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Scherzkommunikation unter Jugendlichen

Lästern, Frotzeln und Blödeln in gemischtgeschlechtlichen Kleingruppen

von Diana Walther (Autor:in)
©2015 Dissertation 453 Seiten

Zusammenfassung

Der Fokus der Jugendsprachforschung liegt auf dem Gesprächsverhalten in weiblichen und männlichen Peergruppen, Analysen gemischter Gruppen erfolgten bisher nicht. Diese Studie schließt diese Forschungslücke und untersucht die Sprachhandlungsmuster Lästern, Frotzeln und Blödeln in gemischtgeschlechtlichen jugendlichen Kleingruppen zweier Altersklassen (12–15 Jahre, 16–19 Jahre). Wie werden Läster-, Frotzel- und Blödelaktivitäten in getrennt- und gemischtgeschlechtlichen Situationen sprachlich ausgestaltet? Welche Funktionen nehmen sie ein? Auf Grundlage des empirischen Materials werden gendertypische Merkmale des Lästerns, Frotzelns und Blödelns sowie verschiedene Konzepte zur Versprachlichung des Doing Gender unter Jugendlichen herausgearbeitet und diskutiert.

Inhaltsverzeichnis

  • Cover
  • Titel
  • Copyright
  • Autorenangaben
  • Über das Buch
  • Zitierfähigkeit des eBooks
  • Inhaltsverzeichnis
  • Abbildungsverzeichnis
  • Tabellenverzeichnis
  • Einleitung
  • I. Theoretische und methodische Vorbetrachtungen
  • 1. Theoretische Grundlagen und Forschungsüberblick
  • 1.1 Soziale und psychologische Faktoren im Jugendalter
  • 1.1.1 Soziologische Vorbetrachtungen
  • 1.1.2 Psychologische Vorbetrachtungen
  • 1.2 Modelle der Jugendsprache und jugendliche Sprechweisen
  • 1.2.1 Entwicklung der Jugendsprachforschung
  • 1.2.2 Henne (1986)
  • 1.2.3 Jakob (1988)
  • 1.2.4 Schlobinski/Kohl/Ludewigt (1993)
  • 1.2.5 Androutsopoulos (1998)
  • 1.2.6 Löffler (2005)
  • 1.2.7 Neuland (2006)
  • 1.2.8 Bahlo/Steckbauer (2010/2011)
  • 1.2.9 Zusammenfassung
  • 1.3 Scherzkommunikation
  • 1.3.1 Das Sprachhandlungsmuster – Begriffsbestimmung
  • 1.3.2 Lästern
  • 1.3.3 Frotzeln
  • 1.3.4 Blödeln
  • 1.3.5 Zusammenfassung
  • 1.4 Die Theorie des Doing Gender
  • 1.4.1 Grundlagen der Theorie
  • 1.4.2 Die sprachliche Konstruktion von sozialem Geschlecht
  • 1.5 Kommunikation in jugendlichen Peergruppen
  • 1.5.1 Weibliche Peergruppen
  • 1.5.2 Männliche Peergruppen
  • 1.5.3 Scherzkommunikation unter Jugendlichen
  • 1.5.4 Konzepte zur Versprachlichung des Doing Gender unter Jugendlichen
  • 1.5.5 Zusammenfassung
  • 2. Forschungskonzept der Arbeit
  • 2.1 Theoriebildung der Studie
  • 2.2 Zielstellung der Studie: Forschungsfragen, Analysekriterien und Analyseverfahren
  • 2.3 Die Datenerhebung
  • 2.3.1 Ziel und Voraussetzungen für die Datenerhebung
  • 2.3.2 Auswahl der Probanden und Zusammensetzung der Korpora
  • 2.3.3 Durchführung der Gesprächsaufnahmen und Methode der Datenerhebung
  • 2.3.4 Die Verschriftlichung der Sprachdaten: Transkriptionskonventionen
  • II. Empirische Untersuchung
  • 3. Lästern
  • 3.1 Lästern unter Mädchen
  • 3.1.1 Lästern über Mitschüler und Mitschülerinnen
  • 3.1.2 Lästern über Lehrer und Lehrerinnen
  • 3.1.3 Zusammenfassung
  • 3.2 Lästern unter Jungen
  • 3.2.1 Lästern über Mitschüler und Mitschülerinnen
  • 3.2.2 Lästern über Lehrer und Lehrerinnen
  • 3.2.3 Lästern über Familienmitglieder
  • 3.2.4 Zusammenfassung
  • 3.3 Gemeinsames Lästern zwischen Mädchen und Jungen
  • 3.3.1 Lästern über Mitschüler und Mitschülerinnen
  • 3.3.2 Lästern über Lehrer und Lehrerinnen
  • 3.3.3 Lästern über Familienmitglieder
  • 3.3.4 Zusammenfassung
  • 3.4 Vergleich und Fazit
  • 3.4.1 Vergleich kommunikativer Kriterien
  • 3.4.2 Kommunikative Muster jugendlicher Lästerhandlungen
  • 3.4.3 Vergleich linguistischer Kriterien
  • 3.4.4 Fazit
  • 4. Frotzeln
  • 4.1 Frotzeln unter Mädchen
  • 4.1.1 Frotzeln über Mädchen
  • 4.1.2 Frotzeln über Jungen
  • 4.1.3 Zusammenfassung
  • 4.2 Frotzeln unter Jungen
  • 4.2.1 Frotzeln über Mädchen
  • 4.2.2 Frotzeln über Jungen
  • 4.2.3 Zusammenfassung
  • 4.3 Gemeinsames Frotzeln zwischen Mädchen und Jungen
  • 4.3.1 Frotzeln über Mädchen
  • 4.3.2 Frotzeln über Jungen
  • 4.3.3 Zusammenfassung
  • 4.4 Vergleich und Fazit
  • 4.4.1 Vergleich kommunikativer Kriterien
  • 4.4.2 Kommunikative Muster jugendlicher Frotzelhandlungen
  • 4.4.3 Vergleich linguistischer Kriterien
  • 4.4.4 Fazit
  • 5. Blödeln
  • 5.1 Blödeln unter Mädchen
  • 5.1.1 Blödelhandlungen der jüngeren Probandinnen
  • 5.1.2 Blödelhandlungen der älteren Probandinnen
  • 5.1.3 Zusammenfassung
  • 5.2 Blödeln unter Jungen
  • 5.2.1 Blödelhandlungen der jüngeren Probanden
  • 5.2.2 Blödelhandlungen der älteren Probanden
  • 5.2.3 Zusammenfassung
  • 5.3 Gemeinsames Blödeln zwischen Mädchen und Jungen
  • 5.3.1 Blödelhandlungen der jüngeren ProbandInnen
  • 5.3.2 Blödelhandlungen der älteren ProbandInnen
  • 5.3.3 Zusammenfassung
  • 5.4 Vergleich und Fazit
  • 5.4.1 Vergleich kommunikativer Kriterien
  • 5.4.2 Kommunikativer Muster jugendlicher Blödelhandlungen
  • 5.4.3 Vergleich linguistischer Kriterien
  • 5.4.4 Fazit
  • 6. Lästern, Frotzeln und Blödeln als Konzepte zur Versprachlichung des Doing Gender
  • 6.1 Abgrenzungsdiskurs
  • 6.1.1 Abgrenzung unter den Geschlechtern
  • 6.1.2 Abgrenzung zwischen den Geschlechtern
  • 6.1.3 Lästern, Frotzeln und Blödeln im Abgrenzungsdiskurs
  • 6.1.4 Zusammenfassung
  • 6.2 Darstellungsdiskurs
  • 6.2.1 Darstellung des Mädchenseins
  • 6.2.2 Darstellung des Jungenseins
  • 6.2.3 Lästern, Frotzeln und Blödeln im Darstellungsdiskurs
  • 6.2.4 Zusammenfassung
  • 6.3 Freundschaftsdiskurs
  • 6.3.1 Aushandlung von Freundschaft
  • 6.3.2 Lästern, Frotzeln und Blödeln im Freundschaftsdiskurs
  • 6.3.3 Zusammenfassung
  • 6.4 Flirt- und Verliebtheitsdiskurs
  • 6.4.1 Scherzhaftes Flirten
  • 6.4.2 Verliebtsein
  • 6.4.3 Lästern, Frotzeln und Blödeln im Flirt- und Verliebtheitsdiskurs
  • 6.4.4 Zusammenfassung
  • 6.5 Vergleich
  • 6.5.1 Konzepte des Doing Gender
  • 6.5.2 Lästern, Frotzeln und Blödeln aus funktionaler Perspektive
  • III. Ergebnisse
  • 7. Lästern, Frotzeln und Blödeln – Vergleich und Diskussion
  • 7.1 Vergleich kommunikativer Kriterien
  • 7.2 Vergleich kommunikativer Muster
  • 7.3 Vergleich linguistischer Kriterien
  • 7.4 Diskussion und Fazit
  • IV. Literaturverzeichnis

