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Gottes Wort im Menschenwort

Festschrift für Georg Fischer SJ zum 60. Geburtstag

von Dominik Markl (Band-Herausgeber:in) Claudia Paganini (Band-Herausgeber:in) Simone Paganini (Band-Herausgeber:in)
©2014 Andere 299 Seiten

Zusammenfassung

Gottes Selbstmitteilung ist in den Texten der Bibel in menschlichen Worten vermittelt. Nach dem Zweiten Vatikanischen Konzil soll die Exegese diese Texte mit allen verfügbaren – menschlichen – Methoden durchleuchten, um in ihnen Gottes Wort zu finden. Georg Fischer, dem diese Festschrift gewidmet ist, hat sich stets der Vielfalt des alttestamentlichen Kanons verpflichtet gewusst. Diese Weite spiegelt sich im vorliegenden Band, der fünf Beiträge zum Pentateuch, sieben Artikel zu den prophetischen Büchern, verschiedene Studien zu den Schriften sowie eine Arbeit zum Neuen Testament vereinigt. Alle Autoren dieses Bandes sind dem Jubilar als Lehrer begegnet. Ihre Beiträge sind von seiner Ausrichtung inspiriert. Sie präsentieren exegetische Analyse, die auf das Verständnis der theologischen Botschaft abzielt.

Inhaltsverzeichnis

  • Cover
  • Titel
  • Copyright
  • Über das Buch
  • Zitierfähigkeit des eBooks
  • Inhaltsverzeichnis
  • Worte zum Geleit
  • Pentateuch
  • Noach, Ziusudra, Atram hasīs, Utnapištim und Xisouthros: Vom Bild eines idealen Menschen
  • The Image of YHWH as Presented in Exodus 16
  • Principles for a God-Centered Existence: Exegetical Implications of Deut 10,12–13
  • Dieu, le Rocher: Étude sur la théologie du chant de Moïse(Dt 32,1-43)
  • This Word is Your Life: The Theology of ‘Life’ in Deuteronomy
  • Prophetenbücher
  • Sin of Omission or Commission: An Insertion in 4QJera?
  • „Mein Vater, Freund meiner Jugend bist du?“: Kontext von Jeremia 3,1-5 und ein Strukturvorschlag
  • «Profeta per le nazioni» (Ger 1,5): Un titolo geremiano per definire l’opera isaiana
  • Neuer Bund in der Trostrolle
  • Strategie comunicative in GerTM e GerLXX: Variazioni nella deissi e implicazioni interpretative a partire da Ger 9,9
  • Structure and Dynamic of Ez 20: A synchronic approach
  • Priesterliches Leben unter prophetischem Blick: Das Priestertum aus der kritischen Sicht des Zwölfprophetenbuches
  • WeiterebiblischeSchriften
  • Salomón y su relación con Abrahán, Isaac y Jacob en 1-2 Crónicas
  • «Tutto questo ci era successo e(ppure) non avevamo dimenticato la tua alleanza»: Protesta d’innocenza in Sal 44,18-23
  • Ein stabiles Gefäß für den brisanten Inhalt: Einige Züge des Ijob-Porträts der Rahmenerzählung des Ijobbuches und ihre Relevanz im Blick auf die Auseinandersetzungen in dessen Redeteil
  • New Jerusalem as Bride of God, Holy of Holies and as Paradise: A three fold affirmation of God’s intimacy with his people (Rev 21:1–22:5)
  • Ein Medium für das Wort Gottes: Spuren einer Medienkritik im Alten Testament
  • Bibelstellenverzeichnis
  • Autorenverzeichnis
  • Die Autoren dieses Bandes
  • Reihenübersicht

