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Gesammelte Werke

Schriften zur philosophischen Pädagogik Teil 1- Bildung – Begeisterung – Freiheit

von Tomasz Stepien (Autor:in)
©2014 Monographie 390 Seiten

Zusammenfassung

Im Gesamtwerk von Anton Hilckman nimmt die Konzeption der Sinnphilosophie mit der Frage nach dem Sinn von Freiheit, Bildung, Politik, Technik und Geschichte eine besondere Stelle ein. Im Mittelpunkt steht die Konzeption des Menschen als eines für die Freiheit begeisterten Wesens. Freiheit bedeutet aber auch moralische Verpflichtung, womit Hilckman auf die Bedeutung von Bildung bei der Verwirklichung des menschlichen Wesens – der Humanitas – verweist. Seine Sinnphilosophie erscheint als ein Manifest für Freiheit und Würde des Menschen. Zum Teil als Erstveröffentlichungen schließen die in diesem Band erstmalig zusammengestellten sinnphilosophischen Arbeiten Anton Hilckmans eine Forschungslücke in der Philosophie und den Geisteswissenschaften des 20. Jahrhunderts.

Inhaltsverzeichnis

  • Cover
  • Titel
  • Copyright
  • Autorenangaben
  • Über das Buch
  • Zitierfähigkeit des eBooks
  • Inhaltsverzeichnis
  • Die philosophisch-christliche Pädagogik. Geleitwort zur philosophischen Schriften von Anton Hilckman (Tomasz Stępień)
  • Kultur und die philosophische Bildung des Menschen
  • Leben und Werk von Anton Hilckman
  • Edition der philosophischen Schriften von Anton Hilckman
  • Die Konzeption der Sinnphilosophie von Anton Hilckman innerhalb der Philosophie des 20. Jahrhunderts (Tomasz Stępień)
  • Der Sinn und die Würde des Menschen
  • Die Bestimmung der Freiheit
  • Das Sollen in der Freiheit
  • Freiheit und Begeisterung: Homo numine afflatus
  • Die Frage nach dem Sinn von Bildung, Politik, Technik und Geschichte
  • Vom Sinn der Freiheit und andere Essays
  • Geleitwort
  • Sinn der Besinnung
  • Vom Sinn der Freiheit
  • Begeisterung und Fanatismus. Gedanken über einige Ursachen von Heil und Unheil in Leben und Geschichte
  • Pflicht
  • Leidenschaft
  • Vom Sinn des Glückes
  • Vom Sinn der Bildung
  • Vom Sinn des Politischen
  • Die Technik – Fluch, Segen oder Verantwortung?
  • Gibt es einen Fortschritt in der Geschichte?
  • Vom Sinn des Glückes
  • Sinnphilosophische Aufsätze
  • Kulturphilosophische Gedanken zur Not der Gegenwart
  • Vom Antlitz der Landschaft und vom Reisen und Wandern
  • Vom geistigen Pöbel
  • Von unserem Hasten und vom Rasten!
  • Von der Künstlichkeit und von der Natürlichkeit des Lebens
  • Vom Feiern
  • La libertà
  • Der Staat – Diener am Menschen
  • Was ist Freiheit?
  • Über Wesen und Sinn der Freiheit. Nur der verdient sich Freiheit wie das Leben, der täglich sie erobern muss!
  • Jeder Mensch hat Pflichten
  • Recht auf Lärm oder Recht auf Stile?
  • Der Mensch zwischen Lärm und Schweigen
  • Begeisterung und Fanatismus
  • Vom Weg zum wesentlichen Menschen
  • Über die Bildung
  • L’assolutezza della morale e l’indissolubilità del matrimonio secondo F.W. Foerster
  • Che cosa sono le cosiddette ideologie?
  • Istanze dell’ateismo contemporaneo
  • Educazione civica, maturità politica, coraggio civile
  • Evoluzionismo e storia umana
  • Il problema della scienza
  • La filosofia nel mondo d’oggi
  • Tempo ed eternità
  • Frage nach dem Sinn der Erscheinungen
  • Schriften zur Anthropologie und Naturwissenschaften
  • Anthropologische Geschichtsauffassung
  • Rassenkunde und rassenbiologische Geschichtsauffassung
  • Glossen zur Rassenkunde
  • P.W. Schmidt SVD – Festschrift
  • Von Rassenkunde und Seelenforschung
  • Rassen und Rassenfragen im heutigen Deutschland
  • Der heutige Stand der rassenkundlichen Forschung. Versuch einer allgemeinen Orientierung im Chaos der Anthropologie
  • Neue Wege des naturwissenschaftlichen Denkens
  • Bibliographie
  • Vom Sinn der Freiheit / Vom Sinn des Glückes
  • Sinnphilosophische Aufsätze
  • Schriften Anthropologie und Naturwissenschaften
  • Personenverzeichnis
  • Series Index

