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Die Reaktion des europäischen Beihilferechts auf die Finanz- und Wirtschaftskrise

Temporary Framework oder grundsätzliche Neuorientierung?

von Alexandra Isabelle Siedschlag (Autor:in)
©2014 Dissertation XIV, 218 Seiten

Zusammenfassung

Diese Arbeit stellt die mit der globalen Finanz- und Wirtschaftskrise einhergehenden Entwicklungen auf dem Gebiet des europäischen Beihilferechts dar. Diese sind der Ausgangspunkt für die kritische Auseinandersetzung mit der Frage, ob sich das Beihilferecht in der Krise bewährt hat. In diesem Rahmen wird untersucht, ob die Kommission grundsätzlich an der neuen Praxis des Beihilferechts festhalten sollte, was zu dessen Weiterentwicklung geboten ist und ob beziehungsweise inwieweit es einer grundlegenden Neuorientierung bedarf. Die Verfasserin kommt zu dem Ergebnis, dass sich das Beihilferecht insgesamt bewährt hat und es somit keiner grundsätzlichen Neuorientierung bedarf.

Inhaltsverzeichnis

  • Cover
  • Titel
  • Copyright
  • Autorenangaben
  • Über das Buch
  • Zitierfähigkeit des eBooks
  • Inhaltsverzeichnis
  • Abkürzungsverzeichnis
  • 1. Kapitel: Einleitung
  • A. Einführung in die Thematik
  • B. Gegenstand der Untersuchung
  • C. Vorgehensweise
  • 2. Kapitel: Rechtsgrundlagen des Beihilferechts
  • A. Beihilfenverbot gemäß Art. 107 Abs. 1 AEUV
  • I. Begriff „staatliche Beihilfe“
  • II. Tatbestandsmerkmale des Beihilfebegriffes
  • 1. Bewirken eines wirtschaftlichen Vorteils für das Unternehmen
  • a. Bewirken eines wirtschaftlichen Vorteils („Begünstigung“)
  • b. Unternehmen als Begünstigte
  • 2. Transfer „staatlicherseits“
  • 3. „Selektivität“ der Zuwendung
  • 4. Wettbewerbsverfälschung und Beeinträchtigung des zwischenstaatlichen Handels
  • III. Formen staatlicher Beihilfen
  • 1. Garantie
  • 2. Bürgschaft
  • B. Ausnahmen nach Art. 107 Abs. 2 und 3 AEUV
  • I. Tatbestände
  • 1. Art. 107 Abs. 3 lit. a) AEUV
  • 2. Art. 107 Abs. 3 lit. b) AEUV
  • 3. Art. 107 Abs. 3 lit. c) AEUV
  • 4. Art. 107 Abs. 3 lit. d) und e) AEUV
  • II. Das Ermessen der Kommission
  • 1. Grundlagen
  • 2. Die Entwicklung der Genehmigungspraxis
  • 3. Gemeinschaftsrahmen, Leitlinien und Mitteilungen
  • a. Rechtsnatur
  • b. Bindungswirkung
  • 4. Die Gruppenfreistellung von Beihilfen durch Kommissionsverordnungen
  • a. Die Ermächtigungsverordnung Nr. 994/98 (VO)
  • b. Gruppenfreistellungsverordnungen
  • aa. Gruppenfreistellungen für horizontale und regionale Beihilfen
  • bb. Kontrollmechanismen
  • cc. De-minimis-Beihilfen
  • c. Allgemeine Gruppenfreistellungsverordnung
  • 5. Horizontale Beihilfen
  • a. KMU
  • b. Forschung, Entwicklung, Innovation
  • c. Umweltschutzbeihilfen
  • d. Risikokapitalbeihilfen
  • e. Rettungs- und Umstrukturierungsbeihilfen
  • aa. Grundsätzliches zu den R&U-Leitlinien
  • bb. Unternehmen in Schwierigkeiten
  • cc. Voraussetzungen der R&U-Beihilfen