Abbildungsverzeichnis

Abb. 1:  Vergleich kommunikativer Kriterien des Lästerns, Frotzelns und Blödelns

Abb. 2:  Theoriemodell: Verbindung der Forschungsdisziplinen Jugendsprache, Doing Gender und Scherzkommunikation

Abb. 3:  Übersicht Aufbau der Sprachhandlungsmuster Lästern, Frotzeln und Blödeln

Abb. 4:  Übersicht Lästern vs. Frotzeln vs. Blödeln

Abb. 5:  Modifizierter Vergleich kommunikativer Kriterien des Lästerns, Frotzelns und Blödelns ← 9 | 10 →

← 10 | 11 →

Tabellenverzeichnis

Tab.  1:  Übersicht Definitionen Lästern

Tab.  2:  Übersicht Lästerepisoden

Tab.  3:  Vergleich Initiierung der Lästerobjekte hinsichtlich deren Geschlecht

Tab.  4:  Gegenüberstellung sprachlicher Phänomene und Strategien weiblichen und männlichen Lästerns

Tab.  5:  Vergleich separates weibliches und separates männliches Lästern mit weiblichem und männlichem Lästern in gemischtgeschlechtlichen Lästereien

Tab.  6:  Übersicht über sprachliche Phänomene und Strategien der Mädchen und Jungen in gemischtgeschlechtlichen Lästereien

Tab.  7:  Übersicht Definitionen Frotzeln

Tab.  8:  Übersicht Frotzelepisoden

Tab.  9:  Vergleich Initiierung der Frotzelobjekte hinsichtlich deren Geschlecht

Tab. 10: Gegenüberstellung sprachlicher Phänomene und Strategien weiblichen und männlichen Frotzelns

Tab. 11: Vergleich separates weibliches Frotzeln mit weiblichem Frotzeln in gemischtgeschlechtlichen Frotzeleien

Tab. 12: Vergleich separates männliches Frotzeln mit männlichem Frotzeln in gemischtgeschlechtlichen Frotzeleien

Tab. 13: Übersicht über sprachliche Phänomene und Strategien der Mädchen und Jungen in gemischtgeschlechtlichen Frotzeleien

Tab. 14: Übersicht Definitionen Blödeln

Tab. 15: Übersicht Blödelepisoden

Tab. 16: Gegenüberstellung sprachlicher Phänomene und Strategien weiblichen und männlichen Blödelns

Tab. 17: Vergleich separates weibliches und männliches Blödeln mit weiblichem und männlichem Blödeln in gemischtgeschlechtlichen Blödeleien

Tab. 18: Übersicht über sprachliche Phänomene und Strategien der Mädchen und Jungen in gemischtgeschlechtlichen Blödeleien ← 11 | 12 →

