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Die Souveränität der Gliedstaaten im Deutschen Bund

von Sven Jansen (Autor:in)
©2014 Dissertation 243 Seiten

Zusammenfassung

Mit der Unterzeichnung der Bundesakte wurde 1815 auf dem Wiener Kongress der Deutsche Bund gegründet. Die Bundesakte bezeichnete die deutschen Fürsten als souverän und erhob die Unabhängigkeit der deutschen Staaten sowie die Erhaltung der Sicherheit Deutschlands zu Bundesprinzipien. Man bestimmte allerdings nicht, inwieweit der Deutsche Bund zur Bewahrung der Sicherheit Deutschlands auch die Unabhängigkeit der Gliedstaaten und die Souveränität der deutschen Fürsten begrenzen durfte. Vor diesem Hintergrund will die Studie aufzeigen, welche Rechte die Souveränität der Fürsten und die Unabhängigkeit der deutschen Staaten umfassten.

Inhaltsverzeichnis

  • Cover
  • Titel
  • Copyright
  • Autorenangaben
  • Über das Buch
  • Zitierfähigkeit des eBooks
  • Inhaltsverzeichnis
  • Einleitung
  • A. Ausgangslage
  • B. Forschungsstand
  • C. Erkenntnisinteresse
  • I. Die Untersuchung des Umfangs der Souveränitätsschranken im Deutschen Bund
  • II. Die Untersuchung der rechtlichen Qualität des Deutschen Bundes als Folge der bestehenden Souveränitätsverhältnisse
  • D. Methodik und Gang der Untersuchung
  • Kapitel 1. Souveränität als stetig variierendes Attribut der Herrschaftsmacht
  • A. Der Ursprung des Souveränitätsbegriffs
  • B. Konkretisierung des Souveränitätsbegriffs durch Bodin
  • C. Entwicklung des Souveränitätsbegriffs in Deutschland
  • I. Das mittelalterliche und frühneuzeitliche Deutschland
  • II. Deutschland nach dem Westfälischen Frieden
  • III. Versuche zur Anpassung des Souveränitätsbegriffs
  • IV. Fazit
  • D. Der Inhaber der Souveränität im 19. Jahrhundert
  • E. Die untersuchungsrelevanten Aspekte der Souveränität
  • F. Der zeitübergreifende Wesensgehalt der Souveränität
  • G. Generelle Aspekte der Souveränität innerhalb von Staatenverbindungen
  • I. Staatenbund und Bundesstaat
  • II. Kompetenzhoheit und Kompetenzumfang als Bewertungsmaßstäbe
  • III. Rückabwicklungsmöglichkeiten
  • IV. Fazit
  • Kapitel 2. Die Souveränitätsprinzipien im Deutschen Bund
  • A. Der Souveränitätsbegriff in Deutschland zwischen 1805 und 1815
  • I. Der Friede von Pressburg
  • II. Souveränität im Rheinbund
  • 1. Der Untergang des Heiligen Römischen Reiches deutscher Nation
  • 2. Protektorat und Souveränitätsrechte
  • 3. Die Souveränitätseinschätzung der Rheinbundstaaten
  • 4. Schlussfolgerungen
  • III. Preußen und Österreich in der Rheinbundzeit
  • 1. Preußen
  • 2. Österreich
  • 3. Fazit
  • IV. Souveränitätsgarantien in den Allianzverträgen
  • 1. Der Vertrag von Ried
  • 2. Die Verträge von Fulda und Frankfurt
  • 3. Bewertung der Allianzverträge in Bezug auf die Souveränitätsgarantien
  • V. Fazit
  • B. Souveränitätsforderungen auf dem Wiener Kongress
  • I. Die verschiedenen Grundkonzeptionen für Deutschland
  • II. Die Ergänzung der Bundesakte um das Wort „souverain“
  • III. Bewertung der Ergebnisse des Wiener Kongresses
  • C. Der bundeseigene Souveränitätsbegriff
  • I. Der Bundeszweck als Bewertungsmaßstab
  • 1. Die Reichweite der Bundesermächtigungen
  • 2. Die Schranken der Bundesermächtigungen
  • II. Die Einhaltung des Bundesrechts als Legitimitätskriterium
  • D. Der Deutsche Bund – Bundesstaat oder Staatenbund?
  • Kapitel 3. Die Umsetzung der Souveränitätsprinzipien im Bundesprimärrecht
  • A. Die Vorschriften der Bundesakte
  • I. Die territoriale Sonderstellung Österreichs und Preußens
  • II. Bundeskompetenzen und Entscheidungsfindung
  • 1. Der Bundeszweck als Generalermächtigung
  • 2. Entscheidungen im Engeren Rat und im Plenum
  • 3. Konkrete Aufgaben und Befugnisse
  • (a) Die Angelegenheiten des Plenums
  • (b) Die weiteren Aufgaben des Bundes
  • 4. Bewertung im Hinblick auf die Souveränität
  • III. Bundesanforderungen an die Gliedstaaten
  • 1. Die landständischen Verfassungen
  • 2. Die Rechte der Landstände und Untertanen
  • (a) Die Mediatisiertenrechte
  • (b) Die Religionsrechte
  • (c) Sonstige Untertanenrechte
  • (d) Bewertung der Rechte der Landstände und Untertanen
