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Identität und Alterität

von Joanna Flinik (Band-Herausgeber:in) Barbara Widawska (Band-Herausgeber:in)
©2015 Sammelband 235 Seiten

Zusammenfassung

Der Leitgedanke dieser Publikation ist die komplexe Frage nach der nationalen, kulturellen und persönlichen Identität. Welche Identitätsmodelle werden angeboten? Wie bildet sich die Identität im Spannungsfeld des Anderen und inwiefern ist das Andere bei der Herauskristallisierung der Identität notwendig? Bei einzelnen Fragestellungen zu Identität und Alterität geht es um eine Erforschung der Wechselbeziehung, die sich sowohl bei der Wahrnehmung von Fremdheit bzw. Anderssein manifestiert, als auch von Strategien der individuellen und kollektiven Selbstbestimmung beeinflusst wird. Die Studie diskutiert Identität und Alterität aus literatur- und kulturgeschichtlicher Sicht anhand von Künstlerbiographien, nationalen und kulturellen Symbolen, der Erfahrung von Heimat und Migration, der Wahrnehmung deutsch-polnischer Grenzregionen bis hin zu Sciencefiction-Inszenierungen und zeigt, dass Identität als Begriff sowohl für literatur- und kulturwissenschaftliche als auch für historische Analysen vonnöten ist.

Inhaltsverzeichnis

  • Cover
  • Titel
  • Copyright
  • Autorenangaben
  • Über das Buch
  • Zitierfähigkeit des eBooks
  • Inhaltsverzeichnis
  • Identität und Alterität aus literatur- und kulturgeschichtlicher Sicht
  • I. Identität damals und heute – Konzepte, Konstrukte, Konstellationen
  • II. Symbole der nationalen und kulturellen Identität
  • III. Inszenierungen der Identität als Alteritätsdiskurs
  • IV. Identität und Heimatbewusstsein
  • Identitätssuche – in welchem Augenblick?
  • Identität damals und heute – Konzepte, Konstrukte, Konstellationen
  • Fragen nach der kulturellen Identität des europäischen Bürgers
  • Zum heutigen Begriff ‚Weltliteratur‘
  • Identität, Literatur und Nationalgeschichte. Der Fall Deutschland
  • Ein Gespenst geht um. Die totale Maschinerie
  • Die Reaktion der Schriftsteller. Ingo Schulze
  • Zwischen Philosophie und Soziologie. Habermas vs. Streeck
  • Auf den Spuren der Geschichte
  • Ein lateinisches Imperium? Das Paradox von Giorgio Agamben
  • Zu unseren Aufgaben
  • Gorki 1968 – Literarhistorische Rekonstruktion eines Schriftstellertreffens im Zeichen des Kalten Krieges
  • Räumliche Verortung als kulturelles Identitätskonstrukt in der Frühen Neuzeit
  • Symbole der nationalen und kulturellen Identität
  • „Ich möchte werden wie Heine, ein tapferer Soldat im Befreiungskampfe“. Heinrich Heine als nationales Identifizierungssymbol im Literaturunterricht
  • Identitätskonstruktion in der Literatur
  • Erzählen einer nationalen Identität durch Heine
  • Die diskursive Aneignung einer kollektiven nationalen Kultur
  • Ausblick
  • Erinnerungsorte als Symbole nationaler Identität. Der letzte deutsche Kaiser als negativer Erinnerungsort der Polen
  • Identitätskonstruktionen in fiktionalen Mozart-Biographien und anderen Mozart-Romanen
  • Mozart als Künstler
  • Mozart als bürgerliches Identifikationsmodell
  • Mozart als Vertreter der Nation
  • Geschlechteridentitäten
  • Identitätsentwürfe in den neueren Mozart-Romanen
  • Fazit
  • Inszenierungen der Identität als Alteritätsdiskurs
  • Der Mensch, geworfen zwischen Himmel und Erde. Identität und Fremdheit im Werk Ernst Barlachs
  • I.
  • II.
  • Zur Rhetorik der Identität in den Sciencefiction Romanen von Charlotte Kerner am Beispiel von Blueprint. Blaupause (1999) und Kopflos. Der Roman um ein wissenschaftliches Experiment (2008)
  • Vorbemerkung
  • Zum identitätstheoretischen Ansatz – ausgewählte Fragen
  • Rhetorik der Identität(sbildung) bei Charlotte Kerner
  • Blueprint. Blaupause
  • Kopflos – Roman um ein wissenschaftliches Experiment
  • Resümee
  • Identität im Gehäuse der Sprache. Konfigurationen literarischer Übersetzung in Werken Yoko Tawadas
  • 1. Antiautoritäre Theorie wider eine Sprachpolizei
  • 1.1 Reflexionen auf lexikalisch-morphologischer Ebene
  • 1.2 Reflexionen auf kulturdifferenter Ebene
  • 1.3 Reflexionen auf der Ebene der Übersetzung
  • 2. Übersetzungen als Kulturvermittlung
  • Identität und Heimatbewusstsein
  • „Altgedachtes und Neugeträumtes“. Monika Taubitz auf der Suche nach der alten-neuen Heimat
  • Die Identität und das Konzept der Kleinen Heimat in der Gleiwitzer Tetralogie von Horst Bienek
  • Zu funktionalen und speichernden Gedächtnisaspekten in Eberhard Hilschers Die Weltzeituhr (1987) und Schwiebuser Geschichten (2002
  • Literatur im erinnerungskulturellen Kontext
  • Hilschers Geschichtskonstruktionen zwischen Funktions- und Speicheraspekten
  • Fazit
  • Stereotype Bilder des Nachbarn vs. Europa ohne Grenzen in Texten junger polnischer, deutscher und deutsch-polnischer Autoren
  • Going East – „Ratgeber“ für eine Polenreise – Radek Knapps Gebrauchsanweisung für Polen (2005)
  • Going West – Das Bild der Wiener in Radek Knapps Herrn Kukas Empfehlungen (1991) und Deutschland aus der Sicht eines Asylbewerbers in Adam Gusowskis und Piotr Mordels Der Club der polnischen Versager (2012)
  • Fazit
  • Über die Autoren

