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Klerus und Nation in Südosteuropa vom 19. bis zum 21. Jahrhundert

von Aleksandar Jakir (Band-Herausgeber:in) Marko Trogrlic (Band-Herausgeber:in)
©2015 Sammelband 272 Seiten
Reihe: Pro Oriente, Band 6

Zusammenfassung

Die Untersuchung des komplexen Verhältnisses von Klerus und Nation in Südosteuropa vom 19. Jahrhundert bis zur Gegenwart stellt eine Herausforderung dar, gerade auch unter dem Gesichtspunkt der Auseinandersetzung und Bewältigung der oft konflikthaften Vergangenheit in diesem Raum. Dieser ist nur durch offenen Dialog und differenzierte multi- und interdisziplinäre Forschungsansätze zu begegnen, welche die bereits in seinen Grundlagen und Gegebenheiten angelegte Phänomenologie und Vielschichtigkeit dieses Verhältnisses berücksichtigen. In diesem Band sind dreizehn Beiträge versammelt, die auf Vorträge zurückgehen, die auf der Internationalen Tagung der PRO ORIENTE Kommission für südosteuropäische Geschichte vom 2.–6. Mai 2012 in Split (Kroatien) gehalten wurden.

Inhaltsverzeichnis

  • Cover
  • Titel
  • Copyright
  • Autorenangaben
  • Über das Buch
  • Zitierfähigkeit des eBooks
  • Inhalt
  • Vorwort
  • Il ruolo del clero cattolico nella nazione slovacca dalle origini fino alla prima metà del Novecento
  • Die Rolle des Klerus im nationalen Emanzipationsprozess der Slowenen
  • I.
  • II.
  • III.
  • Demonstrations of the Italian Community in Zadar against Archbishop Gregory Rajčević in 1894
  • La Dalmazia Cattolica
  • Political Catholicism in Dalmatia
  • La Santa Sede e la “questione di Fiume” nel dopoguerra
  • La missione di mons. Valentino Liva
  • La missione di mons. Celso Costantini
  • Conclusioni
  • Konfessionelle Prägungen und kulturelle Milieus im Prozess der Herausbildung moderner nationaler Identitäten am Beispiel Dalmatiens in der Zeit zwischen den Weltkriegen
  • 1. Das kroatisch-katholische Dalmatien
  • 2. Serbisch-orthodoxes Selbstverständnis
  • Klerus und Politik in der katholischen Publizistik in Kroatien (1991–1995)
  • Zu den ausgewählten Zeitschriften
  • Zur Frage der nationalen Selbstständigkeit
  • Die Standpunkte in Bezug auf den Krieg
  • Il Partito popolare italiano. Origini, ascendenze ideali, punti programmatici
  • Principali interpretazioni storiografiche del movimento cattolico
  • Fallimento di precedenti tentativi di partito cattolico
  • Il modello di Centro germanico per i cattolici italiani
  • Verso un partito laico dei cattolici
  • Il Partito popolare italiano di Luigi Sturzo
  • Fallimento del popolarismo di fronte al fascismo
  • Die Rolle des Klerus im Prozess der Formierung nationaler Identität unter den Kroaten Bosnien-Herzegowinas im 19. und in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts
  • 1. Der osmanische Kontext: Voraussetzungen für den Beginn der Ausformung kollektiver nationaler Identitäten auf dem Gebiet Bosnien-Herzegowinas
  • 2. Der österreichisch-ungarische Kontext: Artikulation der kroatischen nationalen Identität in Bosnien und Herzegowina
  • 3. Der jugoslawisch-monarchistische Kontext: Der Abschluss des Prozesses der Konstituierung einer kroatischen Nationalidentität in Bosnien und Herzegowina
  • The Attitude of Bosnian ulema towards the National Question in the Yugoslav Kingdom
  • Social and educational troubles
  • The ulema and politics
  • Handžić and Čokić on nation and nationalism
  • Ulema in the pro-Croatian group of Hakija Hadžić
  • The ulema and the new national reality
  • Through ‘Gajret’ to the nation
  • Instead of conclusion
  • Der orthodoxe Klerus in Rumänien und die extreme Rechte in der Zwischenkriegszeit
  • Die Affäre „Archon“ der bulgarischen orthodoxen Kirche. Verloren im Übergang oder ein Emanzipationsversuch?
  • Der Anfang des Skandals. Der Archon Binev
  • Vorgeschichte und Werdegang
  • Der neue „Adel“ Bulgariens
  • Orthodoxer Klerus und Nation im neugriechischen Staat: Anatomie und Bilanz einer engen und vielschichtigen Beziehung
  • 1. Einführung
  • 2. Orthodoxer Klerus und griechische Nation
  • 3. Schlussbemerkungen
  • Autorenverzeichnis

