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Polnisch-deutsche Unternehmenskommunikation

Ansätze zu ihrer linguistischen Erforschung

von Sambor Grucza (Band-Herausgeber:in) Mariola Wierzbicka (Band-Herausgeber:in) Justyna Alnajjar (Band-Herausgeber:in) Pawel Bak (Band-Herausgeber:in)
©2014 Sammelband 254 Seiten

Zusammenfassung

Der Band enthält Beiträge, die einem breiten Spektrum an Problemen aus dem Bereich der Unternehmenskommunikationsforschung gewidmet sind. Es offenbaren sich dabei viele Standpunkte, die allesamt zur Erweiterung des Wissenshorizonts beitragen und dazu verhelfen können, unterschiedliche Herangehensweisen kennenzulernen. Die meisten der präsentierten Beiträge stellen Forschungsergebnisse von Mitarbeitern der Universität Warschau und der Universität Rzeszów dar. Beide Orte nehmen bei der Erforschung der polnisch-deutschen Unternehmenskommunikation und des Wirtschaftsdeutschen in der germanistischen Landschaft Polens eine besondere Stellung ein.

Inhaltsverzeichnis

  • Cover
  • Titel
  • Copyright
  • Autorenangaben
  • Über das Buch
  • Zitierfähigkeit des eBooks
  • Inhaltsverzeichnis
  • Einleitung
  • Deutsche Sprache in Polen – Geschichte, Gegenwart, Zukunft: Franciszek Grucza
  • Einleitung
  • 1. Zum Begriff und zur Differenzierung des Deutschen in Polen
  • 2. Wovon hängt das Interesse an der deutschen Sprache und ihr Ansehen in Polen ab?
  • 3. Zur Geschichte der polnisch-deutschen Beziehungen
  • 4. Zur älteren Geschichte von Deutsch als Fremdsprache
  • 5. Zum Status des Deutschen im 19. Jahrhundert
  • 6. Deutsch als Fremdsprache in der Zwischenkriegszeit
  • 7. Deutsch-Politik des III Reiches im besetzten Polen
  • 8. Deutsch als Fremdsprache in den Jahren 1945–1989
  • 9. Stellung des Deutschen als Fremdsprache nach 1989
  • 10. Komplexität der Ursachen für die gegenwärtigen Konnotationen zum Deutschen
  • 11. Abschließende Bemerkungen
  • Literatur
  • Zur Notwendigkeit der Erforschung der polnisch-deutschen Unternehmenskommunikation: Sambor Grucza
  • Einleitung
  • 1. Facetten der polnisch-deutschen Unternehmenskommunikation
  • 2. Finanzielle Dimension einer guten/ schlechten Unternehmenskommunikation
  • 3. Das bisherige Interesse an der polnisch-deutschen Unternehmenskommunikation
  • 4. Ausgangspunkte zur Erforschung der (polnisch-deutschen) Unternehmenskommunikation
  • 5. Abschlussbemerkungen
  • Literatur
  • Zur linguistischen Erforschung der Unternehmenskommunikation: Krzysztof Nycz
  • Einleitung
  • 1. Zum Begriff der Kommunikation
  • 2. Zum Begriff der Wirtschaftskommunikation
  • 2.1. Gliederung der Unternehmenskommunikation
  • a. kooperationsbezogene und kooperationsunabhängige Kommunikation
  • b. empraktische und nicht-empraktische bzw. apraktische Kommunikation
  • c. formelle und informelle Kommunikation
  • d. sachlich-technisch und hierarchisch-ökonomisch bezogene Kommunikation
  • 3. Wirtschaft und Linguistik
  • 4. Schlussbemerkungen und Ausblick
  • Literatur
  • Multimodalität der Unternehmenskommunikation: Silvia Bonacchi
  • Einleitung
  • 1. Unternehmenskommunikation
  • 2. Theoretische Grundlagen
  • 3. Multimodalität
  • 4. Mündlichkeit in der Unternehmenskommunikation
  • 4.1. Kooperation
  • 4.2. Prozesse der Distanzregulierung
  • 5. Multimodalität bei Multimedialität
  • 6. Schlussfolgerungen
  • Literatur
  • Kommunikationsaudit im Visier der Angewandten Linguistik: Justyna Alnajjar