  • IV. Die Wahrnehmung der auswärtigen Beziehungen
  • 1. Die Doppelstellung Deutschlands
  • 2. Bündnisrechte
  • 3. Das Recht, mit anderen Staaten Kriege zu führen
  • 4. Fazit zu den auswärtigen Beziehungen
  • V. Bewertung der Bundesakte in Bezug auf die Souveränität
  • B. Die Karlsbader Gesetze
  • I. Das Zustandekommen der Karlsbader Gesetze
  • II. Die Neuregelungen
  • 1. Das Universitätsgesetz
  • 2. Das Pressegesetz
  • 3. Das Untersuchungsgesetz
  • 4. Die Exekutionsordnung
  • III. Bewertung der Karlsbader Beschlüsse in Bezug auf die Souveränität
  • C. Die Wiener Schlussakte
  • I. Die Verknüpfung von Bundeszweck und Bundeskompetenz
  • II. Die Konkretisierung der Bundesbefugnisse
  • 1. Die Beilegung von innerdeutschen Konflikten
  • 2. Die Rechtsgrundlagen des Bundeszwangs
  • (a) Bundesintervention
  • (b) Bundesexekution
  • 3. Bewertung der neu statuierten Bundesbefugnisse
  • III. Konkretere Bundesanforderungen an die Gliedstaaten
  • 1. Die Auslegung von Art. 13 BA zwischen 1815 und 1820
  • 2. Verfassungsgebung und monarchisches Prinzip
  • 3. Schlussfolgerungen in Bezug auf die Souveränität
  • IV. Die Neuregelungen bezüglich der Wahrnehmung der auswärtigen Angelegenheiten
  • 1. Die rechtlichen Regelungen
  • 2. Bewertung der auswärtigen Befugnisse
  • V. Bewertung der Wiener Schlussakte in Bezug auf die Souveränität
  • D. Gesamtbewertung des Bundesprimärrechts
  • Kapitel 4. Die Umsetzung der Souveränitätsprinzipien am Beispiel der Wehrorganisationsgesetze
  • A. Die militärischen Beratungsgremien
  • I. Der Militärausschuss
  • II. Die Militärkommission
  • III. Schlussfolgerungen
  • B. Die Bundeskriegsverfassung
  • I. Die Entstehung der Kriegsverfassung
  • 1. Das Problem um die Einteilung der hessischen Häuser
  • 2. Die Lösungsvorschläge
  • 3. Fazit
  • II. Die Regelungen der Kriegsverfassung
  • 1. Das Bundesheer als Kontingentsarmee
  • 2. Struktur und Größe des Bundesheeres
  • (a) Korpseinteilung
  • (b) Heeresgröße
  • (c) Verhältnis der Waffengattungen
  • (d) Fazit
  • 3. Die Befehlsstrukturen im Bundesheer
  • (a) Der Oberbefehl in Kriegs- und Friedenszeiten
  • (b) Die Wahl des Bundesfeldherrn
  • (c) Die Kompetenzen des Oberfeldherrn
  • (d) Fazit zum Oberbefehl
  • 4. Der Bereitschaftsgrad in Friedenszeiten
  • 5. Bewertung der Kriegsverfassung in Bezug auf die Souveränität
  • C. Die Bundesfestungen
  • I. Die generellen Regelungen zu den Bundesfestungen
  • II. Die Regelungen für die Festungen Mainz, Luxemburg und Landau
  • III. Die Regelungen für die Festungen Ulm und Rastatt
  • IV. Bewertung der Bundesfestungen in Bezug auf die Souveränität
  • D. Gesamtbewertung der Wehrorganisationsgesetze
  • Kapitel 5. Die Umsetzung der Souveränitätsprinzipien am Beispiel der Anwendung des Bundeszwangs
  • A. Exekutionsandrohung gegenüber Braunschweig
  • I. Die historischen Hintergründe
  • II. Die Einschaltung des Bundes
  • III. Der Exekutionsbeschluss gegen Braunschweig
  • IV. Bewertung des Konflikts mit Braunschweig
  • B. Intervention und Exekution in Frankfurt
  • I. Der Hintergrund der Bundesmaßnahmen
  • II. Die Intervention des Bundes
  • III. Die Exekution gegen Frankfurt
  • IV. Bewertung der Bundesmaßnahmen
  • C. Der schleswig-holsteinische Krieg von 1848
  • I. Die Ausgangslage
  • II. Das Einschreiten des Bundes
  • III. Die Bundesintervention in Holstein
  • IV. Bewertung des schleswig-holsteinischen Konflikts
  • D. Die Bundesintervention in Kurhessen
  • I. Die Vorgeschichte der Intervention
  • II. Die Intervention des Bundes
  • III. Die „Bundeskrise“ um Kurhessen
  • IV. Der Fortgang der Interventionsmaßnahmen
  • V. Bewertung der kurhessischen Krise
  • E. Der Deutsch-Dänische Krieg
  • I. Die Vorgeschichte des Krieges
  • II. Bundesexekution und Pfandbesetzung
  • III. Die Londoner Konferenzen von 1864
  • IV. Kriegsende und Präliminarfrieden
  • V. Bewertung des Deutsch-Dänischen Krieges
  • F. Der Deutsch-Deutsche Krieg
  • I. Die norddeutsche Situation als Auslöser des Konflikts
  • II. Der Bundesbruch Preußens
  • III. Bewertung des Deutsch-Deutschen Krieges
  • G. Gesamtbewertung der Bundesmaßnahmen
  • Abschließende Bewertungen
  • Zusammenfassung in Thesen
  • Literatur

