Lade Inhalt...

Schreiben und «Rescripte» von Frauen und «Princessinen» aus dem Liegnitz(er) «Fürsten Hause» (1546-1678)

Edition sowie eine historisch-soziopragmatische und historisch-textlinguistische Skizze

von Anna Just (Autor:in)
©2014 Monographie 400 Seiten

Zusammenfassung

Mit dieser Monographie werden erstmals fnhd. handschriftliche Zeugnisse von Frauen in Schlesien aus dem Staatsarchiv in Liegnitz ediert. Der besondere Wert der Quellen aus den Jahren 1546 bis 1678 liegt darin, dass damit eine Teilhabe adeliger Frauen am lokalen öffentlichen Leben und mittelbar auch am Bildungswesen in der Frühen Neuzeit dokumentiert ist. Die Studie geht über das enge Gebiet der germanistischen Linguistik hinaus, indem die Verfasserin die Texte in die schriftliche Überlieferung des Fürstentums Liegnitz einbettet. Durch die Behandlung eines Ausschnitts des schlesischen Kommunikationsraums in historischer Tiefendimension können Einblicke in die Lebensverhältnisse und Schreibanlässe der Absenderinnen gegeben werden. Dem Modell einer Historischen Textlinguistik auf soziopragmatischer Grundlage folgend, eröffnet die Studie vielfältige Möglichkeiten für eine weitere Beschäftigung mit dem Material, sowohl in grammatisch-semantischer und textueller Hinsicht wie auch auf die Kommunikationsform Brief als solche bezogen.
Prof. Dr. Claudia Wich-Reif (Universität Bonn)

Inhaltsverzeichnis

  • Cover
  • Titel
  • Copyright
  • Autorenangaben
  • Über das Buch
  • Zitierfähigkeit des eBooks
  • Inhaltsverzeichnis
  • Vorbemerkung
  • I. Theorie und Praxis
  • 1. Zum Quellenkorpus
  • 1.1. Die Sammelhandschrift Schreiben und Refcripte von Frauen und Princesinnen aus dem Liegnitz(er) Fürften Haufe (1546-1678)
  • 1.2. Allgemeines zu Adressaten
  • 1.3. Allgemeines zu Schreibanlässen
  • 1.4. Tabellarische Übersicht zur Materialbasis
  • 2. Historisches Umfeld
  • 2.1. Aus der Geschichte des Fürstentums Liegnitz und die sprachliche Frage
  • 2.2. Das Fürstentum Liegnitz zur Entstehungszeit der Liegnitzer Briefe
  • 2.3. Aus dem Leben der Absenderinnen der Liegnitzer Briefeund dem Inhalt ihrer Briefe
  • 2.3.1. Katharina von Mecklenburg
  • 2.3.1.1. Biographisches zu Katharina von Mecklenburg
  • 2.3.1.2. Aus dem Inhalt der Briefe von Katharina von Mecklenburg
  • 2.3.2. Barbara von Brandenburg
  • 2.3.2.1. Biographisches zu Barbara von Brandenburg
  • 2.3.2.2. Aus dem Inhalt der Briefe von Barbara von Brandenburg
  • 2.3.3. Katharina von Liegnitz
  • 2.3.3.1. Biographisches zu Katharina von Liegnitz
  • 2.3.3.2 Aus dem Inhalt der Briefe von Katharina von Liegnitz
  • 2.3.4. Fräulein Helena von Liegnitz, spätere Helena von Kurzbach
  • 2.3.4.1. Biographisches zu Helena von Kurzbach
  • 2.3.4.2. Aus dem Inhalt der Briefe von Helena von Kurzbach
  • 2.3.5. Sophie von Brandenburg-Ansbach
  • 2.3.5.1. Biographisches zu Sophie von Brandenburg-Ansbach
  • 2.3.5.2. Aus dem Inhalt der Briefe von Sophie von Brandenburg-Ansbach
  • 2.3.6. Anna von Württemberg
  • 2.3.6.1. Biographisches zu Anna von Württemberg
  • 2.3.6.2. Aus dem Inhalt der Briefe von Anna von Württemberg
  • 2.3.7. Emilia von Liegnitz
  • 2.3.7.1. Biographisches zu Emilia von Liegnitz
  • 2.3.7.2. Aus dem Inhalt des Briefes von Emilia
  • 2.3.8. Elisabeth Maria von Münsterberg-Oels (Elżbieta Maria Podiebrad)
  • 2.3.8.1. Biographisches zu Elisabeth Maria von Münsterberg-Oels
  • 2.3.8.2. Aus dem Inhalt des Briefes von Elisabeth Maria
  • 2.3.9. Luise von Anhalt-Dessau
  • 2.3.9.1. Biographisches zu Luise von Anhalt-Dessau
  • 2.3.9.2. Aus dem Inhalt der Briefe von Luise von Anhalt-Dessau
  • 2.3.10. Charlotte von Liegnitz-Brieg-Wohlau
  • 2.3.10.1. Biographisches zu Charlotte von Liegnitz-Brieg-Wohlau
  • 2.3.10.2. Aus dem Inhalt der Briefe von Charlotte von Liegnitz-Brieg-Wohlau
  • 2.3.11. Sonstige Schriftstücke aus der Liegnitzer Sammelhandschrift
  • 3. Sozial- und kulturgeschichtlicher Hintergrund
  • 3.1. Das Hofleben adliger Frauen in der Frühen Neuzeit
  • 3.2. Frauen und Bildung in der Frühen Neuzeit
  • 4. Soziopragmatische und textlinguistische Grundlagen
  • 4.1. Modell der Historischen Textlinguistik auf soziopragmatischer Grundlage
  • 4.2. Historisch-soziopragmatische Einbettung der Liegnitzer Briefe
  • 4.3. Historisch-textlinguistische Einbettung der Liegnitzer Briefe
  • 5. Zu Brieftheorie, Stilprinzipien und Briefzeremoniell in der Frühen Neuzeit
  • 5.1. Brieftheorie im 16. und 17. Jahrhundert
  • 5.2. Stilprinzipien in deutschen Briefstellern des 16. und 17. Jahrhunderts
  • 5.3. Briefzeremoniell im 16. und 17. Jahrhundert
  • 6. Briefsorten in der Frühen Neuzeit
  • 6.1. Klassifizierung der Briefsorten in der Briefsteller-Literatur
  • 6.2. Klassifizierung der Liegnitzer Briefe
  • 7. Titel- und Anredekonventionen in den Liegnitzer Briefen
  • 7.1. Brief als Quelle der Anredeforschung
  • 7.2. Adressatenhonorifikation in den Liegnitzer Briefen
  • 7.3. Anreden in der Adresse
  • 7.4. Titulaturen in der Intitulatio
  • 8. Textstrukturen in der Frühen Neuzeit
  • 8.1. Textarchitekturen
  • 8.2. Textarchitekturen in den Liegnitzer Briefen
  • 8.3. Makrostrukturen
  • 8.4. Makrostrukturen und makrostrukturelle Segmente in den Liegnitzer Briefen
  • 8.4.1. Salutatio
  • 8.4.2. Exordium
  • 8.4.3. Narratio
  • 8.4.4. Petitio
  • 8.4.5. Conclusio
  • Ausblick
  • II. Edition
  • 1. Prinzipien der Edition von Texten der Frühen Neuzeit aus sprachwissenschaftlicher Sicht
  • 2. Editionsprinzipien der Liegnitzer Briefe
  • 2.1. Technische Einrichtung der Ausgabe
  • 2.2. Schreibung
  • 2.3. Interpunktion
  • 2.4. Verwendete Zeichen
  • Literaturverzeichnis
  • Reihenübersicht

