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Kultureller Nationalismus und Religion

Nationsbildung am Fallbeispiel Irland mit Vergleichen zu Preussisch-Polen

von Annina Cavelti Kee (Autor:in)
©2014 Dissertation XVIII, 292 Seiten
Reihe: Menschen und Strukturen, Band 22

Zusammenfassung

Lange Zeit fristete der kulturelle Nationalismus ein Schattendasein in der Forschung. Zu Unrecht, denn der kulturelle Nationalismus spielt eine entscheidende Rolle in der Ausbildung einer nationalen Identität. Indem er die Menschen mit ihrer eigenen Vergangenheit und Kultur konfrontiert, gelingt es den kulturellen Nationalisten, die Nationalität zu etwas Greifbarem zu machen. Dass der Religion in einem solchen Prozess ebenfalls eine entscheidende Bedeutung zukommen konnte, wird anhand Irlands und mit Vergleichen zu Preussisch-Polen deutlich. Dank der Histoire croisée kann dargelegt werden, wie eng das Wirken der kulturellen Nationalisten und der katholischen Geistlichen miteinander verknüpft war und wie stark diese beiden Akteure die nationalen Identitäten Irlands und Polens prägten.

Inhaltsverzeichnis

  • Cover
  • Titel
  • Copyright
  • Autorenangaben
  • Über das Buch
  • Zitierfähigkeit des eBooks
  • Inhaltsverzeichnis
  • Abkürzungsverzeichnis
  • Abstract
  • Dank
  • Die irischen Counties
  • Die Teilungen Polens
  • Kapitel 1. Einleitung
  • 1.1 Forschungshintergrund
  • 1.2 Zentrale Fragestellung und Inhalt des Projektes
  • 1.3 Histoire Croisée
  • 1.4 Hintergrund und Kontext zu dieser Arbeit
  • 1.4.1 Die Historikerin/der Historiker und ihr/sein Forschungsgebiet
  • 1.4.2 Ein Blick von aussen – oder: Irland, ein Sonderfall der Geschichte?
  • 1.5 Struktur der Arbeit
  • Kapitel 2. Theoretische Grundlagen
  • 2.1 Die Nation
  • 2.1.1 Neo-Perennialismus, Primordialismus und Modernisierungstheorie
  • 2.1.2 Definitionsversuch des Nationsbegriffs
  • 2.1.3 Zwischenfazit
  • 2.2 Nationalismus
  • 2.2.1 Was ist Nationalismus?
  • 2.2.2 Unterschiedliche Nationalismusschwerpunkte
  • 2.2.2.1 Politischer Nationalismus
  • 2.2.2.2 Zentralisierender Nationalismus
  • 2.2.2.3 Separatistischer Nationalismus
  • 2.2.2.4 Einigender Nationalismus
  • 2.2.3 Nationalismus – ein Paradoxon
  • 2.2.4 Nationale Identität
  • 2.3 Identifikation mit der Nation
  • 2.4 Kultureller Nationalismus
  • 2.4.1 Kultureller Nationalismus – eine kurze Beschreibung
  • 2.4.2 Spezifika des kulturellen Nationalismus
  • 2.5 Zwischenfazit
  • 2.6 Religion
  • 2.6.1 Die Rolle der Religion innerhalb einer Gemeinschaft
  • 2.6.2 Die Religion und ihre Rolle im Prozess der Identitätsbildung
  • Kapitel 3. Irland
  • 3.1 Irland im 19. Jahrhundert
  • 3.1.1 Der Act of Union und seine Auswirkungen
  • 3.1.2 Daniel O’Connell
  • 3.1.3 Das revolutionäre Irland
  • 3.1.4 Die Situation auf dem Land
  • 3.1.5 Die Zeit des Charles Stewart Parnells
  • 3.1.6 Plan of Campaign
  • 3.1.7 Irlands Politik in der Krise
  • 3.1.8 Home Rule
  • 3.2 Die Gaelic Athletic Association (GAA)
  • 3.2.1 Die Anfänge der Gaelic Athletic Association
  • 3.2.2 Die Gründung der Gaelic Athletic Association
  • 3.2.3 Die Wettkämpfe
