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Ungeduld der Erkenntnis

Eine klischeewidrige Festschrift für Hubert Orłowski

von Wlodzimierz Bialik (Band-Herausgeber:in) Czeslaw Karolak (Band-Herausgeber:in) Maria Wojtczak (Band-Herausgeber:in)
©2014 Andere 336 Seiten

Zusammenfassung

Der Sammelband stellt eine Festschrift zum 77. Geburtstag von Professor Hubert Orłowski, dem namhaften polnischen Germanisten dar und setzt sich aus Beiträgen seiner Freunde und Schüler zusammen. Die Festschrift präsentiert ein breites, mit den Forschungsschwerpunkten des Jubilars korrespondierendes Spektrum der Themenschwerpunkte. Sie beziehen sich – unter anderem – auf historische Fremdbild- und Stereotypenforschung, auf exemplarische Fragen und implizit vergleichende Analysen zur deutschen und polnischen Exilliteratur und Kultur im Schatten der NS-Ideologie sowie zu topographisch akzentuierter Erinnerungskultur in vergleichender deutsch-polnischer Perspektive.

Inhaltsverzeichnis

  • Cover
  • Titel
  • Copyright
  • Autorenangaben
  • Über das Buch
  • Zitierfähigkeit des eBooks
  • Inhaltsverzeichnis
  • Anstelle einer Einleitung
  • Aufzug 1: Mein Lebenslauf mit Hubert Orłowski: Włodzimierz Bialik
  • Aufzug 2: System recovery als Metapher?: Czesław Karolak
  • Aufzug 3: liber amicorum: Maria Wojtczak
  • „Ein Nationalsozialist des Herzens“: Peter Martin Lampels Aufstieg und Fall im Dritten Reich in Selbstzeugnissen und Dokumenten: Edward Białek / Wrocław
  • Publikationen von Peter Martin Lampel (Auswahl):
  • Sekundärliteratur:
  • Der blinde Seher oder Der erste Jonas-Vogel-(Kriminal-)Roman von Friedrich Ani. Ein offener Brief an Herrn Professor Orłowski: Włodzimierz Bialik Poznań
  • „Warte Bonaparte, warte...“ Fontane und die Völkerschlacht 1813: Hubertus Fischer / Hannover / Berlin
  • I.
  • II.
  • III.
  • IV.
  • V.
  • Wie wurde deutsche Musik unmittelbar nach dem Zweiten Weltkrieg in Polen gehört?: Michał Głowiński / Warszawa
  • „ ... die Worte// Fallen in das Getriebe der Welt uneinholbar // Kenntlich machend die Dinge oder unkenntlich“. Heiner Müllers Konzept der Tragödie: Joanna Jabłkowska / Łódź
  • „Polnische Wirtschaft“ ∩ Bayerische Typenkomödie Zur Schnittmenge zwischen preußischem Bayern- und preußischem Polenbild: Jürgen Joachimsthaler / Heidelberg
  • „Warschau – eine merkwürdige Stadt“. Zur Topographie der Erinnerung an den Krieg und die Judenvernichtung in der polnischen Prosa der Gegenwart: Jerzy Kałążny / Poznań
  • I.
  • II.
  • III.
  • IV.
  • Digitale Wiedergeburten für den Tempel der Weisheit. Bibliotheks- und museale Sammlungen im Netz als Antwort auf die Herausforderungen der Informationsgesellschaft: Czesław Karolak / Poznań
  • Die Verfügbarkeit der Erinnerungsträger in der modernen Gesellschaft
  • Archive als Schatzkammern der Kultur und Spiegel der Staatswerdung
  • Nationale Wissensräume – virtuell umorganisiert
  • Alexander Granach im Exil. Das Zeitgeschehen in den Augen des Schauspielers anhand seiner Briefe an Lotte Lieven: Maria Kłańska / Kraków
  • Arbeitergeschichte. Ihr Niedergang und ihre Wiederbelebung im Zeichen der Globalgeschichte: Jürgen Kocka / Berlin
  • 1.
  • 2.
  • Das Schreiben und das Schweigen über die Plünderung des deutschen Eigentums. Die identitätsstiftende Figur des szabrownik im Nachkriegspolen: Kornelia Kończal / Firenze
