. Englisch in England und Kanada, Französisch in Belgien, Frankreich und der Schweiz), sondern auch Sprachen verschiedenen Sprachtyps (indogermanische, Turksprachen etc. bzw. flektierende, agglutinierende Sprachen etc.) miteinander verglichen werden (vgl. Abb. 2). ← 5 | 6 →

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Abb. 2:Die zwölf meistgebrauchten Emotionswörter in 11 Gruppen, aus Frijda/Markam/Sato/Wiers (1995: 122)

Die Tabelle zeigt einen großen Grad an sprachlicher Übereinstimmung: So sind die Bezeichnungen für Emotionen wie „Freude“ (joy) und „Glück“ (happiness) in der englischen Gruppe durchaus vergleichbar; ingesamt kommen vergleichbare Ausdrücke in 10 der 11 untersuchten Ländern vor (Abb. 3). Andererseits gibt auch eklante Abweichungen wie das Türkische, das aus allen Gruppen „herausfällt“.

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Abb. 3:Die sprachlichen Ausdrücke für joy, aus Frijda/Markam/Sato/Wiers (1995: 122) [Hervorhebungen von P.E.] ← 6 | 7 →

Auf der anderen Seite existieren aber auch Lücken im Wortfeld. Für bestimmte Emotionen wie „Hass“ (hate) gibt es keineswegs in allen Sprachen Entsprechungen (vgl. Abb. 4). Das kann wohl keinesfalls so interpretiert werden, dass die Sprecher in Ländern wie Belgien oder Japan die Emotion „Hass“ nicht kennen.

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Abb. 4:Die sprachlichen Ausdrücke für hate, aus Frijda/Markam/Sato/Wiers (1995), 122. [Hervorhebungen von P.E.]

Frijda/Markam/Sato/Wiers kommen daher zum Schluss, dass es kulturelle Unterschiede zwischen verschiedenen Sprachgruppen gibt, dass aber daraus nicht geschlossen werden darf, dass auch die zugrundeliegenden außersprachlichen Emotionen unterschiedlich sind (Frija 1995: 141). Mit anderen Worten: Alle Menschen empfinden offenbar ähnliche Emotionen wie „Freude“ und „Hass“, die Bezeichnungen dafür sind aber nicht 1:1 in alle Sprachen transferier- oder übersetzbar.

Sprachliche Referenz auf Emotionen

Es erhebt sich daher die Frage, mit welchen sprachlichen Mitteln auf welche Emotionen referiert werden kann. Mit Fries (1996), Weber (2010: 325–327) und Wolf (2010: 32–35) können wir für das Deutsche folgende Möglichkeiten feststellen: ← 7 | 8 →

(1)Es muss ein grundsätzlicher Unterschied zwischen gesprochener und geschriebener Sprache gemacht werden. Bei mündlicher Kommunikation können durch Mittel der Akzentsetzung und Intonation sowie der Mimik und Gestik besonders hervorgehoben oder unterschieden werden. Diese Mittel stehen bei geschriebener Sprache nicht zur Verfügung und müssen durch andere ersetzt werden:

(2)Bestimmte sprachliche Mittel weisen direkt auf Emotionalität der Aussagen:

(2a)Interjektionen: ah, oh, hurra, stöhn, schwitz u. dgl.
(2b)„Emotica“, viel gebraucht im Internetverkehr: :-) (für Lachen), ;-) für Zwinkern, :-( (für Ablehnung oder Trauer), lol (= laughing out loud) usw.
(2c)Dialektalismen oder Jargon: Der Zoff geht weiter (Spiegel 31/2005: 21, zit. nach Weber 2010: 327); Fremdwörter als Ausdruck der Distanz: Dieser Wagen hebt ihr Prestige.
(2d)Anakoluthe, Ellipsen und andere Mittel, um die sprachliche Kontinuität und die formale Einheitlichkeit zu zerstören: Nun ja, ich will … möchte … es muss nun einmal gesagt werden …
(2e)Direkte Rede: „Mit Freude!“, sagte der Angeklagte
(2f)„Schmückende Beiwörter“: das süße Mädchen