  • 3.2.4 Die Rolle der Irish Republican Brotherhood (IRB)
  • 3.2.5 Zwischenfazit
  • 3.3 Gaelic League
  • 3.3.1 Die Anfänge der Gaelic League
  • 3.3.2 Das Programm und die Mitglieder der Gaelic League
  • 3.3.3 Oireachtas und andere Feierlichkeiten
  • 3.3.4 Zeitschriften und Pamphlete
  • 3.3.5 Zwischenfazit
  • 3.4 Das Ziel der kulturellen Nationalisten in Irland
  • 3.4.1 Kurz- und mittelfristige Ziele der Gaelic Athletic Association und der Gaelic League
  • 3.4.2 Langfristige Ziele der Gaelic Athletic Association und der Gaelic League
  • 3.5 Das Verhältnis der katholischen Geistlichen zur GAA und der Gaelic League
  • 3.5.1 Die irische katholische Kirche und Rom
  • 3.5.2 Der katholische Klerus und die kulturellen Nationalismusbewegungen
  • 3.5.3 Die Zusammenarbeit zwischen den katholischen Geistlichen und den kulturellen Nationalisten am Beispiel der GAA
  • 3.5.4 Die Reaktion der katholischen Geistlichen auf die Infiltrierung der GAA durch die IRB
  • 3.5.5 Die Rolle der katholischen Geistlichen am Beispiel der Gaelic League
  • 3.6 Fazit
  • Kapitel 4. Preussisch-Polen
  • 4.1 Historische Einordnung
  • 4.1.1 Die Teilungen Polens
  • 4.1.2 Politische Situation im Teilungsgebiet Preussen
  • 4.1.3 Der Novemberaufstand von 1830 und seine Auswirkungen auf Preussisch-Polen
  • 4.1.4 Die 1840er Jahre: Tauwetter und Revolution
  • 4.1.5 Der Januaraufstand 1863
  • 4.1.6 Der Kulturkampf
  • 4.2 Organische Arbeit
  • 4.2.1 Die Anfänge der organischen Arbeit
  • 4.2.2 Die Stärkung der polnischen Identität
  • 4.2.3 Die Ziele der kulturellen Nationalisten in Preussisch-Polen
  • 4.2.4 Die Rolle der Medien
  • 4.2.5 Die Stärkung der polnischen Wirtschaftskraft
  • 4.3 Das Verhältnis der katholischen Geistlichen zur organischen Arbeit in Preussisch-Polen
  • 4.3.1 Die katholische Kirche und die preussische respektive deutsche Regierung
  • 4.3.2 Die Rolle der katholischen Geistlichen innerhalb der Bewegungen der organischen Arbeit
  • 4.3.3 Zwischenfazit
  • 4.4 Fazit
  • Kapitel 5. Die Bedeutung des kulturellen Nationalismus
  • 5.1 Die Attraktion des kulturellen Nationalismus
  • 5.2 Kulturelle Nationalismusbewegungen und katholische Geistliche – ein Vergleich zwischen Irland und Preussisch-Polen
  • 5.2.1 Die Rolle der katholischen Kirche und die Bildung
  • 5.2.2 Die administrative Rolle der katholischen Geistlichen innerhalb der kulturellen Nationalismusorganisationen
  • 5.3 Symbole und ihre Rolle im kulturellen Nationalismus
  • 5.4 Die Vorgehensweise der kulturellen Nationalisten
  • 5.5 Der Einfluss des kulturellen Nationalismus auf die nationale Identität und die Bildung einer Nation
  • 5.6 Die Beziehung zwischen kulturellem und politischem Nationalismus
  • 5.7 Kultureller Nationalismus – Rück- und Ausblick auf eine Theorie
  • Kapitel 6. Schlussbemerkung
  • 6.1 Ziel der Arbeit
  • 6.2 Eine kurze Analyse zur Wahl der Methode
  • 6.3 Bedeutung der Arbeit für die historische Forschung
  • 6.4 Ausblick
  • Bibliographie
  • Primärquellen
  • Unpublizierte Quellen
  • Publizierte Quellen
  • Zeitgenössische Zeitungen
  • Sekundärliteratur
  • Nachschlagewerke