  • Feine Unterschiede zwischen dem szabrownik und dem Plünderer
  • Das Schreiben und das Schweigen von Pan Szaberski
  • Der Erzfeind des Pioniers: der Plünderer
  • Korrespondenzen und Divergenzen Karl Dedecius und „seine“ Autoren: Andreas Lawaty
  • Lexikon der polnischen Schriftsteller. Allenstein 2014: Łukasz Musiał / Poznań
  • Sekundärliteratur:
  • Laudatio für eine wichtige Editionsinitiative: Fünfunddreißig Bände Posener Deutsche Bibliothek: Henryk Olszewski / Poznań
  • Playing History oder was suchen Erinnerungskulturen in den Computerspielen? Ein kontextualisiertes Forschungsdesiderat: Sławomir Piontek / Poznań
  • Literatur
  • Ermländer und Masuren in der Postmigrationsgesellschaft: Andrzej Sakson / Poznań
  • Religion und Gewalt zu Beginn der europäischen Neuzeit – Was können wir aus dem europäischen Konfessinsfundamentalismus des 16. und 17. Jahrhunderts lernen?: Heinz Schilling / Berlin
  • I.
  • II.
  • 1. Eschatologische Semantik
  • 2. Bildliche Repräsentationen
  • III.
  • IV.
  • Unterwegs in unsichtbare Städte. Europa molekular: Karl Schlögel / Frankfurt (Oder), München
  • Nach 1989: Europa molekular
  • Die Transformation als Idealtyp und als Erfahrung
  • Archive der Übergangszeit
  • Erzählungen von einer Zeit, die vergangen ist
  • Das verborgene Moskau und das Sichtbarmachen unsichtbarer Städte
  • Der Moskau-Paris-Express oder Einübung in die Grenzüberschreitung
  • Der Polenmarkt am Potsdamer Platz: oder der Basar als Neugründung der Stadt
  • Studien am Check-in Schalter
  • Städte im Untergrund und neuer Kosmopolitismus
  • Das Jahrhundert der Diktatoren – auch ein Jahrhundert des Widerstands: Peter Steinbach / Berlin
  • Historische Meistererzählungen – eine Herausforderung
  • Vergangenheitsbewältigung als politische Auseinandersetzung
  • Die deutsche Diktaturgeschichte hat auszugehen
  • Exempel
  • 1. Widerstand
  • 2. Die öffentliche Hinwendung zu den Tätern
  • 3. Verhaltensweisen in der öffentlichen Auseinandersetzung
  • Ausblick: Konsequenzen einer selbstkritischen Auseinandersetzung mit der Vergangenheit
  • „Offener Regionalismus“ – eine praktische Bürgerphilosophie. In memoriam Lew Kopelew (1912-1997): Robert Traba / Olsztyn, Berlin
  • Von der Praktik zur Philosophie des Handelns
  • Eine unverbindliche Heimat ist keine Heimat. Die Generation der Posener Deutschen: Maria Wojtczak / Poznań
  • Dudeczku mój drogi... Droga Alice... Zu einer gewissen amitié amoureuse à trois in der Geschichte der deutschen Rezeption des Werks von Witold Gombrowicz: Marek Zybura / Wrocław
  • Die Geburt der neuen Demokratie aus dem Geist Europas. Zu den Europa-Essays von Jürgen Habermas und Robert Menasse: Leszek Żyliński / Toruń

Anstelle einer Einleitung

Aufzug 1

Mein Lebenslauf mit Hubert Orłowski

Włodzimierz Bialik

Meiner Bitte an mich selbst folgend (siehe unser, d.h. der Herausgeber, Schreiben an die „Beiträger“, wo es unter anderem heißt: es soll ein klischeewidriger, sich allen Schemata widersetzender Band sein), muss und will ich diese einleitenden Worte so gestalten, dass sie dieser Aufforderung gerecht werden. Mit allem gebührenden Respekt für die Autoren der ganz seriösen Beiträge natürlich, die sich nicht zu unkonventionellen Texten haben verführen lassen.