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Einleitung

Denkt man darüber nach, was Jugendliche und ihre Sprechweisen besonders charakterisiert, stolpert man über weit verbreitete Stereotypen, so z. B. dass die Jugend die deutsche Sprache verunglimpfe oder dass man Jugendliche nicht verstehe, da sie nur Übertreibungen und englische Begriffe verwenden. Fragt man sich weiter, worüber adoleszente Mädchen und Jungen eigentlich in ihrer Freizeit miteinander sprechen, fallen weitere Vorurteile auf: „Jugendliche meckern und motzen immer nur über Erwachsene“, „Mädchen reden ständig über Klamotten und Make-up“ oder „Jungen sprechen nur über Computer und Fußball“. Solche oder ähnliche Stereotype hat wohl jeder von uns schon einmal gehört oder vielleicht selbst im Kopf. Die Jugend und ihre Sprache wurden immer wieder in verschiedenen populärwissenschaftlichen Publikationen thematisiert. Wissenschaftliche Studien bemühen sich, die verstärkt negative Sichtweise über Jugendliche und ihren Sprachgebrauch aus linguistischer Perspektive auszuräumen – doch ist das bisher noch nicht vollständig gelungen. Viele Studien haben sich mit der Thematik auseinandergesetzt und versuchen, den Sprachgebrauch – v.a. in kleineren adoleszenten Peergruppen – objektiv zu beschreiben und die große Vielfalt jugendlicher Sprechweisen und kommunikativer Formen abzubilden. So wurden bisher u. a. Identitätsausbildungen in Mädchengruppen thematisiert, die hauptsächlich über Sprache und die Abgrenzung zu anderen Jugendlichen geschieht (SPRECKELS 2006), es wurden kommunikative Stile in weiblichen und männlichen Migrantengruppen beschrieben (KEIM 2007 oder TERTILT 1996) oder linguistische Ausprägungen und spezifische kommunikative Formen in Jungengruppen aufgezeigt (z. B. DEPERMANN/SCHMIDT 2001a und 2001b oder SCHMIDT 2004). Die Analyse scherzhafter Aktivitäten unter Jugendlichen rückte in den letzten Jahren zunehmend in den Vordergrund, so z. B. bei BRANNER (2003), die Formen der Scherzkommunikation in einer adoleszenten Mädchengruppe beschreibt, oder bei SCHUBERT (2009), der das Lästern als eine scherzhafte Form unter Adoleszenten herausgreift. Diese und andere Studien zeigen, dass Jugendliche weitaus „normaler“ sprechen als angenommen, dass sie sich über ihre Sprache identifizieren, ihre jugendliche Identität interaktiv herausbilden und höchst kreativ mit Sprache umgehen. Das Miteinander unter den weiblichen und männlichen Jugendlichen nimmt somit eine zentrale Rolle ein. ← 13 | 14 →

Soll der Sprachgebrauch unter Jugendlichen analysiert werden, stehen wir zunächst vor dem Problem des Materialgewinns, da der Zugang zu Jugendlichen im Allgemeinen sowie zu kleineren adoleszenten Peergruppen im Speziellen recht schwierig ist. Die o.g. Studien basieren daher auf der Methode der ethnographischen Datenerhebung, bei der sich der Forschende in die zu untersuchende Gruppe integriert, über einen längeren Zeitraum Bestandteil dieser ist und so authentisches Gesprächsmaterial gewinnen kann. Bei der Untersuchung von Scherzkommunikation stehen wir zusätzlich vor der Herausforderung, Material zu gewinnen, aus dem spezifische humoristische Formen herausgefiltert werden können, denn Humor als subjektive Größe kann im Gegensatz zu bestimmten Gesprächsthemen o.ä. nicht beeinflusst oder gar konstruiert werden. Die vorliegende Studie hatte anfangs nicht das Ziel, scherzhafte Aktivitäten unter Jugendlichen zu untersuchen. Doch im Verlauf der Datenerhebung, die anhand teilnehmender Beobachtung unter insgesamt 90 Probanden durchgeführt wurde, stellte ich fest, dass das Material durchsetzt war von humoristischen Situationen sowie kommunikativen Formen, deren Ziel die Belustigung der Gruppe war. Die beobachteten humoristischen Formen unter den Jugendlichen schienen es also wert zu sein, analysiert und beschrieben zu werden. Auch wenn bereits verschiedene Untersuchungen zu scherzhaften Aktivitäten unter Adoleszenten vorliegen, schließt die Studie eine große Forschungslücke, denn sie konzentriert sich nicht auf eine spezifische Gruppe Jugendlicher, sondern untersucht 26 verschiedene Adoleszentengruppen zweier Altersklassen, in denen sowohl getrennt- als auch gemischtgeschlechtliche Interaktionen unter den Probanden beobachtet werden konnten. Die Versuchsanordnung und im Besonderen die getrennt- und gemischtgeschlechtlichen Gesprächssituationen im vorliegenden Material stellen somit ein Novum in der bisherigen Forschungsliteratur dar. Somit ist die Studie stärker als bisherige Untersuchungen der Genderperspektive verhaftet, indem ein direkter Vergleich zwischen den Geschlechtern angestrebt wird.

Da die humoristische Absicht der Probanden (v.a. Ironie) in den Transkripten nicht immer sofort ersichtlich ist, werden zu jeder Sequenz Erläuterungen zur situativen Einbettung oder dem Vorwissen der Probanden gegeben, damit die abgebildeten Szenen besser interpretiert werden können. Zum Problem der Subjektivität von Humor hält KOTTHOFF (1998: 43) fest:

Alle Scherze besitzen subjektive Relevanz für die Scherzenden und miteinander Lachenden. Insofern bedarf es bei der Analyse von Scherzkommunikation immer einer soziolinguistischen Perspektive. Daraus resultiert, daß die Beispiele für die Lesenden nicht mehr unbedingt sonderlich witzig sind, da ihnen das Hintergrundwissen mitgeliefert werden muß. Sie können das spezifisch Witzige erst nachvollziehen, wenn ← 14 | 15 → ihnen die gesamte subjektive Relevanz des Themas und auch die Verfahren der Performanz zugänglich gemacht werden.