Identität und Alterität aus literatur- und kulturgeschichtlicher Sicht

Der Leitgedanke der vorliegenden Publikation ist die komplexe Frage nach der nationalen, kulturellen und persönlichen Identität. Welche Identitätsmodelle werden angeboten? Wie bildet sich Identität im Spanungsfeld des Anderen und inwiefern ist das Andere bei der Herauskristallisierung der Identität notwendig? Unser Interesse zielt auf die exemplarische Untersuchung einzelner Fragestellungen zu Identität und Alterität. Es geht hier um eine Erforschung der Wechselbeziehung, die sich sowohl in der Wahrnehmung von Fremdheit bzw. Anderssein manifestiert als auch von Strategien der individuellen bzw. kollektiven Selbstbestimmung beeinflusst wird.

Das breite Spektrum der Themen, die in der vorliegenden Publikation zur Sprache gebracht werden, zeigt, dass die Frage nach der Identität und den Faktoren, welche die Identitätsbildung unterstützen oder behindern, auf dem europäischen Kontinent von Bedeutung ist. Die politischen und strukturellen Umwandlungsprozesse im gegenwärtigen Europa weisen darauf hin, dass das Individuum sich stets in einer instabilen Zone der Inter- bzw- Transkulturalität befindet und sich gezwungen sieht, sich in Grenzbereichen zu definieren (deutsch-polnische Begegnungsräume, Migration), oder alte Mythen in Frage zu stellen und diese neu zu konzeptualisieren (Vergangenheitsbewältigung, nationale Symbole und Mythen in Kunst, Literatur, Musik und Geschichte). Das verweist darauf, dass die Kategorien Identität und Alterität dynamische, stets veränderbare Größen darstellen. Dieser Dynamik von Identitätskonstruktionen trägt die vorliegende Publikation Rechnung. Dem ostmitteleuropäischen Raum wird dabei besondere Beachtung geschenkt.

