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Alcide De Gasperi und Konrad Adenauer

Zwischen Überwindung der Vergangenheit und europäischem Integrationsprozess (1945–1954)

von Tiziana Di Maio (Autor:in)
©2014 Monographie 395 Seiten

Zusammenfassung

Italien, Deutschland und die Beziehungen zueinander: Eine komplizierte, konfliktreiche Geschichte, deren Ursprünge weit zurückreichen. Aber auch eine Geschichte der Übereinstimmung, des guten Verhältnisses als Grundlage für ein neues Europa. Das Buch untersucht das Wirken der Gründungsväter der beiden Länder und des vereinten Europas für die Überwindung der damals noch frischen und in der wechselseitigen Betrachtung noch immer lebendigen Vergangenheit. Die Arbeit beleuchtet vor allem einen Aspekt, der in den diplomatischen Studien zur Wiederaufnahme der deutsch-italienischen Beziehungen nach dem Krieg und in den Untersuchungen über das Entstehen des europäischen Integrationsprozesses häufig vernachlässigt wurde: Die Haltung der italienischen Öffentlichkeit zur Wiederaufnahme diplomatischer Beziehungen mit dem post-nationalsozialistischen Deutschland sowie zur Präsenz der Bundesrepublik unter den Gründungsmitgliedern der ersten Gemeinschaftsinstitutionen.

Inhaltsverzeichnis

  • Cover
  • Titel
  • Copyright
  • Autorenangaben
  • Über das Buch
  • Zitierfähigkeit des eBooks
  • Inhaltsverzeichnis
  • Grußworte
  • Dr. Hans-Gert Pöttering MdEP: Vorsitzender der Konrad-Adenauer-Stiftung, Präsident des Europäischen Parlaments a. D.
  • S. E. Elio Menzione: Botschafter der Republik Italien in der Bundesrepublik Deutschland
  • Maria Romana De Gasperi
  • Vorwort
  • S. E. Luigi Vittorio Ferraris: Botschafter der Republik Italien a. D.
  • Einleitung
  • Tiziana Di Maio: Italien und Deutschland – Eine besondere Geschichte
  • 1. Kapitel: Italien und Deutschland unmittelbar nach der „Zäsur“
  • 1. Die Zäsur in den deutsch-italienischen Beziehungen: 1943–1945
  • 2. Erinnerung an die Okkupation
  • 3. Erste Eindrücke italienischer Diplomaten vom besetzten Deutschland
  • 4. Vom „Hard Peace“ zum „Soft Peace“: Die italienische Diplomatie und die Entwicklung der alliierten Deutschlandpolitik
  • 5. Italienische Befürchtungen gegenüber der französischen Deutschlandpolitik
  • 6. „Wer Deutschland hat, hat Europa“
  • 7. Alliierte Diskussionen über das Deutschlandproblem
  • 8. Italien und die Deutsche Frage zu Beginn des Kalten Krieges
  • 9. „In Richtung Abgrund“: Materielle und geistige Verfassung Deutschlands 1947
  • 10. „Ehemalige Komplizen in glücklicherer Position“
  • 11. Entwicklung der deutschen Italienpolitik
  • 2. Kapitel: Erste Kontakte zwischen italienischen und deutschen Christdemokraten
  • 1. Die Rolle Bayerns bei der Wiederherstellung der Beziehungen zwischen Italien und Deutschland
  • 2. Erste Eindrücke der bayerischen Christlich-Sozialen von der Lage Italiens
  • 3. Die Frage der „Kollektivschuld“
  • 4. Der Heilige Stuhl und die deutschen Christen zur Frage der „Kollektivschuld“
  • 5. Die „Schuldfrage“ und das post-nationalsozialistische Deutschland in den wichtigsten christdemokratischen und katholischen Presseorganen Italiens
  • 6. Erste Kontakte zwischen italienischen und deutschen Christdemokraten
  • 7. Endlich in Rom: „Italien gibt Deutschland die Hand“
  • 3. Kapitel: Die Democrazia Cristiana Alcide de Gasperis und die christlich-demokratische Union Konrad Adenauers
  • 1. Die Ursprünge der Beziehungen zwischen DC und CDU
  • 2. Die „Germanophilie“ von Pius XII
  • 3. Persönliche Kontakte zwischen italienischen und deutschen Christdemokraten
  • 4. Lina Morino, „trait d’union“ in der Ära De Gasperi
  • 5. Intensivierung der Beziehungen zwischen DC und CDU
  • 6. „ZumUnterricht bei der Democrazia Cristiana“
  • 7. De Gasperis Arbeit für die Intensivierung der bilateralen Beziehungen
  • 8. Alcide De Gasperi, Stabilitätsgarantie für die DC und die italienische Regierung
  • 9. Nach De Gasperi: Die deutsch-italienische Konferenz in Mailand
  • 4. Kapitel: Zusammenarbeit zur Überwindung der Vergangenheit
  • 1. Initiativen im besetzten Deutschland
  • 2. Die Deutsch-Italienische Gesellschaft
  • 3. Versuche der Zusammenarbeit im Bereich des Films
  • 4. Wahrung des deutschen Image im Ausland
  • 5. Die DC, die italienische Regierung und das Deutschlandbild in den fünfziger Jahren
  • 6. Anmerkungen zur Diskussion über das „Deutsche Wesen“
  • 7. Staatsraison und Modifikation der Erinnerung
  • 5. Kapitel: Italien und Deutschland aufs Neue „verbündet“: Die „Special-Relationship“ in den ersten Jahren des Aufbaus von Europa
  • 1. „Diplomatische Primate“ und gegenseitiges und internationales Misstrauen
  • 2. Alcide De Gasperi und die „special relationship“ in den ersten Jahren des Aufbaus von Europa
  • 3. „Der römische Freund“: Die Rezeption der Rolle De Gasperis in der Bundesrepublik Deutschland
  • Personenregister

