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Kritische Chinabilder aus der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts

Zeitgenössische Essays und Vorträge von Chinesen mit Urteilen über ihr Heimatland

von Xiuli Jin (Autor:in)
©2015 Monographie 172 Seiten

Zusammenfassung

Das Chinabild der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts ist kompliziert. Die komplexe Situation mit politischer und wirtschaftlicher Unruhe voller Umbrüche und Neuordnungen wurde zeitgleich der Nährboden für explodierende kritische Stimmen aus verschiedenen sozialen Lagern. Das Buch vermittelt ein sowohl literarisch als auch soziologisch, philosophisch und politisch nicht uninteressantes Chinabild ins Deutsche, dem bis dato keine besondere Aufmerksamkeit geschenkt worden ist, durch eine Vielzahl von zeitgenössischen Beiträgen in einer kommentierten Übersetzung.

Inhaltsverzeichnis

  • Cover
  • Titel
  • Copyright
  • Autorenangaben
  • Über das Buch
  • Vorwort der Reihenherausgeberin
  • Vorwort
  • Zitierfähigkeit des eBooks
  • Inhaltsverzeichnis
  • Lu Xun
  • Zwei, drei Sachen über China
  • I. Über das chinesische Feuer
  • II. Über die Politik der Milde in China
  • III. Über das chinesische Gefängnis
  • Über „die Reputation“
  • Über das Zusehen bei einem Kampf
  • Über den Kerngedanken der Welterfahrenheit
  • Ein vom Kinderfotografieren abgeleitetes Thema
  • Anschauung über die Hintertreiberei
  • Das stumme China
  • Liang Qichao
  • Über das junge China
  • Chen Tianhua
  • Alarmglocke
  • Xu Shoushang
  • Der Kampf um die Reputation
  • Ma Xiangbo
  • Die Psyche der Chinesen
  • Sun Zhongshan
  • Der Grund, warum die chinesische Zivilisation keinen Fortschritt macht
  • - Eine Rede auf dem Empfang des Bildungskreises in Guilin
  • Chen Duxiu
  • Über das Zerstören der Götzen
  • Neue Jugend
  • Guang Sheng
  • Der Charakter des chinesischen Volkes und seine Schwächen
  • 1. Der Charakter der Nationalität
  • 2. Charakter des Landes
  • 3. Charakter der Religion
  • Zhu Xizu
  • Kritik über die „eklektische Literatur“
  • Xia Gaizun
  • Über den chinesischen Pragmatismus
  • Koexistenz und Eklektizismus
  • Über das Essen
  • Li Dazhao
  • Gefährlicher Gedanke und Meinungsfreiheit
  • Hu Shi
  • Geschichte über Herrn Cha Buduo
  • Namensreligion
  • Eindrücke nach der Rückkehr
  • Meine Reform des Trauerritus
  • Zusammenfassung
  • Tao Xingzhi
  • Das Leben der Chinesen
  • Liu Bannong
  • Über den Yi-ismus
  • Zou Taofen
  • Die widerliche Nachahmung
  • Schädlicher Gedanke des Sichheraushaltens
  • Zhu Ziqing
  • Gerechtigkeit
  • Über die Unzufriedenheit mit dem Status quo
  • Qu Qiubai
  • Chinesische Schrift und Chinesen
  • Du Zhongyuan
  • Lieber die Maske als das Gesicht
  • Der Essay als Dolch und Speer
  • - Eine kurze Einführung in die Literatur der Neuen Kulturbewegung
  • Historischer Hintergrund
  • Literatur als Medium zur Rettung des untergehenden Landes
  • Der Essay als eine der beliebtesten literarischen Formen
  • Der Charakter des chinesischen Volkes als Gegenstand der Darstellung
  • Anhang
  • Tabelle der Epochen Chinas

← 12 | 13 → Lu Xun1 (1881-1936)

Begründer der modernen chinesischen Literatur, Denker und Revolutionär, geboren in der Stadt Shaoxing, Provinz Zhejiang, hieß ursprünglich Zhou Shuren. In den frühen Jahren studierte er an der Jiangnan-Marineakademie in Nanjing und kam dort mit der westlichen Wissenschaft in Berührung. 1902 ging Lu Xun zum Medizinstudium nach Japan. Später widmete er sich der literarischen Bewegung, um das Bewusstsein Chinas wachzurufen und den nationalen Geist umzugestalten. Zu diesem Zeitpunkt schrieb Lu Xun seine ersten politischen Essays. Nachdem er 1912 nach China zurückgekehrt war, unterrichtete er zuerst in der Provinz Zhejiang und wurde anschließend Angestellter im Erziehungsministerium in Beijing. Im Mai 1918 veröffentlichte er unter dem Pseudonym „Lu Xun“ in der Zeitung Neue Jugend (Xin Qingnian) seine erste Erzählung in modernem Chinesisch Tagebuch eines Verrückten (Kuangren Riji) und legte damit den Grundstein für die neue Literatur. Später war er auch als Redakteur bei der Neuen Jugend tätig und verfasste zahlreiche Artikel, um den Feudalismus anzuprangern. 1920 wurde er Dozent an der Universität Beijing und Professor am Beijing Higher Normal College. Mit seinen Essays als intellektuelle Waffe führte er einen Kampf gegen den Imperialismus und Feudalismus. Seine durchdringende und scharfzüngige Art zu schreiben und zu fabulieren, von starker Schlagkraft und hoher Wirksamkeit gekennzeichnet, gilt als ein besonderer literarischer Stil in der modernen Literaturgeschichte Chinas.