← 8 | 9 → Vorbemerkung

Wenn mit diesem Band die erste Edition der Sammelhandschrift Schreiben und Recripte von Frauen und Princeinnen aus dem Liegnitz(er) Fürten Haue (1546-1678) vorgelegt wird, dann ist dies insbesondere dem leider kürzlich verstorbenen Prof. Ilpo Tapani Piirainen zu verdanken. In einem Gespräch mit ihm vor einigen Jahren machte er mich nämlich erstmalig auf handschriftliche Denkmäler des Frühneuhochdeutschen in Schlesien aufmerksam, die u.a. im Staatsarchiv in Liegnitz aufbewahrt werden und – zu seinem damals geäußerten Bedauern – als Gegenstand sprachwissenschaftlicher Untersuchungen bis dahin kaum angemessene Beachtung gefunden hatten. Dabei schwärmte er geradezu von den hier verborgenen weiblichen Korrespondenzen, denn verglichen mit männlichen traten solche in der Frühen Neuzeit nur selten in Erscheinung und wurden zudem kaum – ganz dem Geist jener Zeit entsprechend – für wert befunden, in einem Hausarchiv oder an einem anderen Ort aufbewahrt zu werden. Piirainens Enthusiasmus für dieses weibliche Schrifttum übertrug sich auf die Autorin dieses Bandes und so konnten Briefe, die das Sprach- und Schreibverhalten und – wie es sich nachher herausstellte – auch die aktive Anteilnahme adeliger Frauen am lokalen öffentlichen Leben ihrer Region dokumentieren, endlich für ein breiteres Publikum erschlossen werden.

