Lade Inhalt...

Der Kampf des Rechts gegen erpresserische Aktionäre

Bestandsaufnahme, Kritik und Perspektiven

von Dagmar Mathieu (Autor:in)
©2014 Dissertation XXIV, 702 Seiten

Zusammenfassung

Kein anderes wirtschaftsrechtliches Thema steht so kontinuierlich im Fokus der Öffentlichkeit wie das Dilemma der räuberischen oder – treffender – erpresserischen Aktionäre. Trotz des Bewusstseins um die Brisanz des Problems reagiert der Gesetzgeber bis heute zögerlich und ineffizient. Das zeigt sich einmal mehr am Gesetz zur Umsetzung der Aktionärsrechterichtlinie (ARUG), das die Inkonsistenz des tradierten Beschlussmängelrechts weiter verstärkt. Die Autorin fordert eine Grundsatzreform und verweist nach Abschaffung von Registersperre und Freigabeverfahren in Umkehrung der Darlegungs- und Beweislast auf den einstweiligen Rechtsschutz der Zivilprozessordnung. Die Schwachstellen des durch das ARUG novellierten Freigabeverfahrens werden berücksichtigt und sein legislativer Grundgedanke auf das neugestaltete Beschlussmängelrechtssystem übertragen. Dabei ist der Schutz der Minderheitsaktionäre entsprechend dem gewandelten Aktionärsverständnis weg vom Verbandsmitglied hin zum Kapitalanleger vermögensrechtlich geprägt.