Aus dem erhobenen Gesprächsmaterial konnten drei Aktivitäten herausgefiltert werden, die von den adoleszenten Mädchen und Jungen mit besonderer Intensität verwendet wurden: Lästern, Frotzeln und Blödeln. Wie BERGMANN (1987) festhält, sind diese Begriffe der Alltagswelt entlehnt (vgl. 25), werden jedoch in der Forschung für die Beschreibung spezifischer Sprachhandlungsmuster zu Fachtermini erhoben. „Lästern“ geht auf mhd. „lastern“ (zu mhd. „laster“) zurück, welches Laster, Fehler oder Schmähung bedeutet (vgl. KLUGE/SEEBOLD 2011: 561). Im Alltagsgebrauch beschreibt „lästern“ eine Handlung, um über jemand Abwesenden abfällig zu reden. „Frotzeln“ wird auf it. „frottola“ zurückgeführt („Flause, Scherzlied“) sowie auf nfrz. „frotter à quelqu’un“, sich mit jemandem anlegen (vgl. ebd. 321). Im Alltag bedeutet „frotzeln“, dass jemand Anwesendes geneckt oder verspottet wird. „Blödeln“ geht auf mhd. „blœde“ (gebrechlich, zaghaft) zurück (vgl. ebd. 134), aus alltagssprachlicher Perspektive wird es verwendet, wenn man Unsinn redet oder sich albern benimmt. Für die Beschreibung der aus dem vorliegenden Gesprächsmaterial herausgefilterten scherzhaften Aktivitäten werden die hier dargestellten alltagssprachlichen Bedeutungen herangezogen und die alltäglichen Begrifflichkeiten als Fachtermini verwendet.

Das vorliegende Gesprächsmaterial im Umfang von ca. 14 Stunden Aufnahmezeit wird in zwei Korpora untergliedert, von denen jedes eine Altersgruppe repräsentiert: Korpus 1 umfasst 17 gemischtgeschlechtliche Interaktionen 57 Jugendlicher der Altersgruppe zwischen 12 und 15 Jahren, Korpus 2 schließt neun gemischtgeschlechtliche Gespräche unter 33 Adoleszenten im Alter zwischen 16 und 19 Jahren ein. Innerhalb der Interaktionen können sowohl getrennt- als auch gemischtgeschlechtliche Läster-, Frotzel- und Blödelaktivitäten herausgefiltert werden, sodass hier erstmals ein direkter Vergleich zwischen den Geschlechtern möglich ist. Das Hauptanliegen der vorliegenden Studie besteht in der Verbindung der Forschungsdisziplinen Jugendsprache, Scherzkommunikation und der Theorie des Doing Gender. Wie die graphische Darstellung in Kap. 2.1 später zeigen wird, sieht sich die Untersuchung hauptsächlich der Jugendsprachforschung verhaftet, erweitert den Blick auf Jugendsprache aber durch die Verbindung mit zwei weiteren Forschungsbereichen. Gender Studies betrachten die Variable Geschlecht in vielfältiger Weise, u. a. aus kultureller, politischer, literaturwissenschaftlicher, psychologischer, aber auch aus linguistischer Perspektive. Neben dem Forschungsbereich der linguistischen Gender Studies widmet sich die Studie außerdem einer kleineren, aber ebenso aktuellen Forschungsrichtung, die besonders in der Gesprächsanalyse verhaftet ist: der Humorforschung. Indem die genannten ← 15 | 16 → Forschungsdisziplinen verbunden werden, eröffnen sich vielfältige Analysemöglichkeiten für das Gesprächsverhalten Jugendlicher, das somit aus verschiedenen Perspektiven untersucht und beschrieben werden kann. Die Sprachhandlungsmuster Lästern, Frotzeln und Blödeln sollen zum einen aus linguistischer und kommunikativer Perspektive analysiert und beschrieben werden, zum anderen aus funktionaler und genderbezogener Sicht. Es soll zunächst der Frage nachgegangen werden, wie Mädchen und Jungen in getrennt- und gemischtgeschlechtlichen Situationen lästern, frotzeln und blödeln und anhand welcher sprachlichen und kommunikativen Merkmale diese scherzhaften Aktivitäten charakterisiert werden können. Darauf aufbauend wird untersucht, welche Funktionen die drei Sprachhandlungsmuster im Sinne des Doing-Gender-Konzepts einnehmen können. Trotz des großen Umfangs des vorhandenen Materials und der Vielzahl an jugendlichen Probandengruppen verfolgt die Studie nicht den Anspruch, verallgemeinernde Aussagen über die Jugendlichen zu treffen, sondern scherzhafte Aktivitäten in ihrer sprachlichen, kommunikativen und funktionalen Vielfalt innerhalb verschiedener Jugendlichengruppen zweier Altersklassen zu beschreiben und Entwicklungen mit zunehmendem Alter der Adoleszenten darzustellen.