Abkürzungsverzeichnis

Abstract

Der kulturelle Nationalismus ist zwar in der Forschung immer wieder ein Thema, doch in der Regel wird ihm verhältnismässig wenig Platz eingeräumt. Warum dies so ist, ist nur schwer zu beurteilen, eindeutig ist hingegen, dass diese stiefmütterliche Behandlung des kulturellen Nationalismus eine Lücke innerhalb der historischen Forschung hinterlässt. Denn ohne das Einbeziehen des kulturellen Nationalismus können Fragen bezüglich des Ursprungs und der Entwicklung der nationalen Identität nicht oder nur ungenügend beantwortet werden. Das bedeutet auch, dass Erklärungsversuche, wie und vor allem weshalb eine Nation entstanden ist, eben nur eins sind – Versuche. Ohne die Existenz einer nationalen Identität ist die Bildung einer Nation nicht möglich. Der kulturelle Nationalismus spielt dabei eine entscheidende Rolle. Indem er Menschen mit ihrer eigenen Vergangenheit und Kultur konfrontiert, gelingt es ihm, die Nationalität zu etwas Greifbarem für die ganze Gesellschaft zu machen. Dabei kommt der katholischen Kirche in einzelnen Staaten und Regionen eine entscheidende Funktion zu. Dank ihrer Unterstützung erhielten die kulturellen Nationalisten die für die Durchsetzung ihres Programms so dringend nötige Glaubwürdigkeit. Diese Zusammenarbeit zwischen den Nationalisten und den katholischen Geistlichen wird bis heute in der historischen Forschung kaum thematisiert. In der vorliegenden Arbeit soll deshalb versucht werden, diese Lücke zu schliessen. Indem anhand des Fallbeispiels Irland sowie durch Vergleiche mit Preussisch-Polen ausgearbeitet wird, welche Rolle der kulturelle Nationalismus in beiden Ländern im Hinblick auf die Entstehung der nationalen Identität spielte und welche Funktion dabei der katholischen Kirche zukam, können konkrete Erkenntnisse über die Entwicklung zur irischen Unabhängigkeit gewonnen werden. Desweiteren wird es dadurch möglich sein, auch allgemeinere Aussagen bezüglich der Bedeutung des kulturellen Nationalismus für die Entstehung einer nationalen Identität zu machen. ← XI | XII →

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Dank

Mein aufrichtiger Dank geht an Prof. em. Dr. Heiko Haumann von der Universität Basel für seine Unterstützung, seine Ratschläge sowie seine Zeit, die er während der letzten Jahre für mich aufgewendet hat. Ebenfalls zu grossem Dank bin ich Prof. em. Richard Vincent Comerford von der National University of Maynooth, Ireland, verpflichtet. Er hatte stets ein offenes Ohr für mich und unsere Treffen und Gespräche waren immer äusserst spannend und gewinnbringend. Auch bei Frau Prof. em. Dr. Jersch-Wenzel, die mir während meiner Archivbesuche in Berlin jeweils mit guten Ratschlägen und Hinweisen zur Seite gestanden ist, bedanke ich mich herzlich. Ein grosser Dank geht ausserdem an Prof. Dr. Kaspar von Greyerz von der Universität Basel, der sich als Zweitexperte für meine Dissertation zur Verfügung gestellt und sich die Zeit genommen hat, mir hilfreiche Hinweise und Tipps zu geben. Ich bedanke mich bei Dr. Michael Brown vom Research Institute for Irish and Scottish Studies in Aberdeen. Er hat mir die einmalige Gelegenheit verschafft, an diesem renommierten Institut meine Dissertation fertigzustellen. Dadurch erhielt ich auch die Möglichkeit, mich mit anderen Historikerinnen und Historikern über die irische Geschichte auszutauschen. Ich bedanke mich bei Prof. Dr. Felix Hafner von der Universität Basel, der mir im Rahmen des Mentoringprogramms Dissplus der Universität Basel als Mentor mit vielen guten Ratschlägen zur Seite gestanden ist. Dr. Jörn Happel von der Universität Basel sowie meinem Bruder, Luzi Cavelti, danke ich herzlich für die Lektüre, ihre kritischen Kommentare und Hinweise. Meine Eltern verdienen ein ganz grosses Dankeschön für die vielen Stunden, die sie wiederholt in die Lektüre meiner Dissertation investiert haben. Zu grossem Dank bin ich schliesslich auch meinem Mann, Christopher Kee, verpflichtet. Er hat mich mit seinen Ratschlägen, seinen Hinweisen und Kommentaren begleitet und dabei stets an mich und an mein Projekt geglaubt. ← XIII | XIV →

