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Die insolvenzrechtliche Einordnung der betrieblichen Altersversorgung in der Insolvenz des Arbeitgebers

von Martina Daus (Autor:in)
©2014 Dissertation XVI, 354 Seiten

Zusammenfassung

Die Insolvenz des Arbeitgebers ruft sowohl unter seinen derzeitigen Arbeitnehmern als auch unter Betriebsrentnern die Sorge hervor, ob sie eine ihnen zugesagte betriebliche Altersversorgung in Zukunft tatsächlich erhalten werden. Auf der anderen Seite ist das für die betriebliche Altersversorgung vorgesehene Vermögen für den Insolvenzverwalter eine Option, die Insolvenzmasse zu vergrößern und damit den Insolvenzgläubigern eine höhere Quote zu verschaffen. Im Hinblick auf diesen Widerstreit der Interessen beschäftigt sich diese Arbeit mit der Frage, wem das für die betriebliche Altersversorgung vorgesehene Vermögen zuzuordnen ist: der Insolvenzmasse oder dem versorgungsberechtigten Arbeitnehmer.

Inhaltsverzeichnis

  • Cover
  • Titel
  • Copyright
  • Autorenangaben
  • Über das Buch
  • Zitierfähigkeit des eBooks
  • Danksagung
  • Inhalt
  • Abkürzungsverzeichnis
  • § 1 Einführung
  • § 2 Grundlagen
  • A. Betriebliche Altersversorgung
  • I. Begriff der betrieblichen Altersversorgung
  • 1. Versorgungszweck
  • 2. Biologisches Ereignis
  • a. Biologisches Ereignis: Tod
  • b. Biologisches Ereignis: Invalidität
  • c. Biologisches Ereignis: Alter
  • 3. Aus Anlass eines Arbeitsverhältnisses
  • 4. Nicht erforderliche Merkmale
  • a. Betriebstreue
  • b. Freiwilligkeit
  • II. Arten der betrieblichen Altersversorgung
  • 1. Die Rechtsgrundlage
  • a. Einzelvereinbarung
  • b. Arbeitsvertragliche Einheitsregelung / Gesamtzusage
  • c. Betriebliche Übung
  • d. Grundsatz der Gleichbehandlung
  • e. Betriebsvereinbarung
  • f. Tarifvertrag
  • 2. Durchführungswege
  • a. Direktzusage
  • b. Direktversicherung
  • c. Pensionskasse
  • d. Pensionsfonds
  • e. Unterstützungskasse
  • 3. Inhalt der Zusage
  • a. Begriff der Zusage
  • b. Versorgungsversprechen
  • (1) Leistungszusage
  • (2) Beitragsorientierte Leistungszusage
  • (3) Beitragszusage mit Mindestleistung
  • (4) Entgeltumwandlung
  • (5) Umfassungszusage
  • c. Leistungsarten
  • B. Das Insolvenzverfahren
  • I. Eröffnung des Insolvenzverfahrens
  • 1. Zahlungsunfähigkeit
  • 2. Drohende Zahlungsunfähigkeit
  • 3. Überschuldung
  • II. Rechtsfolgen der Insolvenz
  • 1. Die Insolvenzmasse
  • 2. Arten der Gläubiger
  • a. Insolvenzgläubiger
  • b. Massegläubiger
  • c. Absonderungsberechtigte
  • d. Aussonderungsberechtigte
  • (1) Dingliche Rechte
  • (2) Persönliche Rechte
  • C. Die gesetzliche Insolvenzsicherung der betrieblichen Altersversorgung
  • I. Geltungsbereich
  • 1. Sachlicher Geltungsbereich
  • 2. Persönlicher Geltungsbereich
  • II. Finanzierung der Insolvenzsicherung
  • III. Eintrittspflicht des PSV
  • 1. Sicherungsfälle
  • 2. Durchführungswege
  • 3. Versorgungsanspruch und unverfallbare Anwartschaft
  • a. Versorgungsansprüche
  • b. Unverfallbare Versorgungsanwartschaften
  • (1) Begriff der Unverfallbarkeit
  • (2) Voraussetzungen der gesetzlichen Unverfallbarkeit
  • 4. Begrenzung der Leistungen
  • a. Die Höchstgrenze, § 7 Abs. 3 BetrAVG
  • b. Anzurechnende Leistungen, § 7 Abs. 4 BetrAVG
  • c. Versicherungsmissbrauch, § 7 Abs. 5 BetrAVG
  • § 3 Die Folgen der Insolvenz des Arbeitgebers für die betriebliche Altersversorgung
  • A. Direktzusage
  • I. Bilanzrückstellungen nach § 249 HGB
  • 1. Altfälle
  • 2. Neufälle
  • II. Ausfallhaftung nach § 1 Abs. 1 S. 3 BetrAVG als Direktzusage
  • 1. Rechtsnatur des § 1 Abs. 1 S. 3 BetrAVG
  • 2. Wechsel des Durchführungswegs bei Ausfallhaftung des Arbeitgebers
  • III. Stellung des Arbeitnehmers
  • 1. Versorgungsansprüche
  • a. Feststehende Dauer der Versorgungsleistungen
