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Kollokationen im Zivilrecht Polens in den Jahren 1918–1945 mit besonderer Berücksichtigung der deutschsprachigen Zivilgesetzbücher

Eine kontrastive Studie

von Felicja Ksiezyk (Autor:in)
©2015 Monographie 390 Seiten

Zusammenfassung

Die Autorin befasst sich mit den rechtssprachlichen Kollokationen in Zivilgesetzbüchern, welche in Polen nach der Wiedererlangung der Unabhängigkeit in Geltung blieben, bevor sie einem einheitlichen polnischen Recht den Platz räumten. Die entsprechenden Gesetzestexte werden von ihr in einem sprachkontrastiven Ansatz analysiert, samt ihren Übertragungen ins Polnische. Welches der großen Gesetzeswerke ist am prägendsten für die polnische Rechtssprache gewesen? Inwiefern stimmen die analysierten Übersetzungen mit der heutigen polnischen Sprache überein? Die Analyse verdeutlicht, dass Übertragungen der deutschsprachigen Texte in einem wesentlich höheren Grad mit der polnischen Gegenwartssprache konform sind als das französisch-polnische Recht.

Inhaltsverzeichnis

  • Cover
  • Titel
  • Copyright
  • Autorenangaben
  • Über das Buch
  • Zitierfähigkeit des eBooks
  • Inhaltsverzeichnis
  • Vorwort
  • 1. Einleitung
  • 1.1. Zielsetzung der Untersuchung
  • 1.2. Aufbau der Arbeit
  • 2. Theoretische Grundlagen
  • 2.1. Richtungsweisende Ansätze in der Kollokationsforschung
  • 2.1.1. Verwandte Konzepte
  • 2.1.1.1. Bally: séries phraséologiques oder groupements usuels
  • 2.1.1.2. Porzig: wesenhafte Bedeutungsbeziehungen
  • 2.1.1.3. Coseriu: Lexikalische Solidaritäten
  • 2.1.1.4. Chomsky: Selektion und Selektionsbeschränkungen
  • 2.1.2. Britischer Kontextualismus
  • 2.1.2.1. Firth
  • 2.1.2.2. Die weitere Entwicklung des Firth’schen Kollokationskonzeptes
  • 2.1.2.2.1. Halliday
  • 2.1.2.2.2. Sinclair
  • 2.1.3. Hausmanns Kollokationsauffassung
  • 2.1.4. Disziplinäre Vielfalt in der Kollokationsforschung
  • 2.1.4.1. Fremdsprachendidaktischer Ansatz
  • 2.1.4.2. Translatorischer Ansatz
  • 2.1.4.3. Kollokationen in der Fachsprachenforschung
  • 2.1.4.4. Germanistische Kollokationsforschung
  • 2.1.4.5. Kollokationsforschung in Polen
  • 2.1.4.5.1. Polonistische Kollokationsforschung
  • 2.1.4.5.2. Kollokationsforschung in der polnischen Germanistik
  • 2.2. Kollokationsbegriff
  • 2.2.1. Zur terminologischen Vielfalt
  • 2.2.2. Merkmale der Kollokationen und Wege zur Kollokationsermittlung
  • 2.2.2.1. Semantische Kriterien
  • 2.2.2.2. Morphosyntaktische Kriterien
  • 2.2.2.3. Statistische Kriterien
  • 2.3. Fazit
  • 3. Heranführung an das Untersuchungskorpus
  • 3.1. Rechtshistorische Hintergründe. Rechtsentwicklung in Polen vom 19. bis Anfang des 20. Jahrhunderts
  • 3.1.1. Das Recht im altpolnischen Staat
  • 3.1.2. Rechtsentwicklung nach dem Untergang des altpolnischen Staates
  • 3.1.2.1. Rechtsentwicklung in preußisch-deutschen Gebieten
  • 3.1.2.2. Rechtsentwicklung in österreichischen Gebieten
  • 3.1.2.3. Rechtsentwicklung in russischen Gebieten
  • 3.1.2.3.1. Zentralpolen
  • 3.1.2.3.2. Ostpolen