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Die philosophisch-christliche Pädagogik. Geleitwort zur philosophischen Schriften von Anton Hilckman

Tomasz Stępień

Im Gesamtwerk von Anton Hilckman nehmen die philosophischen Schriften, verstanden auch als ein Beitrag zur philosophischen und gleichzeitig christlichen Pädagogik, eine besondere Stellung an. Sein Gesamtwerk weist drei sich gegenseitig ergänzenden und beeinflussenden Dimensionen auf: 1) die kulturtheoretischen Schriften, 2) die philosophisch-christliche Reflexion über den Menschen und die Geschichte und 3) die politische Theorie und Praxis. Grundlegend für Hilckmans Gesamtwerk ist die Konzeption der vergleichenden Kulturwissenschaft, die auf dem klassischen und realistischen Begriff der Kultur als forma vitae universalis und formatio humanitatis specifica ausgearbeitet bei Hilckman, gründet.

Diese Bestimmung der Kultur und die vergleichende Kulturwissenschaft ergänzt Hilckman durch die Konzeption der Sinnphilosophie, die man als ein Manifest der menschlichen Freiheit und Würde bezeichnen kann. Hilckman deutet die Freiheit als eine moralische Verpflichtung des Menschen einerseits, andererseits erfasst er den Menschen als homo numine afflatus, als ein für die Freiheit und das Gute begeistertes Wesen. Die Verwirklichung der Freiheit und des Guten wird bei Hilckman der Verwirklichung des menschlichen Wesens – der humanitas – sowohl im gesellschaftlichen als auch im individuellen Leben des Menschen gleichgesetzt. Demnach die Kulturtheorie, die Sinnphilosophie und die aus ihnen resultierte und praxisorientierte Politik- und Sozialtheorie machen die drei Grundelemente seiner spezifischen Pädagogik aus.

Kultur und die philosophische Bildung des Menschen

Entsprechend dieser Kulturbestimmung Hilckmans Untersuchungen fokussieren auf dem Phänomen der kulturellen Vielfalt der Welt. Demgemäß entwickelte er die Methode der vergleichenden Kulturwissenschaft – das Perlustrieren, verstanden als ein multidimensionales Vergleichen von den jeweiligen Gebieten der Kultur und sodann bis hin zum Vergleichen von den einzelnen Kulturen selbst untereinander. Das Vergleichen als die Grundmethode der Kulturwissenschaft resultiert nach Hilckman „aus der Tatsache der weltweiten Begegnung der Kulturen“, und ← 7 | 8 → das heißt, „es können und müssen sämtliche Kulturen auch unter dem Aspekt ihrer einzelnen Teilgebiete, Stück für Stück miteinander verglichen werden“1. Das Vergleichen und das Phänomen der Vielfalt der Kulturen weisen nach Hilckman auf die allgemeine Definition der Kultur als forma vitae universalis und formatio humanitatis specifica, was bedeutet, dass „die Kulturen sind die verschiedenen Weisen, Mensch zu sein“; gleichzeitig aber Hilckman hebt die normative, moralisch-ethische Signifikanz der Kultur hervor, d.h.: „Eine Kultur ist eine Gesittungsform“ (Hilckman 1967, S. 30). Damit meint er die innere Formung des Menschen, seine ‚Bildung‘, sowohl im individuellen als auch im gesellschaftlichen Leben. In diesem Sinne bedeutet das Vergleichen, „ein inneres Verständnis für den oft so grundverschiedenen kulturellen Horizont (…), eine wahre, echte Begegnung zwischen den Kulturen“ zu erlangen (Hilckman 1967, S. 9).