  • b. Nicht feststehende Dauer der Versorgungsleistungen
  • (1) Kapitalisierung der Rentenansprüche
  • (2) Anzuwendender Zinsfuß
  • 2. Versorgungsanwartschaften
  • a. Verfallbare Anwartschaften
  • b. Unverfallbare Anwartschaften
  • (1) Nicht auf den PSV übergegangene Anwartschaften
  • (a) Abfindung der Ansprüche als Kapitalbetrag
  • (b) Aufschiebend bedingte Ansprüche
  • (c) Auseinandersetzung in der Literatur
  • (2) Schätzung nach § 45 InsO
  • (a) Abzinsung des geschätzten Werts
  • (b) Stichtag für die Schätzung
  • (3) Geltendmachung der Forderungen nach Aufhebung des Insolvenzverfahrens
  • (a) Form der Forderung
  • (b) Gesellschafterhaftung bei Auflösung der Gesellschaft nach Insolvenz
  • c. Nach Eröffnung des Verfahrens erdiente Anwartschaften
  • (1) Masseverbindlichkeit oder Insolvenzforderung
  • (2) Geltendmachung der Masseverbindlichkeit
  • (a) Eintritt des Versorgungsfalls während des Insolvenzverfahrens
  • (b) Eintritt des Versorgungsfalls nach Beendigung des Insolvenzverfahrens
  • (c) Gesellschafterhaftung bei Auflösung der Gesellschaft nach Insolvenz
  • d. Nach Eröffnung des Verfahrens unverfallbar gewordene Anwartschaften
  • e. Abfindung der nach Eröffnung des Verfahrens erdienten Anwartschaften nach § 3 Abs. 4 BetrAVG
  • (1) Vollständige Einstellung der Betriebstätigkeit und Liquidation
  • (2) Berechnung und Geltendmachung des Abfindungsbetrags
  • 3. Zusammenfassung
  • IV. Sonderfälle
  • 1. Sondervermögen eines nicht rechtsfähigen Vereins
  • 2. Abschluss einer Rückdeckungsversicherung
  • a. Abtretung der Ansprüche an den Arbeitnehmer
  • b. Verpfändung des Bezugsrechts an den Arbeitnehmer
  • 3. Contractual Trust Arrangements (CTAs)
  • a. Einseitige Treuhand (Verpfändungsmodell)
  • (1) Insolvenzrechtliche Zuordnung des Treuhandvermögens
  • (2) Verpfändung des Herausgabeanspruchs
  • (a) Bereits eingetretener Versorgungsfall
  • (b) Noch nicht eingetretener Versorgungsfall
  • b. Doppelseitige Treuhand
  • (1) Sicherungstreuhand zugunsten der Versorgungsberechtigten
  • (2) Gläubigerstellung aufgrund der Sicherungstreuhand
  • V. Zusammenfassung
  • B. Direktversicherungen
  • I. Die verschiedenen Vertragsverhältnisse
  • II. Die verschiedenen Arten des Bezugsrechts
  • 1. Widerrufliches Bezugsrecht
  • a. Gesetzliches Widerrufsverbot
  • (1) Die Verpflichtung, das Bezugsrecht nach Unverfallbarkeit nicht mehr zu widerrufen (§ 1b Abs. 2 S. 1 BetrAVG)
  • (2) Verbot der auflösenden Bedingung durch Beendigung des Arbeitsverhältnisses (§ 1b Abs. 2 S. 2 BetrAVG)
  • (3) Verpflichtung zur Einräumung eines unwiderruflichen Bezugsrechts im Falle der Entgeltumwandlung (§ 1b Abs. 5 S. 2 BetrAVG)
  • b. Gläubigerstellung des Arbeitnehmers
  • (1) Versorgungsansprüche
  • (2) Versorgungsanwartschaften
  • (a) Schadensersatzanspruch des Arbeitnehmers
  • (b) Geltendmachung des Schadensersatzanspruchs im Insolvenzverfahren
  • (c) Insolvenzsicherung durch den PSV
  • c. Handlungsmöglichkeiten des Insolvenzverwalters
  • (1) Direktversicherungsvertrag als Vertrag i.S.d § 103 Abs. 1 InsO
  • (2) Verwertung der Versicherung
  • (3) Ablehnung der Erfüllung, § 103 Abs. 2 InsO
  • (a) Erlöschenstheorie des BGH
  • (b) Abwendung von der Erlöschenstheorie
  • (c) Haftung des Insolvenzverwalters
  • (4) Übertragung der Lebensversicherung auf den Arbeitnehmer
  • (a) Eintrittsrecht des Bezugsberechtigten nach § 170 VVG
  • (b) Freigabe des Vertrags an den Arbeitnehmer
  • d. Abtretung der Ansprüche oder Pfandrecht an den Versicherungsleistungen zugunsten des Arbeitnehmers
  • 2. Unwiderrufliches Bezugsrecht
  • a. Unwiderruflichkeit des Bezugsrecht mit Unverfallbarkeit nach Eröffnung des Insolvenzverfahrens
  • (1) Abwendung von der Erlöschenstheorie
  • (2) Verstoß gegen § 91 InsO
