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Der Grundschuldsicherungsvertrag als Wandlung eines Treuhandverhältnisses

Ein Beitrag zur Überwindung der Dichotomie von Sicherung und Treuhand

von Matthias Michael Kappel (Autor:in)
©2014 Dissertation XVI, 286 Seiten

Zusammenfassung

Der Grundschuldsicherungsvertrag ist einer der bedeutsamsten Innominatverträge der bankrechtlichen Praxis. Die überragende wirtschaftliche Bedeutung hat jedoch in der wissenschaftlichen Auseinandersetzung keinen Niederschlag gefunden. An dieser Stelle setzt die Arbeit an und nimmt eine umfassende Rechtsnaturbestimmung des Grundschuldsicherungsvertrages vor. Im Laufe seines Bestandes unterliegt der Sicherungsvertrag in objektiver Hinsicht einer Wandlung, die sich eng an der Entwicklung der gesicherten Forderung orientiert. Auf diese Weise durchlebt das Vertragsverhältnis sämtliche Stadien eines Treuhandverhältnisses. Parallel hierzu durchläuft der Sicherungsvertrag eine Wandlung auf der Ebene der Interessenrichtung. Während der Sicherungsvertrag zum Auszahlungszeitpunkt Nutzen für beide Parteien mit sich bringt, nimmt die fremdnützige Tätigkeit des Sicherungsgebers aufgrund der Rückführung seines Sicherungsbedürfnisses stetig zu. Der vollständige Wegfall des Sicherungsbedürfnisses führt schließlich zu einem rein fremdnützigen Rechtsverhältnis, das seine Beendigung durch die Rückgewähr der bestellten Sicherheiten erfährt.

Inhaltsverzeichnis

  • Cover
  • Titel
  • Copyright
  • Autorenangaben
  • Über das Buch
  • Zitierfähigkeit des eBooks
  • Vorwort
  • Inhaltsübersicht
  • § 1 Einleitung
  • A. Problemstellung und Hinführung zum Thema
  • B. Gang der Darstellung
  • § 2 Einordnungen des Grundschuldsicherungsvertrages
  • A. Die Entwicklung des Sicherungsvertrages als eigenständiges Rechtsverhältnis
  • B. Einordnungsversuche der Literatur
  • C. Die Rechtsprechung
  • D. Zusammenfassung
  • E. Der eigene Ansatz
  • § 3 Die Treuhand und DAS Verhältnis zu den Sicherungsgeschäften
  • A. Die dogmatische Entwicklung des Treuhandbegriffs
  • B. Kategorisierungen der Treuhand
  • C. Das Verhältnis von Treuhand und Sicherungsgeschäft
  • § 4 Das Treugut des Grundschuldgläubigers
  • A. Fortentwicklung des Treugutverständnisses
  • B. Die Machtmittel des Gläubigers einer Sicherungsgrundschuld
  • C. Ergebnis
  • § 5 Die objektive Umkehr der Zweckrichtung des Sicherungsvertrages
  • A. Umfassende Grundschuldsicherungstreuhand zum Auszahlungszeitpunkt
  • B. Kombination von Sicherungs- und Verwaltungstreuhand durch Entstehung einer Übersicherungssituation
  • C. Weiterentwicklung zur reinen Verwaltungstreuhand
  • D. Die Regelmäßige Beendigung der sicherungsvertraglichen Treuhand
  • E. Gesamtergebnis
  • § 6 Die subjektive Umkehr der Interessen der Parteien des Grundschuldsicherungsvertrages
  • A. Die Allgemeine Bedeutung von Parteiinteressen
  • B. Die Interessenlage in der Grundschuldsicherungstreuhand
  • C. Die Interessenlage in der Kombinationsphase
  • D. Ausschließliche Fremdnützigkeit bei der reinen Verwaltungstreuhand
  • E. Gesamtergebnis
  • § 7 Zusammenfassung und Ergebnis