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Worte zum Geleit

Gottes Wort gestaltet – folgt man dem ersten Schöpfungsbericht der Genesis – das gesamte Universum. Gottesworte prägen die biblische Geschichte Israels, treiben die Propheten und evozieren vielstimmige menschliche Antworten in Psalmen und Liedern. Gottes Wort ist in Jesus Mensch geworden – so der Prolog zum Johannesevangelium. Jedoch wird die Selbstmitteilung Gottes in der Bibel durch menschliche Worte vermittelt. Diese an sich einfache Erkenntnis des Zweiten Vatikanums1 hat den Umgang der römisch-katholischen Kirche mit dem biblischen Text aus seinem Korsett befreit und erneuert. Die Kirche darf und will nun mit allen verfügbaren – menschlichen – Methoden der Geschichts-, Sprach- und Literaturwissenschaft diese Worte durchleuchten, um in ihnen Gottes Wort zu finden.2

Für Georg Fischer gründet diese theologische Hermeneutik zutiefst in der ignatianischen Spiritualität, die ihn seit seiner Ausbildung als Jesuit geprägt hat. Zu einer wissenschaftlichen Vertiefung und zur Entwicklung seines eigenen Ansatzes kam es dann vor allem während seines Studiums am Päpstlichen Bibelinstitut (Defensio 1988). Seither unterrichtet er Alttestamentliche Bibelwissenschaft an der Universität Innsbruck und referiert regelmäßig als international anerkannter Experte auf den wichtigsten biblischen Kongressen.Georg Fischer sucht mit ganzer Kraft nach dem Gotteswort. Er besteht darauf, sich mit nichts anderem als mit tragfähigen Kriterien für das Textverstehen zufrieden zu geben. Er konzentriert sich auf das Wesentliche und hat mit diesem – in gewisser Weise kompromisslosen – Zugang zahlreiche Studenten begeistert und Dissertanten aus aller Welt zu sich geführt. Seine persönliche Sorge um jeden einzelnen Studierenden hat die Entwicklung eigenständiger akademischer Lehrer gefördert, die heute auf vier Kontinenten biblische Exegese unterrichten.

Neben seinem Fokus auf das Jeremiabuch3 und den Pentateuch4 hat sich Georg Fischer – in Lehre und Forschung – stets der Vielfalt des alttestamentlichen Kanons ← 9 | 10 → verpflichtet gewusst5 und Dissertationen zu einem weiten Spektrum an Themen betreut. Diese Weite spiegelt sich auch im vorliegenden Band, der exegetische Studien aus allen Kanonteilen vereinigt: fünf Beiträge zum Pentateuch, sieben Artikel zu den prophetischen Büchern, verschiedene Studien zu den Schriften, eine Arbeit zum Neuen Testament. Dass die Beiträge dieses Bandes in fünf Sprachen verfasst sind, ist ebenfalls ein Ausdruck jener internationalen und interkulturellen Wirkkraft, die Georg Fischers Lehrtätigkeit seit gut zwei Jahrzehnten kennzeichnet und – auch – auszeichnet.

Alle Autoren dieses Bandes sind Georg Fischer als Lehrer der biblischen Wissenschaft begegnet und bringen in ihren Beiträgen etwas von jener Inspiration zum Ausdruck, die sie in der Begegnung mit ihm erfahren haben. Was die Arbeiten vereinigt, ist ihre vom Jubilar geprägte Ausrichtung: exegetische Analyse, die auf das Verständnis der theologischen Botschaft abzielt.

Als Herausgeber danken wir vor allem den Verfassern für ihr Engagement. Für die Finanzierung der Druckkosten danken wir dem Vizerektorat für Forschung der Universität Innsbruck, insbesondere der Katholisch-Theologischen Fakultät und dem Institut für Bibelwissenschaften, dem Land Vorarlberg sowie dem Jesuitenkolleg Innsbruck. Elizabeth Lock (Oxford) hat in bewährter Weise die Korrektur der englischen Artikel vorgenommen, und Silviana Crespi (Busto Arsizio) hat sich der italiensichen Aufsätze angenommen. Maurice Gilbert SJ (Luxembourg) sei für seine Bearbeitung des französischen Textesgedankt und Annett Giercke-Ungermann (Aachen) für die Herstellung der Verzeichnisse am Ende des Buches. Wir danken auch Albrecht Matthaei (Rom) für seine technische Hilfe.