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Einleitung

1815 wurde auf dem Wiener Kongress der Deutsche Bund gegründet und hierdurch eine neue Ära der deutschen Geschichte eingeläutet, die – mit nur kurzen Unterbrechungen – über 50 Jahre andauern sollte.1 Die in Wien beschlossene Bundesakte2 und die fünf Jahre später verabschiedete Wiener Schlussakte3 bildeten die primären Rechtsgrundlagen der neuen Staatenverbindung. Die Aufgaben des Bundes und dessen Rechtsbeziehungen zu seinen Mitgliedern ergaben sich bereits aus den ersten beiden Artikeln der Bundesakte:

„Art. 1: Die souverainen Fürsten und freien Städte Deutschlands […] vereinigen sich zu einem beständigen Bunde, welcher der deutsche Bund heißen soll.

Art. 2: Der Zweck desselben ist Erhaltung der äußeren und inneren Sicherheit Deutschlands und der Unabhängigkeit und Unverletzbarkeit der einzelnen deutschen Staaten.“

Der Gründungsvertrag des Deutschen Bundes bezeichnete mithin die deutschen Fürsten als „souverän“ und erhob die Unabhängigkeit der deutschen Staaten sowie die Erhaltung der Sicherheit Deutschlands zu Bundesprinzipien.4 Man bestimmte allerdings nicht, inwieweit der Deutsche Bund zur Bewahrung der Sicherheit Deutschlands auch die Unabhängigkeit der Gliedstaaten und die Souveränität der deutschen Fürsten begrenzen durfte. Vor diesem Hintergrund will diese Studie aufzeigen, welche Rechte die Souveränität der Fürsten und die Unabhängigkeit der deutschen Staaten umfassten.