  • Einleitung
  • 1. Zur Bezeichnung „Kommunikationsaudit“
  • 2. Zum Begriff Kommunikationsaudit
  • 3. Zum Stand der Forschung
  • 4. Allgemeine Leitfäden zur Auditierung
  • 5. Typen des Kommunikationsaudits
  • 6. Instrumente der Unternehmenskommunikation
  • 7. Linguistische Ausrichtung des Kommunikationsaudits und der Beschäftigung mit selbigem
  • 8. Schlussbemerkungen
  • Literatur
  • Online Quellen:
  • Im Dschungel der Kompetenzen Überlegungen zur Pragmatik der Geschäftstätigkeit: Jan B. Łompieś
  • Vorbemerkungen
  • 1. Zum Kompetenzbegriff
  • 2. Wissens- und Kompetenzkonstruktion
  • 3. Unternehmer-Kompetenzen
  • 4. Intentionen und Texte als Triebkräfte des Geschäftsprozesses
  • 5. Abschlussbemerkungen
  • Literatur
  • Internetquellen
  • Unternehmenskommunikation aus der Sicht der diskursorientierten Ansätze: Łukasz Kumięga
  • Einleitung
  • 1. Zum Konzept der Wissensgesellschaft
  • 2. Wissen und Diskurs
  • 3. Diskursforschung und Unternehmenskommunikation
  • 3.1. Diskurssemantische Analysen entlang der Kategorie Genre
  • 3.2. Subjektbezogene Analysen
  • 3.3. Machtbezogene Analysen
  • Abschlussbemerkungen
  • Literatur
  • Projektkommunikation bei Nearshoring-Kooperationen Am Beispiel von polnisch-deutschen Projektkooperationen bei REC Global: Sambor Grucza, Justyna Alnajjar, Radomir Grucza
  • Einleitung
  • 1. Zu Bedeutung Polens als Nearshoring-Standort
  • 2. REC Global und seine Unternehmensaktivitäten
  • 3. Projektmodalitäten und Projektkommunikation bei Nearshoring-Kooperationen
  • 4. Schlussbemerkungen
  • Literatur
  • Zur Erforschung von Wirtschaftssprachen in Polen: Paweł Bąk
  • Einleitung
  • 1. Erforschung der Wirtschaftssprachen in Polen
  • 1.1. Angewandte Linguistik
  • 1.2. Erforschung der Terminologie
  • 1.3. Glottodidaktik und Wirtschaftssprachen
  • 1.4. Kontrastive Fachsprachenforschung und Translatorik
  • 1.5. Lexikographie
  • 2. Einzelphänomene und Bereiche des Wirtschaftsdeutschen
  • 3. Anthropozentrische Linguistik
  • 4. Schlussbemerkungen und Ausblick
  • Literatur
  • Der sprachliche Ausdruck von Ursache-Wirkung-Beziehungen im Bereich der Konditionalität in deutschen Wirtschaftstexten: Mariola Wierzbicka
  • Einleitung
  • 1. Die temporalen Verhältnisse in den Konditionalsatzgefügen
  • 2. Zeitstufenbezug des Konditionalsatzgefüges
  • 3. Schlussbemerkungen und Ausblick
  • Quellen
  • Literatur
  • Geschäftsbrief in der germanistischen und polonistischen Text(sorten)forschung: Iwona Szwed
  • Einleitung
  • 1. Geschäftsbrief als Kommunikationsmittel in der Wirtschaft
  • 2. Geschäftsbrief als Fachtext?
  • 3. Geschäftsbrief in der germanistischen Forschung
  • 4. Geschäftsbrief in der polonistischen Forschung
  • 5. Schlussbemerkungen
  • Literatur
  • Unternehmensidentität: Strategien und Mittel ihrer Versprachlichung in Texten: Bogusława Rolek
  • Einleitung
  • 1. Identität – Begriffsbestimmung
  • 2. Unternehmensidentität
  • 3. Untersuchungskorpus und Untersuchungsmethode
  • 4. Ergebnisse
  • Schlussbemerkungen und Ausblick
  • Literatur
  • Lexikalische Eigenschaften der Unternehmensterminologie anhand von Beispielen aus dem deutschen und polnischen Handelsgesetzbuch: Gabriela Nitka
  • Einleitung
  • 1. Lexikalische Eigenschaften der handelsrechtsprachlichen Unternehmensterminologie
  • 2. Schlussbemerkungen und Ausblick
  • Literatur
  • Autorinnen und Autoren

