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Probleme der Librettoübersetzung

Am Beispiel von Mozarts Oper «Le nozze di Figaro»

von Wiebke Langer (Autor:in)
©2014 Dissertation 194 Seiten

Zusammenfassung

Probleme der Librettoübersetzung setzt den Fokus auf eine in der Forschung lange Zeit vernachlässigte Gattung, das Libretto. Auch die Librettoübersetzung nimmt wenig Raum ein in den Wissenschaften. Die Analyse dreier Übersetzungen ins Deutsche zu Mozarts Oper Le nozze di Figaro veranschaulicht die besondere Schwierigkeit dieser Übersetzungsart. Durch die enge Verzahnung des Librettos mit der Musik (Metrik, Reim, Rhythmus) muss der Übersetzer stets Kompromisse eingehen. Musik und Sprache haben einige Berührungspunkte, beide können etwa nach semiotischen und suprasegmentalen Aspekten untersucht werden. Die Arbeit ist an der Schnittstelle von Sprach-, Übersetzungs- und Musikwissenschaft zu verorten. Dank ihrer Funktion als nationale Kulturträger sind Opernübersetzungen auch heute noch von großer Bedeutung.

Inhaltsverzeichnis

  • Cover
  • Titel
  • Copyright
  • Autorenangaben
  • Über das Buch
  • Zitierfähigkeit des eBooks
  • Inhaltsverzeichnis
  • 1 Einleitung
  • 2 Das Libretto
  • 2.1 Spezifika der Gattung ‚Libretto‘
  • 2.2 Die frühesten Libretti
  • 2.3 „Gehorsame Tochter der Musick“? Der immerwährende Opernstreit
  • 2.4 Komponist, Librettist und Sänger: Eine wechselhafte Beziehung in der Operngeschichte
  • 2.5 Vergleich des Librettos mit Schauspieltexten
  • 2.6 Geschichte der ‚Librettistik‘ in Deutschland
  • 3 Die Librettoübersetzung
  • 3.1 Besondere Schwierigkeiten der Librettoübersetzung: Metrik, Rhythmus, Reim, Vokale
  • 3.1.1 Untersuchung der Librettoübersetzung nach semiotischen Aspekten
  • 3.2 Die Rolle der verschiedenen Akzentsysteme beim Übersetzen
  • 3.2.1 Metrik und suprasegmentale Elemente von Sprache und Musik
  • 3.2.2 Rhythmus: Versuch einer Annäherung an einen komplexen Begriff
  • 3.2.3 Pikes und Abercrombies Isochroniemodell und Nachfolgeschemata
  • 3.2.4 Typische Betonungsfehler durch nachlässige Librettoübersetzungen
  • 3.3 Vokal- und Konsonantendistribution als Spezifika einer sangbaren Übersetzung
  • 3.4 Tendenzen der Librettoübersetzung: Vom Operndeutsch zu größerer Werktreue
  • 3.5 Übersetzungsschwerpunkte bei Arien, Rezitativen, Ensembles und Chor
  • 3.6 Die Opernübersetzung als intermediale Gattung
  • 3.7 Librettoübersetzungen im Spiegel der Forschung
  • 3.8 Das Für und Wider der Librettoübersetzung, Übertitelung von Opern
  • 3.9 Definition von Sangbarkeit, Vergleich des Italienischen mit dem Deutschen
  • 3.10 Musik und Sprache: Berührungspunkte zweier gegensätzlicher Systeme
  • 4 Die Oper Le nozze di Figaro
  • 4.1 Mozart als Musikdramatiker
  • 4.2 Die Suche des Komponisten nach einem geeigneten „büchel“
  • 4.3 Da Ponte und Mozart: Chronik einer besonders glücklichen Zusammenarbeit
  • 4.4 Beaumarchais‘ Komödie Le Mariage de Figaro als literarische Vorlage der Oper
  • 4.5 Vergleich des französischen Originals mit dem italienischen Libretto
  • 4.6 Le nozze di Figaro: eine Opera buffa?
  • 4.7 Gesellschaftliche Hintergründe: Der Figaro als Revolutionsoper?
  • 4.8 Rezeption der Oper damals und heute
  • 5 Die Übersetzungen der Oper Le nozze di Figaro
  • 5.1 Übersetzungsgeschichte des Figaro, Vorstellung der wichtigsten Übersetzer
  • 5.2 Der Übersetzer als Kulturvermittler, Librettoübersetzungen als Zeitzeugnisse
  • 5.3 Analyse der Kanzone Nr. 11, der Arie Nr. 17 und des Rezitativs Nr. 1
  • 5.3.1 Cherubinos Arie (Nr. 11)
  • 5.3.2 Die Arie des Grafen (Nr. 17)
  • 5.3.3 Figaros und Susannas Rezitativ (Nr. 1)
  • 5.4 Vergleich der Übersetzungen von Levi, Anheisser und Gschwend
  • 5.4.1 Hermann Levis Figaro-Übersetzung (1895)
  • 5.4.2 Siegfried Anheissers Figaro-Übersetzung (1931)
  • 5.4.3 Ragni Maria Gschwends Figaro-Übersetzung (2009)
  • 5.4.4 Exkurs: Bartolos Arie (Nr. 4)
  • 5.4.5 Resümee der verschiedenen Übersetzungen
  • 6 Fazit
  • 7 Bibliographie
  • 8 Anhang
  • 8.1 Die Textversionen des Figaro (Beaumarchais, Da Ponte, Levi, Anheisser, Gschwend)
  • 8.1.1 Beaumarchais‘ Originaltext
  • 8.1.2 Da Pontes Librettotext
  • 8.1.3 Levis Übersetzung
  • 8.1.4 Anheissers Übersetzung
  • 8.1.5 Gschwends Übersetzung
  • 8.2 Notenbeispiele
  • 9 Resümee
  • Riassunto
  • Summary
  • Series Index