Gemeinsam mit seinen Schülern und Freunden möchten wir Georg Fischer unsere herzlichen Glückwünsche zum 60. Geburtstag überbringen. Und gemeinsam mit den Autoren überreichen wir ihm dieses Buch als Zeichen unserer wertschätzenden Verbundenheit. Möge seine Freude am Wort Gottes weiterhin auf viele Menschen ausstrahlen.

Dominik Markl
Claudia Paganini
Simone Paganini

März 2014
Rom, Innsbruck, Aachen

1 Vgl. Dei Verbum, bes. 11-12.

2 Siehe dazu das Dokument der Päpstlichen Bibelkommission Die Interpretation der Bibel in der Kirche (1993).

3 Neben Fischers zweibändigem Kommentar zu Jer (Herders Theologischer Kommentar zum Alten Testament, Freiburg i.Br. 2005) seien besonders seine Einleitung zur Forschung (Jeremia. Der Stand der theologischen Diskussion, Darmstadt 2007), seine Habilitationsschrift Das Trostbüchlein. Text, Komposition und Theologie von Jer 30-31 (SBB 26), Stuttgart 1993, sowie seine umfangreiche Sammlung wissenschaftlicher Aufsätze genannt (Der Prophet wie Mose. Studien zum Jeremiabuch, BZAR 15, Wiesbaden 2011).

4 Siehe dazu seine Dissertation Jahwe unser Gott. Sprache, Aufbau und Erzähltechnik in der Berufung des Mose (Ex 34) (OBO 91), Freiburg i.Br. 1989; den mit D. Markl verfassten Kommentar zum Exodusbuch (NSK.AT 2), Stuttgart 2009, die Studie zu Gen 25–50, Der Jakobsweg der Bibel. Gott suchen und finden, Stuttgart 2010, und den Sammelband Die Anfänge der Bibel. Studien zu Genesis und Exodus (SBAB 49), Stuttgart 2012.

5 Theologien des Alten Testaments (NSK.AT 31), Stuttgart 2012. Außerdem war und ist Fischer die Methodenlehre ein besonderes Anliegen: Wege in die Bibel. Unter Mitarbeit von B. Repschinski und A. Vonach, Stuttgart ³2008; Conoscere la Bibbia. Una guida all’interpretazione. A cura di S. Paganini, Bologna 2013 und Per comprendere la Bibbia, Padova 2013 (mit S. Paganini).

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Pentateuch

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Noach, Ziusudra, Atram asīs, Utnapištim und Xisouthros

Vom Bild eines idealen Menschen

Martin Lang, Innsbruck

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1. Grundsätzliches

Unterzieht man die die Fluterzählung enthaltenden Texte altorientalischer Provenienz einem Vergleich, so wird man einerseits jener frappierenden Gemeinsamkeiten gewahr, die seit der Entdeckung und Veröffentlichung der keilschriftlichen Sintfluterzählung im Jahre 1872 bekannt sind und diskutiert werden.1 Andererseits treten bei genauerem Hinschauen deutliche Unterschiede zutage. Diese aber sind es, welche wohl noch mehr Aussagen über die Übernahmesituation und die Strategien der Transformation durch die rezipierenden Autoren erlauben, als bloße „Parallelomanie“2 durch Auflisten von Ähnlichkeiten.

Trotzdem: Im Folgenden werden Ähnlichkeiten nebeneinander gestellt, um die Unterscheide deutlich zu machen. Vielleicht sind es gerade diese Unterschiede, die die Motivation der rezipierenden (und transformierenden Autoren) deutlicher offenlegen können.