A. Ausgangslage

Im Gegensatz zu den meisten anderen europäischen Staaten entwickelte sich in Deutschland für lange Zeit kein homogener Staatskörper mit einer starken ← 11 | 12 → Zentralgewalt.5 Stattdessen entstand mit dem Heiligen Römischen Reich deutscher Nation6 ein Gebilde, in dem sich der Kaiser die Macht mit den Reichsständen teilte.7 Diese sorgten dafür, dass der Umfang ihrer Herrschaftsrechte stetig wuchs und sie hierdurch die eigenen Regierungsgeschäfte zunehmend unabhängig vom Reich wahrnehmen konnten.8

Durchbrochen wurden die Beschränkungen durch den Reichskörper schließlich zu Beginn des 19. Jahrhunderts, als sich die meisten kleineren und mittleren Reichsstände zu dem von Napoleon protegierten Rheinbund zusammenschlossen und Kaiser Franz II. infolgedessen die Auflösung des HRRdN proklamierte.9 Das Streben der Fürsten nach Unabhängigkeit schien von Erfolg gekrönt, da ihnen in der Rheinbundakte nicht nur die „Landeshoheit“, sondern sogar „Souveränität“ zuerkannt wurde.10 Es dauerte jedoch nicht lange, bis den Rheinbundfürsten ← 12 | 13 → bewusst wurde, dass der französische „Protektor“ ihre Herrschaftsmacht tatsächlich weit stärker einschränkte als vormals der Reichsverband.11

Nachdem Napoleons Stern als Folge des desaströsen Russlandfeldzugs zu sinken begonnen hatte,12 ließen sich viele Rheinbundfürsten ihre Souveränität von den Alliierten im Gegenzug für den Frontwechsel durch die Akzessionsverträge von Ried und Fulda garantieren.13 Als sich 1814 nach dem vorläufigen Sieg über Frankreich Gesandte aus ganz Europa in Wien zusammenfanden, um dem Kontinent eine neue politische Gestalt zu geben, befanden sich unter ihnen auch Vertreter der Rheinbundstaaten, die die Umsetzung der ihnen garantierten Souveränitätsrechte sicherstellen wollten.14 Folglich war bereits durch den Abschluss der Akzessionsverträge präjudiziert, dass auch künftig kein gesamtdeutscher Staat mit einer starken Zentralmacht entstehen würde.15

Die unterschiedlichen Interessenslagen der deutschen Teilnehmer prägten auch die Verhandlungen auf dem Wiener Kongress.16 Preußen befürwortete die Bildung eines zentral organisierten Bundesstaates,17 Österreich strebte einen föderalen Staatenbund an, wollte jedoch die mindermächtigen Fürstenhäuser nicht auf eine Stufe mit Österreich und Preußen stellen und ihnen deshalb auch nicht das Attribut der „Souveränität“ zuerkennen.18 Die meisten deutschen Mittelstaaten waren ← 13 | 14 → hingegen in erster Linie bestrebt, ihre Herrschaft zukünftig möglichst unabhängig von äußeren Einflüssen ausüben zu können.19

Im Laufe der Verhandlungen erkannten die preußischen Gesandten Humboldt und Hardenberg, dass ihre ambitionierte Bundesstaatsidee auf dem Wiener Kongress nicht durchsetzbar war. Aus diesem Grund stimmte schließlich auch Preußen der Bildung einer Verbindung unabhängiger Staaten zu.20 Aufgrund des diplomatischen Drucks der Mittelstaaten, allen voran Bayern und Württemberg, wurde letztendlich sogar die „Souveränität“ der deutschen Fürsten bundesrechtlich festgeschrieben.21

Dementsprechend definierte die Bundesakte die neu gegründete Staatenverbindung als einen „beständigen Bunde“22, dessen Zweck in der „Erhaltung der äußeren und inneren Sicherheit Deutschlands und der Unabhängigkeit und Unverletzbarkeit der einzelnen deutschen Staaten“23 bestand. Trotz dieser Unabhängigkeitsgarantie wurde der Bund mit Kompetenzen ausgestattet, die es ihm zur Erhaltung der Sicherheit Deutschlands erlaubten, die Herrschaftsbefugnisse der Bundesmitglieder einzuschränken.24