  • 3.1.3. Rechtsentwicklung in der Zwischenkriegszeit
  • 3.1.4. Fazit
  • 3.2. Einfluss des deutsch(sprachig)en Rechts in Polen in den Jahren 1919-1939
  • 3.2.1. Einfluss des deutsch(sprachig)en Rechts auf die gesamte polnische Gesetzgebung in den Jahren 1919-1939
  • 3.2.2. Einfluss des deutsch(sprachig)en Rechts auf das polnische Zivilrecht
  • 3.2.3. Fazit
  • 3.3. Forschungsstand zum Einfluss des Deutschen auf die polnische Rechtssprache
  • 3.3.1. Einfluss des Deutschen auf die polnische Rechtssprache im altpolnischen Staat
  • 3.3.2. Einfluss des Deutschen auf die polnische Rechtssprache nach dem Untergang des altpolnischen Staates
  • 3.3.2.1. Die Rolle des Polnischen und die Beteiligung polnischer Juristen am Rechtsleben in den russischen Gebieten
  • 3.3.2.2. Die Rolle des Polnischen und die Beteiligung polnischer Juristen am Rechtsleben in den österreichischen Gebieten
  • 3.3.2.3. Die Rolle des Polnischen und die Beteiligung polnischer Juristen am Rechtsleben in den preußisch-deutschen Gebieten
  • 3.3.2.4. Einfluss des Deutschen auf die polnische Rechtssprache im Blick der Zeitgenossen
  • 3.3.3. Fazit
  • 3.4. Zum Korpus
  • 3.4.1. Das österreichische ABGB
  • 3.4.2. Das deutsche BGB
  • 3.4.3. Französisch-polnisches Zivilrecht
  • 4. Methodische Herangehensweise
  • 5. Kollokationen im Bürgerlichen Gesetzbuch
  • 5.1. Typen von Mehrwortverbindungen
  • 5.1.1. Kolligationen
  • 5.1.2. Komposita
  • 5.1.3. Funktionsverbgefüge
  • 5.1.4. Mehrworttermini
  • 5.1.5. Kollokationen im BGB
  • 5.1.5.1. (Halb)Kompositionalität der Kollokationskandidaten
  • 5.1.5.2. Kollokations- bzw. Kombinationspotential der potentiellen Basen
  • 5.1.5.3. Zwischenergebnis
  • 5.1.5.4. Kollokations- bzw. Kombinationsbereich der Kollokatoren
  • 5.2. Fazit
  • 6. Interlinguale Äquivalenz im Kollokationsbereich – im Vergleich zu der polnischen amtlichen Übersetzung des BGB
  • 6.1. Der Begriff der Äquivalenz
  • 6.1.1. Äquivalenz bei der Übersetzung von Rechtstexten
  • 6.1.2. Äquivalenztypen im Kollokationsbereich
  • 6.2. Usualität der äquivalenten Mehrwortverbindungen im Polnischen
  • 6.3. Fazit
  • 7. Kollokationen im Allgemeinen Bürgerlichen Gesetzbuch
  • 7.1. Unterschiede im Verhältnis zum Bürgerlichen Gesetzbuch
  • 7.2. (Halb)Kompositionalität der Kollokationskandidaten
  • 7.3. Kollokations- bzw. Kombinationspotential der potentiellen Basen
  • 7.4. Zwischenergebnis
  • 7.5. Kollokations- bzw. Kombinationsbereich der Kollokatoren
  • 7.6. Fazit
  • 8. Interlinguale Äquivalenz im Kollokationsbereich – im Vergleich zur polnischen Übersetzung des ABGB
  • 8.1. Äquivalenztypen im Kollokationsbereich
  • 8.2. Usualität der äquivalenten Mehrwortverbindungen im Polnischen
  • 8.3. Fazit
  • 9. Usualität der substantivisch-verbalen Mehrwortverbindungen im französisch-polnischen Zivilrecht
  • 9.1. Kombinationspotential der Bestandteile der extrahierten Mehrwortverbindungen
  • 9.2. Usualität der ermittelten Mehrwortverbindungen
  • 9.3. Fazit
  • 10. Fazit und Ausblick
  • 10.1. Fazit
  • 10.2. Ausblick
  • Literaturverzeichnis