Hilckman führt seine Kulturtheorie und die Konzeption der vergleichenden Kulturwissenschaft aus der Triade von Kultur, Religion und Sprache als die konstitutiven Elemente der Grundverfassung des Wesens des Menschen heraus. Dabei fungiert die Kultur vor allem als Ausdruck der sittlichen Verfassung des Menschen. Hilckman erklärt eindeutig: „Es ist die Gesamtweise sittlichen Urteilens und sittlichen Verhaltens, die ‚Gesamteinstellung‘ des Menschen zum Leben, seine Weise, sich selbst und sein Verhältnis zu anderen Menschen zu sehen. (…) Hier liegen letzten Endes die Wurzeln der großen Verschiedenheiten zwischen den Kulturen, es sind Verschiedenheiten sowohl des persönlichen Lebensstiles wie auch die damit zusammenhängenden Verschiedenheiten der Einstellung und des Verhaltens gegenüber dem ‚Anderen‘, der uns in der Familie, in den engeren und weiteren Gemeinschaftskreisen begegnet. Vom Bereich des Sittlichen her wird eigentlich alles andere mitbestimmt; und hier werden wir auch ansetzten müssen, wenn wir den eigentlichen ‚Wesenskern‘ einer Kultur finden wollen“ (Hilckman 1967, S. 12). Demzufolge die vergleichende Kulturwissenschaft sollte die Herausstellung der „Einheit des sittlichen Bewusstseins der Menschheit“ (ebd., S. 29) ermöglichen.

Auf dieser Art und Weise die Feststellung und Erklärung von den sittlichen, moralisch-ethischen Unterschieden zwischen den Kulturen sollte ein Beitrag zur Konfliktlösungen leisten. Daraus resultiert nach Hilckman die praktische Bedeutung der Kulturwissenschaft. Das Vergleichen von den Kulturen untereinander, d.h. das Vergleichen von den unterschiedlichen und sich sogar ausschließenden ‚Methoden‘ des gesellschaftlichen Lebens, sollte die Grundlage für das gegenseitige Kennenlernen sein und zur Möglichkeit eines zwischenkulturellen Dialogs hinführen. Deswegen betonte Hilckman ausdrücklich: „Wenn Sie das Wort Kultur ← 8 | 9 → hören, so fragen Sie bitte jedes Mal sofort: was für eine?“ (Hilckman 1967, S. 14). – Gleichzeitig aber kann das gegenseitige Kennenlernen als eine Art der kulturellen Pädagogik betrachtet werden. Hilckman sprach in diesem Zusammenhang von einer kulturellen und politischen Therapie der Menschheit als die eigentliche Aufgabe der vergleichenden Kulturwissenschaft, d.h. „erst dann kann sie aus einer Diagnose der Gegenwart ihren Beitrag zu einer politischen und sozialen Therapie der Menschheit herleiten“ (Hilckman 1967, S. 33).

Die Kulturtheorie fand ihre letzte Begründung und gleichzeitig ihre Krönung in der entwickelten von Hilckman Konzeption der Sinnphilosophie. Seine Kulturwissenschaft verweist auf zwei grundlegenden philosophischen Themen: die Ethik und die Geschichtsphilosophie, d.h. auf die Frage nach der Freiheit und dem Pflicht des Menschen einerseits, und auf dem Sinn und Ziel der Geschichte andererseits. Die Sinnphilosophie als die Vollendung der Kulturwissenschaft erscheint vor allem als die Philosophie der menschlichen Würde und Freiheit. Seine Philosophie ist eine konsequente Durchführung von den vergleichenden Kulturanalysen und bezieht sich vor allem auf die klassische und realistische Metaphysik von Aristoteles und Thomas von Aquin. Dabei sind die beiden Elemente in seinem Gesamtwerk, sowohl die vergleichende Kulturtheorie als auch die Sinnphilosophie, eindeutig praxisorientiert, und das heißt, sie bilden die Grundlage für seine politische Theorie aus.