2. Der Flutheld in der keilschriftlichen Überlieferung

2.1 Ziusudra in der Sumerisch-sprachigen Überlieferung

Das sumerische Sintflutfragment stammt wohl aus der spätaltbabylonischen Zeit3 und könnte sogar später als das Atram asīs-Lied entstanden sein. In ihm fließen allem Anschein nach die in der sumerischen Königsliste (SKL)4 niedergelegte, chronographische, und die über das akkadische Atramhasis-Lied ← 13 | 14 → greifbare, narrative Tradition zusammen.5 Der leider nur bruchstückhaft erhaltene Text präsentiert, gleich wie in jenen Fragmenten der SKL, die eine Liste mit den Königen vor der Flut beinhalten,6 Ziusudra als letzten König vor der Flut. Der Unterschied besteht darin, dass die Liste ganz trocken in einer Zeile den König und seine Regierungsjahre nennt, während das Fragment eine Narration liefert. So erzählt es, dass der Flutheld Ziusudra zu einer Klasse von Priestern gehört. Zugleich ist er König. Ihm wird gute Lebensführung und ein „guter Draht“ zu Enki, dem Gott der Beschwörungskunst nachgesagt. In Segment C 13 dieser einzigen bisher veröffentlichten Sumerisch-sprachigen Tafeln mit der Fluterzählung wird er als gudu4-Priester geschildert, und als einer, der nam-sun5-na inim sig10-sig10-ge ni2 te-na […] – „in Demut sein Wort / seine Angelegenheit vorbringt und in Furcht […]“.7 Das erhaltene Ende des Textes redet von der liebevollen Behandlung durch die Götter, und davon dass sie ihm „dauerhaftes Leben wie für einen Gott“ (zi da-ri2 diĝir-gin7) geben, sowie davon dass sie denjenigen, der den „Namen der Tiere und den Samen der Menschheit bewahrt“ (mu niĝ2-gilim-ma numun nam-lu2-ulu3 uru3 ak) hat, im Land Dilmun, dem Land des Aufgangs der Sonne, wohnen lassen.

2.2 Atram asīs im altbabylonischen inūma ilū awīlum („Atram asīs-Lied“)

Im Atram asīs-Lied, dessen Ursprünge in der altbabylonischen Zeit liegen, und welches womöglich überhaupt die erste Narration der Flut liefert, ist der Name Utnapištim allem Anschein noch inexistent.8 Wenngleich das Atram asīs-Lied ein Produkt von Mythenkoppelung zu sein scheint,9 ist es kunstvoll komponiert und in eine solche Gestalt gebracht worden, dass es als climax das Flutgeschehen ausweist.10 Vielleicht ist es dem noch nicht vollständig rekonstruierten Text geschuldet, dass aus der altbabylonischen Version nicht hervorgeht, wer denn Atram asīs wirklich sei. Aber nicht nur. Offenkundig spielt der Erzähler damit, offenzulassen, aus welchem Bereich nun Atram asīs hervorgeht. Der Erstvorstellung unmittelbar voraus geht jedenfalls die Erzählung von der Menschenschöpfung. Warum sollte man nicht annehmen dürfen, dass Atram asīs nicht eben direkt aus dem (unmittelbar in der Narration vorausgehenden) ← 14 | 15 → Schöpfungsakt hervorgegangen sein sollte? Unvermittelt tritt er auf den Plan der Erzählung. Die erste und unmittelbare (erhaltene oder auch tatsächliche) Vorstellung jener Gestalt, die für den weiteren Verlauf der Erzählung zentral wird, geschieht fast am Ende der ersten Tafel in vier Zeilen (Z. 364-367, die drei Zeilen davor sind abgebrochen):11

u šū Atram asīs ilšu Enki uzunšu peti’at ītamu itti ilišu u ilšu ittišu ītamu
Er aber, Atram asīs – sein Gott war Enki, sein Ohr war geöffnet. Er spricht mit seinem Gott und sein Gott spricht mit ihm.

Aus einem (mittelbabylonischen) Fragment aus dem spätbronzezeitlichen Ugarit der Zeit (RS 22.421),12 welches offenbar eine Nebenüberlieferung dokumentiert, geht ebenfalls hervor, dass Atram asīs in großer Nähe zu seinem Gott Enki lebt. So offenbart sich der Flutheld in merkwürdiger Ich-Rede:

ina bīt Ea bēlīja ašbāku
„im Haus Ea’s, meines Herrn, bin ich wohnhaft“ (Z. 4).