  • (1) Rettungsbeihilfe
  • (2) Umstrukturierungsbeihilfe
  • C. Beihilfeverfahren nach Art. 108 AEUV
  • I. Kompetenzen
  • II. Differenzierung zwischen bestehenden und neuen Beihilfen
  • III. Kontrollverfahren bezüglich neuer Beihilfen
  • 1. Notifizierung und Vorprüfungsverfahren
  • 2. Beihilferegelungen und Einzelbeihilfen
  • 3. Das Hauptprüfverfahren („förmliches Prüfverfahren“)
  • IV. Fortlaufende Kontrolle bestehender Beihilfen
  • V. Rechtswidrige Beihilfen und ihre Kontrolle
  • 3. Kapitel: Die europäische Beihilfepraxis während der Krise
  • A. Die Kommissionspraxis in der Finanzwirtschaft
  • I. Systemrelevanz
  • II. Rechtliche Grundlage für krisenspezifische Maßnahmen
  • 1. Traditioneller Ansatz: R&U-Beihilfen nach Art. 107 Abs. 3 lit. c) AEUV
  • 2. Feststellung der Ungeeignetheit der R&U-Leitlinien
  • a. Nichteignung der R&U-Leitlinien für „grundsätzlich gesunde Banken“
  • b. Reversibilität von Rettungsbeihilfen
  • c. Befristung von Rettungsbeihilfen
  • d. Grundsatz der einmaligen Beihilfe
  • e. Dauer des Genehmigungsverfahrens
  • 3. Neuer Ansatz: Die Aktivierung von Art. 107 Abs. 3 lit. b) AEUV
  • 4. Gezielte Unterstützung des Bankensektors durch Mitteilungen
  • a. Bankenmitteilung
  • aa. Beträchtliche Störung im Wirtschaftsleben eines Mitgliedstaates
  • bb. Unterscheidung zwischen gesunden und nicht gesunden Banken
  • cc. Weitere Bestimmungen
  • dd. Konkrete Rettungsmaßnahmen für den Bankensektor
  • (1) Garantien
  • (2) Rekapitalisierung von Finanzinstituten
  • (3) Kontrollierte Liquidation und Bereitstellung anderer Liquiditäts-beihilfen
  • b. Vernachlässigung des Grundsatzes der einmaligen Beihilfe
  • c. Rekapitalisierungsmitteilung
  • aa. Unterscheidung zwischen Bankentypen
  • (1) Gesunde Banken
  • (2) Nicht gesunde Banken
  • bb. Anreize für Rückzahlung
  • d. Risikoaktivamitteilung
  • aa. Voraussetzungen für Entlastungsmaßnahmen
  • (1) Beihilfecharakter der Rettungsmaßnahme
  • (2) Offenlegung der Wertminderung und Rentabilitätsprüfung
  • (3) Kohärente Kostenverteilung 81
  • (4) Bewertung der wertgeminderten Vermögensstände
  • (5) Vergütung der Entlastungsmaßnahme
  • bb. Folgemaßnahmen während der Umstrukturierungsphase
  • e. Umstrukturierungsmitteilung
  • aa. Wiederherstellung der langfristigen Rentabilität
  • bb. Eigenbeitrag des Begünstigten/Lastenverteilung
  • cc. Ausgleichsmaßnahmen
  • dd. Kein Grundsatz der einmaligen Beihilfe
  • f. Verlängerungsmitteilung
  • g. Verlängerungsmitteilung ab dem 1. Januar 2012
  • B. Die Kommissionspraxis in der Realwirtschaft
  • I. Einführung „Vorübergehender Gemeinschaftsrahmen“
  • II. Inhalt des Gemeinschaftsrahmens
  • 1. De-minimis-Beihilfen
  • 2. Beihilfen in Form von Garantien
  • 3. Beihilfen in Form von Zinszuschüssen
  • 4. Sonstige Beihilfeinstrumente
  • 5. Verfahrensvorschriften
  • III. Verlängerung des Gemeinschaftsrahmens