← 8 | 9 → Grußworte

Dr. Hans-Gert Pöttering MdEP

Vorsitzender der Konrad-Adenauer-Stiftung Präsident des Europäischen Parlaments a. D.

Für Alcide De Gasperi und Konrad Adenauer war Europa nicht nur eine politische Vision, sondern eine „Notwendigkeit für alle“. Aus dieser Auffassung erwuchs ihr unermüdlicher Einsatz für die europäische Einigung. Zudem verband den Bundeskanzler der Bundesrepublik Deutschland und den italienischen Premierminister eine „aufrichtige Freundschaft“, wie Konrad Adenauer in seinen „Erinnerungen“ schreibt. Das Verhältnis zwischen Konrad Adenauer und dem fünf Jahre jüngeren Alcide De Gasperi war gekennzeichnet von gegenseitiger Wertschätzung und Vertrauen.

Frau Prof. Tiziana Di Maio zeigt in ihrer Arbeit „Alcide De Gasperi und Konrad Adenauer. Zwischen Überwindung der Vergangenheit und europäischem Integrationsprozess“ ein feines Gespür für die Einordnung dieser Freundschaft in den Kontext der deutsch-italienischen Beziehungen und legt gleichzeitig Grundtöne beider Mentalitäten offen. Die Veröffentlichung in deutscher Sprache fällt in ein ereignisreiches Jahr: Im August 2014 jährt sich der Tod Alcide De Gasperis zum 60. Mal. Zudem wird Italien nach den Europawahlen, in der zweiten Jahreshälfte die EU-Ratspräsidentschaft inne haben.

Ich wünsche mir, dass sowohl in Italien als auch in Deutschland in diesem Jahr das Bewusstsein für die Notwendigkeit des europäischen Integrationsprozesses gestärkt wird. Frau Prof. Tiziana Di Maios Buch kann ein Wegweiser hierfür sein, denn es zeigt, wie das Bekenntnis zweier Staatsmänner zu den unumstößlichen Werten von Frieden, Freiheit, Solidarität und Gerechtigkeit – gestärkt von einer persönlichen Freundschaft – dem Projekt Europa jenseits von Worthülsen eine ganz konkrete Gestalt verliehen hat.

Das Auslandsbüro Italien der Konrad-Adenauer-Stiftung arbeitet seit seiner Wiedereröffnung im Jahr 2008 eng mit der römischen Universität LUMSA und ihren Studierenden zusammen, um den deutsch-italienischen Dialog zu fördern. Diese Zusammenarbeit konnte nur dank des Einsatzes von Frau Prof. Tiziana Di Maio wachsen und zu einer zentralen Säule unserer Auslandsarbeit in Italien ← 9 | 10 → werden. Nicht nur Frau Prof. Di Maios Buch ist Ausdruck der besonderen Beziehung zwischen Deutschland und Italien, sondern auch ihre tagtägliche Arbeit in der Lehre leistet einen wertvollen Beitrag für die Zukunft des Europäischen Integrationsprozesses.