| 7 →

Aleksandar Jakir/Marko Trogrlić

Vorwort

Die Untersuchung des komplexen Verhältnisses von Klerus und Nation vom 19. Jahrhundert bis zur Gegenwart in Südosteuropa stellt eine Herausforderung dar, gerade auch unter dem Gesichtspunkt der Auseinandersetzung und „Bewältigung“ der oft konflikthaften Vergangenheit in diesem Raum, der nur durch offenen Dialog und differenzierte multi- und interdisziplinäre Forschungsansätze zu begegnen ist, welche die bereits in seinen Grundlagen und Gegebenheiten angelegte Phänomenologie und Vielschichtigkeit dieses Verhältnisses berücksichtigen. In vorliegendem Band sind 13 Beiträge versammelt, die auf Vorträge zurückgehen, die auf der Internationalen Tagung der PRO ORIENTE Kommission für südosteuropäische Geschichte vom 2.–6. Mai 2012 in Split (Kroatien) gehalten wurden, die unter dem Titel stand „Klerus und Nation in Südosteuropa vom 19. bis zum 21. Jahrhundert“.

Nicht zuletzt für ein tieferes Verständnis des Prozesses der Herausbildung und der Stabilisierung moderner nationaler Identitäten scheint die Kenntnis der vielfältigen und komplexen Rolle des Klerus in diesen Prozessen unabdingbar. Seit vor über 50 Jahren George G. Arnakis die Rolle der Religion in der Entwicklung der balkanischen Nationalismen untersucht hat, haben zahlreiche Forschungen zeigen können, dass insbesondere im mittel- und südosteuropäischen Raum die Beteiligung von Vertretern des Klerus maßgeblich zur Entstehung einiger nationaler Bewegungen beigetragen hat, deren Existenz und spezifische Verlaufsformen ohne die aktive Rolle dieser Vertreter des Klerus nur schwer vorstellbar sind. Dabei ist das Verhältnis zur Nation und zum Nationalen sicher stets zu betrachten in seinem gesamteuropäischen Rahmen und im Kontext des gesellschaftlichen Wandels auf dem Gebiet Mittel- und Südosteuropas im Zeitraum vom Ende des 18. Jahrhunderts bis zur Gegenwart. Festzustellen ist, dass die Dynamik und/oder Konstanz im Verhältnis von Klerus und Nation im betrachteten Zeitraum, ebenso wie die Rolle einzelner Protagonisten und der verschiedenen Kirchen und Religionsgemeinschaften, unterschiedlich ausfallen. Dies gilt auch für die Folgen des verstärkten Säkularisierungsprozesses in den verschiedenen Gesellschaften Mittel- und Südosteuropas.