Ich will keinen Hehl daraus machen, dass ich ein Problem damit habe. Auf der einen Seite soll es auf keinen Fall ein Lobgesang auf Hubert Orłowski sein, doch on the other hand1 weiß jeder von uns, dass er einer der bedeutendsten Germanisten Europas ist, dass er es nicht lassen kann, zu unterrichten, und dass er ein Mensch aus „Fleisch und Blut“ ist mit seinen vielen Vor-, aber auch mit Nachteilen (z.B. der ärgerlichen Tatsache, dass er meist mehr gelesen hat und mehr weiß als wir2), dass er immer eine Balance zwischen freundlicher Doch-Kontrolle und behaglicher Distanz halten konnte, schließlich dass er wie ein Mittsechziger aussieht und es immer so bleiben wird.

Das einzige Schlupfloch, das ich aus dieser ausweglosen Lage gefunden habe, ist, über mich selbst zu schreiben, obwohl dies leider gerade keine unorthodoxe Lösung ist – weil ja die meisten „Hagiographen“ nicht die zu Verehrenden, sondern, dem „Brauch“ folgend, die Hauptrolle mit sich selbst besetzen. Es gibt übrigens auch Weltmeister dieses Genres unter uns Germanisten, deren Namen ich in meiner unendlichen Güte verschweige… ← 13 | 14 →

Konsequent also: Als ich in urgeschichtlicher Zeit (1966) mein Studium begann, war der heutige Professor Orłowski „einfacher“ Magister. Gibt’s so was? Als ich aber ein Jahr später, im Wintersemester des akademischen Jahres 1967/1968, an den „Übungen zur Gegenwartsliteratur des deutschen Sprachgebiets“ teilnahm, da hatte ich es zum ersten Mal mit dem höchst anspruchsvollen Herrn Doktor Orłowski zu tun.3

Im 4. Studienjahr wählte ich in meiner Unwissenheit und Hoffnung, dass ein Drama doch nicht sehr umfangreich sein könne und ich das Thema ohne besondere Anstrengung meistern würde, als Thema meiner Semesterarbeit Die letzten Tage der Menschheit von Karl Kraus, handelte es sich doch um eine Tragödie in 5 Akten mit Vorspiel und Epilog. Als sich herausstellte, dass das Werk beinahe 800 Seiten kurz ist, war mir ziemlich komisch zumute. Erst Jahre danach wurde mir klar, dass dies eine Falle war, wie sie Hubert Orłowski sein Leben lang den Faulen und Arbeitsscheuen gestellt hat, wobei er seine Schadenfreude nicht einmal zu verbergen versuchte…

Und eine Episode ganz anderer Art aus demselben „Zeitalter“ (1970): Immer noch Doktor, aber unmittelbar vor seiner Habilitation, hatte sich Orłowski geweigert, einem Kommilitonen aus meiner Seminargruppe das Testat zu geben, was wir ungerecht fanden. So haben drei von uns Mut gefasst und bei dem Professor in spe für unseren Freund vorgesprochen. Mit einer Reihe von Argumenten bewaffnet haben wir unser Anliegen vorgebracht und erreicht, dass der „Delinquent“ eine zusätzliche Chance erhielt, die er auch mit Erfolg genutzt hat; und das, obwohl der negative Beschluss schon öffentlich verkündet worden war. Im feudalen Zeitalter…

So etwas vergisst man nicht als Student.