§ 1 Einleitung

A.  Problemstellung und Hinführung zum Thema

Der Gesetzgeber hat in den §§ 1113–1198 BGB mit der akzessorischen Hypothek und der abstrakten Grundschuld zwei gegensätzliche Grundpfandrechtstypen normiert. In der Praxis hat sich die Grundschuld als Sicherungsmittel der Bank und Kreditwirtschaft für die Absicherung längerfristiger, großvolumiger Kredite durchgesetzt und die Hypothek fast gänzlich verdrängt.1 Die fehlende Abhängigkeit der Grundschuld von einer zu sichernden Forderung führt dazu, dass ihr Sicherungszweck der freien Vereinbarung unterliegt.2 In der praktischen Handhabung können so Forderungsauswechslungen aufgrund von Umfinanzierungsvorgängen und Abtretungsgeschäften problemlos und ohne größeren Verwaltungsaufwand durchgeführt werden. Diese erhöhte Flexibilität hat den Siegeszug der Grundschuld zur Absicherung von Kreditforderungen gegenüber der Hypothek begründet.

Die Kehrseite der fehlenden Akzessorietät ist allerdings ein erhöhter Regelungsbedarf. Die Verknüpfung des dinglichen Rechts mit der zu sichernden Forderung erfolgt nicht im Wege eines Automatismus, sondern muss eigens durch eine schuldrechtliche Vereinbarung, den Sicherungsvertrag hergestellt werden.3 In ihm finden sich die Regelungen darüber welche Sicherheit zu bestellen ist, wie weit der Haftungsumfang reicht und unter welchen Voraussetzungen der Gläubiger auf die Sicherheit zugreifen darf. Neben dem Kreditvertrag und der dinglichen Grundschuldbestellung bildet er das Herzstück eines jeden Kreditsicherungsverhältnisses.

Trotz der immensen praktischen Bedeutung fristet der Sicherungsvertrag ein Schattendasein. Bis zur Kodifikation des § 1192 Ia BGB, der den Sicherungsvertrag nunmehr explizit nennt und damit seine Existenz voraussetzt, hat er im ← 1 | 2 → Gesetz keinerlei Regelung gefunden.4 Die Wissenschaft hat sich bemüht die vorhandene Regelungslücke zu schließen und vor allem die Rechtsnaturbestimmung des praktisch bedeutsamen Innominatvertrages voranzutreiben. Diese Bestrebungen haben dazu geführt den Sicherungsvertrag der Grundschuld, wie auch andere schuldrechtliche Verknüpfungsinstrumentarien bei abstrakten Kreditsicherheiten, als „fiduziarisch“ zu bezeichnen und ihn damit in Verbindung mit dem Rechtsinstitut der Treuhand gebracht. Die wissenschaftliche Auseinandersetzung wurde jedoch nur oberflächlich geführt und konzentrierte sich weniger auf den Sicherungsvertrag als solches, sondern mehr auf die Grundschuld selbst. Zudem wurde im Rahmen der einschlägigen Darstellungen nicht offengelegt von welchem Trauhandverständnis die jeweilige Untersuchung vorgenommen wurde.

An dieser Stelle will die vorliegende Arbeit ansetzten und alleine den Grundschuldsicherungsvertrag in den Fokus der Untersuchung rücken. Angesichts der rasanten dogmatischen Entwicklungen im Bereich des Trauhandrechts in den letzten Jahren besteht Anlass die Rechtsnaturbestimmung des Sicherungsvertrages umfassend zu hinterfragen.5 Da es sich bei der gesamten Materie um „gelebtes“ Recht handelt, welches maßgeblich durch die Praxis der Banken und Kreditinstitute sowie die Entscheidungspraxis der Rechtsprechung geprägt wird, ist es unumgänglich aktuelle Problemstellungen in die Untersuchung miteinzubinden. Schließlich müssen auch wirtschaftliche Gesichtspunkte berücksichtigt werden, um der praktischen Bedeutung der Sicherungsgrundschuld bei Finanzierungs- und Sicherungsgeschäften gerecht zu werden.