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1 Einleitung

Eine Übersetzung ist wie ein Fenster, das Einblick in neuartige, unbekannte Welten gewährt.

Schon immer fungierten Übersetzungen als Vermittlungsinstanzen zwischen den Kulturen. Literarische Übersetzungen fremdsprachiger Klassiker gingen in Deutschland schon früh in den Literaturkanon ein (vgl. Hoffmann 1925/26: 355). Librettoübersetzungen werden hingegen weit weniger gewürdigt.

Dabei ist ihre Geschichte beinahe so alt wie die Oper selbst. Als diese um 1600 in Italien ihre Geburtsstunde erlebte – dank dem Streben der Florentiner Camerata1 um Wiederbelebung der antiken griechischen Tragödie –, hätte niemand ahnen können, welch große Strahlkraft die neu geschaffene Kunstform bald entwickeln sollte.

Sie breitete sich in Italien mittels verschiedener Opernzentren in Windeseile aus, um dann in ganz Europa ihren Siegeszug anzutreten.

Wurden die Opern im Ausland zunächst meist im italienischen Original aufgeführt, kursierten doch auch bald die ersten Übersetzungen; am Anfang dienten sie rein praktischen Zwecken und konnten während der Darbietung mitgelesen werden: „Man ‚gebraucht‘ das Buch als Verständnishilfe während der Aufführung, hinterher läßt man es im Theater liegen oder wirft es weg“ (Gier 1988: 4). Als im 18. Jahrhundert auch die niederen Bevölkerungsschichten Zugang zur Oper erlangten, wuchs jedoch der Bedarf an sangbaren, deutschen Übersetzungen.2

Da Librettoübersetzungen im Austausch der Kulturen schon früh so eine wichtige Rolle spielten, ist es umso erstaunlicher, dass sie in der Forschung seit jeher nur marginal behandelt wurden.3 Dies gilt für die Gattung ‚Libretto‘ im Allgemeinen.

Keine Disziplin fühlt sich wirklich zuständig für das Textbuch. Die Musikwissenschaft interessiert sich hauptsächlich für die musikalische Ausgestaltung der Oper, die Theaterwissenschaft für die „szenische Umsetzung“ (Kaindl 1995: 4), am ehesten scheint das Libretto noch Gegenstand literaturwissenschaftlicher Untersuchungen zu sein. Doch ← 11 | 12 → diese vernachlässigen allzu oft die spezifischen Anforderungen einer an die Musik gebundenen Übersetzung – so erklären sich auch die häufig sehr negativen Werturteile über das Libretto als literarisch minderwertiger Gattung.4

Tatsächlich gab es jedoch auch wahrhaft große Dichterfürsten unter den Librettisten, wie Metastasio, Scribe, Quinault und Da Ponte, um nur ein paar Namen zu nennen (vgl. Prinzbach 2003: 11).