Einleitung

Das immer lebhaftere Engagement der Bürger in der Wirtschaft und der zunehmende Einfluss der wirtschaftlichen Entwicklung auf das Leben der Menschen bewirken ein immer größeres Bewusstsein für die Notwendigkeit der Wahrnehmung von Wirtschaftsprozessen und eine Reflexion hierüber. Die Entwicklung von internationalen, z.B. polnisch-deutschen Beziehungen trägt dazu bei, dass die durch Multimodalität, Interlingualität und Interkulturalität geprägten Kontakte immer mehr an Bedeutung gewinnen und eine entsprechende Beachtung vonseiten der modernen Linguistik verdienen. In diesem Sinne werden Probleme der Unternehmenskommunikation und der Wirtschaftssprachen zum Gegenstand von applikativ ausgerichteten Analysen.

Der vorliegende Band „Polnisch-deutsche Unternehmenskommunikation. Ansätze zu ihrer linguistischen Erforschung“ enthält Beiträge, die einem breiten Spektrum an Problemen aus dem Bereich der Unternehmenskommunikationsforschung gewidmet sind. Es offenbaren sich dabei viele Standpunkte, die allesamt zur Erweiterung des Wissenshorizonts beitragen und dazu verhelfen können, unterschiedliche Herangehensweisen kennenzulernen. Der Band besteht konzeptionell aus vier ineinander greifenden Teilen.

Der erste Teil hat die Funktion einer breiten Einführung in die Hauptproblematik. In den einzelnen Beiträgen wird die gegenwärtige Stellung des Deutschen in Polen vor dem Hintergrund der Polnisch-Deutschen Geschichte erörtert (Franciszek Grucza – Deutsche Sprache in Polen – Geschichte, Gegenwart, Zukunft), auf wissenschaftliche und gesellschaftliche Pflicht der Linguistik, sich mit der Unternehmenskommunikation zu beschäftigen, eingegangen (Sambor Grucza – Zur Notwendigkeit der Erforschung der polnisch-deutschen Unternehmenskommunikation) sowie der Stand der linguistischen Erforschung der polnisch-deutschen Unternehmenskommunikation umrissen (Krzysztof Nycz – Zur linguistischen Erforschung der Unternehmenskommunikation).

Im zweiten Teil werden Ansätze zur Erforschung ausgewählter Fragen der (polnisch-deutschen) Unternehmenskommunikation ausführlich diskutiert. Hierzu gehören die Beiträge von: Silvia Bonacchi – Multimodalität der Unternehmenskommunikation, Justyna Alnajjar – Kommunikationsaudit im Visier der Angewandten Linguistik, Jan B. Łompieś – Im Dschungel der Kompetenzen. Überlegungen zur Pragmatik der Geschäftstätigkeit, Łukasz Kumięga – Unternehmenskommunikation aus der Perspektive der diskursorientierten Ansätze sowie Sambor Grucza, Justyna Alnajjar und Radomir Grucza – Projektkommunikation bei Nearshoring-Kooperationen. Am Beispiel von polnisch-deutschen Projektkooperationen bei REC Global. ← 7 | 8 →

Im dritten Teil werden Überlegungen, Analyseergebnisse und Forschungsstand zur linguistischen Erforschung der weitaufgefassten Wirtschaftskommunikation dargestellt. Hierzu werden die Beiträge von Paweł Bąk – Zur Erforschung von Wirtschaftssprachen in Polen, Mariola Wierzbicka – Der sprachliche Ausdruck von Ursache-Wirkung-Beziehungen im Bereich der Konditionalität in deutschen Wirtschaftstexten, Iwona Szwed – Geschäftsbrief in der germanistischen und polonistischen Text(sorten)forschung, Bogusława Rolek – Unternehmensidentität: Strategien und Mittel ihrer Versprachlichung in Texten und Gabriela Nitka – Lexikalische Eigenschaften der Unternehmensterminologie anhand von Beispielen aus dem deutschen und polnischen Handelsgesetzbuch präsentiert.

