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Der Symbolbegriff im Denken Ernst Cassirers

von Catia Rotolo (Autor:in)
©2014 Dissertation 154 Seiten

Zusammenfassung

In der philosophischen Debatte über den Status und die Funktion von Erkenntnis und Wissen spielt Ernst Cassirers Kulturphilosophie der symbolischen Formen eine wichtige Rolle. Sprache, Mythos, Wissenschaft und Kunst zählen zu den symbolischen Formen, die Cassirer untersucht, um die geistige Gestaltung des Wirklichen zu verstehen. Nahe an den Wissenschaften zeigt er, wie das Symbolische entsteht, indem dem Sinneseindruck ein Index, eine Ordnung und ein Ort zugewiesen und ein Name verliehen wird. Das Symbolische drückt eine bestimmte Orientierung, eine Grundtendenz und besondere Form des Denkens aus, auch im Feld der Begriffe der Wissenschaften. Cassirers Theorie des Symbols hat die erkenntnistheoretische Konzeption der bloßen nachahmenden Abbildung des Wirklichen überwunden. Das Erkennen hat die Funktion, der gegenständlichen Welt in ihrer komplexen Mehrdimensionalität in freier Tätigkeit des Geistes Gestalt und menschliche Bedeutung zu verleihen. Aus seiner Kritik an der aristotelischen Substanz-Ontologie und am dogmatischen Realismus entwickelt Cassirer seine funktionstheoretische Perspektive des Symbolischen, auf deren anti-deterministischer und zugleich nicht-relativistischer Basis von der epistemischen Freiheit des Menschen als animal symbolicum gesprochen werden kann.