(3)Sprechereinstellungen zum Mittgeteilten drücken ebenfalls eine gewisse Form von Emotionalität aus (vgl. Wolf 2010: 32):

(3a)epistemisch (Wissen oder Gewissheit betreffend): fraglos, unzweifelhaft, offenkundig, begreiflicherweise
(3b)doxisch (Annahmen, Vermutungen, Hypothesen ausdrückend): anscheinend, wahrscheinlich, sicherlich
(3c)distanziert (Zweifeln, Distanz ausdrückend): angeblich, scheinbar
(3d)evaluativ (Bewertungen betreffend): leider, bedauerlicherweise, Gottsei-Dank

(4)Bestimmte syntaktische Konstruktionen weisen eine bestimmte Zuweisung von emotionalem Status auf:

(4a)die so genannte intensivierende Genitivkonstruktion: die Nacht der Nächte
(4b)Exklamativsätze: Was hast du für schöne Haare!
(4c)Optativsätze: Hätte ich doch im Lotto gewonnen!

Dieses Set an sprachlichen Möglichkeiten erlaubt noch keine Aussage darüber, wie und in welchem Ausmaß diese auch tatsächlich eingesetzt werden. Der Gebrauch von Emtionsmarkern hängt von vielen Faktoren ab, etwa ob mündlich oder schriftlich kommuniziert wird, oder welche Textsorte vorliegt – in einem ← 8 | 9 → fachsprachlichen Text werden üblicherweise weniger Emotionen ausgedrückt als in einem Liebesgedicht.

Ausblick

Die linguistischen Zugangsmöglichkeiten zur Erfassung der emotionalen Ebene sind vielfältig. Als sehr ergiebig und auf viele Sprachen anwendbar erscheint das Konzept der Metapher. So hat Kövecses das mittlerweise sehr bekannte Modell für „Ärger“ als ‚heiße Flüssigkeit in einem Gefäß‘ (hot fluid in a container) präsentiert, das in Redewendungen wie kochen vor Zorn/Ärger in äußerst vielen Sprache, nicht nur indogermanischen (so auch dem Ungarischen), bekannt ist (my boold boils, boiling with anger; Kövecses 1995b, bes. 55). Bergerová baut diesen Ansatz aus und vergleicht andere Emotionsausdrücke ebenfalls metaphorisch (Bergová 2011, 11):

„Mangel an Emotionen ist Kälte: kalte Augen, frostiger Empfang, kühler Kopf“
„Emotionaltität ist Wärme: Warmherzigkeit, heiße Liebe […]“

Details

Seiten
XIII, 420
Jahr
2015
ISBN (PDF)
9783653045253
ISBN (ePUB)
9783653985962
ISBN (MOBI)
9783653985955
ISBN (Hardcover)
9783631651780
DOI
10.3726/978-3-653-04525-3
Sprache
Deutsch
Erscheinungsdatum
2015 (April)
Schlagworte
Kontrastive Linguistik Lexikologie Semantik Grammatikographie Sprachkontaktforschung Interkulturelle Linguistik
Erschienen
Frankfurt am Main, Berlin, Bern, Bruxelles, New York, Oxford, Wien, 2015. XIII, 420 S., 7 farb. Abb., 16 s/w Abb., 21 Tab.

Biographische Angaben

József Tóth (Band-Herausgeber:in)

József Tóth ist Universitätsdozent für germanistische Linguistik an der Pannonischen Universität Veszprém (Ungarn). Seine Schwerpunkte in Forschung und Lehre sind Lexikologie, Semantik, Pragmatik, Syntax, Morphologie, kontrastive Linguistik und kognitive Linguistik. József Tóth is University Lecturer in German Linguistics at the University of Pannonia Veszprém (Hungary). His main areas of research and teaching are Lexicology, Semantics, Pragmatics, Syntax, Morphology, Contrastive Linguistics and Cognitive Linguistics.

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