Die meisten der hier präsentierten Beiträge Stellen Forschungsergebnisse von Mitarbeitern des Instituts für Anthropozentrische Linguistik und Kulturologie der Universität Warschau und des Instituts für Germanistik der Universität Rzeszów. Beide Institute nehmen bei der Erforschung der polnisch-deutschen Unternehmenskommunikation und des Wirtschaftsdeutschen in der germanistischen Landschaft Polens eine besondere Stellung ein.

Warszawa/ Rzeszów im November 2013

Sambor Grucza

Mariola Wierzbicka

Justyna Alnajjar

Paweł Bąk

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Deutsche Sprache in Polen – Geschichte, Gegenwart, Zukunft

Franciszek Grucza

(Universität Warschau)

Einleitung1

Bei der Analyse des äußerst komplexen Themas kann man sich keineswegs nur auf jene Faktoren beschränken, die in den gängigen linguistischen Definitionen des Deutschen widergespiegelt werden. Es soll und darf hier nicht allein um die Ausdrucksmöglichkeiten der Deutschen, um ihre Grammatik oder Semantik gehen. Deutsch umfasst in Polen viel mehr als „lediglich“ derartige Faktoren. Einerseits evoziert es verschiedene Erinnerungen an die Deutschen, an ihre Verhaltensweisen usw. Es ist nicht zu trennen von den sehr unterschiedlichen Einstellungen zu den Deutschen überhaupt, aber auch zum Erbe und zu den Spuren des Deutschen in Polen. Diese Haltungen waren aber im Laufe der Geschichte unterschiedlich – mal waren sie freundlich, mal unfreundlich, und manchmal sogar feindlich, und zwar je nach dem Zustand der deutsch-polnischen Beziehungen. In mancher Hinsicht unterscheiden sie sich auch heute von Region zu Region, ja von Familie zu Familie, obwohl während der realsozialistischen Zeit versucht wurde, eine für alle gültige Einheitsmeinung durchzusetzen. Kurz: Es gibt in Polen verschiedene Traditionen des Umgangs mit dem Deutschen sowie mit dessen Geschichte. Und schließlich darf nicht unerwähnt bleiben, dass es in Polen verschiedene Varianten des Deutschen mit einer jeweils eigenen Geschichte gibt, die es zu beschreiben gilt. Zu all dem existiert eine umfangreiche Primär- und Sekundärliteratur, die wiederum, selbst in den wissenschaftlichen Darstellungen, nicht frei von den Einflüssen ihrer Entstehungszeit und den Haltungen ihrer Autoren ist und dementsprechend gewertet werden muss.

Natürlich werde ich nicht in der Lage sein, in diesem Beitrag alle Aspekte des Themas ausführlich und erschöpfend zu behandeln. Stattdessen möchte ich möglichst differenzierte Überblicksskizze der Gesamtheit entwerfen. Ich will aber auch nicht verschweigen, dass sich meine Ausführungen auch deswegen in vielen Fällen nur auf Andeutungen beschränken, weil unser Wissen um das Gesamtthema immer noch recht lückenhaft ist. Bei der Erörterung so mancher Teilfrage ← 9 | 10 → werde ich auf meine früheren Arbeiten zu den einschlägigen Problemen zurückgreifen, ohne dies in jedem Fall deutlich zu machen. Die Titel dieser Arbeiten sind im Literaturverzeichnis zu finden.

