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Gesetzliches Unrecht: Die Bedeutung des Begriffs für die Aufarbeitung von NS-Verbrechen

Die Rezeption der Radbruchschen Formel in Rechtsprechung und Rechtslehre nach 1945

von Clea Laage (Autor:in)
©2014 Dissertation 161 Seiten

Zusammenfassung

Neubeginn oder Kontinuität nach 1945? In diesem Spannungsfeld steht die von Gustav Radbruch 1946 geprägte Formel gesetzliches Unrecht und übergesetzliches Recht auf der Seite des politischen und rechtlichen Neubeginns. Mit dem Begriff des gesetzlichen Unrechts ist ausgeschlossen, dass sich NS-Täter auf das despotische NS-Normensystem berufen. Die Diskussion nach 1945 um den Begriff des gesetzlichen Unrechts und seine positivierte Form, das Kontrollratsgesetz Nr. 10, wird anhand von fünf Fallgruppen analysiert: der NS-Amnestie des Erzberger-Mörders Tillessen, der Denunziationen im NS-Staat, dem Entzug jüdischen Vermögens, der NS-«Euthanasie» und der Justizverbrechen. Die Arbeit beschreibt, wie ein juristischer Neubeginn möglich war.

Inhaltsverzeichnis

  • Cover
  • Titel
  • Copyright
  • Autorenangaben
  • Über das Buch
  • Zitierfähigkeit des eBooks
  • Vorwort des Herausgebers
  • Inhaltsverzeichnis
  • Abkürzungen
  • A. Vorbemerkungen
  • B. Die Radbruchsche Formel „Gesetzliches Unrecht und übergesetzliches Recht“
  • I. Entwicklung einer materiellen Geltungslehre
  • II. Prüfungskriterien: Wann ist ein NS-Gesetz gesetzliches Unrecht?
  • C. Alliierte Gesetzgebung im Sinne der Radbruchschen Formel
  • I. Entnazifizierung der NS-Rechtsordnung
  • II. Das Kontrollratsgesetz Nr.
  • D. Die Auseinandersetzung um den Begriff des gesetzlichen Unrechts
  • I. Was sind typisch nationalsozialistische Gesetze?
  • 1. Das Prüfungsrecht des Richters
  • 2. Die Ausübung des Prüfungsrechts
  • a) Bekenntnisse zur Radbruchschen Formel
  • b) Neue Prüfungskriterien
  • aa) Der objektive Wortlaut eines NS-Gesetzes
  • bb) Bereinigende Auslegung von NS-Gesetzen
  • cc) NS-Gesetze als Ergebnis einer normalen Rechtsentwicklung
  • dd) Die Brauchbarkeit eines NS-Gesetzes im neuen Staat
  • ee) Auch ein Rechtsstaat hat solche Gesetze
  • ff) Ergebnis
  • II. Die Auseinandersetzungen um das Kontrollratsgesetz Nr.
  • 1. Die Einengung des Tatbestands
  • 2. Das Verhältnis von deutschem Strafrecht und Kontrollratsgesetz Nr.
  • 3. Der Verstoß gegen das Rückwirkungsverbot
  • a) Die Diskussion in der Rechtslehre
  • b) Die Diskussion in der Rechtsprechung
  • III. Die Anwendung des Kontrollratsgesetzes Nr. durch deutsche Gerichte
  • 1. Statistische Auswertung
  • Länder der amerikanischen Zone:
  • Länder der französischen Besatzungszone:
  • Länder der britischen Besatzungszone:
  • Berlin:
  • 2. Die Rücknahme der Ermächtigung zur Aburteilung nach dem Kontrollratsgesetz Nr. 10
  • IV. Juristische Formen der Schuldabwehr
  • E. Die Anwendung der Kategorie des gesetzlichen Unrechts und des Kontrollratsgesetzes Nr. in einzelnen Fallgruppen
  • I. NS-Amnestie: Der Tillessen-Fall
  • 1. Die Verfahrensgeschichte
  • 2. Die Entscheidung des LG Offenburg vom 29.11.1946
  • a) Die Rechtsgültigkeit der Amnestieverordnung
  • b) Keine Strafbarkeit von Tillessen nach dem Kontrollratsgesetz Nr. 10
  • 3. Die Kritik an der Entscheidung des LG Offenburg
  • a) Die Reaktion im Allgemeinen
  • b) Die Rechtsungültigkeit der Amnestieverordnung
  • c) Strafbarkeit von Tillessen nach dem Kontrollratsgesetz Nr. 10
  • II. Der Entzug jüdischen Vermögens
  • 1. Die Fragestellung: Nichtigkeit naturrechtswidriger Hoheitsakte?