Nicht zu vergessen ist auch Orłowskis Rolle in den Jahren 1982-1984, als Prorektor unserer Universität in der dunklen Zeit des Kriegszustandes. Das Angebot dieser Funktion anzunehmen, war einer der schwierigsten Entschlüsse seines Lebens. Mit Recht befürchtete er, milde ausgedrückt, abschätzige Äußerungen der „kompromisslosen“4 Lebenslaufschnüffler (Polenretter mit verspäteter Zündung), die sich bis heute an ihrem rühmlichen5 Forschungstrieb nähren und erfreuen. Diese Welterneuerer sollten einmal die Studenten fragen, die Orłowski in seiner Funktion in harter Auseinandersetzung mit den damaligen Machthabern vor folgenschweren Konsequenzen bewahrt hat. ← 14 | 15 →

Und nun wieder weg von der gefährlichen Nähe zu einer Bewunderungshymne. Das Jahr 1990, die Reise nach München zur Verleihung der renommierten Goethe-Medaille in Gold, gedacht „für ausländische Persönlichkeiten, die sich in herausragender Weise um die Vermittlung der deutschen Sprache und den internationalen Kulturaustausch verdient gemacht haben“6. Als wir (ich am Steuer) eine von Gott und der Welt gewollte Pause an der deutsch-polnischen Grenze einlegen mussten, zitterte ganz Küstrin an der Oder, und die örtliche Bevölkerung schwärmt heute noch von unserem Besuch. Der Rest ist Schweigen…

Nur ein Wunsch von Professor Orłowski, von dessen Lebensmottos eines „reden und reden lassen“ war und ist, ist nicht in Erfüllung gegangen, einer seiner Träume wurde nicht Wirklichkeit, eine seiner Aufgaben nicht realisiert: sein Begehren, ebenbürtige oder am liebsten gar ihn überragende Schüler zu hinterlassen.

Wir, die Herausgeber dieses Bandes, die hier stellvertretend für alle Schüler Orłowskis (toutes proportions gardées) stehen, sind natürlich genial und stammen aus edler Zucht, es stellt sich aber dabei die Frage, warum wir7 unserem Professor nicht das Wasser reichen können. Ob es an unserem intellektuellen Potential liegt, an Faulheit oder einfach daran, dass unerreichbare Ziele eben nicht erreichbar sind, muss offen bleiben. ← 15 | 16 →

1Die eventuelle Assoziation mit dem berühmten Film von Norman Jewison ist hier „weder beabsichtigt noch zufällig, sondern unvermeidlich“ (Heinrich Böll in der Vorbemerkung zu „Katharina Blum“).

2Das „wir“ hier und im Weiteren ist mit den zwei anderen Herausgebern des Bandes abgesprochen.

3Seine Seminarguppe musste, heute eine abstrakte Vorstellung, 1 bis 3 Titel, meist Romane, pro Woche lesen.

4Da für diese Kompromisslosen Ironie oft „unlesbar“ ist, hier eine kleine Verständnis-Hilfe: in Anführungszeichen, weil als „borniert“ oder „beschränkt“ gemeint.

5Siehe oben.

6Offizielle Website des Goethe-Instituts http://www.goethe.de/uun/gme/deindex.htm. Zugriff am 15.01.2014.

7Siehe Anm. 2.

Aufzug 2

System recovery als Metapher?

Czesław Karolak

Lesen, lesen über alles – evermore:

vom Papier so wie auch vom Monitor.

Vor mehr als einem Jahrzehnt begegnete unserem verehrten Jubilar, der bereits seit den frühen 90er Jahren die Vorzüge der Computertechnik für seine Arbeit zu nutzen wusste, ein „regelrechtes“ informationstechnisches Abenteuer, das mit seiner unbändigen Lesewut zusammenhing. Die Folge war, dass der verehrte Nutzer im Browser-Cache seines PC immer mehr elektronische Lesezeichen und Links auf Texte und Informationsmaterialien aus Onlinemedien gespeichert hat (es handelt sich um sog. Bookmarks – die polnischen Leser seien darum gebeten, dies nicht mit Karl Marx (poln. Marks) zu velwechsern1). Man muss jedenfalls dabei bedenken, dass die Parameter der Hardware-Speicherkapazität damals (vor zehn – fünfzehn Jahren) noch nicht so hoch waren, wie sie heute sind. Die zahlreichen „Orłowskischen Lesezeichen“ wurden also gespeichert, bis der Rechner, nachdem er sein Arbeitstempo spürbar verlangsamt hatte, sich eines Tages „weigerte“, im Dickicht der gespeicherten „temporary internet files“ auf die Aufträge und Wünsche seines datenhungrigen Besitzers einzugehen. Dem folgten dann möglicherweise zufällige, teils verzweifelte, teils frustrationserfüllte Versuche des verehrten Users, den PC kooperativ zu „stimmen“, bis im Endeffekt ein schwarzer bzw. blauer Bildschirm mit nicht sehr erfreulichen Informationen erschien und das Steuerungssystem nicht mehr aktiviert werden konnte.