Inhaltsverzeichnis

  • Cover
  • Titel
  • Copyright
  • Autorenangaben
  • Über das Buch
  • Zitierfähigkeit des eBooks
  • Vorwort
  • Inhaltsverzeichnis
  • A. Einführung
  • I. Problemaufriss
  • 1. Begriff des räuberischen Aktionärs
  • 2. Aktuelle Beispiele missbräuchlicher Anfechtungsklagen
  • a. IKB-Deutsche Industriebank AG (IKB)
  • b. Hypo- und Vereinsbank AG (HVB)/UniCredito Italiano S. p. A. (Unicredit)
  • c. Leica Camera AG (Leica)
  • II. Betriebs- und volkswirtschaftliche Bedeutung missbräuchlicher Anfechtungsklagen – Auswirkungen in der Gesellschaftspraxis
  • 1. Betriebswirtschaftliche Konsequenzen
  • 2. Volkswirtschaftliche Konsequenzen
  • a. Sachkapitalerhöhung gemäß §§ 183 ff. AktG
  • b. Verschmelzung gemäß §§ 2 ff. UmwG und Abspaltung zur Aufnahme gemäß § 123 II Nr. 1, 126 ff. UmwG
  • c. Folgen für Unternehmenskäufe und -zusammenschlüsse
  • aa. Hoher Bedarf an Fremdkapital
  • bb. Schlechtere Marktkapitalisierung
  • cc. Grenzüberschreitende Transaktionen
  • dd. Verschmelzungen
  • (1) Inländische Verschmelzungen
  • (2) Grenzüberschreitende Verschmelzungen
  • ee. Zusammenschluss deutscher und ausländischer Gesellschaften zur Europäischen Aktiengesellschaft (Societas Europaea oder SE)
  • III. Reaktionen der Öffentlichkeit
  • B. Gegenstand und Gang der Untersuchung
  • C. Geschichtliche Entwicklung des Anfechtungsrechts
  • I. Die Zeit bis zum Allgemeinen Deutschen Handelsgesetzbuch von 1861 (ADHGB)
  • 1. Geschichtliche Vorläufer und Oktroisystem
  • 2. Konzessionssystem des 19. Jahrhunderts
  • a. Code de Commerce von 1807
  • b. Preußisches Aktiengesetz von 1843
  • c. Unmittelbare Auswirkungen des preußischen Aktiengesetzes von 1843
  • II. Die Zeit vom Allgemeinen Deutschen Handelsgesetzbuch von 1861 (ADHGB) bis zum Ende des Ersten Weltkriegs (1914 bis 1918)
  • 1. Allgemeines Deutsches Handelsgesetzbuch von 1861 (ADHGB)
  • a. Schaffung und wesentlicher Inhalt des ADHGB von 1861
  • b. Erste Aktienrechtsnovelle von 1870
  • c. Folgen
  • aa. Die Generalversammlung als Plattform der Mehrheitsinteressen
  • bb. Personelle Besetzung von Vorstand und Aufsichtsrat einschließlich Aufgabenverteilung nach den Vorgaben der Generalversammlung
  • cc. Umgehung der Gründungs- und Kapitalschutzvorschriften
  • d. Zweite Aktienrechtsnovelle von 1884
  • aa. Gründerkrise als Auslöser für die zweite Aktienrechtsnovelle von 1884
  • bb. Ursachen der Gründerkrise
  • cc. Inhalte der zweiten Aktienrechtsnovelle von 1884
  • (1) Informationsmodell als Ausfluss der individuellen Selbsthilfe
  • (2) Gründungsrecht und Organisationsverfassung als Ausfluss der organschaftlichen bzw. kollektiv auszuübenden Selbsthilfe
  • (3) Anfechtungsrecht als wichtigste Ausprägung der Individualrechte und Minderheitenschutz
  • 2. Handelsgesetzbuch von 1897 (HGB)
  • Anfechtung von Generalversammlungsbeschlüssen
  • a. Erster und zweiter Entwurf eines Handelsgesetzbuches für das Deutsche Reich (RJA-E I und RJA-E II) im Hinblick auf die Anfechtungsklage
  • b. Regelungen des HGB von 1897 im Hinblick auf die Anfechtungsklage
  • 3. Von 1900 bis zum Ende des Ersten Weltkriegs (1914 bis 1918)
  • III. Die Zeit nach dem Ersten Weltkrieg bis zur Aktienrechtsreform von 1937
  • 1. Hintergrund
  • 2. Anfechtung von Generalversammlungsbeschlüssen
  • 3. Gesetz über Aktiengesellschaften und Kommanditgesellschaften auf Aktien (Aktiengesetz) vom 30. Januar 1937
  • a. Organisationsverfassung
  • b. Anfechtungs- und Nichtigkeitsklage
  • IV. Aktiengesetz vom 6. September 1965
  • Anfechtungs- und Nichtigkeitsklage
  • V. Die Entwicklung des Aktienrechts von 1965 bis heute im Überblick
  • 1. Die Zeit von 1965 bis zum Gesetz zur Unternehmensintegrität und Modernisierung des Anfechtungsrechts (UMAG) vom 22. September 2005
  • 2. Gesetz zur Unternehmensintegrität und Modernisierung des Anfechtungsrechts (UMAG) vom 22. September 2005
  • a. Hintergrund
  • b. Überblick über die Novellierungen des Rechts der Beschlussanfechtung
  • 3. Wirkungen des UMAG in der Praxis – Ergebnisse empirischer Untersuchungen
  • 4. Gesetzesentwurf der Bundesrates zur Einführung erstinstanzlicher Zuständigkeiten des Oberlandesgerichts in aktienrechtlichen Streitigkeiten
  • 5. Gesetz zur Umsetzung der Aktionärsrechterichtlinie (ARUG) vom 30. Juli 2009
  • a. Hintergrund und Ziele des ARUG
  • b. Überblick über die Novellierungen des Freigabeverfahrens
  • 6. Wirkungen des ARUG in der Praxis – Ergebnisse empirischer Untersuchungen
  • 7. Gesetzesentwurf der Bundesregierung zur Änderung des Aktiengesetzes (Aktienrechtsnovelle 2012) bzw. zur Verbesserung der Kontrolle der Vorstandsvergütung und zur Änderung weiterer aktienrechtlicher Vorschriften (VorstKoG)
  • a. Hintergrund
  • b. Überblick
  • VI. Resumee und Stellungnahme
  • D. Sinn und Zweck des Anfechtungsrechts
  • I. Übersicht
  • II. Die Anfechtungsklage als Instrument zum Schutz eigener Interessen des Aktionärs
  • 1. Darstellung der Meinung
  • 2. Stellungnahme
  • III. Die Doppelfunktion der Anfechtungsklage
  • 1. Darstellung der Meinung
  • 2. Stellungnahme
  • IV. Die Sichtweise der herrschenden Meinung
  • V. Stellungnahme und eigener Ansatz
  • 1. Ausgangslage
  • 2. Zur Kontrollfunktion der Anfechtungsklage
  • a. Aktionäre
  • aa. Kontroll- oder Schutzrechte
  • (1) Schadensersatzansprüche der AG gegen Mitglieder des Vorstands und des Aufsichtsrats
  • (2) Sonderprüfung nach §§ 142 ff. AktG
  • (3) Klageerzwingung und Bestellung eines besonderen Vertreters nach § 147 AktG
  • (4) Klagezulassungsverfahren nach § 148 AktG
  • (5) Fazit
  • bb. Mitverwaltungs- oder Teilhaberechte
  • (1) Schadensersatzansprüche des Aktionärs
  • (2) Unterlassungs- und Beseitigungsansprüche des Aktionärs
  • (3) Fazit
  • cc. Fazit
  • b. Vorstand
  • aa. Fragestellung
  • bb. Zur Frage nach der Verpflichtung des Vorstands zur Anfechtung und einem damit einhergehenden Anspruch des einzelnen Aktionärs auf Tätigwerden
  • cc. Fazit
  • c. Staat
  • d. Aktionärsvereinigungen
  • e. Fazit
  • 3. Zur Individualschutzfunktion der Anfechtungsklage
  • a. Fragestellung
  • b. Zur Frage der dogmatischen Stimmigkeit einer eigenen subjektiven Rechtsverletzung im Gegensatz zum Popularschutz
  • aa. Kein gesetzliches Erfordernis einer individuellen Betroffenheit bzw. Darlegung eines besonderen Rechtsschutzbedürfnisses
  • bb. Zumindest auch Individualschutz des Aktionärs durch die Anfechtungsklage
  • cc. Fazit
  • c. Zur Frage der Mitgliedschaft als geeignetes Kriterium der Anfechtungsbefugnis
  • aa. Fragestellung
  • bb. Die Definition der Mitgliedschaft im Allgemeinen
  • cc. Die Rechtsstellung des Aktionärs unter Berücksichtigung der Unterscheidung zwischen Unternehmer-Aktionär und Anleger-Aktionär
  • dd. Der Wandel vom tradierten Verständnis des Aktionärs als Verbandsmitglied zum Kapitalanleger im Lichte der Gesetzgebung der vergangenen Jahre
  • ee. Fazit
  • d. Fazit
  • 4. Fazit
  • VI. Fazit
  • E. Voraussetzungen und Rechtswirkungen der Anfechtungsklage unter Berücksichtigung der Nebenintervention
  • I. Ausgangslage
  • II. Beteiligte der Anfechtungsklage
  • 1. Zuständiges Gericht
  • 2. Prozessparteien
  • 3. Streitgegenstand
  • 4. Bekanntmachungspflicht nach § 246 IV AktG
  • III. Begründetheit der Anfechtungsklage
  • 1. Anfechtungsbefugnis nach § 245 AktG
  • 2. Anfechtungsfrist nach § 246 I AktG
  • 3. Anfechtungsgründe
  • a. Anfechtungsgrund nach § 243 I AktG
  • aa. Verfahrensfehler
  • (1) Zusammenhang zwischen Verfahrensfehler und Beschlussergebnis
  • (2) Informationspflichtverletzungen unter Berücksichtigung von § 243 IV AktG
  • bb. Inhaltsfehler
  • cc. Materielle Beschlusskontrolle
  • b. Spezielle Anfechtungsgründe nach §§ 251, 254, 255 und 257 AktG
  • 4. Nichtvorliegen eines Anfechtungsausschlusses nach §§ 243 III, 120 IV 3 AktG und § 30 g WpHG
  • IV. Rechtswirkungen der Anfechtungsklage
  • V. Nebenintervention
  • 1. Einführung, Problemaufriss sowie Sinn und Zweck der Nebenintervention
  • 2. Zulässigkeit der Nebenintervention
  • a. Interventionsfähigkeit
  • b. Rechtliches Interesse nach § 66 I ZPO
  • c. Darüber hinausgehende – sonstige – Zulässigkeitsvoraussetzungen
  • aa. Fristgebundenheit der Nebenintervention
  • (1) Zum Anwendungsbereich des § 246 IV 2 AktG
  • (2) Zur Verfassungsmäßigkeit des § 246 IV 2 AktG
  • (3) Zu Beginn und Berechnung der Frist nach § 246 IV 2 AktG
  • (3.1) Separate Bekanntmachung der Klageerhebung und des Termins zur mündlichen Verhandlung
  • (3.2) Separate Bekanntmachung mehrerer Klageerhebungen
  • (4) Verbleibende Relevanz der Anfechtungsfrist nach § 246 I AktG
  • bb. Interventionsbefugnis nach § 245 AktG analog
  • cc. Rechtsmissbrauch der Nebenintervention als Ausdruck fehlenden Rechtsschutzbedürfnisses
  • 3. Verteilung der Kostentragungslast
  • a. Allgemeine kostenrechtliche Aspekte der Nebenintervention
  • b. Verfahrensbeendigung durch streitige Entscheidung
  • c. Verfahrensbeendigung durch Vergleich
  • 4. Nebenintervention im Freigabeverfahren
  • VI. Zusammenfassung
  • F. Der Missbrauch der Anfechtungsklage
  • I. Ausgangslage
  • II. Rechtstatsächlicher Befund
  • 1. Entwicklung der Zahl der Beschlussmängelklagen
  • 2. Die beklagten Aktiengesellschaften
  • 3. Die Kläger
  • 4. Die angegriffenen Hauptversammlungsbeschlüsse
  • 5. Verfahrensbeendigung durch gerichtlichen oder außergerichtlichen Vergleich
  • III. Schwachstellen und Konstruktionsfehler im Rechtsschutzsystem der Anfechtungsklage als Auslöser und Ursachen des Rechtsmissbrauchs
  • 1. Die gesetzliche und faktische Registersperre als Ursache für die zeitliche Verzögerung bei der Umsetzung strukturändernder, eintragungsbedürftiger Hauptversammlungsbeschlüsse
  • a. Der Blockadeeffekt der Anfechtungsklage bei eintragungsbedürftigen Hauptversammlungsbeschlüssen mit rechtlicher und faktischer Registersperre
  • b. Der Blockadeeffekt der Anfechtungsklage bei nicht eintragungsbedürftigen Hauptversammlungsbeschlüssen
  • 2. Die geringen gesetzlichen Anforderungen an die Anfechtungsklage und ihre weitreichenden Rechtsfolgen
  • 3. Die fehlende Verhaltenssteuerung auf Seiten des Klägers als Anreiz zur Klageerhebung
  • 4. Das Problem der Beweisbarkeit des Rechtsmissbrauchs im Prozess und seine Behandlung durch die Justiz
  • 5. Fazit
  • IV. Dogmatische Qualifikation und Charakterisierung des Rechtsmissbrauchs der Anfechtungsklage
  • Dogmatische Verortung des Rechtsmissbrauchs
  • 1. Allgemeines
  • 2. Individueller Rechtsmissbrauch
  • 3. Institutioneller Rechtsmissbrauch
  • 4. Die Sichtweise des BGH – Die Grundsatzrechtsprechung des BGH zum individuellen Rechtsmissbrauch der Anfechtungsklage „Kochs-Adler“
  • a. Kurze Skizzierung des Sachverhalts
  • b. Die Behandlung des Rechtsmissbrauchs durch den BGH
  • c. Eigene Stellungnahme
  • V. Nachweis des Rechtsmissbrauchs als innere Tatsache mit Hilfe von Indizien
  • 1. Der der Entscheidung des OLG Frankfurt am Main vom 13.01.2009 zugrunde gelegte Indizienkatalog zur Annahme des Rechtsmissbrauchs
  • a. Kurze Skizzierung des Sachverhalts
  • b. Die sogenannte Beweiszeichenrechtssprechung des OLG Frankfurt am Main
  • aa. Annahme des Rechtsmissbrauchs für den Zeitraum ab dem Vergleichsangebot
  • bb. Annahme des Rechtsmissbrauchs für den Zeitraum zwischen Anhängigkeit der Anfechtungsklage und Vergleichsangebot
  • (1) Die Bereitwilligkeit des klagenden Aktionärs zum Vergleich
  • (2) Die vom klagenden Aktionär geltend gemachten Klagegründe
  • (3) Der geringe Aktienbesitz des klagenden Aktionärs
  • (4) Die Beteiligung des klagenden Aktionärs an zahlreichen früheren, durch Vergleich beendeten aktienrechtlichen Anfechtungsverfahren
  • 2. Darüber hinaus von Rechtsprechung und Lehre herangezogene Indizien
  • a. Das Verhalten des klagenden Aktionärs im Vorfeld der Hauptversammlung
  • b. Das Verhalten des klagenden Aktionärs während der Hauptversammlung
  • c. Das Verhalten des klagenden Aktionärs vor Gericht
  • d. Der Zeitpunkt des Aktienerwerbs und die Besitzdauer
  • e. Das fehlende subjektive Interesse des klagenden Aktionärs
  • f. Das fehlende Interesse des klagenden Aktionärs an der Aufhebung des mit der Anfechtungsklage geltend gemachten Mangels
  • g. Das im Verhältnis zu dem geringen wirtschaftlichen Nutzen ziemlich hohe Kostenrisiko des klagenden Aktionärs
  • h. Weitere Indizien
  • 3. Fazit
  • VI. Rechtsfolgen der rechtsmissbräuchlichen Anfechtungsklage und damit in Zusammenhang stehende Konsequenzen
  • 1. Rechtsfolgen der rechtsmissbräuchlichen Anfechtungsklage
  • 2. Die Wirksamkeit des Vergleichs
  • a. Nichtigkeit nach § 134 BGB i. V. m. §§ 57 I 1, III, 53 a AktG
  • b. Nichtigkeit nach erfolgter Anfechtung nach § 142 I BGB i. V. m. § 123 BGB
  • c. Nichtigkeit nach § 138 BGB
  • 3. Schadensersatzansprüche
  • 4. Strafrechtliche Aspekte
  • VII. Zusammenfassung und Resumee
  • G. Bisherige Lösungsversuche des Gesetzgebers zur Bekämpfung rechtsmissbräuchlichen Aktionärsverhaltens – Bereits bestehende Abwehrmaßnahmen
  • I. Gesetz zur Unternehmensintegrität und Modernisierung des Anfechtungsrechts (UMAG) vom 22. September 2005
  • 1. Einschränkung der Anfechtungsbefugnis durch Anknüpfung an die Bekanntmachung der Tagesordnung in § 245 Nr. 1 und Nr. 3 AktG
  • 2. Einführung des Freigabeverfahrens für Kapitalmaßnahmen und Unternehmensverträge in § 246 a AktG
  • a. Voraussetzungen des Freigabeverfahrens
  • aa. Zulässigkeit des Freigabeantrags
  • bb. Begründetheit des Freigabeantrags – Voraussetzungen des Freigabebeschlusses nach § 246 a II AktG in der Fassung des UMAG
  • (1) Unzulässigkeit der Anfechtungsklage
  • (2) Offensichtliche Unbegründetheit der Anfechtungsklage
  • (3) Interessenabwägungsklausel
  • b. Rechtsfolgen
  • c. Stellungnahme
  • aa. Kriterien, nach denen die Freigabe zu bestimmen ist
  • bb. Dauer der Prüfung der Voraussetzungen des Freigabeverfahrens nach § 246 a AktG
  • cc. Bescheidungsfrist des § 246 a III 5 HS 1 AktG in der Fassung des UMAG, jetzt § 246 a III 6 HS 1 AktG
  • dd. Inkonsistenz bei der Bestandskraft und der Registersperre in Bezug auf die älteren Freigabeverfahren
  • 3. Informationspflichtverletzungen nach § 243 IV AktG
  • a. Hintergrund und Regelungsgehalt des neuen § 243 IV AktG
  • b. Stellungnahme
  • 4. Begrenzung des Rede- und Fragerechts des Aktionärs in der Hauptversammlung
  • a. § 131 II 2 AktG
  • aa. Regelungsgehalt
  • bb. Stellungnahme
  • b. § 131 III 1 Nr. 7 AktG
  • aa. Regelungsgehalt
  • bb. Stellungnahme
  • 5. Pflicht zur Bekanntmachung der Beendigung des Anfechtungsprozesses nach § 248 a AktG i. V. m. § 149 II und III AktG
  • a. Regelungsgehalt
  • b. Stellungnahme
  • 6. Einrichtung eines Aktionärsforums nach § 127 a AktG
  • a. Regelungsgehalt
  • b. Stellungnahme
  • 7. Nebeninterventionsfrist nach § 246 IV 2 AktG
  • 8. Zusammenfassung und Resumee
  • II. Gesetz zur Umsetzung der Aktionärsrechterichtlinie (ARUG) vom 30. Juli 2009
  • 1. Die Novellierungen des Freigabeverfahrens
  • a. Beschleunigung des Freigabeverfahrens
  • aa. Beschränkung auf eine Instanz
  • (1) Regelungsgehalt
  • (2) Stellungnahme
  • bb. Zustellung an den Prozessbevollmächtigten des Hauptsacheverfahrens
  • cc. Akteneinsicht der AG vor Zustellung der Anfechtungsklage
  • b. Absenkung der Freigabevoraussetzungen zugunsten der AG
  • aa. Hintergrund
  • bb. Einführung eines Bagatellquorums
  • (1) Regelungsgehalt
  • (2) Stellungnahme
  • cc. Präzisierung der Interessenabwägungsklausel
  • (1) Regelungsgehalt
  • (1.1) Interessenabwägung
  • (1.2) Besondere Schwere des Rechtsverstoßes
  • (2) Stellungnahme
  • c. Angleichung der irreversiblen Bestandskraft bei der Eingliederung und beim aktienrechtlichen Squeeze out und Übertragung der Streitwertregelung des § 247 AktG auf das Freigabeverfahren
  • d. Randkorrekturen der Beschlussmängelfolgen nach §§ 241, 243 AktG
  • e. Stellungnahme zum Freigabeverfahren
  • 2. Resumee zum ARUG im Hinblick auf das novellierte Freigabeverfahren
  • III. Gesetzesentwurf der Bundesregierung zur Änderung des Aktiengesetzes (Aktienrechtsnovelle 2012) bzw. zur Verbesserung der Kontrolle der Vorstandsvergütung und zur Änderung weiterer aktienrechtlicher Vorschriften (VorstKoG)
  • 1. Die relative Befristung der Nichtigkeitsklage
  • a. Regelungsgehalt
  • b. Stellungnahme
  • 2. Fazit
  • H. Ausgewählte Vorschläge und Lösungsansätze der Wissenschaft zur Bekämpfung räuberischer Aktionäre
  • I. Ausgangslage
  • II. Beschränkung der Anfechtungsbefugnis und ihrer überschießenden Rechtsfolge
  • 1. Quorum
  • a. Gegenwärtige Rechtslage
  • b. Einführung eines Quorums und Streitstand
  • c. Stellungnahme
  • d. Fazit
  • 2. Pool-Lösung
  • 3. Individuelle Rechtsverletzung
  • 4. Mindestbesitzzeit
  • 5. Anlageaktien ohne Anfechtungsrecht nach dem Vorbild der Vorzugsaktie
  • 6. Substitution oder Einschränkung der Anfechtungsklage bei Informationspflichtverletzungen
  • a. Substitution der Anfechtungsklage durch das Auskunftserzwingungsverfahren nach § 132 AktG
  • b. Verschärfung der Kausalitätsanforderungen
  • c. Sonstige Vorschläge zur Einschränkung der Anfechtungsklage bei Informationspflichtverletzungen
  • 7. Grundsatz der Verhältnismäßigkeit im Anfechtungsprozess
  • a. Implementierung des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes im Anfechtungsprozess
  • b. Stellungnahme
  • 8. Gesetzesvorlage des Arbeitskreises Beschlussmängelrecht
  • a. Eckpunkte der Ausarbeitung des Arbeitskreises Beschlussmängelrecht
  • aa. Einheitliche Beschlussmängelklage
  • bb. Beibehaltung der Kategorie der Nichtigkeit
  • cc. Beschränkung der Anfechtbarkeit im bisherigen Sinne auf besonders schwere Beschlussmängel
  • dd. Sanktionierung sonstiger Beschlussmängel
  • ee. Verfahrensbeschleunigung durch Begründung der Zuständigkeit des OLG als Eingangsinstanz
  • ff.
  • b. Stellungnahme
  • III. Maßnahmen zur Verfahrensbeschleunigung und -konzentration
  • 1. Verkürzung des Instanzenzugs zwecks Verfahrensbeschleunigung und -konzentration
  • a. Gegenwärtige Rechtslage
  • b. Darstellung des Problems
  • c. Verkürzung des Instanzenzugs
  • d. Stellungnahme
  • 2. Registersperre nur auf Antrag des Klägers
  • a. Ersetzung des Freigabeverfahrens durch ein Anordnungs- bzw. Aussetzungsverfahren (umgekehrtes Freigabeverfahren)
  • b. Stellungnahme
  • 3. Beseitigung der Registersperre
  • a. Vorbehaltlose Aufgabe der Registersperre bei fehlender unternehmerischer Beteiligung
  • b. Stellungnahme
  • 4. Spruchverfahren
  • a. Darstellung des Problems
  • b. Ausdehnung des Spruchverfahrens auf alle Fälle der Verschmelzung und auf die Sachkapitalerhöhung
  • c. Verkürzung des Instanzenzugs im Spruchverfahren zwecks Verfahrensbeschleunigung und –konzentration
  • aa. Gegenwärtige Rechtslage
  • bb. Verkürzung des Instanzenzugs
  • 5. Schiedsverfahren
  • a. Bedeutung und Vorteile der Schiedsgerichtsbarkeit gegenüber der staatlichen Gerichtsbarkeit
  • b. „Schiedsfähigkeit I“ als Ausgangspunkt und Weichenstellung für eine schiedsgerichtsfreundliche Tendenz und Entwicklung bis zu „Schiedsfähigkeit II“
  • c. „Schiedsfähigkeit II“ als Fortführung von „Schiedsfähigkeit I“
  • d. Übertragung der durch „Schiedsfähigkeit I“ und „Schiedsfähigkeit II“ gewonnenen Erkenntnisse auf die Beschlussmängelstreitigkeiten in der AG
  • e. Fazit und Stellungnahme
  • IV. Beseitigung von Klageanreizen und finanzielle Konsequenzen
  • 1. Schadensersatzhaftung des räuberischen Aktionärs
  • a. Kodifizierung eines eigenen aktienrechtlichen Schadensersatztatbestands
  • b. Stellungnahme
  • 2. Pflicht zur Sicherheitsleistung
  • 3. Änderung des Gebührenstreitwerts nach § 247 AktG und Bekämpfung exzentrischer Vergleichsmehrwerte
  • a. Gegenwärtige tatsächliche Lage
  • b. Vorschläge hinsichtlich des Gebührenstreitwerts und zur Bekämpfung exzentrischer Vergleichsmehrwerte
  • c. Stellungnahme
  • 4. Verbot des Abkaufs von Anfechtungsklagen
  • V. Beweiserleichterungen beim Nachweis des Rechtsmissbrauchs
  • 1. Anwendung der zivilprozessualen Beweiserleichterungen auf die Anfechtungsklage
  • 2. Stellungnahme
  • VI. Vorschläge zur Bekämpfung des Rechtsmissbrauchs im Zusammenhang mit der Nebenintervention
  • 1. Vorschläge
  • 2. Stellungnahme
  • VII. Resumee
  • I. Eigener Ansatz
  • I. Ausgangs- und Orientierungspunkte
  • 1. Einleitung
  • 2. Kritik und gesetzgeberische Wertung des Freigabeverfahrens im Gewand des ARUG als Grundstein für die Neugestaltung der Anfechtungsklage
  • 3. Vorschlag
  • a. Eintragungsbedürftige Hauptversammlungsbeschlüsse
  • aa. Abschaffung der Registersperre
  • bb. Berücksichtigung der Kritik und der gesetzgeberischen Wertung des Freigabeverfahrens im Gewand des ARUG (als Grundstein für die Neugestaltung der Anfechtungsklage) bei der Regelung zum Ausschluss des Suspensiveffekts der Anfechtungsklage de lege ferenda
  • cc. Konsequenzen der Abschaffung der Registersperre unter Berücksichtigung der Kritik und der gesetzgeberischen Wertung des Freigabeverfahrens im Gewand des ARUG (als Grundstein für die Neugestaltung der Anfechtungsklage)
  • b. Nicht eintragungsbedürftige Hauptversammlungsbeschlüsse
  • 4. Die aus der Abschaffung der Registersperre resultierende Neugestaltung des Systems der Anfechtungsklage nach Übertragung der Kritik und der gesetzgeberischen Wertung des Freigabeverfahrens im Gewand des ARUG (als Grundstein für die Neugestaltung der Anfechtungsklage) unter Involvierung der bereits in der Wissenschaft diskutierten Ansätze in der Zusammenfassung
  • II. Ausgestaltung gesetzlicher Regelungen de lege ferenda
  • 1. Neufassung des § 245 AktG
  • 2. Einfügung eines neuen § 245 a AktG
  • 3. Neufassung des § 246 AktG
  • 4. Neufassung des § 246 a AktG
  • 5. Neufassung des § 247 AktG
  • 6. Einfügung eines neuen § 247 a AktG
  • 7. Neufassung des § 248 AktG
  • 8. Neufassung des § 319 AktG
  • 9. Neufassung des § 327 e II AktG
  • 10. Neufassung des § 16 UmwG
  • 11. Neufassung des § 20 UmwG
  • J. Zusammenfassung und Ausblick
  • Literaturverzeichnis

