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Konversion zum Islam im 21. Jahrhundert

Deutschland und Großbritannien im Vergleich

von Caroline Neumüller (Autor:in)
©2014 Dissertation 434 Seiten

Zusammenfassung

Die Konversion zum Islam, vor allem in vorwiegend nichtmuslimischen Gesellschaften, ist ein wachsendes Forschungsphänomen. Diese Studie konzentriert sich auf die akuten Herausforderungen von deutschen wie britischen Konvertiten zum Islam hinsichtlich ihrer kulturellen und moralischen Veränderungen, Glaubensfragen und Beziehungen zur nichtmuslimischen Mehrheitsgesellschaft sowie neuen muslimischen Gemeinschaft. Unzufriedenheit mit dem ehemaligen Glauben oder sozialen Normen geben der muslimischen Lehre für viele Menschen Attraktivität und den Wunsch nach Zugehörigkeit, die in einer Konversion münden können. Das Hauptaugenmerk der Studie wird auf die einzelnen sich verändernden Verhaltensnormen der Probanden gelegt und das Ergebnis als lebendiger, jedoch auch rationaler Einblick in das Leben von deutschen wie britischen Konvertiten dargestellt.

Inhaltsverzeichnis

  • Cover
  • Titel
  • Copyright
  • Autorenangaben
  • Über das Buch
  • Zitierfähigkeit des eBooks
  • Zusammenfassung
  • Danksagung
  • Inhaltsverzeichnis
  • Liste der beigefügten Materialien
  • Abkürzungsverzeichnis
  • Kapitel 1 Einführung
  • 1.1. Britische und deutsche muslimische Konvertiten: gleich oder verschieden?
  • 1.2. Die Forschungsfrage
  • 1.3. Wissenschaftliche Herangehensweise an religiöse Konversion
  • 1.4. Beiträge auf dem Gebiet der Islam-Konversion in Deutschland und Großbritannien
  • 1.5. Methodik und Feldforschung
  • 1.6. Kapitelübersicht
  • Kapitel 2 Religiöse Konversion
  • 2.1. Einleitung
  • 2.2. Definitionen der religiösen Konversion
  • 2.3. Frühe Forschungen über religiöse Bekehrungen
  • 2.4. Aktuelle wissenschaftliche Beiträge
  • 2.5. Konversion zum Islam
  • 2.6. Diverse Konversions-Dimensionen, soziale Schicht und Geschlecht
  • Kapitel 3 Die Geschichte der Konversion zum Islam
  • 3.1. Einleitung
  • 3.2. Frühe Konversionen zum Islam
  • 3.3. Das Phänomen der Konversion zum Islam in Europa
  • 3.4. Konvertierung zum Islam in Großbritannien
  • 3.4.1. Bis 1900: Bindung an christliche Rituale
  • 3.4.2. 1900–1950: Die Erbauung von britischen Moscheen und islamischen Einrichtungen
  • 3.4.3. 1950–2000: Eine Zeit der Verbreitung und der Annahme des Sufismus
  • 3.4.4. Ab 2000: Die Verbindung der britischen Wesensart mit dem Islam: Eine enorme Herausforderung für die Wahrnehmung oder ein kultureller Konflikt?
  • 3.5. Konversion zum Islam in Deutschland
  • 3.5.1. Bis 1900: Das Auftreten orientalischer Bräuche und militärisch beeinflusste Konvertierungen
  • 3.5.2. 1900–1950: Die Ahmadiyya - Integration des Islam in die deutsche Gesellschaft
  • 3.5.3. 1950–2000: Gefangen zwischen Widerstand und Annahme islamischer Ideologien
  • 3.5.4. Ab 2000: Entwicklung der Konvertiten zu Brückenbauern oder Trennungsfaktoren
  • Kapitel 4 Die Entwicklung einer Identität als muslimischer Konvertit
  • 4.1. Einleitung
  • 4.2. Als Nicht-Muslim(in) in einem ‚ muslimischen ’ Land
  • 4.3. Spiritualität und Vernunft
  • 4.4. Kulturelle Traditionen - Ein Anker?
  • 4.4.1. Feier von nicht-muslimischen (religiösen) Feiertagen
  • 4.4.2. Islamischer Lebensstil und der individuelle kulturelle Lebensraum
  • 4.5. Der Erwerb religiösen Wissens eines Konvertiten