  • C. Die Umsetzung der krisenspezifischen Beihilfevorschriften
  • I. Bankensektor
  • II. Realwirtschaft
  • D. Rettungsmaßnahmen in der Bundesrepublik während der Krise
  • I. Das Finanzmarktstabilisierungsgesetz
  • 1. Grundlagen der Beihilferegelung
  • a. Überblick
  • b. FMStG i.V.m. FMStFG
  • aa. SoFFin
  • bb. FMSA
  • cc. Die einzelnen Instrumente
  • (1) Garantieermächtigung
  • (2) Rekapitalisierung
  • (3) Risikoübernahme
  • (4) Auflagen bei Stabilisierungsmaßnahmen
  • dd. Entscheidungsverfahren über die Stabilisierungsmaßnahmen
  • 2. Die Vereinbarkeitsentscheidung der Kommission zur Beihilferegelung
  • a. Klassifizierung des Rettungspaketes als Beihilfe
  • b. Vereinbarkeit mit dem Binnenmarkt
  • II. Rettungspakete für die Realwirtschaft
  • 1. Konjunkturpaket I
  • 2. Konjunkturpaket II
  • 3. Die einzelnen Förderprogramme
  • a. Das KfW-Sonderprogramm der Konjunkturpakete I und II
  • b. Das Bürgschaftsprogramm
  • aa. Antragsprocedere für Bürgschaften
  • bb. Kriterien für die Vergabe von Krediten und Bürgschaften
  • c. Bundesregelung Kleinbeihilfen
  • d. Sonstige Förderprogramme
  • e. Kein Unternehmen in Schwierigkeiten
  • 4. Kapitel: Kritische Würdigung
  • A. Chronologie des beihilferechtlichen Krisenmanagements
  • B. Aspekte und Perspektiven
  • C. Analyse de lege lata
  • I. Rechtliche Möglichkeiten
  • 1. Mögliche materiell-rechtliche Grundlagen für krisenspezifische Maßnahmen
  • a. Art. 107 Abs. 2 lit. b) AEUV
  • b. Art. 107 Abs. 3 lit. c) AEUV
  • c. Art. 107 Abs. 3 lit. b) 2. Alt. AEUV
  • d. Wirtschaftspolitisch geprägte Ausgleichsmaßnahmen
  • e. Kompetenzüberschreitung durch wirtschaftspolitische Maßnahmen
  • f. Rechtfertigung der Kompetenzüberschreitung
  • 2. Verfahrensrechtliche Grundlagen für Krisenmaßnahmen
  • a. Rationalisierung der Genehmigungspraxis
  • b. Zusagenentscheidungen in Abkehr vom ex ante Kontrollsystem
  • c. Verfahrensrechtliche Aspekte und Rechtsschutz Dritter
  • d. Qualität der Prüfung
  • II. Denkbare Alternativen während der Krise
  • 1. Aussetzen des Beihilfeverbots
  • 2. Erweiterte Auslegung der R&U-Leitlinien
  • 3. Weitere stringente Anwendung der R&U-Leitlinien
  • III. Bewährung des (bestehenden) Beihilferechts in der Krise
  • 1. Zwischenbilanz der Beihilfepraxis
  • 2. Die Vereinbarkeit von Flexibilität und Kontrolle
  • 3. Restriktiver Ansatz und gradueller Ausstieg
  • 4. Kritische Würdigung der abstrakten Parameter
  • a. Mangelnde Präzision und divergierende Rettungsmaßnahmen
  • b. Pauschale Einteilung in Bankentypen
  • c. Ungenaue Anforderungen an Beihilfen
  • d. Systemrelevanz
  • e. Stichtagsregelung
  • f. Stellungnahme
  • 5. Kritische Würdigung aus praktischer Sicht
  • a. Restriktive Kreditvergabe
  • b. Zurückhaltende Inanspruchnahme von Bürgschaften
  • c. Bedeutungszuwachs der Kommission
  • d. Intransparentes Mandatarsystem
  • D. De lege ferenda
  • 5. Kapitel: Fazit
  • Literaturverzeichnis