Schliesslich möchte ich mich sowohl bei der Stiftung Janggen-Pöhn in St. Gallen sowie beim Schweizerischen Nationalfonds für die grosszügige finanzielle Hilfe bedanken. Deren Unterstützungen erlaubten mir ausgedehnte Forschungsreisen in die Archive in Dublin und Berlin. Ausserdem erhielt ich dank ihrer finanziellen Unterstützung die Chance, meine Arbeit am Research Institute for Irish and Scottish Studies in Aberdeen fertigzustellen. ← XIV | XV →

Die irischen Counties

fig1

Reprinted with permission, Brian Mitchell, A New Genealogical Atlas of Ireland, (Baltimore, Maryland, Genealogical Publishing Co., Inc., 2002). Irish Counties maps © Copyright 1986 by Genealogical Publishing Co., Inc. ← XV | XVI →

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Die Teilungen Polens

fig2

Reprinted with permission from Paul Robert Magocsi, Historical Atlas of Central Europe, 2nd Revised and Expanded Edition (Seattle: University of Washington Press, 2002). ← XVII | XVIII →

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Kapitel 1  Einleitung

1.1  Forschungshintergrund

Sieht man sich in der Forschung um, so scheint wenig so überholt zu sein wie die Nationalismusforschung. Der Fokus liegt auf dem Transnationalen, dem Globalen, auf dem Regionalen und nur noch selten auf dem Nationalen. Nationalstaaten gelten spätestens seit dem Fall der Berliner Mauer 1989 und dem Zerfall der Sowjetunion 1991 als veraltet, die weitläufige Meinung ist, dass sich weder die Wirtschaft noch die Menschen an nationalen Grenzen orientieren würden. Mobilität ist das Stichwort und Mobilität, so die Schlussfolgerung, weicht die Grenzen zwischen den einzelnen Nationalstaaten zusehends auf.

In der vorliegenden Studie wird diese Auffassung nur punktuell geteilt. Natürlich haben sich die Interessen und der Fokus in gewissen Gebieten verändert und sind globaler geworden. Trotzdem ist die Nation noch immer ein wichtiger Bezugsrahmen für die Menschen. Als eine Antwort auf die Globalisierung weiter Teile des sozialen und wirtschaftlichen Lebens, hat sich vielerorts eine Art Gegenbewegung gebildet, wodurch die Regionen und die Nationen wieder an Bedeutung gewonnen haben. Zudem darf der grosse Einfluss, den Nationen über Jahrzehnte hinweg und bis heute auf die Gesellschaft hatten und haben, nicht unterschätzt werden. In dieser Arbeit wird deutlich werden, wie wichtig die Nationalismusbewegungen im Prozess der Bildung einer nationalen Identität waren. Auch heute noch identifizieren sich viele Menschen aufgrund dieser nationalen Identität, sie spielt eine grosse Rolle in der Wahrnehmung und dem Selbstverständnis der Menschen.

Noch immer prägt wenig das Selbstverständnis und die Vorstellung der Menschen so stark wie die Nationszugehörigkeit. Auch im Zeitalter der Globalisierung sind es die Nationen, welche die Grundlage für unsere Orientierung auf der Welt darstellen, anhand derer die Welt eingeteilt wird. Aus diesem Grund ist die Auseinandersetzung mit der Frage, wie nationale Identität ← 1 | 2 → überhaupt entstand und was für Prozesse ihr zugrunde liegen, nicht nur wichtig, sondern auch notwendig. Dank dieser wird verständlich werden, weshalb sich die Menschen bis heute auf diese nationale Identität beziehen.

Nur die wenigsten Menschen sind sich der Komplexität, welche der nationalen Identität zugrunde liegt, bewusst. Das ist eine interessante Tatsache, wenn man bedenkt, wie oft das Argument der Nationalität in Diskussionen verwendet wird. Es muss deshalb auch eine Aufgabe der Forschung sein, die Entwicklung der nationalen Identität zu untersuchen und zu analysieren, weshalb sich so viele Menschen anhand dieser Identität definieren.

