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Von Memel bis Allenstein

Die heutigen Bewohner des ehemaligen Ostpreußens: Memelland, Kaliningrader Gebiet, Ermland und Masuren - 2 Teile

von Andrzej Sakson (Autor:in)
©2016 Monographie 1168 Seiten

Zusammenfassung

Der Autor zeigt den Verlauf der sozialen, politischen und wirtschaftlichen Prozesse in den Regionen Memelland, Kaliningrader Gebiet, Ermland und Masuren nach 1945 auf. Er vergleicht ihre jeweiligen Entwicklungen kritisch miteinander und rekurriert dabei auf die Nationalbildungsprozesse im späten 19. Jahrhundert sowie die Ereignisse am Anfang des 20. Jahrhunderts. Die Analysen stützen sich auf eigene soziologische Feldforschung. Zahlreiche Interviews, direkte und indirekte Beobachtungen sowie quantitative Untersuchungen wurden durch Archivstudien und durch die Auswertung von amtlichen Dokumenten, Memoiren, Fachliteratur sowie Presseezeugnissen ergänzt.

Inhaltsverzeichnis

  • Cover
  • Titel
  • Copyright
  • Autorenangaben
  • Über das Buch
  • Zitierfähigkeit des eBooks
  • Teil 1
  • Titel
  • Inhaltsverzeichnis
  • Einführung
  • Kapitel I Vom Prußenland zu Ostpreußen
  • 1. Die Prußen
  • 2. Der Staat des Deutschen Ordens und der brandenburgischen Kurfürsten
  • 3. Ostpreußen in den Grenzen des Deutschen Kaiserreichs (1871-1918)
  • 3.1. Masuren
  • 3.2. Ermländer
  • 3.3. Preußisch-Litauer
  • 3.4. Königsberg – Ostpreußens Hauptstadt
  • Kapitel II Deutsches, litauisches und polnisches Ostpreußen (1918-1939)
  • 1. Friedensvertrag von Versailles – Ostpreußens erste Teilung
  • 2. Die Volksabstimmung vom 11. Juli 1920
  • 3. Ostpreußen in der Weimarer Republik
  • 4. Die „Nationalsozialistische Revolution“ in Ostpreußen (1933-1939) und ihre Folgen
  • 5. Nationalitätenverhältnisse im deutschen Ostpreußen
  • 5.1. Preußisch-Litauer und Masuren
  • 5.2. Die polnische Bewegung im Ermland und im Marienburger Land
  • 6. Litauisch-Preußen – das Memelland
  • 6.1. Das Problem der Preußisch-Litauer (Lietuvininkai)
  • 7. Polnisch-Preußen – das Soldauer Gebiet
  • 7.1. Die Masuren-Frage
  • Kapitel III Ostpreußens Größe und Untergang (1939-1945)
  • 1. Das Neue Ostpreußen
  • 1.1. Verwaltungsgliederung
  • 1.2. Terror und Verbrechen
  • 1.2.1. Memelland und Soldau
  • 1.2.2. Die eingegliederten Gebiete: Regierungsbezirk Zichenau, Kreis Suwalken, Bezirk Bialystok
  • 1.3. Kriegsgefangene und Zwangsarbeiter
  • 2. Ostpreußens Vernichtung
  • 2.1. Operation Ostpreußen
  • 2.2. Evakuierung und Flucht
  • Kapitel IV Die alten und neuen Bewohner (1945-1950)
  • 1. Das Memelland (Klaipėdos Kraštas) in den Grenzen des Mutterlandes
  • 1.1. Klaipėda – vollständiger Bevölkerungsaustausch
  • 1.2. Litauische Autochthone
  • 1.2.1. Lage und Rechtsstatus der einheimischen Bevölkerung
  • 1.2.2. Zwischen Litauen und Deutschland
  • 1.3. Siedler
  • 1.4. Deportationen
  • 1.5. Zwangskollektivierung
  • 2. Sonderzone – Vom Königsberger zum Kaliningrader Gebiet
  • 2.1. Sowjetische Besatzung und Einverleibung – Entstehung der Herrschaft und der Verwaltungsstruktur
  • 2.2. Sowjetisierung der Namen
  • 2.3. Die Lage der deutschen Bevölkerung und ihre Aussiedlung
  • 2.4. Sowjetische Siedler
  • 2.4.1. Siedlungsverlauf in den „neuen Gebieten“
  • 3. Von Ostpreußen zu Ermland und Masuren
  • 3.1. „Polnische Anrechte“ auf Ostpreußen
  • 3.2. Die sowjetisch-polnische Doppelherrschaft
  • 3.3. Bezirk Masuren/Woiwodschaft Olsztyn – Verwaltungsgliederung
  • 3.4. Alt- und Neueinwohner
  • 3.4.1. Deutsche – die Aussiedlungen
  • 3.4.2. Ermländer und Masuren – die Verifizierung der Volkszugehörigkeit
  • 3.4.2.1. Kreis Działdowo
  • 3.4.3. Siedler
  • 3.4.4. Grenzländer (Kresowiacy)
  • 3.4.5. Ukrainer – die Aktion Weichsel
  • 3.5. Das Verhältnis zur deutschen Vergangenheit
  • 3.5.1. Politik der „Entdeutschung“
  • 3.5.2. Beseitigung der „Symbole deutscher Herrschaft“
  • 3.5.3. Eliminierung des „deutschen Geistes“
  • 3.5.4. Aneignung der Kulturlandschaft
  • 3.5.5. Repolonisierung der Autochthonen
  • Kapitel V Schwieriges Wurzelnschlagen. Die Zeit des realen Sozialismus (1950-1990)
  • 1. Kleinlitauen in den Grenzen des sozialistischen Vaterlandes
  • 1.1. Die Mythologie „Preußisch-Litauens“ und das deutsche Kulturerbe
  • 1.2. Herausbildung neuer Gemeinschaften
  • 1.2.1. Ausreisen der einheimischen Bevölkerung als Ausdruck der sozialen Desintegration
  • 1.3. Klaipėda
  • 2. Das Kaliningrader Gebiet – ein Musterland für den Homo Sovieticus
  • 2.1. Wirtschaftliche Lage
  • 2.2. Kolchosen- und Sowchosensystem. Änderungen in der Siedlungsstruktur
  • 2.3. Kaliningrad
  • 2.3.1. „Alles Deutsche zerstören“
  • 2.3.1.1. Zerstörung von Kirchen und Sprengung des Königsberger Schlosses
  • 2.3.2. Hin zu einer neuen Ikonosphäre
  • 2.3.3. „Progressive Kultur“ – Identitätswandel
  • 3. Ermland und Masuren – sozialer und wirtschaftlicher Wandel
  • 3.1. Stalinisierung (1949-1955)
  • 3.2. Vom Oktober 1956 bis zum Untergang des real existierenden Sozialismus
  • 3.3. Allenstein – Olsztyn
  • Abbildungen
  • Abbildungsnachweis
  • Index
  • Teil 2
  • Titel
  • Inhaltsverzeichnis
  • Kapitel VI: Postmigrationsgesellschaften im Transformationsprozess
  • 1. Das unabhängige Litauen
  • 1.1. Memelland, Preußisch-Litauen, Kleinlitauen oder Westlitauen?
  • 1.1.1. Demographische Prozesse und Umstrukturierung der regionalen Wirtschaft
  • 1.1.2. Untergang des Kolchossystems
  • 1.1.3. Das Verhältnis zur historischen Vergangenheit
  • 1.1.3.1. Der Verein der Preußisch-Litauer „Mažoji Lietuva“ (Kleinlitauen)
  • 1.1.3.2. Die deutsche Minderheit
  • 1.1.3.3. Evangelisch-lutherische Kirche
  • 1.1.4. Probleme mit dem historischen Erbe des Memellandes
  • 1.2. Klaipėda. Ein neues Gesicht der Stadt
  • 2. Die Exklave Kaliningrad
  • 2.1. „Vertrautwerden“ mit der neuen Heimat
  • 2.2. Umgeben von der NATO und der Europäischen Union
  • 2.3. Soziale Probleme
  • 2.3.1. Arm und reich. Soziale Schichtung
  • 2.3.2. Gesellschaftliche Missstände
  • 2.3.3. Korruption
  • 2.4. Marginalisierung des ländlichen Raums
  • 2.5. Neue Siedlungsaktion
  • 2.5.1. Einwanderung von Polen und Deutschen aus Kasachstan
  • 2.6. Russisch-Preußen/Kaliningrader Preußen
  • 2.7. Vom Kollaps zur Stabilisation und einer neuen Wirtschaftskrise
  • 2.8. Kaliningrad. Regionalhauptstadt von heute
  • 2.8.1. Kaliningrad oder Königsberg? Das Verhältnis zur Vergangenheit
  • 2.8.1.1. „750 Jahre Kaliningrad“
  • 2.8.1.2. Wiederaufbau des Königsberger Schlosses?
  • 2.8.2. „Kaliningrad meine Heimat“. Identifikationsprobleme
  • 2.8.3. Zukunft des „Kaliningrader Problems“
  • 3. Woiwodschaft Ermland-Masuren
  • 3.1. Änderungen der Verwaltungsstruktur
  • 3.2. Transformation der Wirtschaft
  • 3.2.1. Soziale Folgen der Reformprozesse
  • 3.2.1.1. Gewinner und Verlierer oder soziale Schichtung und Arbeitslosigkeit
  • 3.2.1.2. Die soziale Katastrophe in den ehemaligen staatlichen Agrarbetrieben
  • 3.2.2. Wandel lokaler Postmigrationsgemeinschaften
  • 3.3. Nationalitätenverhältnisse
  • 3.3.1. Gibt es noch Masuren und Ermländer?
  • 3.3.2. Deutsche
  • 3.3.3. Ukrainer
  • 3.3.4. Gemeinschaft der Grenzländer (Kresowiacy)
  • 3.4. Atlantis des Nordens oder der neue Regionalismus
  • 3.5. Verwahrer oder Nachfolger der deutschen Vergangenheit?
  • 3.5.1. Verhältnis zu historischen Gedenkstätten
  • 3.5.2. Konflikt um ein Denkmal in Nakomiady. Eine Fallstudie
  • 3.6. Polnisches oder deutsches Eigentum?
  • 3.6.1. Streit in Narty oder ein „neues polnisches Westerplatte“
  • 3.6.2. Das Verhältnis zu den deutschen Vermögensrückforderungen
  • 3.7. „Ich liebe Olsztyn“
  • 3.7.1. Die Stadt im Bewusstsein ihrer Einwohner
  • 3.7.2. Ringen mit der deutschen und der kommunistischen Vergangenheit
  • Kapitel VII: Neue Identitäten im Lichte eigener Forschung
  • Schlusswort, oder: Was von Ostpreußen geblieben ist
  • Abbildungen
  • Abbildungsnachweis
  • Bibliografie
  • Index
  • Reihenübersicht

Einführung

Die wechselhafte Geschichte Ostpreußens ist auf dem Alten Kontinent ohnegleichen. Hier lebten verschiedene prußische Stämme, an die sich kaum noch jemand erinnert. Das Eintreffen des Ordens der Brüder vom Deutschen Haus Sankt Mariens in Jerusalem (auch Deutscher Orden genannt) zu Beginn des 13. Jahrhunderts bildete den Auftakt zu siebenhundert Jahren deutschen Einflusses und deutscher Herrschaft.