Inhaltsverzeichnis

  • Cover
  • Titel
  • Copyright
  • Autorenangaben
  • Über das Buch
  • Zitierfähigkeit des eBooks
  • Inhalt
  • 1 Einleitung
  • 1.1 Das Symbol abgrenzen: wie und warum
  • 2 Zum Substanzbegriff
  • 2.1 Kritik des aristotelischen Substanzbegriffs
  • 2.1.1 Die ›Marburger Schule‹
  • 2.1.2 Die Bibliothek Warburg
  • 2.1.3 Die griechische Philosophie
  • 2.1.4 Aristoteles vs. platon
  • 2.1.5 Der Substanzbegriff
  • 2.1.6 Kritik am aristotelischen Begriff
  • 2.2 Substanzbegriff und Kausalprinzip in deterministischen und indeterministischen Theorien
  • 2.2.1 Determinismus
  • 2.2.2 Die Sicht von Laplace
  • 2.2.3 Die leibnizsche Sicht
  • 2.2.4 Das Kausalprinzip
  • 2.2.5 Die quantentheoretische Perspektive
  • 2.2.6 Das Unbestimmtheitsprinzip
  • 2.2.7 Einwände gegen das Kausalgesetz
  • 2.2.8 Zufall und Erkenntnis
  • 2.2.9 Schlussfolgerungen
  • 2.3 Vom Begriff der Ursache zum Mythos
  • 2.3.1 Die Gesetzmäßigkeit der Wissenschaft
  • 2.3.2 Die logische Struktur des Kausalbegriffs
  • 2.3.3 Der Wahrscheinlichkeitsbegriff im Anschluss an Laplace
  • 2.3.4 Der Satz vom zureichenden Grund bzw. das Indifferenzprinzip
  • 2.3.5 Der Zufall
  • 2.3.6 Die chaotische Dimension als mythische Dimension
  • 3 Zum Funktionsbegriff
  • 3.1 Vom Funktions- zum Wirklichkeitsbegriff
  • 3.1.1 Aristoteles in der Lesart Freges
  • 3.1.2 Begriffsschrift
  • 3.1.3 Zur Geschichte des Funktionsbegriffs
  • 3.1.4 Descartes, Leibniz
  • 3.1.5 Die Begriffslehre
  • 3.1.6 Wissenschaft und Wirklichkeit
  • 3.1.7 Der kritische Idealismus
  • 3.2 Die Relativitätstheorie und Kants Erbe: Physik und Erkenntnislehre im Vergleich
  • 3.2.1 Einleitendes zur einsteinschen Relativitätstheorie
  • 3.2.2 Zeit
  • 3.2.3 Der Begriff der Gleichzeitigkeit
  • 3.2.4 Raum
  • 3.2.5 Allgemeine Relativitätstheorie und Funktionsbegriff
  • 3.3 Vom transzendentalen zum symbolischen Idealismus
  • 3.3.1 Von Marburg bis Hamburg
  • 3.3.2 Das ›Ich denke‹: zwischen Neukantianern und Kantianern
  • 3.3.3 Das aristotelische Synolon
  • 3.3.4 Die raumzeitlichen Anschauungen
  • 3.3.5 Mythische Vorstellungen
  • 3.3.6 Vom Transzendentalen zum Symbolischen
  • 3.3.7 Das Apriori
  • 3.3.8 Cassirers Beitrag
  • 4 Zum Symbolbegriff
  • 4.1 Die mythische Dimension der Ausdrucksfunktion
  • 4.1.1 Wiederentdeckung der mythischen Dimension: wie und warum.
  • 4.1.2 Der Mythos als unbestimmte Ursprungsdimension.
  • 4.1.3 Die ›Augenblicksgötter‹ und die ›Mana‹-Vorstellung
  • 4.1.4 Mana und Ritus
  • 4.1.5 Die Entstehung der Begriffe
  • 4.1.6 Vom Namen zur Zahl
  • 4.1.7 Von Heidegger zu Krois
  • 4.2 Die Bipolarität des ›Darstellungsphänomens‹in der Darstellungsfunktion
  • 4.2.1 Die ›Metamorphose des Gegebenen‹ im Empirismus und im Rationalismus
  • 4.2.2 Die Wahrnehmung
  • 4.2.3 Kritischer Idealismus
  • 4.2.4 Das Darstellungsphänomen
  • 4.2.5 Die Darstellungsfunktion des Raumes
  • 4.2.6 Die Darstellungsfunktion der Zeit
  • 4.2.7 Kritik an der Theorie des Sensualismus
  • 4.2.8 Kritik an der Phänomenologie: Brentano
  • 4.2.9 Symbolische Prägnanz des Darstellungsphänomens
  • 4.2.10 Marc-Wogau vs. Cassirer
  • 4.2.11 Identität und Differenzierung des Symbols.
  • 4.3 Phänomenologie der Bedeutungsfunktion
  • 4.3.1 Kant oder Cassirer?
  • 4.3.2 Die Bedeutungsfunktion
  • 4.3.3 Begriffslehre
  • 4.3.4 Begriff und Anschauung
  • 4.3.5 Begriff und Gegenstand
  • 4.3.6 Über die Bezeichnung
  • 4.3.7 Begriffszeichen
  • 4.3.8 Distinctio rationis
  • 4.3.9 Das »Imaginäre«
  • 4.3.10 Die symbolische Form
  • 5 Schlussfolgerungen
  • Bibliografie
  • Personenregister
  • Reihenübersicht