← 10 | 11 → Vorwort

Wenn ein Linguist sich mit der Sprache des Rechts befaßt, so tut er dies gewöhnlich aus einem von zwei Gründen. Zum einen kann es sein, daß er die Juristen über die Sprache belehren will, ein Ansinnen, das die Juristen teils mit freundlichem Wohlwollen, teils mit einer gewissen Reserviertheit betrachten. Der Grund für diese etwas unterschiedliche Einschätzung liegt vor allem darin, daß es eines ist, viel von der Sprache und ihren Gesetzlichkeiten zu verstehen, und ein anderes, bestimmte Inhalte angemessen ausdrücken zu können. Dem Linguisten ist, jedenfalls wenn er sein Fach versteht, ersteres gegeben, dem Juristen geht es aber um letzteres. Zum andern befassen sich Linguisten mit der Sprache des Rechts, weil sie sich für die Besonderheiten dieser Sprachform interessieren – sie betrachten sie als eine Fachsprache, die wie andere Fachsprachen in lexikalischer und vielleicht auch in struktureller Hinsicht vom Standard abweicht. So ist dann interessant zu untersuchen, worin diese Besonderheiten liegen, vielleicht auch, wie sie sich im Verlauf von Sprachgeschichte und von Rechtsgeschichte allmählich ausgebildet haben. (Klein 2000: 116f.)

Die Entstehung der vorliegenden Arbeit rührt von dem zweiten in dem obigen Motto genannten Grund her. Das erste Interesse am Thema dieser Arbeit kam auf, als mir zufällig eine der Erstausgaben des Bürgerlichen Gesetzbuches beim Besuch eines Heimatmuseums in die Hände fiel und mir bewusst wurde, dass dieses Gesetzwerk jahrzehntelang Teil der Rechtsordnung war, welche auch in meiner schlesischen Heimat in Geltung war. Den Ansporn für die Beschäftigung damit gaben mir zusätzlich mehrere Personen: Als ich mich diesem Forschungsfeld im Rahmen von Konferenzbeiträgen näherte, begegnete ich immer wieder Forschern, die mir zuredeten, dass dieses Thema es wert sei, genauer untersucht zu werden. Vielen Personen, die zur Entstehung der vorliegenden Untersuchung beigetragen haben, möchte ich an dieser Stelle danken:

Der Direktorin des Instituts für Germanistik in Opole, Frau Professor Maria Katarzyna Lasatowicz, danke ich für die Unterstützung dieses Vorhabens.

Der Gemeinnützigen Hermann-Niermann-Stiftung in Zusammenarbeit mit der Studienbörse Germanistik für die Förderung meines Projekts im Rahmen eines Forschungsstipendiums an der Julius-Maximilians-Universität Würzburg, der Universität Oppeln/Opole für die Freistellung von didaktischen Verpflichtungen, sodass ich das Stipendium in Anspruch nehmen konnte.

Besonderer Dank gebührt Herrn Professor Norbert Richard Wolf, Professor Wolf Peter Klein und Professor Iva Kratochvílová für die aufschlussreichen Gespräche und/oder Rezension einzelner Kapitel.

← 11 | 12 → Zu Dank bin ich auch Herrn Dr. Peter Stahl vom Institut für Deutsche Philologie an der Universität Würzburg verpflichtet, der mir tatkräftig bei der Parallelisierung des Korpus geholfen hat.

Danken möchte ich in diesem Zusammenhang insbesondere Herrn Klaus Maria Heinemann, dem Volljuristen in der Verwaltungstätigkeit und ehemaligen Stadtpräsidenten von Saarbrücken, für die Lektüre eines Großteils dieser Arbeit aus juristischer Perspektive.

Besonderer Dank gilt den Mitarbeitern der Sächsischen Akademie der Wissenschaften zu Lepzig für die freundliche Zurverfügungstellung Ihrer Bibliotheksbestände. Ebenso danke ich Dr. Dennis Scheller-Boltz, Dr. habil. Daniela Pelka und Margit Grundwürmer, die verschiedene Fassungen der Arbeit Korrektur gelesen haben.

Last but not least sei meiner Familie für ihre Unterstützung und ihren Zuspruch gedankt.