In den 20er Jahren des letzten Jahrhunderts partizipierte er an der Gründung geistesgeschichtlicher Zeitschriften wie Mangyuan und Yusi. Später wurde er Professor der Universität Xiamen. Seit Anfang 1927 arbeitete er an der Sun-Yat-sen-Universität in Guangzhou. Im Oktober desselben Jahres übersiedelte er nach Shanghai, ließ sich dort nieder und widmete sich nun ganz dem literarischen Schaffen. 1930 schließlich wurde der Verband der linken Schriftsteller gegründet. Lu Xun wurde einer ihrer führenden Leiter und war zugleich Chefredakteur einiger bedeutender literarischer Zeitschriften wie Mengya, Qianshao und Yiwen.

← 13 | 14 → Zwei, drei Sachen über China2

I.Über das chinesische Feuer

Das Feuer der Griechen soll, wie ich gehört habe, Prometheus aus dem Himmel gestohlen haben. Im Gegensatz dazu wurde das chinesische Feuer von Suiren-Shi [einem der fünf heiligen Kaiser Chinas] selbst gefunden – oder besser gesagt, erfunden. Da er kein Dieb war, konnte er der Katastrophe entgehen, an einem Berg angekettet und von einem Adler zerhackt zu werden. Aber er wurde auch nicht wie Prometheus gepriesen und vergöttert.

In China gibt es auch einen Feuergott. Aber er heißt nicht Suiren-Shi, sondern ist ein merkwürdiger Gott, der nach seinem Belieben Feuer legt.

Seitdem Suiren-Shi das Feuer erfunden hat, können die Menschen mit viel Appetit den Feuertopf essen, das Licht anzünden, auch in der Nacht arbeiten. Jedoch sei „jeder Vorteil“, wie die Weisen sagen, „mit einem Nachteil verbunden“: Das Feuer bringt auch Brandkatastrophen und größenwahnsinnige Personen mit sich, die vorsätzlich Brand stiften und das von Youchao-Shi erfundene Nest niederbrennen.

Der nette Suiren-Shi ist wohl in Vergessenheit geraten. Für Verdauungsstörungen ist schließlich der Shennong-Shi [einer der fünf heiligen Kaiser Chinas] zuständig; deswegen können die Menschen sich immer noch an diesen erinnern. Was die Feuerkatastrophe betrifft, weiß man zwar nicht, wie der Erfinder heißt, aber es muss einen Stifter gegeben haben, so bezeichnet man ihn in der Not als Feuergott und opfert ihm mit Ehrfurcht. Sein Gemälde hat ein rotes Gesicht und einen roten Bart. Aber bei der Opferzeremonie wird alles Rote vermieden und durch Grün ersetzt. Vermutlich wäre er wie der spanische Stier, der sich sehr aufregen und furchtbare Taten begehen würde, sobald er die rote Farbe erblickte.

Deshalb wird er angebetet. Es existieren in China noch eine Menge solch böser Götter bzw. götterähnlicher Wesen.

Jedoch scheint die Welt durch ihre Existenz an viel Rummel zu gewinnen. So gibt es Volksfeste zu Ehren des Feuergottes, aber keine zu Ehren von Suiren-Shi. Im Fall eines Brandes müssen die Betroffenen sowie die benachbarten Unbetroffenen dem Feuergott opfern, um sich zu bedanken. Obwohl es ein wenig überrascht, dass die vom Brand Heimgesuchten sich auch noch bedanken, ist dieses Verhalten eine Art der Sicherung, da der zweite Brand noch ausbrechen könnte, wenn das Opfer ausbliebe. So behandeln die Menschen nicht nur den Feuergott, ← 14 | 15 → sondern manchmal auch sich selbst. Ich glaube, dieses Handeln beruht auf einer Art Etikette.