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1 Einleitung

Würde die Tätigkeit des Darstellens nicht ein Minimum an Freiheit einschließen, so gäbe es keine originellen, vielfältigen Darstellungen der verschiedenen Bereiche einer Kultur, die mithilfe begrifflicher Schemata Bedeutung und Sinn zu erzeugen vermögen. Keineswegs steckt in dieser Überlegung ein ontologischer Hintersinn. Zu betonen ist vielmehr, dass eine Symbolisierung ohne deterministisch verstandene Gesetze die Grundlage und Gewähr der Idee der Darstellung bildet: »Was sich in den verschiedenen Weisen der Erkenntnis und in den Wissensformen vergegenständlicht, ist weder das Ergebnis einer natürlichen Determination noch bezeichnet es eine ›von der Natur‹ gegebene Tatsache: Es ist vielmehr das animal symbolicum, das sich mittels Symbolen ausdrückt und in Kulturen seine eigene Freiheit verwirklicht«.1 Sprache, Mythos, Wissenschaft und Kunst zählen zu den symbolischen Formen, die Cassirer untersucht, um die Modalitäten der geistigen Gestaltung des Wirklichen zu verstehen. Das Symbolische entsteht, indem dem sinnlichen Eindruck ein Index, eine Ordnung und ein Ort zugewiesen und ein Name verliehen wird. In dieser Phase klärt sich die Stellung des sinnlichen Eindrucks im Verhältnis zum Ganzen und sein Wertgehalt wird benannt. Die symbolische Philosophie will verstehen, wie die verschiedenen Erkenntnisphasen, von der mythischen über die sprachliche bis zur wissenschaftlichen, durch eine geduldige, kritische Arbeit zur kulturellen Objektivierung der Kunst, Religion und Wissenschaft gelangen. Aus dieser Untersuchung ergibt sich, dass das symbolische Element sich durchaus nicht auf den Bereich der Begriffe der exakten Wissenschaften beschränkt, sondern auf alle Wissens- und Denkbereiche ausgedehnt werden kann. Das Symbol ist keine dem Denken äußerliche Hülle, sondern drückt eine bestimmte Orientierung, eine Grundtendenz und besondere Form des Denkens aus.

Von der neuplatonischen bis zur psychoanalytischen Tradition wurde unter Symbol gewöhnlich etwas verstanden, was für etwas anderes steht und mit diesem Anderen irgendwie zusammenhängt. So begriff man es oft als Synonym für sprachliche, mathematische, künstlerische oder andere Zeichen, wodurch es, vor allem im theologischen Bereich, allegorische Bedeutung gewann. Die Begriffsgeschichte lehrt uns, dass das Symbol wenigstens bis zum 18. Jahrhundert von der Allegorie ununterschieden blieb. Erst seit Goethe wurde ein klarer Unterschied ← 9 | 10 → gezogen. Im Gegensatz zur Allegorie, die auf etwas verweist, was ihr äußerlich bleibt, weist das Symbol nicht über sich hinaus, sondern verleiht dem Dargestellten eine tatsächliche Präsenz und verkörpert es vollkommen in sich. Diese Unterscheidung zwischen Symbol und Allegorie verwob sich mit den Betrachtungen Schellings über klassische und romantische Kunst, um schließlich mit Hegel andere Bedeutungen zu erlangen. Hegels Gebrauch des Symbolbegriffs näherte sich nämlich dem kantischen an. Dem Kant der Kritik der Urteilskraft zufolge ist das Symbol ein Begriff, der dem Denken, das sich die symbolisierte Wirklichkeit irgendwie vorzustellen sucht, eine Regel, das heißt einen Anhaltspunkt gibt. Auf dieser Linie bewegte sich auch Cassirer.