Angesichts dieses Desasters empfand dann der ansonsten nicht sehr zum Wunderglauben „prädestinierte“2 User die Möglichkeit, das System-recovery-Programm zu aktivieren beinahe als einen Segen (was auch immer darunter zu verstehen ist). Er wäre nicht er selbst, wenn er dabei nicht die vielleicht autoironische, auf jeden Fall aber melancholische Bemerkung (schade, dass es im Deutschen das Wort „melanchironisch“ nicht gibt) gemacht hätte: „Wie gut wäre es doch, wenn der Mensch imstande wäre, ein derartiges ´Wiederherstellungspro ← 16 | 17 → gramm` in Bezug auf sein Leben zu aktivieren“. Dem wollte ich die Bemerkung entgegenstellen: „Dann könnte Pierre Bourdieu3 möglicherweise arbeitslos werden“, aber das System Recovering schien mir in dem Moment wichtiger; das System sollte doch möglichst effizient seine Wiederherstellungspunkte (ja, genau: seine „Lesezeichen“) finden, um wieder intakt zu arbeiten.

Aber so ganz „phantastisch“ war die reflexive Bemerkung unseres Jubilars nun doch nicht: Wer weiß, welches Potenzial das komplexeste Steuerungssystem – das menschliche Gehirn – mit seinen über 100 Billionen Synapsen beherbergt… Vielleicht ist dann eines Tages das computerspezifische System Recovering „nur“ ein metaphorischer Vorbote dessen, was in nicht allzu ferner Zukunft zur Realität wird?4

In diesem Sinne bilden die mentalen Lesezeichen, die sich in unsere billionenfachen Steuerungssysteme „eingravieren“ oder – um es direkt auf die Person unseres verehrten, klischeewidrigen Widmungsadressaten zu beziehen – die seinen Freunden und Schülern zuteil werden konnten, im wahrsten Sinne ein unschätzbares Potenzial, auf das zurückgegriffen werden kann, das aber gleichzeitig auch zukunftsorientiert ist: Dies hatte wohl der Posener Historiker Henryk Olszewski im Sinne, als er vor einigen Monaten über die Zukunft der inzwischen ca. eintausend Druckbögen (und damit unzählige Lesezeichen!) umfassenden Editionsreihe Poznańska Biblioteka Niemiecka schrieb, „…sie hat [im Bereich der Reflexion von Modernisierungsprozessen] noch vieles zu `bezeugen´“5, was er mit seinen besten Wünschen für die Zukunft der Reihe verband. Genau das war auch die Idee und der Grund, weshalb sich die Herausgeber dazu entschlossen haben, diese „freundschaftliche Formel“ zu einer Leitidee des Bandes zu machen. ← 17 | 18 →

1Ernst Jandl: Lichtung. In: E. J.: Laut und Luise. Walter, Olten 1966, S. 175.

2Vgl. Hubert Orłowski: Prädestination des Dämonischen. Zur Frage des bürgerlichen Humanismus in Thomas Manns „Doktor Faustus”, Wydawnictwo Naukowe UAM, Poznań 1969, passim.

3Pierre Bourdieu: Die biographische Illusion. In: ders. (Hrsg.): Praktische Vernunft. Zur Theorie des Handelns. Suhrkamp, Frankfurt a. M. 1998, S. 75-82.

4Dazu könnte man vielleicht einen Autor zu Rate ziehen, den unser Kollege manchmal gern zitiert: Stanisław Lem.