  • b. Zuständigkeit des Insolvenzverwalters für den Versicherungsvertrag
  • c. Aussonderungsrecht des Arbeitnehmers
  • (1) Fortsetzung und Übertragung des Vertrags
  • (a) Eintrittsrecht des Bezugsberechtigten nach § 170 VVG
  • (b) Anderweitiges Eintrittsrecht
  • (2) Kündigung des Vertrags und Einziehung des Rückkaufswertes
  • d. Handlungsmöglichkeiten des Insolvenzverwalters
  • (1) Einschränkung des Kündigungsrechts des Insolvenzverwalters
  • (2) Die Zuordnung des Rückkaufswerts
  • (3) Ersatzaussonderung bei Einziehung des Rückkaufswerts durch den Insolvenzverwalter
  • (a) Wirksamkeit der Verfügung als Voraussetzung für die Ersatzaussonderung
  • (b) Geltendmachung der Ansprüche im Falle der Ersatzaussonderung
  • (4) Gesetzliches Verbot des Einzugs des Rückkaufswerts durch den Arbeitnehmer
  • 3. Eingeschränkt unwiderrufliches Bezugsrecht
  • a. Insolvenzrechtliche Einordnung
  • b. Insolvenzbedingte Beendigung des Arbeitsverhältnisses vor Eintritt der Unverfallbarkeit
  • (1) Die konträre Rechtsprechung von BAG und BGH
  • (a) Die Rechtsprechung des BAG
  • (b) Die Rechtsprechung des BGH
  • (c) Die Vorlage an den Gemeinsamen Senat der Obersten Gerichtshöfe des Bundes
  • (2) Die Auseinandersetzung in der Literatur
  • (a) Der Zweck der Betriebstreue
  • (b) Der Vergleich mit den gesetzlichen Unverfallbarkeitsregelungen
  • (c) Die Beschränkung auf Beendigungsgründe aus der Sphäre des Arbeitnehmers
  • (d) Die Berücksichtigung der Interessen der Arbeitnehmer
  • (e) Verstoß gegen § 91 InsO
  • (f) Uneingeschränkt unwiderrufliches Bezugsrecht als Alternative
  • (3) Stellungnahme
  • (4) Beendigung des Arbeitsverhältnisses durch Betriebsübergang nach § 613a BGB
  • (5) Das Verfahren vor dem Gemeinsamen Senat der Obersten Gerichtshöfe des Bundes
  • 4. Zusammenfassung
  • a. Widerrufliches Bezugsrecht
  • b. Unwiderrufliches Bezugsrech
  • c. Eingeschränkt unwiderrufliches Bezugsrecht
  • III. Abtretung oder Beleihung der Ansprüche aus dem Versicherungsvertrag
  • IV. Direktversicherungen im Wege der Entgeltumwandlung
  • 1. Unzulässigkeit eines widerruflichen Bezugsrechts
  • 2. Treuhandverhältnis hinsichtlich der umgewandelten Gehaltsbestandteile
  • V. Abgetretene und verpfändete Rückdeckungsversicherungen
  • 1. Abtretung der Versicherungsansprüche
  • 2. Pfandrecht an den Versicherungsleistungen
  • C. Reservefonds mit eigener Rechtspersönlichkeit
  • I. Pensionskasse
  • 1. Versicherungsverein auf Gegenseitigkeit (VVaG)
  • a. Insolvenzrechtliche Einordnung des Versicherungsvertrags
  • b. Zugriffsmöglichkeiten des Insolvenzverwalters
  • 2. Aktiengesellschaft
  • II. Pensionsfonds
  • 1. Insolvenzrechtliche Einordnung des Versicherungsverhältnisses mit dem Pensionsfonds
  • 2. Zugriffsmöglichkeiten des Insolvenzverwalters
  • 3. Insolvenzsicherung durch den PSV
  • III. Unterstützungskassen
  • 1. Insolvenzrechtliche Einordnung des Begünstigungsverhältnisses
  • a. Einheitstheorie der Rechtsprechung und Vertrag zugunsten Dritter
  • b. Vertrauenshaftung
  • 2. Zugriffsmöglichkeiten des Insolvenzverwalters
  • a. Zugriff nach allgemeinen Regeln
  • b. Vermögensübergang auf den PSV, § 9 Abs. 3 BetrAVG
  • 3. Rückgedeckte Unterstützungskasse
  • IV. Zusammenfassung
  • D. Ausfallhaftung des Arbeitgebers, § 1 Abs. 1 S. 3 BetrAVG
  • I. Direktversicherung
  • 1. Insolvenzsicherung wegen Prämienrückstands bei einem unwiderruflichen Bezugsrecht
  • 2. Sonstige Insolvenzsicherung
  • II. Unterstützungskasse und Pensionsfonds
  • 1. Insolvenzschutz bei nicht ausreichender Dotierung
  • 2. Übergang der Ansprüche und Anwartschaften (§ 9 Abs. 2 BetrAVG) und Vermögensübergang (§ 9 Abs. 3, 3a BetrAVG) auf den PSV
  • III. Pensionskasse
  • IV. Zusammenfassung
  • § 4 Ergebnisse
  • § 5 Stellungnahme
  • Literatur
  • Internet-Quellen