Der erste Hinweis auf die symbolische Dimension in Cassirers Denkweg ist einigen Autoren zufolge auf das Jahr 1917 zu datieren, als die ersten Entwürfe zu einer Philosophie der symbolischen Formen zu entstehen begannen. Ihrer Ansicht nach besaß die Theoretisierung des entsprechenden Symbolbegriffs nicht die Merkmale einer theoretischen Entdeckung, sondern war das philosophische Resultat eines komplexen und oft gewundenen Denkwegs. Dieser Feststellung kann gewiss zugestimmt werden. Bestätigt wird sie durch die Einsicht, dass die Reichweite des Symbolbegriffs nur verständlich wird im Zusammenhang des theoretischen Weges und der bisweilen kühnen Wendungen, die er erfordert hat. Die Theorie des Symbols ermöglicht die Überwindung einer alten erkenntnistheoretischen Sicht, die auf der bloßen Nachahmung des Wirklichen fußt. Denn Erkennen bedeutet nicht, die Wirklichkeit ›abzubilden‹, sondern den realen Gegenständen dank der in den Symbolen ausgedrückten gedanklichen Verbindungen eine Bedeutung zu verleihen. Bei der Formulierung des Symbolbegriffs nahm Cassirer Abstand von der philosophischen Hypothese der thomasischen Adäquationstheorie der »adaequatio rei et intellectus« und von der vermeintlich sicheren Aufnahme und treuen Wiedergabe des Realen. Ging es den alten Wirklichkeitsbildern vor allem um die Nachbildung des Realen in all seinen einzelnen Zügen und Merkmalen, so gehorcht das Symbol hingegen dem »Darstellungsprinzip«. Diese Reflexion von Ernst Cassirer ist kantischen Ursprungs, besitzt jedoch eine wichtige Eigenschaft, die den gesamten Schwerpunkt der Interpretation des kantischen Kritizismus in eine neue Richtung verschiebt. Die hier gemeinte Eigenschaft deckt sich mit der Fähigkeit, den sinnlichen Eindruck nicht als bloße Wiedergabe, sondern als Ergebnis einer originellen und einzigartigen Schöpfung in ein Symbol zu verwandeln. Das symbolische Verstehen verlangt nach Cassirer eine Tätigkeit des Geistes, der aus freien Stücken bereit ist, die Wirklichkeit in ihrer komplexen Mehrdimensionalität auszuarbeiten. Im Vordergrund steht hier jene wesentliche ›bildende Kraft‹, die Cassirer als einen einzigen Organismus der Vernunft, des natürlichen und geistigen Lebens begreift. Nach Ferrari war Cassirer von dem Anliegen getrieben, die Gültigkeit des Apriori-Begriffs auf den persönlichen Bereich ← 10 | 11 → des Geschmacks und der Zweckvorstellungen und folglich die Erkenntnisrevolution Kants auf die formenden Tätigkeiten des Geistes auszuweiten, die im Mythos, in der Sprache, Kunst und Erkenntnis am Werke sind. Diese bedeutende theoretische Ausweitung bewog Cassirer dazu, sich über die Gesetzmäßigkeit der verschiedenen Formen der Objektivierung des Wirklichen zu befragen und um die Befreiung der Tätigkeiten des Geistes von jeder substanzialistischen Konnotation zu bemühen. Auf dem Weg des Symbolischen wird die funktionalistische Perspektive den unentbehrlichen Nährboden bilden, damit von epistemischer Freiheit gesprochen werden kann.

Der Symbolbegriff wurde von Cassirer in einem auf der funktionalistischen Logik beruhenden philosophischen Kontext durchdacht. Um den theoretischen Mittelpunkt des Funktionsbegriffs kreist Cassirers ganze Philosophie. Die Funktion, ein offensichtlich von Kant stammender und von Fichte leicht beeinflusster Begriff, ist jenes geistige Handeln, aus dem alle Denksysteme, bis hin zu den komplexesten und anspruchsvollsten, entspringen. Es ist eine Tätigkeit, die nicht mehr an die Objektivität des Gegebenen, sondern an die Subjektivität der Erkenntnisarbeit gebunden ist. Das Gegebene, das den Wert eines Anstoßes und Ansporns zur Erkenntnis bewahrt, stellt hier das zu erreichende Ziel eines Erkenntnisweges dar. Es gilt zu präzisieren, dass der Übergang von der Substanz zur Funktion keinen Gegensatzcharakter aufweist und der Funktionsbegriff in Cassirers Reflexion eine theoretische Entwicklung durchläuft. War die Funktion für den frühen Cassirer gleichzeitig ein idealer Begriff und ein allgemeines Denkschema, so hat sie für den Cassirer von Substanzbegriff und Funktionsbegriff eine zweite Bedeutungsdimension. Die Begriffe, ihres unmittelbar beweis- und darstellbaren Hauptinhalts entkleidet, haben hier die unverzichtbare Aufgabe, die beobachtbare Wirklichkeit zu schaffen und zu konstituieren. Durch die Funktion bestimmt sich also die Form des Gegenstandes als symbolische Form. Am symbolischen Vorgehen will Cassirer die verschiedenen Denkmodalitäten, die Vielzahl der theoretischen Systeme und die Veränderlichkeit jeder Konstruktion hervorheben, die neue Artikulationen und logische Nuancen ins Leben zu rufen vermag.