Primäres Ziel des Bandes war demnach, eine erste Edition von in vieler Hinsicht wertvollen Schriftstücken zu bieten, die Akademikern unterschiedlicher Provenienz – aber auch Nicht-Akademikern – Einblicke in eine bereits nicht mehr bestehende historische Realität gewähren soll. Piirainens brennendem Wunsch entsprechend, diese Handschriften linguistischen Untersuchungen zugänglich zu machen, erfolgte die Edition in einer buchstabengetreuen diplomatischen Form. Der Sprachwissenschaftler benötigt bekanntlich für seine linguistische Untersuchung Texte, die – der historischen Treue verpflichtet – den Blick auf den zeitgenössischen Sprachgebrauch nicht verstellen und je nach sprachwissenschaftlichen Fragestellungen eine spezifische Materialauswertung ermöglichen. Editionen, die in irgendeiner Weise ‚normalisieren‘, können zwangsläufig Fehlinterpretationen und damit Fehlschlüsse zur Folge haben.

Bei der Arbeit an der Entzifferung der Briefe zeigte sich bald, dass diese Aufgabe nur dann gewissenhaft und solide bewältigt werden kann, wenn parallel dazu die Geschichte der Region, die Lebensverhältnisse der Briefschreiber und die zeitgenössische Brieflehre ergründet werden. Die Auslöser für diese Erkenntnis waren mannigfaltiger Natur und reichten von seltsam anmutenden Schreibanlässen in Briefen adeliger Frauen, der gelegentlichen Nennung scheinbar unwichtiger Personen in diesen Briefen, der Schreibtätigkeit der Frauen als solche in einer Zeit, in der den Frauen (auch aus privilegierten Ständen) schreiberische ← 9 | 10 → Fähigkeiten generell abgesprochen wurden, über den oft verwirrenden Gebrauch der deutschen Sprache in Briefen schlesischer Piastinnen bis hin zu den Prinzipien, nach denen die Briefe abgefasst wurden. Dass diese Schriftstücke eine Schnittstelle sind, an der sozial- und kulturgeschichtliche, pragmatische und linguistische Phänomene zusammentreffen, lag klar auf der Hand. In der Folge kam die Idee auf, der Edition eine skizzenhafte, in der historischen Soziopragmatik und historischen Textlinguistik verankerte Darstellung der Briefe vorangehen zu lassen.

Dieser Verankerung ist auch die Zusammenstellung der in dem jeweiligen Kapitel behandelten Fragestellungen geschuldet. Eine interdisziplinäre Einbettung erwies sich dabei als unentbehrlich.

Während das Kapitel 1 über die edierte Sammelhandschrift und teilweise auch über weitere im Staatsarchiv in Liegnitz aufbewahrte Denkmäler des Frühneuhochdeutschen in Schlesien informiert, beschäftigt sich das Kapitel 2 mit der Geschichte des Kommunikationsraumes, in den diese Sammelhandschrift gehört, und zwar mit dem Fürstentum Liegnitz und der sprachlichen Lage in dieser ethnisch gemischten Region. Es orientiert auch über die Lebensverhältnisse der Absenderinnen der edierten Briefe und bietet einen Überblick über deren Schreibanlässe. Fokussiert wurde dabei auf den Zusammenhang zwischen dem Inhalt der Briefe und den Ereignissen aus dem Leben der Absenderinnen. Aufgrund der dünnen Quellen- und Forschungslage zum Leben der Absenderinnen versteht sich das Kapitel 3 als eine Ergänzung hierzu und führt daher kursorisch in die Umstände des alltäglichen Lebens adeliger Frauen in der Frühen Neuzeit ein. Angesprochen wird dabei auch die Frage der Frauenbildung in der Frühen Neuzeit, die für den vorliegenden Band nicht ohne Bedeutung ist.

Die soziopragmatische und textlinguistische Verankerung der untersuchten Briefe wird im Kapitel 4 diskutiert. Als Beschreibungsmodell ist hier das von Prof. Arne Ziegler und Prof. Jörg Meier entwickelte Modell einer Historischen Textlinguistik auf soziopragmatischer Grundlage herangezogen worden, das auch der auf das Phänomen der Textstrukturen beschränkten textlinguistischen Auswertung der untersuchten Briefe im Kapitel 8 zugrunde liegt.

Die Kapitel 5 und 6 widmen sich der in der Frühen Neuzeit geltenden Brieftheorie und thematisieren auch Fragen des zeitgenössischen Briefzeremoniells. Es wurde dabei auf die zeitgenössische Briefsteller-Literatur zurückgegriffen, um die wichtigsten Thesen der Briefschreibkunst, der Stilprinzipien und die damalige Auffassung von der Kommunikationsform Brief zusammenzustellen. Die Kenntnis der zeitgenössischen brieftheoretischen Grundlagen ist conditio sine qua non einer seriösen historisch-textlinguistischen Auseinandersetzung, die vor dem Hintergrund der vorgeschriebenen Regeln die tatsächliche Kommunikationspraxis mittels Briefen erörtern will.