Wie das Problem der Identität selbst, sind die Themen dieses Buchs nicht einheitlich konzipiert und weder zeitlich und noch räumlich eingeschränkt, um damit ein Plädoyer zum Dialog und zu weiteren Forschungen zu ermöglichen. Identität ist ein Selbstbestimmungsprozess, ein work in progress, eine sich stets veränderbare Größe, die besonders in Krisensituationen, sei es politisch, sei es wirtschaftlich, als eine defizitäre Ware erscheint oder in Frage gestellt wird. Man kann mit Karol Sauerland fragen, was also an der Identität wahrheitsgetreu ist, wenn die Wahrheit selbst ein mit der jeweiligen Situation verbundener und von Vorstellungen und Normen besetzter Raum ist. Wie ehrlich verhält sich ← 7 | 8 → ein Individuum, wenn es behauptet, die jeweilige kulturelle, nationale, politische Identität erworben zu haben? Wenn wir das Problem tiefenpsychologisch betrachten, ist die vorgegebene Wirklichkeit des Einzelnen keine allgemein gültige universelle Eigenschaft der Welt, sondern immer eine Projektion unserer Wünsche und Vorstellungen. Immer deutlicher wird dies in der Konfrontation mit dem anderen Einzelnen, dem Fremden, dem Anderen. Sauerland vertritt in seinen Überlegungen zur Natur der Identität die These Nietzsches, man solle sich bemühen, damit das Besondere am Einzelnen nicht „zugunsten des Allgemeinen verloren geht“. Das Unverwechselbare eines jeden Lebensschicksals definiert sich erst vor dem Hintergrund eines anderen unverwechselbaren Lebensschicksals. Individuen, die miteinander in Interaktion treten, bestehen aus „Teilidentitäten“ – gesellschaftlichen, sozialen, kulturellen Rollen; „verlangt wird allerdings, dass man die Andersartigkeit anerkennt“. Seine Einzigartigkeit „erfährt das Selbst nicht durch sich selbst, sondern durch die Anderen“. Grade wenn sich die äußeren Umstände des Einzellebens ändern, sei es privat oder gesellschaftlich, oder auch politisch durch Krieg, Familienumzug, Grenzverschiebungen, muss sich das Individuum in der veränderten Welt aufs Neue definieren. Identitätsverlust, Identitätssuche, Identitätsfindung kann durch die Erfahrung der Alterität, durch das Anwesend-Sein des Anderen stattfinden und reflektiv überwunden werden.

I.   Identität damals und heute – Konzepte, Konstrukte, Konstellationen

Wie der Beitrag Anna Chiarlonis sichtbar macht, braucht das heutige Europa unter der Schirmherrschaft der EU das Umdenken und die Hinwendung zu nationaler Eigenart sowie die Besinnung auf die nationale Vergangenheit, um sich durch die Unterschiedenheit definieren zu können. Denn erst auf der Grundlage des Erkennens des Eigenen in Geschichte, Kultur und Literatur ist man ein gleichberechtigter Partner für Andere. Chiarlonis Erwägungen zielen nicht gegen eine alles Andere als profan ablehnende Staatlichkeit oder Nationalität, die – sich ihrer selbst bewusst – zur Aufrechterhaltung der Idee Europa, der Einheit in Vielheit beiträgt. Die in dem Beitrag formulierte Frage, ob nicht gerade „die soziokulturelle Vielfalt der Regionen und Nationen ein Reichtum (sei), der Europa von anderen Kontinenten auszeichnet“, beantwortet die Autorin positiv, indem sie meint, dass eben die „Verschiedenheit der Kulturen und Lebensformen eine Zusammengehörigkeit fühlbar“ macht. Angesichts der Tatsache, dass sich das Individuum stets in der Opposition zum Anderen oder in der Interaktion mit ihm befindet, ist Chiarlonis Stellungnahme zur Zukunft des europäischen Bürgers äußerst wichtig. ← 8 | 9 →