1.1 Das Symbol abgrenzen: wie und warum

Entgegen der Tendenz des vergangenen Jahrhunderts, in dem das Wissen eine immer stärkere Spezialisierung und Sektorialisierung erfahren hat, ging die Reflexion über das Symbol aus einem Gesamtüberblick und dem Wechselspiel zwischen vielen kulturellen oder geistigen Bereichen hervor, vor allem aber aus Cassirers unvergleichlicher Kenntnis verschiedener disziplinärer Felder. Er war imstande, mit großer Kompetenz die unterschiedlichsten Problematiken anzugehen: von der Relativitätstheorie zur Linguistik, von der Philosophiegeschichte zur philosophischen ← 11 | 12 → Anthropologie, von der Gestaltpsychologie zu den mythischen Bildern. Diese vielfältige, andauernde Auseinandersetzung scheint durch die Anordnung der Bücher in der Bibliothek Aby Warburg gefördert worden zu sein, in der die unauflösbare Beziehung zwischen Philosophie und Religion, Naturwissenschaft und Magie visuell erfassbar war. Will man seinem philosophischen Stil gerecht werden, so ist eine beträchtliche Anstrengung vonnöten, um Missverständnisse oder bruchstückhafte Interpretationen zu vermeiden. Nur wenn man die zahlreichen Fäden der verschiedenen Gebiete berücksichtigt, die sich zum Ganzen eines zugleich einheitlichen und differenzierten Bildes verweben, kann man Cassirers Philosophie verstehen. Trennt man dagegen den naturwissenschaftlichen vom geisteswissenschaftlichen Bereich, riskiert man in philosophische Bewertungsfehler zu verfallen.

Bis auf den heutigen Tag zählt der Symbolbegriff zu den meistdiskutierten und aktuellsten Themen im Panorama der Philosophie, Logik und Kunst. Doch fehlt eine eindeutige und endgültige Definition des Symbols, die sich sowohl im Werk des Philosophen wie in seinen bedeutendsten Interpretationen nachweisen ließe. Dies rechtfertigt ein Forschungsprojekt, das einen begrifflichen Abgrenzungsversuch zu unternehmen sucht, der die Vielfalt der Zusammenhänge und die komplexen Problematiken berücksichtigt, auf die der Begriff verweist. Ohne die eigentlichen Zielsetzungen von Cassirers Denkweg zu übersehen, soll hier anscheinend derselbe Versuch unternommen werden, den Kant unternahm, als er das, was erkennbar sei und folglich als wissenschaftlich gelten durfte, vom Nichterkennbaren abzugrenzen trachtete. Im Folgenden seien einige Überlegungen vorausgeschickt, um zu klären, was mit dem Modalwort ›anscheinend‹ gemeint ist. Zugleich soll verdeutlicht werden, dass die Abgrenzung des Symbolbegriffs eine Gelegenheit sein muss, um mit Cassirer eine neue nichtsubstanzialistische wissenschaftliche Dimension anzudenken.