Der relativ weit gefasste zeitliche Rahmen sowie die kulturelle, ethnische und religiöse Vielfalt im mittel- und südosteuropäischen Raum schließen von vornherein jedes Streben nach enzyklopädischer Vollständigkeit aus, ebenso wie der Band natürlich keineswegs den Anspruch eines Handbuchs erhebt. Die hier versammelten Fallstudien versuchen aber nichtsdestotrotz der erwähnten Heterogenität gerecht zu werden durch die Berücksichtigung ← 7 | 8 → einer geographisch und zeitlich breiten Palette von Beiträgen, die sich dem Themenbereich widmen. Bedingt durch die jeweilige Fragestellung und Quellenlage geschieht dies mittels verschiedener methodischer Zugänge. Die Herausgeber hoffen, dass die vorliegenden Erträge der Forschung in ihrer Zusammenschau für historisch-vergleichende Analysen und für weitere Beschäftigungen mit dem Phänomen der Rolle des Klerus in Gesellschaft und Politik in Mittel- und Südosteuropa hilfreich sein werden. In gewisser Weise wirft der Band auch ein Schlaglicht auf die Beschäftigung mit verschiedenen Aspekten des Verhältnisses von Klerus und Nation anhand ausgewählter Fragestellungen aus der Perspektive von mit ihren Themen vertrauten Religionswissenschaftlern und Historikern.

Eröffnet wird der Band durch den Beitrag von Ĺuboslav Hromják, der unter der Überschrift „Il ruolo del clero cattolico nella nazione slovacca dalle origini fino alla prima metà del Novecento“ die führende Rolle des katholischen Klerus innerhalb der slowakischen Nation in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts untersucht. Diese Rolle ist nur zu verstehen, wenn man sich die Folgen der durch die Jesuiten im 17. Jahrhundert betriebenen „Rekatholisierung“ vergegenwärtigt, die sich auf die Evangelisierung in Großmähren durch Kyrill und Method berief und eine stärkere Hinwendung zu den „Slawenaposteln“ und einen entsprechenden Kult initiierte, der für die Herausbildung und das Verständnis der modernen slowakischen Nationalidentität in ihren verschiedenen Interpretationen nach wie vor unverzichtbar erscheint. Auf sehr spezifische Weise hat dies Eingang gefunden in das Konzept des von Papst Leo XIII. propagierten „katholischen Slawentums“, welches aufgegriffen und unterstützt wurde durch den kroatischen Bischof Josip Juraj Strossmayer aus Đakovo ebenso wie durch den slowakischen Bischof Štefan Moyses aus Banská Bystrica. Der Kyrill-und-Method-Kult erwies sich nicht nur als wesentlich für die slowakische Nationalbewegung und ihren Versuch, sich gegenüber dem ungarischen Nationalismus abzugrenzen, sondern diente auch zur Festigung der Loyalität gegenüber dem Papst, dem die Rolle des Schutzherrn der slawischen Völker innerhalb der Monarchie zugeschrieben wurde. Die von Leo XIII. verfasste Enzyklika vom 30. September 1880 wurde sowohl von slowakischen als auch von kroatischen Katholiken im Sinne der Zugehörigkeit zum „katholischen Slawentum“ interpretiert. Der Beitrag zeigt an zahlreichen Beispielen von der Gründung der Slowakischen Nationalpartei bis zur Präsidentschaft des katholischen Priesters Jozef Tiso die wichtige Rolle des katholischen Klerus innerhalb der slowakischen Gesellschaft.

Etwas weiter südlich bietet sich ein ähnliches Bild. Auch im folgenden Beitrag von Aleš Maver unterstreicht der Autor nämlich, dass die Rolle des Klerus im nationalen Emanzipationsprozess, in diesem Fall bei den Slowenen, wahrscheinlich kaum überschätzt werden kann, und erörtert die ← 8 | 9 → Grundlagen und Ursachen des Einflusses des Klerus im slowenischen Raum. Dabei geht klar aus seinem Beitrag hervor, wie aus anderen auch, dass der katholische Klerus keineswegs einen monolithischen Block darstellte. Auch war der Einfluss des Klerus nicht immer gleich stark. Im slowenischen Fall erreichte er seinen Höhepunkt mit der Tätigkeit des Dr. Anton Korošec, der bis 1940 mehr als 20 Jahre lang de facto die entscheidende politische Figur der Slowenen war. Während des Zweiten Weltkriegs jedoch erlebte die Rolle des Klerus in der slowenischen Gesellschaft eine rapide Erosion, woran auch die kurzzeitige „Renaissance“ des katholischen Einflusses vor und während des Zerfalls Jugoslawiens nichts wesentlich änderte.