← 12 | 13 → 1. Einleitung

The consequence of the lack of a coherent research activity in the field seems to be, on the one hand, that only certain aspects of LSP are covered, the terminological perspective being the dominant one, and on the other hand, that LSP phraseology is treated as a special case, as an exception from the rule, belonging at best, to the periphery of the discipline of phraseology. (Kjær 2007: 506)

Die vorliegende Arbeit platziert sich im Rahmen der Kollokationsforschung, sie widmet sich also einem Gegenstand, der lange Zeit zur Peripherie des Forschungsinteresses von Phraseologen gerechnet wurde (vgl. Burger 2004: 38):

Kollokationen [wurden] – zumindest im deutschsprachigen Raum – lange Zeit als trivial und damit als linguistisch nicht beschreibungswürdig […] angesehen […]. Unter dem Einfluss der Korpuslinguistik und neuer Theorien zur Fixiertheit der Sprache […] hat sich diese Wahrnehmung jedoch verändert. (Steyer 2013: 32)

Nach aktuellen Auffassungen bildet „die Suche nach Mehrwortverbindungen in einer Sprache und deren Ermittlung ‚eine zentrale Frage der Linguistik‘, ‚einen vordringlichen Untersuchungsgegenstand‘, ‚die eigentliche, allen anderen Aufgaben vorausgehende, Aufgabe der Sprachwissenschaft‘, [sie ist] ‚praktisch ihre Hauptaufgabe‘ […] bei dieser Aufspürung berühren wir das Wesen der Sprache“ (Chlebda 2010: 9; übers. v. F.K.).

Den Untersuchungsgegenstand der vorliegenden Schrift bilden rechtssprachliche Kollokationen in Zivilgesetzbüchern, welche in der Zweiten Polnischen Republik (1918-1945) in Geltung waren. Die entsprechenden Gesetzestexte werden in einem sprachkontrastiven Ansatz analysiert, samt ihren Übertragungen ins Polnische. Somit berührt das hier bearbeitete Forschungsfeld nicht nur die Kollokationsforschung, sondern auch Fragen der Fachsprachenforschung und Übersetzungswissenschaft. Auf den dabei bestehenden Forschungsbedarf verweist implizit Gréciano: „Sprachfertigteile der Fachsprache sind immer noch Neuland, wenig begangen“ (Gréciano 1999).

Den Anstoß für die vorliegende Untersuchung gab die Tatsache, dass in dem angesprochenen Zeitraum, nachdem Polen nach über 100-jähriger Teilung seine Unabhängigkeit wiedererlangte, in dem neu gegründeten Staat ein rechtliches Mosaik herrschte. Man entschloss sich bis zur Kodifizierung einheitlicher polnischer Gesetzwerke den rechtlichen Status quo aufrechtzuerhalten und das Recht der Teilungsrechte vorübergehend als polnisches Territorialrecht in Geltung zu lassen. So waren im Bereich des materiellen Zivilrechts zunächst fünf unterschiedliche Rechtsordnungen in Kraft. Ein einheitliches polnisches ← 13 | 14 → Zivilgesetzbuch konnte erst 1964 vom polnischen Parlament beschlossen werden. Vor diesem Hintergrund stellt sich natürlicherweise die Frage nach eventuellem Einfluss der angestammten Rechtsordnungen auf das heutige polnische Recht und im Rahmen der vorliegenden Arbeit auf die heutige polnische Rechtssprache. Płaza bemerkt in diesem Zusammenhang:

Die jahrelange Geltung unterschiedlicher Zivilgesetzbücher ließ bei der Bevölkerung und den Juristen Gewohnheiten und Unterschiede bei der juristischen Denkweise, dem Terminologiegebrauch und den Rechtsbegriffen entstehen; es erwachte ein gewisser Territorialpatriotismus, der die Vereinheitlichungsarbeiten beeinträchtigte. (Płaza 2001: 40; übers. v. F.K.)

Nach Sójka-Zielińska ist dieser Umstand nur allzu gut erklärlich:

Jedes dieser Gesetzbücher [BGB, ABGB und Code Napoléon – F.K.] stellte in gewisser Hinsicht eine Spitzenleistung der europäischen Zivilrechtslehre des 19. Jh. dar, kein Wunder, dass sie es vermochten, tief in das Gewebe des Rechtslebens der einzelnen Territorien hineinzuwachsen, den Stil des juristischen Denkens zu prägen, den Umgang mit fremden Begriffen und fremder Terminologie zu lehren, mit heimischer Rechtsprechung zu bewachsen. (Sójka-Zielińska 2000: 37; übers. v. F.K.)