Abkürzungsverzeichnis

1.  Kapitel: Einleitung

A.  Einführung in die Thematik

Im Jahre 2008 erfasste die Finanzmarktkrise, die sich zunächst in den USA entwickelt hatte und dort dann auch eskalierte, das gesamte internationale Finanzsystem. Sie betraf zunächst nur den Bankensektor. Das zunehmende Misstrauen unter den Banken hatte gravierende Auswirkungen auf die Bereitschaft zur Darlehensgewährung. Die restriktive Kreditvergabebereitschaft schwächte vor allem Kreditinstitute, die auf kurzfristige Refinanzierungen angewiesen waren.1 Die Insolvenz der Investmentbank Lehman Brothers Mitte 2008 lähmte schließlich den gesamten internationalen Finanzsektor. Der sich damit einstellende Vertrauensverlust in den Bankensektor zeigte sich auch in Europa. Es war unübersehbar, dass sich die Krise nicht nur auf einige Banken mit risikoreicher Geschäftspraxis beschränkte.2 Angesichts der starken globalen Vernetzung der Finanzmärkte führte die zurückhaltende oder gänzlich verweigerte Kreditvergabe zu enormen Verlusten oder gar Insolvenzen von Finanzunternehmen. Auch grundsätzlich „gesunde“ Unternehmen wurden von den Liquiditätsschwierigkeiten erfasst.3 Ende 2008 weitete sich die Krise schließlich auch auf die Realwirtschaft aus. Das führte in ganz Europa zu staatlichen Interventionen beachtlichen Ausmaßes. Unzählige Rettungsaktionen für einzelne betroffene Banken und umfassende Maßnahmenpakete waren die Folge. Die Aktionen zielten darauf ab, den Krisenherd einzudämmen und weitere negative Folgen abzuwenden.

Diese staatlichen Eingriffe in den Kreislauf der Wirtschaft zugunsten bestimmter Sektoren oder Unternehmen erfolgen nicht im rechtsfreien Raum, sie waren und sind vielmehr der strengen wettbewerbsrechtlichen Kontrolle der Europäischen Beihilfeaufsicht unterworfen. Diese richtet sich nach den primärrechtlichen Vorschriften der Art. 107 ff. AEUV. Wenngleich Beihilfemaßnahmen zur Krisenüberwindung durchaus sinnvoll sein können, so lassen sich aber auch als Folge Verzerrungen des zwischenstaatlichen Handels und eine Verfälschung des ← 1 | 2 → Wettbewerbs im Binnenmarkt nicht gänzlich ausschließen.4 Im Rahmen der ihr zugewiesenen Beihilfenaufsicht gemäß Art. 108 AEUV fällt der Europäischen Kommission die schwierige, oft auch politisch unpopuläre Aufgabe zu, die Beihilferegelungen der Staaten zu überprüfen. Die Beaufsichtigung zielt auf das ordnungsgemäße Funktionieren eines unverfälschten Wettbewerbs im Binnenmarkt.