Zum Aufbau dieser Arbeit: Die Studie ist in drei übergeordnete Bereiche gegliedert – Teil I (Kap. 1 und 2) versteht sich als Überblick über die theoretischen und methodischen Grundlagen der Arbeit, Teil II (Kap. 3 bis 6) umfasst die empirischen Analysen, in Teil III (Kap. 7) sollen schließlich kontrastiv die Ergebnisse der empirischen Untersuchungen diskutiert werden. Kap. 1.1 schafft zunächst die Grundlagen für die Behandlung des Themas Jugendsprache aus soziologischer und psychologischer Perspektive. Daran schließt sich in Kap. 1.2.1 ein kurzer Überblick über die Entwicklung der Jugendsprachforschung an, bevor darauf aufbauend in Kap. 1.2.2 bis 1.2.9 Modelle zur Jugendsprache sowie typisch jugendsprachliche Merkmale und Funktionen vorgestellt werden. Kap. 1.3 führt in den Forschungsbereich Humor und Scherzkommunikation ein. Nach einer ausführlichen Definition des Begriffs Sprachhandlungsmuster in Kap. 1.3.1 werden darauf aufbauend die drei humoristischen Aktivitäten definiert, die in der vorliegenden Studie eine wesentliche Rolle spielen: Lästern, Frotzeln und Blödeln. Kap. 1.4 setzt sich schließlich mit der Theorie des Doing Gender auseinander, bevor die Forschungsrichtungen Jugendsprache, Scherzkommunikation und Gender Studies in Kap. 1.5 anhand des Forschungsüberblicks zusammengeführt werden. Dieser Überblick wird zeigen, dass sich bisher keine Untersuchung mit gemischtgeschlechtlichen Interaktionen unter Jugendlichen auseinandergesetzt hat und damit auch kein direkter Vergleich des sprachlichen Handelns von adoleszenten Mädchen und Jungen erfolgte. Die vorliegende Arbeit nimmt sich nun ← 16 | 17 → besonders dieses Forschungsdesiderats an, indem sie Interaktionen zwischen Adoleszenten einerseits aus getrennt-, andererseits aus gemischtgeschlechtlicher Perspektive analysiert und damit den direkten Vergleich zwischen weiblichen und männlichen Probanden anstrebt und somit eine große Forschungslücke schließen kann. In Kap. 2 wird zunächst die theoretische Grundlage der Arbeit erläutert: Kap. 2.1 stellt die Verbindung der Forschungsdisziplinen Jugendsprache, Humor und Scherzkommunikation sowie die Theorie des Doing Gender dar. Daran schließen sich in Kap. 2.2 die wesentlichen Forschungsfragen, die Darstellung der Analysekriterien sowie das Analysevorgehen an, in Kap. 2.3 wird schließlich die Methodik der Datenerhebung beschrieben. In Kap. 3 bis 5 werden dann die Sprachhandlungsmuster Lästern, Frotzeln und Blödeln hinsichtlich linguistischer und kommunikativer Kriterien analysiert, Kap. 6 umfasst daran anschließend weiterführende Analysen der drei sprachlichen Handlungen aus der Genderperspektive, indem sie dahingehend untersucht werden, inwiefern sie als Konzepte im Sinne des Doing-Gender-Konzeptes gefasst werden können. Die Analysen erfolgen in Kap. 3 bis 5 zunächst separat für jedes Sprachhandlungsmuster, bevor sie in Kap. 7 kontrastiv resümiert und diskutiert werden. ← 17 | 18 →

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I. Theoretische und methodische Vorbetrachtungen

Das Ziel der nachfolgenden Kapitel liegt darin, die wesentlichen theoretischen und methodischen Grundlagen für die vorliegende Studie aufzuzeigen, bevor später in Kap. II die empirischen Analysen folgen. Kap. 1.1 soll hierbei als außerlinguistischer Ausgangspunkt für die Beschäftigung mit dem Forschungsgebiet Jugendsprache dienen, indem wesentliche soziologische und psychologische Themen behandelt werden, die Jugendliche im Alter von ca. 12 bis 19 Jahren betreffen. Darauf aufbauend wird die Thematik Jugendsprache in Kap. 1.2 weiter theoretisch fundiert, indem die Grundlagen für die Theoriebildung der Studie gelegt werden. Dort soll zunächst ein kurzer histrischer Abriss zur Jugendsprachforschung gezeigt werden, danach werden verschiedene ältere und aktuelle Modelle zur Jugendsprache vorgestellt, daran schließt sich ein kurzer Überblick über typisch jugendsprachliche Merkmale und Funktionen an. Nachdem die erste Forschungsrichtung, mit der sich die vorliegende Arbeit beschäftigt, eingeführt wurde, soll darauf aufbauend in Kap. 1.3 Scherzkommunikation als zweite Forschungdisziplin vorgestellt werden. Hier erfolgt zunächst eine kurze Definition des Begriffes, danach werden die drei Phänomene ausführlicher behandelt, die im vorliegenden gemischtgeschlechtlichen Gesprächsmaterial zwischen den Adoleszenten der zwei Untersuchungsgruppen am auffälligsten waren – Lästern, Frotzeln und Blödeln. Anschließend wird in Kap. 1.4 die dritte Forschungsrichtung präsentiert, der sich die Studie verhaftet sieht – die Theorie des Doing Gender. Es sollen hierbei zunächst die theoretischen Grundlagen bzw. Ausgangspunkt und Entwicklung der Theorie dargestellt werden, anschließend wird die Theorie ausführlich definiert. In Kap. 1.5 werden die drei Forschungsrichtungen schließlich im Forschungsüberblick zur Kommunikation in jugendlichen Peergruppen zusammengetragen. Dieser Überblick konzentriert sich hauptsächlich auf aktuelle deutschsprachige Studien, die sich in den letzten 15 Jahren dem Gesprächsverhalten in jugendlichen Peergruppen sowie der Gender-Thematik gewidmet haben. Kap. 2 baut auf den bis dahin erläuterten theoretischen Grundlagen auf und präsentiert das Forschungskonzept der vorliegenden Studie. Zunächst werden in Kap. 2.1 noch einmal die theoretischen Modelle, die bereits in Kap. 1.2 vorgestellt wurden, auf Anwendbarkeit geprüft. Darauf aufbauend werden die Forschungsfragen, Hypothesen, Analysekritierien sowie das Analysevorgehen für die empirischen Untersuchungen ← 19 | 20 → erläutert (Kap. 2.2), anschließend wird die Datenerhebung näher charakterisiert (Kap. 2.3).