  • 4.6. Gestaltung der muslimischen Identität eines Konvertiten
  • 4.6.1. Missverständnisse durch eine religiöse und nationale Identität überwinden
  • 4.6.2. Stolz und die Rolle der öffentlichen Auslegung
  • Kapitel 5 Islamische Verpflichtungen und Speisegebote
  • 5.1. Einleitung
  • 5.2. Die fünf Säulen des Islam
  • 5.2.1. Schahāda
  • 5.2.2. Gebete
  • 5.2.3. Almosensteuer
  • 5.2.4. Ramadan
  • 5.2.5. Pilgerfahrt
  • 5.3. Islamische Speisegebote
  • 5.3.1. Verbot von Schweinefleisch
  • 5.3.2. Verbot von Alkohol
  • 5.3.3. Halal-Nahrung
  • 5.4. Die Herausforderung religiöser Konformität
  • Kapitel 6 Familie & Freunde - Reaktionen, Veränderungen & Anpassungen
  • 6.1. Einleitung
  • 6.2. Die Familie
  • 6.2.1. Positive Reaktionen
  • 6.2.2. Negative Reaktionen
  • 6.2.3. Gemischte Reaktionen
  • 6.2.4. Neutrale Reaktionen
  • 6.3. Die Freunde
  • 6.3.1. Positive Reaktionen
  • 6.3.2. Negative Reaktionen
  • 6.3.3. Gemischte Reaktionen
  • 6.3.4. Neutrale Reaktionen
  • 6.4. Beibehaltung oder Beendigung von Freundschaften
  • 6.4.1. Dauerhafte Freundschaften
  • 6.4.2. Endende Freundschaften
  • 6.4.3. Prioritätsänderung in Freundschaften
  • Kapitel 7 Brautwerbung und Heirat
  • 7.1. Einleitung
  • 7.2. Verhaltensänderung gegenüber den anderen Geschlecht
  • 7.3. Voreheliche Beziehungen: Eine Sünde oder ein Segen?
  • 7.4. Brautwerbung: „Islamisches Dating“
  • 7.5. Heirat: „Die Hälfte des Glaubens“?
  • 7.6. Die Wahl des Ehepartners: Muslim oder Nicht-Muslim?
  • Kapitel 8 Konvertiten über heikle (islamische) Themen
  • 8.1. Einleitung
  • 8.2. Männliche Beschneidung: Eine islamische Verpflichtung oder eine kulturell-religiöse Tradition?
  • 8.3. Die Jungfräulichkeit: Wichtig für beide Geschlechter?
  • 8.4. Masturbation: Zulässig oder unzulässig?
  • 8.5. Polygamie: Ist diese Praktik heute zulässig?
  • 8.6. Homosexualität: Religiöse Abwendung oder soziale Akzeptanz?
  • Kapitel 9 Die Logik einer „unlogischen“ Option
  • 9.1. Einleitung
  • 9.2. Synopse des Ländervergleichs
  • 9.2.1. Die Entwicklung der Identität eines muslimischen Konvertiten
  • 9.2.2. Islamische Pflichten und Speisegebote
  • 9.2.3. Familie und Freunde
  • 9.2.4. Brautwerbung und Heirat
  • 9.2.5. Konvertiten über heikle Themen
  • 9.3. Konvertiten formen eine Gegenkultur
  • 9.4. Britische und deutsche muslimische Konvertiten: Brückenbauer oder Isolatoren?
  • Annex
  • Glossar der arabischen und islamischen Begriffe
  • Ausgewählte Literatur

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Liste der beigefügten Materialien

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Abkürzungsverzeichnis

AMJ: Ahmadiyyah Muslim Jamaat: Gemeinschaft Ahmadiyyah Muslimem
DITIB: Diyanet İşleri Turk İslam Birliği (Turkish), Die Türkisch-Islamische Union der Anstalt für Religion e.V.
EU: Europäische Union
FCC: Federal Constitutional Court
FOSIS: Federation of the Students Islamic Societies in the UK & Eire
IGMG: Islamische Gemeinschaft Milli Görüs
IR: Islam Rat
ISB: Islamic Society of Britain
IZ: Islamische Zeitung
KRD: Koordinierungsrat der Muslime in Deutschland
MR: Moslemische Revue
NGO: Non-governmental organisation
NRW: New Religious Movement
PI: Politically Incorrect – deutschsprachiger Politikblog (Immigration, Multikulturismus, Islam in Deutschland)
SOAS: London School of Oriental and African Studies
UK: United Kingdom
VIKZ: Verband Islamische Kultur Zentren
ZMD: Zentralrat der Muslime in Deutschland