Daraus resultierte, dass es im neugegründeten Polen nicht nur an einheitlichen Rechtssätzen, sondern auch an einer vereinheitlichten Rechtssprache mangelte. Angesichts der Entstehung zweier Abspaltungen der polnischen Rechtssprache – zum einen im ehemaligen Kongresspolen und zum anderen in Galizien – waren die polnischen Juristen nach dem Ende des Ersten Weltkrieges vor die Notwendigkeit gestellt, nicht nur das geltende Recht, sondern auch die polnische Rechtsterminologie zu vereinheitlichen (vgl. Płaza 2001: 27).

Die parallel zu den Kodifikationsarbeiten weiterhin angefertigten Übertragungen der geerbten Rechtsordnungen sollten zum Ersten der polnischen Bevölkerung das Verstehen dieser Rechtsnormen erleichtern, zum Zweiten an den aktuellen Sprachzustand angepasst werden und schließlich auch zur Festlegung und Vereinheitlichung der polnischen Rechtssprache beitragen. Besonders deutlich wird der letztere Beweggrund – zur Vereinheitlichung beizutragen sowie juristische Termini festzulegen, die dem vorübergehend geltenden deutschen BGB entsprechen würden – bei der amtlichen Übersetzung des BGB aus dem Jahre 1923 (vgl. ZGB 1923: VIII). Das Departement für Westgebiete beim Justizministerium versendete zu diesem Zweck folgendes Rundschreiben an die Präsidenten und Staatsanwälte der Berufungsgerichte in Poznań, Toruń und Katowice:

Abschrift
Justizministerium
Departement für Westgebiete
Tgb.-Nr. IV Nr. 3184/22

← 14 | 15 → An die Präsidenten und Staatsanwälte der Berufungsgerichte in Poznań, Toruń und Katowice

Noch im laufenden Jahr wird das Ministerium eine polnische Ausgabe des BGB herausgeben. An der Anfertigung dieser Übersetzung beteiligten sich namhafte Juristen aus allen Bezirken der Republik Polen, ihre Rechtskenntnisse und Sorgfalt, die sie bei der Übertragung angewandt haben, sichert die volle Garantie für die Exaktheit des Translats, im rechtlichen wie im sprachlichen Sinne. Es ist ja gemeinhin bekannt, auf welche Schwierigkeiten die polnische, bislang leider nicht festgelegte, Rechtsterminologie stößt; wenn also das Ministerium sein Möglichstes tat, damit die Übersetzung einerseits aufs Genaueste den deutschen Text wiedergibt, andererseits aber auch dem Geist der polnischen Sprache angemessen ist, so kann man zweifelsfrei damit rechnen, dass die Justizbehörden von den Früchten dieser Arbeit, die sich auf Meinungen in den polnischen Rechtskreisen bekannter wissenschaftlicher Autoritäten stützen, vollen Gebrauch machen werden. Das Ministerium legt besonderen Nachdruck darauf, dass sich die Justizbehörden nach dem Erscheinen der Übersetzung ausschließlich der Terminologie bedienen werden, welche darin angegeben wird, damit die bislang leicht verständliche Willkürlichkeit in diesem Bereich ein für alle Mal endet.

Das Ministerium zweifelt nicht daran, dass dieser Appell Erfolg haben wird, und indem die Präsidenten und Staatsanwälte gebeten werden, das vorliegende Schreiben an ihnen unterstehende Behörden weiterzuleiten, wird gleichzeitig die Bitte geäußert, dass höhere Instanzen bei der Prüfung von Rechtsmitteln danach Ausschau halten, ob sich die niedrigeren Instanzen an die in der Übersetzung festgelegte Terminologie halten und bei Bemerkung von Mängeln in dieser Richtung keine Belehrungen und Hinweise scheuen.

Für den Minister

Leiter des Departements (ZGB 1923: XII-XIII; übers. v. F.K.)

Im Vorwort dieser Übersetzung wird auch ausdrücklich kundgetan, dass es eines der wünschenswertesten Ergebnisse dieser Arbeit wäre, wenn sie sich für den polnischen Rechtswortschatz als nutzbringend erwiese (vgl. ZGB1923: X).