← 10 | 11 → S.E. Elio Menzione,

Botschafter der Republik Italien in der Bundesrepublik Deutschland

Die Veröffentlichung des Buches von Frau Prof. Dr. Tiziana Di Maio „Alcide De Gasperi e Konrad Adenauer. Tra superamento del passato e processo di integrazione europea (1945–1954)“ in deutscher Sprache stellt eine unter vielen Aspekten hochinteressante verlegerische Initiative dar.

In erster Linie bestätigt sie erneut die Qualität der wissenschaftlichen Arbeit von Frau Prof. Di Maio und im allgemeineren Sinn die Bedeutung der italienischen Historiographie im europäischen und internationalen Rahmen. Bemerkenswert ist auch die Zusammenarbeit der Konrad-Adenauer-Stiftung und der Università di Roma LUMSA bei der Realisierung der Publikation.

Besonders wichtig ist das Thema des Werkes nicht nur aus dem historischen Blickwinkel des Jahrzehnts, das im Mittelpunkt der Forschungsarbeit steht, sondern auch weil es uns zu den späteren Entwicklungen Italiens und Deutschlands als Protagonisten des neu entstandenen europäischen Nachkriegskontexts bis hin zur Aktualität unserer Tage führt. Im Titel selbst kommt die herausragende Rolle zweier außergewöhnlicher politischer Persönlichkeiten wie Alcide De Gasperi und Konrad Adenauer in der mittleren Phase des 20. Jahrhunderts sehr wirkungsvoll zum Ausdruck.

Das Jahrzehnt von 1945–1954 prägte eine Reihe entscheidender Entwicklungen für das weltweite Gleichgewicht. Mit dem Ende des Zweiten Weltkriegs hatte man noch keineswegs den Frieden erreicht. Vor allem in Europa waren die materiellen Ruinen Hintergrund für eine moralische und geistige Zerrissenheit. Sie war, um es mit den Worten De Gasperis zu sagen, das Erbe „dieser Wechselfolge von Aggressionen und Vergeltungen, Hegemoniebestreben, Gier nach Reichtümern und Raum, Anarchie und Tyrannei, die uns unsere ansonsten so ruhmreiche Geschichte hinterlassen hat“. So bedeutete die Überwindung der Vergangenheit abermals in Worten des italienischen Staatsmannes, „gegen jene Keime der Zerstörung und des Niedergangs, des gegenseitigen Misstrauens und der moralischen Zersetzung anzukämpfen“. Bei ihrer mühevollen Aufgabe, die Regierungen zweier Länder zu führen, die nach historisch relativ kurzen Wegen zur nationalen Einheit gelangt waren, die vom Krieg und den Diktaturen des Faschismus und Nationalsozialismus gebeugt, aber durch eine Reihe von Ähnlichkeiten verbunden waren, gelang es De Gasperi und Adenauer, Italien und Deutschland durch strategische Entscheidungen im Innern wie auch in der Außen- und internationalen Sicherheitspolitik vom Abgrund des Krieges und der Diktatur zum Beginn des großen europäischen Integrationsentwurfs zu führen.

← 11 | 12 → Das Zusammenwirken der christdemokratischen politischen Kräfte Italiens und Deutschlands, dem das Buch von Frau Prof. Di Maio besonderes Augenmerk schenkt, war das Substrat, auf dem die beiden Staatsmänner De Gasperi und Adenauer geduldig und weitblickend ihr Geflecht aus Kontakten, Beziehungen, diplomatischen Aktionen und internationalen Abkommen knüpfen konnten, das es beiden Ländern ermöglichte, zur Überwindung einer tragischen Vergangenheit zusammenzuarbeiten und als neuerliche „Verbündete“ den Weg zu den ersten wesentlichen Passagen des Prozesses der Versöhnung und späteren Wiedervereinigung Europas einzuschlagen.