Das historische Ermland war Teil der polnischen Adelsrepublik (Rzeczpospolita), das Herzogtum Preußen ein Lehen der polnischen Könige. Die Region war von Multikulturalität geprägt. Einheimische, d. h. preußische Einflüsse kreuzten sich hier mit deutschen, polnischen und litauischen. Hier fanden aber auch Salzburger, Niederländer, Schotten, Franzosen, Juden und Russen Zuflucht und ihre neue Heimat. Königsberg war die Provinzhauptstadt und das wichtigste Zentrum des Protestantismus während der Reformation. In der Universitätsstadt Königsberg wurde die Bibel nicht nur auf Deutsch gedruckt, sondern es erschienen auch polnische, litauische und preußische (prußische) Ausgaben. Das katholische Ermland war ein geistiges und kulturelles Zentrum mit einer Ausstrahlungskraft, die weit über die Grenzen der Provinz hinaus reichte.

Im Laufe der Zeit fühlten sich die Bewohner dieser Gegend immer mehr als deutsche, polnische oder litauische Preußen. Allmählich begann man, sie Ostpreußen, Ermländer oder Memelländer zu nennen. Hier wurde auch ein Kampf um die nationale Identität der Bevölkerung ausgetragen. Deutsche, Polen und Litauer erwarteten von ihren jeweiligen hier alteingesessenen Landsleuten, dass sie ihre Bindung zum Herkunftsland pflegen und zur Trumpfkarte bei entscheidenden historischen Ereignissen werden würden.

Im Ergebnis des Ersten Weltkriegs wurde das nördliche Gebiet dieser Provinz 1923 als Memelland dem litauischen Staat angeschlossen. Der Zweiten Polnischen Republik fiel 1920 ein masurischer Landstrich, das Soldauer Gebiet, zu. Eine der Folgen des Zweiten Weltkriegs war die völlige Umgestaltung der bisherigen Ordnung. Die Niederlage des Dritten Reiches bedingte eine weitere – diesmal endgültige – Teilung Ostpreußens. Aktuell gehört diese historische Region drei Staaten an: Litauen (Memelland), Russland (Kaliningrader Gebiet) und Polen (Ermland und Masuren). Es ist einzigartig in der neuzeitlichen Geschichte Europas, dass ein Staat, der jahrhundertelang als Souverän agierte, hier völlig beseitigt und das Gebiet Ostpreußens drei anderen Ländern einverleibt wurde.

Wie die Bewohner Ostpreußens in der Zwischenkriegszeit von Deutschland durch den sog. „polnischen Korridor“ getrennt waren, so müssen nun die Einwohner des Kaliningrader Gebiets drei Grenzen passieren, um nach Russland zu ge ← 9 | 10 → langen: die zu Litauen und Weißrussland. In Moskau werden – wie einst in Berlin – Stimmen laut, die nach der Einrichtung eines „exterritorialen Korridors“ rufen.

In ihren Analysen konzentriert sich diese Studie vorrangig auf den Versuch, den Verlauf sozialer, politischer und wirtschaftlicher Prozesse zu skizzieren, die sich in dieser Region nach 1945 vollzogen haben und immer noch vollziehen. Um aber diese Phänomene richtig zu verstehen, erwies es sich als unabdingbar, einen Blick auf die Vergangenheit zu werfen. Eine Schlüsselbedeutung hatten dabei die nationenbildenden Prozesse des ausgehenden 19. Jahrhunderts und die Ereignisse in den ersten vier Jahrzehnten des 20. Jahrhunderts.

Das Ende des Zweiten Weltkriegs bedeutete den Untergang Ostpreußens als selbständige Provinz und Teil Deutschlands. Hier kam es zu einem in der Geschichte bisher ungekannten Bevölkerungsaustausch. Die enormen Kriegsverluste, Evakuierungen, die Flucht und die spätere Aussiedlung der deutschen Bevölkerung veränderten die soziale Struktur dieser Region ganz und gar. Diese Gebiete wurden nun durch neue Bewohner, Litauer, Russen und Polen, besiedelt. Unter ihnen waren solche, die aus freien Stücken hierher fanden, aber es gab auch viele, die – durch ein historisches Schicksal gezeichnet – alles andere als freiwillig kamen (z.B. die Bewohner der ehemaligen polnischen Ostgebiete oder die im Rahmen der Aktion Weichsel deportierten Ukrainer).

Die früheren Bewohner verließen ihre Heimat unter Zwang oder sie hatten – wie dies bei den Masuren, Ermländern oder Preußisch-Litauern der Fall war – in der Zwangssituation dennoch eine gewisse Wahlmöglichkeit. Die Neuangekommenen schlugen in der neuen Heimat nur mit Mühe Wurzeln. Es mussten viele Jahre vergehen, ehe sie sich hier „heimisch“ fühlten. Die heutigen postmigrativen Gesellschaften, die in den drei Teilen des ehemaligen Ostpreußens leben, weisen viele Ähnlichkeiten auf. Wie vor 1945 hat diese Region auch weiterhin peripheren Charakter, mit allen Folgen. Eindrücklichstes Beispiel dafür ist die Tatsache, dass das Kaliningrader Gebiet zu einer Exklave der Russischen Föderation geworden ist. Obwohl es zu ihr gehört, ist es dennoch Hunderte Kilometer entfernt.

Ähnlich wie vor Jahrhunderten ist dieses Gebiet multikulturell geprägt. Neben alteingesessenen Bewohnern machen Neuankömmlinge, die verschiedene Nationalitäten repräsentieren, mit ihrem unterschiedlichen kulturellen Hintergrund die Mehrheit aus. Sie haben eine einmalige Gemeinschaft entwickelt, die von der Eigenart dieser Region zeugt.

Die vorliegende Studie vollendet ein Triptychon zu Schicksalen der Bewohner dieses Winkels von Europa. 1990 erschien eine Monographie zu nur einer Bevölkerungsgruppe des ehemaligen Ostpreußens. Sie trug den Titel: Mazurzyspołeczność pogranicza [Die Masuren. Eine Grenzlandgesellschaft]. Eine weitere Arbeit, Stosunki narodowościowe na Warmii i Mazurach 1945-1997 [Nationalitätenverhältnisse in Ermland und Masuren 1945-1997] (1998), präsentierte ← 10 | 11 → das Schicksal der gesamten Bevölkerung des südlichen Ostpreußens, d. h. der Gebiete, die nach 1945 dem polnischen Staat zugefallen waren. Das Anliegen des Verfassers dieser Arbeit ist es, die Schicksale der heutigen Bewohner des gesamten ehemaligen Ostpreußens, d. h. des Memellandes, des Kaliningrader Gebiets sowie Ermlands und Masurens, zu schildern. Mein Geburtsort (Elbląg/Elbing), die Tatsache, dass ich in den Jahren 1977-1986 in Olsztyn (Allenstein) wohnte und arbeitete und hier meine beiden Töchter geboren wurden, zeugen davon, dass dies für mich ein „herzlich vertrauter Boden“ (M. Zientara-Malewska) ist.

Das Hauptmaterial für die Analysen lieferten eigene soziologische Untersuchungen an mehreren Orten in Ermland und Masuren (ab 1982) sowie im Kaliningrader Gebiet und der Region Klaipeda (nach 1994). Zahlreiche Gespräche, Interviews, direkte und mittelbare Beobachtungen sowie quantitative Untersuchungen wurden um Archivrecherchen und die Auswertung von amtlichen Unterlagen, Erinnerungen, Sachliteratur, Presse und Websites ergänzt.

Der Vergangenheit Ostpreußens vor 1945 sind die drei ersten Kapitel gewidmet. Im ersten Kapitel werden die Geschichte der prußischen Bevölkerung dargestellt, die einzelnen geschichtlichen Perioden charakterisiert und die Schicksale verschiedener Bevölkerungsgruppen geschildert. Ein besonderer Fokus galt dabei der Zwischenkriegszeit (Kapitel 2) und den Jahren des Zweiten Weltkriegs (Kapitel 3).

Das vierte Kapitel stellt die spezifischen Gegebenheiten unmittelbar nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs dar. Aussiedlung der deutschen Bevölkerung und Zuwanderung neuer Bewohner sind die wichtigsten Bestandteile des damaligen Aufeinanderprallens der Kulturen. Das folgende fünfte Kapitel setzt sich mit der Dynamik des sozialen, politischen, wirtschaftlichen und nationalen Wandels zur Zeit des real existierenden Sozialismus auseinander.

Im sechsten Kapitel werden die gesellschaftlichen Prozesse nach 1990 und ihre Folgen gezeigt. Im siebenten Kapitel präsentiere ich die neue Selbsteinschätzung der heutigen Bewohner im Lichte meiner eigenen empirischen Untersuchungen. Viel Platz wurde der Charakteristik der drei regionalen Stadtzentren Klaipeda (Memel), Kaliningrad (Königsberg) und Olsztyn (Allenstein) eingeräumt. Den Abschluss bilden Ausführungen über das Verhältnis zum historischen und kulturellen Erbe der Region.

Bei den Feldforschungen war die Unterstützung, die mir von Dr. Silva Pocytė von der Universität Klaipeda, Dr. Aleksandr Sologubow von der Universität Kaliningrad und Dr. Teresa Astramowicz-Leyk von der Universität Olsztyn zuteil wurde, von großer Bedeutung. An dieser Stelle möchte ich ihnen meinen besonderen Dank für das mir entgegengebrachte Wohlwollen aussprechen.

Andrzej Sakson
Poznań, im Oktober 2010

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Kapitel I

Vom Prußenland zu Ostpreußen

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Die Geschichte des Landstrichs zwischen der unteren Weichsel und der unteren Memel, zwischen Masowien und der Ostsee, die zunächst als Preußen und ab Ende des 18. Jahrhunderts als Ostpreußen bezeichnet wurde, lässt sich generell in drei Perioden einteilen: die prußische Zeit (vor der Niederlassung des Deutschen Ordens) bis zum 13. Jahrhundert, die siebenhundertjährige Herrschaft des Ordens und Deutschlands, die im Jahr 1945 zu Ende ging, und die bis heute andauernde polnisch-russisch(sowjetisch)-litauische Periode.

1.   Die Prußen

Der Name Preußen, lateinisch Borussia bzw. Prussia, wird unzertrennlich mit den prußischen Stämmen assoziiert, die in der Neuzeit als rechtmäßige (autochthone) Bewohner dieses Teils Europas galten. Man nimmt an, dass dieses Volk erstmals im neunten Jahrhundert vom Bayerischen Geographen in einer Stammesliste als Bruzi erwähnt wird. Im 10. Jahrhundert erscheint in dem Dokument „Dagome iudex“ der Name Prußen in lateinischer Form als Pruzze1.

Im frühen Mittelalter wurden die heidnischen Völker, die die Ostseegebiete östlich der Weichsel bewohnten, als Prußen bezeichnet. Dabei wurden allerdings so unterschiedliche Formen gebraucht wie Brudzi, Pruzi, Pruzzi, Prussi, Prisci, Prusci, Pruteni, Prutheni2. Die Etymologie der Bezeichnung Preußen bleibt bis heute ungeklärt3. Ab dem 13. Jahrhundert setzte sich der Name Prußen durch und war im Mittelalter, darunter besonders bei Polen4 und Deutschen5, stark verwurzelt. ← 15 | 16 →

Wie der Eigenname der Prußen ungeklärt ist, so ist auch die Herkunft dieser Volksgruppe vage. Nach übereinstimmender Meinung stammen die ersten menschlichen Spuren in „prußischem Gebiet“ aus der Zeit zwischen dem vierzehnten und dem achten Jahrtausend vor unserer Zeitrechnung6. Eine der Hypothesen zur Herkunft der Prußen setzt einen gewissen Autochthonismus der Ostseevölker (Balten), die an der Ostsee bereits in der frühen Bronzezeit sesshaft wurden, voraus. Eine andere geht hingegen davon aus, dass die Prußen erst im 6.-7. Jahrhundert v. u. Z. aus den Gebieten der mittleren Rus an die Ostseeküste gekommen seien7. Es wird auch angenommen, dass die prußische Sprache zu den litauisch-lettischen Sprachen innerhalb der großen indoeuropäischen Sprachfamilie gehört8.