Durch das Medium der Literatur, die auf Umwandlungsprozesse sensibel reagiert, kann ein Mentalitätswandel vollzogen werden. Die Rolle der Intellektuellen in der europäischen Geschichte, der Austausch verschiedener Positionen und Haltungen, die produktiven Begegnungen öffentlicher wie privater Art, sind die Voraussetzung des politischen, nationalen und kulturellen Bewusstseins. Anna Sawko von Massow macht auf ein Ereignis des Jahres 1968, auf ein internationales Schriftstellertreffen, aufmerksam, das in einem für den europäischen Kontext folgenschweren Jahr stattfand und die scheinbar fest verankerten politischen Grenzen und Positionen mit neuen intellektuellen Inhalten füllte. Massow spricht von der „Überwindung der Grenzen“ zwischen Westeuropa und dem Ostblock und dem Abbau der Stereotypen beiderseits. Schriftsteller revidierten die Vorstellungen vom Anderen, was sich auch „in der schriftstellerischen Laufbahn als identitätsstiftend“ erwies. Von Massow verweist in ihrem Beitrag ausdrücklich auf die Freundschaft zwischen Max Frisch und Christa Wolf, die sich damals, also 1968 angebahnt hat und lebenslang aufrechterhalten blieb. Diese Begegung ermöglichte es den beiden, die Weltzusammenhänge aus der Perspektive des Anderen zu sehen und zu bewerten. So erwies sich diese Schriftstellerbegegnung als ein produktiver Austausch zwischen dem Eigenen und dem Anderen, ein „Ort, der eine identitätsstiftende und identitätsformende Rolle besitzt“.

Der Begriff Identität wird auch im Beitrag von Jolanta Szafarz hervorgehoben, um diejenigen Prozesse von kultureller und nationaler Identitätsbildung zu erschließen, die sich bereits im frühzeitlichen Europa durch grenzüberschreitende Beziehungen im 17. Jahrhundert definieren lassen. Die Autorin veranschaulicht diese Prozesse am Beispiel des „Raumkonzeptes Schlesien“. Die Region Schlesien im 17. Jahrhundert betrachtet sie als einen Raum interkultureller Beziehungen. Die Präsenz des Anderen im schlesichen Raum, damals wie heute, und ihre Bedeutung für die Identitätsbildung exemplifiziert die Autorin am Beispiel der Stadt Breslau (Wrocław), der eine bestimmte „Gedächstnisstruktur“ verliehen wurde. Geopolitisch, kulturhistorisch und symbolisch erscheint der schlesische Raum als ein Gebiet, in welchem sich die Fragen nach Identität seit der Frühen Neuzeit produktiv entfalteten. Die Identität des heutigen Śląsk wäre ohne die Erforschung der Vergangenheit von Schlesien nicht denkbar.

II.  Symbole der nationalen und kulturellen Identität

Die seit Jahren stattfindende kulturelle Annäherung des Ostens und Westens in Europa findet in vielschichtigen Forschungsansätzen Widerhall. Die in der Kulturwissenschaft eingenommene Forschungsperspektive ermöglicht einen Dialog unterschiedlicher Forschungsgebiete (Literatur, Kunst, Musik, Geschichte, ← 9 | 10 → Kultur) sowie die Reflexion über Identität, Alterität, Prozesse der Wertbestimmung und Konzeptualisierung von Identität(en) in der deutschsprachigen Literatur, bildenden Kunst, Musikgeschichte und Kulturwissenschaft.