Obwohl diese Studie eine akademische Arbeit ist, beinhaltet es in signifikanter Weise religiösen Inhalt. Als Hochachtung gegenüber anderen Muslimen und deren Respekt gegenüber dem Propheten Muhammad wird dementsprechend der Ausdruck „der Friede sei mit ihm“ als Kennzeichnung diesen Respektes verwendet, wenn immer der Prophet Muhammad* erwähnt wird. Ich ersetze diesen Ausdruck durch das Setzen eines Sternchens (*).

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Kapitel 1 Einführung

1.1. Britische und deutsche muslimische Konvertiten: gleich oder verschieden?

Die Konversion zum Islam ist ein komplexes Phänomen in der modernen westlichen Gesellschaft. Männer und Frauen wählen den Islam als alternativen Lebensstil, um ihrem Leben einen Grund und Sinn zu geben, und oft, um sich vor bestimmten sozialen Gewohnheiten und Verhaltensweisen, mit denen sie sich nicht identifizieren können, zu schützen. Obwohl Großbritannien und Deutschland zwei westeuropäische Länder sind, verfügen sie über unterschiedliche kulturelle und soziale Einstellungen, die sie einzigartig machen, und genau deshalb demonstrieren die Islam-Konvertiten in jedem Land ihre nationale und religiöse Identität auf eine individuell faszinierende Art und Weise. Diese Dissertation wird sich in erster Linie auf eine Reihe von persönlichen Gesprächen mit weiblichen wie männlichen muslimischen Konvertiten in Großbritannien und Deutschland konzentrieren. Die Analyse ihrer Annahme des Islams als persönliche religiöse Wahl gewährt einen Einblick in die vielen Änderungen und Anpassungen in ihrem Alltag, z. B. die Annahme der spezifischen religiösen Vorschriften, die Reaktionen auf die Konversion in ihrer unmittelbaren Umgebung, Verhaltensänderungen gegenüber dem anderen Geschlecht und provokative Meinungen zu bestimmten sensiblen Themen rund um die Sexualität. Die Auswertung dieser Aspekte wird Gemeinsamkeiten und Unterschiede in der religiösen Praxis und dem Verständnis zwischen britischen und deutschen muslimischen Konvertiten ansprechen, ihre individuellen Interpretationen der religiösen Eingliederung, ihre Selbstwahrnehmung im Lichte des Islams und die Wahrnehmungen, die sie über ihre Familien und Freunde berichten. Folglich wird die Beschreibung eine sachliche, jedoch persönliche Analyse bieten, wie ähnlich und doch verschieden britische und deutsche muslimische Konvertiten wahrgenommen und verstanden werden können.

Da die Zahl der Islam-Konvertiten in den westeuropäischen Gesellschaften wächst, ist es wichtig, dieses Phänomen zu berücksichtigen, da dies bedeutet, dass muslimische Konvertiten an der Teilnahme, Veränderung und Ausbildung der zukünftigen Gesellschaft beteiligt sind, und somit ihre sozialen, kulturellen, religiösen sowie politischen Verhaltensweisen beeinflussen (Kern, 2012). Konvertiten verkörpern einen sehr kleinen Teil innerhalb einer Minderheits-Religion, in einer ← 17 | 18 → weitgehend nicht-muslimischen Gesellschaft; sie spielen eine besondere Rolle als Vermittler zwischen der muslimischen Gemeinschaft als auch der nicht-muslimischen Gemeinschaft, ein Bereich, der wissenschaftlich bisher nur teilweise untersucht wurde. Obwohl es Studien über muslimische Konvertiten gibt, beziehen sich die meisten von ihnen auf Konvertiten in einem bestimmten Land; es gibt fast keine bestehenden länderübergreifenden Vergleichsstudien, die untersuchen, ob der Prozess der Konversion zum Islam Ähnlichkeiten oder Unterschiede in der Annahme oder Ablehnung von bestimmten religiösen Gewohnheiten und Interpretationen aufzeigt, vielleicht, weil der Islam oft als kulturell unabhängig – getrennt von einzelnen nationalen Kulturen – und homogen wahrgenommen wird. Es zeigt jedoch nicht das aktuelle Bild: dass der Islam durch die Vielfalt von Menschen unterschiedlicher Kulturen, Nationen und Hintergründe angereichert ist.