Die prußischen Völker haben kein eigenes Staatswesen entwickelt. Sie besaßen auch weder eine zentrale noch eine stammesübergreifende Gewalt. Ihre politische Ordnung zeichnete sich durch eine starke Zersplitterung aus. Die Prußen bildeten kleine territoriale Einheiten, die einige Dutzend Familien umfassten und als lauks bezeichnet wurden.9

Laut Peter von Duisburg, dem Chronisten des Prußenlandes aus dem 14. Jahrhundert und Verfasser des Chronicon terrae Prussiae, gliederte sich das Gebiet der preußischen Stämme zu Beginn des 13. Jahrhunderts in folgende historische Landschaften: Pomesanien, Warmien, Samland, Sassen, Galinden, Sudauen, Pogesanien, Natangen, Barten, Nadrauen und Schalauen10.

Die Prußen lebten in zahlreichen Wallburgen und hatten eine eigene Kultur, Bräuche und Sitten11. Auf dem prußischen Territorium einschließlich des Kulmerlandes lebten vor der Eroberung durch den Deutschen Orden etwa 220 000 ← 16 | 17 → Menschen12. Eine der ersten Versuche, die prußischen Völker zu christianisieren, war die missglückte Mission des hl. Adalbert von 997, die mit seinem Märtyrertod in der Gegend des Frischen Haffs endete. Auch eine weitere Mission des hl. Bruno von Querfurt endete mit dessen Tod um das Jahr 1009. Bis zur Ankunft des Deutschen Ordens blieben die Prußen ganz überwiegend heidnisch (das Christentum nahmen sie im Kulmerland um 1216 durch die Bemühungen des Bischofs Christian an)13. ← 17 | 18 →


1      In diesem Dokument lesen wir: „Pruzzo usque in locum, quo dicidur Russe“ (Prußen bis zu dem Ort, der Rus genannt wird). H. Łowmiański, Studia nad dziejami Słowiańszczyzny, Polski i Rusi w wiekach średnich, Poznań 1986, S. 309.

2      Auf Deutsch wurden sie als Prüssen bzw. Prüzin bezeichnet. In späterer Zeit: Altpreussen bzw. Altprussen. In Litauen verwendete man die Bezeichnung Prūsas, in der Rus – Prusi, Prussy. Ł. Okulicz-Kozaryn, Dzieje Prusów, Wrocław 1997, S. 9 f.

3      Ebenda.

4      Seit dem Mittelalter waren auf Polnisch Namen gebräuchlich wie Prusy (Prußen/Preußen), Prusy Zakonne (Ordensland Preußen), Prusy Królewskie (Königliches Preußen), Prusy Książęce (Herzogliches Preußen), Księstwo Pruskie (Herzogtum Preußen), Królestwo Pruskie (Königreich Preußen) oder auch Prusy Zachodnie (Westpreußen) bzw. Prusy Wschodnie (Ostpreußen). Auf Polnisch wird zwischen den Prusy, d. h. den Prußen als alteingesessenen Bewohnern, und den Prusaki, d. h. deutschen Preußen, unterschieden. Ebenda, S. 10 f.

5      Auf Deutsch wird zwischen Preußen und Prußen bzw. Preußisch und Prußisch unterschieden. Der erste Begriff umfasst Deutsche und deren Gebiete, der zweite dagegen die Prußen und deren von Deutschrittern eroberten Territorien. Ebenda.

6      J. Okulicz, Osadnictwo ziem pruskich od czasów najdawniejszych do XIII wieku, in: Dzieje Warmii i Mazur w zarysie, Bd. 1, Warszawa 1981, S. 11.

7      G. Białuński, Stan badań historycznych nad dziejami Prusów po 1945 r., „Pruthenia“ Bd. 1, 2006, S. 41 f. Vgl. auch: W. Nowakowski, Korzenie Prusów. Stan i możliwości badań nad dziejami plemion bałtyjskich w starożytności i początkach średniowiecza, „Pruthenia“ Bd. 1, 2006, S. 11-40. Dort auch weiterführende Literatur.

8      J. Okulicz-Kozaryn, Dzieje Prusów…, S. 26 f.

9      Vgl. S. Drej, Święta Warmia, Olsztyn 2007, S. 11 f.

10    A. Kossert, Masuren.Ostpreußens vergessener Süden, Berlin ³2002, S. 23. In der Zeit vor der Eroberung durch den Deutschen Orden unterscheidet Henryk Łowmiański folgende Landschaften: Pomesanien, Pogesanien, Ermland, Barten, Sudauen, Nadrauen, Samland, Schalauen und die Galinder Wildnis (Puszcza Galindska), nach: J. Okulicz-Kozaryn, Dzieje Prusów…, S. 272. Eine andere Einteilung: Pomesanien, Sassenland und Galinder Wldnis, Jatwingen, Pogesanien, Ermland, Barten, Natangen, Samland, Nadrauen und Schalauen. Vgl. E. Kruk, Warmia i Mazury, Wrocław 2003, S. 11.

11    Vgl. Pruskie baby kamienne. Fenomen kulturowy czy europejska codzienność? pod red. J. M. Łapo, G. Białuńskiego, Olsztyn 2007.

12    Vgl. H. Boockmann, Ostpreußen und Westpreußen, Berlin 1992; W. Görlitz, Die Prußen. Die alten Bewohner Ostpreußens. Geschichte, Kultur und Verschmelzung mit den Deutschen, Hamburg 1980; K. Gerber, Vom alten Preußenland, 1200 bis 1400. Natur, Kultur, Geschichte, Groß-Umstadt 1987; H. Łowmiański, Prusy pogańskie, Toruń 1935.

13    Vgl. S. Achremczyk, Historia Warmii i Mazur. Od pradziejów do 1945 roku, Olsztyn 1992. Die Geschichte der Prußen ruft auch breiteres Interesse hervor. Vgl. R. Geremek, Pruska pamięć. Prusowie – dawni mieszkańcy Warmii i Mazur nie byli dzikusami, „Newsweek“, Ausgabe vom 7.12.2008, S. 68 f.

2.   Der Staat des Deutschen Ordens und der brandenburgischen Kurfürsten

Gegen die Prußen haben Bolesław I. Chrobry (der Tapfere) und seine Nachfolger gekämpft, insbesondere im Grenzgebiet zwischen Masowien und dem Kulmerland. Diese Kriege veranlassten den polnischen Herzog Konrad (auch Konrad von Masowien genannt) dazu, den Orden der Brüder vom Deutschen Haus Sankt Mariens in Jerusalem, der in Polen als Kreuzorden bzw. Kreuzritter bezeichnet wird, in den Jahren 1226-1228 einzuladen und ins Land zu holen14. Zur Hauptaufgabe des Ordens wurden die Eroberung und die Christianisierung prußischer Stämme15. Kraft der sog. Goldenen Bulle von Rimini aus dem Jahr 1226 sicherte Kaiser Friedrich II. dem Orden die Landeshoheit über das Gebiet der Prußen zu. Eine Bestätigung dieser Verleihung erhielt der Orden von Papst Gregor IX. aufgrund des gefälschten Vertrages von Kruschwitz (ca. 1234), in dem Konrad von Masowien angeblich auf die künftigen Eroberungen im Prußenland verzichtete16.

Die Deutschritter nahmen das teilweise von den Prußen beherrschte Kulmerland in ihren Besitz. Ab 1230 (nach der Teilnahme am Vierten Kreuzzug) begann der Orden mit der Eroberung prußischer Gebiete. Zugleich wurden Wall- und Wehrburgen errichtet: Kulm, Thorn und Marienwerder (1233), Elbing (1237), Memel (1252), Königsberg (1255), Braunsberg (1284) oder später Heilsberg (1308), Frauenburg und Soldau (1310) sowie Allenstein (1353). Sie entstanden meistens an der Stelle früherer prußischer Siedlungen. Da die Prußen über kein eigenes Staatsgebilde verfügten, gaben sie in den Jahren 1230-1283 der Übermacht der Ordensritter nach. Trotz der Unterjochung zettelten die Prußen immer wieder Aufstände gegen den Orden an, so 1242 und in den Jahren 1260-1274. Nach der endgültigen Bezwingung der Prußen in den Kämpfen gegen Nadrauen, Schalauen und Sudauen im Jahr 1283 schritt der Deutsche Orden mit Einwilligung des Papstes Innozenz IV. zur Etablierung eines Ordensstaats an der Ostsee, der sich dann dreihundert Jahre lang ← 18 | 19 → behaupten sollte. Vermutlich waren die Prußen zu Beginn des 14. Jahrhunderts die dominierende Bevölkerungsgruppe und zählten knapp 120 000 Personen. Damals lebten dort etwa 15 000 Deutsche.17 Seine Dominanz erzwang der Orden mit aller Härte durch „Schwert und Eisen“. Die Mehrheit der prußischen Bevölkerung wurde unterjocht. Die prußische Sprache wurde bekämpft; 1308 zum Beispiel verbot ein Erlass bei Geldstrafe, die prußische und litauische Sprache zu sprechen. Im Ordensstaat galt für Juden und Zigeuner das Aufenthaltsverbot18.

Zur Festigung der Macht des Ordensstaats dienten die Eroberung Pommerellens in den Jahren 1308-1309 und der Bau einer riesigen Burg in Marienburg, die zum neuen Sitz des Hochmeisters wurde. Bis dahin hatte sich der Hauptsitz des Ordens in Venedig befunden. Die Herrschaft des Hochmeisters Winrich von Kniprode (1351-1382) markiert die Blütezeit der Ordensmacht. Damals wurden neue Städte nach magdeburgischem Recht gegründet. Es kam zu einer starken deutschen und polnischen Kolonisation aus dem Kulmerland und Masowien, die anfänglich bis nach Osterode, Ortelsburg und Rhein vordrang, um im 17. Jahrhundert Rastenburg, Angerburg, Goldap und Mohrungen zu erreichen. Die litauische Kolonisation geht auf das ausgehende 13. Jahrhundert zurück. In der Mitte des 16. Jahrhunderts erreichte sie Memel, Tilsit, Insterburg. Dieses Gebiet wurde als Preußisch-Litauen bezeichnet. Die dynamische administrative und materielle Entwicklung trug zur zivilisatorischen Blüte der Region bei. Im Mittelalter war dies einer der mächtigsten und am besten organisierten Staaten in Europa. Es wurden Pläne einer weiteren militärischen Expansion geschmiedet: Zusammen mit dem Schwertbrüderorden sollten Litauen und Schamaiten erobert werden. Der Ordensstaat wurde von nun an als Preußen (Prutinenses, Pruteni) bezeichnet. Zu Beginn des 15. Jahrhunderts teilte er sich in acht Komtureien mit Sitz in Osterode, Christburg, Elbing, Balga, Brandenburg, Königsberg, Ragnit und Memel19.

Die Eroberung Pommerellens zog einen bewaffneten Konflikt mit dem Königreich Polen nach sich. Dies geschah bereits unter der Herrschaft des Königs Władysław Łokietek (Wladislaw I. Ellenlang). Die Gefahr, die vom Deutschen Orden ausging, war auch einer der Gründe für den Abschluss der polnisch-litauischen Union von Krewo im Jahr 1385. Ein Ergebnis dieser Union war die friedliche Christianisierung Litauens. Der litauische Großfürst Jagiełło wurde 1386, nachdem er getauft worden war und die polnische Königin Hedwig (Jadwiga) geheiratet hatte, zum König von Polen gekrönt. Daraufhin brachen innere Machtkämpfe in Wilna aus, in deren Folge Schamaiten an den Deutschen Orden ← 19 | 20 → fiel; später wurden Versuche unternommen, dieses Gebiet zurückzuerobern. Auch die territorialen Auseinandersetzungen des Ordens mit Polen wurden an der ganzen Grenzlinie heftiger. Die endgültige Entscheidung des Konflikts brachte die Schlacht bei Tannenberg im Jahr 1410, die mit dem Sieg Polens und Litauens endete. Durch die Niederlage des Ordens schwanden allmählich seine Macht und Bedeutung auf preußischem Gebiet.