Abkürzungsverzeichnis

§ 1Einführung

29.500 Unternehmensinsolvenzen, die geschätzte 346.000 Arbeitnehmer betrafen – das ist die Bilanz des Jahres 2012, des vierten Jahres nach der im Jahr 2008 aufgetretenen Wirtschafts- und Finanzkrise.1 Im Krisenjahr 2009 waren aufgrund der Vielzahl an Großunternehmensinsolvenzen (wie z.B. Arcandor, Woolworth oder Escada) von 32.930 Unternehmensinsolvenzen sogar geschätzte 521.000 Arbeitnehmer betroffen.2 Allein die Arcandor-Pleite betraf auf einen Schlag 52.000 Mitarbeiter.3 Doch wie die Zahlen des ersten Halbjahres 2013 mit bereits 15.430 Unternehmensinsolvenzen und 148.000 betroffenen Arbeitnehmern4 zeigen, spielt sich selbst in Zeiten, die allgemein als Zeiten des konjunkturellen Aufschwungs angesehen werden,5 das Insolvenzgeschehen in Deutschland in nur schwer greifbaren Größenordnungen ab.

Die Eröffnung des Insolvenzverfahrens über das Vermögen des Arbeitgebers ruft naturgemäß unter seinen Mitarbeitern existenzielle Sorgen und Unsicherheiten hervor. Wird ihr Arbeitsplatz in Zukunft weiter Bestand haben oder müssen sie mit der baldigen Kündigung rechnen? Wird ihr Betrieb unter Umständen von einem anderen Rechtsträger übernommen, so dass sie sich einem neuen Arbeitgeber gegenüber-gestellt sehen, oder wird der Betrieb vollständig eingestellt und liquidiert, kurz gesagt: Gibt es für sie eine Zukunft in ihrem bisherigen Arbeitsumfeld und zu den gleichen Arbeitsbedingungen? Können sie ← 1 | 2 → mit weiteren Lohnzahlungen rechnen oder sind sie von nun an – zumindest bis zum Eintritt in ein neues Arbeitsverhältnis – vom staatlichen Sozialversicherungsnetz abhängig?