5Henryk Olszewski: Pochwała ważnej inicjatywy wydawniczej. Trzydzieści pięć tomów Poznańskiej Biblioteki Niemieckiej (1996-2012) [Laudatio für eine wichtige Editionsinitiative. Fünfunddreißig Bände Posener Deutsche Bibliothek]. Wydawnictwo Nauka i Innowacje, Poznań 2013, s. 45

Aufzug 3

liber amicorum

Maria Wojtczak

Diese klischeewidrige Festschrift bedarf nun doch eines nicht klischeewidrigen Vorwortes. So wurde mir, der (klischeewidrigen?) Adoptivschülerin von Hubert Orłowski, diese Aufgabe zuteil.

In ihrem Titel knüpft die Festschrift an Hermann Brochs Sicht der künstlerischen Arbeit, des Dichtens an, die Hubert Orłowski aus dem Herzen gesprochen ist. Broch verstand die Ungeduld der Erkenntnis als die einzigartige Möglichkeit im uneigentlichen (fiktiven) Erkenntnismaterial der Dichtung das aufzufassen, was für die diskursive Reflexion unerreichbar ist. Ungeduld wird damit also zur Tugend erkoren, obwohl zu den sieben christlichen himmlischen Tugenden ihr Gegenteil – die Geduld gehört. Die Ungeduld bekommt heute, vor allem im Zusammenhang mit der durch das Internet verursachten Beschleunigung unseres Lebens, immer neue Namen und Gesichter: neben dem Live-Stream gibt es die Sofortness, genannt digitale Ungeduld, oder die Echtzeit, dem Duden nach, die „vorgegebene Zeit, die bestimmte Prozesse einer elektronischen Rechenanlage in der Realität verbrauchen dürfen“, also eine technologische Konsequenz der Ungeduld. Die geduldige Ungeduld der Erkenntnis ist eine Formel, die Hubert Orłowskis Forschungsweg und Forschungsgegenstand zugleich charakterisiert.

Professor Dr. habil. Dr. h.c. Hubert Orłowski, geboren am 22. Mai 1937 in Podlejki (Podleiken), ist ordentlicher Professor im Ruhestand der Adam-Mickiewicz-Universität in Poznań, Rektor der Hochschule für Fremdsprachen in Poznań, Ehrendoktor der Universitäten Opole und der Ermland-Masuren-Universität Olsztyn, korrespondierendes Mitglied der Polnischen Akademie der Wissenschaften. Dazu u.a. Mitglied des Kuratoriums der Ossoliński-Nationalstiftung; Mitglied des Wissenschaftsrates des Zentrums für Historische Forschung der Polnischen Akademie der Wissenschaften, Stipendiat der Alexander von Humboldt-Stiftung. Orłowski leitete über 30 Jahre die Abteilung für deutsche Literaturgeschichte an der Poznaner Germanistik. Er ist der Vater der Posener literaturwissenschaftlichen germanistischen Schule, die sich als soziale Literaturgeschichte versteht. Hubert Orłowski wurde Vater von 29 Doktoren, für unzählige polnische Germanisten die Autorität, das Vorbild und vor allem Lehrer und Meister.

Zu seinen Forschungsschwerpunkten gehören die Literatur im Dritten Reich, Erzähltheorie, historische Semantik, Stereotype sowie die deutsch-polnischen Li ← 18 | 19 → teraturbeziehungen. Aus Orłowskis geduldiger Arbeit an der Ungeduld der Erkenntnis, sind unter anderem die über 20 von ihm verfassten Monographien, 25 Sammelbände, 15 Anthologien, über 460 Beiträge in Zeitschriften und Sammelbänden und über 80 Rezensionen hervorgegangen. Die 1996 in Deutschland im Harrassowitz Verlag und in 1998 in Polen bei Wspólnota Kulturowa Borussia Olsztyn erschienene Schlüsselmonographie Polnische Wirtschaft. Zum deutschen Polendiskurs der Neuzeit, brachte dem Verfasser europaweiten Ruhm, wovon das Echo in über 40 Rezensionen bestens schallt. Seit Jahren schon sieht Orłowski, wie er es mal in einem Interview formuliert hat, die herrlichste Festschrift, die man sich denken kann, geduldig mit Erkenntnisungeduld, Band für Band entstehen, in der von ihm konzipierten und herausgegebenen „Posener Deutschen Bibliothek“ [Poznańska Biblioteka Niemiecka], die sich heute über 36 an Gehalt und Volumen umfangreich Bände erstreckt. Seiner redaktionellen Sofortness und der Echtzeit seiner unzähligen phantastischen Ideen, der von ihm „vorgegebenen Zeit, die der Entstehungsprozess verbrauchen darf“, verdanken die 36 Bände die Entstehung und Etablierung auf dem intellektuellen Markt.