1.2  Zentrale Fragestellung und Inhalt des Projektes

Im Zentrum dieses Projektes steht folgende Fragestellung: Inwiefern haben die kulturellen Nationalisten mit der Unterstützung der katholischen Kirche die Identitätssuche und schliesslich die Nationsbildung Irlands beeinflusst? Mit dieser Frage sollen Aspekte der Forschung abgedeckt werden, auf die es trotz der langen Geschichte der Nationalismusforschung bis heute noch keine befriedigende Antwort gibt. Mit dem Fokus auf die Rolle der kulturellen Nationalisten und ihrer Beziehung zur katholischen Kirche wird dargelegt werden, wie die nationale Identität geformt und gestärkt wurde. Die Tatsache, dass sich die irische Bevölkerung mehrheitlich mit dieser nationalen Identität identifizierte, führte im ersten Quartal des 20. Jahrhunderts zur Bildung des Irish Free States. Die kulturellen Nationalismusbewegungen haben mit ihrem Ziel, die Kultur Irlands zum Mittelpunkt des irischen Alltags zu machen, das Bewusstsein einer eigenen, unabhängigen nationalen Identität innerhalb der irischen Bevölkerung geweckt und gestärkt. Dass ihnen dies gelang und sie sich auf die Unterstützung breiter Kreise der Bevölkerung berufen konnten, hatte nicht zuletzt auch mit den katholischen Geistlichen in Irland zu tun, die das Programm der kulturellen Nationalisten in der Regel unterstützten. Es wird deshalb das Ziel dieser Arbeit sein, diese Zusammenarbeit zwischen den kulturellen Nationalisten und dem katholischen Klerus genauer zu analysieren und aufzuzeigen, wie zentral diese priesterliche Unterstützung für das Programm der kulturellen Nationalisten war. ← 2 | 3 →

Mit Vergleichen zu Preussisch-Polen werden zudem die Aussagen, die für Irland gewonnen wurden, überprüft werden. Dadurch sollen einerseits Erkenntnisse über die Entwicklung der polnischen Identität innerhalb der preussischen respektive deutschen Teilungsgebiete gewonnen werden, andererseits kann dadurch eine allgemeinere Aussage bezüglich der Rolle des kulturellen Nationalismus in der Bildung einer nationalen Identität und letztlich auch der Gewinnung der Unabhängigkeit gemacht werden.

Die vorliegende Arbeit wird es ermöglichen, den kulturellen Nationalismus aus einem anderen – innerhalb der historischen Forschung neuen – Blickwinkel zu betrachten. Das soll anhand der Methode der Histoire croisée geschehen.1 Diese Herangehensweise erlaubt es, den kulturellen Nationalismus in seiner Komplexität zu erfassen und so innerhalb der historischen Forschung neu zu positionieren. Wenngleich bereits Forschungen zum kulturellen Nationalismus vorliegen, so gibt es Aspekte, welche einer etwas genaueren Betrachtung bedürfen. Der kulturelle Nationalismus fristet innerhalb der Nationalismusforschung noch immer ein Schattendasein: die Forschung widmet ihm vielfach nur eine begrenzte Aufmerksamkeit. Der Hauptfokus liegt in der Regel auf dem politischen Nationalismus oder auf Bewegungen, welche auch gewillt waren, Gewalt anzuwenden, um an ihre Ziele zu kommen. Der kulturelle Nationalismus wird hingegen nur als eine Art „Begleiterscheinung“ besprochen – zu Unrecht, wie in dieser Arbeit dargelegt werden wird, denn dadurch wird der Einfluss, den der kulturelle Nationalismus auf die Bevölkerung hat, unterschätzt. Gerade für die Bildung einer eigenen, nationalen Identität ist der kulturelle Nationalismus von grosser Wichtigkeit. Mit seiner Hinwendung auf die Kultur ist es ihm möglich, weite Kreise der Bevölkerung für die Idee der Nation zu begeistern. Sein oft gewaltloses Vorgehen erlaubt zudem eine breite Front der Unterstützung seitens verschiedener Persönlichkeiten der Gesellschaft.

Ein wichtiger Aspekt, welchen die historische Forschung bis anhin so nicht beleuchtet hat, ist die Tatsache, dass es sich beim kulturellen Nationalismus durchaus um eine Massenbewegung handeln kann. Bis anhin wurde davon ausgegangen, dass es sich viel eher um eine kleine Gruppe handelt, welche ← 3 | 4 → von Intellektuellen getragen wird.2 Diese Annahme mag zwar auf den ersten Blick schlüssig sein, erklärt allerdings die grosse Attraktivität, die der kulturelle Nationalismus über die Klassengrenzen hinweg erreicht, nicht. Hier wird deshalb gezeigt werden, dass es sich beim kulturellen Nationalismus sehr wohl um eine Massenbewegung handeln kann. Durch sein breites Kulturverständnis bringt der kulturelle Nationalismus die Voraussetzungen mit, die es braucht, um die nationale Identität nicht nur zu prägen, sondern auch zu verbreiten. Das gelingt, weil er sich auf die unterschiedlichsten Aspekte der Kultur einlässt und es den kulturellen Nationalisten gelingt, mit ihrem Schwerpunkt auf Aspekte des alltäglichen Lebens die Menschen mit ihren Forderungen und Vorstellungen zu überzeugen.