Ich hoffe, dass die deutschsprachige Veröffentlichung dieser wertvollen Studie von Frau Prof. Di Maio vor allem jüngere Generationen den Wert der wegweisenden Entscheidungen der beiden großen Staatsmänner De Gasperi und Adenauer wiederentdecken lässt, die möglich wurden, weil sie die Interessen ihrer Länder mit den allgemeineren Interessen Europas und dem vollen Bekenntnis zu den Werten und Grundsätzen der fortgeschrittensten Demokratien zu verbinden wussten.

In der aktuellen wirtschaftlich und finanziell schwierigen Phase, in der sich Europa befindet und die mit dem Wiederauftauchen nationaler Ressentiments und Egoismen einher geht, ist es sinnvoller denn je, an das historische Vermächtnis De Gasperis und Adenauers und an den wesentlichen Beitrag Italiens und Deutschlands zur Sache des Friedens, der Solidarität und der europäischen Integration als Bezugspunkt für all jene, ob Bürger, Gelehrte oder institutionelle Akteure, zu erinnern, die sich in ihrem Handeln vom europäischen Ideal in seinen vielfältigen politischen, wirtschaftlichen, sozialen und kulturellen Aspekten leiten lassen.

← 12 | 13 → Maria Romana De Gasperi

Liebe Freundin,

dies will keine Vorstellung Deines Buches sein, dem ich den verdienten Erfolg wünsche, sondern vielmehr eine Erinnerung an die beiden großen Freunde: Alcide De Gasperi und Konrad Adenauer. Sie teilten dieselbe tiefe Menschlichkeit, dieselbe Vision einer neuen Welt, in der der Friede für jeden Einzelnen und für Alle die Krönung eines besseren wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Lebens darstellte.

Ihr christlicher Glaube schenkte ihnen die Kraft, die Ruinen des Krieges mit der Fähigkeit einer wunderbaren Ideen-Jugendlichkeit zu überwinden, obwohl sie sich erst im reifen Alter begegnet sind.

Einmal, als beide schon nicht mehr am Leben waren, traf ich den ältesten Sohn Adenauers auf einem Platz in Straßburg. Ich sah ihn schon von Weitem kommen, und so ging auch ich auf ihn zu. Als wir uns trafen, umarmten wir uns schweigend, und nur die Tränen der Rührung sprachen für uns.

Möge die Umarmung für Italien und Deutschland andauern in der Vision eines echten und vollendeten europäischen Vaterlandes.

Maria Romana De Gasperi ← 13 | 14 →

← 14 | 15 → Vorwort

S. E. Luigi Vittorio Ferraris

Botschafter der Republik Italien a. D.

Die Frage Deutschland ist immanent in den Auffassungen der italienischen Geschichte und steht an erster Stelle im Bereich der internationalen Beziehungen. Missklänge und Einklänge ziehen sich wie ein roter Faden durch die Geschichte der zweitausendjährigen Beziehungen zwischen den beiden Völkern und den beiden Kulturen. Es ist daher kein Zufall, dass es seit vielen Jahren eine Schriftenreihe über „Italien in Geschichte und Gegenwart“ gibt als zusätzlichen Beweis des immer wieder lebendigen Interesses Deutschlands für Italien und umgekehrt des Interesses Italiens für Deutschland. Hinzugefügt sei, dass es viele Beweise dafür gibt, wie unzureichend die Kenntnisse in Deutschland über das Italien der Vergangenheit und der Gegenwart sind, ebenso wie in der Richtung von Italien nach Deutschland. Stereotypen wiederholen sich ohne Unterbrechung über die Jahrhunderte hinweg, und es wäre mühsam zu bewerten, welche dieser Stereotypen fast immer ungerechtfertigt sind.

Nach den zahlreichen, bedeutenden Studien über diese Beziehungen in allen Bereichen im Rahmen der Schriftenreihe bei Peter Lang, wird jetzt zum ersten Mal zu diesem Thema ein in Italien schon erschienenes Buch ins Deutsche übersetzt. Dies, um vielleicht noch besser zu beweisen, dass der kulturelle Austausch von keiner Grenze, auch nicht der Sprachbarriere, behindert werden kann.