← 10 | 11 → Im Kapitel 7 wird ein spezielles Phänomen aus dem Bereich der historischen Soziopragmatik aufgegriffen, und zwar das Anredeverhalten in Briefen. In der Frühen Neuzeit galt die richtige Anrede des Kommunikationspartners als Teil des Briefzeremoniells und war Dreh- und Angelpunkt, um den sich die briefliche Korrespondenz als statusgebundenes und statusabhängiges Kommunikationssystem bewegte. Daher kam die Darstellung der fürstlichen Korrespondenz ohne ein ausführlicheres Bild der damaligen Anredekonventionen nicht aus.

Den Abschluss der Arbeit bildet nur ein kurzer Ausblick und nicht – wie üblich – resümierende Schlussfolgerungen. Letzteres wäre verfrüht, wenn nicht gar vermessen: Dieser Band versteht sich in erster Linie als Wegbereiter zu einer zukünftigen wissenschaftlichen Auseinandersetzung mit fürstlichen Korrespondenzen im frühneuzeitlichen Liegnitz, um in der Folge eine eingehende Untersuchung der städtischen Korrespondenz in Liegnitz entstehen zu lassen.

An dieser Stelle habe ich vielen Personen zu danken, die wesentlich das Entstehen des vorliegenden Bandes ermöglicht haben. Alle zu erwähnen, würde in eine lange Liste münden. Einige Personen muss ich aber unbedingt namentlich nennen, und zwar Herrn Dr. Stanisław Jujeczka von der Universität Breslau, der mir – ohne dass wir uns je persönlich kennen gelernt haben – wertvolle Literaturhinweise zur Geschichte und zu Amtsträgern des frühneuzeitlichen Liegnitz gegeben hat, Herrn Dr. Tomasz Ososiński, wissenschaftlicher Mitarbeiter der Nationalen Bibliothek in Warschau, der mir bei der Entzifferung schwer lesbarer Stellen in den Schriftstücken der Sammelhandschrift geholfen hat und Frau Mag. Edyta Łaborewicz, Leiterin des Staatsarchivs in Liegnitz, die mit viel Geduld meine Fragen zur Sammelhandschrift beantwortet hat. Nicht zuletzt bin ich meiner Familie dankbar, die mir die Ruhe und Kraft verlieh, die zeitintensive Arbeit zu bewältigen. Nur Prof. Ilpo Tapani Piirainen kann ich leider nicht mehr meinen Dank persönlich aussprechen. Für seine Anregung zur Auseinandersetzung mit den Korrespondenzen der Liegnitzer Fürstinnen sei ihm diese Edition der Briefe gewidmet.

← 14 | 15 → 1. Zum Quellenkorpus

Das Quellenkorpus der vorliegenden Studie besteht aus handschriftlichen Schriftstücken, die im Staatsarchiv in Liegnitz, das als Zweigstelle zum Staatsarchiv in Breslau gehört, als eine Sammelhandschrift unter der Signatur AM L. II.10 aufbewahrt werden. In der genannten Schriftensammlung vereinigt ist die frühneuzeitliche Korrespondenz adliger Frauen aus dem Liegnitzer Fürstenhaus, daher auch deren Titel Schreiben und Recripte von Frauen und Princeinnen aus dem Liegnitz(er) Fürten Haue (1546-1678). Die Sammelhandschrift ist im Archivfond Akta miasta Legnicy (Stadtakten von Liegnitz: Abkürzung AM L.) enthalten, in dem sich zahlreiche weitere Sammelhandschriften befinden, die einen Bezug zur Stadt Liegnitz und/oder zum Fürstentum Liegnitz haben.1 Der Archivfond Akta miasta Legnicy selbst ist wiederum nur einer von einem guten Dutzend im Liegnitzer Staatsarchiv aufbewahrten Archivfonds, die in der germanistischen Forschung kaum oder nur zum Teil bekannt sind, aber für eine systemlinguistische Beschreibung des Frühneuhochdeutschen in Niederschlesien große sprachhistorische und regionale Bedeutung haben. Trotz der großen Verluste durch den Zweiten Weltkrieg kann sich das Staatsarchiv Liegnitz damit in der Tat einer wichtigen Sammlung von frühneuhochdeutschen Handschriften rühmen. Die hier gelagerten deutschsprachigen handschriftlichen Schriftstücke dokumentieren mehrere Lebensbereiche des mittelalterlichen und frühneuzeitlichen Liegnitz resp. Fürstentums Liegnitz (bzw. Liegnitz-Brieg) sowie mehrerer kleiner Städte in Niederschlesien (beispielsweise Haynau/Chojnów, Jauer/Jawor, Schönau an der Katzbach/Świerzawa). Hierzu gehören etwa Geschichte und Angelegenheiten des Liegnitzer Fürstenhauses sowie des Fürstentums Liegnitz (bzw. Liegnitz-Brieg) wie z.B. Stadtverwaltung, Privilegien, Rechtsangelegenheiten, Gerichtsbarkeit, alte Stadtordnungen, Handel, Handwerk und Gewerbe, Bildung und Schulwesen, Angelegenheiten der Kirche u.a. Schon die Vielfalt der erwähnten Lebensbereiche macht deutlich, dass mit den überlieferten handschriftlichen Quellen eine Unmenge von unterschiedlichen (deutschsprachigen) Texten mit unterschiedlichen Kommunikationsfunktionen vorliegen muss. Sie sind Ausdruck einer verstärkten Schriftlichkeit und Verschriftlichung des Lebens, die wiederum eine unabdingbare Konsequenz der für Städte des 14. und 15. Jahrhunderts in Mittel- und Osteuropa angenommenen stetig expandierenden kommunikativen Notwendigkeiten sind, die nicht mehr allein mit den herkömmlichen Mitteln mündlicher Kommunikation bewältigt werden konnten:

← 15 | 16 → Ein aufblühendes städtisches Verwaltungswesen und eine in alle Bereiche des alltäglichen Lebens vordringende Schriftlichkeit sind für das Spätmittelalter als Markierungen neuer kommunikativer Anforderungen, die neue Bereiche und Formen der Kommunikation postulieren, nicht zu trennen. (Ziegler 2001a: 122)

Bereits seit der zweiten Hälfte des 13. Jahrhunderts „begann sich im schriftlichen Bereich allmählich die Rechtsfähigkeit der deutschen Sprache gegen die Dominanz des Lateinischen durchzusetzen“. (Ziegler 2003: 79) In der Folge führte dies im Spätmittelalter, insbesondere aber in der Frühen Neuzeit zu einer Verbreitung des Deutschen als Geschäfts-, Verwaltungs- und Rechtssprache. (vgl. Besch/Wolf 2009; Eggers 1986; Polenz 1994; Wells 1990; Ziegler 2001b, 2003) An eine juristische Absicherung der Eigenständigkeit der Städte (Privilegien, Stadtordnung) schloss sich allmählich das wachsende Bedürfnis einer seit dem Spätmittelalter kontinuierlich aufstrebenden städtischen Öffentlichkeit nach juristischer Absicherung persönlicher Angelegenheiten an. Das Sicherheitsbedürfnis im Rechtsverkehr wiederum habe andere Formen des Rechtswesens gefordert (Ziegler 2003: 81 nach Schulze 1975: 13)

und [führte] somit nicht nur zu einer Expansion rechtssprachlicher Texte, sondern insgesamt städtischer Schriftlichkeit. In der Folge entstehen Geschäftsverträge, Schuldverschreibungen werden fixiert, Mietangelegenheiten und Pachtverträge werden schriftlich verhandelt, umfangreiche Korrespondenzen werden ebenso geführt wie Bücher über Einnahmen und Ausgaben der Stadt usw. Produktionsstätte ist in aller Regel die städtische Kanzlei. (Ziegler 2003: 81)

Auch die überlieferten Handschriften der genannten Liegnitzer Archivfonds bestätigen die mit der Verschriftlichung des Lebens sowie dem Aufschwung der Städte einhergehende Diversifikation der Textsorten, hier insbesondere der kanzleisprachlichen. So sind die hier aufbewahrten Sammelhandschriften auch ausgiebiges Forschungsmaterial für relevante Fragestellungen der historischen Pragmalinguistik (pragmatische Sprachgeschichtsforschung) und der historischen Soziopragmatik (Verwendung von Sprache durch Individuen in einer Gesellschaft oder sozialen Ordnung).