Für die im Zusammenhang mit der internationalen Finanzmarktkrise eingetretenen ökonomischen Schwierigkeiten musste die Kommission spezielle Lösungen finden. Insbesondere als Beihilfeaufsichtsbehörde sah sie sich mit außerordentlich schwierigen Herausforderungen konfrontiert. Es galt, den Spagat zwischen dem Erhalt wettbewerbsrechtlicher Grundsätze und der krisenbedingt notwendigen Flexibilisierung des Beihilferechts zu meistern.5 Zur Umsetzung der wirtschaftspolitisch als notwendig erkannten Rettungsmaßnahmen, die nicht am Europäischen Beihilferecht scheitern durften, lockerte die Kommission die beihilferechtlichen Vorschriften. Für den Bankensektor erließ sie krisenspezifische Mitteilungen und für die Realwirtschaft verabschiedete sie einen befristeten beihilferechtlichen Rahmen („temporary framework“)6. Den Europäischen Mitgliedstaaten eröffnete sich damit die Möglichkeit, zusätzliche Maßnahmen zur Abwehr der Kreditklemme im Bankensektor sowie in der Realwirtschaft zu ergreifen. Insgesamt waren die Finanzmarktkrise sowie das Erfordernis krisenspezifischen Handelns für das Beihilferecht wie auch die Kommission eine besondere Bewährungsprobe. Die Vorschriften des AEUV zu staatlichen Beihilfen haben dadurch einen unübersehbaren Bedeutungszuwachs erfahren.

Mit dem „Bankenrettungsschirm“ und den „Konjunkturpaketen I + II“ hat die Bundesregierung von den erweiterten beihilferechtlichen Möglichkeiten Gebrauch gemacht, um den Konjunktureinbruch durch eigene Investitionen und gezielte Wirtschaftsförderung abzufedern. Die staatlichen Rettungspakete dienten der ← 2 | 3 → Stabilisierung des Finanzsystems und des monetären Sektors, der für das Funktionieren des Wirtschaftskreislaufs unabdingbar ist.7 Das wachsende Misstrauen der Marktteilnehmer gegenüber dem Finanzsektor veranlasste Bundesregierung und Bundestag im Herbst 2008, Maßnahmen zur Wiederherstellung des Vertrauens in den Finanzmarkt zu ergreifen.8 Daher verabschiedete der Gesetzgeber das Finanzmarktstabilisierungsgesetz (FMStG)9 im Schnellverfahren.10 Das am 18. Oktober 2008 in Kraft getretene Gesetz11 setzt neben der Einführung von neuen Unterstützungsinstrumenten teilweise wesentliche Grundsätze des Gesellschafts-, Wirtschafts- und Insolvenzrechts außer Kraft.12 Insbesondere durch Einführung des Art. 5 FMStG ist die bisherige insolvenzrechtliche Überschuldungsdefinition des § 19 Abs. 2 InsO geändert 13 worden.14 Die neu gefasste Überschuldungsregelung der Insolvenzordnung soll zum einen der aktuellen Situation am Finanzmarkt Rechnung tragen, d. h. einen Zusammenbruch des Bankensystems der Bundesrepublik verhindern, und zum anderen für operativ gesunde Unternehmen ein mögliches Insolvenzverfahren vermeiden. Die Wirtschaft soll dadurch für einen begrenzten Zeitraum von der zwingenden Insolvenzantragspflicht entlastet werden.15 Die durch die Art. 6 Abs. 3 und Art. 7 Abs. 2 FMStG zunächst auf den 31.12.2010 befristete Geltungsdauer des neuen Überschuldungsbegriffes wurde durch das „Gesetz zur Erleichterung der Sanierung von Unternehmen“16 bis zum 31.12.2013 verlängert. Für den angegebenen Zeitraum gilt wieder der „modifiziert zweistufige Überschuldungsbegriff “, den der Bundesgerichtshof bis zum Inkrafttreten der ← 3 | 4 → InsO zum 01.01.1999 vertrat.17 Danach erlangt die Fortbestehungsprognose neben der Ermittlung der rechnerischen Überschuldung eine eigenständige Bedeutung.18 Damit soll erreicht werden, dass bei letztlich positiver Fortführungsprognose die rechnerische Überschuldung zumindest bis zum Abklingen dieser Finanzkrise temporär keinen Antragsgrund mehr darstellt.