Die durch die Nationalisierungsprozesse hervorgerufenen Konflikte werden deutlich in der Darstellung der „Demonstrations of the Italian Community in Zadar Against Archbishop Gregory Rajčević in 1894“ im anschließenden Beitrag von Josip Vrandečić. Der Verfasser beleuchtet eine interessante Episode aus der Geschichte des damaligen österreichischen Kronlands Dalmatien Ende des 19. Jahrhunderts. Nach dem Tod des Erzbischofs Maupas im Jahr 1891 ernannte Kaiser Franz Joseph am 3. August den Dompriester von Zadar, Monsignore Grgur Rajčević, zum dalmatinischen Metropoliten. Wenngleich sich der neue Erzbischof aus dem zwischen Kroaten und den Angehörigen der italienischsprachigen Minderheit in Zadar/Zara hochkochenden Nationalitätenkonflikt herauszuhalten versuchte, werteten die Kroaten in Zadar seine Ernennung doch als ihren politischen Sieg, die örtlichen Italiener hingegen als weiteren Schritt in Richtung der Unterdrückung ihrer Rechte. Die Ernennung eines Bischofs kroatischer Abstammung verstärkte die Ängste, die durch den bereits vorher erlittenen Machtverlust im Landtag Dalmatiens und die Anerkennung der slawischen glagoljica als Liturgiesprache im Gottesdienst unter der vorher in der Gesellschaft tonangebenden italienischsprachigen Bevölkerung angewachsen waren. Die Aufwertung des Slawischen durch Papst Leo XIII. 1880 in seiner Enzyklika Grande Munus nahmen die Italiener in Zader als Verdrängung des Lateinischen und Bedrohung der „Italianität“ Dalmatiens wahr. Der Konflikt kulminierte 1894, als Demonstrationen italienischer Schüler und Studenten zur Unterstützung der Zeitung Il Dalmata ausbrachen, nachdem die Staatsanwaltschaft eine Nummer der Zeitung beschlagnahmt hatte.

Massimiliano Valente untersucht in seinem Beitrag „La Santa Sede e la “questione di Fiume” nel dopoguerra“ den fast schon paradigmatisch zu nennenden Fall der Stadt Rijeka/Fiume, wo am Ende des Ersten Weltkriegs die ungelösten nationalen Fragen und ihre politischen Implikationen zu diametral entgegengesetzten nationalpolitischen Schlussfolgerungen bei Italienern und Kroaten führten, und zwar ohne Rücksicht auf die gemeinsame katholische Konfession. Im Lichte der Akten aus dem Vatikanischen Archiv, bei denen die Berichte zweier päpstlicher Gesandter zwischen 1919 und 1922 eine ← 9 | 10 → besondere Rolle spielten (Mons. Valentin Liva u. Mons. Celsa Costantini), rekonstruiert der Verfasser die Zeit der Besetzung der Stadt durch Gabriele D’Annunzio und seine proto-faschistischen „Legionäre“.

Aleksandar Jakir beschäftigt sich mit konfessionellen Prägungen und kulturellen Milieus im Prozess der Herausbildung moderner nationaler Identitäten am Beispiel Dalmatiens in der Zeit zwischen den Weltkriegen und wirft einen Blick auf das identitätsprägende und konfliktanfällige Nebeneinander der katholischen und serbisch-orthodoxen Kirche in der Zwischenkriegszeit in dieser Region. Ausgehend von der zentralen Rolle der Konfession bei der Nationsbildung und ihrer Rolle beim Abschluss des modernen Nationsbildungsprozesses lässt sich zeigen, dass mental-kulturelle Traditionen und der konfessionelle Gegensatz zwischen Katholiken und Orthodoxen eine wichtige Rolle bei der Herausbildung serbischer bzw. kroatischer Nationalidentität im Prozess der modernen kroatischen und serbischen Nationsbildung spielten. Weiterhin wird der Frage nachgegangen, wie sich in Dalmatien dieser konfessionelle Gegensatz auswirkte und welche Rolle der Klerus dabei spielte. Es zeigt sich, dass der virulente kirchenpolitische Gegensatz, welcher der unterschiedlichen Rolle der orthodoxen und der katholischen Kirche im nach dem Ende des Ersten Weltkriegs entstandenen jugoslawischen Staat geschuldet war, eine wesentliche Rolle bei der Abgrenzung von Serben und Kroaten in Dalmatien spielte.