1.1. Zielsetzung der Untersuchung

Nach Poczobut sei der „aktuelle Wert dieser Übersetzungen ins Polnische […] gering, da […] die für die damalige Zeit moderne Übertragungssprache heute in großem Maße veraltet ist“ (Poczobut 1993: 350). Angesichts der Tatsache, dass die bereits angesprochenen unterschiedlichen Zivilgesetzbücher jahrzehntelang in Teilen des heutigen Staatsterritoriums Polens in Kraft und auch deren polnische Ausgaben jahrelang im Umlauf waren, dürfte jedoch angenommen werden, dass sie nicht einflusslos auf die polnische Rechtssprache blieben. Zurecht signalisiert Makowski diesbezüglich:

← 15 | 16 → Der Leser kann angewidert einen dürftig aus einer fremden Sprache übersetzten Roman ablehnen, er kann ein miserabel geschriebenes, schöngeistiges Werk eines gebürtigen Polen außer Acht lassen, er kann jedoch nicht über das geltende Gesetzesrecht hinweggehen, im Gegenteil, für gewöhnlich hält er es, und sollte er es auch für ein Muster korrekten Sprachgebrauchs halten, dem er zu folgen habe und an den in diesen Schriften festgelegten Wortschatz er sich halten sollte. (Makowski 1922: 76, übers. v. F.K.)

Vor diesem Hintergrund soll in der vorliegenden Arbeit an die Frage herangegangen werden, welches der großen Gesetzeswerke, die in der Zweiten Polnischen Republik (1918-1945) in Kraft waren, am prägendsten für die polnische Rechtssprache gewesen ist. Bei dieser Fragestellung wird es insbesondere darum gehen, zu untersuchen, inwiefern die analysierten Übersetzungen mit der heutigen polnischen Sprache übereinstimmen. Sójka-Zielińska formuliert in diesem Zusammenhang:

Selbstverständlich waren die Kontakte unserer Zivilrechtler mit der französischen Lehre am regsten. Unter den Territorialrechten, welche in Polen nach der Teilungszeit in Geltung waren, stammte lediglich das französische Recht von keiner Teilungsmacht. Im Gegenteil: es wuchs in unser Rechtsleben in einer Symbiose mit dem einheimischen Recht hinein, ein französisch-polnisches Rechtssystem bildend. Code Napoléon wurde zum Faktor, der unsere nationale Eigenart aufrechterhielt […] (Sójka-Zielińska 2000: 41; übers. v. F.K.)

Allerdings findet man insbesondere in zahlreichen Kommentaren, welche in juristischen Zeitschriften der Zwischenkriegszeit erschienen sind, den Hinweis darauf, dass es die deutsche Sprache sei, welche den entscheidenden Einfluss auf die Entwicklung der polnischen Rechtssprache genommen haben dürfte:

Obwohl die Rechtssprache in Galizien eine missglückte Umarbeitung der deutschen Sprache ist, die Rechtsprache in Kongresspolen hingegen ein relativ reines Polnisch bildet – bestehen berechtigte Befürchtungen, dass die Sprache Galiziens die Oberhand gewinnen wird, da, wie aus der Lebenspraxis ersichtlich, in dieser Sprache unterschiedliche Gesetze, Verordnungen und Vorschriften im Gesetzblatt […] redigiert und verkündet werden […] (Makowski 1922: 77; übers. v. F.K.)

Die vorliegende Arbeit verfolgt somit mehrere Teilziele. Zunächst gilt es, einen angemessenen Kollokationsbegriff und einen geeigneten Methodenansatz zu erarbeiten. Aufgrund der Tatsache, dass „sich hinter der gleichen Terminologie zum Teil unterschiedliche Konzepte verbergen und umgekehrt nicht selten auf ein und dasselbe Kollokationskonzept mit unterschiedlicher Terminologie referiert wird“, erscheint es nämlich notwendig, den Kollokationsbegriff praktisch für jede Untersuchung (neu) zu bestimmen (Ludewig 2005: 71).

Auf dieser Basis soll die Kollokativität ausgewählter morphologisch-syntaktischer Strukturtypen in den deutschsprachigen Gesetzestexten untersucht werden. Das Augenmerk soll auf die Kollokationen gerichtet werden, die nach Pieńkos (1999: 40f.) den sog. ‚unterstützenden Wortschatz‘ (słownictwo wspierające), d.h. ← 16 | 17 → einen wesentlichen Bestandteil des fachsprachlichen Diskurses bilden. Im Gegensatz zu Fachtermini, die von der jeweiligen Wissenschaftsdisziplin aufgeworfen werden – für die Rechtssprache trifft dies wegen ihrer Systemgebundenheit nur bedingt zu –, könne sich der Redakteur oder Übersetzer bei der Ausarbeitung des Diskurses eines breiteren Sprachmaterials bedienen (vgl. Pieńkos 1999: 40f.). Zugleich gilt es aufgrund der Bezugnahme der Ausgangssprache und Zielsprache auf unterschiedliche Rechtssysteme, sich bei terminologischen Fragen an der Quellenkultur zu orientieren, während man sich bei der Bildung kollokativer Einheiten auf die Zielsprache ausrichten sollte (vgl. Jędrzejowska 2009: 89). Inwiefern diesem Grundsatz auch bei den hier analysierten Übertragungen Rechnung getragen wird, bleibt zu klären.