Auf Ersuchen des Preußischen Bundes schloss der polnische König Kasimir IV. (Kazimierz Jagiellończyk) im Jahr 1454 ganz Preußen der polnischen Krone an. Diese Einverleibung führte zum Dreizehnjährigen Krieg und wurde mit dem Zweiten Frieden von Thorn 1466 beendet. An Polen fielen die Gebiete des sog. Königlichen Preußens, d. h. Pommerellen mit Danzig, Marienburg, Elbing und Thorn, sowie Ermlands als Fürstbistum. Die 32 000 km2 großen Ostgebiete des Ordensstaates, Deutschordensland genannt, wurden zum Lehen der polnischen Krone. Polen erkannte zugleich die Oberhoheit des Papstes über diese Gebiete an. 1467 wurde der Hauptsitz des Hochmeisters nach Königsberg verlegt20. Die Thorner Verträge führten nicht zur Beilegung des Konflikts und der bewaffneten Auseinandersetzungen zwischen dem Orden und Polen. 1521 wurde in Thorn ein Waffenstillstand vereinbart und 1525 in Krakau ein Friedensvertrag unterzeichnet. Im gleichen Jahr trat der letzte Hochmeister Albrecht von Hohenzollern zum Luthertum über und leistete als nunmehr weltlicher Herzog in Preußen den Lehnseid; diese Belehnung ist in Polen als Preußische Huldigung bekannt. Seitdem wird dieses Gebiet als Herzogtum Preußen bezeichnet. Es war der erste protestantische Staat in Europa. Das zu Polen gehörende Ermland und das gesamte Preußen Königlichen Anteils blieben katholisch. Das Herzogtum Preußen wurde ein erbliches Lehen Albrechts und seiner männlichen Nachkommen. Herzog Albrecht war ein großer Unterstützer und Beschützer preußischer und europäischer Reformatoren. 1544 gründete er in Königsberg eine lutherische Universität. Nach Königsberg kamen zahlreiche Studenten aus Polen, Livland, Deutschland und Litauen. Im 16. Jahrhundert wurden hier mehr Bücher auf Polnisch gedruckt als in Krakau. Bibeln, Gesangbücher und andere Drucke erschienen auch in litauischer, prußischer und deutscher Sprache, unter anderem Werke von Jan Seklucjan, Simon Dach, Zbigniew Morsztyn oder auch die bekannten masurischen Gesangbücher von Jerzy Wasiański (Georg Wasianski) oder litauische Schriften von Kristijonas Donelaitis, der als der Begründer der litauischen Dichtung gilt. An der Albertina studierten auch spätere Gelehrte vom Range eines Immanuel Kant (1724-1804) oder Johann Gottfried Herder (1744-1803)21. ← 20 | 21 →

Preußen war zur Zeit der Ordensherrschaft das Ziel immer wiederkehrender Kolonisationswellen aus verschiedenen Regionen des Reiches. Damit ging die bereits erwähnte Einwanderung der polnischen und litauischen Bevölkerung einher. Während der Gegenreformation in zahlreichen europäischen Staaten flüchteten verfolgte Lutheraner aus Salzburg, die sog. Salzburger Exulanten, und Mennoniten aus den Niederlanden ins protestantische Herzogtum Preußen. Die letzteren lassen sich hauptsächlich im Bereich der Frischen Nehrung nieder. Somit wird das Herzogtum Preußen zu einem Vielvölkerstaat. Neben Deutschen lebten hier friedlich miteinander polnische Preußen, Preußisch-Litauer und „Andersgläubige“ aus verschiedenen Regionen Europas, unter anderem aus Schottland, dem heutigen Österreich, Frankreich (Hugenotten) und den Niederlanden. Später ließen sich auch Altgläubige, die in Russland Verfolgungen ausgesetzt waren, nieder.

Nach Jahrhunderten der Einflussnahme durch deutsche, polnische und litauische Kolonisten kam den Prußen ihre eigenständige Stammesidentität allmählich abhanden. Sie übernahmen und assimilierten fremde Kulturmuster (Brauchtum und Sprachen). In der Folge verschwand das Prußische (eine der letzten „Inseln“ dieser Sprache hielt sich noch bis in das 18. Jahrhundert hinein in der Gegend um Bischofsburg in Ermland). Am längsten überdauerte die prußische Sprache im Samland. Der Verlust der prußischen Eigenständigkeit wurde durch die Vereinheitlichung wirtschaftlicher und sozialer Verhältnisse der Bevölkerung des Preußenlandes begünstigt. Indem die Prußen ihre Eigenständigkeit verloren, gingen sie in der multinationalen Gesellschaft des Königlichen und Herzoglichen Preußens auf22. Von ihrem früheren Dasein zeugen unter anderem prußisches Wortgut ← 21 | 22 → unter den Provinzialismen des Deutschen in der masurischen Mundart, in Eigennamen sowie archäologische Ausgrabungen (der legendäre Hafen Truso) oder bis heute erhaltene Steinstelen (sog. prußische Baben)23.

Im Jahr 1563 willigt der polnische König Sigismund II. August als Lehnsherr des Herzogtums Preußen und Livlands, die sich nach der Niederlage des livländischen Teils des Deutschen Ordens im Krieg gegen Moskau 1561 Polen unterwerfen und dadurch säkularisiert werden, der Übernahme des Throns der preußischen Herzöge durch die brandenburgische Linie der Hohenzollern ein. Dazu kommt es nach dem Erlöschen der fränkisch-preußischen Linie im Jahr 1618. Eine Auswirkung der polnisch-schwedischen Kriege, in denen der brandenburgische Kurfürst Friedrich Wilhelm die Partei Karl Gustavs ergriff, war der Abschluss der Verträge von Wehlau und Bromberg im Jahr 1657. Aufgrund dieser Verträge sicherte sich der brandenburgische Kurfürst die Oberhoheit in Preußen und schüttelte die Abhängigkeit des Herzogtums Preußen von Polen durch die Aufgabe des Lehensverhältnisses ab. Ein Sohn Friedrich Wilhelms, der brandenburgische Kurfürst Friedrich III., krönte sich 1701 im Königsberger Schloss feierlich zum „König in Preußen“ als Friedrich I.

Friedrich II., der 1740 an die Macht kam, begann einen erfolgreichen Krieg gegen Österreich, um sich anschließend in einen Konflikt einzulassen, der als Siebenjähriger Krieg (1756-1763) in die Geschichte eingehen sollte. Nachdem die russischen Truppen im August 1757 in der Schlacht bei Groß-Jägersdorf in der Gegend von Insterburg das preußische Korps geschlagen hatten, besetzten sie den östlichen Teil Preußens und verleibten ihn Russland ein. Die Besetzung Preußens (1758-1763), bei der alle Stände und das Heer der Zarin Elisabeth den Treueid leisteten24, ist für die heutigen russischen Bewohner des Kaliningrader Gebiets von essentieller Bedeutung. In zahlreichen Publikationen, bei historischen Feierlichkeiten, an Denkmälern usw. nehmen sie oftmals Bezug auf die „russische Herrschaft in Preußen“25. Eine ähnliche Funktion spielen bei den Litauern, beson ← 22 | 23 → ders im Memelland, die Aufstände prußischer Volksstämme gegen den Deutschen Orden, die durch die vorchristlichen litauischen Herrscher unterstützt wurden. Davon zeugen unter anderem Denkmäler prußischer Anführer, zum Beispiel für Herkus Monte, und nach ihnen benannte Straßen. In der polnischen Nationalmythologie haben die Schlacht bei Tannenberg und die Preußische Huldigung von 1525 diese Rolle übernommen.

Auf Initiative Friedrichs II. kam es 1772 zur ersten Teilung Polens. In der Folge fiel der nördliche und westliche Teil des Landes mit einer Fläche von 36 000 km2 Preußen zu. Preußen annektierte das Königliche Preußen, das seitdem als Westpreußen bezeichnet wurde. Das bisherige „Königreich in Preußen“ entwikelte sich mit dem Ermland (wo seit Mitte des 16. Jahrhunderts bis zum ausgehenden 18. Jahrhundert alle Bischöfe Polen waren) und dem Herzogtum Preußen zu Ostpreußen. West- und Ostpreußen bildeten das eigentliche Königreich Preußen. Die Besitztümer des Bischofs von Ermland und des Domkapitels, welches dem Papst und dem polnischen König unterstand, wurden säkularisiert; die Herrschaft über die Bewohner des Ermlands übernahm der preußische König. Die weiteren Teilungen Polens (1793 und 1795) bestärkten die preußische Herrschaft in diesem Teil Europas. Seit 1793 teilte sich Westpreußen in die Regierungsbezirke Danzig und Marienwerder.

Auf die Niederlage Preußens im Krieg gegen Napoleon (Schlacht bei Jena im Jahre 1806) und die Befreiung Polens durch französische Truppen folgte die Besatzung Ostpreußens26. In der napoleonischen Zeit wurde eine Reihe sozialer Reformen durchgesetzt (u. a. Abschaffung der Leibeigenschaft, Erlass der Befreiungsedikte, Beginn der Judenemanzipation, Reform des Schulwesens usw.). Nach der Niederlage des napoleonischen Heeres und dem Wiener Kongress (1815) wurden weitere Verwaltungsreformen in Angriff genommen. Die Provinz Ostpreußen wurde in zwei Regierungsbezirke, Königsberg und Gumbinnen, sowie in 37 Kreise geteilt. In den Jahren 1824-1878 wurden Ost- und Westpreußen zur Provinz Preußen zusammengelegt; der Sitz der Verwaltungsbehörden war Königsberg. 1878 wurde die Provinz erneut in Ost- und Westpreußen geteilt. Im Jahr 1905 wurden aus dem südlichen Teil Ostpreußens neun Kreise ausgegliedert und im neuen Regierungsbezirk Allenstein (neben den Regierungsbezirken Königsberg und Gumbinnen) zusammengefasst. 1817 zählte Ostpreußen insgesamt 886 000 Einwohner27. In der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts setzt sich für die Region, in ← 23 | 24 → der protestantische polnische Preußen leben, die Bezeichnung Masuren (Mazury) durch; das katholische Ermland wird „Polnisches Ermland“ (Polska Warmia) genannt. Die polnischen Bewohner dieser Gebiete werden mit der Zeit als Masuren und Ermländer bezeichnet. Beide Regionen bestehen aus südlichen Kreisen Ostpreußens. Im nördlichen Teil der Provinz lebte eine geschlossene Gemeinschaft protestantischer Preußisch-Litauer28. Die deutsche Bevölkerung (überwiegend Protestanten) lebte in den übrigen Regionen Ostpreußens und war die dominierende Bevölkerungsgruppe in den Städten. ← 24 | 25 →


14    Der Ritterorden wurde 1190 im Heiligen Land gegründet und erlangte 1198 den Status der Spitalbrüder. 1211 wurde er nach Siebenbürgen in Ungarn für den Kampf gegen die Kumanen berufen. 1225 wurde der Orden wegen seiner Bestrebungen, ein eigenes Staatswesen zu begründen, gezwungen, das Königreich Ungarn zu verlassen. Vgl. K. Górski, Studia i szkice z dziejów państwa krzyżackiego, Olsztyn 1996.