Der Umgang mit dem Islam als westeuropäische muslimische Konvertitin und Akademikerin scheint derzeit ein Minenfeld zu sein, nicht nur in der Auseinandersetzung mit Nicht-Muslimen, sondern vor allem in der intra-islamischen Debattenkultur. Auf der einen Seite gibt es einen Kampf der Kulturen, eine Spannung, die soziale Missverständnisse und Sackgassen birgt; auf der anderen Seite gibt es bereits bestehende intra-islamische Debattenkonflikte, die in den letzten Jahren zu einem Teil der öffentlichen Debatte wurden. Die Führung eines objektiven und wissenschaftlich neutralen Diskurses wird oft von einzelnen religiösen, sozialen und auch politischen Einflüssen und persönlichen Erfahrungen behindert. Die Forscher in diesem Bereich werden anerkennen müssen, dass ihre Forschung nicht neutral bleiben kann, da sie durch ihre Umwelt und insbesondere der Debattenkultur, von der sie umgeben sind, beeinflusst werden. Jede Person, die sich in diesem Dialog engagiert, wird folglich eine bestimmte Richtung des Denkens schildern, die unfreiwillig in eine akademische Studie integriert werden kann, unabhängig wie neutral und wissenschaftlich der Forscher beabsichtigt vorzugehen.

In Anbetracht dieser Bedenken wird die vorliegende Dissertation versuchen britische und deutsche muslimische Konvertiten in Anbetracht ihrer persönlichen Konversions-Prozesse und Veränderungen zu untersuchen, die nach der Annahme des Islams aufgetreten sind. Sie wird die Hürden aufzeigen, die sie im Laufe ihrer Entwicklung überwinden mussten, da verschiedene Reaktionen die Empfindlichkeit der Forschung auf dem Gebiet der Islam-Konversionen reflektieren. Das Phänomen der westeuropäisch sozialisierten Personen, die zum Islam konvertieren, ist nur ein Aspekt des Anstoßes in vielen aktuellen Diskussionen über den Islam und die Muslime, da die Konversion zum Islam noch immer in erster Linie mit Skepsis und Missverständnissen wahrgenommen wird – nicht nur bei Nicht-Muslimen, sondern auch zunehmend unter geboren Muslimen.

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Die Tendenzen, dass eine Forschung dieser Art provozieren könnte, wurden mir anhand der extrem detaillierten kritischen Bewertungen klar, die ich für dieses Projekt und Thema erhalten habe. Unter den zu erwartenden Bedenken eines solchen soziologischen Projekts, welche im Abschnitt 1.4. näher erläutert werden, wurde es spürbar, dass es einen Konflikt zwischen der Forscherin (selbst Konvertitin zum Islam) und der Möglichkeit zur Erlangung ehrlicher Antworten von den Befragten gibt, die frei von dem Einfluss von meiner Rolle als Forscherin waren.

Ein wesentlicher Aspekt ist, dass die persönliche Beteiligung der Forscherin am Studienobjekt sowohl zulässig als auch von Vorteil für den Forschungsprozess ist. Dementsprechend inspirierten diese kombinierten Aspekte die ursprüngliche Forschungsfrage. Es war nachfolgend meine persönliche Erfahrung, die die Wahl des Vergleichs von Großbritannien und Deutschland beeinflusste; zwei Länder, in denen ich genügend persönliche Erfahrungen gesammelt habe und die mir ein Verständnis für die Standpunkte der muslimischen Konvertiten im jeweiligen kulturellen Kontext gaben.