Gleichzeitig aber können die vergleichende Kulturwissenschaft, die Sinnphilosophie und die politische Theorie von Anton Hilckman als eine umfassende vielseitige Konzeption der Pädagogik erfasst werden. Es ist zunächst die kulturelle Pädagogik, die mit der Affirmation der Vielfalt von Kulturen in der Welt, auf den zwischenkulturellen Dialog hin ausgerichtet ist und deren Aufgabe in der kulturellen Bildung und Erziehung des Menschen besteht. Sodann erscheint die Sinnphilosophie mit einer normativ bestimmten Pädagogik der Freiheit. Schließlich die politische Pädagogik enthalten in der politischen Theorie von Anton Hilckman, zielt eindeutig auf die Erziehung des Menschen zum freien, mündigen und selbstdenkenden Bürger hin. Die kulturelle, philosophisch-christliche und politische Pädagogik sollte nach Hilckman dazu beitragen, dem Menschen seine eigene Würde und damit seine Freiheit und sein Glück nach dem verhängnisvollen Ereignissen in Europa des 20. Jahrhunderts zurückgeben.

Leben und Werk von Anton Hilckman

Das Gesamtwerk von Anton Hilckman, seine Philosophie, Kulturwissenschaft und die weitgefächerte politische Theorie und Publizistik charakterisieren sich nicht nur durch eine theoretische Begründung, sie sind vor allem praxisorientiert. Sie ← 9 | 10 → zielen auf die Bildung von Verhaltensmustern und auf die Fähigkeit und Bereitschaft des Einzelnen als Mitglied der Gesellschaft und als Bürger des Staates, aktiv Stellung zu den kulturellen und gesellschaftspolitischen Ereignissen anzunehmen. Das beste Beispiel dafür hat Hilckman mit seinem eigenen Leben gegeben.

Anton Hilckman wurde am 04. März 1900 in Bevergern bei Rheine (Westfalen) geboren, und ist am 25. Januar 1970 in Mainz gestorben. Von 1919 bis 1921 studierte er Politik- und Staatswissenschaften in Freiburg i.Br., wo er auch die Promotionsarbeit Die naturrechtliche Soziologie der französischen Aufklärung (1921) verfasste. In der Zwischenkriegszeit wirkte er vor allem als Privatgelehrter und Publizist. Die Beherrschung von mehreren Sprachen ermöglichte ihm seine Texte in den damals bedeutenden europäischen Zeitschriften und wissenschaftlichen Periodika zu publizieren2. Anfang der 30er Jahren hat er Philosophie-Studium an der Università Cattolica del Sacro Cuore aufgenommen, wo er 1936 bei dem italienischen Neoscholastiker Giuseppe Zamboni (1875-1950) mit der Arbeit La storiosofia induttiva di Feliks Koneczny (1936) zum zweiten Mal promovierte. Seine Promotionsschrift war dem polnischen Kulturphilosophen und Historiker Feliks Koneczny (1862-1949) gewidmet. Die Kulturtheorie und Geschichtsphilosophie von Koneczny bildete die Grundlage für Hilckmans kulturwissenschaftliche und philosophische Forschungsarbeiten in der Nachkriegszeit3.