B.  Gegenstand der Untersuchung

In der vorliegenden Arbeit werden die mit der globalen Finanz- und Wirtschaftskrise einhergehenden Entwicklungen auf dem Gebiet des europäischen Beihilferechts dargestellt. Sie sind der Ausgangspunkt für die kritische Auseinandersetzung mit der Frage, ob sich das Beihilferecht in der Krise bewährt hat. In diesem Rahmen wird untersucht, ob die Kommission grundsätzlich an der neuen Praxis des Beihilferechts festhalten sollte, was zu dessen Weiterentwicklung geboten ist und ob bzw. inwieweit es einer grundlegenden Neuorientierung bedarf.

Ausgangspunkt dieser Arbeit ist die Dokumentation des bisherigen Beihilferechts sowie der krisenbedingten Veränderungen in diesem Rechtsgebiet. Es werden vor allem die „Legislativakte“ der Kommission aufgezeigt, die im Rahmen der sich ausweitenden Krise ergingen. Auch die Darstellung bereits abgelaufener Regelungen – insbesondere Kleinstbeihilfen bis zu 500 000 Euro19 – ist angezeigt, da sie rechtlich noch nicht abgeschlossen sind und zudem heute wie auch zukünftig exemplarische Auswirkungen im Marktgeschehen haben könnten. Einzelne Beihilfemaßnahmen für Unternehmen des Finanzsektors und der Realwirtschaft sowie die Überprüfung von gewährten Beihilfen sollen nicht Gegenstand der Arbeit sein. Für ein diesbezüglich abschließendes Urteil sind die zahlreichen Fälle zu unterschiedlich gelagert, und Einzelfälle können wiederum nicht für die ganzheitliche Bewertung der Krise herangezogen und damit generalisiert werden. Die zunächst auch denkbare Überprüfung von gewährten Beihilfen am Beispiel einiger Unternehmen des Finanzsektors und der Realwirtschaft scheidet aufgrund ihrer Unterschiedlichkeiten und der nicht vergleichbaren wirtschaftlichen und ← 4 | 5 → politischen Rahmenbedingungen ebenfalls aus. Nicht zuletzt stünde auch der eingeschränkte oder ausgeschlossene Zugang zu den wirklich interessanten und aussagekräftigen Unternehmenszahlen und -interna einem solchen Ansatz entgegen.

Nach der Einführung in die Thematik werden in chronologischer Abfolge die Grundlagen des Beihilferechts erörtert sowie die während der Krise für den Finanzsektor und die Realwirtschaft ergangenen Mitteilungen der Kommission aufgezeigt. Über eine umfängliche Erläuterung des Beihilferechts und der Rechtsdokumentation der einzelnen „Legislativakte“ der Kommission werden die Entwicklung des Beihilferechts in der Krise sowie der Bedeutungszuwachs der Kommission herausgestellt. Mit der durch die Kommission vorgenommenen Anpassung des bestehenden beihilferechtlichen Regelwerks an die Krise sind die Voraussetzungen für das Umsetzen krisenspezifischer Unterstützungsmaßnahmen auf nationaler Ebene ermöglicht worden. Als Beispiel für die Umsetzung der neuen beihilferechtlichen Mitteilungen auf nationaler Ebene und deren Vereinbarkeit mit ihnen dient die Darstellung der deutschen Unterstützungsmaßnahmen für den Finanzsektor und die Realwirtschaft.

Die kritische Würdigung des materiellen Regelwerkes und der entsprechenden Verfahrensabläufe ist die Voraussetzung für die Bewertung der rechtlichen Entwicklungen und die abschließende Beantwortung der Frage, ob sich das Beihilferecht in Gänze bewährt hat.