Fromme Forscher werden durch ihre religiöse Motivation beeinflusst, und müssen somit zwischen neutralen Befragungen, der akademischen Forschung, und ihren persönlichen religiösen Einflüssen unterscheiden. Eine Herausforderung dieser Studie war es daher, sie in einer professionellen, wissenschaftlichen und nicht-religiösen Art und Weise durchzuführen. Es besteht kaum Zweifel, dass die Tatsache, dass ich selbst eine deutsche Konvertitin bin, den Tenor dieser Dissertation beeinflusst hat, nicht vom Standpunkt der persönlichen Meinung aus, aber von einem des Zuganges.1 Als solche konnte ich größere und außergewöhnlichere Einblicke gewinnen, als wenn ich eine Nicht-Muslimin oder geborene Muslimin wäre. Diese interessante Dimension über die Beziehung zwischen der Versuchsperson und dem Forscher sollte nicht übersehen werden. Doch bei diesem Projekt bestand das Forschungsziel darin qualitative, individuelle Beschreibungen von persönlichen Erfahrungen zu gewinnen und nicht nur das Sammeln von quantitativen Daten.

Es gibt nur eine kleine Anzahl von fundierten wissenschaftlichen Studien über Konvertiten zum Islam, und noch weniger mit einer international vergleichenden ← 19 | 20 → Gestaltung, wenn es um die Gründe für die Konversion und Annahme der islamischen Praktiken geht. Es scheint einen allgemeinen Mangel an Studien zu geben, die aufzeigen, ob es ausreichende wissenschaftliche Untersuchungen über den Prozess der Konversion zum Islam gibt, was zu einer klaren Darstellung der Fakten führt, die durch Feldforschung und theoretischer Forschung gesammelt wurden. Daher beinhaltet der hauptsächliche Hintergrund dieser Studie nicht nur die Gründe für die Konversion und Integration von insbesondere islamischen Praktiken in den Alltag, sondern bietet auch einzigartige Einblicke in die persönlichen Meinungen in Bezug auf kritische Aspekte in der Religion selbst, und wie sie in den religiösen Kontext der Individuen integriert werden. Diese Studie soll als Augenöffner dienen, um die andauernden Klischees über muslimische Konvertiten zu hinterfragen und zu verändern, und um zu zeigen, dass diese „Minority within a Minority“ (Minderheit in einer Minderheit (Brice, 2011)) einen signifikanten Einfluss auf die Entwicklung der künftigen westeuropäischen Gesellschaft hat.

Die Antworten der britischen und deutschen Teilnehmer werden vergleichsweise ausgewertet und ihre Gemeinsamkeiten und Unterschiede demonstriert, sodass ein aktuelles Bild der muslimischen Konvertiten in beiden Ländern genauer erlangt werden kann.

Die aktuellen Debatten über den Islam sorgten dafür, dass die Religion und ihre Anhänger zu einem dauerhaften Thema in den Medien wurden; daher ist der Islam mehr als eine realistische Alternative der gegenwärtigen religiösen Konversion. Seit dem Zweiten Weltkrieg sind Konversionen zu einer anderen Religion in Europa ein anhaltendes Phänomen geworden. Obwohl keine konkreten Zahlen für dieses besondere Phänomen als Ganzes existieren, gibt es mehr Konversionen zum Islam heute, als im späten 19. und frühen 20. Jahrhundert.

Wenn man allerdings Konversionen zum Islam auf berühmte Persönlichkeiten des öffentlichen Lebens bezieht, würde man überrascht darüber sein, dass diese Zahlen kaum in aktuellen Statistiken bemerkt werden, von denen keine als offizielle Referenz akzeptiert werden kann. Signifikanterweise machen prominente oder politisch motivierte Konversionen zum Islam nur einen winzigen Teil der realen Summe der Konversionen zum Islam aus. Dieser Faktor war auch eine Motivation für die Auswahl der Teilnehmer dieser Studie, die den Islam aus persönlichen und nicht öffentlichen Gründen angenommen haben. Diese Dissertation konzentriert sich auf muslimische Konvertiten, die nicht in der Öffentlichkeit stehen, nichtsdestoweniger werden eine Reihe von Persönlichkeiten des öffentlichen Lebens behandelt, die zum Islam konvertierten, da einige von ihnen die Teilnehmer beeinflusst haben, ein Muslim bzw. eine Muslimin zu werden.