Weiters bezeugt er, dass er Kunde vom Ratschluss der Götter erhalten habe, mit den Worten:

idê milka ša ilāni rabûti idê māmēssunu u ul ipattû ana iāši
Ich wusste um den Ratschluss der Götter, ich kannte ihren Schwur, obwohl sie ihn mir nicht offenbaren. (Z. 7.9)

Die Offenbarung des an sich unter Geheimhaltung vereinbarten Planes der Götter zur Vernichtung des Menschengeschlechts und die Anweisung zur Rettung durch Enki / Ea geschieht unter Umgehung dieses Schwures, indem er durch eine Schilfwand geflüstert wird.

Atram asīs wird also mehrfach ein vertrauter Umgang mit Enki / Ea nachgesagt, der in der babylonischen Überlieferung fast durchgäng als φιλάνθρωπος θεός angesehen wird.

2.3 Utnapištim in der ninivitischen Fassung des Gilgameš-Epos

Utnapištim wird im Gilgameš-Epos nicht eigens eingeführt, ebenso wird nicht explizit auf seine ihn auszeichnenden Charaktereigenschaften eingegangen. Offenkundig rechnet das Werk mit der Bekanntheit dieser Gestalt – vermittels des Atram asīs-Liedes. Wie aber wird Utnapištim, der als einziger Mensch je das ewige Leben gefunden hat, und dem Gilgameš gegenübertritt, gezeichnet? ← 15 | 16 →

Die Flutgeschichte auf der elften Tafel ist zu einem Gutteil die Nacherzählung seines Werdeganges und des Ausganges seiner Geschichte, welche aus dem Munde Utapištims erklingt und als arkanes Wissen und Mysterium ausgewiesen wird (Taf XI, Z. 9-10).13 Am Ende der Flutgeschichte wird eine bedeutende Information nachgeliefert. Die Götter segnen ihn und seine Frau, statten ihn mit „ewigem Leben“ aus und setzen ihn und seine Frau an die Mündung der Flüssen (Taf XI, Z. 203-205).

Eines darf für das Gilgameš-Epos nicht außer Acht gelassen werden: Soviel über Sinn und Zweck dieses literarischen Kunstwerkes nachgedacht wurde14 – zumindest die akkadische Überlieferung, aber vermutlich auch die sumerischen „Teilepen“ des Gilgameš-Zyklus haben als eine deutliche Perspektive den „idealen König“ im Blick. Ist dies schon in der altbabylonischen akkadischen Fassung ersichtlich, deren Incipit šūur eli šarrī – „Über alle Könige erhaben …“ lautete, so gilt dies erst recht für die standardbabylonische Fassung, in welcher Gilgameš – nicht nur als dem idealen Menschen, sondern auch als dem idealen König15 – neben seinem Heldenmut auch „Allwissenheit“16 und die Initiation in die esoterischen Künste im Dienste qualifizierten Herrschaftswissens zugeschrieben wird. Zu diesem Utnapištim gelangt Gilgameš auf seiner Lebenssuche und gerät damit in Kontakt zu den Mysterien vor der Flut.17 Selbstredend ist dieser Gilgameš literarisches Symbol und Projektionsfolie (mit einer langen, bis ins dritte, vorchristliche Jahrtausend reichenden Traditionsgeschichte) für den assyrischen König. Und umgekehrt ist die assyrische Königsideologie maßgeblich gestaltbildend v.a. für das standardbabylonische Gilgamešepos.18

Gilgameš ist es, der auf der Projektionsfläche Utnapištims zu einem idealen Menschen gezeichnet wird. Und Utnapištim bekennt dem rastlosen Lebenssucher ← 16 | 17 → Gilgameš gegenüber, er sei ja (schon) aus dem „Fleisch der Götter und Menschen“ beschaffen.19 Freilich, der Gang des plots im Epos wird es weisen, dass auch für den „idealen“ Menschen Gilgameš das ewige Leben ein bleiben wird.