Die Analyse der Rezeption von nationalen und kulturellen Mythen und Symbolgestalten zeigt auf, dass im mittel- und osteuropäischen Raum Prozesse der Neuverortung stattfinden, der zufolge das national Kollektive immer deutlicher als Teil des europäischen Kollektivs betrachtet wird. Ein historischer Aspekt der Erinnerungskultur kommt in dem Beitrag von Barbara Widawska zum Tragen. Die Autorin thematisiert Fragestellungen um die Funktionsfähigkeit des Begriffs „Erinnerungsort“ und stellt die Figur des letzten deutschen Kaisers als »negativen Erinnerungsort« der Polen dar. Im Kontext einer erinnerungsgeschichtlichen Betrachtung Wilhelms II. wird hier danach gefragt, ob seine Person in der polnischen Bevölkerung eine identitätsstiftende Breitenwirkung entfalten konnte. In diesem Zusammenhang thematisiert Widawska, wie sich die Erinnerung(skultur) der Polen an der Kaiser-Figur konstruierte und welche Rolle die im kollektiven Gedächtnis verankerten Bilder im Stabilisierungsprozess der eigenen nationalen Identität der Polen spielten.

Die Identitätsentwürfe, die in literarischen Biographien Mozarts vorhanden sind, kommentiert Katarzyna Szczerbowska-Prusevicius. Das Interesse der Autorin gilt der Frage nach unterschiedlichen kulturellen Identitäten, die in den Mozart-Romanen zum Thema wurden. Die „wechselnden Selbst- und Fremdbilder“, die im Zuge der literatur- und kulturwissenschaftlichen Analyse der im Beitrag behandelten Texte entziffert wurden, zeigen die Vielschichtigkeit des Künstler-Genies Mozart und die Unmöglichkeit, von einer einheitlichen Mozart-Identität zu sprechen. Die literarischen Mozart-Biographien mit den Konstruktionen seiner künstlerischen, bürgerlichen, nationalen Identität zeigen, dass Mozart keineswegs eine homogene, kohärente Gestalt war.

Die Rolle literarischer Texte und Symbolfiguren für die nationale Identität bespricht Astrid Henning am Beispiel von Heinrich Heine und seiner Rezeption in der DDR der 50er Jahre. Die Autorin bemüht sich um die Analyse der Identität, die „sich im gesellschaftlichen Interaktionsprozess herausbilde“. Die Fallstudie erschließt die Mechanismen der in der DDR herrschenden nationalen Identifizierung anhand der Aufsätze von Schülerinnen aus dem Heine-Jahr 1956. Sie weist auf die Instabilität der nationalen Identität hin, die emotional aufgeladen sei, und auf die Tatsache, dass die Zugehörigkeit zum Volk sich in der Abgrenzung zum Anderen realisiert. Bei der Erforschung der Heine-Rezeption der DDR-Zeit kommt die Autorin zur Überzeugung, dass sich ähnliche Prozesse in gegenwärtigen kollektiven nationalen Identitätskonzepten verfolgen lassen. ← 10 | 11 → Somit bildet der Beitrag einen wichtigen Ansatz zur Erschließung der nationalen Identität des Einzelnen anhand der kollektiven Mythen und Symbolgestalten.

III. Inszenierungen der Identität als Alteritätsdiskurs

Die vorliegende monographische Publikation setzt sich die Reflexion über die Wechselwirkung von Identität und Alterität als einander bedingende und ergänzende Kategorien zum Ziel. Richtet man den Blick auf die Diversität von Bereichen, in denen Konzepte der Identität zum Forschungsparadigma werden, so dürfte in Betracht gezogen werden, dass die seit der Aufklärung verkündete Befreiung des Individuums mit der Wahrnehmung des Anderen verbunden ist. Die Konstitution des Anderen wirkt sich in diesem Zusammenhang auf die Bewältigung der eigenen Situation aus. Da menschliche Wahrnehmung eine Reflexionsebene erlaubt, auf der das Ich sich stets im Verhältnis zum Anderen betrachtet und bewertet, sich in neuen Rollen und Situationen ausprobiert, ist die individuelle Erfahrung an die Erfahrung der Alterität gebunden. Kulturhistorisch drückt sich das durch den Umgang mit dem Anderen im Eigenen aus, was vor allem in Künstlerbiographien realisiert wird. Ebenso deutlich wird dieser Prozess in der literarischen Fiktion sichtbar, wo die Identität der Protagonisten sich unterschiedlich inszenieren lässt und – wie z.B. in der Sciencefiction – mögliche Wege der Ichfindung vorgeschlagen werden. Der Alteritätsdiskurs wird immer dort zum wichtigen Forschungsparadigma, wo unterschiedliche Kulturen im Leben und Werk der Dichter aufeinanderprallen. Als geeignete Vorgehensweise bei der Identitätssuche dient die Literatur, die ein Medium ist, in welcher die Übersetzung der Kulturen stattfindet. Aus dem breiten Spektrum der möglichen Fragestellungen zur Inszenierung der Identität werden diese drei Aspekte diskutiert.