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Eine Religion auszuwählen und zu dieser zu konvertieren, stammt tendenziell von einer bewusst subjektiven Entscheidung.2 Und hier liegt der Unterschied zwischen dem Konvertiten und der Person, die sich bereits seit Geburt einer Religion unterworfen hat. In bestimmten Konfessionen des Christentums, wie dem Pietismus, wird diese bewusste Inszenierung der Lehre auch als „zweite Geburt“ bezeichnet. Es ist wichtig zu beachten, dass die Intensität der religiösen Praxis dem Konvertiten selbst entspricht; diese Studie weist darauf hin, dass kein Konvertit die Religion genauso wie ein anderer Konvertit praktiziert. Wenn eine religiöse Erfahrung motivierend genug war - die Bedingungen hierfür können individuell auch unterschiedlich sein - dann könnte dies zum Phänomen der Konversion führen. Dies bedeutet auch, dass der Konvertit eine Version der islamischen Theologie kreiert, die in Einklang mit der umgebenden Gesellschaft ist (und von ihr auch akzeptiert wird), soweit diese Interpretationen zu den Wahrnehmungen und Anforderungen des Konvertiten passen und diese reflektieren. Ebenso aber kann eine solche Version kritisch empfunden werden, und vielleicht als Bidah von traditionellen Muslimen angesehen werden, die eine Reformation der Religion als Sünde betrachten.

Einem Konvertiten stehen sowohl besseren Möglichkeiten als auch potenzielle Herausforderungen in einer weitgehend nicht-muslimischen Gesellschaft gegenüber. Zum einen befindet er oder sie sich in einer widersprüchlichen Position zwischen Einhegung und Dissoziation, welche er oder sie jedem innerhalb seiner oder ihrer Geburts-Religion gegenüber verweigert, da der Konvertit als Brücke zwischen zwei Kulturen und Religionen dienen kann. Zum anderen kann der Konvertit ein Außenseiter unter geboren Muslimen als auch unter Nicht-Muslimen bleiben, da er oder sie in den meisten Fällen keine Familienangehörigen hat, die geborene Muslime sind, und somit anderen sozialen und kulturellen Einflüssen ausgesetzt wird, welche er oder sie braucht, um die neu angenommene Religion anzuwenden. Es ist besonders diese Tatsache, die die Grundlage der Kritik von jenen ist, die in den muslimischen Glauben und der Gemeinschaft hineingeboren wurden, welche für Konvertiten oft eine schwierige Zeit darstellt, um ein Teil ihrer muslimischen Gemeinschaft zu werden, ohne seine oder ihre eigene Identität zu verlieren. Noch wichtiger ist die Einstellung der Familie und ihre Rolle als Sicherheitsnetz, welche eine muslimische Familie oft zu verkörpern scheint, die von Außenstehenden nicht nachvollziehbar ist, da ein ← 21 | 22 → Konvertit seinen Kontakt mit der nicht-muslimischen Familie häufig abbricht, entweder als ein Ergebnis seines eigenen Willens oder durch Entscheidung der Angehörigen.

Vergleicht man Großbritannien mit Deutschland, wird man feststellen, dass der Islam nicht den gleichen Status oder dasselbe Bild verkörpert. Zwar reicht die Geschichte des Islams in beiden Ländern viele Jahrhunderte zurück, jedoch begegneten sich die Religion und ihre Anhänger in jedem Land auf andere Art und Weise. Dementsprechend werden in jedem Land die Haltungen gegenüber Muslimen und dem Islam die Konvertiten in vielfältiger Weise beeinflussen, weil sie ihre eigenen islamischen Lebensweisen und Lebensräumen entsprechend ihrer bekannten Umgebung und was ihnen angeboten wird, erstellen. Während Großbritannien es anscheinend geschafft hat Muslime in sozialen, kulturellen und politischen Angelegenheiten von Anfang an mit einzubeziehen und damit die Muslime in die britische Lebensweise zu integrieren, tendiert die deutsche Politik eher dazu „fremde“ Muslime von der deutschen nicht-muslimischen Mehrheitsgesellschaft zu trennen; somit wird eine Mischung aus gemeinsamen kulturellen und religiösen Gewohnheiten nicht oder nur schwerlich ermöglicht.3

Das Ergebnis ist, dass in jedem Land die Konvertiten auf verschiedenen Wegen vom Islam angezogen werden. Als Ergebnis nehmen sie die Religion nach den derzeitigen Möglichkeiten an. Ich werde diesen Gedanken später im Detail erörtern, dennoch ist es notwendig zu erwähnen, dass während die britischen muslimischen Konvertiten ihre nationale Identität gleichermaßen mit ihrer religiösen Identität zu vermischen scheinen, deutsche Konvertiten es vorziehen als Muslime und nicht über ihre Staatsangehörigkeit verstanden zu werden. Dies ist nur einer der vielen Unterschiede zwischen britischen und deutschen Konvertiten zum Islam, den die Dissertation überprüfen konnte.