Die ermittelten deutschen Kollokationen sollen im Hinblick auf deren polnische Entsprechungen näher beleuchtet werden. Dabei ist insbesondere zu prüfen, ob die eingesetzten Entsprechungen usuellen Charakter haben oder lediglich okkasionell gebraucht wurden. Mit Bedacht wird bei den polnischen Entsprechungen die Usualität und nicht die Kollokativität der Verbindungen ins Visier genommen, da im zwischensprachlichen Vergleich Kollokationen in einer Sprache in einer anderen nicht immer ebenfalls kollokative Verbindungen entsprechen müssen. Um daher von einem eventuellen prägenden Einfluss der Übersetzungen auf die polnische Sprache sprechen zu dürfen, erscheint es nicht zweckgemäß, das Spektrum äquivalenter usueller Verbindungen dadurch einzuschränken, dass nicht-kollokative Kombinationen nur vor dem Hintergrund ihrer mangelnden Kollokativität außer Betracht bleiben.

1.2. Aufbau der Arbeit

Die vorliegende Arbeit ist in zehn Teile gegliedert. Nach der Einleitung werden im zweiten Kapitel theoretische Grundlagen der Kollokationsforschung mit richtungsweisenden Ansätzen in diesem Bereich geliefert. Dies erfolgt in der Absicht, bestehende Theorien und Herangehensweisen danach auszuloten, inwiefern sie Relevanz für die vorliegende Untersuchung beanspruchen könnten. Anschließend gilt es einen operationalisierbaren Kollokationsbegriff zu erarbeiten.

Im dritten Kapitel erfolgt eine Heranführung an das Untersuchungskorpus. Da die zu analysierenden Texte nicht im luftleeren Raum existieren, gebe ich zunächst einen Überblick über die rechtshistorischen Hintergründe. Dabei wird insbesondere auf die Unterschiede in der Rechtsentwicklung in den ehemaligen polnischen Staatsgebieten nach der Teilungszeit fokussiert. Eine besondere Aufmerksamkeit schenke ich dem Einfluss des deutschsprachigen Rechts im Polen der Zwischenkriegszeit, gehe daraufhin auf den Forschungsstand zum Einfluss ← 17 | 18 → des Deutschen auf die polnische Rechtssprache ein und beschreibe schließlich die der vorliegenden Arbeit zugrunde gelegten Teilkorpora.

Der im zweiten Kapitel erarbeitete Kollokationsbegriff macht es erforderlich, daran „mehrperspektivisch heranzugehen und einen integrierten Methodenansatz zu erarbeiten“ (Kratochvílová 2011: 98). Daher wird im vierten Kapitel die bei der vorliegenden Untersuchung gewählte methodische Herangehensweise an das Phänomen der Kollokationen geschildert.

Anschließend werden Ergebnisse der empirischen Analysen präsentiert. Kapitel fünf widmet sich Kollokationen im Bürgerlichen Gesetzbuch. Zunächst werden darin exemplarisch andere Typen von Mehrwortverbindungen gezeigt, woraufhin die Kollokativität der ermittelten Kollokationskandidaten geprüft wird. Die als Kollokationen eingestuften Wortkombinationen werden gemeinsamen Kollokationsfeldern zugeordnet.