| 1 →

A. Einführung

I. Problemaufriss

1. Begriff des räuberischen Aktionärs

In den vergangenen zwei Jahrzehnten hat sich eine kleine Gruppe von prozessfreudigen professionellen Anteilseignern herauskristallisiert, die Deutschlands Aktiengesellschaften zunehmend mit einer Flut von Anfechtungsklagen konfrontiert. Das Geschäftsmodell der so genannten räuberischen Aktionäre1, Berufsopponenten2 oder Berufskläger3 basiert darauf, gewerblich Anfechtungsklagen gegen Hauptversammlungsbeschlüsse allein mit dem Ziel zu erheben oder anzudrohen, das Unternehmen in grob eigennütziger Weise zu einer Leistung zu veranlassen, auf die sie keinen ← 1 | 2 → Anspruch haben und billigerweise auch nicht erheben können (so die Grundsatz-Rechtsprechung „Kochs-Adler“ zum individuellen Rechtsmissbrauch bei aktienrechtlichen Anfechtungs- bzw. Nichtigkeitsklagen: „Kochs-Adler“: Urteil des BGH vom 22.05.19894; fortgeführt in den jüngst ergangenen Judikaten des LG Frankfurt am Main vom 02.10.20075 und des OLG Frankfurt am Main vom 13.01.2009 als Berufungsinstanz6, vom BGH in der Revision mit kurzem Zurückweisungsbeschluss vom 10.08.2010 endgültig attestiert7).

Diese Tätigkeit dient ihnen unter Ausnutzung der institutionellen Besonderheiten des Verfahrens und unabhängig von den Erfolgsaussichten des Rechtsbehelfs ausschließlich dazu, um Geld zu verdienen8. Die zum großem Teil namentlich bekannten Kläger oder die von ihnen eigens zu diesem Zweck gegründeten Gesellschaften9 beteiligen sich in der Regel allein deshalb und auch nur minimal10 an einer Vielzahl von – vorrangig börsennotierten (§ 3 II AktG)11 – Aktiengesellschaften, um bei passender Gelegenheit alle erdenklichen Hauptversammlungsbeschlüsse anfechten zu können12. Gegenstand des Begehrens sind dabei typischerweise Entscheidungen von erheblicher Tragweite mit Auswirkungen auf das gesamte Unternehmen oder sogar ← 2 | 3 → den Konzern, wozu insbesondere Kapitalerhöhungen, Squeeze outs, Satzungsänderungen sowie Umwandlungs- und Umstrukturierungsmaßnahmen gehören13. Die Aktivis­ten verfolgen dabei nicht die allgemeinen Aktionärsintentionen und beabsichtigen auch nicht – wie es dem Anliegen des Gesetzgebers entspricht14 – Fehler des Hauptversammlungsbeschlusses zu sanktionieren15. Sie visieren vielmehr die eigene monetäre Gewinnmaximierung an, die das wirtschaftliche Interesse am oft nur geringen Anteilsbesitz bei weitem übersteigt16. Es geht ihnen dabei ausschließlich darum, sich den Lästigkeitswert der Anfechtungsklage von der Korporation abkaufen zu lassen17, indem sie diese zu einem gerichtlichen oder außergerichtlichen Vergleich bewegen. Darin verpflichten sich die Berufsopponenten, die Klage zurückzunehmen bzw. erst gar nicht zu erheben oder Aktionäre und AG erklären den Rechtsstreit übereinstimmend für erledigt18. Im Gegenzug übernimmt das Unternehmen sämtliche Verfahrens- und Rechtsanwaltskosten und gewährt den Anteilseignern exorbitante Abfindungszahlungen im fünf- bis siebenstelligen Bereich19. Zu diesem Zweck erwerben sie zunächst einige wenige Aktien20 des Taget. Dann spüren sie gezielt formelle bzw. materielle Fehler von Hauptversammlungsbeschlüssen auf oder provozieren sie gar selbst mittels ausgefeilter Fragenkataloge und Verhaltensweisen auf den Aktionärstreffen21. Im Anschluss daran erklären sie Widerspruch zur Niederschrift und erheben Klage. Dabei ist ihre sorgfältig geplante Geschäftspolitik in den weitaus meisten Fällen erfolgreich, ← 3 | 4 → da sich die Gesellschaft gezwungenermaßen auf den herausgeforderten Vergleich einlässt, weshalb die Begründetheit des Rechtsbehelfs, die durchaus zu bestehen vermag, von den Gerichten nicht geprüft werden kann22.