Ganz von der Hand weisen lässt es sich natürlich nicht, dass neben diesen Größen im Laufe der Operngeschichte immer wieder auch weniger begabte Textdichter und Übersetzer „ihr Unwesen trieben“.

Jedoch sollte ein Libretto niemals nur nach stilistischen Merkmalen analysiert werden, entfaltet es sich doch ausschließlich im Zusammenklang mit der Musik, sprich auf der Bühne, voll und ganz. Schon Brecher erkannte, dass Verse, die rein sprachlich unstimmig klingen, gesungen eine gänzlich andere Wirkung haben können.5

Dies leitet bereits über zum nächsten Argument, warum der Librettoübersetzung mehr Anerkennung gezollt werden sollte: Sie übersteigt den Schwierigkeitsgrad jeder „normalen“ Übersetzung noch um ein Vielfaches. Erscheint es beim Übersetzen eines Prosatextes manchmal schon problematisch, das jeweilige Äquivalent zu einem Wort oder einer Passage zu finden, sind die Möglichkeiten bei einer Lyrikübersetzung weit mehr beschnitten – und Libretti sind meist in gebundener Form verfasst. Die Musik gibt außerdem „den Takt vor“: Metrik, Rhythmus, Reim, Vokalstruktur, Phrasierung und musikalisch hervorgehobene Schlüsselworte müssen übernommen werden. Überdies spielt die musikalische Rhetorik in Mozartopern eine wichtige Rolle. Neben den eben genannten Aspekten kann die Librettoübersetzung auch nach semiotischen Gesichtspunkten untersucht werden.

Oskar Bie hat die Opernübersetzung einst als „unmögliches Kunstwerk“ (zitiert nach Kaindl 1995: 1) bezeichnet. Tatsächlich ist es schlicht illusorisch, all die genannten Merkmale einer gelungenen, sangbaren Übersetzung einzuhalten. Anheisser (1938), Honolka (1978) und Kaindl ← 12 | 13 → (1995) haben ganz richtig erkannt, dass sich bei dieser Übersetzungsform Kompromisse nicht vermeiden lassen.

Seit Mitte der 1950er Jahre werden Opern in Deutschland meist wieder in der Originalsprache aufgeführt, an den großen Häusern ist dies heute die Regel (vgl. Honolka 1978: 13). Durch die Projektion von Übertiteln kann das Publikum die Handlung verfolgen, auch wenn es die Opernsprache nicht versteht.

Es stellt sich also die Frage, ob kritische Analysen von Librettoübersetzungen heutzutage nicht völlig vernachlässigt werden könnten. Tatsächlich sind sie aber ein wichtiges Zeugnis für die Rezeption einer Oper, zeigen unterschiedliche Schwerpunkte und Interpretationsansätze im Laufe der Zeit und sind so ein wertvoller Untersuchungsgegenstand hinsichtlich der Werkgenese.6

Die Komische Oper in Berlin hat es sich zum Grundsatz gemacht, einzig deutsche Opern (ob im Original oder übersetzt) aufzuführen, da Textverständlichkeit nur so gewährleistet ist – ein mutiges Bekenntnis gegen den „mainstream“.

Das gängige Argument der Verfechter von Opernaufführungen im Original ist, dass eine Übersetzung niemals den gesamten Inhalt einer Oper transportieren kann: Die Oper ist schließlich eine untrennbare Einheit aus Wort und Ton. Ein scheinbar unlösbares Dilemma. Gewährleistung von Verständlichkeit und eine rein auf Sinnesfreuden basierende Oper schließen sich wohl aus.

Als Bestätigung für die Relevanz dieser Übersetzungsform kann jedoch aufgefasst werden, dass in jüngster Zeit ein größeres Interesse an der Librettoübersetzung aufzukeimen scheint (Dürr (2004), Marschall (2004), Schneider (2009)).

Da Pontes Figaro fußt auf einer Literaturvorlage (Beaumarchais‘ Komödie Le Mariage de Figaro): Das Libretto ist also streng genommen selbst schon eine Übersetzung.