Die einzelnen Sammelhandschriften des Archivfonds Akta miasta Legnicy selbst sind in der germanistischen Forschung, wenigstens vom Namen her, allerdings nicht völlig unbekannt. Über deutschsprachige handschriftliche Quellen zur Erforschung des Frühneuhochdeutschen, die im Staatsarchiv Liegnitz lagern, hat der finnische Germanist Ilpo Tapani Piirainen in mehreren Aufsätzen geschrieben. Dabei hat er auch den Archivfond Akta miasta Legnicy gesichtet, ausgewertet und einige Sammelhandschriften (etwa Schöffenbücher von Liegnitz oder das Stadtbuch von Liegnitz) sprachwissenschaftlich untersucht. Dennoch sind bis heute viele der Sammelhandschriften des Archivfonds Akta miasta Legnicy kaum Gegenstand linguistischer Untersuchungen gewesen, darunter auch die ← 16 | 17 → Sammelhandschrift Schreiben und Recripte von Frauen und Princeinnen aus dem Liegnitz(er) Fürten Haue (1546-1678). Bis auf einige Aufsätze (meistens Konferenzbeiträge) der Autorin des vorliegenden Bandes und Piirainens hier und da verstreute Hinweise auf die Existenz der Sammelhandschrift sowie deren Wert als Erzeugnisse weiblicher Schriftlichkeit in der Frühen Neuzeit2 ist sie in der germanistischen Forschung bislang kaum thematisiert worden. Diese Sammelhandschrift lag bisher auch nicht ediert vor, weder als Ganzes noch in einzelnen Schriftstücken. Die nun hier vorliegende, erste Edition dieser Sammelhandschrift will sie endlich der breiteren, interessierten Öffentlichkeit zugänglich machen und somit in gewissem Maße das Manko in der Erschließung des Archivfonds Akta Miasta Legnicy ausgleichen, was immer Piirainens brennender Wunsch war.3 Die Tatsache, dass mit dieser Sammelhandschrift Briefwechsel von Frauen, allerdings – der Sozialstruktur der Feudalzeit entsprechend – nur aus höheren gesellschaftlichen Schichten, überliefert vorliegt, verdiente seiner Meinung nach eine besondere Beachtung, worüber im Folgenden noch zu sprechen sein wird.

1.1. Die Sammelhandschrift Schreiben und Recripte von Frauen und Princeinnen aus dem Liegnitz(er) Fürten Haue (1546-1678)

Die Sammelhandschrift Schreiben und Recripte von Frauen und Princeinnen aus dem Liegnitz(er) Fürten Haue (1546-1678) umfasst insgesamt 66 Schriftstücke, die von insgesamt 14 Absenderinnen und Absendern stammen. Bei nur einem Schriftstück (vgl. [66]) konnte aufgrund fehlender Information der Absender der schriftlichen Mitteilung namentlich nicht ausgemacht werden.

Wie der Name besagt, handelt es sich bei der Sammelhandschrift um weibliches Schrifttum und in der Tat ist hier frühneuzeitliche Korrespondenz von Frauen vereinigt, die – dem Namen der Sammelhandschrift zufolge – dem Liegnitzer Fürstenhaus entstammen. Nur bei zwei Absenderinnen ist dies nicht der Fall, und zwar bei Ursula, Ehefrau des glogischen4 Torhüters (vgl. [40]) und Elisabeth ← 17 | 18 → Charlotte von der Pfalz, Herzogin in Preußen und Kurfürstin von Brandenburg (vgl. [64]).

Außer den von Frauen abgehenden Briefen enthält die Sammelhandschrift zusätzlich zwei Schriftstücke, deren Absender Männer sind, und zwar Herzog Georg Rudolf von Liegnitz (vgl. [65]) und Melchior Leppark, Maurer (vgl. [43]). Beide Schriftstücke stehen in unmittelbarem Zusammenhang mit entsprechenden weiblichen Schriftstücken, wodurch wohl ihre Aufnahme in die Sammlung von Frauenbriefen gerechtfertigt ist. Und so nimmt Georg Rudolfs Schreiben Bezug auf Elisabeth Charlottes Gesuch (vgl. [64]) und Melchior Lepparks Schreiben ist ein Auslöser für den Brief Elisabeth Marias von Münsterberg-Oels (vgl. [42]).

Wie einleitend angedeutet, muss die Frage, von wem (und an wen) das Schriftstück Nr. 66 abgegangen ist, vorerst offen bleiben. Vermutlich handelt es sich hier um ein in der städtischen bzw. fürstlichen Kanzlei im Auftrag des Bürgermeisters und/oder des Stadtrates bzw. Fürsten oder wenigstens eines Angehörigen der Fürstenfamilie angefertigtes Schriftstück, was den Stadtschreiber oder Notar als seinen Produzenten, aber nicht Absender nahe legt. Darüber hinaus kann man sich des Eindrucks nicht erwehren, dass dieses Schriftstück eher zufälligerweise Aufnahme in die Sammlung der Frauenbriefe gefunden hat. In formaler und stilistischer Hinsicht unterscheidet es sich nämlich wesentlich von allen anderen Schriftstücken der Sammelhandschrift und lediglich sein Inhalt spricht für den gemeinsamen Kommunikationsraum5, in den alle anderen Schriftstücke dieser Sammelhandschrift gehören.