B.  Gang der Darstellung

Die Arbeit gliedert sich in sieben Kapitel. Nach einer kurzen Einführung, die das zugleich die Aufgabe übernimmt an die Themenstellung der Arbeit heranzuführen, wird in § 2 zunächst die Entwicklung des Sicherungsvertrages hin zu einem eigenständigen Rechtsverhältnis aufgezeigt, bevor die bisherigen Einordnungsversuche der Literatur und der Rechtsprechung im Sinne einer Bestandsanalyse wiedergegeben werden. § 2 endet mit der Vorstellung der eigenen These, im ← 2 | 3 → Sicherungsvertrag der Grundschuld ein in zweierlei Hinsicht wandlungsfähiges echtes Treuhandverhältnis zu erblicken. § 3 wird sich dann den dogmatischen Grundlagen des Treuhandwesens nähern und überblicksartig die Entwicklung des Rechtsinstituts der Treuhand und deren Kategorisierungen wiedergeben. Dabei wird sich ein Teil der Darstellung dem Verhältnis von Sicherungsgeschäften zu Treuhandverhältnissen widmen. § 4 setzt sich mit dem Bezugspunkt treuhänderischer Rechte und Pflichten, dem „Treugut“, näher auseinander und wird unter Berücksichtigung der neusten Entwicklungen die Besonderheiten des Sicherungsvertrages und der dadurch näher ausgestalteten Grundschuldsicherung in der Bank- und Kreditwirtschaft aufzeigen, systematisch analysieren und die Charakteristika des Grundschuldsicherungsvertrages als Treuhandverhältnis aufzeigen.

§§ 5 und 6 stellen das Kernstück der Arbeit dar. Inhaltlich wird die Wandlung des Sicherungsvertrages in zweierlei Hinsicht dargestellt. § 5 wird aufzeigen, dass der Sicherungsvertrag der Grundschuld in objektiver Hinsicht eine Zweckrichtungsänderung vollführt, die sich an der Entwicklung des gesicherten Kreditverhältnisses orientiert. Im Anschluss hieran wird sich § 6 dann mit den Interessen der Vertragsparteien auseinandersetzen und diese in den Fokus der Untersuchung stellen. Es wird herausgearbeitet werden, dass entsprechend der objektiven Zweckrichtungsänderung auch eine Wandlung des Rechtsverhältnisses auf der Ebene der Parteiinteressen stattfindet.

§ 7 bildet den Abschluss der Arbeit und wird nach einer kurzen Zusammenfassung die wesentlichen Erkenntnisse der Arbeit aufzeigen. ← 3 | 4 →

 

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  1  In diesem Sinne: Jacoby in Derleder/Knops/Bamberger, Handbuch zum Deutschen und europäischen Bankrecht, § 24 Rn. 1. So auch v. Crailsheim/Rohleder in Ahnert/Engel/Rohleder, Handbuch Firmenkreditgeschäft S. 657.

  2  Selbstverständlich dient auch die Grundschuld in der Praxis nahezu ausschließlich der Forderungssicherung. Vgl.: Wieling, SachenR § 26 II 2.

  3  Vgl.: Staudinger Eckpfeiler/Kessal-Wulf, S. 408.

  4  § 1192 Ia BGB wurde durch das Gesetz zur Begrenzung der mit Finanzinvestitionen verbundenen Risiken („Risikobegrenzungsgesetz“, BGBL. I S. 1666) mit Wirkung zum 19.08.2008 neu eingeführt.

  5  Im Jahr 2006 erschienen nahezu zeitgleich die Werke von Löhnig, („Treuhand“) und Bitter, („Rechtsträgerschaft für fremde Rechnung“).

§ 2 Einordnungen des Grundschuldsicherungsvertrages

A.  Die Entwicklung des Sicherungsvertrages als eigenständiges Rechtsverhältnis

Die Grundschuld wurde mit Inkrafttreten des BGB zum 01.01.1900 in den §§ 1191–1198 BGB aF. normiert. Der historische Gesetzgeber orientierte sich bei der Kodifikation an den Regelungen des hamburgischen, lübischen, mecklenburgischen und preußischen Rechts, die bereits ein nicht akzessorisches Grundpfandrecht in unterschiedlicher Ausformung geregelt hatten. Das preußische Recht verstand die Grundschuld als ein nicht akzessorisches Grundpfandrecht, bei welchem nur das Grundstück dem jeweiligen Gläubiger haftete und eine persönliche Haftung des Grundstückseigentümers ausgeschlossen war.1 Die Ausgestaltung der Grundschuld im BGB entsprach daher den schon vorhandenen landesrechtlichen Regelungen.2 Die Gründe zur Schaffung einer weiteren Grundpfandrechtsform neben der allseits bekannten akzessorischen Hypothek waren dabei sowohl wirtschaftlicher als auch rechtlicher Natur. In wirtschaftlicher Hinsicht war es um die Realkreditvergabe nach Auffassung des historischen Gesetzgebers nirgends so gut bestellt wie in den Regionen, in denen die Grundschuld in Gebrauch war.3 In rechtlicher Hinsicht wollte man ein Institut kreieren, das den Anforderungen des expandierenden Kreditverkehrs gewachsen war. Grundstücke sollten als Kreditsicherheit die Aufnahme von Kapital ermöglichen, ohne ein persönliches Haftungsrisiko für den Eigentümer mit sich zu bringen,4 um auf diese Weise die Mobilisierung des Grundeigentums voranzutreiben.