Doch nicht nur in der Phase, in der Arbeitnehmer erwerbstätig sind, besteht ein Abhängigkeitsverhältnis zu ihrem Arbeitgeber, das dazu führt, dass die wirtschaftliche Situation des Arbeitgebers Einfluss auf die Lebenssituation der Arbeitnehmer hat. Auch im Anschluss an die Erwerbstätigkeit kann der Lebensstandard der ehemaligen Mitarbeiter in hohem Maße abhängig von der finanziellen Leistungsfähigkeit des ehemaligen Arbeitgebers sein. Das ist immer dann der Fall, wenn die finanziellen Mittel, die den Arbeitnehmern im Alter oder im Falle der Invalidität bzw. ihren Hinterbliebenen zur Verfügung stehen, zumindest zum Teil auch aus Leistungen bestehen, deren Ursprung in dem mittlerweile beendeten Arbeitsverhältnis liegt und die – unmittelbar oder mittelbar – auf Vorkehrungen des ehemaligen Arbeitgebers zurückzuführen sind. Es handelt sich um Leistungen der betrieblichen Altersversorgung, die dazu führen, dass auch noch nach Beendigung des Arbeitsverhältnisses mit dem Arbeitgeber dessen finanzielle Leistungsfähigkeit von großer Bedeutung für seine ehemaligen Arbeitnehmer, die Betriebsrentner, sein kann. Nicht gemeint sind damit Leistungen der gesetzlichen Rentenversicherung nach dem SGB VI sowie Rentenleistungen, die auf einer privaten Altersvorsorge des Arbeitnehmers beruhen. Die Leistungsfähigkeit der staatlichen Rentenversicherung bzw. des privaten Vorsorgeunternehmens steht in keinem Abhängigkeitsverhältnis zur finanziellen Leistungsfähigkeit des einzelnen Arbeitgebers.

Besteht eine betriebliche Altersversorgung, führt die Bedrohung der wirtschaftlichen Existenz des Arbeitgebers also auf den ersten Blick zu einer Bedrohung der Versorgung der Arbeitnehmer im Alter bzw. im Falle der Invalidität. Schließlich kann ein zahlungsunfähiger Arbeitgeber keine Versorgungsleistungen erbringen.

Die Beantwortung der Frage, inwieweit Arbeitnehmer, denen eine betriebliche Altersversorgung seitens des Arbeitgebers zugesagt wurde, im Falle der Insolvenz des Arbeitgebers um die ihnen zugesagten Leistungen fürchten müssen, soll ein Gegenstand dieser Arbeit sein. Dabei ist nicht nur die Situation der Betriebsrentner zu berücksichtigen, die bereits aus dem Erwerbsleben ausgeschieden sind und schon Leistungen der betrieblichen Altersversorgung erhalten. Auch ist die Frage zu stellen, welche Position denjenigen Arbeitnehmern zukommt, die noch aktiv im Erwerbsleben stehen, denen aber bereits eine betriebliche Altersversorgung zugesagt wurde. Denn auch diese Arbeitnehmer haben ein gewisses Vertrauen darauf entwickelt, dass sie im Alter Leistungen der betrieblichen Altersversorgung erhalten werden. Ob und inwieweit diese „Anwartschaft“ auf Leistungen der betrieblichen Altersversorgung in der Insolvenz des ← 2 | 3 → Arbeitgebers zu berücksichtigen ist, wird im Folgenden ebenfalls zu beantworten sein.

Die Frage der insolvenzrechtlichen Einordnung der betrieblichen Altersversorgung ist jedoch auch noch aus einem anderen Blickwinkel als dem der versorgungsberechtigten Arbeitnehmer zu betrachten. Denn für die Leistungen, die der Arbeitgeber an Betriebsrentner zu erbringen hat, müssen Vermögensmassen zur Seite gelegt werden, da aus irgendeiner Reserve bei Eintritt des Versorgungsfalls schließlich die Leistungen erbracht werden müssen. Dieses Vermögen stellt aus Sicht des Insolvenzverwalters des Arbeitgebers natürlich eine äußerst interessante Option dar, die Insolvenzmasse so weit wie möglich zu vergrößern und damit bei der gemeinschaftlichen Befriedigung der Insolvenzgläubiger eine besonders hohe Quote zu erreichen.