Den Ausgangspunkt des sechsten Kapitels bildet die Klärung des Äquivalenzbegriffs mit besonderer Berücksichtigung dieser Relation bei rechtsprachlichen Übersetzungen. Darauf folgend werden die Äquivalenzverhältnisse zwischen den deutschen Kollokationen im BGB und deren Entsprechungen in der analysierten polnischen Übersetzung näher beleuchtet. Anschließend wird die Usualität der äquivalenten Mehrwortverbindungen im Polnischen geprüft. Erörtert wird dabei die Frage, ob sich bei der Erhaltung bzw. Nicht-Erhaltung bestimmter Wortkombinationen im Polnischen irgendwelche Prinzipen ablesen lassen, d.h. ob eine Korrelation mit Faktoren wie Häufigkeit des Vorkommens oder Anzahl alternativer Ausdrucksmöglichkeiten in der Übertragung feststellbar ist. Um Rückschlüsse auf den möglichen Einfluss des Deutschen auf die usuellen polnischen Entsprechungen zu ziehen, wird das Vorkommen kompositionell gebildeter Kombinationen in Nachschlagewerken geprüft, die einen älteren Sprachzustand des Polnischen repräsentieren.

Die zwei weiteren Kapitel widmen sich auf ähnliche Weise den Kollokationen in dem zweiten Teilkorpus, dem österreichischen ABGB, und der Frage der Äquivalenz und Usualität von deren Entsprechungen im Polnischen.

Das vorletzte Kapitel behandelt die Usualität der ermittelten Mehrwortverbindungen im dritten Teilkorpus, dem französisch-polnischen Recht. Da für Teile dieses Korpus kein fremdsprachiger Paralleltext vorliegt, weil entsprechende Gesetze auf Polnisch beschlossen wurden, gehe ich in diesem Kapitel direkt von den ermittelten polnischen Kombinationen aus. Die Analyse der Usualität korrespondiert allerdings mit der Herangehensweise an die zwei vorigen Teilkorpora.

In dem letzten Kapitel werden die wesentlichen Ergebnisse zusammengeführt und es wird auf einige Forschungsdesiderata hingewiesen. Zu guter Letzt wird das Verzeichnis der verwendeten Literatur angeführt.

← 18 | 19 → 2. Theoretische Grundlagen

2.1. Richtungsweisende Ansätze in der Kollokationsforschung

In der Phraseologie ist bei Methoden, im Gebiet der Theoriebildung, bei der Analyse von Texten ein Kenntnisstand erreicht worden, hinter den nicht durch mangelnde Recherchen zurückgefallen werden darf. Wenn wir heute auf den bestehenden Forschungsstand aufbauen und darüber hinauskommen wollen, so müssen wir einerseits über zufällig gefundene Sprachmaterialien hinausgehen und größere Korpora systematisch analysieren. Andererseits kann auch die allgemeine Theorie der Phraseologie in ihren Facetten nicht einfach als gegeben vorausgesetzt werden, sondern es müssen die verschiedenen theoretischen Schulen stärker aufeinander bezogen und ihre Ergebnisse weiterführend überprüft, zusammengeführt und in Frage gestellt werden. (Häcki Buhofer 2006: III-IV)

Da eine eigenständige fachsprachliche Kollokationstheorie bislang nicht vorliegt und um dem obigen, zum Motto gewählten Postulat von Häcki Buhofer Rechnung zu tragen, wird im Folgenden näher auf gemeinsprachlich orientierte Kollokationstheorien eingegangen, welche im Anschluss auf fachsprachenbezogene Untersuchungen übertragen werden (vgl. Cedillo 2004: 70). Der im Folgenden gebotene Forschungsüberblick über verschiedene Ansätze in der Kollokationsforschung erhebt allerdings keinen Anspruch auf Vollständigkeit; vielmehr werden einige wenige Ansätze herausgegriffen, die für die vorliegende Untersuchung Relevanz beanspruchen könnten.

Details

Seiten
390
Jahr
2015
ISBN (PDF)
9783653042283
ISBN (ePUB)
9783653987102
ISBN (MOBI)
9783653987096
ISBN (Hardcover)
9783631651131
DOI
10.3726/978-3-653-04228-3
Sprache
Deutsch
Erscheinungsdatum
2015 (Juni)
Schlagworte
Äquivalenz Usualität polnisches Recht sprachliche Einflüsse
Erschienen
Frankfurt am Main, Berlin, Bern, Bruxelles, New York, Oxford, Wien, 2015. 390 S., 3 s/w Abb., 22 Tab.

Biographische Angaben

Felicja Ksiezyk (Autor:in)

Felicja Maria Księżyk ist Wissenschaftliche Mitarbeiterin am Institut für Germanistik der Universität Opole. Ihre Forschungsschwerpunkte sind Sprachinselforschung, Sprachkontaktforschung und fachsprachliche Phraseologie.

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