1.3  Histoire Croisée

Um der Fragestellung dieses Projektes gerecht zu werden, muss mit einer Methode gearbeitet werden, die es erlaubt, den verschiedenen involvierten Akteuren und Ebenen, die Einfluss auf die Bildung der nationalen Identität in Irland und Preussisch-Polen hatten, Rechnung zu tragen. Gleichzeitig gilt es, aufzuzeigen, wie stark sich diese Akteure gegenseitig beeinflusst haben. Die Methode der Histoire croisée kann diese Anforderungen erfüllen, indem sie der Komplexität dieser gegenseitigen Beeinflussung Rechnung trägt. Als Grundlage dienen hierzu die Arbeiten von Michael Werner und Bénédicte Zimmermann „Vergleich, Transfer und Verflechtung. Der Ansatz der Histoire Croisée und die Herausforderung des Transnationalen“3 sowie „Beyond Comparison: Histoire Croisée and the challenge of reflexivity“.4 ← 4 | 5 →

Die Histoire croisée hat sich aus der historischen Komparatistik und der Transfergeschichte entwickelt. Sie setzt soziale, kulturelle und politische Aspekte zueinander in Beziehung, wenn davon ausgegangen werden kann, dass zwischen diesen Aspekten eine Verbindung besteht.5

Mit der Methode der Histoire croisée wird versucht werden, die „Mängel“ des Vergleichs und der Transfergeschichte zu korrigieren. Werner/Zimmermann verweisen darauf, dass bei der Transfergeschichte, im Unterschied zum Vergleich, wo das Synchrone im Mittelpunkt steht, der diachrone Zusammenhang in die Analyse einbezogen wird. Trotzdem würden aber beide Ansätze eine (zu) allgemeine Sichtweise auf die historischen Vorgänge bieten.6 Im Unterschied zur Vergleichs- oder Transfergeschichte geht deshalb die Histoire croisée von mehreren Perspektiven aus und versucht durch diese multiperspektivische Betrachtung der Komplexität des zu untersuchenden Objekts besser Rechnung zu tragen. Der Aspekt wird von verschiedenen Seiten beleuchtet und mit unterschiedlichen Ebenen und Objekten in Beziehung gesetzt. Es geht darum, die Dichte und die Verflechtungen der einzelnen Entwicklungen darzustellen, um so an Differenziertheit und Realitätsnähe zu gewinnen. Ergänzt wird diese Betrachtungsweise durch die Unterschiede der im Fokus stehenden Objekte, welche auf die Sprache, die Terminologie, die Kategorisierung und die Konzeptualisierung, aber auch auf Traditionen und disziplinspezifische Gewohnheiten zurückzuführen sind.7

Details

Seiten
XVIII, 292
Jahr
2014
ISBN (PDF)
9783653043723
ISBN (ePUB)
9783653989090
ISBN (MOBI)
9783653989083
ISBN (Hardcover)
9783631647363
DOI
10.3726/978-3-653-04372-3
Sprache
Deutsch
Erscheinungsdatum
2014 (Juli)
Schlagworte
organische Arbeit Gaelic League nationale Identität katholische Kirche
Erschienen
Frankfurt am Main, Berlin, Bern, Bruxelles, New York, Oxford, Wien, 2014. XVIII, 292 S., 1 farb. Abb., 1 s/w Abb.

Biographische Angaben

Annina Cavelti Kee (Autor:in)

Annina Cavelti Kee studierte an der Universität Basel und der National University of Maynooth (Irland). Ihre Forschungsarbeit wurde mit einem Stipendium für angehende Forschende vom Schweizerischen Nationalfonds sowie von der Stiftung Janggen-Poehn gefördert. Zurzeit ist sie am Institute for Irish and Scottish Studies an der Universität Aberdeen (UK) tätig.

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