Das Druckmittel der missbräuchlichen Anfechtungsklage beruht auf der zeitlichen Verzögerung infolge der gesetzlichen bzw. faktischen Registersperre23. Bestimmte Hauptversammlungsbeschlüsse werden erst mit dem Zeitpunkt der Eintragung ins Handelsregister wirksam und können vorher nicht vollzogen werden: In den Fällen der § 16 II UmwG (Umwandlung), § 319 V AktG (Eingliederung) und des § 327 e II AktG i. V. m. § 319 V AktG (aktienrechtlicher Squeeze out) verlangt das Gesetz bei Anmeldung eines Beschlusses zur Eintragung ins Handelsregister die Abgabe der Erklärung, eine Anfechtungsklage sei nicht erhoben worden (gesetzliche Registersperre). Im Übrigen obliegt es dem Registerrichter, gemäß §§ 21 I, 381 FamFG (vormals § 127 FGG) nach pflichtgemäßem Ermessen über die Eintragung des angefochtenen Beschlusses zu befinden24. Der Entscheidungsträger ist jedoch aufgrund des fehlenden Spruchrichterprivilegs nach § 839 II BGB einem persönlichen Haftungsrisiko25 ausgesetzt, falls er die Eintragung der angefochtenen Maßnahme verfügt26. Dieser Gefahr wird er sich in der Regel nicht aussetzen und mithin die Eintragung aufschieben, bis über die Anfechtungsklage oder einen Freigabeantrag der AG i. S. d. § 246 a I AktG entschieden worden ist (faktische Registersperre). Aber selbst wenn er die Eintragung bewirkt, ist das Unternehmen einer Ungewissheit ausgesetzt, die zu einer praktischen Lähmung führen kann. Sollte die Anfechtungsklage erfolgreich, der Beschluss also fehlerhaft oder nichtig sein, wäre die Wirkung der Handelsregistereintragung im ungünstigsten Falle rückgängig zu machen. Bereits durchgeführte Vollzugsmaßnahmen müssten aufgehoben werden27. Angesichts dessen steht die Gesellschaft unter einem ← 4 | 5 → erheblichen wirtschaftlichen Druck: Zum einen kann sie die eintragungspflichtigen Beschlüsse wegen der infolge der Registersperre verursachten Verzögerung entweder nur noch zu deutlich teureren Bedingungen oder aber überhaupt nicht mehr umsetzen. Zum anderen entstehen ihr aufgrund der Klage Kosten in bedeutender Höhe hinsichtlich der aufgewendeten Zeit und des eingesetzten Personals28. Da Anfechtungsklagen die unternehmensinternen Ressourcen binden, stellen sie für jedes Management eine unerträgliche Blockade- und Hebelwirkung dar: Die Korporation, die unter dem Druck der zeitnahen Abwicklung einer Transaktion steht, kann es sich grundsätzlich nicht leisten, in einem langwierigen Prozess in bis zu drei Instanzen vor überlasteten Gerichten29 ein Urteil oder einen Freigabebeschluss zu erstreiten30. So liegt der für den Vorstand der betroffenen AG unter Kosten/Nutzen-Gesichtspunkten opportune Weg regelmäßig darin, die Anfechtungsklage gegen Zahlung einer bestimmten Geldsumme ← 5 | 6 → bzw. geldwerten Leistung vergleichsweise beizulegen oder deren Erhebung von vorne­herein zu vermeiden31.

2. Aktuelle Beispiele missbräuchlicher Anfechtungsklagen

a. IKB-Deutsche Industriebank AG (IKB)

Als ob die IKB nicht bereits durch die Querelen der Finanz- und Wirtschaftskrise genug gebeutelt worden wäre, war sie zusätzlich auch noch im Visier der Machenschaften räuberischer Aktionäre32. Diese erhoben Klagen beim LG Düsseldorf gegen einen im März 2008 gefassten Hauptversammlungsbeschluss, mit dem eine Kapitalerhöhung in Höhe von 1,5 Milliarden € genehmigt worden war. So sollte die Eintragung im Handelsregister verhindert und die Durchführung der Maßnahme gehemmt werden. Da eine Entscheidung der Jurisdiktion unter Umständen Jahre auf sich hätte warten lassen, die Kapitalspritze aber überlebensnotwendig war, reichte die IKB gleichsam beim LG Düsseldorf einen Antrag auf Freigabe des Hauptversammlungsbeschlusses ein. Mit Hilfe dieses Freigabeverfahrens nach § 246 a AktG, das als den Regeln der ZPO unterliegendes Eilverfahren sui generis ausgestaltet ist33, kann der im Anfechtungsprozess Beklagte möglicherweise wertvolle Zeit gewinnen. Geben die Richter dem Freigabebegehren statt, ist damit die Eintragung im Handelsregister irreversibel zementiert. Eine Rückgängigmachung ist dann ausgeschlossen, selbst wenn die Anteilseigner weiterhin prozessieren, vgl. § 246 a I, IV 2 AktG34. Am Ende kam es jedoch weder zu einem Urteil noch zu einem Freigabebeschluss: Vielmehr kaufte das Institut den Berufsopponenten die Anfechtungsklagen durch einen kostspieligen Vergleich ab, nachdem aufgrund der Blockade der Sanierungspläne mit Nachdruck über eine Insolvenz spekuliert worden war35.

b. Hypo- und Vereinsbank AG (HVB)/UniCredito Italiano S. p. A. (Unicredit)

Auch die HVB wurde einmal mehr Zielscheibe missbräuchlichen Anfechtungsgebaren, ging aber im Kampf gegen das Klagegewerbe in diesem Fall als Siegerin hervor. ← 6 | 7 → Ihre Hauptaktionärin Unicredit forderte gegen Gewährung einer Zahlung von 38,26 € pro Aktie die Übereignung der Anteile der restlichen Aktionäre der HVB. Deshalb sollten diese nach dem Beschluss der Hauptversammlung vom 26./27.06.2007 auf Unicredit übertragen werden (Squeeze out). Unter (dem aktienrechtlichen) Squeeze out gemäß §§ 327 a ff. AktG36 versteht man den zwangsweisen Ausschluss von Minderheitsaktionären aus einer AG oder KGaA gegen Barabfindung zugunsten eines mit 95% des Grundkapitals beteiligten Hauptaktionärs. Dieser wird mit der Eintragung des Übertragungsbeschlusses im Handelsregister nach § 327 e III AktG zum Alleinaktionär, sodass die Haupt- zur Vollversammlung wird und Minderheitenschutz mangels Minderheit entfällt37. Der Beschluss wurde später von 125 Kleinaktionären mit Anfechtungs- und Nichtigkeitsklagen beim LG München I angegriffen. Aus diesem Grund leitete das Unternehmen dort am 07.12.2007 ein Freigabeverfahren nach §§ 319 VI, 327 e II AktG ein. In beiden Fällen kam es aber nicht zu einem folgenschweren Vergleich, sondern zu einem richterlichen Urteil bzw. Beschluss zugunsten der Gesellschaft. Im Eilverfahren gab das Landgericht München I mit Beschluss vom 24.04.2008 dem Freigabeantrag statt, indem es feststellte, dass die erhobenen Klagen einer Eintragung ins Handelsregister nicht entgegenstünden38. Auch die dagegen eingereichten – nach damaligem Recht noch möglichen – sofortigen Beschwerden i. S. d. §§ 319 VI 6, 327 e II AktG a. F. i. V. m. § 567 I ZPO zum OLG München, mit denen die Anteilseigner angebliche Mängel bezüglich der Angaben zur Stimmrechtsausübung durch Bevollmächtigte in der Ladung zur Hauptversammlung rügten, blieben ohne Erfolg. Denn das OLG München befand sie mit Beschluss vom 03.09.2008 als in der Sache unbegründet39. Im Hauptsacheverfahren konstatierte das LG München I mit seinem Urteil vom 28.08.2008 die Rechtmäßigkeit des Hauptversammlungsbeschlusses vom 26./27.06.200740, was in der Berufung vom OLG München mit Beschluss vom 27.08.2009 bestätigt wurde41. So wies das LG München I sämtliche Klagen ← 7 | 8 → mangels eindeutiger, schwerwiegender Pflicht- oder Gesetzeswidrigkeit als unbegründet ab42. Die auf Aktienrecht spezialisierte 5. Kammer für Handelssachen musste sich in ihrer 243 Seiten umfassenden Entscheidung mit sämtlichen Aspekten auseinandersetzen, die nach Meinung der Minderheitsaktionäre der Wirksamkeit des Squeeze out-Beschlusses entgegenstanden. Die Rügen bezogen sich auf einzelne Punkte des gesamten Verfahrensablaufs, angefangen mit den vorbereitenden Vorstands- und Aufsichtsratsbeschlüssen über Bewertungsgutachten bis hin zur Vorbereitung und Durchführung der Hauptversammlung einschließlich der dabei zu beachtenden Förmlichkeiten. Darüber hinaus hielten die Kleinaktionäre den Beschluss auch deshalb für rechtsmissbräuchlich, weil der Vorstandssprecher der HVB auf der Hauptversammlung im Oktober 2006 bereits einen Squeeze out angekündigt hatte, obwohl Unicredit damals noch nicht über 95% der Anteile verfügte. Hinzu kam außerdem die Anschuldigung der Anteilseigner, man habe ihnen den wahren Wert der Beteiligung der HVB an der Bank Austria verschwiegen, deren Verkauf an Unicredit für 12,52 Milliarden € im Oktober 2006 beschlossen worden war43. Ferner bemängelten sie zusätzlich zu der Entlastung der Vorstands- und Aufsichtsratsmitglieder einen schriftlichen Bericht der Großaktionärin zu den Voraussetzungen der Übertragung, in dem die Angemessenheit der Barabfindung erläutert und begründet worden war.

c. Leica Camera AG (Leica)