  • 2. Nichtigkeit von Hoheitsakten und Rechtsgeschäften aufgrund gesetzlichen Unrechts am Beispiel der Enteignung von Juden
  • a) Die Gesetze zur Enteigung der Juden sind gesetzliches Unrecht
  • b) Änderung der Rechtsverhältnisse trotz gesetzlichen Unrechts
  • aa) Die Rechtsprechung 1946
  • bb) Das Rückerstattungsrecht
  • cc) Die Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs
  • 3. Entzug jüdischen Vermögens als Verbrechen gegen die Menschlichkeit
  • III. Die Anstaltsmorde
  • 1. Die objektive Rechtswidrigkeit
  • a) Die Rechtsprechung 1946-1948
  • b) Die Rechtsprechung ab 1948
  • c) Die Notwendigkeit des Begriffs des gesetzliches Unrechts
  • 2. Unrechtsbewusstsein und übergesetzliches Recht
  • a) Die erste Phase 1946-1948
  • aa) Die Rechtsprechung
  • bb) Die Rechtslehre
  • cc) Die Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofes für die Britischen Zone
  • b) Die zweite Phase ab 1948/49
  • aa) Die Verbotsirrtumslehre des Bundesgerichtshofs
  • bb) Die Rechtslehre
  • cc) Die Rechtsprechung 1951-1967
  • c) Die dritte Phase ab 1967
  • 3. Die Strafbarkeit nach dem Kontrollratsgesetz Nr. 10
  • a) Die Anwendung des Kontrollratsgesetzes Nr. 10
  • b) Pflichtenkollision als Schuldausschließungsgrund
  • aa) Die Rechtsprechung der Landes- und Oberlandesgerichte
  • bb) Die Kritik an dieser Rechtsprechung
  • c) Pflichtenkollision und Tatbestandsausschluss
  • IV. Die Anzeigeverbrechen
  • 1. Die Strafbarkeit nach dem Kontrollratsgesetz Nr. 10
  • a) Der objektive Tatbestand
  • b) Der subjektive Tatbestand
  • 2. Die objektive Rechtswidrigkeit
  • a) Die erste Phase 1946/47
  • aa) Rechtswidrigkeit wegen gesetzlichen Unrechts
  • bb) Rechtswidrigkeit wegen der Auslieferung an den Willkürstaat
  • b) Die zweite Phase ab Ende 1947
  • 3. Die subjektive Rechtswidrigkeit
  • a) Folgenvoraussicht
  • aa) Die Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofes für die Britische Zone
  • bb) Die Rechtsprechung der übrigen Gerichte und die Rechtslehre
  • b) Das Unrechtsbewusstsein
  • V. Die Justizverbrechen
  • 1. Das Richterprivileg
  • 2. Kein Richterprivileg bei der Verletzung übergesetzlichen Rechts
  • a) Die Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofes für die Britische Zone
  • b) Kein Richterprivileg bei „Scheinverfahren“
  • 3. Rechtsbeugung durch die Anwendung gesetzlichen Unrechts
  • a) Der Begriff „Recht“ in § StGB und der Schutzzweck des § 336 StGB
  • b) Die Rechtslehre
  • c) Das Urteil im Nürnberger Juristenprozess
  • d) Die Urteile deutscher Gerichte
  • 4. Die Verantwortlichkeit des rechtsblinden Richters: Rechtsbeugungsvorsatz und Rechtsblindheit
  • a) Die frühe Rechtslehre: Rechtsblindheit oder positivistische Verblendung
  • b) Die Rechtsprechung
  • aa) Der Irrtum über die Beugung des Rechts ist Tatbestandsirrtum
  • bb) Rechtsbeugung erfordert direkten Vorsatz
  • c) Die spätere Rechtslehre
  • aa) Der Irrtum über die Gültigkeit des Rechts ist Verbotsirrtum
  • bb) Rechtsbeugung erfordert nur bedingten Vorsatz
  • Literaturverzeichnis
  • Danksagung
  • Reihenübersicht

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Abkürzungen

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A. Vorbemerkungen

Es ist vielfach belegt, dass der Versuch, den neu entstehenden demokratischen Rechtsstaat in Deutschland nach 1945 auf die juristische und politische Aufarbeitung der NS-Vergangenheit, insbesondere auf die Ahndung von NS-Verbrechen zu gründen, nur teilweise erfolgreich war. Nur ein Bruchteil der NS-Täter wurde bestraft. Ihre Exkulpation implizierte die weitgehende Legitimation des NS-Staates und seiner Rechtsordnung.10