Zu Recht sollte ein klassisches Beispiel angeboten werden: Die intensiven persönlichen Beziehungen zwischen Konrad Adenauer und Alcide De Gasperi. Ein Glücksfall, solche Beziehungen zwischen zwei außerordentlichen und hervorragenden Persönlichkeiten: Nicht nur Politiker, sondern starke, erfahrene Menschen. Es ist beinahe eine Pflicht in der Auseinandersetzung zwischen Italien und Deutschland in der Gegenwart, die Rolle solch einzigartiger Ereignisse besser und tiefer kennen zu lernen und zu erforschen.

Das Werk von Tiziana Di Maio ist sorgfältig, vielseitig und sehr gut lesbar und war vielleicht sogar notwendig. Tiziana Di Maio hat in der Tat wichtige Quellen ausgegraben und sie mit großer Finesse ausgewertet und vorgelegt: In diesem Falle haben die bisher nicht ausführlich genug untersuchten diplomatischen Quellen viel dazu beigetragen, um wichtige Punkte der Geschichte zu klären.

Die gegenseitige Haltung in den Jahren nach dem Ende des Zeiten Weltkrieges war von Misstrauen, Feindseligkeit, Verachtung gekennzeichnet. Es ist interessant ← 15 | 16 → nochmals darzulegen, wie die letzten Jahren des Faschismus in Italien – besonders nach der sogenannten Achse Rom-Berlin – die antideutschen Gefühle vertieft und vermehrt hatten, und wie misstrauisch die Bewertungen von der Bereitschaft der Deutschen waren, an die Niederlage zu erinnern: Die Niederlage falscher Ideale und Vorstellungen, die Niederlage in einem Krieg und schließlich die Niederlage eines Staates, aber ebenso und viel mehr sogar die Niederlage eines Volkes. Die Vertreter Italiens in Deutschland haben in diesen düsteren Jahren verkannt (aber nicht alle), dass das deutsche Volk die Kraft haben konnte, sich wieder zu erheben. Anderseits sind da die gemischten Gefühle Italien gegenüber: Italien hatte sich 1943 gerettet (teilweise!), indem es versuchte die so hoch gepriesene, obwohl bloß scheinbare Bruderschaft zwischen zwei Auffassungen der Gesellschaft, die ähnlich waren aber nicht gleich, über Bord zu werfen in einer gewissen plötzlichen und hinterhältigen Weise.

Vom Misstrauen unmittelbar nach 1945 bis zum Verständnis des Gewichts einer erneuten Verbindung zwischen Italien und Deutschland, zwischen zwei wieder erstandenen, demokratischen Staaten kommt der persönlichen Geschichte von zwei alten und edlen Männern, die die Fundamente der jetzigen Beziehungen zwischen Italien und der Bundesrepublik aufbauten, große Bedeutung zu. Beide haben schnell erfasst, wie wertvoll solche Beziehungen sein können; so war die Reise Adenauers 1951 nach Rom ausschlaggebend - aber als Ergebnis von vielen früheren Kontakten, um besser zu begreifen, wie hilfreich Italien für die Wiedergeburt Deutschlands sein würde. Mehr noch: Ohne die Weitsicht von Konrad Adenauer und Alcide De Gasperi wäre überhaupt kaum eine Verbindung in einem neu erfundenen europäischen Geist möglich gewesen.

Wir alle haben dies oft wiederholt, aber der Beitrag von Tiziana Di Maio bereichert unsere Auffassungen, und aus der Lektüre ergeben sich drei Schlussfolgerungen, die heute wichtiger denn je sind.

Die erste: die Interpretation von Geschichte und Gefühlen eines Volkes kann leicht widersprüchlich erscheinen, und darunter haben auch die Vorstellungen der demokratischen Neigungen der besiegten Deutschen 1945 ungeheuer gelitten. Die Deutschen waren am Rande der Verzweiflung, um ihre Fähigkeit zu rechtfertigen, sich an eine neue friedliche Welt in Freiheit anpassen zu können; die negativen Vorstellungen der Beobachter – auch der italienischen Beobachter an Ort und Stelle – haben sich grundsätzlich als oberflächlich erwiesen. Die Seele und die Vorstellungen eines Volkes zu verstehen ist doch stets eine schwierige Aufgabe für Diplomaten oder Journalisten. Damals wie heute.