15    Ähnliche Ziele verfolgte der seit 1201-1202 in Livland ansässige Schwertbrüderorden. 1243 gründete der päpstliche Legat Wilhelm von Modena kraft einer Papstbulle neben der bereits bestehenden Diözese Kujawien vier weitere: Kulmerland und – „quasi auf Vorrat“ – drei preußische: Pomesanien, Ermland und Samland. Vgl. S. Drej, Święta Warmia…, S. 27.

16    Vgl. M. Biskup, Polska a Zakon Krzyżacki w Prusach w początku XVI wieku, Olsztyn 1983.

17    Um die Wende vom 14. zum 15. Jahrhundert machten die Prußen immer noch die Hälfte der Bevölkerung aus. Vgl. J. Jasiński, Zarys historii Prus Wschodnich, in: Atlantyda Północy. Dawne Prusy Wschodnie w fotografii, Olsztyn 1993, S. 59.

18    Vgl. E. Kruk, Warmia i Mazury…, S. 17-19.

19    J. Jasiński, Zarys historii…, S. 59.

20    Vgl. Państwo zakonu krzyżackiego w Prusach. Władza i społeczeństwo, pod red. M. Biskupa, R. Czai, Warszawa 2008.

21    Vgl. J. Jasiński, Zarys historii…, S. 61, 63; A. Kossert, Ostpreußen. Geschichte und Mythos, München 2005, S. 51-70.

22    Anders verlief diese Entwicklung in Lettland und Estland, wo den einheimischen Baltenvölkern die fremde Kolonisierung ländlicher Gebiete erspart blieb, so dass sie ihre soziale, kulturelle und rechtliche Eigenart in Livland bewahrten. Vgl. J. Okulicz-Kozaryn, Dzieje Prusów …, S. 479-498; G. Białuński, Stan badań…, S. 73, 74. Dort auch weiterführende Literatur. Mit der Problematik der prußischen Völker befasst sich unter anderem Grzegorz Białuński, Mitbegründer der Arbeitsstelle für Preußische Geschichte (Pracownia Badań nad Dziejami Prus) und des Seminarium Prussicorum am Wojciech-Kętrzyński-Forschungszentrum (Ośrodek Badań Naukowych im. W. Kętrzyńskiego) in Olsztyn. Hauptaufgaben der Arbeitsstelle sind Ausarbeitung einer neuen Synthese der Geschichte der Prußen, Edition der Quellen zur Geschichte und Kultur baltischer Stämme, Durchführung des „Seminarium Prussicorum“ und Veranstaltung von Konferenzen („Colloquium Baltica“). Er ist Redakteur des vom Forschungszentrum und der Wissenschaftlichen Gesellschaft Pruthenia herausgegebenen Jahrbuchs Pruthenia. Pismo poświęcone Prusom i ludom bałtyjskim [Pruthenia. Zeitschrift für Geschichte und Kultur der Prußen und der baltischen Völker], deren erste Ausgabe im Jahr 2006 erschien. Auf Initiative dieser Gesellschaft fand am 9.-15. August 2010 in Olsztynek (Hohenstein) ein Ostsee-Festival (Festiwal Bałtycki) statt, bei dem unter anderem Seminare für prußische Sprache veranstaltet wurden. An die Tradition Galindens als einer touristischen Sehenswürdigkeit knüpft Cezary Kubacki („Galindenführer Yzogus II.“) im masurischen Dorf Bartlewo (Barteln) am See Bełdany (Beldahn-See) an. Vgl. I. Trusewicz, Wiza do Galindii. Pomysł na biznes – kraina z wyobraźni wiejskiego lekarza stała się firmą turystyczną, „Rzeczpospolita“ vom 13.11.2006, S. 8. Forscher und Verbände, die sich mit der Problematik der verschwundenen prußischen Völker auseinandersetzen, sind auch in Litauen und Deutschland tätig.

23    Eine von mehreren Dutzend erhalten gebliebenen prußischen Stelen ist im Hof der früheren Deutschordensburg in Allenstein, wo heute das Museum für Ermland und Masuren beheimatet ist, ausgestellt.

24    Friedrich II. hielt den Treueid für einen Verrat an Preußen. Aus diesem Grund hat er diesen Teil seines Staates nie wieder besucht. Vgl. J. Jasiński, Historia Królewca, Olsztyn 1994, S. 124.

25    Vgl. z.B. W. Kulakow, Ot Wostocznoj Prussii do Kaliningradskoj obłasti. Istoriczeskij putiewoditiel, Kaliningrad 2002, S. 81-90.

26    Vgl. J. Jasiński, Wschodniopruskie kampanie Napoleona. Wielka Armia i Wojska Polskie w 1807 roku. Historia, tradycja, legendy, Olsztyn 2007; ders.: Napoleon w Olsztynie i okolicach (1807), Olsztyn 2003; Żołnierze polscy na Mazurach (1807), Olsztyn 2004.

27    Vgl. Grundriß zur deutschen Verwaltungsgeschichte 1815-1945, Reihe A: Preußen, hrsg. von W. Hubatsch, Bd. 1: Ost- und Westpreußen, bearb. von D. Stüttgen, Marburg/Lahn 1975, S. XVIII-XIX; J. Jasiński, Zarys historii…, S. 65.

28    Vgl. E. Martuszewski, Koncepcja zgermanizowania Litwinów Pruskich opracowana i przyjęta do realizacji w latach 1802-1803, in: Komunikaty Mazursko-Warmińskie 1979, Nr. 4, S. 441-457; ders. Polscy i niepolscy prusacy. Szkice z historii Mazur i Warmii, Olsztyn 1974; B. Piotrowski, Mniejszość litewska w Prusach Wschodnich (do lat osiemdziesiątych XIX wieku), in: Lituano-Slavica Posnaniensia. Studia Historia Bd. IV, 1990, S. 39-64.

3.   Ostpreußen in den Grenzen des Deutschen Kaiserreichs (1871-1918)

Der Sieg Preußens im Krieg gegen Frankreich in den Jahren 1870-1871 fiel auf den Höhepunkt der Macht des preußischen Staates; ihm waren Kriegserfolge gegen Dänemark (1864) und Österreich (1866) vorangegangen. Preußen wurden neue Gebietseroberungen (Elsass und Lothringen sowie Nordschleswig) einverleibt. Am 18. Januar 1871 wurde in Versailles unter Führung Preußens das Zweite Reich als gesamtnationaler Staat aller Deutschen ausgerufen. Wilhelm I., König von Preußen, wurde zum Erbkaiser des Deutschen Reiches mit der Hauptstadt Berlin. Das Deutsche Reich wie auch Preußen als dessen Teilstaat entwickelten sich zur europäischen Großmacht, deren Territorium sich von Nimmersatt nördlich von Memel bis nach Metz und Straßburg, von Schottburg in den Dänemark entrissenen Gebieten bis nach Kattowitz, von den Bayerischen Alpen bis nach Stralkowo bei Wreschen in Großpolen erstreckte.

Die große Kontribution, die vom besiegten Frankreich nach dem Krieg 1871 gezahlt wurde, und die intensive Industrialisierung und Urbanisierung im ausgehenden 19. Jahrhundert waren die wichtigsten Faktoren, die zur wirtschaftlichen Entwicklung Ostpreußens, das damals als „deutsche Kolonie in Europa“ bezeichnet wurde, beitrugen. Für die Masuren, Ermländer und Preußisch-Litauer bedeutete dies auch von einem effizienten Staatsapparat geplante, systematisch und in großem Stil durchgeführte Germanisierungsmaßnahmen. Dazu dienten die aufgrund des sog. „Kulturnationalismus“ ergriffenen Schritte, die auf eine radikale Begrenzung des Unterrichts der jeweiligen Muttersprache (Litauisch bzw. Polnisch) zugunsten der Staatssprache (Deutsch) abzielten29. Im Ermland spielte der Kulturkampf (1871-1886) eine wichtige Rolle im Kampf gegen das polnische Element30. Zum Symbol dieses Kampfes gereichten die Marienerscheinungen von 1877; dabei soll die Gottesmutter in Dietrichswalde, einem kleinen Ort südlich von Allenstein, zu ermländischen Mädchen (Seherinnen) auf Polnisch gesprochen haben. Der Ort entwickelte sich zu einem rege besuchten Wallfahrtsort und einem ← 25 | 26 → wichtigen Zentrum für das Polentum31. Im Jahr 1878 wurde das Polnische aus den ostpreußischen Schulen gänzlich verbannt. Als Reaktion auf die antilitauische und antipolnische Politik, die vom „Eisernen Kanzler“, Otto von Bismarck, verkörpert wurde, entwickelten sich die Nationalbewegungen: die litauische im Memelland und die polnische vorwiegend im Polnischen Ermland. Symbol des Polentums wurden die 1886 gegründete „Gazeta Olsztyńska“, die im masurischen Lyck erscheinende „Gazeta Ludowa“ (1896-1902) sowie das Blatt „Mazur“ in Ortelsburg (1908-1914)32. Eine wichtige Rolle bei der Pflege des litauischen Elements spielte die in Memel ab 1901 erscheinende Zeitung „Lietuwiszka Ceitunga“ sowie „Auszra. Laikrasztis, iszleidziamas Lietuvos miletoju“, die ab 1883 publiziert wurde.33 Im Jahr 1896 wurde die Mazurska Partia Ludowa (Masurische Volkspartei) gegründet, die die erste politische Organisation masurischer Bauern war. Die staatlichen Bemühungen um eine Assimilation der Polen, Litauer, Masuren, Ermländer, Juden und anderer Nationalitäten auf der Grundlage des Deutschtums wurden ab Ende des 19. Jahrhunderts durch die allgemeine zivilisatorische Entwicklung und den wachsenden Wohlstand begünstigt.

Das Preußen des Ordens und der brandenburgischen Kurfürsten war ein Vielvölkerstaat, in dem verschiedene Nationen friedlich miteinander lebten. Kriege und zahlreiche Epidemien, als zum Beispiel in den Jahren 1709-1710 154 000 Menschen oder etwa ein Viertel der Gesamtbevölkerung der Provinz verhungert oder an verschiedenen Seuchen gestorben waren, führten dazu dass die Staatsbehörden an der Zuwanderung neuer Siedler aus Polen, Litauen und anderen Ländern interessiert waren. So kamen beispielsweise in den Jahren 1732-1734 17 000 protestantische Emigranten aus Salzburg und der Umgebung nach Ostpreußen. Gegen Ende des 19. Jahrhunderts lebten hier auch etwa 1 000 Altgläubige (Philipponen) und mehr als 3 000 Juden34.

Neben der dominierenden deutschen Bevölkerung waren preußische Polen die zahlenmäßig zweitstärkste Gruppe. Unter ihnen haben sich wegen unterschiedlicher Religionen und historischer Schicksale zwei Gruppen herausgebildet, die ← 26 | 27 → zu den ethnischen Minderheiten zu zählen sind. Dies waren die protestantischen Masuren und die katholischen Ermländer.

3.1.   Masuren

Mehrere polnische Siedlungswellen in die nach der Unterwerfung der Prußenstämme durch den Deutschen Orden entvölkerten Gebiete ließen hier geschlossene Zentren polnischstämmiger Bevölkerung entstehen. Die polnische Kolonisation in Masuren, die sich parallel zur Einwanderung der deutschen Bevölkerung entwickelte, war keine staatliche Expansion, so dass das polnische Element unter der fremden, starken Macht des Deutschen Ordens stand und später (1525-1657) unter der Oberhoheit der preußischen Herzöge, die Lehnsmänner der polnischen Krone waren. Die Säkularisierung des Deutschen Ordens und die Annahme des Protestantismus durch die Mehrheit der damaligen Bewohner Preußens trugen zur allmählichen Abschottung der Masuren nicht nur gegen Polen, sondern auch gegen das katholische Ermland bei. Die polnische Bevölkerung, die jahrhundertelang unter preußischen Herrschern lebte, bildete in Masuren ein auf eigener Sprache und Erhalt eigener Sitten und Gebräuche beruhendes eigenständiges gesellschaftliches Bewusstsein aus.