1. Zum Begriff und zur Differenzierung des Deutschen in Polen

Man braucht nur einen Augenblick über die Geschichte der deutsch-polnischen Beziehungen nachzudenken, um zu begreifen, dass die deutsche Sprache in Polen im Laufe der Jahrhunderte in verschiedenen Gestalten und/oder Varianten zulegte und verschiedene Spuren hinterlassen haben muss. Auf keinen Fall darf man deshalb das Thema „die deutsche Sprache in Polen“ auf das Thema „Deutsch als Fremdsprache (DaF) in Polen“ einschränken. DaF bildete, und bildet auch weiterhin, lediglich eine Variante von „Deutsch in Polen“. Eine andere stellt das Deutsch der bodenständigen deutschen Minderheit in Polen dar. Eine weitere bildet das Deutsch der Menschen, die seinerzeit aus Polen nach Deutschland ausgewandert und jetzt zurückgekehrt sind. Heute ist in Polen auch wieder das Deutsch der Deutschen vertreten, die aus verschiedenen Gründen – geschäftlichen, fachlichen oder auch familiären – nach Polen gekommen sind und hier eine Zeit lang, und immer öfter auch ihr ganzes Leben, zu verbringen beabsichtigen. Als eine ganz besondere Variante des Deutschen in Polen ist aber auch das Deutsch vieler polnischer Deutschlehrer, polnischer Germanisten usw. sowie auch das Deutsch all jener Polen anzusehen, die es sich – in der Schule, während des Studiums, in speziellen Kursen, während ihrer Aufenthalte in Deutschland usw. – dermaßen angeeignet haben, dass sie es nicht mehr als eine „echte“ Fremdsprache empfinden. Eine ganz besondere Variante bildet auch jenes Deutsch in Polen, das in verschiedenen Dokumenten, in vielen Familien-, Orts- sowie Flur- und Straßennamen vertreten ist. Und nicht zuletzt ist auch jenes Deutsch als eine besondere Variante zu werten, dessen Spuren einerseits in den ehemaligen Konzentrationslagern sowie auf vielen – sowohl polnischen als auch ehemals deutschen – Friedhöfen, und andererseits in vielen Kirchen, Archiven sowie Museen anzutreffen sind. Es gilt, all diese Varianten des „Deutschen-vor-Ort“ zum Gegenstand entsprechender germanistischer Forschung zu machen. Dies ist in erster Linie für die polnische Germanistik eine Aufgabe, die einen wesentlichen Faktor ihrer Eigenart ausmacht.

Auf jeden Fall haben wir es in Polen infolge der besonderen deutsch-polnischen Beziehungen schon seit Jahrhunderten nicht nur mit einem aus der Ferne für Lehr- und Lernzwecke hergeholten bzw. importierten Deutsch, sondern auch mit einem (mehr oder weniger verwurzelten) „Deutsch-vor-Ort“ zu tun. Das Letztere konstituierte sich zunächst naturgemäß vor allem in den Grenzgebieten. Aber auch im polnischen Binnenland hat es recht früh in verschiedenen Varianten Fuß gefasst, wo ← 10 | 11 → Deutsche als Geistliche, Schreibkräfte, Kaufleute, Handwerker und nicht zuletzt auch als Bauern hergeholt und angesiedelt wurden. Besonders begünstigt wurde die Position des „Deutschen-vor-Ort“ durch die Gründung von Städten nach deutschem Stadtrecht sowie durch die verstärkte Zuwanderung von deutschsprachigen Juden. Man schätzt, dass sich bis zum Ende des 14. Jahrhunderts bereits mehr als hunderttausend Deutsche in Polen niederließen.2 Dies führte sogar dazu, dass zu jener Zeit in so manch binnenpolnischer Stadt mehr Deutsch als Polnisch gesprochen wurde und die städtischen Bücher sowie die Korrespondenz fast ausschließlich in deutscher Sprache geführt wurden. Vor allem während dieser Zeit sind viele von den erwähnten auf Deutsch verfassten Dokumenten entstanden.

Heute sind wir darüber hinaus noch mit einem anderen „Deutsch-vor-Ort“ konfrontiert, nämlich mit jenem, in dessen Besitz Polen infolge der am Ende des Zweiten Weltkrieges beschlossenen Verschiebung seiner Grenzen von Osten nach Westen gelangte. Dieses Deutsch ist vor allem in vielen (heute polnischen) Orts-, Flur- und Straßennamen vertreten. Es handelt sich aber dabei auch um Spuren alter deutscher Mundarten. Während der realsozialistischen Zeit wurde die Existenz dieser Variante des „Deutschen-vor-Ort“ in Polen besonders gerne verschwiegen, nicht selten sogar geleugnet. Zur Zeit versucht man, einen vernünftigen Umgang damit zu etablieren.