Insofern bestehen hier widerstreitende Interessen. Auf der einen Seite sind dies die Interessen der Versorgungsberechtigten, deren Bestreben es ist, dass die Vermögensmasse weiterhin auch für die eigentlich vorgesehene Verwendung – die Erfüllung ihrer Versorgungsansprüche – zur Verfügung steht. Auf der anderen Seite besteht das Interesse des Insolvenzverwalters, eine möglichst große Insolvenzmasse zur Verfügung zu haben, aus der die Insolvenzgläubiger gemeinschaftlich zu befriedigen sind, so dass dem Interesse des Insolvenzverwalters auch das Interesse der Gemeinschaft der sonstigen Insolvenzgläubiger zur Seite steht. Sie profitieren schließlich von der Zuordnung zur Insolvenzmasse durch das Erreichen einer höheren Quote.

Wie sich im Verlauf dieser Arbeit zeigen wird, ist die Beantwortung der Frage, wem die für die betriebliche Altersversorgung vorgesehenen finanziellen Mittel zustehen, in erster Linie abhängig von der Wahl des Durchführungsweges der betrieblichen Altersversorgung (siehe zum Begriff des Durchführungswegs und den verschiedenen Formen unten unter § 2A.II.2., S. 27 ff.). Doch auch innerhalb eines Durchführungsweges ist es aufgrund unterschiedlicher vertraglicher Gestaltungen möglich, dass die insolvenzrechtliche Einordnung vollständig konträr erfolgt. In einigen Bereichen gibt es hierzu nicht nur unterschiedliche Ansichten in der Literatur, sondern auch Unstimmigkeiten in der Rechtsprechung der verschiedenen Rechtswege. Diese gipfelten in einem Fall in der Anrufung des Gemeinsamen Senats der Obersten Gerichtshöfe des Bundes, der das Verfahren nach einer Umformulierung der Vorlagefrage zwar im Jahr 2010 mit der Begründung einstellte, es gebe keine unterschiedlichen Ansichten mehr zwischen den Gerichtshöfen, wie unten unter § 3B.II.3.b., S. 231 ff. jedoch zu zeigen sein wird, trifft dies nur vordergründig zu. In einem anderen Fall (siehe unten unter § 3A.III.2.b(1), S. 119 f.) wurde die an und für sich erforderliche Anrufung des Gemeinsamen Senats der Obersten Gerichtshöfe einfach unterlassen. ← 3 | 4 →

Aus Sicht der versorgungsberechtigten Arbeitnehmer ist die komplexe Fragestellung der Folgen der Insolvenz des Arbeitgebers bei der Vereinbarung einer betrieblichen Altersversorgung kaum zu überblicken, zumal in vielen Fällen weder die juristische Fachliteratur noch die Rechtsprechung eine einheitliche Einschätzung zeigt. Die Arbeitnehmer werden in Deutschland jedoch insoweit vor den Folgen der Insolvenz des Arbeitgebers geschützt, als seit dem Jahr 1974 eine gesetzliche Pflichtversicherung für die betriebliche Altersversorgung für den Fall der Insolvenz des Arbeitgebers besteht (siehe dazu unten unter § 2C., S. 69 ff.). Doch auch diese gesetzliche Insolvenzsicherung greift nicht für alle Personen, denen eine Versorgungszusage erteilt wird, nicht in unbegrenzter Höhe und auch nicht für alle Durchführungswege. Die Frage, ob Lücken bestehen, in denen weder die insolvenzrechtliche Einordnung der betrieblichen Altersversorgung zugunsten des Versorgungsberechtigten ausfällt noch die gesetzliche Insolvenzsicherung greift, soll ebenfalls in dieser Arbeit berücksichtigt werden.