Die dogmatischen Folgen, die mit der Kodifikation eines neuen Grundpfandrechtstyps einhergehen würden, waren dem historischen Gesetzgeber bewusst. Die juristische Konstruktion und dogmatische Durchdringung des neugeschaffenen Rechtsinstitutes wurde bewusst der Wissenschaft überlassen.5 ← 5 | 6 →

In der Anfangsphase nach Einführung des BGB war der Sicherungsvertrag als schuldrechtliches Rechtsverhältnis bei der Grundschuld gänzlich unbekannt. Das hängt damit zusammen, dass die Rechtsbeziehungen zwischen den Beteiligten, wie sie einer grundschuldgesicherten Forderung zu Grunde liegen, dogmatisch nicht derart ausdifferenziert waren, wie es heute der Fall ist. Man erkannte, dass aufgrund des Abstraktionsprinzips, der Grundschuld ein schuldrechtliches Rechtsverhältnis zu Grunde zu legen war, welches den Rechtsgrund, die bereicherungsrechtliche „Causa“, für ihre Bestellung darstellte. Es galt schon damals als gefestigte Annahme, dass dieser Rechtsgrund außerhalb der dinglichen Rechtsänderung zu suchen war.6 Aus der vorgenannten Erkenntnis wurde der naheliegende Schluss gezogen, die zu sichernde Forderung als „Causa“ in Sachen des Bereicherungsrechts anzusehen.7 Zur Begründung dessen wurde angeführt, dass der Gläubiger einen Anspruch auf Erfüllung der Forderung habe, zu deren Sicherung die Grundschuld „erfüllungshalber“ bestellt werde. Die Nichterfüllung der Forderung führe zur Verwertung der Sicherheit, aus deren Erlös die Forderung getilgt werde. Daher sei die Forderung auch der Rechtsgrund für die Grundschuldbestellung.8 Diese Erkenntnis lässt offensichtlich werden, dass zur damaligen Zeit lediglich zwei Rechtsverhältnisse bei der Grundschuldsicherung unterschieden wurden: die zu sichernde Forderung und die dingliche Grundschuldbestellung.9

Dieses Verständnis hielt sich bis in die 1930-iger Jahre. Erst dann finden sich vereinzelt Hinweise, dass neben persönlicher Forderung und dem dinglichen Recht weitere vertragliche Vereinbarungen getroffen werden können, die Art und Weise der Verwertungsbefugnis des Grundschuldgläubigers regeln für den Fall, dass die gesicherte Forderung bei Fälligkeit nicht zurückgezahlt wird.10 Die Idee, dass bei der Grundschuld die Verwertungsbefugnis des Gläubigers durch rechtlich verbindliche Abreden limitiert werden kann, war ein wichtiger Schritt, um den Sicherungsvertrag als eigenständiges Rechtsverhältnis zu entwickeln.

Der größte Fortschritt wurde erreicht, indem die Forderung als Rechtsgrund für die Grundschuldbestellung überwunden wurde. Nicht mehr die Forderung, sondern ein davon zu unterscheidendes, schuldrechtliches Rechtsverhältnis wurde als ← 6 | 7 → Rechtsgrund für die Bestellung der Grundschuld ausgemacht. Man erkannte, dass sich bei Nichtentstehen der zu sichernden Forderung ein Rückgewähranspruch aus Bereicherungsrecht zugunsten des Sicherungsgebers nur dann ergibt, wenn die „Zweckwidmung“ nichtig ist.11 Hierauf aufbauend wurde erkannt, dass die zu sichernde Forderung mit der Grundschuld lediglich in schuldrechtlicher Weise verknüpft ist.12 Ein „Sicherstellungsvertrag“ bestimme den Zweck, wofür die dingliche Sicherheit zu verwenden sei.13 Fehlt dieser Zweck oder gerät er nachträglich in Wegfall, dann folge aus diesem „Sicherstellungsvertrag“, ein Anspruch des Sicherungsgebers gegen den Sicherungsnehmer auf Rückübertragung der Grundschuld.14