1. Theoretische Grundlagen und Forschungsüberblick

1.1 Soziale und psychologische Faktoren im Jugendalter

Die Jugend ist die Phase im Lebenslauf eines jeden Menschen, an die man sich wohl am ehesten zurückerinnern kann, weil man sie am intensivsten er- bzw. durchlebt hat. Doch stellt sich hier zunächst die Frage, wie und wodurch Jugendliche in dieser wichtigsten Zeit ihres Lebens eigentlich beeinflusst bzw. geprägt werden. Scheinbar wirken auf junge Menschen verschiedene soziale, psychologische und kommunikative Faktoren und Ereignisse ein, denen sie sich nicht entziehen können. Dieses Kapitel soll als außerlinguistische theoretische Basis für die vorliegende Studie verstanden werden. Im ersten Teil werden wesentliche soziologische Grundlagen des Jugendalters geklärt (Definition von Jugend, Entwicklungsaufgaben im Jugendalter), darauf aufbauend sollen Sozialisationsinstanzen vorgestellt werden, die Einfluss auf die Entwicklung Jugendlicher haben. Dabei soll v.a. auf Gleichaltrigengruppen, sog. Peergroups eingegangen werden, da diese in der vorliegenden Arbeit eine entscheidende Rolle spielen. Im Weiteren sollen einige psychologische Kriterien aufgezeigt werden, die alle Jugendlichen betreffen: körperliche Veränderungen/Pubertät, Entwicklung der Sexualität und Ausbildung einer eigenen Identität.

1.1.1 Soziologische Vorbetrachtungen

Unter Sozialisation wird nach HURRELMANN (2006: 15) der Prozess verstanden, „in dessen Verlauf sich der mit einer biologischen Ausstattung versehene menschliche Organismus zu einer sozial handlungsfähigen Persönlichkeit bildet, die sich über den Lebenslauf hinweg in Auseinandersetzung mit den Lebensbedingungen weiterentwickelt“. Der Sozialisationsprozess zeichnet sich m.E. weiterhin durch verschiedene Lernprozesse aus, z. B. den Erwerb angemessenen Verhaltens oder sprachlicher und kommunikativer Regeln, die in spezifischen Situationen zu beachten sind. Es lässt sich schon an dieser Stelle festhalten, dass Sozialisationsprozesse jeglicher Art nicht mit einem bestimmten Alter abgeschlossen sind. Vielmehr ist Sozialisation ein lebenslanger Prozess, der v.a. in der Phase des Jugendalters ← 20 | 21 → verschiedenen Einflussfaktoren unterliegt (Familie, Schule, Peergruppe). Doch scheint es nicht einfach, die Jugendphase zu definieren1. Dennoch lassen sich Merkmale aufzeigen, anhand derer das Jugendalter umrissen werden kann. So definiert SCHÄFERS (2001: 17) Jugend als „eine Altersphase im Lebenszyklus eines jeden Individuums, die mit dem Einsetzen der Pubertät um das 13. Lebensjahr beginnt“ und zeitlich in die Abfolge Kindheit – Jugend – Erwachsensein – Alter eingeordnet werden kann. Neben dieser groben Einteilung finden sich auch detailliertere Differenzierungen des Jugendalters, so untergliedert SCHÄFERS wie folgt (19): 1) 13- bis 18jährige (pubertäre Phase) bzw. Jugendliche im engeren Sinn, 2) 18- bis 21jährige (nachpubertäre Phase) bzw. Heranwachsende und 3) 21- bis 25jährige (und ggf. Ältere) bzw. junge Erwachsene, die aber ihrem sozialen Status und ihrem Verhalten nach noch als Jugendliche angesehen werden (können). In aktuelleren Einführungen zur Jugendsoziologie finden sich leicht veränderte Einteilungen. HURRELMANN (2007: 41) unterteilt das Jugendalter etwa in drei Phasen: 1) frühe Jugendphase (12- bis 17-Jährige), 2) Adoleszentenphase bzw. mittlere Jugendphase (12- bis 17-Jährige) und 3) Postadoleszenz bzw. späte Jugendphase (22- bis 27-Jährige).