In der Zwischenkriegszeit war Hilckman vor allem als engagierter politischer Publizist tätig. Er setzte sich für die föderalistische Gliederung Deutschlands ein und wandte sich scharf gegen das Aufkommen des Nationalsozialismus. In zahlreichen Zeitungartikel und wissenschaftlichen Untersuchungen aus dieser Zeit widerlegte er die Grundlagen des Nationalsozialismus und der Rassenideologie, gleichzeitig zeigte er die Gefahren für Deutschland und Europa, die in der Nazi-Ideologie enthalten waren, vor. Ab 1933 wurde Hilckman durch die Gestapo verfolgt, 1935 verließ er Deutschland und ließ sich in Italien nieder. Infolge einer privaten Denunziation wurde er 1940 in Salzburg verhaftet und 1941 vom Sondergericht Bielefeld verurteilt. Bis 1945 war er Gefangener in mehreren Gestapo-Gefängnissen und Konzentrationslager, u.a. in Sachsenhausen, Buchenwald und Langenstein-Zwieberge bei Dresden. Die Zeit der Gefangenschaft bildet auch den Hintergrund seiner philosophischen Schriften nach 1945, die auf der Frage nach dem Sinn in der Geschichte und der menschlichen Freiheit fokussiert wurden. ← 10 | 11 →

Nach dem Krieg, im Jahr 1946, Hilckman wurde als Professor an die Gutenberg Universität in Mainz berufen, wo er das „Institut für Vergleichende Kulturwissenschaft“ und die Schriftenreihe „Archiv für Vergleichende Kulturwissenschaft“ gründete. Hilckman engagierte sich auch politisch, setzte sich insbesondere für den Prozess der Versöhnung zwischen den europäischen Völkern und die europäische Einigung ein. Im Jahr 1968 erhielt er den Orden „Officier des Palmes Académiques“ als Anerkennung seiner Verdienste um die deutsch-französische Aussöhnung, und 1970, post mortem, die polnische Exil-Regierung in London würdigte Hilckmans Bemühungen um den deutsch-polnischen Dialog mit der Verleihung des Offiziers-Kreuzes „Polonia Restituta“. Im Jahr 1966 Hilckman schenkte sein Geburtshaus der Stadt Bevergern, wo sich bis heute das Heimatmuseum und das ganze Hilckman-Archiv befinden.

Edition der philosophischen Schriften von Anton Hilckman

Die Edition von den Gesammelten Werken von Anton Hilckman wurde mit den Schriften zur Kulturwissenschaft im Jahr 2011 begonnen4. Die zwei vorliegenden Bände umfassen die wichtigsten philosophischen Schriften von Anton Hilckman. Im ersten Band (Band 3 der Gesammelten Werke), mit dem Titel Bildung – Begeisterung – Freiheit. Schriften zur philosophischen Pädagogik Teil 1, sind vor allem die grundlegenden Arbeiten Hilckmans im Hinblick auf seine Konzeption der Sinnphilosophie enthalten. In erster Linie handelt es sich um sein philosophisches Hauptwerk Vom Sinn der Freiheit, das zum ersten Mal im Jahr 1959 publiziert wurde, und sich direkt auf Hilckmans Gefangenschaft während des II Weltkriegs bezieht. Es ist eine Sammlung von philosophischen Essays, die auf der Grundlage seiner Kulturtheorie die wichtigsten philosophischen Fragen aufwerfen. Den Ausgangspunkt seiner philosophischen Reflexion bildet die immer wiederkehrenden Fragen nach dem Sinn von Freiheit und Glück, Bildung und Politik, um dann das Problem des Verhältnisses zwischen Begeisterung und Fanatismus und damit der Bedeutung der Religion in der Kultur und Gesellschaft zu erörtern. Hilckman erweitert sodann die philosophische Reflexion um die explizit ethische Dimension ← 11 | 12 → mit der Untersuchung von Pflicht, Leidenschaft und Freiheit im Hinblick auf die allgemeine Bildung des Menschen. Schließlich, konfrontiert mit der rasanten Entwicklung der Technik, stellt er die Frage nach dem Fortschritt und Sinn in der Geschichte überhaupt.