Diese Erkenntnis führte dazu, dass seitdem bei der Sicherungsgrundschuld drei Rechtsverhältnisse unterschieden wurden: die zu sichernde Forderung, die Bestellung der Grundschuld und der schuldrechtliche Sicherungsvertrag. Für letzteren hatte sich allerdings noch keine klare Terminologie durchsetzen können. Stellenweise wurde der Sicherungsvertrag als „Zweckwidmung“ bezeichnet,15 während auch die Bezeichnung des „Sicherstellungsvertrag“ gebräuchlich war.16

Von diesem Zeitpunkt an begann sich die Wissenschaft vertieft mit dem neuen schuldrechtlichen Rechtsverhältnis bei der Sicherungsgrundschuld zu beschäftigen. Der größte Durchbruch wurde erreicht, indem der Sicherungsvertrag als Rechtsgrund der Grundschuldbestellung erkannt und damit letztlich eine gedankliche Loslösung von der zu sichernden Forderung erreicht wurde.

Die dogmatische Entwicklung des Sicherungsvertrages als eigenständigem Vertragsverhältnis, dem die Aufgabe zukommt, den Rechtsgrund für die Bestellung der Grundschuld zu bilden und zugleich die Befugnisse des Grundschuldgläubigers auf die Zweckwidmung der Forderungssicherung zu limitieren, hatte erhebliche Zeit in Anspruch genommen. Vor dem Hintergrund, dass die Grundschuld bereits vor dem zweiten Weltkrieg auf dem Weg war, die Hypothek für die ← 7 | 8 → Sicherung kurz- und mittelfristiger17 Kredite abzulösen18 und damit bereits seit 40 Jahren „gelebtes“ Recht darstellte, zeichnet sich das für das Verständnis und die Rechtsentwicklung der Sicherungsgrundschuld typische Problem bereits ab: die Bankpraxis hatte bereits in den Anfängen des neuen Rechtsinstituts „Sicherungsgrundschuld“ die dogmatische Entwicklung rasant überholt. Die Wissenschaft geriet mit der Entwicklung der dogmatischen Grundlage zusehends ins Hintertreffen. Diese Problematik des „retroperspektivischen“ Untersuchungsansatzes hat sich bis in die heutige Zeit gehalten. Die Impulse und Entwicklungsinitiativen auf dem Gebiet der Sicherungsgrundschuld und insbesondere der sicherungsvertraglichen Regelungen finden ihren Anfang in der täglichen Praxis der Banken und Kreditinstitute.

B.  Einordnungsversuche der Literatur

Das Auftauchen eines neuen, nicht kodifizierten Vertragstypus konfrontiert sowohl Wissenschaft, als auch Rechtsprechung mit der Frage, welche Regelungen auf das Schuldverhältnis Anwendung finden.19 Die Rechtsfindung20 stellt sich dabei als typologische Methode dar.21 Die Rechtsnaturbestimmung erfordert eine wertende Untersuchung, ob die jeweilige Parteivereinbarung aufgrund des Inhalts und der Interessenlage der Beteiligten einem bestehenden, bereits bekannten Typus zugeordnet werden kann.22 Im Kern geht es dabei um die Festlegung des rechtlichen Regelungsprogramms.23 ← 8 | 9 →

I.  Frühe Ansätze

1)  Vom fiduziarischen Rechtsverhältnis zur Sicherungstreuhand

In den ersten Darstellungen der späten dreißiger Jahre des 20. Jahrhunderts wurde bei der Gegenüberstellung von Hypothek und Sicherungsgrundschuld betont, dass erstgenannte durch die Akzessorietät zur zu sichernden Forderung gekennzeichnet sei, wohingegen sich letztgenannte als fiduziarische Sicherheit darstelle.24 Kennzeichnend sei, dass der Einfluss der schuldrechtlichen Forderung bei der Sicherungsgrundschuld auf das schuldrechtliche Gebiet verlagert ist. Dem Sicherungsnehmer würde eine Rechtsmacht eingeräumt, welche der von den Parteien beabsichtigte Sicherungszweck nicht erfordere.25 Der Sicherungsnehmer sei lediglich schuldrechtlich gebunden, weswegen der Sicherungsgeber ihm besonderes Vertrauen entgegenbringe.26 Typisch für die Sicherungsgrundschuld als fiduziarische Sicherheit sei, dass dem Sicherungsgeber nach außen hin die Rechtsmacht eingeräumt werde, eine bestimmte Summe Geld aus dem belasteten Grundstück zu verlangen, wobei zugleich eine schuldrechtliche Limitierung der Befugnisse auf den Sicherungszweck erfolge.27