C.  Vorgehensweise

Die Arbeit untergliedert sich in fünf Kapitel. Dem einleitenden 1. Kapitel schließt sich im 2. Kapitel die Behandlung beihilferechtlicher Grundlagen an. Angesichts des gesteigerten Stellenwertes der Beihilfenkontrolle im europäischen Wettbewerbsraum werden die materiellen und formellen Normen des AEUV sowie die Handlungsformen der Kommission umfassend erläutert. Vor allem wird auf den Begriff der Beihilfe, dessen Tatbestandsmerkmale und Erscheinungsformen sowie das Beihilfeverbot eingegangen. Im Hinblick auf ihre herausragende Bedeutung vor und während der Krise werden insbesondere die Ermessensausnahmen des Art. 107 Abs. 3 lit. b) und c) AEUV sowie Rechtscharakter und Bindungswirkung von Kommissionsmaßnahmen herausgearbeitet. Im Anschluss daran werden Gruppenfreistellungen von Beihilfen, horizontale Beihilfen sowie das Beihilfeverfahren beschrieben.

Das 3. Kapitel behandelt die beihilferechtlichen „Legislativakte“, die die Kommission während der Krise für den Bankensektor und die Realwirtschaft ← 5 | 6 → verabschiedete, sowie die nationalen Fördermaßnahmen in Deutschland. Hier wird zunächst auf den Begriff „Systemrelevanz“ näher eingegangen, der in der Krise für die Rettung von großen, systemrelevanten Unternehmen zur Anwendung kam. Dem schließt sich die Erläuterung der krisenbedingten Aktivierung und Umfunktionierung des Art. 107 Abs. 3 lit. b) AEUV an. Im Rahmen der Dokumentation der unterschiedlichen Bankenmitteilungen auf europäischer Ebene werden die möglichen krisenspezifischen Unterstützungsinstrumentarien dargelegt. Im Anschluss daran folgt die Darstellung des für die Realwirtschaft ergangenen krisenspezifischen vorübergehenden Gemeinschaftsrahmens („temporary framework“). Am Beispiel der Rettungspakete in Deutschland wird die Umsetzung einer von der Kommission verabschiedeten Mitteilung auf nationaler Ebene und deren Vereinbarkeit mit dem europäischen Unionsrecht veranschaulicht. Hier wird näher auf die einzelnen Fördermaßnahmen, wie den Bankenrettungsschirm sowie die Konjunkturpakete I und II in Deutschland während der Krise eingegangen. In diesem Zusammenhang werden Antragsprocedere und Prüfungsinhalt von Unterstützungsmaßnahmen erörtert.

Darauf aufbauend wird im 4. Kapitel der Arbeit die derzeitige Ausgestaltung der unionsrechtlichen Aufsicht über mitgliedstaatliche Beihilfen kritisch erörtert. Insbesondere wird dabei diskutiert, ob die getroffenen krisenspezifischen Maßnahmen de lege lata materiell- und verfahrensrechtlich überhaupt zulässig waren und ob sie sich bewährt haben. Rechtspolitisch wird dann untersucht, ob eine grundsätzliche Neuorientierung des Beihilferechts angezeigt ist und welche mögliche Folgen sich damit für das Beihilferecht de lege ferenda ergeben können.

Eine Zusammenfassung der Analyseergebnisse bringt das Fazit im 5. Kapitel. ← 6 | 7 →

                                                   

1.    Vgl. Cecchetti, S. 3.

Details

Seiten
XIV, 218
Jahr
2014
ISBN (PDF)
9783653043242
ISBN (ePUB)
9783653986587
ISBN (MOBI)
9783653986570
ISBN (Hardcover)
9783631651469
DOI
10.3726/978-3-653-04324-2
Sprache
Deutsch
Erscheinungsdatum
2014 (Mai)
Schlagworte
Wirtschaftskrise Bankenmitteilungen Temporary Framework Systemrelevanz Finanzkrise Europäische Kommission
Erschienen
Frankfurt am Main, Berlin, Bern, Bruxelles, New York, Oxford, Wien, 2014. XIV, 218 S.

Biographische Angaben

Alexandra Isabelle Siedschlag (Autor:in)

Alexandra Isabelle Siedschlag studierte Rechtswissenschaften an der Universität zu Kiel.

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Titel: Die Reaktion des europäischen Beihilferechts auf die Finanz- und Wirtschaftskrise
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