Eine besondere Stelle nimmt in dieser Sammlung der philosophische Essay Vom Sinn des Glücks geschrieben direkt nach dem Kriege und seiner Befreiung und publiziert 1947 noch unter dem Pseudonym Adam Prosper. Es folgen sodann die sogenannten Sinnphilosophischen Aufsätze aus der Zwischen- und Nachkriegszeit, die man als eine philosophische Analyse von den wichtigsten Ereignissen in damaligen Zeiten deuten kann. Hilckman untersucht in ihnen vor allem die passierenden Gesellschaftswandlungen in Deutschland und Europa; setzt sich mit dem Problem der Säkularisierung und des Atheismus in den westlichen Gesellschaften, mit dem Phänomen der Künstlichkeit des gesellschaftlichen Lebens, mit der Massenkultur und mit der Doktrin des Evolutionismus auseinander. Den ersten Band der philosophischen Schriften von Anton Hilckman schließen Aufsätze zur Anthropologie und Naturwissenschaften. Vor allem die Schriften zur Anthropologie verdienen eine besondere Aufmerksamkeit. Hilckman hat sie in der Zwischenkriegszeit als eine wissenschaftliche und politische Auseinandersetzung mit der Rassenideologie des Nationalsozialismus verfasst. Sie enthalten die wissenschaftliche Widerlegung der Rassenideologie und sollten direkt zur Hilckmans Verhaftung und Verurteilung führen. Hilckman vollzieht in seinen Analysen vor allem eine scharfe Abgrenzung zwischen der Rassenkunde als eine wissenschaftliche Subdisziplin der Anthropologie und Ethnologie und der Rassenideologie des Nationalsozialismus. Darüber hinaus bilden diese Schriften den Hintergrund für sein politisches Engagement gegen den Nationalsozialismus in der Zwischenkriegszeit.

Der zweite Band der philosophischen Schriften von Anton Hilckman (Band 4 der Gesammelten Werke) mit dem Titel Christliche Philosophie. Schriften zur philosophischen Pädagogik Teil 2 sammelt seine Arbeiten aus der 50-jährigen Schaffungsperiode. Es sind zunächst die bisher unvollständig publizierten Aufsätze gewidmet der Auseinandersetzung um den philosophischen Realismus und die philosophische Bildung, wie Oswald Külpes kritischer Realismus, Noëls Epistemologie und Psychologismus als Wurzel des englischen Empirismus, geschrieben in den 20er und 30er Jahren des 20. Jahrhunderts. – Sodann sind es Hilckmans Schriften, die, die wichtigsten Ereignissen innerhalb der Philosophie in Deutschland und Italien charakterisieren. Es handelt sich dabei um eine spezifische Berichterstattung, in der die philosophische Forschung und die wissenschaftlichen Arbeiten in Zusammenhang mit den politischen und gesellschaftlichen Ereignissen gebracht werden. Damit werden die philosophische Reflexion und die Philosophie als Wissenschaft in den gesellschaftlichen und politischen Prozess vollintegriert. ← 12 | 13 → Hilckman fasste seine philosophischen Aufsätze in Form von Buchbesprechungen, die uns gleichzeitig in die geistige Situation der damaligen Zeiten einführen. Man kann diese Aufsätze auch als eine Art der philosophischen Publizistik ansehen. Dabei lassen sich seine philosophischen Aufsätze nach jeweiligen Länder Europas unterteilen und geben damit die wichtigsten intellektuellen Ereignisse aus dieser Zeit innerhalb der Philosophie und dem gesellschaftlichen Leben in Deutschland und Italien, aber auch in Polen und Frankreich, wieder. Hilckmans Aufsätze versetzen uns in die westliche Gesellschaft um die Mitte des 20. Jahrhunderts, sie sind in gewisser Weise ein Abbild der europäischen Kultur und Gesellschaft.

Gleichzeitig die in diesen Aufsätzen enthaltene Charakteristik der philosophischen Forschung im 20. Jahrhunderts bildet bei Hilckman die Grundlage der Erörterung der Frage nach der Möglichkeit einer christlichen Philosophie. Im Gesamtwerk von Anton Hilckman spielt das Christentum eine zentrale Rolle. Das christliche Denken und der Universalismus der christlichen Ethik bilden nach Hilckman das Fundament der westlichen, lateinischen Kultur. Und einen festen Bestandteil dieser Kultur machen die Philosophie und die Wissenschaft aus. Hilckman als christlicher Denker weicht an dieser Stelle nicht ab, und stellt direkt die Frage, inwiefern dürfen wir von einer christlichen Kultur oder christlichen Philosophie sprechen, so z.B. im Aufsatz Gibt es eine christliche Philosophie? (1932). Die kritische Frage nach einer Möglichkeit der christlichen Philosophie erscheint bei Hilckman als eine Analyse von christlichen Denken und intellektuellen Diskurs konfrontiert mit den Wandlungen innerhalb der westlichen Kultur und Gesellschaft als Markzeichen von Europa im 20. Jahrhunderts.