Das Brandstiften ist eigentlich ganz furchtbar, aber im Vergleich zum Kochen ist es vielleicht viel interessanter. Ich weiß nicht, wie es im Ausland ist. Aber in China kann man auf keinen Fall Biographien über Köche und Lichtanzünder finden, egal welche Geschichtsbücher man durchwühlt. Diejenigen, die tüchtig kochen und Lichter anzünden können, dürfen in der Gesellschaft nicht die geringste Hoffnung haben, prominent zu werden. Im Gegensatz dazu ist die Bücherverbrennung des ersten Kaisers von Qin bis dato noch berühmt und bildet für Hitlers Absicht einer Bücherverbrennung einen Präzedenzfall. Wenn Hitlers Frau tüchtig Licht angezündet oder gebacken hätte, wäre es für sie wahrscheinlich schwierig gewesen, einen Präzedenzfall in der Geschichte zu finden. Aber, Gott sei Dank, wirken solche Handlungen nicht sensationell.

Den Niederschriften der Song-Nationalität gemäß fing der Vorgang des Häuserniederbrennens bei den Mongolen an. Da diese im Zelt wohnten und das Hausbewohnen nicht kannten, so stifteten sie den ganzen Weg Brände. Jedoch ist das eine Lüge; da nur wenige Mongolen Chinesisch sprachen, wurde diese auch nicht bereinigt. In Wirklichkeit gab es am Ende der Qin-Dynastie bereits einen prominenten Brandstifter namens Xiang Yu [General, 232 v. Chr.-202 v. Chr.], der das Epang-Schloss [in der Nähe der Stadt Xianyang] in Brand setzte und dadurch weltberühmt wurde. Sogar auf der Bühne ist er zu sehen. Sein Ruf ist sogar bis nach Japan gedrungen. Aber wer kennt noch die Vor- und Familiennamen der Leute, die vor dem Niederbrennen täglich die Lichter im Epang-Schloss angezündet haben?

Nun sind Sachen wie Sprengbomben und Brandbomben erfunden worden; darüber hinaus sind Flugzeuge auch sehr weit entwickelt. Jetzt ist es noch einfacher, prominent zu werden. Und wenn man einen größeren Brand als früher stiftet, wird man noch mehr verehrt. Von weit her betrachtet, scheint man wie ein Erlöser auszusehen; und das lodernde Feuer wirkt in den Augen der Leute wie ein Lichterschein.

II.Über die Politik der Milde in China

Im vorletzten Jahr las ich eine Arbeit von Kaizan Nakazato [einem japanischen Schriftsteller, 1885-1944] mit dem Titel „Ein Brief an China und das chinesische Volk“. Ich erinnere mich, dass er schreibt, sowohl die Dynastie Zhou als auch die Han verfügten über aggressive Anlagen. Jedoch wurden sie von Chinesen gerühmt und willkommen geheißen. Sogar Yuan und Qing, die aus einer Gegend nördlich der Großen Mauer stammten, wurden berühmt. Solange Aggression ← 15 | 16 → ermöglicht, das Land zu stabilisieren und das Volksleben zu beschützen, war sie mit der vom Chinesen begehrten Politik der Milde gleichzusetzen. So war ich über die Eigensinnigkeit des chinesischen Volkes sehr aufgebracht.

Jener „Brief“ erschien in einer Zeitschrift der Mandschurei. Er wurde übersetzt und veröffentlicht. Da er nie in China eingeführt wurde, sieht man bis heute keine Antwort darauf. Nur in einem Interview von Doktor Hu Shi [Gelehrter und Denker, 1891-1962], das letztes Jahr in der Shanghaier Zeitung erschien, steht Folgendes: „Es gibt nur eine Methode, China zu erobern, nämlich: mit der Aggression ganz aufzuhören und stattdessen das Herz der chinesischen Nation zu erobern.“ Selbstverständlich war das nur ein Zufall. Aber er gibt einem ein wenig das Gefühl, dass dies eine Antwort auf den Brief war.

Details

Seiten
172
Jahr
2015
ISBN (PDF)
9783653053234
ISBN (ePUB)
9783653989366
ISBN (MOBI)
9783653989359
ISBN (Hardcover)
9783631649626
DOI
10.3726/978-3-653-05323-4
Sprache
Deutsch
Erscheinungsdatum
2014 (Dezember)
Schlagworte
Übersetzung Rezeption Kommentar Zeitgenossen
Erschienen
Frankfurt am Main, Berlin, Bern, Bruxelles, New York, Oxford, Wien, 2014. 170 S.

Biographische Angaben

Xiuli Jin (Autor:in)

Xiuli Jin studierte Germanistik an der Ruhr-Universität Bochum. Im Anschluss war sie Professorin für Germanistik an der Technischen Universität Nanjing (China) und der Zhejiang Universität für Wissenschaft und Technik in Hangzhou (China). Seit 2012 forscht sie an der Ruhr-Universität Bochum.

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