Klaus Hammers kunst- und literaturhistorischer Beitrag zu Person und Werk Ernst Barlachs beleuchtet die individuelle, künstlerische Identität, für die besonders das Erleben des Chaos der Welt und der Fremdheit von identitätsstiftender Bedeutung sind. Der Autor richtet sein Augenmerk auf das künstlerische und dramatische Schaffen Ernst Barlachs und gewährt Einblicke in seine persönlichen Emotionen, Haltungen und Gefühle als Reaktion auf die ihn umgebende Landschaft und deren Menschen. Die persönliche Situation des Künstlers zeigt ein Individuum, dem die Möglichkeiten des künstlerischen Ausdrucks verliehen wurden, die er im eigenen Schaffen reflektiert. Da er die „Welt als Chaos erlebt, sucht er Halt im Eigenen“. Erlösung und Sünde, Glück und Not – diese dialektische Betrachtungsweise Barlachs zeigt, dass ein „Selbst“ sich mit der Andersartigkeit auseinandersetzt. Das Bewusstsein des eigenen Glücks setzt immer die Wahrnehmung der Not der Anderen voraus. Das künstlerische Interesse wie ← 11 | 12 → Mitgefühl Barlachs galt dem sündigen, lasterhaften, weltverlorenen Menschen, den der Künstler als göttliches Geschöpf anerkennt, weil sich zwei Bereiche – der transzendente und der erdgebundene – im Einzelnen begegnen. So ist Barlachs Schaffen ohne das Bewusstsein des Anderen, ohne die Erfahrung der Andersartigkeit nicht denkbar.

Details

Seiten
235
Jahr
2015
ISBN (PDF)
9783653044034
ISBN (ePUB)
9783653988918
ISBN (MOBI)
9783653988901
ISBN (Hardcover)
9783631647462
DOI
10.3726/978-3-653-04403-4
Sprache
Deutsch
Erscheinungsdatum
2015 (Januar)
Schlagworte
Kulturwissenschaft Kunst Migrantenautor Erinnerungskultur
Erschienen
Frankfurt am Main, Berlin, Bern, Bruxelles, New York, Oxford, Wien, 2014. 235 S., 1 s/w Abb.

Biographische Angaben

Joanna Flinik (Band-Herausgeber:in) Barbara Widawska (Band-Herausgeber:in)

Joanna Flinik studierte Germanistik an der Universität Poznań (Polen). Sie ist am Lehrstuhl für Germanistik der Pommerschen Akademie in Słupsk (Polen) tätig. Ihre Forschungsschwerpunkte sind die deutsche Literaturgeschichte nach 1945, pommersche Regionalliteratur, Autobiographie, Erinnerungsprosa und deutschsprachige Migrantenliteratur. Barbara Widawska studierte Geschichte und Germanistik. Sie forscht am Lehrstuhl für Germanistik der Pommerschen Akademie in Słupsk (Polen) mit den Schwerpunkten Kulturtransfertheorien, Erinnerungskultur und Geschichtspolitik, deutsch-polnische Beziehungsgeschichte im 19. Jahrhundert sowie Literatur- und Landeskundedidaktik.

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