Im 17. Jahrhundert bildeten die preußischen Polen immer noch eine geschlossene und dynamische Gruppe, die polnische Kolonisation setzte sich fort. Der Niedergang Polens und die Erlangung der Unabhängigkeit durch Preußen bedingten einen allmählichen Wandel der Rahmenbedingungen für das polnische Element. Die preußischen Masuren bildeten nunmehr eine geschlossene ethnische Gruppe nur im ländlichen Milieu. Der polnische Adel und das polnische Bürgertum übernahmen immer häufiger fremde Kulturmuster. Trotz dieser Entwicklung in der zweiten Hälfte des 19. und zu Beginn des 20. Jahrhunderts behielten die Masuren ihre Eigenständigkeit bei. Preußen war ein Gebiet, auf dem unterschiedliche sprachliche, ethnische und nationale Gruppen sich berührten und zusammenlebten. Noch im 19. Jahrhundert verlief hier – oft unscharf – die polnisch-litauische, polnisch-deutsche und deutsch-litauische Sprachgrenze. Es gab mehrere Sprachinseln und in einzelnen Familien wurden manchmal mehrere Sprachen gesprochen. Masuren war ein besonderes sprachlich-ethnisches Grenzgebiet, im Laufe der Jahrhunderte hervorgegangen aus sich überlagernden Kolonisationswellen mit unterschiedlicher Reichweite, Ausprägung und Intensität.

Die Masuren lebten jahrhundertelang in ihrer eigenen Welt, einem gesonderten geistigen Klima, in dem sie sich unter dem organisierten und systematischen Assimilationsdruck immer mehr gegen die Außenwelt abschotteten. Aus der deutschen oder deutsch geprägten Umwelt wurden verschiedene Lebens- oder Wirtschaftsführungsmuster u.Ä. mehr oder weniger bewusst übernommen, die ← 27 | 28 → wichtigsten Werte wie Brauchtum, Religion, Sprache, Schrifttum wurden aber gerade durch die Herausbildung eines separaten masurischen Milieus geschützt, das imstande war, seine eigene – unabhängige und der deutschen Außenwelt entgegengesetzte – Meinung zu entwickeln. Lange Zeit bildeten die Masuren eine Randgruppe sowohl im preußischen Staat als auch in polnischen Überlegungen zur Volkszugehörigkeit35.

Der Erhalt und die Entwicklung der masurischen Gruppenidentität war trotz der fortschreitenden Assimilation an das Deutschtum auf mehreren einander bedingenden und durchdringenden Ebenen (Kultur und Sprache, Religionszugehörigkeit, Wirtschaft und Weltanschauung) möglich36.

Die Bezeichnung der polnischen Bevölkerung in den südlichen Kreisen des ehemaligen Ostpreußens als Masuren geht auf den Anfang des 19. Jahrhunderts zurück. Noch unter der Herrschaft Friedrich Wilhelms IV. (1840-1861) wurden die Bewohner Preußens als polnische, litauische, deutsche oder französische Preußen bezeichnet. „Masuren“ nannten sich selbst damals die Bewohner des polnischen Masowiens (die Masowier). Nach der dritten Teilung Polens im Jahr 1795 fiel das masowische Gebiet am Narew an Preußen und wurde zu Neuostpreußen. Die preußischen Behörden erkannten damals, dass die katholischen „Masuren“ in Masowien und Podlachien die gleiche Sprache sprachen wie die protestantischen „polnischen Preußen“, die in den sog. „polnischen Ämtern“, d. h. in „Polnisch-Preußen“ (Prussia Polonica) lebten. Daher nannte man die „polnischen Preußen“ zunächst in „preußische Masuren“ um, um es später nur bei der Bezeichnung „Masuren“ zu belassen. Anfänglich waren die „polnischen Preußen“ mit diesem neuen Eigennamen gar nicht einverstanden, denn sie sahen darin – nicht zu Unrecht – Anzeichen einer gewissen Boshaftigkeit. Der Name „Masuren“ als geographisch-ethnischer, nicht als administrativer Begriff begann nach der neuen Kreiseinteilung von 1818 die Oberhand zu gewinnen. In der Mitte des 19. Jahrhunderts war dieser Name schon ein fester Begriff37.

Die Hochburg des Masurentums bildeten jahrhundertelang lokale Gruppen auf dem Lande. Zu ihren besonderen Merkmalen gehörten – neben ihren geringen ← 28 | 29 → Dimensionen – die relative Abschottung gegen die Außenwelt, die weitgehende Autarkie sowie direkte persönliche Kontakte aller Gruppenmitglieder, beruhend auf Verwandtschaft und Nachbarschaft, oft unabhängig von der Sprache, die sie beherrschten. Weitere Merkmale, durch die sich diese Milieus auszeichneten, waren die beachtliche materielle, berufliche und ethnische Homogenität und – in der Regel – gemeinsame Traditionen, sittliche Normen, Religion und Brauchtum. Die lokale Kleingesellschaft (Dorf oder Kleinstadt) bildete in Masuren meist eine integrierte Einheit mit einer ausgeprägt informellen Struktur und unabhängig von der formellen Verwaltungsorganisation. Diese wiederum bestimmte die soziale Stellung des Einzelnen oder der jeweiligen Familie, wo ein einheitliches Wertesystem dominierte und die sozialen Bande durch Verwandtschaft und Nachbarschaft determiniert waren.

Eine bedeutende Rolle bei der Pflege der masurischen ethnischen Eigenart spielte die polnische Sprache, die bis 1871 in masurischen Dorfschulen unterrichtet wurde. Ein Ansatz der Germanisierungspolitik war unter anderem das Bestreben, die „masurische Sprache“ als eine vom Polnischen gesonderte Sprache zu definieren. Das Fehlen engerer Beziehungen zu den Polen jenseits der Grenze und eingeschränkte Kontakte zum katholischen Ermland hatten zur Folge, dass das von den Masuren gesprochene Polnisch in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts und im 20. Jahrhundert zunehmend archaischer und für diese Sprachgemeinschaft kennzeichnend wurde. Es stützte sich in beachtlichem Maße auf die unter den Masuren verbreiteten Bibeln, Gesangbücher und andere religiöse Bücher, die meistens den Syntaxregeln der Zeit der Renaissance und des Barocks folgten. Charakteristisch für diese in ihrer Form edle und schöne Sprache war, dass sie hauptsächlich in den traditionell geprägten masurischen Lokalgesellschaften gesprochen wurde. In erster Linie war sie das Idiom masurischer Bauern und Arbeiter; stieg ein Masure sozial auf, sprach er entweder Deutsch oder die polnische Schriftsprache.

Die eigene Sprache der Masuren war der Hauptfaktor, der diese Gemeinschaft zusammenhielt. Dies galt insbesondere für die ländliche Bevölkerung fernab der Städte, wo zahlreiche Institutionen aktiv waren, die eine rasche Assimilation der masurischen Bevölkerung an das Deutschtum betrieben. Die Verbreitung des Polnischen anhand der deutschen Statistiken aus den Jahren 1890-1925 ist in Tabelle 1 dargestellt.

Ein weiteres wichtiges Element, das die Eigenart und das Selbstbewusstsein der Masuren bestärkte und wachhielt, war neben der polnischen Sprache38 der einmalige Typus der masurischen Religiosität. Sie beruhte auf eigenen, dem Luthertum entlehnten Religionsformen, unter anderem der Gromadkibewegung, deren Mitglieder am Kirchenleben teilnahmen, aber unabhängig davon ihren von Lai ← 29 | 30 → en, nicht von Priestern, geleiteten Versammlungen angehörten, den „Gromadki“ (Häuflein). Diese Bewegung entstand zu Beginn des 19. Jahrhunderts.39

Den bei weitem größten Anteil an der masurischen Bevölkerung machten die Kleinbauen aus, die oftmals ungeachtet großer Anbauflächen schlechte Böden bewirtschafteten; dieser Umstand sowie ihre vielköpfigen Familien zwangen sie dazu, sich nach anderen Erwerbsmöglichkeiten umzusehen. Eine beachtliche Zahl der Masuren gehörte zu den niedrigsten sozialen Schichten Ostpreußens. Sie arbeiteten in der Regel als Landarbeiter, Fischer, Handwerker, Kleinkaufleute oder städtische Arbeiter. Eine geringe Gruppe machten die Kleinbürger (in Bialla, Arys) aus. Die Masuren bekleideten auch niedere Funktionen in der Verwaltung, bei der Polizei als Boten, Dolmetscher, untere Kanzleibeamte, Polizisten oder bei der Eisenbahn als Arbeiter, Träger, Bahnwärter, Schaffner usw.

Tabelle 1     Sprachenstatistik in Masuren (Kreise: Osterode, Neidenburg, Ortelsburg, Johannisburg, Lyck, Lötzen, Sensburg und Marggrabowa) in den Jahren 1890-1925

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Quelle: Siehe W. Pohorecki, Mazurzy w Prusach Wschodnich, in: Sprawy Narodowościowe 1932, Nr. 2-3, S. 170, Tab. II.

Aufgrund des Konservatismus der masurischen Bevölkerung, der unter anderem in der Pflege des eigenen Brauchtums und der polnischen Sprache zutage trat, begann sich im 19. Jahrhundert ein negatives Stereotyp des Masuren herauszubilden. Genährt wurde dies auch durch die materielle Armut, das niedrige Niveau der Agrarkultur und das Analphabetentum sowie durch Alkoholismus und Kriminalität, die damals in Masuren weit verbreitet waren40.

Am augenfälligsten manifestierte sich dieses Stereotyp in der verbreiteten Redewendung: „Wo sich aufhört die Kultur, fängt sich zu leben an Masur“ bzw. „Wo sich anfängst das Masur, so sich aufhört den Kultur“). Die Syntax war absichtlich ← 31 | 32 → verstümmelt und falsch, was auf mangelnde Deutschkenntnisse der Masuren hinweisen sollte. Dieser verächtliche Ausspruch war unter den Deutschen allgemein gebräuchlich, die damit die kulturelle und zivilisatorische Minderwertigkeit der masurischen Bevölkerung zum Ausdruck brachten.

Die Masuren, die jahrhundertelang in ihrer eigenen kleinen Welt, einem gesonderten geistigen Klima lebten, reagierten auf nationenbildende Prozesse mit einem Widerstand, wie er dem rückschrittlichen Teil der ländlichen Bevölkerung eigen ist.

Unter den Masuren herrschte die Haltung eines nationalen Indifferentismus vor. Wojciech Kętrzyński, der aus Masuren stammte, fasste dieses Problem in seiner 1872 erschienenen Arbeit O Mazurach (Über die Masuren) folgendermaßen: „Obwohl der Masure es weiß und zugibt, dass er Polnisch spricht, wirst du doch selten aus seinem Munde hören, dass er Pole ist, sondern eher, er sei ein Preuße, denn die Polen mag er schon wegen der Religion nicht und bringt ihnen keine Sympathie entgegen. Damit diese Abneigung nichts an Stärke einbüßt, wird allerlei Einfluss genommen, über den zu reden sich erübrigt“.

Das Eigenleben der Masuren bewirkte, dass das Interesse Polens an dieser Volksgruppe recht gering war. Versuche, die Masuren politisch in das polnische Leben der Teilungsgebiete zu integrieren, wurden zwar schon relativ früh unternommen, doch systematische Maßnahmen diesbezüglich erst in den Jahren 1880-1885 ergriffen. Sporadische polnische Kampagnen um die Wende zum 20. Jahrhundert konnten nicht die gewünschten Ergebnisse zeitigen.