In dieser Zeit wurde speziell für die Sicherungsgrundschuld erstmals betont, dass es sich bei der Einschränkung der Befugnisse um ein fiduziarisches, also treuhänderisches Rechtsverhältnis handeln soll, bei dem das persönliche Vertrauen des Sicherungsgebers in die Einhaltung der schuldrechtlichen Zweckwidmung durch den Sicherungsnehmer kennzeichnend sei. Die Charakteristik der treuhänderischen Sicherheit wird dabei weniger im Zusammenhang mit dem Sicherungsvertrag gesehen, sondern alleine in dem Umstand, dass dem Sicherungsnehmer eine dingliche Rechtsmacht eingeräumt wird, die die Sicherung der Forderung an sich nicht erfordert.28

Erstmals in den 1960-iger Jahren findet sich in Darstellungen für das Schuldverhältnis, das der Sicherungsgrundschuld zu Grunde liegt, der Terminus „Sicherungsvertrag“.29 Dieser soll ein atypisches, im Gesetz nicht geregeltes ← 9 | 10 → Schuldverhältnis im Sinne des § 305 BGB aF. darstellen. In ihm seien Regelungen dazu enthalten, welche Forderung gesichert werde, wie lange der Gläubiger die Grundschuld behalten dürfe, wie die Verwertung vorzunehmen sei und schließlich auch wann eine Rückübertragung der Grundschuld zu erfolgen habe.30

Im Anschluss hieran wird nicht mehr der Sicherungsgrundschuld allgemein, sondern dem Sicherungsvertrag selbst ein „fiduziarischer“ Charakter beigemessen.31 Dieser wurde darin gesehen, dass die Verwertung der Grundschuld nur dann erfolgen dürfe, wenn die gesicherte Forderung bei Fälligkeit nicht erfüllt werde. Erfolge jedoch eine Erfüllung der Forderung, so sei die Grundschuld zurück zu gewähren. Hierin liege die eigentliche „fiduziarische Zweckbindung“.32 Darüber hinaus habe der Gläubiger, zumindest im Rahmen der Verwertung der Sicherheit, die Interessen des Sicherungsgebers zu wahren.33

Es wird deutlich, dass als weitere Fortentwicklung der Sicherungsvertrag als Ursprung fiduziarischer, demnach treuhänderischer Wirkungen ausgemacht wird. Inhaltlich wird zwar nach wie vor die Limitierung des Gläubigerrechts auf den Sicherungszweck hervorgehoben, allerdings werden auch erstmals Interessenwahrungspflichten erkannt.

Die Erkenntnisse wurden in den 1960-iger Jahren weiter präzisiert, woraus sich erneut eine Fortentwicklung ergab. Danach bezeichne der Sicherungsvertrag ein Abkommen zwischen dem Sicherungsgeber und dem Sicherungsnehmer, welches, unter Festlegung des Sicherungszwecks, sämtliche schuldrechtlichen Beziehungen regele.34 Dieses Abkommen begründe ein besonderes Vertrauensverhältnis, da dem Sicherungsnehmer ein Überschuss an Rechtsmacht eingeräumt werde, der ihn zum Treuhänder in Ansehung der übertragenen Grundschuld mache. Diese Interessenlage sei typisch für eine Sicherungstreuhand, wie sie auch bei dem Sicherungseigentum anzutreffen sei.35 Kennzeichnend sei nicht alleine die ← 10 | 11 → Zweckbindung der Grundschuld, sondern die Möglichkeit des Sicherungsnehmers missbräuchlich über das dingliche Recht zu verfügen.36

Die Fortentwicklung liegt darin, dass der Sicherungsvertrag als Sicherungstreuhand gekennzeichnet wird. Erstmals ist davon die Rede, dass dem Gläubiger im Rahmen der Grundschuldbestellung und Ausgestaltung des Kreditsicherungsverhältnisses die Möglichkeit eingeräumt wird, auf einen fremden Interessenkreis Einfluss zu nehmen. Es geht nicht mehr nur um die Übertragung dinglicher Rechtspositionen. Vielmehr werden vermögensrechtliche Interessen und Bezugspunkte erstmals in die wissenschaftliche Untersuchung miteinbezogen. In den 1960-iger Jahren hat sich der Sicherungsvertrag als Sicherungstreuhand etabliert. Der Schwerpunkt des Treuhandcharakters wird auf die Zweckbindungsfunktion des Sicherungsvertrages gelegt.