In der Einleitung zu dem Buch Il problema della demarcazione stellt der Autor, Carlo Dalla Pozza, gleich zu Anfang klar, dass »Abgrenzungskriterien in der Philosophie der Wissenschaft die Aufgabe haben, die wissenschaftliche Rede von allem zu unterscheiden, was nicht als Wissenschaft definiert werden kann«.2 Das Abgrenzungskriterium muss folglich einen Maßstab liefern, »der die empirischen Wissenschaften nicht nur vom Nichtwissenschaftlichen bzw. Metaphysischen, sondern auch von den formalen Wissenschaften (Logik und Mathematik) zu unterscheiden vermag, deren Aussagen analytische Sätze ausdrücken, die allein ihrem syntaktischen Aufbau und der Bedeutung der sie bildenden Ausdrücke wegen wahr oder falsch sind und somit keinen empirischen Inhalt haben«.3 Das Problem der Abgrenzung taucht also in dem Moment auf, da ein Inhalt zu definieren ist, ← 12 | 13 → vor allem in einem Kontext, der vom Empirischen, von allem Metaphysischen absieht. Doch im logischen Bereich ist die Frage der Abgrenzung der Wissenschaft oft mit der Wahrheitsmöglichkeit der Sätze verknüpft, als wäre das Endziel eine letztgültige Aussage über die Wirklichkeit. Dagegen entfaltet sich der Abgrenzungsversuch, der hier geleistet werden soll, vor dem Hintergrund der funktionalistischen Theorien der cassirerschen Philosophie. Es geht nicht darum, das Wirkliche vom Unwirklichen zu unterscheiden. Cassirers Reflexion richtet sich ausschließlich auf ein metaphysikfreies Denken. Das Problem des Abgrenzungsversuchs ist nicht die Unterscheidung des Wissenschaftlichen vom Nichtwissenschaftlichen, sondern die des Substanziellen vom Nichtsubstanziellen. Vor dem Hintergrund der cassirerschen Differenzierung zwischen dem Bereich der Wissenschaft und dem der Metaphysik stellt sich die Frage der Abgrenzung des Symbols aus einer anderen Optik. Verglichen mit den Abgrenzungszielen eines Logikers im klassischen Sinn des Wortes will der Symbolbegriff ein Maßstab sein, der weniger dazu dient, das Wissenschaftliche vom Nichtwissenschaftlichen abzugrenzen, als vielmehr zu verstehen, ob sich die Metaphysik aus der Wissenschaft verbannen lässt. Bei diesem Abgrenzungsversuch des Symbolbegriffs – der seine Grundlage im Mythos hat, welcher als solcher frei ist von jeder substanziellen Dimension – nimmt das theoretische Gewebe auf eine hegelsche Ordnung Bezug. Das Symbol ist das Sinnbild einer Abgrenzung, die das Substanzielle und Metaphysische aus jedem Erkenntnis- und Wissensbereich ausschaltet. Dergestalt wird – auf der Linie Hegels – die Qualität weder im wissenschaftlichen noch im mythischen Bereich, so unscharf er auch sei, von der Quantität getrennt. Aus diesem Zusammenhang ergibt sich folgende Analyse: Bei Cassirer geht die Religion der Wissenschaft nicht nur voraus, sondern wird zu einer die Wissenschaft ermöglichenden Gelegenheit. Die Religion ist nicht die Möglichkeit, um eine göttliche Entität, sondern um eine Ordnung zu denken: eine der vielen möglichen Ordnungen, die erklärbar und nicht substanzialistisch sind. Bezieht sich das Vorgehen eines formalen Logikers auf eine vorgefertigte und reale Ordnung, in welche sich die verschiedenen Inhalte einbetten lassen, so sind für Cassirer nur eine Reihe mehr oder weniger komplexer Ordnungsgrade möglich. Das Symbol wird selbst zum Abgrenzungskriterium. Es grenzt die nichtontologische Erkenntnis ab, indem es den Abgrenzungsaspekt mit dem Bedeutungsaspekt im engeren Sinn gleichsetzt. Mit Nachdruck wurde eine Trennung beider Aspekte von Popper gefordert, der »die Reduktion aller metaphysischen Aussagen auf sinnlose Aussagen scharf kritisierte. Er unterstrich den bedeutenden Charakter der meisten metaphysischen Aussagen und vertrat folglich die Notwendigkeit, das Abgrenzungsproblem von der Bedeutungsfrage zu trennen«.4 ← 13 | 14 →

Details

Seiten
154
Jahr
2014
ISBN (PDF)
9783653039146
ISBN (ePUB)
9783653990683
ISBN (MOBI)
9783653990676
ISBN (Hardcover)
9783631648827
DOI
10.3726/978-3-653-03914-6
Sprache
Deutsch
Erscheinungsdatum
2014 (März)
Schlagworte
Funktionsbegriff Substanzbegriff Kant, Immanuel symbolischer Idealismus
Erschienen
Frankfurt am Main, Berlin, Bern, Bruxelles, New York, Oxford, Wien, 2014. 154 S.

Biographische Angaben

Catia Rotolo (Autor:in)

Catia Rotolo, PhD in Mind Sciences and Studies in Human Relations der Universität des Salento in Lecce (Italien), studierte Gesang am Konservatorium Niccolo Piccinni sowie Philosophie an der Universität Bari.

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Titel: Der Symbolbegriff im Denken Ernst Cassirers
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