Im Folgenden sollen nach einer kurzen Einführung zur Gattung des Librettos und den Machtverschiebungen innerhalb des Gefüges von Sprache und Musik in der Operngeschichte die Besonderheiten einer musikalischen Übersetzung genauer beleuchtet werden. Die verschie-denen Akzentsysteme sowie das Vokalvorkommen in den einzelnen Sprachen werden zur Illustration des Begriffs ‚Sangbarkeit‘ dienen. Darüber hinaus stehen die Metrik und die suprasegmentalen Elemente von ← 13 | 14 → Sprache und Musik auf dem Prüfstand, und es wird ein Versuch unternommen, sich dem komplexen Begriff ‚Rhythmus‘ anzunähern. Pikes und Abercrombies Isochroniemodell Mitte des 20. Jahrhunderts war der Beginn zahlloser Unternehmungen, Sprachrhythmus zu schematisieren. Anschließend sollen typische Betonungsfehler durch nachlässige Librettoübersetzungen vorgestellt werden, bevor schließlich auf die unterschiedlichen Zeichensysteme von Musik und Sprache eingegangen wird.

Nach einem Exkurs zu Mozarts Opernschaffen soll das italienische Textbuch des Figaro mit dem französischen Original verglichen, die historischen Umstände der Opernentstehung und Figaros Aufnahme bei den Zeitgenossen vorgestellt werden.

Eine Auflistung der zentralen Figaro-Übersetzer leitet über zur Bedeutung von Opernübersetzungen als Zeitzeugnisse und Kulturvermittlungsinstanzen.

Abschließend werden die Schwierigkeiten der Librettoübersetzung anhand zweier Arien und eines Rezitativs aus der Oper Le nozze di Figaro veranschaulicht. Als Grundlage für den Übersetzungsvergleich dienen die Übersetzungen von Hermann Levi (1895), Siegfried Anheisser (1931) und Ragni Maria Gschwend (2009).

Die Oper Figaro ist vielmals übersetzt worden. Levis Fassung Ende des 19. Jahrhunderts setzte sich am stärksten durch, noch heute ist sie auf vielen deutschen Tonträgern zu hören. Aus diesem Grund dient sie in vorliegender Arbeit als Basis. Anheisser verfolgte einen realistischeren Ansatz und versuchte, die Oper vom „Kitsch“ vieler Fassungen aus dem 19. Jahrhundert zu befreien. Gschwends Arbeit schließlich mag als Beispiel zeitgenössischer Librettoübersetzung gelten.

1 Dtv-Atlas Musik, Bd. 2 (1985: 309): „Florentiner Camerata nannte sich eine der in der Renaissance beliebten akadem. Gesprächsrunden nach antikem Vorbild.“

2 Vgl. Kaindl (1995: 1): Ab etwa 1750 wurden in Deutschland immer häufiger sangbare Übersetzungen benötigt, da im Zuge eines stärker werdenden Nationalbewusstseins fremdsprachige Opern nun auch in der Heimatsprache aufgeführt werden sollten. Vgl. auch Honolka (1978b: 25) und Loos (1992: 150).

3 Vgl. Link (1975: 9), Achberger (1980: 9), Dürr (2004: 1036), Prinzbach (2003: 10).

Details

Seiten
194
Jahr
2014
ISBN (PDF)
9783653042566
ISBN (ePUB)
9783653986860
ISBN (MOBI)
9783653986853
ISBN (Hardcover)
9783631651315
DOI
10.3726/978-3-653-04256-6
Sprache
Deutsch
Erscheinungsdatum
2014 (März)
Schlagworte
Akzentsysteme Rhythmus Rezeptionsgeschichte Metrik Musikdramatiker Opernübersetzung
Erschienen
Frankfurt am Main, Berlin, Bern, Bruxelles, New York, Oxford, Wien, 2014. 194 S., 4 s/w Abb.

Biographische Angaben

Wiebke Langer (Autor:in)

Wiebke Langer ist Diplom-Übersetzerin und arbeitet als Wissenschaftliche Mitarbeiterin am Institut für Romanistik der Universität Düsseldorf. Dort lehrt sie das Übersetzen literarischer Texte Italienisch-Deutsch. Neben der Übersetzungstätigkeit ist sie als Lektorin tätig.

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