2.4 Xisouthros in den Fragmenten des Berossos

In den Fragmenten des Berossos aus hellenistischer Zeit wird ein Bild von Xisouthros gezeichnet, das eine bewusst intendierte Hybridität spiegelt, wohl um einem griechischen Publikum die antiquitas der babylonischen Kultur nahebringen zu können. Erkennbar sind zwar deutlich Substrate, die in babylonischem Schrifttum zu suchen sind, die vorhandenen Fragmente reflektieren jedoch auch und gerade das Interesse, gewisse Eigenarten der Babylonischen Altertümer in griechischem Kleid erscheinen zu lassen.20 So wird der Kulturheros Oannes etwa, nahezu mit demiurgischen Qualitäten ausgestattet, und die offenbarende Gottheit als Kronos benannt. Kronos ist es dann auch, der das Heraufziehen des Kataklysmos in einem Traum an Xisouthros offenbart. Diese narrative Schärfung des Offenbarungsvorganges als Traum, der durch Kronos an Xisouthros herangebracht wird, ist eine Eigenheit in der Überlieferung. Gleichzeitig gibt der griechische Text einen Hinweis, dass Kronos sich über dem Schlafenden „hinstellt“, um ihm den Kataklysmos zu offenbaren. So stehe geschrieben, dass,

τὸν Κρόνον αὐτῶι κατὰ τὸν ὕπνον ἐπιστάντα φάναι μηνός Δαισίου πέμπτηι και δεκάτηι τους ἀνθρώπους ὑπὸ κατακλυσμοῦ διαφθαρήσεσθαι
… Kronos über ihm stand und ihm in einem Traum offenbarte, dass am 15. des Monats Daisios die Menschen durch eine Flut vernichtet würden … (Berossos, F 4b)21

Nun liegt aber gerade hinter dieser Formulierung eine Terminologie, die exakt in die Überlieferung babylonischer Gebetssprache passt: Die helfende Herbeikunft der Gottheit wird häufig mit „Stell dich hin!“ / (= „Tritt herbei!“), im Sinne von „Komm herbei!“ erwirkt, ein Wortgebrauch, der göttliche Präsenz schlechthin markiert.22 Offenkundig ist Berossos mit der Terminologie jener vielen babylonischen ← 17 | 18 → Gebete und Gebetssbeschwörungen23 vertraut, die in erster Linie durch die Berufsgruppe der sog. „Beschwörungspriester“ (āšipu)24 Verwendung fanden.25 Xisouthros wird so auf nicht vordergründig sichtbare Weise ein Naheverhältnis zur rettenden Gottheit nachgesagt.

Aber was macht nun Noach zum Fluthelden, und was hebt ihn so von der massa damnata der Zeitgenossen hervor?

3. Inszenierung des Noach – literarische Strategien

Da es um die Charakterisierung des Fluthelden im Vergleich zu den anderen Profilen der altorientalischen Überlieferung geht, sei hier die Behandlung des Themas v.a. auf den Flutprolog mit Gen 6,9 beschränkt.

3.1 Toledot-Formel und Noach als Epochengrenze

Die als Nominalsatz realisierte und im Buch Genesis 11mal26 verwendete Toledot-Formel, fungiert in Gen 5,1 und noch mehr in Gen 6,9 als literarische Brücke von einer allgemeineren, universaleren Sicht der Dinge hin zu einer Fokussierung auf etwas Spezielleres.27 Mit der Toledot-Formel wird das Folgende „etikettiert, ausgewiesen“ (engl. „label“). Der Blick wird mittels dieser „Überschrift“ von der vorangegangenen Einheit, in der eine Person vorgestellt wird, auf die Nachkommen dieser Person in der folgenden literarischen Einheit gelenkt.28

Gen 5 lässt in seiner Eigenschaft als „Zeitraffer“ und Brücke mit einem ganz neuen Ausgangspunkt29 die Jahre von Adam bis herauf zu Noach passieren, ohne Einzelheiten zu schildern. Erst in der Zeit Noachs beginnt wieder die Erzählung. Diese setzt eben mit 6,9 neu ein30 und blendet damit zurück auf Gen 5. ← 18 | 19 →