1.2. Die Forschungsfrage

Diese Dissertation befasst sich mit den Konversionserfahrungen und Veränderungen, mit denen britische und deutsche Konvertiten konfrontiert sind, insbesondere im Hinblick auf die Annahme des Glaubens, der Anpassung an islamische ← 22 | 23 → Vorschriften, mit Angabe ihrer Meinungen zu bestimmten religiösen Pflichten und zeigt die Konflikte und Herausforderungen, die sie mit ihren Familien und Freunden wegen ihrer Konvertierung haben bzw. hatten, ihr wechselndes Verhalten gegenüber dem anderen Geschlecht und ihre Haltung in Bezug auf kontroverse Themen wie Polygamie, Beschneidung, Homosexualität und vieles mehr. Die Analyse bietet eine persönliche und dennoch individuelle und sachliche Beschreibung, wie die Teilnehmer auf Fragen in Bezug auf die Ausübung ihrer gewählten Religion reagieren. Diese Information bietet eine kritische Auswertung, die gleichzeitig einen facettenreichen Vergleich über das Verständnis und die Praxis des Islams in einem länderübergreifenden und querschnittlichen Umfeld beinhaltet.

Zum Islam Konvertierte sind positiven und negativen Reaktionen von ihrem nicht-muslimischen, aber auch muslimischen Umfeld, ausgesetzt, weshalb ihre Handlungen und Änderungen des Lebensstils nicht nur vom nicht-muslimischen Umfeld kritisch beobachtet werden, sondern auch von der muslimischen Gemeinschaft. Den Islam mit offenen Armen zu begrüßen, beinhaltet nicht nur eine Veränderung in der individuellen Lebensgeschichte, dem sozialen Umfeld und den persönlichen Beziehungen, sondern wird auch durch die Religion selbst bestimmt, da der Konvertit mit dem Glauben in einer Kontext bezogenen und akzentuierten Weise als vor der Konversion konfrontiert wird. Folglich wird dies ihre entsprechenden Antworten, die in der gesamten Dissertation angesprochen werden, beeinflussen.

Es gibt mehrere Ziele dieser Forschung:

1. Die Konversionserfahrungen der Teilnehmer zu sammeln und zu erfassen;

2. Die Konversionserfahrungen der britischen und deutschen Teilnehmern miteinander zu verbinden, um zu analysieren, ob Gemeinsamkeiten oder Unterschiede im Konversionsprozess auftreten, und

3. Um Antworten auf die folgenden Fragen aufzuzeigen: Was hat sie dazu bewogen, zum Islam zu konvertieren, und welche Art von Auswirkungen und Einflüsse hat ihre Konversion auf ihre ehemalige (in erster Linie) nicht-muslimische Umwelt? Welche Trends zeichnen sich in Bezug auf die Einhaltung der religiösen Vorschriften ab und wie stark beeinflusst die Änderung des Lebensstils die muslimischen Konvertiten und ihre jeweilige unmittelbare Umgebung? Neigen muslimische Konvertiten dazu, sich von ihren früheren Lebensweisen zu distanzieren und ihre sozialen Verhaltensmuster zu ändern? Und als was sehen sie sich mit ihren Zielen und Zwecken in der Gesellschaft: als Brückenbauer oder Isolatoren?

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1.3. Wissenschaftliche Herangehensweise an religiöse Konversion

Eine religiöse Konversion beinhaltet verschiedene Definitionen und Verständnisse, da diese entsprechend dem Gelehrten oder Forscher, der eine Definition formulierte oder formuliert, variieren können. Die meisten Definitionen stammen von Konversionsforschern mit einem anthropologisch-wissenschaftlichen Hintergrund. Umfangreiche Forschungen wurden über Muslime, die in nicht-muslimischen (meist westlichen) Gesellschaften leben, durchgeführt, jedoch wurden weniger umfangreiche Studien über das Phänomen der Konversion zum Islam durchgeführt. Empirische Untersuchungen der Determinanten der religiösen Konversion konzentrieren sich in der Regel auch auf Personen innerhalb eines einzigen Landes und deswegen sind analytische, länderübergreifende Studien über die Konversion zu einem bestimmten Glauben selten.