Auf die folgende Konsequenz, die sich aus dem skizzierten Sachverhalt ergibt, sei nun besonders aufmerksam gemacht: Bei einer genauen Beschreibung des Deutschen in Polen muss jene – schon kurz angesprochene – Variante des Deutschen besonders hervorgehoben werden, für deren genaue Erfassung weder die Kategorien der „Muttersprache“ vs. „Fremdsprache“, noch die der „Erstsprache“ vs. „Zweitsprache“ ausreichen. Für viele in Polen lebende Menschen war Deutsch lange Zeit hindurch weder eine Fremd- noch eine Muttersprache, weder eine Erst- noch eine Zweitsprache. Über Jahrhunderte lebten in Polen, wie übrigens anderswo auch, bilinguale, ja sogar trilinguale Menschen, die ihre Bi- bzw. Trilingualität auf eine natürliche Art und Weise erworben und zu allen deren Komponenten ein ähnliches (emotionales) Verhältnis hatten. Nicht bloß diese oder jene, sondern alle von ihnen internalisierten Sprachen und/oder Dialekte, gehörten zu ihrer Identität, ja – ihre Vielfalt schuf sie geradezu erst. Lange Zeit durften diese Fragen bestenfalls marginal erörtert werden. Erst in den letzten 20 Jahren bringen Vertreter eben dieser betroffenen Gruppen dieses wichtige Problem verstärkt in die Diskussion ein. Das ist vor allem deshalb so wichtig, weil diese Variante des „polnischen“ „Deutschen-vor-Ort“ auszusterben droht.

Immer stärker scheint dagegen im gegenwärtigen Polen das Deutsch zu werden, das seine Träger zwar im Sinne einer Fremdsprache besser oder schlechter ← 11 | 12 → erworben haben, mit dem sie sich aber nichtsdestoweniger identifizieren und infolge dessen bereit sind, es als ihr Deutsch zu bezeichnen.

Übrigens – deutsche Muttersprachler – müssen lernen, dieses Deutsch nicht von vornherein zu diskriminieren, sondern im Gegenteil, es mehr als bisher zu fördern, ja – es als solches, d.h. als teilweise „inkorrektes“ Deutsch, zu akzeptieren. Wir müssen uns einfach bewusst machen, dass Deutsch im Allgemeinen keineswegs ausschließlicher Besitz der Deutschen, Österreicher und deutschsprachigen Schweizer ist. Das allzu possessive Verhalten vieler deutschsprachigen Muttersprachler ihrer Sprache gegenüber steht auf jeden Fall den Bemühungen um eine echte Internationalisierung der deutschen Sprache im Wege.

Und noch eins: Bei einer auf Vollständigkeit abzielenden Analyse unseres Themas müssten auch die auf polnischem Boden nicht nur heute, sondern auch früher vertretenen deutschen Dialekte in Betracht gezogen werden. In erster Linie wären dabei die Mundarten aus den ehemaligen sowie den jetzigen Grenzgebieten zu berücksichtigen, denn gerade hier hat es einen besonders regen sprachlichen Austausch gegeben. Nicht vergessen sollen aber auch jene Mundarten werden, von deren Existenz manchmal nur noch entsprechendes Namengut oder verstümmeltes schriftliches Erbe zeugen. Mit anderen Worten: Man muss auch die Spuren des ausgestorbenen „Deutsch-vor-Ort“ in Betracht ziehen und zum Gegenstand einer systematischen Analyse machen. Auch heute noch sind die Einflüsse des Deutschen in vielen polnischen Entlehnungen und im polnischen Namengut sichtbar, deutlich erkennbar sind sie in vielen Familien-, Orts- und Flurnamen sowie in vielen nachgelassenen Dokumenten. Es gibt aber in Polen auch noch andere Spuren des Deutschen, manche von ihnen sind an vielen Gebäuden und Kulturdenkmälern abzulesen, andere aber leider an den Zerstörungen: an Resten von Konzentrationslagern, und nicht zuletzt auch an vielen – sowohl polnischen als auch ehemals deutschen Friedhöfen.