3.2.   Ermländer

Unter der Herrschaft des preußischen Königs Friedrich II. wurde den Bewohnern des Ermlands am 13. September 1772 verkündet, dass diese Gebiete nach 306 Jahren der Zugehörigkeit zum polnischen Staat nun in den Grenzen Preußens lagen. Dies war die Folge der ersten Teilung Polens. Der Bischof von Ermland, Ignacy Krasicki, musste zur Kenntnis nehmen, dass preußische Kommissare das Wappen der Hohenzollern-Monarchie an den öffentlichen Gebäuden in Frauenburg, Heilsberg, Braunsberg, Allenstein, Guttstadt, Wormditt, Mehlsack, Rößel, Wartenburg, Bischofsburg und anderen Städten Ermlands befestigten. Die polnische Bevölkerung, die im 16. Jahrhundert das südliche Ermland kolonisiert hatte, wurde für 176 Jahre zu Untertanen des preußischen und deutschen Staates. Im nördlichen Ermland lebten Deutsche. Ein Teil von ihnen hielt den Anschluss an Preußen für eine „historische Gerechtigkeit“. Die polnischen Ermländer wurden zur nationalen Minderheit unter den deutschsprachigen Bewohnern des Königreichs Preußen. ← 32 | 33 →

Die neuen Machthaber begannen unverzüglich mit der Integrierung des Fürstbistums Ermland in den preußischen Staat. An Stelle der zehn Kammerämter wurden zwei Kreise (Heilsberg und Braunsberg) gemäß der preußischen Gesetzgebung gebildet. 1818 wurde Ermland im Zuge der gesamtstaatlichen Verwaltungsreform in vier Kreise (Braunsberg, Heilsberg, Rößel und Allenstein) aufgeteilt. In den zuletzt genannten Kreisen, die in der polnischen Wissenschaft als „Polnisches Ermland“ bezeichnet werden41, bildeten die Polen eine geschlossene Bevölkerungsgruppe; im Kreis Allenstein stellten sie die Hälfte der Einwohner.

Tabelle 2     Zahl polnischer und deutscher Einwohner in den Kreisen Allenstein und Rößel in den Jahren 1890-1910

Quelle: Eigene Aufstellung aufgrund von L. Belzyt, Sprachliche Minderheiten im preußischen Staat 1815-1914. Die preußische Sprachenstatistik in Bearbeitung und Kommentar, Marburg 1998, S. 83, 90.

1890 lebten im Regierungsbezirk Allenstein insgesamt 349 800 polnische Preußen (d. h. Ermländer und Masuren), was 67 % der Gesamteinwohnerzahl ausmachte; 1910 betrug diese Zahl dagegen 337 300 Personen oder 62,1 %. Im Jahr 1910 zählten die katholischen Ermländer ca. 42 000 Personen, während es die protestantischen Masuren auf etwa 295 000 brachten.42

Die Ermländer bildeten, ähnlich wie die Masuren, eine zumeist bäuerliche Bevölkerung, die eine eigene Mundart sprach43 und zahlreiche Merkmale auf ← 33 | 34 → wies, durch sie sich sowohl von den deutschen Ermländern als auch von ihren Landsleuten im polnischen Kernland unterschied44.

3.3.   Preußisch-Litauer

Die zahlenmäßig drittgrößte Bevölkerungsgruppe neben Deutschen und preußischen Polen bildeten im 19. Jahrhundert die Preußisch-Litauer (die übrigen Bewohner dieser Region wurden als preußische Schotten, preußische Engländer, preußische Salzburger, preußische Juden oder preußische Hugenotten, Mennoniten oder Philipponen bezeichnet). Protestanten machten im Jahr 1910 94 % aller Preußisch-Litauer aus. Diese bewohnten den nördlichen Teil Ostpreußens. Im Jahre 1861 wurde ihre Zahl auf ca. 171 000 geschätzt. Laut der Erhebung aus dem Jahr 1890 ging die Zahl der litauischen Bevölkerung durch Assimilationsprozesse (die sich ähnlich wie unter Ermländern, Masuren und anderen Minderheiten vollzogen) zurück und betrug 131 000, 1910 dann 114 000.45 Die räumliche Verteilung der litauischen Bevölkerung in den Regierungsbezirken Gumbinnen und Königsberg in den Jahren 1890 und 1910 wird in Tabelle 3 veranschaulicht.

Tabelle 3     Zahl der litauischen Einwohner in den Regierungsbezirken Gumbinnen und Königsberg in den Jahren 1890 und 1910

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Quelle: S. L. Belzyt, Sprachliche Minderheiten im preußischen Staat 1815-1914. Die preußische Sprachenstatistik in Bearbeitung und Kommentar, Marburg 1998, S. 25.

Die meisten litauischen Einwohner (25 000) lebten im Kreis Heydekrug (Šilutė), wo sie im Jahr 1910 nicht weniger als 57,8 % der Einwohnerschaft ausmachten, und im Kreis Memel, wo 31 300 Litauer lebten oder 50,5 % der Einwohnerschaft. Die fortschreitende Assimilation an das Deutschtum wurde (ähnlich wie in Masuren und dem Ermland) durch den Verlust der nationalen Eigenständigkeit begleitet. Dies war in den Kreisen südlich von Memel und Heydekrug besonders signifikant. Noch zu Beginn des 19. Jahrhunderts verlief im Kreis Goldap die litauisch-polnische Sprachgrenze. Das 19. Jahrhundert brachte allerdings ein allmähliches Verschwinden der litauischen Sprache im südlichen, auch Kleinlitauen genannten Preußisch-Litauen; dies entsprach dem Schwund des Polnischen im nördlichen Masuren und dem Ermland: So lebten 1831 beispielsweise 12 350 Litauer im Kreis Insterburg und machten 25 % aller Einwohner aus. 1861 halbierte sich diese Zahl auf 6 100 Personen (10 %), um dann 1890 auf 1 600 (2,2 %) bzw. 1910 auf 960 (1,2 %) zu schrumpfen46.

Die litauischen und polnischen Preußen bildeten eine ländliche Bevölkerung, das Zugehörigkeitsgefühl zu ihrem jeweiligen Volk war relativ schwach ausgeprägt. Dass die Preußisch-Litauer wie die Masuren protestantisch waren, trug nicht eben dazu bei, die Kontakte mit ihren katholischen Landsleuten in Großlitauen zu intensivieren. Der Germanisierungsprozess47 war unter den Arbeitern und litau ← 35 | 36 → ischen Intellektuellen sowie unter den Stadtbewohnern besonders augenfällig48. Eine Hochburg des Litauertums war das konservative ländliche Milieu mit starkem Einfluss der Kirche, wo Gottesdienste in der Muttersprache gehalten und das Litauische auf der Stufe der Elementarschulen unterrichtet wurde. Erste Germanisierungskonzepte für das litauische Schulwesen wurden bereits in den Jahren 1802-1803 erstellt49. Zu einem harten Kampf gegen den Litauischunterricht kam es 1881, als unter anderem in der Region Gumbinnen neue Vorschriften über die Beschränkung der litauischen Sprache im Religionsunterricht in Kraft traten. Das Litauische wurde zu einer Hilfssprache degradiert50. Ende des 19. Jahrhunderts war die litauische Nationalbewegung in Ostpreußen klein und verfügte nur über bescheidene Mittel, um größere Wirkung zu entfalten51. Aus deutschen Studien vom Mai 1914 ging hervor, dass die Gesamtheit der Preußisch-Litauer hinsichtlich ihrer nationalen Einstellungen in vier Hauptgruppen eingeteilt werden konnte. Zur ersten wurden germanisierte Litauer gezählt, die „ihr Littauertum nicht schätzen, es für minderwertig halten und sich deshalb ihrer Sprache und Abstammung schämen“. Sie erzögen ihre Kinder deutsch und suchten selbst mehr oder minder bewusst im Deutschtum aufzugehen. ← 36 | 37 →

Zur „zweite Klasse“ wurden die national Gleichgültigen gerechnet, die „keinen Unterschied zwischen Deutsch- und Littauertum erblicken und für völkische Bestrebungen überhaupt kein Verständnis haben“. Die Zahl dieser Personen hatte „in den letzten Jahren sehr abgenommen“.

Die dritte Klasse bestand aus denen, die sich ihres Litauertums und der Entfremdung gegenüber Deutschland bewusst waren. Die Verbindung zum Heimatland knüpften sie an Sprache und Brauchtum. Diese Personen wollten „Litauer bleiben und erziehen ihre Kinder demnach“.

Zur vierten Klasse zählten Litauer mit einem ausgeprägten nationalen Bewusstsein, die von ihren Bindungen an Großlitauen überzeugt waren und danach strebten, einen unabhängigen Staat zu erlangen, dessen integrale Bestandteile Kleinlitauen und die Preußisch-Litauer sein sollten. Sie standen „dem Deutschtum feindlich gegenüber […]“.52

Ähnliche Haltungen waren auch unter den Masuren und Ermländern anzutreffen. Mit der fortschreitenden Germanisierung schrumpften die beiden letztgenannten Gruppen ab Mitte des 19. Jahrhunderts immer mehr.

In Ostpreußen waren die Deutschen in der Überzahl. Um die Wende zum 20. Jahrhundert stellten sie drei Viertel der gesamten Bevölkerung der Provinz, in der ca. 2 Millionen Einwohner lebten53. Die Deutschen bildeten die Mehrheit im Regierungsbezirk Königsberg und in den Städten, darunter in Königsberg, der Provinzhauptstadt.

Ostpreußen war somit für seine deutsche Bevölkerung ein Nationalstaat. Der Staats- und Verwaltungsapparat, das Militär und alle ostpreußischen Institutionen waren in ihren Händen und unterstanden ihr. Erhielt ein Preußisch-Litauer, Ermländer oder Masure einen „Regierungsposten“ oder machte Karriere in den Verwaltungsstrukturen (was sehr selten vorkam), begann er früher oder später, sich für einen Deutschen zu halten. Adlige, Grundbesitzer, Offiziere, Intellektuelle im weiten Sinne und die gesellschaftlichen Eliten waren deutsch. Einige wenige Ausnahmen bestätigen diese Regel nur. ← 37 | 38 →

In Ostpreußen als einem Agrarland, das wirtschaftlich (Industrialisierung und Urbanisierung, Infrastruktur) niedriger stand als der gesamte deutsch-preußische Staat, blieb der Anteil der ländlichen Bevölkerung hoch und erreichte noch 1871 knapp 80 %54. Ein in sozialer Hinsicht gravierendes Problem war die große, durch die Arbeitssuche bedingte Auswanderung der ostpreußischen Bevölkerung in den Jahren 1871-1910 in die Industriezentren (Ruhrgebiet, Nordrhein-Westfallen, Berlin, Hamburg usw.) und nach Übersee. In diesem Zeitraum verlor die Provinz mehr als 700 000 Personen, das waren 74,3 % des natürlichen Bevölkerungszuwachses55.

Im Jahr 1910 lebten in Ostpreußen auf einer Fläche von 38 724 km2 2 064 175 Menschen. Unter ihnen waren 85,3 % Protestanten, 13,2 % Katholiken, 0,75 % Anhänger anderer christlicher Konfessionen und 0,8 % Israeliten56. Die wichtigsten Quellen für den Lebensunterhalt der ostpreußischen Bevölkerung waren 1907 Land- und Forstwirtschaft sowie Fischerei zu 53,2 %, Industrie und Handwerk zu 20,4 % sowie Handel und Kommunikation zu 9,1 %57. Die Bevölkerungsdichte war gering, insbesondere in den ländlichen Gebieten58.