Lofland und Stark (1965) gaben an, dass der Konvertit sich selbst als „ein Weltenretter“ sieht, was sich im Rahmen der Islam-Konvertiten auf eine kleine Anzahl bezieht, die ihre Konversion damit in Verbindung setzen aus „der Welt einen besseren Ort“ zu machen. Das „Welten-Retter“-Modell war mit seiner Kombination aus traditionellen Vorstellungen und aktuellen Themen in diesem Bereich der Forschung einzigartig. Die grundlegenden Elemente des Modells umfassen drei prädisponierende Merkmale (Besitz der religiösen Rhetorik und Problemlösungs-Perspektiven, die Wahrnehmung von langfristigem Stress und Selbst-Definition als religiöser Sucher) und vier situative Faktoren (1. Erreichen eines „Wendepunktes“, wenn bestehende Maßnahmen nicht mehr funktionieren, 2. Eine liebevolle Entwicklung der Beziehungen zwischen Pre-Konvertiten und Mitgliedern der Gruppe, 3. Eine abschwächende liebevolle Beziehung mit Nicht-Gruppenmitgliedern und 4. Intensive Interaktion mit Gruppenmitgliedern). Lofland und Skonovd (1981) entwickelten eine deskriptive Typologie der religiösen Konversion mit sechs Motiven, welche anscheinend für einige Forscher für die Islamkonversion ausreichend waren. Dazu gehören geistige Motive, mystische Motive, experimentelle Motive, affektive Motive, erweckende Motive und zwingende Motive (Lofland und Skonovd, 1981). Ihre Arbeit hat gezeigt, dass die Konversion innerhalb eines historisch-kulturellen Kontextes stattfindet, in dem die geografische Lage oft ein wichtiger Faktor war. Gartrell und Shannon (1985:32) erweiterten den Rahmen durch die Beobachtung, dass „die Konversion mit den erwarteten Vorstellungen der Akteure über die Belohnung der Konversion steht und fällt“. Also wendeten sie einen rationalen Entscheidungs-Ansatz für die deskriptive Einstellung von Lofland und Skonovd (1981) an.

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Nach Rambo neigen sozialwissenschaftliche Ansätze über Religion dazu, theoriebezogen und analytisch zu sein, wodurch das Risiko entsteht, dass die religiösen oder spirituellen Aspekte der Konversion nicht ernst genommen werden (Rambo, 1993). Dementsprechend wird der Wunsch nach Transzendenz selten als motivierender Faktor anerkannt, obwohl dies oft in den eigenen Beschreibungen der Konvertiten über ihre Erfahrungen betont wird. Dies wird beim Lesen der Aussagen der Teilnehmer in der vorliegenden Dissertation deutlich.

Rambo meint, dass die vorherrschende und überwältigende psychoanalytische Literatur über Konversionen die religiöse Konversion oft als ein „pathologisches Phänomen mit dem Konvertit als passiven Agenten“ ansieht (Rambo, 1993:10–11). Fast alle Forschungen über religiöse Konversionen wurden ohne oder mit sehr wenig Bezugnahme auf die Konversion zum Islam durchgeführt, was ein modernes und wachsendes Phänomen darzustellen scheint, insbesondere in den westlichen nicht-muslimischen Gesellschaften.

Details

Seiten
434
Jahr
2014
ISBN (PDF)
9783653040142
ISBN (ePUB)
9783653989960
ISBN (MOBI)
9783653989953
ISBN (Hardcover)
9783631649275
DOI
10.3726/978-3-653-04014-2
Sprache
Deutsch
Erscheinungsdatum
2013 (Dezember)
Schlagworte
Religiöse Konversion Muslime Glaubensfragen nichtmuslimische Mehrheitsgesellschaft Moral Konvertiten zum Islam
Erschienen
Frankfurt am Main, Berlin, Bern, Bruxelles, New York, Oxford, Wien, 2014. 434 S.

Biographische Angaben

Caroline Neumüller (Autor:in)

Caroline A. Neumüller studierte Europäisches und Internationales Recht in Bristol und promovierte mit einer Studie zu Konvertiten zum Islam in Deutschland und Großbritannien an der Universität Exeter (Großbritannien).

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