Schwerpunkt der Arbeit ist nicht die Darstellung dieser tatsächlichen Entwicklung, sondern die Frage, ob es juristische Alternativen gab und warum sich diese nicht durchsetzen konnten. Eine solche diskutable – und in einer ersten Nachkriegsphase (1946-1947/48) auch angewendete – Alternative war der Begriff des gesetzlichen Unrechts. Die Radbruchsche Formel „Gesetzliches Unrecht und übergesetzliches Recht“ hatte, so die in Teil B entwickelte These, die Funktion, die Rechtsprechung bei der Aufarbeitung nationalsozialistischen Unrechts zu unterstützen. In ihr lag die Chance, die 1947 einsetzende Restauration, deren wesentliche Determinanten die Verdrängung der Verbrechen des NS-Staates und die Exkulpation von NS-Tätern waren,11 zu durchbrechen. Denn durch die Klassifizierung des NS-Rechts12 als (gesetzliches) Unrecht wurde den NS-Tätern die Berufung auf die NS-Gesetze abgeschnitten.

Gegen die Kategorie des gesetzlichen Unrechts und ihre positivierte Form, das Kontrollratsgesetz Nr. 10 (Teil C), entwickelten Rechtslehre und Rechtsprechung ab 1947 eine Reihe von Argumenten, die darauf zielten, die Kategorie des gesetzlichen Unrechts als ein Instrument des rechtlichen und politischen Neubeginns zu negieren (Teil D).

In Teil E wird anhand einzelner Fallgruppen untersucht, ob und bis wann die Kategorie des gesetzlichen Unrechts und das KRG 10 in der Rechtsprechung nach 1945 angewandt wurden. Es stellen sich folgende Fragen: Sind in einer ersten Nachkriegsphase die Kategorie des gesetzlichen Unrechts und das KRG 10 ← 15 | 16 → angewandt worden? Welche Folgen hatte das für die Entlegitimierung der NS-Rechtsordnung und die Ahndung von NS-Verbrechen? Gab es eine zweite Phase, in der die Verdrängung der Kategorie des gesetzlichen Unrechts einherging mit der Exkulpation von NS-Tätern?

10 Vgl. die Aufsatzsammlung Redaktion Kritische Justiz 1998; Frankenberg, Müller 1983; Kruse 1979; Friedrich 1983; Benzler 1988; Kirn 1972.Gegenstand der Arbeit ist die Entwicklung in den Westzonen nach 1945 und ab 1949 in der Bundesrepublik Deutschland.

11 Perels 1984, S. 360 f.

12 Es wird darauf verzichtet, im Folgenden von NS-„Recht“, NS-„Gesetzen“ und NS-„Rechts“ordnung zu sprechen, obwohl die Rechtsordnung des NS-Staates in großen Teilen Unrecht war. Vgl. Neumann, 1936, Ausgabe 1980, S. 355: „Unter dem Schlussstrich steht also ein negatives Resümee: Es gibt heute in Deutschland kein Recht mehr. Was Recht genannt wird, ist ausschließlich eine Technik, um den politischen Willen des Führers in Verfassungswirklichkeit zu transformieren.“ Vgl. B. II.

Details

Seiten
161
Jahr
2014
ISBN (PDF)
9783653036046
ISBN (ePUB)
9783653988611
ISBN (MOBI)
9783653988604
ISBN (Hardcover)
9783631647899
DOI
10.3726/978-3-653-03604-6
Sprache
Deutsch
Erscheinungsdatum
2014 (August)
Schlagworte
Kontrollratsgesetz Euthanasie Denunziation NS-Staat Enteignung jüdisches Vermögen
Erschienen
Frankfurt am Main, Berlin, Bern, Bruxelles, New York, Oxford, Wien, 2014. 161 S., 4 Tab., 1 Graf.

Biographische Angaben

Clea Laage (Autor:in)

Clea Laage, Doppelstudium der Sozial- und Rechtswissenschaften an der Universität Hannover; Erstes und Zweites juristisches Staatsexamen; berufliche Tätigkeit zunächst als Beamtin der Freien und Hansestadt Hamburg, danach im Dienst des Landes Niedersachsen. Derzeit tätig in der Arbeitsgruppe Rechtsvereinfachung der Niedersächsischen Staatskanzlei.

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