Ostpreußen war die einzige Provinz des Deutschen Kaiserreichs, die im Ersten Weltkrieg von den kriegerischen Auseinandersetzungen direkt betroffen war. Nach der siegreichen Schlacht bei Bialla waren die russischen Truppen schon am 9. August 1914 in die Provinz eingedrungen. Die zweite russische Besatzung in der jüngeren Geschichte dauerte mehr als ein halbes Jahr (bis März 1915, nach der Schlacht bei Memel). Die russische Armee nahm insgesamt zwei Drittel des Provinzterritoriums ein. Nur Königsberg, Lötzen, Sensburg, Osterode und Mohrungen konnten die Russen nicht besetzen. Bei den Kriegshandlungen verloren 1 500 bis 2 000 Menschen ihr Leben. Mehr als 3 000 gerieten in Gefangenschaft und wurden nach Russland deportiert. Geflüchtet waren insgesamt mehr als 800 000 Menschen59. Es wurden 39 Städte60 und 1 900 Dörfer zerstört, 40 000 Gebäude ← 38 | 39 → brannten nieder, 60 000 wurden beschädigt und 80 000 ausgeplündert. Nach der siegreichen Schlacht bei Tannenberg im Jahr 1914, die später zu einem nationalen Symbol werden sollte, und der anschließenden Zurückdrängung der russischen Truppen begann ein großes Wiederaufbauprogramm zur Beseitigung der Kriegszerstörungen (schätzungsweise beliefen sich die Schäden auf 1,25 bis 1,5 Milliarden Mark). Für die wirtschaftlich zurückgebliebene Provinz war dies ein deutlicher Modernisierungsschub.

3.4.   Königsberg – Ostpreußens Hauptstadt

1255 ließen die Ordensritter nach dem erfolgreichen Feldzug gegen die Prußen im Samland eine kleine Burg unweit der prußischen Wallburg am Ufer des Flusses Pregel errichten. Die Burg wurde zu Ehren des böhmischen Königs Ottokar II., der im Samland gekämpft hatte, Königsberg genannt.

Die Polen benutzten seit dem 16. Jahrhundert den Namen Królewiec (zuvor Crolowgrod bzw. Królówgród). Im Jahr 1255 wurde auch die erste kleine Kirche zu St. Nikolai errichtet und der Bau der Stadt eingeleitet. Nach zwei Jahren wurde mit der Ausweitung der Burg begonnen. Nach der Besiegung der Prußen, die die Burg während eines von ihnen 1265 angezettelten Aufstands belagert hatten, begann der Ausbau der Siedlung. Die Stadtrechte erhielt Königsberg am 28. Februar 1286.61

In der direkten Nachbarschaft der Altstadt entstanden im 14. Jahrhundert weitere Siedlungen: Löbenicht und Kneiphof. Die Zusammenlegung dieser Orte zu einer Stadt Königsberg vollzog sich aber erst im Jahr 1724. Im Jahr 1440 trat Königsberg dem Preußischen Bund bei. Im Dreizehnjährigen Krieg (1454-1466) blieb Königsberg in Opposition zum Deutschen Orden. Im 16. Jahrhundert verwandelte sich die Stadt unter Herzog Albrecht zu einem protestantischen Zentrum Europas. 1525 wurde die Stadt am Pregel zur Hauptstadt des Herzogtums Preußen, das kurz zuvor noch als Ordensstaat bezeichnet worden war. Dies war die Folge des Preußischen Treueides, den Albrecht Hohenzollern im gleichen Jahr in Krakau dem polnischen König, Sigismund I., geleistet hatte. Königsberg wurde polnisches Lehen, und Albrecht Herzog in Preußen, dem ersten lutherischen Staat. Die meisten Bewohner traten zum Protestantismus über. Ein wichtiges Ereignis in der Geschichte der Stadt war die Gründung einer Universität ← 39 | 40 → durch Herzog Albrecht im Jahr 1544; sie trug später zu seinen Ehren den Namen Albertina. Ziemlich bald wurde sie zum wichtigsten Zentrum der Reformation und des Luthertums auf dem Alten Kontinent. Das Universitätsgebäude wurde neben dem Dom erbaut. Während der Reformation studierten und lebten in der Stadt viele polnische Protestanten. Hier wurden zahlreiche Bücher auf Polnisch gedruckt, unter anderem Werke und Übersetzungen von Jan Seklucjan, Stanisław Murzynowski, Jan Malecki, Mikołaj Rej. 1718 erschien die erste Ausgabe der polnischsprachigen Wochenzeitung „Poczta Królewiecka“ (Königsberger Post). Der Hartungsche Verlag druckte in hohen Auflagen das Nowo wydany kancjonał pruski (Das neu aufgelegte preußische Gesangbuch) in Bearbeitung von Jerzy Wasiański (bis 1925 wurden 70 Ausgaben dieses „heiligen Buches der Masuren“ verzeichnet, mit Auflagen von jeweils 20 000 bis 50 000 Exemplaren). In Königsberg wurden auch Übersetzungen der Bibel und andere evangelische Schriften auf Litauisch und Prußisch veröffentlicht62.

Mit Königsberg und seiner Universität verbunden war der berühmteste Bürger der Stadt, der Philosoph Immanuel Kant (1724-1804).

Die geographische Lage Königsbergs am Schnittpunkt zahlreicher Handelswege begünstigte ab dem 17. Jahrhundert eine rasche Entwicklung der Stadt. Im Jahr 1663 huldigten die preußischen Stände auf dem Innenhof des Königsberger Schlosses dem Großen Kurfürsten Friedrich Wilhelm, und 1701 fand hier die feierliche Krönung des Königs in Preußen, Friedrichs I., statt. Im gleichen Jahr erhob der neue König die Albertina zur königlichen Universität. Während des Siebenjährigen Krieges wurde Königsberg im Januar 1758 von den Russen erobert, die die Stadt bis März 1763 besetzt hielten. Ein weiterer Eroberer der Pregelstadt war die Napoleonische Armee, die im Juni 1807 einmarschierte. Nach der Zahlung einer Kontribution verließen die französischen Verbände im Juli des gleichen Jahres die Stadt.

Die vierziger Jahre des 19. Jahrhunderts sind die Zeit des sog. Königsberger Liberalismus. Dank Johann Jacoby und weiteren liberalen Geistern war Königsberg nicht nur in Preußen, sondern auch in ganz Deutschland bekannt. Man nimmt an, dass die liberalen Ansichten, die am Pregel verkündet wurden (sog. Vormärz), den Boden für die Revolution von 1848, den Völkerfrühling, bereiteten. In der Zeit der nachrevolutionären Reaktion fand 1861 auf dem Schloss die Krönungszeremonie König Wilhelms I. statt. Diese Feierlichkeiten bestärkten die Stadteinwohner in dem Gefühl, dass sie zu Preußen gehörten und die Provinz mit der Haupt- und Residenzstadt ein wichtiges Zentrum der ganzen Hohenzol ← 40 | 41 → lernmonarchie sei. Das 19. Jahrhundert war eine Zeit der intensiven Entwicklung von Industrie und Handel, des Ausbaus der städtischen Infrastruktur und der Ausweitung der territorialen Grenzen. 1849 hatte Königsberg 75 000 Einwohner, während es im Jahr 1871 bereits 112 000 waren.63 Die Stadt war zugleich wissenschaftliches und künstlerisches Zentrum der Provinz. Hier konzentrierte sich das geistige und politische Leben, hier erschienen die wichtigsten Zeitschriften, wie zum Beispiel die sozialdemokratische „Königsberger Volkszeitung“, die liberale „Königsberger Hartungsche Zeitung“, die konservative „Ostpreußische Zeitung“ und die nationalliberale „Königsberger Allgemeine Zeitung“64. Königsberg wurde auch zu einem wichtigen Zentrum jüdischen Lebens. Im Jahr 1871 wohnten hier 3 865 Juden (3,4 % aller Einwohner der Stadt). Sie beteten unter anderem in der neuen Synagoge, die 1896 in der Stadtmitte erbaut worden war.65

Während des Ersten Weltkriegs verschonte die Kriegsfurie die Stadt, die ein wichtiges Zentrum der Rüstungsindustrie (Schiffswerften) und die Kornkammer des Reiches war. Während der Hungersnot in den Städten West- und Mitteldeutschlands im Winter 1916/1917 wurden Kinder nach Ostpreußen und Königsberg verschickt, da hier bessere Verpflegungsmöglichkeiten herrschten66. ← 41 | 42 → ← 42 | 43 →


29    Vgl. J. Jasiński, Problematyka języków niemieckich w Ostpreußen w I połowie XIX wieku, in: Zagadnienia narodowościowe w Ostpreußen w XIX i XX wieku, pod red. J. Jasińskiego, Olsztyn 1993, S. 8-59.

30    Vgl. J. Jasiński, Świadomość narodowa na Warmii w XIX wieku. Narodziny i rozwój, Olsztyn 1983; R. Traba, Niemcy – Warmiacy – Polacy 1871-1914. Z dziejów niemieckiego ruchu katolickiego i stosunków polsko-niemieckich w Prusach, Olsztyn 1904; F. Dittrich, Kulturkampf im Ermland , Berlin 1913; L. Trzeciakowski, Kulturkampf w zaborze pruskim, Poznań 1970; J. Krasuski, Kulturkampf. Katolicyzm i liberalizm w Niemczech XIX wieku, Poznań 1963.

31    Vgl. H. Orłowski, Rzecz o dobrach symbolicznych. Gietrzwałd 1877, Olsztyn 2005. Dort auch weiterführende Literatur.

32    Vgl. W. Wrzesiński, Warmia i Mazury w polskiej myśli politycznej 1864-1945, Warszawa 1984.

33    Vgl. S. Pocytė, Mažlietuviai vokietijos imperijoje 1871-1914, Vilnius 2002; Vgl. auch: S. Szostakowski, Wschodniopruskie tło czasopisma „Auszra“ (1883-1886), in: Polacy, Litwini, Niemcy w kręgu wzajemnego oddziaływania. Z zagadnień Litwy Pruskiej i stosunków niemiecko-litewskich i polsko-litewskich w drugiej połowie XIX i XX wieku (do 1939 roku), Olsztyn 1992, S. 9-26.

34    L. Belzyt, Sprachliche Minderheiten im preußischen Staat 1815-1914. Die preußische Sprachenstatistik in Bearbeitung und Kommentar, Marburg 1998.

Details

Seiten
1168
Jahr
2016
ISBN (PDF)
9783653032154
ISBN (ePUB)
9783653994940
ISBN (MOBI)
9783653994933
ISBN (Hardcover)
9783631788738
DOI
10.3726/978-3-653-03215-4
Sprache
Deutsch
Erscheinungsdatum
2016 (August)
Schlagworte
Kalingrader Gebiet/Russland Memelgebiet/Litauen Transformationsprozese nach 1989 Deutsches Kulturerbe
Erschienen
Berlin, Bern, Bruxelles, New York, Oxford, Wien, 2019. 1168 S., 150 s/w Abb., 74 Tab., 8 Graf.

Biographische Angaben

Andrzej Sakson (Autor:in)

Andrzej Sakson hat an der Adam Mickiewicz-Universität in Poznań studiert. Er ist Professor der Sozialwissenschaften an der Adam-Mickiewicz-Universität sowie am West-Institut in Poznań und Präsident der «Association for the Study of the World Refugee Problem». Seine Forschungsinteressen umfassen nationale und ethnische Minderheiten, polnisch-deutsche Beziehungen, Migrationsangelegenheiten, das Gebiet Kaliningrad sowie gesellschaftliche Veränderungen in den West- und Nordgebieten Polens.

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Titel: Von Memel bis Allenstein
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