So leicht wie sich der Anfang der Jugendphase auf bestimmte Ereignisse (Einsetzen der sexuellen Reife, Pubertät) und Altersangaben eingrenzen lässt, so schwer scheint das Ende des Jugendalters bestimmbar zu sein. Laut SCHÄFERS gilt die Jugendphase dann als abgeschlossen, „wenn ein Individuum seine persönliche und soziale Identität gefunden hat“ (2001: 18). Wichtige Indizien dafür sind seinen Ausführungen zufolge u. a. ökonomische und soziale Selbstständigkeit, so z. B. ein eigenes Einkommen oder die Gründung eines eigenen Haushalts (vgl. ebd.). Im Folgenden werden Entwicklungsaufgaben2 und Statuspassagen bzw. -übergänge gezeigt, die nach HURRELMANN (2007: 37) das Jugendalter vom Kindes- und Erwachsenenalter trennen. Das Jugendalter weist vier zentrale psychologische Entwicklungsaufgaben in Abgrenzung zum Kindesalter auf (vgl. 27f.): die Entwicklung einer intellektuellen und sozialen Kompetenz, die Entwicklung des ← 21 | 22 → inneren Bildes von der Geschlechtszugehörigkeit, die Entwicklung selbstständiger Handlungsmuster für die Nutzung des Konsumwarenmarktes, und schließlich die Entwicklung eines Werte- und Normensystems und eines politischen Bewusstseins. Weiterhin zeigt HURRELMANN auf, dass sich das Jugendalter in hohem Maße durch zunehmende Selbstständigkeit von der Kindheit abgrenzt. Danach wird es in der Jugendphase wichtiger, die als Kind erworbenen sozialen, intellektuellen und sprachlichen Kompetenzen auszubauen, eine eigene Identität aufzubauen und sich mehr und mehr vom Elternhaus zu lösen. Folgende erfolgreich bewältigte Entwicklungsaufgaben kennzeichnen den Übergang in das Erwachsenenalter (vgl. 28): der Abschluss der Entwicklung der intellektuellen und sozialen Kompetenzen, der Aufbau einer festen Partnerschaft zum anderen Geschlecht, ein hoher Grad an Selbstständigkeit im Konsum- und Freizeitsektor sowie die Entfaltung und größtenteils Stabilität des Werte- und Normensystems. Hier muss angemerkt werden, dass das Jugendalter in heutiger Zeit – gemessen an den traditionellen Vorstellungen unserer Gesellschaft – Wandlungen unterworfen ist. Adoleszenten bekommen heute z. B. zeitiger eigene Kinder oder verlassen eher das Elternhaus, ohne aber in fester Partnerschaft zu leben oder eine eigenständige Familie zu gründen. Viele Jugendliche nehmen nach der Schule ein Studium auf oder bekommen nach ihrer Ausbildung keinen Arbeitsplatz. Sind sie dann immer noch oder erneut finanziell auf die Eltern angewiesen, fallen sie – HURRELMANNS Ausführungen folgend – aus der Erwachsenenrolle wieder in die Rolle eines von den Eltern abhängigen Jugendlichen zurück. Deshalb sollte hier deutlich gemacht werden, dass nicht alle Entwicklungsaufgaben aufgrund vielfältiger Veränderungen im Jugendalter gleichzeitig und in einer bestimmten Altersspanne vollzogen werden können (und müssen). Vielmehr scheint es so zu sein, dass sich die dargestellten Statusübergänge und Entwicklungsaufgaben vermischen bzw. einzelne Rollen und Aufgaben in andere Altersphasen verschoben werden. Adoleszente stehen heute vielmehr zwischen dem Status eines Erwachsenen und dem eines Jugendlichen, die zeitlichen Übergänge zwischen diesen zwei Lebensaltersphasen verschwimmen (vgl. 39). So ist es heute laut HURRELMANN typisch für Jugendliche, dass sie sich relativ zeitig politisch engagieren und in die Konsumentenrolle übergehen, was der Rolle eines Erwachsenen entspricht. Relativ spät hingegen erreichen sie erst den Übergang in die Familien- und Erwerbstätigenrolle (vgl. ebd.). Dies führt HURRELMANN zu dem Resümee, dass die Situation Jugendlicher aus heutiger Sicht „durch frühe, finanzielle, mediale, konsumptive, erotische und freundesbezogene Teilselbstständigkeit bei – gemessen an den traditionellen Vorstellungen – später ökonomischer und familialer Selbstständigkeit mit „reproduktiver“ Verantwortung gekennzeichnet [ist]“ (ebd.). Im Jugendalter spielen demnach folgende Sozialisationsinstanzen ← 22 | 23 → bzw. gesellschaftliche Grundgebilde (SCHÄFERS 2001) eine wesentliche Rolle: Familie, Schule und Peergruppen. Diese werden im Folgenden kurz vorgestellt. Des Weiteren werden ausgewählte Thesen nach FERCHHOFF (2007) in die Diskussion einbezogen.

Die erste Instanz, die Einfluss auf die Sozialisation von Jugendlichen nimmt, ist die Familie3. Nach SCHÄFERS (1999) wird unter Familie „jenes Sozialgebilde [verstanden], in dem Eltern oder ein Elternteil Unterhalt und Erziehung ihrer leiblichen oder angenommenen Kinder sicherstellen. Familie ist eine zweigenerative Gruppe (zumeist) blutsverwandtschaftlicher Basis mit festem Wohnsitz und (zumeist) eigenem Haushalt“ (177). Auch HURRELMANN (2006) sieht Familie als „die zentrale Instanz der Sozialisation“ (127) an. ZIMMERMANN (2006: 84) erläutert, „dass die Familie für den größten Teil der Heranwachsenden der zentrale soziale Ort ist für die Herausbildung grundlegender Gefühle und von Wertorientierungen, kognitiven Schemata, Kompetenzen sozialen Handelns, Leistungsmotivation, Sprachstil, Weltdeutungen, Bildung des Gewissens.“ Der Einfluss der Eltern auf die Entwicklung der Persönlichkeit des Kindes ist nicht zu unterschätzen. SCHÄFERS (2001) nennt u. a. folgende Faktoren, von denen Jugendliche in der Familie geprägt bzw. beeinflusst werden (vgl. 105): Umweltbedingungen familialer Sozialisation, das im Elternhaus vorherrschende Sprachmilieu, das kulturelle Aspirationsniveau (Bestrebungen, Hoffnungen, Pläne), die Einstellung der Eltern zu Kultur und Gesellschaft, Politik und Religion, sowie die Einstellung der Eltern zueinander, zu Kindern und zur jugendlichen Generation. Bereits an zweiter Stelle der Auflistung nennt SCHÄFERS das Sprachmilieu. Auch ZIMMERMANN weist in der oben aufgeführten Definition dem Sprachstil eine gewisse Bedeutung zu. Damit wird deutlich, dass beide Autoren Sprache einen wichtigen Stellenwert bei der Sozialisation Jugendlicher (in der Familie) zuschreiben, jedoch gehen beide nicht genauer darauf ein.

These: Jugend ist alltagspragmatisch familiale Versorgungs- und umsorgte Mutterjugend