Schließlich, die philosophische Reflexion über das Christentum wird im Hilckmans Gesamtwerk durch die Schriften zur Religion fortgeführt. Hilckman zeichnet in seinen der Religion gewidmeten Aufsätzen die Besonderheit des christlichen Glaubens einerseits, wie z.B. im Aufsatz Die Gestalt Christi im Spiegel der modernsten Psychologie aus dem Jahr 1927, andererseits verweist er auf die gesellschaftliche und politische Bedeutung des Christentums und der Religion überhaupt hin, u.a. im Zeitungsartikel Wird Afrika christlich? (1936) oder Orthodoxie und Staatskirchentum von 1967. In diesem Sinne sollten seine philosophische Reflexion und die vergleichende Kulturwissenschaft die Grundlage für die politische Theorie und Praxis bilden.

1 Hilckman, A. (1967), Die Wissenschaft von den Kulturen. Ihre Bedeutung und ihre Aufgaben, Archiv für Vergleichende Kulturwissenschaft, Band 2, Anton Hain Verlag, Meisenheim am Glan, S. 34, S. 70.

2 Zu den weiteren Angaben vgl. Christian Botzke, Tomasz Stępień (2010), Hilckman, Anton Joseph Maria, [in:] „Biographisch-Bibliographisches Kirchenlexikon”, Band XXXI, Bautz Verlag.

3 Zu Kulturtheorie und Geschichtsphilosophie von Feliks Koneczny und Anton Hilckman vgl. die vergleichenden Studien von: Tomasz Stępień (2013), Europa wobec cywilizacji. Antona Hilckmana porównawcza nauka o cywilizacjach, Wydawnictwo Adam Marszałek, Toruń.

4 Anton Hilckman (2011), Gesammelte Werke, Bd. 1, Schriften zur Kulturwissenschaft. Die Wissenschaft von den Kulturen. Bearbeitet, kommentiert und herausgeben von Tomasz Stępień. Peter Lang Internationaler Verlag der Wissenschaften, Bern / Frankfurt am Main, S. 766.
Anton Hilckman (2011), Gesammelte Werke, Bd. 2, Schriften zur Kulturwissenschaft. Grundlagen des Abendlandes. Bearbeitet, kommentiert und herausgeben von Tomasz Stępień. Peter Lang Internationaler Verlag der Wissenschaften, Bern / Frankfurt am Main, S. 714.

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Die Konzeption der Sinnphilosophie von Anton Hilckman innerhalb der Philosophie des 20. Jahrhunderts

Details

Seiten
390
Jahr
2014
ISBN (PDF)
9783653035940
ISBN (ePUB)
9783653988673
ISBN (MOBI)
9783653988666
ISBN (Hardcover)
9783631647844
DOI
10.3726/978-3-653-03594-0
Sprache
Deutsch
Erscheinungsdatum
2014 (April)
Schlagworte
Philosophie der Freiheit christliche Pädagogik Technikphilosophie Sinnphilosophie
Erschienen
Frankfurt am Main, Berlin, Bern, Bruxelles, New York, Oxford, Wien, 2014. 390 S.

Biographische Angaben

Tomasz Stepien (Autor:in)

Anton Hilckman (1900–1970), deutscher Philosoph, während der Nazi-Zeit Gefangener in Konzentrationslagern, nach 1945 Professor für Vergleichende Kulturwissenschaft an der Universität Mainz; Verfasser der sinnphilosophischen Konzeption der Freiheit. Tomasz Stępień, Dozent des Studiums für Humanwissenschaften der Technischen Universität Wrocław in Polen.

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