Die Wahrnehmung der Bundeskompetenzen oblag der Bundesversammlung, deren Aufgaben und Kompetenzen oft nur durch den Bundeszweck definiert und begrenzt wurden.25 Die Bundesversammlung konnte eine Reihe von Entscheidungen durch einfachen Mehrheitsbeschluss herbeiführen, sodass bestimmte Beschlüsse auch gegen den Willen einzelner Bundesmitglieder gefasst werden konnten.26 Zusätzlich war der Bund befugt, seine materiellen Entscheidungen im Wege der Bundesintervention oder der Bundesexekution notfalls auch zwangsweise gegenüber einzelnen Mitgliedern durchzusetzen.27

Das Bundesrecht wurde unter anderem durch die Karlsbader Gesetze und die Wiener Schlussakte sukzessive ausgebaut, sodass der Deutsche Bund seine Strukturen im ← 14 | 15 → Laufe der Zeit festigen konnte.28 Zudem wurde 1822 die Kriegsverfassung fertiggestellt.29 Diese sollte die Verteidigungsbereitschaft Deutschlands sicherstellen, indem sie den Gliedstaaten bestimmte Militärpflichten auferlegte.30

Mit dem Deutschen Bund entstand demzufolge eine Staatenverbindung, die – trotz der festgeschriebenen Souveränität der deutschen Fürsten – zur Bewahrung der Sicherheit Deutschlands und der Unabhängigkeit seiner Mitglieder mit teilweise beachtlichen Kompetenzen und Machtinstrumenten ausgestattet wurde. Aufgrund dieser Konzeption des Deutschen Bundes drängt sich die Frage auf, wie dieser die ihm übertragenen Mittel zur Erfüllung seines Sicherheitszwecks nutzen konnte, ohne hierdurch die den Fürsten garantierte Souveränität zu konterkarieren.

B. Forschungsstand

Obwohl es scheint, als ließen sich der Sicherheitszweck des Bundes und die Unabhängigkeit seiner Mitglieder kaum miteinander in Einklang bringen, obwohl der Deutsche Bund die Herrschaftsbefugnisse seiner Mitgliedstaaten sogar mit militärischen Zwangsmitteln verkürzen durfte und obwohl er trotz aller Bundeskompetenzen und -pflichten in Art. 1 WSA als „völkerrechtlicher Verein“ und seine Fürsten als „souverain“ bezeichnet wurden, ist bislang noch nicht zusammenhängend untersucht worden, welche Schlüsse aus diesen scheinbaren Widersprüchen in Bezug auf den Umfang der Souveränität der Bundesmitglieder zu ziehen sind.

Zwar wird die politische und verfassungsrechtliche Entwicklung Deutschlands immer wieder zum Gegenstand wissenschaftlicher Untersuchungen gemacht.31 ← 15 | 16 → Viele Studien richten ihr Augenmerk jedoch auf die politische Geschichte Deutschlands ab 1871.32 Eine nicht unerhebliche Anzahl der Werke zum Zeitraum von 1815 bis 1866 betrachtet zudem nicht Deutschland als Ganzes, sondern einzelne ← 16 | 17 → deutsche Staaten.33 Nach Ansicht von Historikern existiert keine „umfassende Gesamtdarstellung des Deutschen Bundes“,34 weil es keine gesamtdeutschen Archive für den Zeitraum zwischen 1815 und 1866 gibt.35 Aus diesem Grund konzentrieren sich Rechtshistoriker oft auf Österreich36, Preußen37 und andere Einzelstaaten statt auf Gesamtdeutschland.