Seine „doppelte Nabelschnur“, die übrigens eine stichhaltige, von Orłowski selbst gebildete Bezeichnung für das Sich-Bewegen in zwei parallelen intellektuellen Kreisläufen eines Auslandsgermanisten ist, hat seinen eigenen Kreislauf als unermüdlicher, immer voranschreitender Vermittler zwischen der polnischen und deutschen Kultur, immer nur beschleunigt. Nie verlangsamt.

Hubert Orłowski wurde u.a. mit dem Österreichischen Ehrenkreuz für Wissenschaft und Kunst I. Klasse, mit dem Samuel-Bogumil-Linde-Preis der Städte Toruń-Göttingen, mit der Goethe-Medaille, mit dem Verdienstkreuz 1. Klasse des Verdienstordens der Bundesrepublik Deutschland und letztens als Vertreter der Geisteswissenschaften mit einem Preis des Bildungsministers für Verdienste um die Gesellschaftsentwicklung der Republik Polen geehrt.

Diese Festschrift, liber amicorum, für Hubert Orłowski, ist eine Schrift des Festes, das steht fest! ← 19 | 20 → ← 20 | 21 →

„Ein Nationalsozialist des Herzens“: Peter Martin Lampels Aufstieg und Fall im Dritten Reich in Selbstzeugnissen und Dokumenten

Edward Białek

Wrocław

Peter Martin Lampel1 ist eine der janusköpfigen Gestalten der literarischen Szene der Weimarer Republik und des Dritten Reiches. Einerseits ein revolutionär gesinnter Vertreter der aufsteigenden Generation, der sich mit seinen frühen Dramen in den Kampf um Menschenrechte und um die Befreiung des Individuums von den ihm durch das Kollektiv aufoktroyierten Zwängen stellte, andererseits ein den Erwartungen des Massenpublikums allzu oft Rechnung tragender Verfasser von aufsehenerregenden Zeitstücken, ließ er sich in einen Pakt mit den Nationalsozialisten verwickeln, der für ihn – vielleicht auch wegen seiner Homosexualität – kläglich ausging. Seine Korrespondenz aus den 30er Jahren erhellt die Gründe für seine Emigration, die alles andere als politisch motiviert war.

Details

Seiten
336
Jahr
2014
ISBN (PDF)
9783653033335
ISBN (ePUB)
9783653995800
ISBN (MOBI)
9783653995794
ISBN (Hardcover)
9783631643419
DOI
10.3726/978-3-653-03333-5
Sprache
Deutsch
Erscheinungsdatum
2014 (Juni)
Schlagworte
historische Fremdbildforschung Stereotypenforschung Exilliteratur NS-Ideologie Erinnerungskultur Deutsch-Polnisch
Erschienen
Frankfurt am Main, Berlin, Bern, Bruxelles, New York, Oxford, Wien, 2014. 336 S., 1 farb. Abb.

Biographische Angaben

Wlodzimierz Bialik (Band-Herausgeber:in) Czeslaw Karolak (Band-Herausgeber:in) Maria Wojtczak (Band-Herausgeber:in)

Hubert Orłowski, Emeritus der Universität Poznań, langjähriger Leiter des Lehrstuhls für Deutsche Literaturgeschichte am Institut für Germanische Philologie. Seine wichtigsten Forschungsschwerpunkte sind: Literatur im Dritten Reich, deutsch-polnische Literaturbeziehungen, Stereotype der langen Dauer und historische Semantik.

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