Die Frage der insolvenzrechtlichen Einordnung der betrieblichen Altersversorgung verbindet eine Vielzahl unterschiedlicher Rechtsgebiete. Neben dem Insolvenzrecht sind vor allem arbeitsrechtliche Regelungen, insbesondere die des Gesetzes zur Verbesserung der betrieblichen Altersversorgung (BetrAVG), zu berücksichtigen. Innerhalb der verschiedenen Durchführungswege sind weitere Regelungsbereiche, wie z.B. das Versicherungsrecht (VVG/VAG), Bilanzierungsregeln nach dem HGB oder auch vereinsrechtliche oder aktienrechtliche Vorschriften zu beachten. Es zeigt sich, dass das Insolvenzrecht als Basis für die Lösung dieser Fragestellung trotz eines grundsätzlich einheitlichen Betrachtungsobjekts, der betrieblichen Altersversorgung, dazu zwingt, weit über den Tellerrand der Insolvenzordnung hinaus zu schauen. Diese Verzahnung der verschiedensten Regelungsbereiche macht – neben der praktischen Relevanz – den Reiz des Themas aus.

Im Folgenden sollen zunächst die für die insolvenzrechtliche Einordnung der betrieblichen Altersversorgung erforderlichen rechtlichen Grundlagen erläutert werden. Dabei geht es anfangs um die Frage, welche Leistungsversprechen der Begriff der betrieblichen Altersversorgung überhaupt umfasst und welche Ausgestaltungsmöglichkeiten der betrieblichen Altersversorgung bestehen (siehe unten unter § 2A., S. 6 ff.). Da es um die Frage der insolvenzrechtlichen Einordnung geht, soll anschließend ein kurzer Überblick über die Voraussetzungen für die Eröffnung eines Insolvenzverfahrens sowie über die verschiedenen Arten von Gläubigern, die im Rahmen eines Insolvenzverfahrens Befriedigung verlangen können, gegeben werden (siehe unten unter § 2B., S. 49 ff.). Anschließend folgt eine Übersicht über die Voraussetzungen für die Eintrittspflicht der gesetzlichen Insolvenzsicherung (siehe unten unter § 2C., S. 69 ff.). ← 4 | 5 →

Im Anschluss an die Darstellung dieser rechtlichen Grundlagen werden die Folgen der Insolvenz des Arbeitgebers für die betriebliche Altersversorgung dargestellt. Dies geschieht differenzierend nach den für die insolvenzrechtliche Einordnung ausschlaggebenden Durchführungswegen der betrieblichen Altersversorgung (siehe unten unter § 3A. - § 3C., S. 96 ff.). Dabei werden neben der insolvenzrechtlichen Einordnung der für die betriebliche Altersversorgung vorgesehenen finanziellen Mittel sowohl die Gläubigerstellung des Arbeitnehmers im Insolvenzverfahren als auch die Handlungsmöglichkeiten des Insolvenzverwalters beleuchtet. Auch in der Praxis häufig anzutreffende Sonderkonstellationen wie z.B. die Begründung eines Contractual Trust Arrangements (siehe unten unter § 3A.IV.3., S. 152 ff.) oder die Abtretung oder Verpfändung einer Rückdeckungsversicherung (siehe unten unter § 3A.IV.2., S. 147 ff.) werden berücksichtigt.

Im Anschluss an die insolvenzrechtliche Einordnung der verschiedenen Durchführungswege folgt noch die insolvenzrechtliche Einordnung der Ausfallhaftung des Arbeitgebers nach § 1 Abs. 1 S. 3 BetrAVG (siehe unten unter § 3D., S. 296 ff.). Wie sich im Laufe der Darstellungen zeigen wird, greift diese Haftung immer dann, wenn ein anderer Versorgungsträger, also z.B. eine Pensionskasse oder eine Unterstützungskasse, die Leistungen der betrieblichen Altersversorgung nicht erbringt, was verschiedene Ursachen haben kann (siehe dazu unten unter § 3A.II., S. 99 ff.). Insofern ist es für den Versorgungsberechtigten in der Insolvenz des Arbeitgebers von Bedeutung, wie er diesen Anspruch geltend machen kann und ob der gesetzliche Insolvenzschutz greift.