2)  Die Gegenposition Hubers

Huber stellt zunächst fest, dass der Sicherungsvertrag seinem Wesen nach Rechte und Pflichten für Sicherungsgeber und Sicherungsnehmer gleichermaßen enthalte. Der Sicherungsnehmer habe das Verbot der Doppelbelastung und den Rückgewähranspruch zugunsten des Sicherungsgebers zu beachten, im Gegenzug sei er durch den Sicherungsgeber befugt, die Grundschuld zu verwerten und dies als Erfüllung der zu sichernden Forderung anzusehen.37 Diese typischen, festumrissenen Rechtsfolgen zugunsten beider Parteien seien „essentialia“ eines jeden Sicherungsvertrages.38

Die Annahme, im Sicherungsvertrag ein „atypisches“ Schuldverhältnis zu sehen, sei deshalb verfehlt. Die wiederkehrenden Rechtsfolgen würden es rechtfertigen, den Sicherungsvertrag als einen eigenständigen Vertragstypus aufzufassen, der mit den im BGB geregelten besonderen Schuldverhältnissen vergleichbar sei.39

Huber beleuchtet daneben, ob mit der Charakterisierung des Sicherungsvertrages als „fiduziarischem“ Rechtsverhältnis ein Erkenntnisgewinn verbunden ist. Er weist darauf hin, dass der Begriff „fiduziarisch“ dabei leicht zu Missverständnissen führen könne, da die verschiedenen Formen treuhänderischer Rechtsübertragungen sehr unterschiedlich ausgestaltet seien.40 Mit dem Begriff der ← 11 | 12 → fiduziarischen Treuhand sei nicht nur die Charakterisierung des Schuldverhältnisses verbunden, vielmehr müsse damit auch eine vermögensrechtliche Zuordnung des Treugutes in sachenrechtlicher Hinsicht einhergehen.41 Dem Treunehmer müsse eine überschießende Rechtmacht eingeräumt werden, bei der die schuldrechtliche Zweckbindung quasi-dingliche Wirkungen entfaltet.42 Der Sicherungsvertrag führe bei Pfändung der Grundschuld durch Gläubiger des Sicherungsnehmers, sowie bei Konkurs desselben, zwar ähnliche Wirkungen herbei, wie bei der Sicherungsübereignung als typischer Treuhand.43 Diskrepanzen bestünden jedoch darin, dass bei der Sicherungsgrundschuld ein Überschuss an Rechtsmacht zugunsten des Sicherungsnehmers nicht zu verzeichnen sei, wenn sich der Wert der Forderung mit dem Wert des Sicherungsrechts decke.44 Der Machtüberschuss bestünde lediglich darin, dass die Grundschuld ein nichtakzessorisches Pfandrecht darstelle. Alleine dieser Umstand rechtfertige es nicht, bei der Sicherungsgrundschuld und dem ihr zugrunde liegenden Rechtverhältnis, von einem fiduziarischen Recht zu sprechen.45

Huber stellt der Zweckbindungsfunktion des Sicherungsvertrages Fragen der Verwertungsbefugnis, der Erfüllungswirkung von Verwertungshandlungen und schließlich der Rückgewährverpflichtung bei Wegfall des Sicherungsbedürfnisses als gleichwertige Inhalte gegenüber und präzisiert damit den Inhalt des Sicherungsvertrages. Die Ausführungen zur Treuhandqualifikation sind nicht von gleicher Präzision, wie es bei anderen zeitgenössischen Darstellungen der Fall ist.46 Huber entfernt sich wieder mehr vom Sicherungsvertrag und rückt die allgemeine Rechtslage der Sicherungsgrundschuld in Verwertung und Insolvenz ins Zentrum der Darstellung.