Im darauffolgenden Beitrag von Nediljko A. Ančić „Klerus und Politik in der katholischen Publizistik in Kroatien (1991–1995)“ wird die Stellung katholischer Amtsträger zur Politik nach dem Zusammenbruch des Kommunismus und nach dem Zerfall des damaligen Vielvölkerstaates Jugoslawien analysiert und nach der Haltung von Klerikern zu brennenden politischen Fragen während des Krieges in Kroatien gefragt. Die Auswertung von fünf überregionalen katholischen Zeitschriften gibt Aufschluss über die Stellung von prominenten Vertretern des Klerus zur staatlichen Selbständigkeit Kroatiens und zum Unheil des Krieges und seiner Überwindung. Der Verfasser kann zeigen, dass in den untersuchten Zeitschriften der Jahre 1991–1995 keine Texte vorhanden sind, die zum Hass oder zur Rache aufriefen oder zu militärischen Eroberungen antrieben. Hass und Rache, von wem sie auch immer kommen mögen, wurden als unchristlich verworfen. In den Wirren des Krieges, wenn der konkrete Mensch in seiner unantastbaren Würde als Person verletzt wird, darf die Stimme der Kirche nicht schweigen, und die vorgestellten Autoren haben ihre prophetisch-kritische Stimme in der katholischen Publizistik in Kroatien in den Jahren 1991–1995 erhoben und haben nicht geschwiegen.

Einen Überblick über das Engagement von Katholiken im italienischen politischen Leben, insbesondere innerhalb der Volkspartei, gibt Stefano Trinchese in seinem Aufsatz „Il Partito popolare italiano. Origini, ascendenze ← 10 | 11 → ideali, punti programmatici“. Besonderes Augenmerk wird dabei auf die wichtige Rolle einiger katholischer Intellektueller und Politiker gelegt wie Ettore Passerina d’Entreves, Mario Bendiscioli, Fausto Fonzi, Pietro Scoppola sowie, später, Camillo Brezzia und Filippe Mazzonis. Auch wird der Wandel thematisiert, der zu einer Verringerung des Einflusses der höheren Ränge der Kirchenhierarchie im politischen Leben Italiens geführt hat.

Ivica Šarac untersucht die Rolle des Klerus im Prozess der Formierung nationaler Identität unter den Kroaten Bosnien-Herzegowinas im 19. und in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts und macht deutlich, dass der Verlauf der zunächst partikular einsetzenden und dann zunehmend breitenwirksamer werdenden national-integrativen Prozesse maßgeblich durch die Stellung der vormodernen ethno-religiösen Gemeinschaften innerhalb der osmanischen Gesellschaft bestimmt wurde. Eines der wesentlichen Merkmale des Osmanischen Reichs, innerhalb dessen Bosnien und Herzegowina über Jahrhunderte hinweg als osmanische territorial-administrative Einheiten existierten, ist die Tatsache, dass der osmanische Staat als theokratischer Staat funktionierte. Innnerhalb dieser Theokratie wurden im Reich die Untertanen gemäß der religiösen (nicht der ethnischen) Zugehörigkeit unterschieden, wodurch im Regelfall auch deren sozialer Status bestimmt war. Im Beitrag wird die unterschiedlich verlaufende Entwicklung bei den bosnischen und herzegowinischen Kroaten vom 19. Jahrhundert bis zur Gegenwart geschildert, wobei auch hier die zentrale Rolle deutlich wird, die bei der Herausbildung eines modernen Nationalbewusstseins den verschiedenen Vertretern des katholischen Klerus zukam.