Daneben fiel Leica einem Angriff der Klagespezies zum Opfer. Der Kamerahersteller konnte sich in jüngster Vergangenheit nicht von der Börse verabschieden, weil sich dem widerspenstige Kleinaktionäre widersetzt hatten44. Da es den rechtzeitigen Einstieg in die Digitalfotografie versäumt hatte, kämpfte das Unternehmen seit Jahren mit wirtschaftlichen Schwierigkeiten. Daher strebte es aus Kosten-Nutzen-Gründen ein echtes bzw. reguläres Delisting an. Dabei handelt es sich um den vollständigen Rückzug vom regulierten Handel durch Widerruf der Börsenzulassung, den die Zulassungsstelle durch Verwaltungsakt auf Antrag der Emittentin ausspricht, § 39 II BörsG. Der Antrag muss durch Beschluss der Hauptversammlung gebilligt werden. Zudem ist den unter Umständen austretenden Aktionären ein Abfindungsangebot zu unterbreiten45. Auf der Hauptversammlung am 20.11.2007 beschloss das Organ die ← 8 | 9 → dauerhafte Einstellung der Börsennotiz sowie einen Squeeze out zugunsten der damaligen Mehrheitseigentümerin ACM zwecks Übernahme der gesamten Gesellschaft. Dies sollte gegen Gewährung einer Barabfindung von 12,15 € je Stückaktie geschehen. Wäre die ACM Alleingesellschafterin geworden, hätte sie den Börsenabgang aus eigenem Antrieb, also ohne Zustimmung der Hauptversammlung, bewirken können. Dem erwehrten sich 15 Minderheitsaktionäre durch Anfechtungs- und Nichtigkeitsklagen beim LG Frankfurt am Main. Aus dem Grund wirkte Leica am 15.02.2008 beim selben Gericht auf ein Freigabeverfahren i. S. d. §§ 319 VI, 327 e II AktG hin. Doch sowohl im Rechtsstreit der Eil- als auch der Hauptsache unterlag das Unternehmen. Das LG Frankfurt am Main wies mit seinem Beschluss vom 04.04.2008 den Freigabeantrag zurück, was einer schnellen Eintragung im Handelsregister entgegenstand46. Auf die – nach der alten Rechtslage noch statthafte – sofortige Beschwerde der Gesellschaft nach §§ 319 VI 6, 327 e II AktG a. F. i. V. m. § 567 I ZPO bestätigte das OLG Frankfurt am Main durch Beschluss vom 15.07.2008 die Entscheidung der Vorinstanz47. Weil der Vorsitzende Richter des Hauptsachegerichts LG Frankfurt am Main angekündigt hatte, dass er die Maßnahmen der Hauptversammlung für nicht rechtmäßig halte48, beugte Leica sich dem Druck der Klagen und ließ sich zu Vergleichsverhandlungen bewegen. Eine gütliche Streitbeilegung scheiterte aber am 05.08.2008 an der fehlenden Vollmacht eines der Aktionärsanwälte49. Ein weiterer Vergleichsversuch schlug am 22.08.2008 fehl, als die Korporation die Gespräche über die Zwangsabfindung mangels Einigung mit den Klägern und aufgrund der unkalkulierbaren Risiken dieses Rechtsstreits endgültig abbrach50. Ein darauf folgendes Anerkenntnis der Beklagten am 25.08.2008 konnte seitens des LG Frankfurt am Main nicht mehr berücksichtigt werden. Die mündliche Verhandlung war bereits am 04.08.2008 geschlossen worden und eine Wiedereröffnung i. S. d. § 156 ZPO nicht geboten. Dementsprechend erklärte das Gericht durch streitiges Urteil vom 26.08.2008 die Hauptversammlungsbeschlüsse wegen sämtlicher Formfehler für nichtig, mindestens aber für anfechtbar51. Damit ← 9 | 10 → gab es den Anteilseignern Recht. Diese hatten vorgebracht, Leica habe in der Ladung zur Aktionärsversammlung am 20.11.2008 zu Unrecht für die Stimmrechtsvertretung im Allgemeinen die Übergabe einer schriftlichen Vollmachtsurkunde an sich selbst verlangt. Ferner hatten sie das Abweichen der Beschlussfeststellung vom zugrundeliegenden Vorschlag gerügt52. Infolgedessen nahm der Kamerahersteller die aufwendige Börsennotierung weiterhin in Kauf.

II. Betriebs- und volkswirtschaftliche Bedeutung missbräuchlicher Anfechtungsklagen – Auswirkungen in der Gesellschaftspraxis53

Die Beschlussanfechtung ist kein unbedeutender Nebenkriegsschauplatz des Kapitalgesellschaftsrechts, sondern wesentlicher Bestandteil der deutschen Aktienkultur. Es gibt heute kaum einen wichtigen Strukturbeschluss, der nicht von mehreren Minderheitsaktionären angefochten wird54. Diese Problematik tangiert nicht mehr nur ← 10 | 11 → die großen (DAX-)Unternehmen. Vielmehr sind immer häufiger kleinere und mittlere Betriebe davon betroffen55.

1. Betriebswirtschaftliche Konsequenzen

Das in der Anfechtungsklage schlummernde Missbrauchspotential bedroht die betriebswirtschaftliche Unternehmenspolitik der betroffenen Aktiengesellschaften. Das Unheil rührt nicht in erster Linie aus dem finanziellen Prozesskostenrisiko her. Bedeutsamer ist in der Regel sowohl die durch die Verzögerung der Beschlussumsetzung erzeugte Störung der Unternehmens- und Konzernentwicklungsplanung, als auch die adminis­trative und somit kostenmäßige Belastung der beklagten Aktiengesellschaft infolge der hausinternen Begleitung des Anfechtungsprozesses. Die Beauftragung einer Kanzlei mit der Abwehr der Rechtsbehelfe bedeutet keineswegs, dass die beklagte Gesellschaft und ihre Rechtsabteilung von der Last der Prozessführung völlig befreit wären. Die Kooperation bei der Klärung von Sachverhaltsfragen, die Beschaffung geeigneter Beweismittel und nicht zuletzt auch die Mitwirkung bei der Entwicklung der rechtlichen Verteidigungsstrategie binden vielmehr ganz erhebliche unternehmensinterne Ressourcen, die aufgrund dessen nicht anderweitig produktiv eingesetzt werden können56.

2. Volkswirtschaftliche Konsequenzen

Die allgegenwärtige Präsenz der räuberischen Aktionäre benachteiligt aber nicht nur die Firmen, sondern schwächt die gesamte Volkswirtschaft. Dies führt zu einer Abwertung des Wirtschaftsstandorts Deutschland57. Das zeigt sich insbesondere bei Unternehmenskäufen und -zusammenschlüssen.

← 11 | 12 →

Mergers and Acquisitions (M & A) werden entweder durch Barmittel finanziert oder als Share-for-Share-Transaktionen abgewickelt. In letzterem Fall besteht die Gegenleis­tung der erwerbenden Gesellschaft ganz oder teilweise aus ihren Aktien58. Zur Durchführung dieses Modells eignen sich zum einen die Sachkapitalerhöhung nach §§ 183 ff. AktG unter Ausschluss des Bezugsrechts der übrigen Aktionäre gemäß § 186 AktG. Hier zeichnet der übertragende Inferent für sein eingelegtes Unternehmen Aktien der erwerbenden Gesellschaft. Zum anderen bieten sich die Verschmelzung i. S. d. §§ 2 ff. UmwG und die Abspaltung zur Aufnahme nach §§ 123 II Nr. 1, 126 ff. UmwG an.

a. Sachkapitalerhöhung gemäß §§ 183 ff. AktG

Ordentliche Sachkapitalerhöhungen kommen bei gelisteten Aktiengesellschaften in Deutschland sehr selten vor. Das hängt damit zusammen, dass die rechtlichen Risikofaktoren wenig kalkulierbar sind59. Für die bisherigen Anteilseigner der erwerbenden Gesellschaft entsteht dadurch, dass die durch die Kapitalerhöhung neu entstandenen Aktien als Akquisitionswährung eingesetzt werden, die Gefahr einer vermögensmäßigen Verwässerung ihrer Beteiligung infolge der Überbewertung des Vermögens des übertragenden Rechtsträgers60. Wollen sie sich dagegen zur Wehr setzen, müssen sie den Kapitalerhöhungsbeschluss i. S. d. §§ 183 ff. AktG nach § 255 II AktG analog61 i. V. m. §§ 243 ff. AktG anfechten. Das Spruchverfahren hingegen steht für Bewertungsrügen nicht zur Verfügung, sodass die Aktionäre der erwerbenden Gesellschaft allein auf die Anfechtungsklage angewiesen sind, argumentum e contrario ex § 1 Nr. 4 SpuchG62. Neben den ungewissen Rechtsfolgen bei Erfolg dieser Anfechtungsklagen63 wird die Gefahr, dass sie die gesamte Transaktion selbst im Falle ihrer Unbegründetheit über Jahre hinweg blockieren, seitens der Unternehmen als zu groß eingeschätzt. Da­ran ändert auch das Freigabeverfahren gemäß § 246 a AktG nichts. Denn gerade in Bezug auf Bewertungsrügen werden die Aussichten, den Hauptversammlungsbeschluss mit Hilfe des Freigabeverfahrens ins Handelsregister eintragen zu lassen, traditionell als gering angesehen64.

← 12 | 13 →

b. Verschmelzung gemäß §§ 2 ff. UmwG und Abspaltung zur Aufnahme gemäß §§ 123 II Nr. 1, 126 ff. UmwG

Bei der Verschmelzung nach §§ 2 ff. UmwG und der Abspaltung zur Aufnahme i. S. d. §§ 123 II Nr. 1, 126 ff. UmwG treten die gleichen Probleme und Risiken wie im Falle der Sachkapitalerhöhung gemäß §§ 183 ff. AktG zu Tage. Auch hier besteht für die Aktionäre der erwerbenden Gesellschaft die Gefahr der vermögensmäßigen Verwässerung ihres Anteilsbesitzes, der sie ausschließlich mit der Anfechtungsklage begegnen können. Die Möglichkeit zu ihrer Erhebung folgt aus § 14 II UmwG, wonach nur die Klage gegen die Wirksamkeit des Hauptversammlungsbeschlusses des übertragenden Rechtsträgers ausgeschlossen ist65. Das Spruchverfahren kommt dagegen nicht in Frage, Umkehrschluss sowohl aus § 15 UmwG als auch aus § 1 Nr. 4 SpruchG66. Demgegenüber können die Anteilseigner der übertragenden Gesellschaft die Bewertungsrüge gemäß §§ 14 II, 15 UmwG nur im Wege des Spruchverfahrens überprüfen lassen, nicht aber in Gestalt der Anfechtungsklage. Ebendies gilt auch über § 125 S. 1 UmwG für die Abspaltung zur Aufnahme nach §§ 123 II Nr. 1, 126 ff UmwG. Sie entspricht der aufnehmenden Verschmelzung für den Fall, dass der übertragende Rechtsträger einen Teil seines Vermögens – wie beispielsweise einen bestimmten Geschäftsbereich – auf den übernehmenden Rechtsträger überführen will67.

c. Folgen für Unternehmenskäufe und -zusammenschlüsse

Es fällt auf, dass Unternehmenskäufe und -zusammenschlüsse durch deutsche Aktiengesellschaften im internationalen Vergleich nur selten als Share-for-Share-Transaktionen ausgestaltet werden68. Stattdessen erfolgt die Akquisitionsfinanzierung fast immer durch Barzahlung des Kaufpreises69. Im Gegensatz dazu bietet sich im Ausland ein völlig anderes Bild. Dort und insbesondere im angelsächsischen Raum werden großangelegte M & A-Geschäfte regelmäßig in Gestalt von Share-for-Share-Transaktionen durchgeführt, soweit sie nicht durch Finanzinvestoren begleitet werden.