Zwischenzusammenfassungen jeweils im Anschluss an die Darstellung der einzelnen Durchführungswege sollen es dem Leser ermöglichen, sich die zuvor herausgearbeiteten Resultate noch einmal für den vorangegangenen begrenzten Bereich zu vergegenwärtigen, bevor zum Schluss eine umfassende Zusammenfassung der in der Arbeit gefundenen Ergebnisse vorgenommen wird. Finales Ziel ist es, dem Leser einen Überblick darüber zu verschaffen, wem die betriebliche Altersversorgung in der Insolvenz des Arbeitgebers zuzuordnen ist: der Insolvenzmasse oder den versorgungsberechtigten Arbeitnehmern. ← 5 | 6 →

1Zahlen entnommen aus der Analyse von Creditreform: Insolvenzen in Deutschland, Jahr 2012, abrufbar unter http://www.creditreform.de/fileadmin/user_upload/crefo/download _de/news_termine/wirtschaftsforschung/insolvenzen-deutschland/Insolvenzen_in_Deut schland_2012.pdf (20.1.2014).

2Creditreform: Insolvenzen, Neugründungen, Löschungen, Jahr 2010, abrufbar unter http://www.creditreform.de/fileadmin/user_upload/crefo/download_de/news_termine/wirtschaftsforschung/insolvenzen-deutschland/Insolvenzen_in_Deutschland_2010.pdf (20.1.2014) .

3Creditreform: Insolvenzen, Neugründungen, Löschungen, Jahr 2009, abrufbar unter http://www.creditreform.de/fileadmin/user_upload/crefo/download_de/news_termine/wirtschaftsforschung/insolvenzen-deutschland/Insolvenzen_in_Deutschland_2009.pdf (20.1.2014) .

4Creditreform: Insolvenzen in Deutschland, 1. Halbjahr 2013, abrufbar unter http://www.creditreform.de/fileadmin/user_upload/crefo/download_de/news_termine/wirtschaftsforschung/insolvenzen-deutschland/Insolvenzen_Deutschland_2013-01.pdf (20.1.2014) .

5Gemeinschaftsdiagnose der CESifo-Gruppe für das Frühjahr 2013, abrufbar unter http://www.cesifo-group.de/de/ifoHome/facts/Forecasts/Gemeinschaftsdiagnose/Archiv/GD-20130418.html (20.1.2014).

§ 2Grundlagen

A.Betriebliche Altersversorgung

Die betriebliche Altersversorgung stellt neben der staatlichen Rentenversicherung und der privaten Altersvorsorge eine der drei Säulen des Alterssicherungssystems in Deutschland dar.6 Diese drei Systeme sollen in Kombination für eine ausreichende Versorgung des Arbeitnehmers in der Zeit nach der Erwerbstätigkeit sorgen, ihre Leistungen sollen es dem Leistungsbeziehenden ermöglichen, seinen Lebensstandard nach dem Ausscheiden aus dem Berufsleben beibehalten zu können. Dabei ist die gesetzliche Rentenversicherung (erste Säule) eine Pflichtversicherung für Arbeitnehmer und abhängig Beschäftigte, die auf dem Solidaritätsprinzip beruht und die die von ihr zu erbringenden Leistungen im Umlageverfahren finanziert.7 Die private Altersvorsorge (dritte Säule) kennt eine Vielzahl von Ausgestaltungen: private Kapital- oder Rentenversicherungen, Investitionen in Kapitalmarktprodukte oder auch Wohneigentum. Für ihre Finanzierung sorgt der spätere Leistungsbeziehende selbst.8

Details

Seiten
XVI, 354
Jahr
2014
ISBN (PDF)
9783653043334
ISBN (ePUB)
9783653992274
ISBN (MOBI)
9783653992267
ISBN (Hardcover)
9783631647202
DOI
10.3726/978-3-653-04333-4
Sprache
Deutsch
Erscheinungsdatum
2014 (April)
Schlagworte
Betriebliche Altersversorgung Insolvenz Arbeitgeber
Erschienen
Frankfurt am Main, Berlin, Bern, Bruxelles, New York, Oxford, Wien, 2014. XVI, 354 S.

Biographische Angaben

Martina Daus (Autor:in)

Martina Daus studierte Rechtswissenschaften an der Universität Gießen. Sie war dort Wissenschaftliche Mitarbeiterin am Lehrstuhl für Bürgerliches Recht, nationales und internationales Zivilverfahrensrecht und Sportrecht. Seit 2014 ist sie als Rechtsanwältin im Bereich Arbeitsrecht in Frankfurt am Main tätig.

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