Trotz der beschriebenen Gesamtlage wurde auch die „staats- und verfassungsrechtliche“ Situation im Deutschen Bund immer wieder wissenschaftlich erörtert.38 Studien zum Deutschen Bund befassen sich meist auch mit der Frage ← 17 | 18 → nach der Rechtsnatur des Bundes und dessen Verhältnis zu seinen Mitgliedern.39 Dennoch stellt keines der jüngeren Werke die Souveränität der Gliedstaaten vor dem Hintergrund der Entstehungsgeschichte des Bundes, des Bundeszwecks, der Bundeskompetenzen und der Bundesprinzipien dar, um auf diese Weise den Umfang der Souveränität zu hinterfragen. Stattdessen beschreiben sie in der Regel entweder die historischen Verhältnisse oder beschränken sich auf Teilaspekte der Rechtsbeziehungen im Deutschen Bund.40

← 18 | 19 →

C. Erkenntnisinteresse

Diese Arbeit will die Lücke schließen, die noch immer bei der rechtshistorischen Aufarbeitung des Deutschen Bundes besteht, indem anhand der damaligen Rechtsverhältnisse geklärt wird, welche Rechte die Souveränität der Bundesmitglieder umfasste. Hierzu soll zusammenhängend dargestellt werden, in welcher Wechselbeziehung die Einflussnahmemöglichkeiten des Deutschen Bundes und die den Fürsten garantierte Souveränität zueinander standen und welche Rückschlüsse sich hieraus in Bezug auf die staatsrechtliche Qualität des Deutschen Bundes ziehen lassen.

I. Die Untersuchung des Umfangs der Souveränitätsschranken im Deutschen Bund

Wie sich bereits aus dem gewählten Titel ergibt, will diese Studie in erster Linie darlegen, welchen Umfang die Souveränität der Bundesmitglieder besaß. Hierzu ist zum einen zu klären, welche Herrschaftsbefugnisse bei der Gründung des Deutschen Bundes überhaupt mit dem Begriff „Souveränität“ verbunden wurden. Zum anderen ist zu eruieren, inwieweit die einzelstaatlichen Herrschaftsbefugnisse ← 19 | 20 → durch die Bundesgesetze, durch Maßnahmen des Bundes und durch das Verhalten der anderen Mitglieder eingeschränkt wurden.

Mit dem Begriff „Souveränität“ wird in der Regel die höchste und legitime Herrschaftsmacht für ein bestimmtes Gebiet definiert.41 Die Rechtsordnung des Deutschen Bundes enthielt mit den Bundeskompetenzen und den Bundespflichten jedoch Vorschriften, die geeignet waren, eine solch umfassende Herrschaftsmacht der Gliedstaaten in Frage zu stellen. Es erscheint daher zweifelhaft, ob die Mitglieder des Deutschen Bundes überhaupt so weitreichende Herrschaftsbefugnisse besitzen konnten, wie es die Bezeichnung ihrer Herrscher als „souveraine Fürsten“ vermuten lässt.

Wie bereits bei der Darstellung der Ausgangslage beschrieben, bestand der Hauptzweck des Deutschen Bundes in der Bewahrung der Unabhängigkeit und Unverletzlichkeit seiner Mitglieder sowie in der Erhaltung der inneren und äußeren Sicherheit Deutschlands. Hierzu wurden der Bundesversammlung spätestens durch die Wiener Schlussakte so viele Kompetenzen übertragen, dass sich die Frage aufdrängt, ob die bundesrechtlich verbriefte Souveränität überhaupt (noch) mit der Verfassungsrealität im Deutschen Bund im Einklang stand. Die weitgehend nur rudimentär reglementierten Befugnisse des Bundes werfen folglich bei genauerer Betrachtung eine Reihe von Fragen auf, die bislang noch nicht umfassend beantwortet wurden.

Details

Seiten
243
Jahr
2014
ISBN (PDF)
9783653041118
ISBN (ePUB)
9783653989281
ISBN (MOBI)
9783653989274
ISBN (Paperback)
9783631649671
DOI
10.3726/978-3-653-04111-8
Sprache
Deutsch
Erscheinungsdatum
2014 (März)
Schlagworte
Bundesakte Wiener Schlussakte Karlsbader Beschlüsse Kriegsverfassung des Deutschen Bundes Wiener Kongress
Erschienen
Frankfurt am Main, Berlin, Bern, Bruxelles, New York, Oxford, Wien, 2014. 243 S.

Biographische Angaben

Sven Jansen (Autor:in)

Sven Jansen, promovierter Jurist, studierte Rechtswissenschaften in Bielefeld. Er praktiziert als Rechtsanwalt für Immobilienrecht in einer internationalen Düsseldorfer Wirtschaftskanzlei.

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