Eine detaillierte Darstellung der einzelnen Schriftstücke samt deren Absenderinnen bzw. Absendern sowie Empfängern, soweit bekannt, Schreibanlässen und Kommunikationsfunktion wird an einer anderen Stelle geboten. Im Überblick präsentiert sich die Sammelhandschrift bezüglich der Absenderinnen bzw. Absender, der Anzahl der von ihnen abgehenden Briefe und deren Entstehungszeit wie folgt:

– 11 Briefe stammen von Katharina von Mecklenburg und wurden in den Jahren 1546-1570 angefertigt; [1-11]6

– 2 Briefe ergingen von Barbara von Brandenburg, beide aus dem Jahr 1594; [12-13]

– 2 Briefe weisen Fräulein Katharina von Liegnitz und Fräulein Helena von Liegnitz, leibliche Schwestern, als Absenderinnen aus; beide Briefe sind undatiert, aber auf einem der Briefe [14] ist ein Kanzleivermerk mit ← 18 | 19 → der Jahreszahl 1559 ersichtlich und der zweite [15] datiert laut Jasiński (2007: 218) auf das Jahr 1563; [14-15]

– 3 Briefe stammen von Helena von Liegnitz (später: Helena von Kurzbach); den ältesten der drei Briefe [16], aus dem Jahr 1568 datiert, schrieb sie noch als Fräulein Helena von Liegnitz, zwei weitere [17 und 18] unterschrieb sie bereits als Helena von Kurzbach; der eine Brief [17], datiert aus dem Jahr 1578 und auf dem anderen [18] steht merkwürdigerweise die Jahreszahl 1593, obwohl – den historischen Quellen zufolge – Helena von Kurzbach zehn Jahre früher, nämlich 1583, starb7; [16-18]

– 10 Briefe weisen Sophie von Brandenburg-Ansbach als Absenderin aus und sie wurden in den Jahren 1571-1583 aufgesetzt, wobei ein und dasselbe Schriftstück sowohl als Kopie [24] als auch im Original [25] vorliegt; [19-28]

– 11 Schriftstücke8 stammen von Anna von Württemberg und wurden in den Jahren 1596-1612 angefertigt; [29-39]

– 1 Brief ging aus von Ursula, Ehefrau des glogischen Torhüters, und datiert aus dem Jahr 1596; [40]

– 1 Brief wurde von Emilia von Liegnitz verfasst und datiert vom 24. Juli 1599; [41]

– 1 Brief ist Elisabeth Maria von Müsterberg-Oels zuzuordnen und datiert vom 20. Januar 1670; [42]

– 1 Brief stammt von Melchior Leppark; der Brief ist undatiert, da er jedoch ein unmittelbarer Schreibanlass für den Brief Elisabeth Marias von Münsterberg-Oels [42] war und selbstverständlich auch diesem vorausgeht, muss er folglich Ende 1669 bzw. Anfang 1670 angefertigt worden sein; [43]

– 14 Briefe weisen Luise von Anhalt-Dessau als Absenderin aus und wurden in den Jahren 1672-1678 aufgesetzt; [44-57]

– 6 Briefe schrieb (evtl. ließ schreiben) Charlotte von Liegnitz-Brieg-Wohlau und sie datieren aus den Jahren 1673-1678; [58-63]

– 1 Brief ging aus von Elisabeth Charlotte und datiert vom 30. April 1651; [64]

– 1 Brief wurde von Georg Rudolf von Liegnitz geschrieben und datiert vom 15. Mai 1651; [65]

← 19 | 20 → – 1 von einem nicht namentlich genannten Kommunikator angefertigtes Schriftstück, das über den Tod Georg Rudolfs von Liegnitz sowie über diesbezüglich zu treffende Maßnahmen informiert. Das Schriftstück ist zwar nicht datiert, da jedoch Georg Rudolph am 24. Januar 1653 starb, ist sein Todesdatum ein eindeutiges Indiz für die Entstehungszeit dieses Schriftstückes; [66]

Es bleibt jedoch ungewiss, wessen Sprach- und Schreibverhalten die Schriftstücke dieser Sammelhandschrift tatsächlich dokumentieren. Mit Sicherheit repräsentieren die meisten der Schriftstücke Auftragsarbeiten, wurden also nicht vom Absender persönlich, sondern von professionellen Schreibern verfasst und ausgefertigt. Davon zeugt etwa der unterschiedliche Schreibduktus in Briefen ein und derselben Person. In den elf von Katharina von Brandenburg abgehenden Briefen sind beispielsweise fünf verschiedene Arten des Schreibduktus nachzuweisen. Eigenhändig geschriebene Briefe sind hier eher eine Ausnahme. Die Tatsache, dass solche nicht von geschulten Schreibern, also Kanzleibeamten oder Notaren, sondern von den jeweiligen ausstellenden Frauen in eigener Sache geschrieben wurden, macht sie besonders interessant, denn in der Frühen Neuzeit wurden Frauen schreiberische, vor allem aber briefschreiberische Fähigkeiten im Allgemeinen nicht konzediert.