Gen 6,9-10, mit der kurzen genealogischen Notiz v10,31 nimmt nun ausschließlich das Schicksal Noachs und der Seinen in den Blick. Mit ihr wird die Gestalt des Noach in die Flutgeschichte eingeführt und dieser als ihr Protagonist vorgestellt. Diese Präsentation der Person, die ihr Zeitalter prägt – und hier kommt speziell dazu, dass Noach als einziger in seiner Zeit als aktiv Handelnder ausgewiesen wird –, gibt auch berechtigten Anlass dazu, die Toledot-Formel hier als „Epochen-Toledot“ zu bezeichen.32 V9 markiert zwar einen überschriftartigen Neueinsatz,33 stützt sich aber auf den das Stück 6,5-8 abschließenden v8: „Aber Noach fand Gnade in den Augen Jahwes“. Dieser ist der „Haftpunkt“, auf den nun die Toledot-Formel 6,9 folgen und entfaltet werden kann.

Der literarischen Funktion von 6,9 als Brücke korrespondiert noch ein Weiteres: Zum einen versucht sie einen Anschluss zum vorauslaufenden Text zu schaffen, bringt aber zugleich Neues, im Sinne eines scharfen Aussagenkontrastes in den Blick. Im Gefolge des vorauslaufenden Textes bewertet sie nach wie vor optimistisch die „Gutheit“ der Schöpfung im Hinblick auf jenen Einzigen, der diese „Gutheit“ (repräsentiert durch das wertende Ausdruckpaar ~ymt qydc in 6,9) in sich trägt.34 Zusätzlich kann man den syntaktisch so schwierigen V935 als eine Präzisierung der Aussage in 6,8 verstehen. ← 19 | 20 →

3.2 Schilderung der Gegensätze

Der Blick des Erzählers konzentriert sich zunehmend auf Noach. Um das Profil dieser von nun an so wichtigen Person herauszuarbeiten, bedient er sich zweier Strategien: Zum einen, indem er die Ordnung demonstriert, die mittels der Toledot-Formel gegeben ist. Er bedient sich zum anderen auch des Gegenlichts. Die Zahl der Lebensjahre jener, von denen c5 handelt, ist exorbitant hoch. C6 setzt ein mit der Feststellung, dass sich die Menschen zu vermehren beginnen (v1), und dass das auf eine Weise geschieht, die dem göttlichen Plan zuwiderläuft, ihn veranlasst, seine Gesinnung zu ändern (v6a), ja fundamentale Schöpfungsvorgaben zurückzunehmen. Die Folge ist, dass Jahwe seinen Geist zurücknimmt (v3b) und die Zahl der Lebensjahre auf ein Maß von Hundertzwanzig Jahren reduziert (v3c). Mit der kollektiven und zunächst ausschließlichen Feststellung, dass das „Übel“ ([r) anwachse und alle Unternehmungen des Menschen „nur übel“ seien (v5), ist ein Hintergrund geschaffen, der durch die Aussage in 6,11, dass die Erde erfüllt von smx sei, nur noch düsterer erscheint.36 Auf dieser Kontrastfolie kann das Bild des Gerechten und Reinen nur umso deutlicher hervortreten. Bei aller Eigendynamik und allem Übermaß an sich stetig vermehrender Gewalt gibt es doch etwas / jemanden, in dem das grundlegende Faktum der „Gutheit“ der Schöpfung im Keim erhalten bleibt.

Details

Seiten
299
Jahr
2014
ISBN (PDF)
9783653031287
ISBN (ePUB)
9783653996203
ISBN (MOBI)
9783653996197
ISBN (Hardcover)
9783631642849
DOI
10.3726/978-3-653-03128-7
Sprache
Deutsch
Erscheinungsdatum
2014 (April)
Schlagworte
Exodus Deuteronomium Genesis Psalmen Zwölfprophetenbuch Pentateuch Prophetenbücher Jeremia
Erschienen
Frankfurt am Main, Berlin, Bern, Bruxelles, New York, Oxford, Wien, 2014. 299 S., zahlr. Tab.

Biographische Angaben

Dominik Markl (Band-Herausgeber:in) Claudia Paganini (Band-Herausgeber:in) Simone Paganini (Band-Herausgeber:in)

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Titel: Gottes Wort im Menschenwort
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