Die Barzahlung im Rahmen einer Übernahme hat aber völlig andere ökonomische Auswirkungen als die Emittierung von Aktien durch das erwerbende Unternehmen. Die daraus resultierenden Konsequenzen für Aktiengesellschaften „made in Germany“ sind gravierend und führen letztendlich zu einer Umschiffung der Unannehmlichkeiten deutschen Aktienrechts durch Flucht ins Ausland.

← 13 | 14 →

aa. Hoher Bedarf an Fremdkapital

Will der Käufer seine Gegenleistung in bar erbringen, benötigt er Geld. Dazu muss er sich in der Regel zunächst massiv verschulden, um nach der Übernahme seine Bilanzstruktur wieder zu glätten. Die Darlehen reichen aber des Öfteren nicht aus, sodass er nur über den Verkauf von Unternehmensteilen weiterhin liquide bleibt70. Wenn die Transaktion jedoch nicht zu den erhofften strategischen Vorteilen führt oder sich im Nachhinein der ausgehandelte Preis als zu hoch erweist, ist das neu formierte Rechtsgebilde wegen der starken Fremdfinanzierung wirtschaftlich geschwächt. Da­raus resultiert die Gefahr eines wirtschaftlichen Abschwungs oder unvorhergesehener operativer Probleme. Demgegenüber wird die erwerbende Gesellschaft im Falle der Bezahlung in Aktien nicht in Mitleidenschaft gezogen, da ihr Verschuldensgrad infolge der andersgelagerten Finanzierung des Geschäfts nicht erhöht und die Eigenkapitalquote nicht gemindert wird71.

bb. Schlechtere Marktkapitalisierung

Eine weitere Folge einer Übernahme gegen Cash zeigt sich darin, dass Eigenkapital und Börsenkapitalisierung des Käuferunternehmens deutlich geringer ausfallen als im Falle einer Share-for-Share-Transaktion. Unter Börsenkapitalisierung versteht man die Summe des Börsenwerts der Aktien einer Gesellschaft, die grundsätzlich ganz erheblich über deren Grundkapital liegt72. Beim Erwerb gegen Ausgabe von Anteilen erhöht sich die Marktkapitalisierung im Grundsatz um den Wert des Taget, im Hinblick auf dessen Übernahme ja gerade neue Aktien ausgegeben werden. Das bilanzielle Eigenkapital wird erhöht. Im Vergleich dazu verändert sich die Marktkapitalisierung des Käufers bei vollständiger Barzahlung hingegen nicht. Er erhält mit der Beteiligung an der Zielgesellschaft zwar einen zusätzlichen Aktivposten, reduziert dadurch aber gleichzeitig sein Eigenkapital bzw. erhöht seine Verbindlichkeiten gegenüber Kreditinstituten. In bilanzieller Hinsicht erschöpft sich die Maßnahme in einem Aktivtausch (Hingabe eigener Barmittel) oder in einer Bilanzverlängerung (Erhöhung von Fremdverbindlichkeiten). Das bilanzielle Eigenkapital bleibt jedoch unangetastet73.

Fakt ist, dass ein Aktientausch tendenziell zu einer höheren Marktkapitalisierung führt und in volkswirtschaftlicher Hinsicht die Entwicklung nationaler Champions erleichtert74. Unter den 500 wertvollsten Aktiengesellschaften der Welt, gemessen an ihrer Börsenkapitalisierung (Financial Times Global 500 June 2012 ← 14 | 15 → vom 29.06.201275), liegt mit Siemens das erste deutsche Unternehmen auf Platz 6776. Nicht nur 33 US-amerikanische und neun chinesische77 Korporationen rangieren vor Deutschlands Nummer eins. Vielmehr wird sie auch von Aktiengesellschaften aus den europäischen Nachbarländern Großbritannien, Schweiz, Belgien, Frankreich, den Niederlanden und Italien von den vorderen Rankings nach hinten verdrängt78. Anlass zur Sorge bereitet insbesondere die Beobachtung, dass ausländische Wettbewerber an deutschen Unternehmen gerade in den Branchen vorüberziehen, in denen Deutschland seit jeher traditionell stark vertreten ist. Das betrifft beispielsweise die Chemie- und Pharmaindustrie sowie den Handel79.

cc. Grenzüberschreitende Transaktionen

Eine grenzüberschreitende Unternehmensverlagerung dient in Zeiten der Globalisierung und der zunehmend arbeitsteiligen Wirtschaft der ständigen Optimierung der Firmenstruktur. So nähern sich international tätige Konzerne mit der Übernahme oder der Fusion ausländischer Gesellschaften ihren Kunden oder erschließen sich mit einer Präsenz vor Ort neue rendite- und wachstumsstarke Zukunftsmärkte jenseits der Landesgrenzen. Infolge von Cross-Boarder-Transaktionen lassen sich häufig Produktions- und Standortvorteile in einem ausländischen Staat nutzen, etwa weil dort das Lohnniveau niedriger ist oder aus sonstigen Gründen effizienter und kostengünstiger produziert werden kann. Dadurch wird das jeweilige Produkt ← 15 | 16 → billiger, was es im Vergleich zu ähnlichen Sparten wettbewerbsfähiger macht80. Eine erhebliche Bedeutung bei der Standortanalyse bezüglich In- oder Ausland wird mitunter der Frage beigemessen, ob die Gegenleistung durch die übernehmende Aktiengesellschaft als Barfinanzierung oder Aktientausch ausgestaltet werden soll. Im Rahmen von grenzüberschreitenden Konsolidierungen spricht deshalb einiges dafür, denjenigen als Erwerber auftreten zu lassen, der den Kaufpreis in Aktien der eigenen Gesellschaft begleichen kann81. Das deutsche Aktienrecht unterstützt somit tendenziell die Verlagerung von Unternehmenszentralen nach grenzüberschreitenden Übernahmen ins Ausland und begründet dementsprechend einen echten Wettbewerbsnachteil gegenüber der internationalen Konkurrenz82. Folge ist, dass eine ehemals selbständige deutsche Aktiengesellschaft zur Tochter eines ausländischen Mutterunternehmens fungiert83, wobei erstere ihren Sitz nicht verlegen und auch nicht aufgelöst werden muss84. Es entsteht keine Einheitsgesellschaft, sondern eine Konzern- oder Holdingstruktur85.

dd. Verschmelzungen

(1) Inländische Verschmelzungen

Wie bereits beschrieben können die Aktionäre des erwerbenden Unternehmens die Bewertungsrüge mit Hilfe der Anfechtungsklage geltend machen, während hingegen die Anteilseigner der Zielgesellschaft auf das Spruchverfahren angewiesen sind, §§ 14 II, 15 UmwG. Um der Gefahr der Anfechtung durch die Aktionäre des Übernehmers zu entkommen, behilft sich die Praxis bei rein deutschen Verschmelzungen damit, eigens für den Zweck der Umwandlung eine Obergesellschaft („NewCo“) zu errichten, auf die dann alle beteiligten Partner verschmolzen werden. Das begründet den Vorteil, dass beide Parteien als übertragende Rechtsträger auftreten und die Beteiligung einer übernehmenden Gesellschaft mit außenstehenden Aktionären gerade vermieden ← 16 | 17 → wird86. Die hierdurch verursachten Mehrbelastungen, wie insbesondere die auf den gesamten Grundbesitz beider Unternehmen anfallende Grunderwerbssteuer, werden im Interesse einer höheren Vollzugssicherheit dafür in Kauf genommen87.

(2) Grenzüberschreitende Verschmelzungen

Grenzüberschreitende Verschmelzungen deutscher Kapitalgesellschaften mit anderen Unternehmen aus der EU dienen ebenso wie Cross-Boarder-Transaktionen dazu, sich im europäischen Binnenmarkt und im internationalen Vergleich zu behaupten. Deshalb schuf die EU mit der 10. Richtlinie 2005/56 EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 26. Oktober 2005 über die Verschmelzung von Kapitalgesellschaften aus verschiedenen Mitgliedstaaten88 einen Rechtsrahmen zur grenzüberschreitenden Fusion von Kapitalgesellschaften89. Nach Art. 4 I b, II der Richtlinie 2005/56/EG unterliegen die Formalitäten, die Vorschriften zum Schutze der Gläubiger, Minderheitsgesellschafter, Anleihegläubiger und Arbeitnehmer sowie die Befugnisse des Landes, die Umwandlung aus Gründen des öffentlichen Interesses zu verbieten, dem Recht des Mitgliedstaats des jeweiligen Fusionspartners. Demgegenüber richtet sich das Verfahren betreffend die übernehmende bzw. neue Gesellschaft nach dem Recht des EU-Staates, in dem sie in ein öffentliches Register eingetragen wird, vgl. Art. 12, 13 der Richtlinie 2005/56/EG und jetzt § 122 l UmwG. Durch das Zweite Gesetz zur Änderung des Umwandlungsgesetzes vom 19. April 200790 wurde die Richtlinie 2005/56/EG in deutsches Recht transformiert und mit den §§ 122 a ff. UmwG ein neuer Abschnitt in das UmwG eingefügt, der erstmals eine spezifische gesetzliche Grundlage für grenzüberschreitende Fusionen von Kapitalgesellschaften bietet91. Das Dritte Gesetz zur Änderung des Umwandlungsgesetzes ← 17 | 18 → vom 11. Juli 201192 nahm – in Umsetzung der Richtlinie 2009/109/EG des Euro­päischen Parlaments und des Rates vom 16. September 2009 zur Änderung der Richtlinien 77/91/EWG, 78/855/EWG und 82/891/EWG des Rates sowie der Richtlinie 2005/56/EG hinsichtlich der Berichts- und Dokumentationspflicht bei Verschmelzungen und Spaltungen93 – eine geringfügige Modifizierung vor94. Insbesondere kleine und mittlere Korporationen können seither wesentlich leichter über Landesgrenzen hinweg Kooperationen eingehen und Umstrukturierungen vornehmen, was bis dato lediglich auf Umwegen möglich und aufgrund des Aufwandes und der Kos­ten oft nur für Großunternehmen attraktiv war95. Nach § 122 a II UmwG finden die §§ 14 II, 15 UmwG auch im Rahmen der grenzüberschreitenden Verschmelzung Anwendung: Es ist wiederum nur den Aktionären der übernehmenden Gesellschaft gestattet, Bewertungsfragen mit der Anfechtungsklage zu rügen, wohingegen den Anteilseignern des Taget unter den Bedingungen des § 122 h UmwG die Möglichkeit des Spruchverfahrens eröffnet wird. Infolge des bei einer Fusion auf die deutsche Gesellschaft deutlich erhöhten Vollzugsrisikos spricht dementsprechend viel dafür, die Verschmelzung auf den ausländischen Partner zu präferieren und das inländische Unternehmen, „das sich den ausländischen Mantel überstreift“ und fortan unter dem Gesellschaftsstatut dieses Staates fungiert96, erlöschen zu lassen97.