2. Wovon hängt das Interesse an der deutschen Sprache und ihr Ansehen in Polen ab?

In letzter Zeit hat die deutsche Sprache in Polen wieder einen beachtlichen Rang erlangt. Sowohl ihre Position im polnischen Bildungssystem als auch ihre gegenwärtige Rolle in der praktischen Kommunikation in Polen kann man mit jener vergleichen, die sie während der ersten Hälfte des 18. Jahrhunderts innehatte. Damals erreichte das Interesse an der deutschen Sprache seinen ersten Höhepunkt (darauf komme ich noch zu sprechen). Die derzeitige Situation der deutschen Sprache in Polen scheint jedoch wesentlich labiler als die damalige zu sein. Das Interesse am Deutschen kann leicht schnellen Änderungen unterliegen, die von ← 12 | 13 → mehreren Faktoren abhängig sind – auf keinen Fall einzig und allein vom kommunikativen Wert des Deutschen, und auch nicht nur von der Durchsetzungskraft des Englischen.

Auf längere Sicht wird die Zukunft der deutschen Sprache in Polen vor allem von der Entwicklung der Beziehungen zwischen Deutschen und Polen abhängen, also davon, ob und inwiefern es uns gelingt, diese Beziehungen nicht nur auf solchen Ebenen wie der Welt der hohen Politik, der Wissenschaft oder der Kunst, sondern auch auf der Ebene der einfachen Bürger unserer Länder zu normalisieren. Alles, was diese Beziehungen belastet, mindert (ja bedroht) die Chancen des Deutschen in Polen und alles, was das deutsch-polnische Verhältnis entspannt und verbessert, begünstigt auch die Chancen der deutschen Sprache. Daraus folgt für uns Germanisten, dass wir verstärkt, ja vielleicht sogar in erster Linie, uns darum bemühen müssen, die deutsche Sprache von ihrer negativen historischen Last zu befreien.

Das Schicksal der deutschen Sprache lässt sich in Polen – wie bereits angedeutet – nicht von ihren Trägern, den Deutschen, und der Geschichte ihrer Handlungen im Lande isolieren. Daher ist es nicht verwunderlich, dass in Folge des negativen deutschen Wirkens am Ende des 19. Jahrhunderts und besonders in der nationalsozialistischen Besatzungszeit auch die Sprache hier besonders oft negative Erinnerungen weckt. Immer noch ruft ihr Klang recht häufig in Polen mitunter unangenehme Vorstellungen hervor und belebt die alten Stereotypen und Klischees vom „Deutschen“, wie sie sich im Laufe der Geschichte, insbesondere während der beiden erwähnten Zeitabschnitte, im polnischen kollektiven Gedächtnis festgesetzt haben.

Die Situation der deutschen Sprache in Polen ist daher eine grundsätzlich andere als die des Englischen oder des Französischen. Doch ist dem so nicht nur wegen der angedeuteten historischen Gründe. Die Stellung der deutschen Sprache in Polen ist auch – und vielleicht sogar vor allem – deshalb eine besondere, weil sie sich im Spannungsfeld einer realen direkten deutsch-polnischen Nachbarschaft befindet. Am ehesten ähnelt die Situation des Deutschen in Polen daher der Stellung des Russischen: In beiden Fällen handelt es sich um die Sprache von mächtigen Nachbarn, die beide schon mehrmals versucht hatten, Polen von der Landkarte auszulöschen und die auch eine Bedrohung für die Existenz des Polnischen darstellten, indem sie sich bemühten, den Polen ihre eigene Sprache – Russisch bzw. Deutsch – aufzuzwingen.

Bei der Analyse unseres Themas muss man dem bereits angesprochenen Sachverhalt zufolge unbedingt die Geschichte des wechselseitigen deutsch-polnischen Umgangs miteinander auf allen Ebenen in Betracht ziehen, kurz: Die Geschichte der polnisch-deutschen Nachbarschaft berücksichtigen. Nur vor diesem Hintergrund werden wir in der Lage sein, die jeweilige Situation der deutschen Sprache ← 13 | 14 → in Polen adäquat einzuschätzen und Maßnahmen zu ergreifen, die nicht nur zur Stabilisierung ihrer derzeitigen Position, sondern darüber hinaus zur Steigerung ihrer künftigen Chancen beitragen. Diese Tatsachen muss sich jeder bewusst machen, der sich für Deutsch in Polen und dessen Popularisierung einsetzt.