3)  Zusammenfassung

Die frühe Literatur hat zunächst den Sicherungsvertrag als eigenständiges Rechtsverhältnis entwickelt, der dann in das Zentrum des Interesses rückte. Bei der Fragestellung, wie der Sicherungsvertrag zu qualifizieren ist, haben sich ← 12 | 13 → zwei Meinungsblöcke entwickelt. Einerseits wird der Sicherungsvertrag als (Sicherungs-)Treuhand angesehen, während er andererseits nur einen nichtkodifizierten besonderen Schuldvertragstypus darstellen soll. Diese Zweiteilung wird sich auch in der aktuellen Literatur wiederfinden.

II.  Neuere Entwicklungen

1)  Der Sicherungsvertrag als Treuhandverhältnis

Der Ansatz, in dem Sicherungsvertrag die Grundlage für ein fiduziarisches Rechtsverhältnis zu erblicken, ist auch in der neueren Literatur verbreitet.47 Dabei wird der Sicherungsvertrag von einigen zurückhaltend als „atypischer“ Vertrag bezeichnet, dessen besonderer Charakter es mit sich bringe, dass der Sicherungsnehmer auch die Interessen des Sicherungsgebers zu wahren habe.48

Andere sehen im Sicherungsvertrag ein echtes Treuhandverhältnis.49 Die überwiegende Begründung, den Sicherungsnehmer als Treuhänder anzusehen, wird in dem Umstand erblickt, dass eine schuldrechtliche Limitierung des Verwertungsrechts auf den Sicherungszweck erfolgt.50

Eine etwas anders gelagerte Begründung führt Clemente an, der die Treuhänderschaft darin sieht, dass durch die Einräumung der Grundschuld zugunsten des Sicherungsgebers der Sicherungsnehmer gehindert sei, gewisse Interessen selbst wahrzunehmen. Aus diesem Grund müsse der Sicherungsnehmer diese Interessenwahrnehmung übernehmen, was ihn zum Treuhänder des Sicherungsgebers mache.51

Das maßgebende Indiz, um im Sicherungsvertrag eine Treuhand zu erblicken, ist nach wie vor der Umstand, dem Sicherungsnehmer eine dingliche Rechtsposition einzuräumen, die auf den Sicherungszweck beschränkt wird. Lediglich Clemente bringt eine andere Sichtweise zum Ausdruck, in welcher er die Interessen ← 13 | 14 → der Beteiligten stärker in den Vordergrund stellt. Aus diesem Blickwinkel heraus erschöpft sich die treuhänderische Stellung des Sicherungsnehmers nicht nur darin, die Limitierung des Verwertungsrechts auf den Sicherungszweck zu beachten und hierbei Nebenpflichten zugunsten des Sicherungsgebers zu erfüllen, vielmehr wird ein Tätigwerden des Sicherungsnehmers anstelle des Sicherungsgebers verlangt. Es besteht damit Grund zur Annahme, dass die überwiegende Auffassung die Treuhänderschaft des Sicherungsnehmers nur unzulänglich begründet.

Details

Seiten
XVI, 286
Jahr
2014
ISBN (PDF)
9783653038309
ISBN (ePUB)
9783653991185
ISBN (MOBI)
9783653991178
ISBN (Hardcover)
9783631648452
DOI
10.3726/978-3-653-03830-9
Sprache
Deutsch
Erscheinungsdatum
2014 (April)
Schlagworte
Grundschuldsicherungsvertrag Kreditsicherungsrecht Treuhand Sicherungsgeschäfte
Erschienen
Frankfurt am Main, Berlin, Bern, Bruxelles, New York, Oxford, Wien, 2014. XVI, 286 S.

Biographische Angaben

Matthias Michael Kappel (Autor:in)

Matthias Michael Kappel, Studium der Rechtswissenschaften an der Universität des Saarlandes. Im Anschluss Doktorand am Lehrstuhl für Bürgerliches Recht, Handels- und Wirtschaftsrecht, Internationales Privatrecht und Rechtsvergleichung, Institut für europäisches Recht bei Herrn Prof. Dr. Dr. Dr. h.c. mult. Michael Martinek an der Universität des Saarlandes. Wissenschaftlicher Mitarbeiter in einer auf Bank- und Kapitalmarktrecht ausgerichteten Kanzlei.

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