Adnan Jahić schildert in seinem Aufsatz „The Attitude of Bosnian ulema Towards the National Question in the Yugoslav Kingdom“ die Standpunkte der muslimischen Geistlichkeit während der Zeit des ersten jugoslawischen Staates (1918–1941) in Bezug auf die seinerzeitigen nationalpolitischen Optionen. Es werden insbesondere die Auffassungen von Religionsgelehrten wie Mehmed Handžić, Ibrahim Čokić, Šaćir Mesihović, Ali Riza Prohić, Ibrahim Maglajlić, Džemaludin Čaušević und anderen prominenten Angehörigen der bosnischen ulema zur Frage der Identität der bosnischen Muslime behandelt. Diese hatten als lokale Autoritäten Einfluss auf die Interpretation der islamischen Glaubenslehre und auf die Herausbildung eines bosnisch-muslimischen Nationalbewusstseins.

Oliver J. Schmitt zeigt in seiner Untersuchung des orthodoxen Klerus in Rumänien und seines Verhältnisses zur extremen Rechten in der Zwischenkriegszeit, dass die Legionärsbewegung in Rumänien, die als rechtsextreme Massenbewegung einen „neuen Menschen“ propagierte, der wesentlich durch ethnische und religiöse Zugehörigkeit bestimmt war, deutliche Sympathien in Teilen des orthodoxen Klerus genoss. Der Beitrag ← 11 | 12 → diskutiert den Forschungsstand zu diesem in Rumänien kontrovers bewerteten Thema und analysiert neue empirische Erkenntnisse. Es wird die soziologische Bedeutung des Klerus in den dargestellten politischen Bewegungen deutlich, ebenso wie die Praxis von Religion und die Teilhabe des Klerus im politischen Alltag der rechtsextremen Bewegungen. Weiter werden die Rahmenbedingungen beschrieben, in denen sich die orthodoxe Kirche nach 1918 zu behaupten hatte, als sich zugleich ein neues rechtsextremes politisches Spektrum ausbildete, sowie die Stellung von Kirche und Glauben in den beiden wichtigsten rechtsextremen Gruppierungen behandelt. Der Verf. kommt zum Schluss, dass ohne die massive Unterstützung durch den Klerus, besonders durch den Pfarrklerus, die Legionärsbewegung nicht in weiten Teilen des ländlichen Rumäniens hätte Fuß fassen können, auch wenn Kleriker in Führungschargen der Legionsbewegung kaum vertreten waren.

Valery Stojanow untersucht unter der Überschrift „Die Affäre „Archon“ der bulgarischen orthodoxen Kirche. Verloren im Übergang oder ein Emanzipationsversuch?“ das Phäniomen der Einführung der Auszeichnung bzw. des Titels „Archon“ nach dem Zusammenbruch des sozialistischen Systems. Der Verf. Kann in seinem Beitrag eindrücklich zeigen, wie sehr die Verleihung dieser Auszeichnung oftmals in der Praxis in Bulgarien an den Kauf von „Ehre und Würde“ erinnert. Die Möglichkeit jedes Metropoliten, durch die Archon-Auszeichnung reiche Spender für seine Eparchie anzulocken, erlaubt es zwar, einerseits, den Wohlstand der bulgarischen Kirche als Ganzes zu erhöhen, anderseits stehen die neu-erhobenen „Archonten“ in besonderer Beziehung zu den Prälaten, welche ihnen diese Würde verliehen haben und so entsteht eine neue herausgehobene Schicht von Klerikern, neue „Kirchenfürsten“, die im Notfall auch über den Beistand ihrer „Barone“ mit ihrer ganzen finanziellen Macht verfügen. Dies ist von Bedeutung sowohl beim Treffen von Entscheidungen als auch bei der Bestimmung der Politik der Bulgarischen orthodoxen Kirche. Angesichts der problematischen Persönlichkeiten, denen der Archon-Titel verliehen wurde, kommt der Verf. zum Schluß, dass die Affäre „Archon“ die These bestätigt, wie sehr die bulgarische orthodoxe Kirche, die eine tausendjährige Tradition besitzt, gezwungen ist, sich an gesellschaftliche Änderungen anzupassen.