Die Unterscheidung zwischen eigenhändig und nichteigenhändig verfassten Texten ist insbesondere für eine Untersuchung städtischer Kommunikationspraxis im Mittelalter und in der Frühen Neuzeit von Bedeutung. Im Spätmittelalter und weitgehend auch in der Frühen Neuzeit wurde die schriftliche Kommunikation in Städten generell durch Schreiber professionalisiert. Daher ist auf der Ebene der Textproduktion „weiter zu differenzieren, indem zwischen Schreiber und Auftraggeber unterschieden wird“. (Ziegler 2003: 36) Da auf der Absenderseite die Kommunikationssituation quasi zweifach realisiert wird,

ist stets zu fragen: Wessen Intention lässt sich denn überhaupt am Text festmachen? Die des Schreibers als tatsächlichen Textproduzenten oder vielmehr die des Auftraggebers eines Schriftstückes, der ja eigentlich mit dem Text etwas bewirken möchte, allerdings in keiner Weise direkt sprachlichen Einfluss auf die konkrete Gestaltung des Textes ausübt? (ebd.)

Allerdings ist noch eine weitere Kommunikationssituation zu bedenken: Viele der historischen Schriftstücke sind zwar nicht eigenhändig vom Absender aufgesetzt und trotzdem dokumentieren sie dessen Sprachverhalten, da sie tatsächlich von ihm diktiert wurden. Fremd ist hier nur der Schreibduktus einschließlich Orthographie und Interpunktion, vielleicht auch die makrostrukturelle Gliederung des Textes. Das Sprachverhalten des diktierenden Absenders muss dadurch nicht zwingend an seiner Individualität eingebüßt haben:

← 20 | 21 → Belege dafür liefert übrigens der Vergleich von eigenhändigen und diktierten Briefen derselben Personen. Chodkiewicz9 klagt in einem Brief an seine Frau, dass der Feind in Livland keinen Kampf aufnimmt und deswegen “muss er das Schlachtfeld wie ein Affe verlassen“. In einem anderen durch seinen Sekretär verfassten Brief versichert er, dass ihm ungerechtfertigte Vorwürfe piepegal sind“. (Malewska 1977: 8; Übersetzung und Hervorhebung A.J.10)

Bei der Beschäftigung mit historischen Texten ist folglich stets Vorsicht geboten, sooft Aussagen über den Textproduzenten formuliert werden, es sei denn, dass er durch bestimmte Signale (etwa gleicher Duktus der Unterschrift und im Text, Hinweise im laufenden Text) explizit und evident ausgewiesen ist.

1.2. Allgemeines zu Adressaten

Details

Seiten
400
Jahr
2014
ISBN (PDF)
9783653040159
ISBN (ePUB)
9783653989922
ISBN (MOBI)
9783653989915
ISBN (Hardcover)
9783631649305
DOI
10.3726/978-3-653-04015-9
Sprache
Deutsch
Erscheinungsdatum
2014 (Mai)
Schlagworte
Brieftheorie Historische Soziopragmatik Briefsteller Fürstentum Liegnitz
Erschienen
Frankfurt am Main, Berlin, Bern, Bruxelles, New York, Oxford, Wien, 2014. 400 S., 26 s/w Abb., 6 Tab., 19 Graf.

Biographische Angaben

Anna Just (Autor:in)

Anna Just arbeitet am Institut für Germanistik der Universität Warschau. Ihre Arbeitsschwerpunkte in der Forschung sind deutsche Sprachgeschichte, historische Linguistik, deutschsprachige Polonica und Briefe der Frühen Neuzeit sowie kontrastive Lerngrammatiken des Deutschen und des Polnischen aus dem 17. und 18. Jahrhundert.

Zurück

Titel: Schreiben und «Rescripte» von Frauen und «Princessinen» aus dem Liegnitz(er) «Fürsten Hause» (1546-1678)
book preview page numper 1
book preview page numper 2
book preview page numper 3
book preview page numper 4
book preview page numper 5
book preview page numper 6
book preview page numper 7
book preview page numper 8
book preview page numper 9
book preview page numper 10
book preview page numper 11
book preview page numper 12
book preview page numper 13
book preview page numper 14
book preview page numper 15
book preview page numper 16
book preview page numper 17
book preview page numper 18
book preview page numper 19
book preview page numper 20
book preview page numper 21
book preview page numper 22
book preview page numper 23
book preview page numper 24
book preview page numper 25
book preview page numper 26
book preview page numper 27
book preview page numper 28
book preview page numper 29
book preview page numper 30
book preview page numper 31
book preview page numper 32
book preview page numper 33
book preview page numper 34
book preview page numper 35
book preview page numper 36
book preview page numper 37
book preview page numper 38
book preview page numper 39
book preview page numper 40
402 Seiten