ee. Zusammenschluss deutscher und ausländischer Gesellschaften zur Europäischen Aktiengesellschaft (Societas Europaea oder SE)

Die unbeabsichtigte Unterstützung des Gesetzgebers hinsichtlich des Ausverkaufs deutscher Aktiengesellschaften tritt zudem beim Zusammenschluss in- und ausländischer ← 18 | 19 → Unternehmen zur Europäischen Aktiengesellschaft98 zu Tage. Bei dieser – auch als Societas Europaea oder SE bezeichnet99 – handelt es sich um eine eigenständige supranationale Rechtsform für Kapitalgesellschaften, die in allen Mitgliedstaaten der EU gleichermaßen etabliert werden kann. Sie ist Körperschaft, juristische Person, Kapitalgesellschaft und Formkaufmann und bedarf eines Mindestgrundkapitals von 120.000 €, Art. 1, 4 der Verordnung (EG) Nr. 2157/2001 des Rates vom 8. Oktober 2001 über das Statut der Europäischen Gesellschaft (SE) (im Folgenden SE-Verordnung)100. Ferner steht ihr der Zugang zum Kapitalmarkt offen101. Die Arten ihrer Gründung sind im Numerus clausus des Art. 2 f. und der Art. 17 ff. der SE-Verordnung abschließend aufgezählt; gemeinsame Regeln finden sich in Art. 11 bis 16 der SE-Verordnung102. Außerdem kann die Gesellschaftsform nur von bestimmten, bereits bestehenden Unternehmen gewählt werden, wobei diese im Fall der primären103 Gründung einer SE in mindestens zwei unterschiedlichen Mitgliedstaaten liegen müssen, Art. 2 I bis IV der SE-Verordnung (Erfordernis der Mehrstaatlichkeit)104. Zur Errichtung stehen die Verschmelzung, die Gründung einer Holding- oder Tochter-SE, die Umwandlung einer bestehenden Aktien­gesellschaft und die Sekundärgründung zur Verfügung105.

← 19 | 20 →

Die Einführung dieses Rechtsinstituts ermöglicht es europaweit agierenden Unternehmen, jenseits der Ländergrenzen zu einer einheitlichen Gesellschaft zu konsolidieren106. Sie können sich insoweit anstelle des bisher erforderlichen kosten- und zeitintensiven Aufbaus einer Holding- oder Konzernstruktur, für die differierende nationale Normen gelten, einer einzigen, flexibel einsetzbaren Rechtspersönlichkeit bedienen107. Ihnen werden hierdurch im internationalen Wettbewerb wirtschaftliche Vorteile zuteil108. Hinzu kommt ein einheitlicheres, eindrucksvolleres Auftreten am Markt und die Überwindung psychologischer Hemmnisse bei der Zusammenlegung von Unternehmen verschiedener Herkunft109. Des Weiteren besteht die aus deutscher Sicht einzige Möglichkeit, den Satzungssitz einer einmal errichteten SE identitätswahrend – also in Gestalt eines bloßen Formwechsels110 – in einen anderen Mitgliedstaat zu verlegen, Art. 7 f., 64 der SE-Verordnung111. Schließlich kann die bereits existierende ← 20 | 21 → Europa-AG im Wege einer grenzüberschreitenden Fusion umstrukturiert werden, Art. 3 I, 2 I, 17 ff. der SE-Verordnung112. Zudem haben die Firmen die Wahl zwischen zwei verschiedenen Leitungssystemen113: Zum einen steht ihnen das u. a. in Deutschland gesetzlich verankerte dualistische Modell mit einer Trennung von Vorstand und Aufsichtsrat zur Verfügung, zum anderen das etwa in Großbritannien und Frankreich geltende monistische Board- oder Verwaltungsratssystem, Art. 38 b, 39 ff. der SE-Verordnung 114. Ferner dürfen in einer Europäischen Aktiengesellschaft von den zwingenden deutschen Mitbestimmungsgesetzen abweichende Regelungen über die Unternehmensmitbestimmung getroffen werden115.

Rechtsgrundlage der Societas Europaea ist die genannte Rechtsverordnung sowie eine ergänzende Richtlinie zur Arbeitnehmerbeteiligung116. Die SE-Verordnung gilt zwar unmittelbar, enthält jedoch keine vollständigen Bestimmungen, sondern verweist für die nicht reglementierten Bereiche auf das Statut des Sitzstaates der Gesellschaft, Art. 9 I c) i) der SE-Verordnung117. Soweit weder in den vorrangigen europäischen Normen noch in den speziellen nationalen Gesetzen etwas Abweichendes geregelt ist, gelten die Vorschriften des Mitgliedstaates, die auf eine nach dem Recht des Sitzstaats der SE gegründete Aktiengesellschaft anwendbar wären, Art. 9 I c) ii) der SE-Verordnung118. Das hat zur Folge, dass einerseits jedes EU-Mitglied eigene ← 21 | 22 → Ausführungsnormen erlassen muss119 und andererseits die nationalen Aktiengesetze in wesentlichen Bereichen Anwendung finden. Um die Societas Europaea im deutschen Recht zu implementieren sind daher das Gesetz zur Ausführung der Verordnung (EG) Nr. 2157/2001 des Rates vom 8. Oktober 2001 über das Statut der Europäischen Gesellschaft (SE) (SE-Ausführungsgesetz - SEAG) vom 22. Dezember 2004 und das Gesetz über die Beteiligung der Arbeitnehmer in einer Europäischen Gesellschaft (SE-Beteiligungsgesetz – SEBG) vom 22. Dezember 2004, zusammengefasst im Gesetz zur Einführung der Europäischen Gesellschaft (SEEG) vom 22. Dezember 2004120, erlassen worden. Diesen kommt damit insoweit Vorrang vor dem AktG und dem HGB zu121. Wegen dieser Verweisung auf das nationale Sitzrecht anstelle einer vollständig europäischen Lösung, die bewirkt, dass das Recht der SE von Mitgliedstaat zu Mitgliedstaat nicht unerheblich variiert, wurde auch des Öfteren von einer Europäischen Aktiengesellschaft nationalen Rechts gesprochen122. Zwar überwiegen die Stimmen der Kritiker; allenfalls akzeptiert man, dass ein Mehr an Homogenität politisch nicht möglich war123. Dabei wird aber die aufgrund der geringeren Vereinheitlichungsdichte eröffnete Wahlfreiheit zwischen den verschiedenen Modellen einer AG übersehen, die einen für die beteiligten Unternehmen durchaus positiven Aspekt mit sich bringt: Bedenke man nur, dass Art. 24 II der SE-Verordnung i. V. m. § 6 SEAG mit (§ 122 a II UmwG i. V. m.) §§ 14 II, 15 UmwG korrespondieren, mithin bei Verschmelzungen124 allein die Aktionäre der übernehmenden Gesellschaft Bewertungsrügen im Rahmen der Anfechtungsklage geltend machen können. Demgegenüber besteht für die Anteilseigner des übertragenden Rechtsträgers unter den Voraussetzungen des Art. 25 III der SE-Verordnung ausschließlich die Möglichkeit ← 22 | 23 → des Spruchverfahrens. Vor diesem Hintergrund und der Tatsache, dass bei der Gründung einer SE ebenso wie bei einer grenzüberschreitenden Verschmelzung die übernehmende Gesellschaft schließlich in dem Land Rechtsgültigkeit erlangen wird, das das attraktivste aktienrechtliche Regelungswerk aufweist, sprechen auch hier die besseren Argumente dafür, den Sitz der neuen Europa-AG außerhalb Deutschlands zu begründen und die nationale Aktiengesellschaft auf das ausländische Unternehmen zu verschmelzen125. Folge davon ist das Erlöschen des deutschen übertragenden Rechtsträgers zugunsten einer SE ausländischen Rechts (vgl. u. a. Art. 3 I, 7, 10, 17 II 2, 3, 29 I c, II c der SE-Verordnung)126.

III. Reaktionen der Öffentlichkeit

Die Problematik des Missbrauchs aktienrechtlichen Anfechtungsrechts ist nicht neu. Dieses Phänomen geht bis ins 19. Jahrhundert zurück, spielte sich bisweilen aber vorwiegend im Verborgenen ab127. Erst als 1987 eine Flut aufsehenerregender Anfechtungsverfahren ihren Anfang nahm, wurde die Thematik in den Blick der Öffentlichkeit gerückt128 und hat seitdem an Bedeutung zugenommen129. Ab Mitte der achtziger Jahre wurden die Gerichte mit einem stetigen Anstieg von Klagen konfrontiert, der in keinem Verhältnis zur wachsenden Anzahl der Aktiengesellschaften an sich stand130. Dies spiegelte jedoch lediglich die „Spitze des Eisbergs“ wider131. Die Dunkelziffer hingegen verschließt sich nach wie vor den Augen der Allgemeinheit. Vor dem Hintergrund dieser Entwicklungen standen die umfassenden Arbeiten der wirtschaftsrechtlichen Abteilung des 63. Deutschen Juristentags (im Folgenden DJT) 2000 in Leipzig132, dessen ← 23 | 24 → Beschlüssen sich die im Mai 2000 eingesetzte Regierungskommission „Corporate Governance“ Unternehmensführung – Unternehmenskontrolle – Modernisierung des Aktienrechts unter der Führung von Theodor Baums später anschloss133. Damals stand eine grundsätzliche Überprüfung der Aktionärsklagen im deutschen Recht insgesamt und in allen erdenklichen Facetten im Lichte der Debatte, die ihren vorläufigen Abschluss im Gesetz zur Unternehmensintegrität und Modernisierung des Anfechtungsrechts (UMAG) vom 22. September 2005134 fand. Mit diesem Regelwerk wollte der deutsche Gesetzgeber sich der rasant vermehrenden Berufsopponenten erwehren, und der die Vergangenheit prägenden „Aktienrechtsreform in Permanenz“135 ein Ende bereiten136.