Abgeschlossen wird der Band durch Vasilios N. Makrides, der das Verhältnis von orthodoxem Klerus und Nation im neugriechischen Staat in den Blick nimmt und eine „Anatomie und Bilanz einer engen und vielschichtigen Beziehung“ anhand von ausgewählten Fallbeispielen präsentiert. Die diversen Nationalisierungsprozesse zwischen griechisch-orthodoxer Kirche und griechischer Nation, so kann der Beitrag zeigen, durchliefen verschiedene Phasen, wie u.a. die nationale Transformation der griechischen Orthodoxie, die Spannungen mit dem Ökumenischen Patriarchat von Konstantinopel, die ← 12 | 13 → engen Beziehungen zwischen Staat/Politik und Kirche, die Entstehung von orthodox-nationalen Ideologien und Mythologien, die Reaktionen diverser säkularer Akteure darauf, und schließlich die Möglichkeit einer supranatio­nalen Orthodoxie im heutigen globalen Kontext. Dabei ist die nationale Rolle des griechisch-orthodoxen Klerus alles andere als unumstritten und bleibt ein stark debattiertes Thema im öffentlichen griechischen Diskurs bis heute. Der Verfasser verweist auf den engen Zusammenhang mit der Transformation nicht nur der griechischen Orthodoxie, sondern der gesamten orthodoxen Welt von einem supranationalen zu einem nationalen bzw. natio­nalistischen Rahmen in der Moderne. Er stellt die Frage nach dem warum, die nur mit Blick auf die besondere orthodoxe Vorgeschichte beantwortet werden kann und kommt zum Schluss, dass die Rolle der Kleriker im nationalen Bereich heute sicherlich weder die attraktivste, noch die erwartungsgemäße seitens der giechischen Bevölkerung ist, im Unterschied vielleicht zu früheren Epochen in der Geschichte des modernen Griechenland.

So thematisch vielgestaltig die verschiedenen Beiträge auch sind, so scheint doch offensichtlich, dass im mittel- wie im südosteuropäischen Fall die Stimmen der Vertreter der Geistlichkeit aus dem Identitätsdiskurs der Moderne nicht wegzudenken sind. Der fruchtbare Austausch und die Diskussionen auf der Tagung in Split lassen die Herausgeber hoffen, dass auch die hier in schriftlicher Form vorliegenden Beiträge dem Leser ein differenziertes Bild der untersuchten Themen und einen Anstoß zu weiterer Beschäftigung mit dem vielfältigen Thema des Verhältnisses von Klerus und Nation in Südosteuropa bieten werden.

Details

Seiten
272
Jahr
2015
ISBN (PDF)
9783653040067
ISBN (ePUB)
9783653998122
ISBN (MOBI)
9783653998115
ISBN (Hardcover)
9783631628768
DOI
10.3726/978-3-653-04006-7
Sprache
Deutsch
Erscheinungsdatum
2014 (Oktober)
Schlagworte
Geistlichkeit Identitätsdiskurs Moderne interdisziplinäre Forschungsansätze
Erschienen
Frankfurt am Main, Berlin, Bern, Bruxelles, New York, Oxford, Wien, 2014. 272 S., 4 s/w Abb.

Biographische Angaben

Aleksandar Jakir (Band-Herausgeber:in) Marko Trogrlic (Band-Herausgeber:in)

Aleksandar Jakir und Marko Trogrlić sind Professoren für Neueste Geschichte und Zeitgeschichte an der Philosophischen Fakultät der Universität Split (Kroatien).

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