Ein erster Aspekt, der in Verbindung mit dieser These (FERCHHOFF 2007) steht, ist die Ablösung der Jugendlichen vom Elternhaus. Mit zunehmendem Alter distanzieren sich Jugendliche von den Eltern, lösen sich irgendwann sogar völlig ← 23 | 24 → von ihnen. Sie entwickeln eigene Interessen, eine eigene Persönlichkeit, Ziele für ihr weiteres Leben sowie Ansichten und Meinungen in Bezug auf persönliche und gesellschaftliche Themen, die nicht immer mit denen der Eltern übereinstimmen. Weiterhin binden sich Adoleszente im Laufe der Jugendphase verstärkt an andere Gruppen oder Personen (z. B. Freundeskreis, PartnerInnen). Diese Faktoren führen – in unterschiedlicher Intensität – zu einer allmählichen Distanzierung und letztendlich zur völligen Ablösung von den Eltern. Nach HURRELMANN (2007) läuft die Ablösung vom Elternhaus auffolgenden, zeitlich gestaffelten Ebenen ab (118): 1) auf der psychischen Ebene (die Orientierung von Einstellungen und Handlungen orientiert sich nicht mehr vorrangig an den Eltern, sondern an Angehörigen der eigenen Generation), 2) auf der emotionalen und intimen Ebene (Liebesobjekte sind nicht mehr Mutter und Vater, sondern selbst gewählte PartnerInnen), 3) auf der kulturellen Ebene (Entwicklung eines persönlichen Lebensstils, der sich von dem der Eltern unterscheidet), 4) auf der räumlichen Ebene (Wohnstandort wird aus dem Elternhaus verlagert), und 5) auf der materiellen Ebene (Erreichen der wirtschaftlichen Selbstständigkeit). Indem sich Jugendliche von den Eltern lösen, verliert die Instanz Familie mehr und mehr ihre Erziehungs- und Kontrollfunktion (vgl. FERCHHOFF 2007: 335). Andererseits gibt FERCHHOFF aber zu bedenken, dass in heutiger Zeit die wirtschaftliche Abhängigkeit der Jugendlichen von ihrer Familie zunimmt, denn viele Adoleszente sind auf die finanzielle Unterstützung ihrer Eltern, z. B. während der Ausbildung oder eines Studiums angewiesen. Leben Jugendliche sehr lange bei den Eltern, dann verschwimmen m.E. die Grenzen zwischen den Rollen der Eltern und der Kinder. Wie oben bereits angedeutet, tritt die Erziehungsfunktion der Eltern mit zunehmendem Alter der Kinder stark zurück. Sind die Kinder erwachsen, müssen sie nicht mehr erzogen und elterlich kontrolliert werden. Hier ergibt sich aber folgendes Problem: Einerseits wollen die Kinder erwachsen und unabhängig sein, andererseits sind sie finanziell und materiell noch stark von den Eltern abhängig. Hier verschieben sich die oben dargestellten Entwicklungsaufgaben und Statusübergänge vom Jugendalter zum Erwachsenenalter. Jugendliche haben somit kaum noch die Möglichkeit, völlig selbstständig und unabhängig von den Eltern zu leben (z. B. in Bezug auf Wohnung und Finanzen). Die Beziehung zwischen Eltern und Kind wird somit von einer Eltern-Kind-Hierarchie hin zu einer Eltern-Kind-Gleichrangigkeit verschoben, womit das ursprüngliche Verhältnis zwischen Eltern und Kind verändert wird.

Ein zweiter Aspekt, der ausgehend von der o.g. These in Bezug auf die Sozialisationsinstanz Familie und in Bezug auf die vorliegende Arbeit an dieser Stelle diskutiert werden muss, betrifft die Variable Geschlecht. Es stellt sich die Frage, wie Geschlechterrollen innerhalb einer Familie tradiert werden und welche ← 24 | 25 → Rolle die Eltern bei der geschlechtstypischen Sozialisation spielen. HURRELMANN (2006) gliedert die traditionelle Kernfamilie, die typischerweise die sozialen Rollen Mutter, Vater, Tochter und Sohn beinhaltet, in zwei Dimensionen (vgl. 130). Innerhalb der ersten, der Geschlechterdimension, bilden Mutter und Tochter das weibliche Geschlecht, Vater und Sohn stehen ihnen als männliches Geschlecht gegenüber. Innerhalb der zweiten Dimension, der Generationendimension, vertreten Mutter und Vater die ältere bzw. Elterngeneration, Tochter und Sohn stellen die jüngere Generation dar. Die Geschlechterdimensionen können sich laut HURRELMANN aber auch überschneiden, „indem zum Beispiel von der Tochter spielerisch die Rolle der Frau gegenüber dem Vater oder vom Sohn spielerisch die Rolle des Mannes gegenüber der Mutter eingenommen wird“ (132). An anderer Stelle bemerkt HURRELMANN aber, dass „die traditionellen, klischeehaften Unterschiede zwischen den beiden Geschlechtern […] kaum noch [auftreten]“ (2007: 111). Er begründet das wie folgt (109):

Jugendliche erleben in den heutigen Familienkonstellationen die Veränderung der Frauen- und Männerrolle. Durch die stark verbreitete Berufstätigkeit von Müttern verändert sich die Arbeitsteilung in der Familie, indem Mütter immer mehr zur Finanzierung des Haushaltes beitragen, Entscheidungen über Investitionen übernehmen und zugleich ihre Aufgaben bei der Organisation des Haushaltes erfüllen. Die Position von Frauen in den Familien wandelt sich hierdurch von der einer finanziell von ihrem Mann abhängigen Haushälterin zu einer unabhängigen Akteurin […]. Jugendliche beobachten diese Veränderungen sehr sensibel.

Auch FERCHHOFF (2007) gibt zu bedenken, dass in heutiger Zeit die Vaterrolle an Autorität verliert, die Rolle der Mutter hingegen aufgewertet wird (vgl. 334f.). Eltern sind demnach verantwortlich dafür, in welchem Maße Mädchen und Jungen an der Verteilung der Geschlechterrollen teilhaben und inwiefern die sozialen Rollen innerhalb der Familie ge- und erlebt werden und somit das Rollendenken der Kinder und Jugendlichen beeinflussen und nachhaltig prägen.

Details

Seiten
453
Jahr
2015
ISBN (PDF)
9783653037128
ISBN (ePUB)
9783653991437
ISBN (MOBI)
9783653994780
ISBN (Hardcover)
9783631645529
DOI
10.3726/978-3-653-03712-8
Sprache
Deutsch
Erscheinungsdatum
2014 (Oktober)
Schlagworte
Jugendsprache Doing Gender Sprachhandlungsmuster Gesprächsverhalten
Erschienen
Frankfurt am Main, Berlin, Bern, Bruxelles, New York, Oxford, Wien, 2014. 453 S.

Biographische Angaben

Diana Walther (Autor:in)

Diana Walther studierte Germanistik und Anglistik an der Technischen Universität Dresden.

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Titel: Scherzkommunikation unter Jugendlichen
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