Die zweite: Nur zwei kluge, verantwortungsvolle, dank ihres Alters und ihrer persönlichen Erlebnisse erfahrene Männer hatten die Kraft, die Zukunft zu ← 16 | 17 → entdecken und für die Zukunft wichtige Schritte zu ergreifen, um gut bedachte Ziele zu verfolgen. Die Kenntnis der Vergangenheit und deren Leiden kann die Zukunft besser entwerfen lassen, um wegweisende Ziele zu verfolgen. Große Persönlichkeiten haben eine wichtige Funktion, eine historische Aufgabe. Kann dies auch heute der Fall sein?

Die dritte: Ohne den Glauben an Europa wäre Vieles unmöglich gewesen. Europa nicht als Traum oder Illusion, sondern Europa als Maßstab, um gemeinsam die Zukunft zu entwerfen.

Die Lektüre ist wertvoll: Eine gut zu lesende Erzählung der Geschichte der wenigen Jahre unmittelbar nach dem Zweiten Weltkrieg, mit neuen Ansätzen und neuen Dokumenten. Aber es ist noch etwas mehr: Innerhalb der Erzählung eine Mahnung, die aus der Geschichte der Vergangenheit entspringt, und dies um die Keime der Zukunft klar zu legen. Und die Zukunft sagt, dass Deutschland und Italien sich nicht nur gegenseitig besser verstehen sollten: Das klingt wie ein Gemeinplatz. Die beiden Länder sind fast gezwungen, gemeinsam voran zu gehen und damit zu bewirken, dass Europa stärker wird. Aus der Vergangenheit (vor wenigen Jahren) sollte man die Kraft nehmen, diese Ziele gemeinsam zu verfolgen. Leider ist dies vielleicht heute nicht klar genug - anders als in den Zeiten von Adenauer und De Gasperi, als darüber kein Zweifel bestand. Persönlichkeiten mit Weitsicht und mit Erfahrungen sind immer wieder notwendig.

In diesem Sinne mögen uns die Erörterungen von Tiziana Di Maio den Schwung geben, diese Wünsche zu verwirklichen. Nicht morgen sondern schon heute. ← 17 | 18 →

← 18 | 19 → Einleitung

Tiziana Di Maio

Italien und Deutschland – Eine besondere Geschichte

Italien und Deutschland – die Beziehungen zu einander: Das ist eine komplizierte, konfliktreiche, sorgenvolle Geschichte, deren Ursprünge weit zurück reichen. Aber es ist auch eine Geschichte der Übereinstimmung, des guten Verhältnisses als Grundlage für die Schaffung eines neuen Europa.

Im Februar 2013 ermahnte der italienische Staatspräsident, Giorgio Napolitano, bei seinem Besuch in Berlin, „auf dem vor mehr als sechzig Jahren eingeschlagenen Weg weiter zu gehen“ und betonte, dass hierfür „die Freundschaft, das gegenseitige Verstehen, die Konvergenz der Anstrengungen in Italien und Deutschland ein wertvoller Beitrag sind, eine wesentliche Garantie für den Erfolg – im Interesse Aller – des europäischen Unternehmens in dieser neuen Phase.“1

In der Geschichte der Beziehungen zwischen Italien und Deutschland nach dem Zweiten Weltkrieg nehmen die Democrazia Cristiana Alcide De Gasperis und die Christlich-Demokratische Union Konrad Adenauers einen wichtigen Platz ein. Beide Parteien standen nach der demokratischen Neugründung an der Spitze der Regierungen ihrer Länder; beide Parteien wurden von Katholiken geführt, die bald zusammen mit dem französischen Staatsmann Robert Schuman die Gründungsväter des vereinigten Europas werden sollten.

Der in gewissem Sinne analoge Werdegang der beiden Parteien scheint auch in der Zeit nach dem Zweiten Weltkrieg Krieg jene Parallelität zu bestätigen, deren Ursprung auf die spät erreichte, nationale Einheit zurückgeht und in der Krisensituation nach dem Ersten Weltkrieg ihren Ausdruck fand, und die die beiden Ländern (trotz des italienischen Sieges im Großen Krieg, der auch gegen das deutsche Kaiserreich geführt worden war) weiterhin verband. Die Machtübernahme der beiden rechts-totalitären Regime infolge der Wirtschafts-und Gesellschaftskrise nach dem Ersten Weltkrieg und ihre Verbündung 1939 brachten diesen Verlauf augenscheinlich zur Vollendung.