Nachdem dieses Vorhaben insofern misslungen war, als der erhoffte Effekt ausblieb und die räuberischen Aktionäre weiterhin unermüdlich ihr Werk vollführten137, legte die Legislative einige Jahre später das Gesetz zur Umsetzung der Aktionärsrechterichtlinie (ARUG) vom 30. Juli 2009138 vor. Auch hier bestand eine wesentliche Intention darin, rechtsmissbräuchliche Beschlussmängelrechtsbehelfe einzudämmen139. Obwohl die wirtschaftsrechtliche Abteilung des 2008 in Erfurt konferierenden 67. DJT, auf deren Tagesordnung eigentlich ein ganz anderes Sujet als das der Bekämpfung der Berufskläger stand140, zahlreiche Vorschläge zur Reformierung des Anfechtungsrechts ← 24 | 25 → unterbreitet hatte141, wurden diese im Gesetzgebungsverfahren zum ARUG vollends ignoriert. Anstatt die Beschlussmängelklage an sich zu modifizieren, begnügte man sich mit einer Überarbeitung des Freigabeverfahrens142, wodurch allerdings das Klagegewerbe im Ergebnis nicht unterdrückt werden konnte143. Schließlich wusste auch das im November 2010 als Gesetzesentwurf zur Änderung des Aktiengesetzes gestartete, später mit dem Zusatz Aktienrechtsnovelle 2012 versehene, im Juni 2013 vom Bundestag als Gesetz zur Verbesserung der Kontrolle der Vorstandsvergütung und zur Änderung weiterer aktienrechtlicher Vorschriften (VorstKoG) beschlossene und im September 2013 unmittelbar vor dem Ende der 17. Legislaturperiode gescheiterte Bestreben der Bundesregierung144 diesen unbefriedigenden Zustand nicht abzustellen.

1 Diese Begrifflichkeit wurde zuerst verwendet von Lutter, FS 40 Jahre Der Betrieb, 1988, 193, dann u. a. auch von Eppler, DB 1991, 1346; Hirschberger/Weiler, DB 2004, 1137; Jahn, BB 2005, 5.

2 Diese Bezeichnung geht wahrscheinlich zurück auf Hermann J. Abs, vgl. Boesebeck, AG 1963, 203.

3 Nach Waclawik, DStR 2006, 2177, 2178 ist der typische Anfechtungskläger Berufskläger und in dieser Eigenschaft „Geschäftsmann“. Jahn spricht im BB 2005, 5, 13 von einer „mafiaähnlichen Subkultur“ und in der FAZ vom 30.09.2007: „Geschäftsmodell der Berufskläger - Mafiöse Strukturen und schwarze Listen“ von „den Räubern“. Baums/Keinath/Gajek, ZIP 2007, 1629, 1631 = ILF Working Paper Nr. 65, S. 6, abrufbar unter http://www.ilf-frankfurt.de/ILF-Working- Papers.117.0.html, belegen die Herausbildung eines „Klagegewerbes“. Ein tabellarischer Überblick über die „Berufskläger“ findet sich bei Baums/Keinath/Gajek, a. a. O., S. 21 f., Tabelle 7, ferner bei Baums/Drinhausen/Keinath, ZIP 2011, 2329 ff. = ILF Working Paper Nr. 130, S. 31 ff., Tabelle 8, abrufbar unter http://www.ilf-frankfurt.de/ILF-Working-Papers.117.0.html. Seibert, NZG 2007, 841, 845 findet das Verhalten der Berufsopponenten „anwidernd“. Assmann, AG 2008, 208 verwendet auch den Ausdruck „Trojaner“, während Römer, AG 2008, 368 die Kläger als „Anfechtungsalligatoren“ betitelt. Goette, DStR 2009, 51, 56 redet hingegen vom „Aktionärs­piratentum“. Ähnlich, nämlich von „rustikalen Hauptversammlungs-Piraten“, die sich selbst als „Robin Hoods“, nicht aber als „dubiose Zockertruppe“ ansehen, weil sie doch einzig und allein dem Minderheitenschutz entsprechend ihre „Rechte als Aktionär“ wahrnehmen, berichtet Balzli, Der Spiegel vom 17.07.2006, S. 75: „Aktien - In der Hand der Piraten“. Kiefner, NZG 2009, 1019 f. wählt die einfache Bezeichnung „professionelle Aktionäre“. Volhard, AG 1998, 397, 400 rapportiert über „professionelle Dissidenten“. Habersack, Bucerius Law Journal 2009, 31 charakterisiert das Verhalten auf den Hauptversammlungen als „Rechtskulturschock“. Nach Priester, EWiR 2010, 235 werden die Berufsopponenten als „Landplage“ empfunden. Martens/Martens, AG 2009, 173 umschreiben den Aktionismus der räuberischen Aktionäre als „moderne Form der Wegelagerei“. Olgemöller, AG 2011, 547 porträtiert den räuberischen Aktionär als „Schreckgespenst des Aktienrechts“ und „Mutation des Kleinaktionärs“, der „nicht nur störende, sondern zerstörerische Aktivitäten“ entfaltet. Schulte, ZIP 2010, 1166 weist auf „eine inzwischen als „etabliert“ zu bezeichnende „Community“ von Berufsklägern“ hin. Helm/Manthey, NZG 2010, 415 erzählen von „klagefreudigen Aktionäre[n]“. Vgl. auch Oberhuber, FAZ vom 30.04.2012: „Geschäftsmodell: Klage – Räuberische Aktionäre“.

4 BGH, Urteil vom 22.05.1989 – II ZR 206/88, BGHZ 107, 296, 297, 311 = NJW 1989, 2689, 2692: „Kochs-Adler“; Jahn, BB 2005, 5; Schwintowski, DB 2007, 2695.

5 LG Frankfurt am Main, Urteil vom 02.10.2007 – 3–5 O 177/07, NZG 2007, 949 ff. Dazu Drinhausen/Keinath, BB 2007, 2539 f.; Hörmann, FD-MA 2007, 244884; Madaus, ZZP 124 (2011), 191 ff.; Peters, NZG 2007, 935 ff.; Teichmann, WuB IV A § 826 BGB 1.08; von Falkenhausen/Baus, ZIP 2007, 2037 ff. Kritisch Gesetzesentwurf des Bundesrates zur Einführung erst­instanzlicher Zuständigkeiten des Oberlandesgerichts in aktienrechtlichen Streitigkeiten vom 30.04.2008, BT-Drucksache 16/9020, S. 10 f.; Habersack/Stilz, ZGR 2010, 710, 726.

6 OLG Frankfurt am Main, Urteil vom 13.01.2009 – 5 U 183/07, NZG 2009, 222 ff. Dazu Ehmann, GWR 2009, 276647; Graßl/Prochnau, FD-MA 2009, 276874; Hollstein, jurisPR-HaGesR 2/2009 Anm. 3; Martens/Martens, AG 2009, 173 ff.; Peters, NZG 2009, 225 f.; Poelzig, DStR 2009, 1151 ff.; Siebert, FD-HGR 2009, 274577; Wagner, ZSteu 2011, 215 ff. Kritisch Habersack/Stilz, ZGR 2010, 710, 726; Helm/Manthey, NZG 2010, 415, 417.

7 BGH, Beschluss vom 10.08.2010 - VI ZR 47/09, NJW-Spezial 2010, 657. Dazu Göggelmann/Hegmann, FTD vom 31.08.2010: „Sittenwidrig“ - BGH bremst Berufskläger aus“; Heisse, BB 2010/38, Die erste Seite; Hohl, BB 2010, 2381; Peitsmeyer/Theusinger, EWiR 2010, 805 f.; Rezmer, Handelsblatt vom 01.09.2010: „Rechtsmissbrauch“ - BGH weist Berufskläger in die Schranken“.

8 Baums/Drinhausen, ZIP 2008, 145, 147 = ILF Working Paper Nr. 70, abrufbar unter http://www.ilf-frankfurt.de/ILF-Working-Papers.117.0.html.

9 Baums/Keinath/Gajek, ILF Working Paper Nr. 65, S. 19 ff.; Baums/Drinhausen/Keinath, ILF Working Paper Nr. 130, S. 29 ff.; Fahlbusch, FTD vom 30.07.2007: „Dossier: Geld oder Klage“.

10 Eine einzige Aktie genügt bereits.

11 Waclawik, DStR 2006, 2177, 2178. Nicht börsennotierte Unternehmen sind weniger von Berufsklägern betroffen. Gegen sie gerichtete Anfechtungsklagen werden insbesondere im Rahmen von Familienstreitigkeiten missbraucht. Nach Baums/Keinath/Gajek, ILF Working Paper Nr. 65, S. 23 f. und S. 50; Baums/Drinhausen/Keinath, ILF Working Paper Nr. 130, S. 37 werden respektive der gelisteten Gesellschaften typischerweise eher kleinere Korporationen verklagt. Dies könnte damit zusammenhängen, dass dort eher allgemeine oder auch provozierte Fehler unterliefen oder eventuell auch damit, dass hier für Berufskläger eine geringere Medienpublizität vorhanden sei.

12 Poelzig/Meixner, AG 2008, 196, 197.

13 Baums/Keinath/Gajek, ILF Working Paper Nr. 65, S. 27 f.; Baums/Drinhausen/Keinath, ILF Working Paper Nr. 130, S. 47 ff.

14 Vgl. Hüffer, AktG, § 245 Rn. 3; Lutter, ZGR 1978, 347, 349 f.; ders., AcP 180 (1980), 84, 143.

15 Poelzig/Meixner, AG 2008, 196, 197.

16 Vgl. Karkowski, Finance 2003, 86, 87; Seibert, NZG 2007, 841, 845.

Details

Seiten
XXIV, 702
Jahr
2014
ISBN (PDF)
9783653037814
ISBN (ePUB)
9783653994490
ISBN (MOBI)
9783653994483
ISBN (Hardcover)
9783631645796
DOI
10.3726/978-3-653-03781-4
Sprache
Deutsch
Erscheinungsdatum
2014 (Mai)
Schlagworte
Berufskläger Berufsopponent Anfechtungsrecht Gesellschaftsrecht Aktienrecht
Erschienen
Frankfurt am Main, Berlin, Bern, Bruxelles, New York, Oxford, Wien, 2014. XXIV, 702 S.

Biographische Angaben

Dagmar Mathieu (Autor:in)

Dagmar Julia Mathieu studierte Rechtswissenschaften an der Universität des Saarlandes. Zunächst war sie als Rechtsanwältin in einer großen Wirtschaftskanzlei im Gesellschaftsrecht tätig. Sie verfasste ihre Dissertation am Lehrstuhl für Bürgerliches Recht, Handels- und Wirtschaftsrecht, Internationales Privatrecht und Rechtsvergleichung, Institut für europäisches Recht an der Universität des Saarlandes und arbeitet heute in einem saarländischen Ministerium.

Zurück

Titel: Der Kampf des Rechts gegen erpresserische Aktionäre
book preview page numper 1
book preview page numper 2
book preview page numper 3
book preview page numper 4
book preview page numper 5
book preview page numper 6
book preview page numper 7
book preview page numper 8
book preview page numper 9
book preview page numper 10
book preview page numper 11
book preview page numper 12
book preview page numper 13
book preview page numper 14
book preview page numper 15
book preview page numper 16
book preview page numper 17
book preview page numper 18
book preview page numper 19
book preview page numper 20
book preview page numper 21
book preview page numper 22
book preview page numper 23
book preview page numper 24
book preview page numper 25
book preview page numper 26
book preview page numper 27
book preview page numper 28
book preview page numper 29
book preview page numper 30
book preview page numper 31
book preview page numper 32
book preview page numper 33
book preview page numper 34
book preview page numper 35
book preview page numper 36
book preview page numper 37
book preview page numper 38
book preview page numper 39
book preview page numper 40
728 Seiten