Dabei darf man sich aber nicht allein auf die Untersuchung der jüngsten deutsch-polnischen Geschichte beschränken. Die gegenwärtige – generell recht positive – Einstellung der Polen zum Deutschen ist wohl in erster Linie dem Zustand der aktuellen deutsch-polnischen Beziehungen (sowie der ihnen direkt vorausgegangenen) zu verdanken, doch ist es keineswegs so, dass sie ausschließlich durch diese geprägt wurde. Weder die Geschichte des Zweiten Weltkrieges, noch die des 19. Jahrhunderts ist schon ganz aus dem Spiel – beide sind nur ein bisschen in den Hintergrund gerückt. Aber auch die Tradition der noch älteren deutsch-polnischen Beziehungen sowie der damaligen Einstellung der Polen zum Deutschen ist – meines Erachtens – noch nicht völlig in Vergessenheit geraten.

Jedenfalls halte ich es für angebracht, bei der Erörterung unseres Themas nicht nur die Geschichte der zwei letzten Jahrhunderte zu berücksichtigen. Wir müssen viel weiter zurück greifen. Vor allem sollten wir uns die Situation der deutschen Sprache vor der Teilungszeit genauer anschauen, und zwar deswegen, weil man in Bezug auf diese Zeit von normalen deutsch-polnischen Beziehungen reden kann. Und die damalige Situation der deutschen Sprache in Polen darf zumindest insofern als normal bezeichnet werden, als sie sich zu jener Zeit noch keineswegs im Spannungsfeld zwischen deutschen Okkupanten und polnischen Okkupierten oder zwischen deutschen Unterdrückern und polnischen Unterdrückern befand. Wir sollten auch diese Tradition so schnell wie möglich in unsere Erörterungen aufnehmen und dadurch zum einen unser negatives historisches Bewusstsein korrigieren und zum anderen die soeben erwähnte historische Last der deutschen Sprache in Polen relativieren.

Details

Seiten
254
Jahr
2014
ISBN (PDF)
9783653034707
ISBN (ePUB)
9783653995664
ISBN (MOBI)
9783653995657
ISBN (Hardcover)
9783631643761
DOI
10.3726/978-3-653-03470-7
Sprache
Deutsch
Erscheinungsdatum
2014 (Januar)
Schlagworte
Wirtschaftsdeutsch Projektmanagement Wirtschaftssprachen Wirtschaftstexte Unternehmenskommunikation
Erschienen
Frankfurt am Main, Berlin, Bern, Bruxelles, New York, Oxford, Wien, 2014. 254 S., 6 Tab., 12 Graf.

Biographische Angaben

Sambor Grucza (Band-Herausgeber:in) Mariola Wierzbicka (Band-Herausgeber:in) Justyna Alnajjar (Band-Herausgeber:in) Pawel Bak (Band-Herausgeber:in)

Sambor Grucza forscht und lehrt an der Universität Warschau (Polen). Seine Forschungsschwerpunkte liegen auf Angewandter Linguistik, Fachkommunikation und Unternehmenskommunikation. Mariola Wierzbicka forscht und lehrt an der Universität Rzeszów (Polen). Ihre Forschungsschwerpunkte liegen in polnisch-deutscher kontrastiver Linguistik. Justyna Alnajjar forscht und lehrt an der Universität Warschau (Polen). Ihre Forschungsschwerpunkte liegen auf Kommunikationsaudit, Unternehmenskommunikation und Kommunikation in internationalen Projektteams. Paweł Bąk forscht und lehrt an der Universität Rzeszów (Polen). Seine Forschungsschwerpunkte liegen auf kontrastiver Linguistik, Euphemismus- und Metaphernforschung, Phraseologie, Analyse der Diskurse, Pragmalinguistik sowie Translationswissenschaft.

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