Das Jahr 1943 brachte jedoch eine tiefe Zäsur in den Beziehungen. Der Bruch der Allianz zwischen Rom und Berlin schien dazu bestimmt, auf lange Zeit über ← 19 | 20 → die diplomatischen Grenzen hinaus im kollektiven Gedächtnis von Italienern und Deutschen eingekerbt zu bleiben. Die Verkündigung des Waffenstillstands und der Beginn der italienischen Mitkriegführung, der cobelligeranza, hatten in der Tat düstere Schatten auf die Beziehungen zwischen den beiden Ländern geworfen. Die Italiener – so schrieb Enzo Collotti – identifizierten nun wieder den Feind im „echten“ Deutschen, der mittlerweile jegliche Heuchelei abgelegt habe und sich als das darstelle, was er wirklich war – wie eh und je Erbe der „deutschen Barbarei“;2 die Deutschen sahen im Waffenstillstand und dem Beginn der cobelligeranza einen neuen Verrat, eine Bestätigung für den italienischen Wankelmut nach den „Walzerrunden“ und dem Ausstieg aus dem Dreibund.3 Die Erinnerung an jene Ereignisse war im Deutschland der zwanziger und dreißiger Jahre noch sehr lebendig und bestimmte auch das Verhalten Mussolinis – seine Angst, die deutsche und internationale Öffentlichkeit könne das faschistische Italien im selben Maße als Verräter ansehen wie es mit dem liberalen Italien 1914–1915 geschehen war.

Die unzähligen Massaker und Repressalien zwischen 1943 und 1945 trugen dazu bei, in der kollektiven Vorstellung der Italiener das Bild eines militaristischen und blutrünstigen Deutschlands zu formen. Dieses Bild war beeinflusst und wurde noch verstärkt durch die antifaschistische Propaganda. Ihr Ziel war es, die Verrats-Anklage des Dritten Reichs und der Repubblica Sociale zu widerlegen, die Italiener zum Kampf gegen den eingedrungenen Feind zu mobilisieren und – nicht zuletzt – am Ende des Krieges eine bessere Behandlung als der ehemalige Verbündete zu erfahren.4 Und ← 20 | 21 → dieses Bild fand auch einen fruchtbaren Boden in dem alten „Antigermanismus“, der sich in den zwanziger und dreißiger Jahren eingenistet und neue Nahrung bekommen hatte von jener (katholischen wie nicht-katholischen) kulturellen und geistigen Strömung, die auf dem Umweg über Friedrich den Großen und Bismarck in Luther das Grundübel Deutschlands und im nazistischen Neuheidentum dessen Vollendung sah.5„Der Deutsche“ wurde 1945 mit dem militärischen Unterdrücker und Mörder identifiziert, mit der Aufdeckung des Holocausts und der in den Lagern begangenen Verbrechen, erschien als die Personifizierung des Bösen. Das ganze deutsche Volk schien tout court dazu bestimmt, das Volk der Kriminellen zu sein.

Auch mit dieser Kollektiv-Vorstellung und mit dem Ressentiment der öffentlichen Meinung musste sich eine italienische Regierung auseinandersetzen, die zum ehemaligen Verbündeten wieder normale Beziehungen aufnehmen wollte.

Details

Seiten
395
Jahr
2014
ISBN (PDF)
9783653037531
ISBN (ePUB)
9783653994674
ISBN (MOBI)
9783653994667
ISBN (Hardcover)
9783631645642
DOI
10.3726/978-3-653-03753-1
Sprache
Deutsch
Erscheinungsdatum
2014 (August)
Schlagworte
deutsch-italienische Beziehungen postnationalsozialistisches Deutschland italienische Öffentlichkeit Gründungsmitglieder
Erschienen
Frankfurt am Main, Berlin, Bern, Bruxelles, New York, Oxford, Wien, 2014. 395 S.

Biographische Angaben

Tiziana Di Maio (Autor:in)

Tiziana Di Maio studierte in Rom Politik- und Geschichtswissenschaft. Die Autorin ist Professorin für Geschichte der Internationalen Beziehungen an der Libera Università Maria SS. Assunta (LUMSA) in Rom.

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Titel: Alcide De Gasperi und Konrad Adenauer
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